Eine Wanderung über das Rothaargebirge und durch den Westerwald

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Kein Tagebuch, doch nichts vergessen!

... schloss ich das Wandertagebuch. Dass ich es während unserer Wanderung nicht mehr aufschlagen würde, ahnte ich nur. Es kam zu keinem Memoire in chronologischer Reihenfolge der Ereignisse und Erlebnisse während der Wanderung. Dafür füllte sich das Diarium mit Notizen und Notizen. Nur zweimal, ganz am Anfang der Wanderung, hatte ich mich abends darangemacht, die Tageserlebnisse in üblicher Tagebuchform schriftlich festzuhalten. Nur zweimal! Entgegen allen sonstigen Wandergewohnheiten.

Wenngleich, Anne und ich, wir haben während unserer Tour über die beiden Mittelgebirge – das Rothaargebirge und den Westerwald – so viel erlebt, gesehen, erfahren, dass ich wieder ein dickes Tagebuch mit unseren Erlebnissen und mit den Gedanken dazu hätte füllen können. Zwar wie jedes Mal mit Mühe, aber ganz bestimmt wären es viele Seiten geworden. Auch in diesem speziellen Wanderfalle setzte mein Älterwerden engere Grenzen. Es ist einfach erklärt: Meine Kraft reicht einfach nicht mehr aus, um abends nach anstrengender Tageswanderung noch all das Erlebte und Gesehene zu notieren und es später der verfeinernden Bearbeitung zuzuführen. Unter welch abenteuerlichen Bedingungen habe ich schon meine Wandertagebücher geführt! Jetzt bin ich nach den Wandermühen des Tages oft nur noch müde und freue mich auf das Bett und den Schlaf. Die zwei Bierchen zum Abendbrot und der traditionelle „Absacker“ tun ein Übriges. Sie zeigen bei mir mehr Wirkung als früher. Selten schwankende, auf jeden Fall aber zusätzlich ermüdende.

Aus genannten Gründen entschloss ich mich am Abend des dritten Reisetages, das Tagebuch-Buch während der vor uns liegenden Wanderzeit nicht mehr in gewohnter Weise zu füllen. Außerdem erinnerte ich mich daran, dass nach der Heimkehr in Berlin dringende und umfangreiche schriftliche Arbeiten auf mich warten würden. Nicht zuletzt: Der dritte Band der von mir geplanten Gedicht-Trilogie – die Altersgedichte – musste nun endlich fertig werden. Diese Arbeit würde folglich den Vorrang haben, wenn ich wieder meinen gewohnten Platz am Schreibtisch einnehmen würde. ...

Genannte Arbeiten sind erledigt, weitere Verpflichtungen erfüllt. Jetzt also sitze ich wieder an meinem Schreibtisch. Und? Und ich kann es nicht lassen! Das Erlebnis unserer Wanderung über die beide Wandersteige war so erfüllend, dass es ebenfalls verdient, im Erinnerungshaus von Anne und mir ein eigenes Zimmer zu bekommen. So wie unsere Wanderungen und Fahrten in den Jahren zuvor! Werde ich also versuchen, das Erlebte nachzutragen bzw. nachzuschreiben. Mal sehen, was das alte Gedächtnis gespeichert hat und was es noch so hergibt.

Soll also an Stelle eines minutiös geführten Tagebuchs ein Buch mit Notizen über eine Wanderung durch das Rothaargebirge und den Westerwald entstehen, ein Buch mit vielen Notizen – ein Notizenbuch sozusagen. Habe ich durch diese Form zugleich auch die Möglichkeit, gemeinsam mit den Lesern darüber nachzudenken, was den Sinn des Wanderns ausmacht.

Rothaariges Gebirge?

Rothaargebirge. Schon der Name ein Rätsel! Ein Geheimnis! Was hat er zu bedeuten? Sachkundig wollten wir uns während der Wanderung machen. Darüber hinaus dieses Gebirge erkunden: seine Wege und Pfade, seinen Wald, seine Orte und vor allem seine Menschen. Die Dinge erkunden – dies ist das wichtigste Anliegen unseres Wanderns.

Also was hat es mit dem eigenartigen Namen Rothaargebirge auf sich? Nein, nein, er hat nichts mit roten Haaren zu tun! Den rothaarigen Menschen, besonders Frauen, begegneten wir in summa summarum während unserer langen Wanderungen durch Irland. Im Oberen Sauerland sind sie deutlich seltener anzutreffen. Zum Glück für mich! Denn die Irinnen beachteten mich, als wir vor Jahren über die Grüne Kleeblatt-Insel radelten, trotz einiger und manchmal heftiger Bemühungen meinerseits kaum oder überhaupt nicht. Lange dachte ich über die Ursache dafür nach. In meinem Irischen Tagebuch9 hielt ich es fest. Will ich hier nicht näher darauf eingehen. Irland – das waren andere Wanderungen. Mit anderen ganz tiefen Eindrücken und lange wirkenden Erinnerungen.

Der Gefahr, von rothaarigen Frauen nicht beachtet zu werden, entging ich im rothaarigen Gebirgsland. Frauen mit roten Haaren liefen mir da eher selten über den Wanderweg. Ich kann mich jedenfalls im Nachhinein an nicht eine einzige Begegnung dieser Art erinnern. Bei den Sauerländerinnen musste ich allerdings auch aufpassen. Diese haben, wie ich schnell erfuhr, eine flinke Zunge. Ob junge oder alte Mädchen. Nee, nee, hinter dem Wald und etwa maulfaul sind sie nicht!

Mit dem „Nee“ sind wir bei der Sprache bzw. bei der „Spreche“ der Sauerländer angelangt. Meine Ohren schnappten unter anderem auf:


ne? > Einverstanden? Verstanden?
da > das
wat > was
Woll? > Woll nicht?

Im Sauerland wurde einst, wie ich im schlauen Internet „nachblätterte“, das Sauerländer Platt oder Siuerlänner Platt gesprochen. Studiumwissen kam mir wieder ans Tageslicht. Linguistikvorlesung zum Thema: Ausbreitung des Plattdeutschen/Niederdeutschen. Da war doch was! Also: Von den Küsten der Nord- und der Ostsee bis hin zum Sauerland kann man das Plattdeutsche hören! Selbstverständlich auch hier wie überall in allen Gegenden mit einer besonderen Ausprägung.

Ach, so: Rothaargebirge ...? Nichts da, wie man vermuten könnte, mit roten Haaren! Auf einer alten Wanderkarte fand ich die Bezeichnung Rothaar als Name eines Bergkamms zwischen dem Sauerland und dem Wittgensteiner Land. Der Name des gesamten Gebirges wiederum leitet sich vom Begriff Rod-Hardt-Gebirge ab, was in etwa „Gerodetes Wald-Gebirge“ bedeutet. Das Rothaar (Platt >hard/hardt) kann auf Waldweidewirtschaft deuten, wie sie früher dort betrieben wurde.

Und was ist mit dem Rothaarsteig? Der ist noch nicht alt! Er wurde als Fernwanderweg erst 2001 eröffnet. 154 Kilometer „läuft“ er insbesondere auf dem Hauptgebirgskamm des Rothaargebirges, eben von Brilon nach Dillenburg. Der größte Teil des Steigs liegt im Naturpark Sauerland-Rothaargebirge. Er verläuft zumeist entlang der Rhein-Weser-Wasserscheide, über bewaldete Berge, durch von Wald gesäumte Täler, vorbei an Fließgewässerquellen, passiert Natur- und Kulturdenkmäler, führt durch Naturschutzgebiete und fast immer durch sehr dünn besiedelte Landschaften.

Während wir ihn wanderten, lernten wir einige seiner Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten kennen:

die Bruchhauser Steine

den Langenberg

den Kahlen Asten

den Rhein-Weser-Turm

die Ginsburg

die Ruhr-, Eder-, Sieg- und Lahnquelle

vieles andere mehr

Dazu noch kamen wir durch höchst reizvolle Städte, Städtchen, Dörfer, Dörfchen, Orte ... Dies die „sachliche“ Seite des Rothaarsteigs. Nun zu den emotionalen Erlebnissen, welche uns das Rothaargebirge bot. Anne und ich, wir sind schon so manchen Fernwanderweg gelaufen. Aber dieser Rothaarsteig, das war einer der schönsten, wenn nicht gar der Schönste der Fußwanderwege, über den wir bisher zogen! Nun ja, am Ende einer langen Wanderung überdeckt die aktuelle Erinnerung so manches frühere Unterwegs-Erleben. Dann ordnet sich später das nahe Zurückliegende ein, und manches relativiert sich auch.

Aber: Anne und ich, wir waren am Ende dieses Weges mit den Sinnen und im Herzen vom Rothaargebirge und seinem Steig beeindruckt! Welch ein schöner Wald! Viele, immer wieder neue grüne Farbnuancen. Kleinhüglig das Land! Immer wieder interessante Sichten! Keine langgezogenen Straßendörfer. Unten in den stillen Tälern drängen sich die Ortschaften und die Dörfchen zusammen. Verstecken sich „Hinter Hügel und Tann´“. Immer wieder neue Bilder. Vor allem auch Wolkenbilder am Himmel. Was die für Geschichten mitbringen und erzählen würden. Wenn sie denn sprechen könnten! Genau wie die Menschen des heimatlichen Sauerlandes. Von denen erfuhren wir einiges, was merkenswert ist.

Sechs Traktoren – ein Nummernschild

Schon die erste Etappe von Brilon nach Bruchhausen lieferte mir genügend Stoff zum nachträglichen Aufschreiben. Da hatten wir auch Wege-Glück mit dem Wetter: freundliches Sommerwetter, freundliches Wanderwetter eben. Nicht zu heiß, nicht zu kühl, kein Regen. Besonders wichtig für die erste Etappe – das Wetter. Das stimmte wirklich! Die Sonne verschönte die Landschaftsbilder und hob unsere Stimmung. Dazu freundliche Begegnungen. Zum Tagesziel hin wurde das Streckenprofil doch ein wenig anspruchsvoller. Drei Hügelchen wollten noch „übergangen“, also überwandert werden. Sogar eine kleine Kletterstelle wurde uns angeboten. Eine Ausweichvariante hatten wir mutig verschmäht.

 

Anschließend umwanderten wir den Istenberg, ein dichtbewaldeter Bergrücken. Auf dem uns zugeneigten abfallende Hang sahen wir die vielgerühmten und oft beschriebenen Bruchhausener Steine. Vier an der Zahl schießen wild und ungestüm aus dem Wald heraus. Bestimmt entstanden dort oben Märchen und Legenden. Ihre Namen lassen es erahnen: Bornstein, Feldstein, Goldstein und Ravenstein. So las ich es aus meiner Wanderkarte heraus. Ein romantischer Anblick, wie uns da die vier zum Ende der ersten Etappe grüßten.

Das Tagesziel ward dann bald erreicht: Bruchhausen. Ein Dorf von der Art „hinter Hügel und Tann´“ oder „im tiefen, tiefen Tal“. Die erste Etappe hatten wir also glücklich und in Maßen erschöpft gemeistert. Wir waren doch zufrieden mit uns.

Das Quartier im Dorfgasthof war von uns vorbestellt worden. Freundlich wurden wir von den Wirtsleuten empfangen. Das Zimmer? Alles in Ordnung und für die müden Wanderer ruhigen Schlaf versprechend. Doch vor der Nachtruhe war ein einfaches und deftiges Abendbrot angesagt. Nach sauerländischer Speiseart. Es musste folglich mit einem würzigem Bier aus der Region umspült werden.

Anschließend hörten wir einiges über die Geschichte des Gasthofs, des Dorfs und über die Menschen, die dort leben. Erzählt wurde es uns vom Wirt. Dieser im älteren Mannesalter, stattlich an Gestalt, kein kleiner Gebirgswurz, einer mit ausgeprägt kräftigen Arbeitshänden. Und: selbstbewusst! Er erzählte und erzählte. Da er unser Interesse verspürte, fand er kein Ende. Nun ja, ein Bierchen und noch ein Bierchen hielten die Kehlen feucht. Seine vor allem, aber auch meine.

Es stellte sich heraus, das da mehr als nur ein kleiner Dorfgastwirt am Erzählen war. Er erwähnte eine erstaunlich große Zahl von Hektar an Wald- und Landbesitz, Landwirtschaft, Jagdrechte, ihm gehörende Eigentums- und Ferienwohnungen. Auch auf einen florierenden mittelständischen Betrieb kam er zu sprechen. Einst von ihm gegründet und jetzt von einem Sohn geführt. Insgesamt: Besitz und Eigentum, die über die Zeiten und von den Generationen der Familie erarbeitet wurden und die immer noch Früchte tragen. Da gibt es bestimmt auch ordentlich gefüllte Bankkonten, ahnten wir. Wir bekamen auch noch zu hören, dass die nun erwachsenen Kinder ebenfalls das Arbeiten und gutes Wirtschaften gelernt hätten.

Dem Mann sah man es an den Händen, der Gestalt und dem Gesicht an, dass er über seine Lebensjahre hinweg hart und viel gearbeitet hatte. Seine sehr gewichtige Frau wohl nicht minder. Und beide – nun im deutlichen Älterwerden – sind noch immer von früh bis spät sowie die Woche über zu Gange. Führen ihren Gasthof mit den Fremdenzimmern, halten noch so manches in Schwung. Sollte man da Besitz und Geld neiden?

Ach so: Einen Luxus leistet sich der Wirt, ein besonderes und nicht billiges Hobby. Trotz des vollen Tagwerks und praktizierter Sparsamkeit als Lebensprinzip. Als er davon sprach, begannen seine Augen zu glänzen, kam er fast ins Schwärmen. Man lese und man staune wie wir, als uns erzählt wurde: Er, der Wirt, sammelt Traktoren! Traktoren! Das muss man sich mal vorstellen. Ein halbes Dutzend davon würden im „Stall“ stehen, meinte er voller Stolz. Da sei noch Platz für das eine oder andere interessante Stück. Alle im originalen Zustand, alle fahrbereit. Ich murmelte etwas von viel Kfz-Steuern. Er lachte und gab mir Auskunft, wie das gehen kann: Alle Traktoren seien fahrtüchtig und angemeldet. Aber registriert nur auf einen Fahrzeugschein! Wie das klappt, weiß ich bis heute nicht. Will es auch gar nicht wissen, da ich nur ein kleines PKWchen besitze. Und für das habe ich in Berlin noch nicht einmal einen „Stall“, sprich: eine Garage.

Das mit der besonderen Form der Anmelderei erklärte der Wirt so: „Das ist billiger! Und je nachdem mit welchem Traktor ich am Wochenende ausfahre – den Enkel mit auf dem Bock – , an dem wird das Kennzeichenschild ordentlich angeschraubt. Ordentlich! Muss ja alles seine Ordnung haben!“ Ich dachte nur, vom Bier und den Schnäpsen leicht beduselt:

Kerber, bist alt geworden wie ´ne Kuh,

lernst´e immer noch dazu

Sprach es aber nicht laut aus. Und in diesem Falle war der Lerneffekt bei mir nicht sehr groß. Ich sammele ja keine Traktoren.

Das Ausfahren mit einem Traktor und mit dem Enkel auf dem Sitz, das sei sein großes Vergnügen, so der Wirt. Er schloss: Prost darauf!

Ich antwortete: Prost darauf!

Wir kippten jeder noch einen original sauerländer Schnaps hinunter. Schluck, schluck! „Der geht aufs Haus!“ befand der Wirt. Ich widersprach nicht. Anne und ich, wir gingen sodann mit Dank und einem Gute-Nacht-Gruß auf unser Zimmer. Ich etwas schwerköpfig.

An diesem Beispiel wird auch deutlich, warum ich mit dem abendlichen Tagebuchführen in Schwierigkeiten geraten wäre.

Im Upland10

Von Bruchhausen nach Willingen im Upland war es nicht weit. Eine kurze Etappe. Unterbrochen der Weg durch eine Rast auf dem Richtplatz beim Hoppernkopfgipfel. Hier soll so manche Verbrecherlaufbahn ihr gesetzliches bzw. entsetzliches Ende gefunden haben. Ob die Sitzbänke des romantischen Rastplatzes mit dieser etwas grusligen Vergangenheit zu tun haben, das fanden wir nicht heraus. Tische und Bänke auf dem Rastplatz sind hoch gebaut worden. Stehen sozusagen auf Stelzen. Ein anderer Grund? Vielleicht drohendes Hochwasser? Unlogisch, oben auf dem Richtplatz-Berg droht kein Hochwasser! Oder doch?

Beim Verzehren unserer Vesperbrote konnten wir kleinen Wanderer jedenfalls nur hilflos mit den Beinen baumeln. Mit dem Kinn erreichten wir gerade die Kante der Tischplatte. Tat aber unserer Vesperei keinen Abbruch. Ergab dafür lustig und eigenartige Bildmotive zum Fotografieren.

Der Weg hinunter nach Willingen, bekanntester Wintersportort im Hochsauerland, zog sich sehr in die Länge. Verschönt wurde er uns allerdings durch den Anblick vieler liebevoll angelegter und sehr ordentlich gepflegter Gärten. Diese umrahmten mittelprächtige bis prächtige Villen, Einfamilien- und Wohlstandshäuser unterschiedlicher Art. Nicht gedacht als Übernachtungsquartier für Wanderer der einfachen Art von unserer Sorte.

Auf Willingen als Etappenziel hätten wir an diesem Tag gern verzichtet! Zuviel des Trubels! Ausgerechnet am Wochenende übernachteten wir dort, und ausgerechnet an diesem Wochenende fand dort ein Bikertreffen statt. Das größte im Lande, wie uns stolz berichtet wurde. Das Ergebnis unter anderem: Touristen und Sportler in rauen Mengen und Gruppen. Darunter eigenartigerweise, zunehmend in den Abendstunden, viele betrunkene Schreihälse. Eigenartig? Na ja, es handelte sich doch um ein Sportlertreffen? Uns wurde aber erzählt, dass Willingen das gesamte Jahr über ein bekannter Treffpunkt für erlebnishungrige und vor allem bierdurstige Männer aus der mittleren bis weiteren Umgebung sei. Und diese Tatsache fiel nun zusammen mit dem Bikertreffen.

Beim abendlichen Spaziergang und bei der Suche nach Atzung hatten wir das Gefühl, in unserem Berlin in Kreuzberg oder im Stadtbezirk Friedrichshain zu sein. Dort geben sich zu jeder Jahreszeit die Krawalltouristen ein Stelldichein nach dem anderen. Und dort hat sich auch seit 1996 an jedem letzten Augustwochenende auf der Frankfurter Allee eine kilometerlange Biermeile etabliert.

Der nächste Tag bescherte uns den höchsten Berg der Tour und des Rothaargebirges – den Langenberg. Nun ja, ihn zeichnet keine schwindelerregende Höhe aus. Aber immerhin standen wir auf 843 Meter über NN (Normalnull). So belehrte uns das Steinmanderl, das den Höhepunkt markiert. Wir hatten mit einer schönen Aussicht gerechnet, wurden jedoch enttäuscht.

Das Manderl steht am Rande des Wandersteigs und wird romantisch von Nadelbäumen umrahmt. Keine Aus- oder Weitblicke möglich. Doch eine beweisführende Fotoaufnahme von uns beiden vor dem Gipfelkreuz war uns der „Gipfel“ allemal wert. Ein vorbeiziehender Wanderfreund half uns dabei, dass wir endlich einmal gemeinsam in Fotopositur kamen und folglich auch einmal gemeinsam auf einem Erinnerungsfoto zu sehen sein würden.

Was die Aussichten anbetrifft, da hatten wir an der HOCHHEIDE-HÜTTE mehr Schau-Glück. Kyrill-Stürme hatten Schneisen in den Wald geschlagen und die Hochebene „leergeräumt“. Viele Wanderer genossen an diesem schönen Sonnen-Sonntag die eindrucksvollen Sichtmöglichkeiten. Nutzten sie bei Speis´ und Bier, bei Eis und Torte. Phantastische dunkle Wolkenbilder kündigten an, was uns in den nächsten Tagen erwarten würde bzw. könnte.

Auf dem weiteren Weg begegneten uns immer wieder Gruppen von wilden Mountainbikern. hatten offensichtlich die Folgen der kleinen oder größeren Trinkereien am Vorabend in Willingen überwunden und hetzten nun über die Wettkampfstrecken. Diese aber vorbildlich durch Markierungen, Absperrbänder und Ordner gesichert. Und der Ehrlichkeit halber sei festgehalten, dass sich die Sportler gegenüber den Fußwanderern fair verhielten. Mit Warnrufen machten sie auf sich aufmerksam und bedankten sich atemlos, wenn man Platz machte.

Da haben wir schon andere Situationen erlebt. Einsam ziehst du über den Wanderpfad, und dann kommt aus der steil abstürzenden Kurve so ein Bike-Rowdy hervorgeschossen. Dir bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als dich durch einen raschen Sprung ins Gebüsch zu retten. Sonst wirst du „abgeschossen“! Aber um Willingen herum hatten wir es mit „ordentlichen“ Sportlern zu tun.

Wir waren also im Upland gewandert. Upland – was relativ einfach mit Oberland oder Hochland übersetzt werden kann. Upland = Hochland im Sauerländischen Platt. Es umfasst im Wesentlichen die Gebiete um Willlingen mit seinen dazugehörigen Ortsteilen. Hier versammeln sich fast alle Berge des Hochsauerlandes, die die stolze 800-Meter-Marke überbieten. Dem höchsten unter ihnen – dem Langenberg – hatten wir ja unsere Reverenz erwiesen.

Eierfresser

Auf dem Weg hinter Willingen waren wir allein unterwegs. Oder fast allein. Selten begegneten wir anderen Wandersleuten. War das der Fall, gab es wie immer einen kleinen Schwatz: Woher? Wohin? Wie wird das Wetter? Man macht sich auf Besonderheiten der Strecke aufmerksam und was es sonst so zu beachten gibt. Nicht nur die Route betreffend, sondern auch in Bezug auf die Quartierlage, die Möglichkeiten zur Einkehr, die Qualität der regionalen Bier-, Wein- oder Schnapssorten usw.

Wir trafen während unserer gesamten Tour nur wenige Wanderer, die den Rothaarsteig in voller Länge gingen. Und um es vorwegzunehmen: Im Westerwald wurde es für uns noch einsamer. Wir begegneten nur einem Wanderpärchen aus Belgien, welches den gesamten Westerwald-Steig lief. Mutige wie wir, die gar auf beiden Steigen „in einem Ritt“ unterwegs waren? Fehlanzeige!

Die doch recht lange Etappe von Küstel nach Lenneplätze gestaltete sich interessant, landschaftlich wieder reizvoll, aber auch anstrengend. Daran war vor allem Winterberg schuld, der bekannte Wintersportort. Hier gibt es eine Bob- und eine Rennrodelbahn sowie eine Schisprungschanze. Folglich ist Winterberg auch ein Austragungsort von Weltcupwettkämpfen. Hier gibt es aber vor allem auch Touristen. Im Winter und im Sommer, wie wir uns überzeugen mussten.

Die Stadt im Hochsauerland war uns keine Unbekannte mehr. Während einer Radwanderung hatten wir schon einmal Bekanntschaft mit ihr geschlossen. Aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land kommend, waren wir die kilometerlange Steigung hinauf nach Winterberg gestrampelt. Anschließend ging es dann in schöner, langer Abfahrt an der Lahn entlang Richtung Rhein. Diesmal waren wir etwas langsamer unterwegs.

Der Rothaarsteig führte uns langzügig durch Winterberg – bergabwärts und bergaufwärts. Etwas ätzend das Wandern auf dem Straßenpflaster! Zum Zentrum hin auch wegen der vielen Besucher in der Stadt: Ausflügler, Urlauber und Einkaufsneugierige. An unserem Wochenende war „Offener Verkaufssonntag“ angesagt. Na, fein! Volle Hütte also im Stadtzentrum! Wir „wilden Wandergesellen“ in unserer zünftigen Kleidung wurden gehörig bestaunt, vor allem wegen unserer abenteuerlichen Hüte mit den breiten Krempen. Gleich im ersten Menschengewusel begegneten wir einem älteren Mann. Irgendwie ein eigenartiger kauziger Typ. Er sprach uns an, nicht ich ihn, wie bei Begegnungen meist von mir praktiziert. In kurzer Zeit vermittelte er uns Teile seiner Vita. Das klang in Stichworten so: gute, sehr gute Geschäfte gemacht, geschieden, Geld vorhanden, Frauen auch, Hausbesitzer, Rassehundhalter, dazu noch so allerhand Besitz, außerdem sei das Sauerland langweilig usw. Hatten wir alles nicht erfragt und interessierte uns auch nicht. Merkenswert nur seine Idee, uns einzureden, dass wir bestimmt Geschwister seien, Anne und ich. Davon ließ er sich partout nicht abbringen:

 

Ihr seid doch gleich angezogen ...

Ihr seht euch doch auch so ähnlich ...

Ihr gefallt mir doch beide so gut ...

Mmm? Es wurde schwierig, ihn loszuwerden, um weiterzuziehen.

Im Zentrum der Stadt, auf einer Bank sitzend, kurze Vesper. Dann schnell und zügig Neustart. Nach den ruhigen Wanderkilometern und Wandertagen wurde uns das Menschengewimmel zu viel. Obwohl wir da ja in Berlin an ganz andere Gewimmel gewohnt sind. Die uns aber auch nicht gefallen. Diese wimmelnden Gewimmel. Im Gegensatz zu den reizvollen Wimmelbüchern11 für die Kinder, die auch wir Alte uns immer wieder gern ansehen. Nun nicht mehr mit den eigenen Kindern, sondern mit deren Kindern, also den Enkeln, und mit Urenkeln.

Unser schnelles Fortwandern aus Winterberg hatte aber nichts, was ausdrücklich betont werden soll, hatte nichts mit dem Spitznamen der Einwohner zu tun. Und dass wir vielleicht aus Furcht vor ihnen die schnelle Flucht antraten. Der Spitzname der Winterberger? Was für ein Spitzname? Vom Spitznamen der Briloner hatten wir ja schon gehört. Also diese werden ja liebevoll auch Esel genannt. Zu welchem Spitznamen sind denn nun die Winterberger gekommen? Und warum?

Also: Man sagt im Sauerland den Winterbergern nach, dass sie Eier in jeder beliebigen Zubereitung mögen und außergewöhnlich viel und häufig Eier essen würden. Deshalb wurden sie, die Winterberger, von den Leuten aus den benachbarten Orten vor Jahr und Tag mit dem Spitznamen „Äggerfriäter“ belegt.

Äggerfriäter > Eierfresser

Eierfresser! Darauf muss man erst einmal kommen! Äggerfriäter! Haben wir wieder ein Wort des Sauerländer Platt kennengelernt! Was sich der Volksmund so einfallen lässt!

Hinter Winterberg das erste und einzige Mal auf dem Rothaarsteig eine unangenehme Wegstrecke. Der Steig nicht gut gelegt. Läuft ätzend an der Bobbahn und der St.-Georg-Schanze vorbei – kurzsinnig erst bergauf, dann wieder weit hinunter. Schließlich das erste und einzige Mal: schlechte, dann zweideutige, dann fehlende Markierung. Im Hanggelände! Mönsch! Doch Malte fand den Weg zum Kahlen Asten, dem dritthöchsten Berg im Rothaargebirge!

Der Aufstieg schließlich nicht allzu steil und schwer. Doch mühsam, da es dem Etappenende zuging. Da werden erfahrungsgemäß die Berge steiler und die Rucksäcke schwerer! Das ist so! Ehrenwort des erfahrenen Wanderers!

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