Das Messias Casting

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Island

Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem steifen Nacken und beschloss, erst einmal eine kräftige Dusche zu nehmen. Das Wasser war heiß und der Druck war wunderbar kräftig, aber eigentlich hätte ich eine Massage gebraucht. Ein paar Wochen vorher war ich zum ersten Mal in einem Thai-Massagesalon gewesen und die zierliche Masseurin hatte mich derart durchgewalkt, dass ich danach das Gefühl hatte, mein Rücken wäre aus Gummi. Ich hatte das noch tagelang gespürt, es war aber trotzdem ein gutes Gefühl gewesen. Ob es hier auch Masseure gab? Gute Hotels hatten so etwas ja manchmal – und wenn hier sowieso alles inklusive war … wer weiß? Ich nahm mir vor, das herauszufinden.

Dann ging ich aufs Klo und hatte eine Idee.

Wenn ich mal meine Memoiren schreibe – vielleicht auch: schreiben lasse, mal sehen – werde ich natürlich nicht sagen, dass mir die Idee auf dem Klo kam. Dann werde ich erzählen, dass ich stundenlang am Strand spazieren gegangen bin, mit fotogen-sorgenvoller Miene in die aufgepeitschte See geblickt habe und sich dann, ganz langsam, ein Gedanke herauskristallisiert hat. Ich werde das auf mindestens zehn Seiten auswälzen. Vielleicht wird das ja mal verfilmt und ein gutaussehender Hollywoodstar verkörpert mich und starrt voll innerer Zerrissenheit aus dem Filmplakat. Obwohl, fürs Filmplakat nehmen sie bestimmt eine andere Szene. Ich weiß auch, welche. Mit etwas Glück nehmen sie die Meer-Szene für die Rückseite der DVD-Hülle. Oder für die Arthaus-Version der Geschichte.

Was Ideen anlangt, kenne ich mich aus. Bei aller Bescheidenheit – das ist sozusagen mein Geschäft. Manche Leute denken, als Werbetexter müsste man wahnsinnig viel schreiben, aber das ist eigentlich nur selten der Fall, im Allgemeinen zählt die Idee. Okay, es gibt auch Aufgaben, die ohne Ideen auskommen, wenn man z.B. eine Broschüre für Düngemittel durchtexten muss, aber das ist eher die Ausnahme. Das Schreiben an sich nimmt gar keinen so großen Raum ein. Böse Zungen behaupten ja, dass Arbeit ganz allgemein keinen großen Raum in Werbeagenturen einnehme. Aber das sind Leute, die noch nie in einer gearbeitet haben und die sich vom Tischfußball in der Kaffeeküche, den endlos dröhnenden Musikstreams bei den Grafikern und der demonstrativ zur Schau gestellten Lockerheit der Mitarbeiter blenden lassen. Lasst euch von mir gesagt sein: das täuscht.

Wenn man Werbung macht, ist man ohne Unterlass auf der Suche nach einer Idee. Man krebst verzweifelt herum, starrt allein oder im Team Löcher in die Decke, brainstormt stundenlang mit den anderen und vertut sinnlos Zeit bei einer Internetrecherche, die doch irgendwann in ein Surfen abgleitet. Nach einiger Zeit hat man dann meistens jede Menge Einfälle, von denen man zunächst nicht weiß, ob sie etwas taugen. Für gewöhnlich tun sie das leider auch nicht, denn wenn man sie freudestrahlend dem Kollegen oder Chef erzählt, runzelt der häufig nur ratlos die Stirn. Manche Ideen muss man natürlich erst noch ganz stark verändern, abwandeln, oder, wie viele sagen: »rundlutschen«, bis sie passen und mitunter haben sie dann mit dem eigentlich zugrunde liegenden Gedanken nicht mehr viel zu tun. Das heißt nicht, dass die Idee dann nicht mehr so gut ist. Obwohl, doch. Eigentlich ist die rundgelutschte immer schlechter als die ursprüngliche.

Hin und wieder passiert es aber, dass eine Idee am Gehirnkasten anklopft, bei der man sofort erkennt, dass es die richtige ist. Die Idee, die alles löst, die so genau zum Problem passt, wie ein Schlüssel zu einem komplizierten Schloss – und das ganz ohne rundlutschen. So war es bei mir in diesem Augenblick. Ich hatte eine Idee und es war eine richtig gute und es war kein Zufall, dass ausgerechnet ich sie gehabt hatte. Ich atmete tief durch. Natürlich nicht zu tief, weil ich ja noch auf dem Klo saß.

Ich dachte die Idee noch einmal durch. Ja, das könnte klappen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass so etwas funktionierte, zumindest mehr oder weniger. Natürlich gab es noch jede Menge Hindernisse auf dem Weg, aber die würden schon zu lösen sein. Verdammt, es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht ginge. Sozusagen.

Ich stellte mich ans Fenster und sah hinaus. Die See war wirklich sturmgepeitscht und alles war grau und dramatisch. Genau, wie ich das irgendwann in meinen Memoiren schreibe. Daran dachte ich damals natürlich noch nicht, aber ich muss zugeben, ich war enthusiastisch. Das kommt bei mir nicht so oft vor. Ich schaltete den Computer ein. Nach der Begrüßungsmelodie poppte ein Fenster auf, wünschte mir einen guten Morgen und wies mich in einem halben Dutzend Sprachen darauf hin, dass es von 6:00 - 10:30 Uhr im Speisesaal Frühstück gäbe. Himmel, wer steht denn freiwillig vor 9 Uhr auf, um zu frühstücken, dachte ich. Ich klickte auf ein Icon mit dem Titel »Internal Messenger«. Daraufhin wurde das interne Nachrichten-System erklärt, das den Austausch zwischen den Teilnehmern erleichtern sollte. Man konnte Gruppen einrichten und sogar bestimmte Konferenzräume buchen und Teilnehmer zu Veranstaltungen einladen. Ich hatte noch nie viel Lust gehabt, Bedienungsanleitungen zu lesen und so drückte ich ungeduldig auf »Next«, »Next«, »Next«, bis ich durch die Anleitung durch war. »Haben Sie alles verstanden und sind Sie mit den Nutzungsbedingungen einverstanden?« Klar, war ich das. Und zwar sowas von. Ich erstellte eine neue Nachricht und schrieb auf Englisch einfach drauf los. »@Anderson: Hallo, Dr. Anderson. Ich habe die Lösung für unser Problem und möchte mit Ihnen darüber sprechen. Kommen Sie doch mal vorbei und bringen Sie gleich eine Flasche Champagner mit. Und natürlich ein paar Nutten.« Dann schnell auf »Send« geklickt. Das mit den Nutten war natürlich nur so ein Werber-Witz, ich hoffte, dass er das nicht missverstehen würde. Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt geschrieben habe, ich war eben übermütig.

Keine zwei Minuten später klopfte es an meiner Tür. Es war aber nicht Anderson, sondern irgend so ein anderer Typ – dunkler Anzug, Scheitel links, keine besonderen Kennzeichen. Wie dieser Agent Smith aus der »Matrix«-Filmreihe. Nur dass mein Besucher bestimmt keinen Elben in ›Der Herr der Ringe‹ spielen könnte. Er erklärte mir, dass ich die Nachricht »an alle« geschickt hätte und dass ich das in Zukunft doch unterlassen soll, sonst würden mir meine Kommunikations-Privilegien entzogen. Hoppla, das war mir aber peinlich. Ich entschuldigte mich natürlich sofort. Ich wollte die Entschuldigung auch gleich an alle schicken, aber der Mann hielt mich davon ab. Dann wollte er wissen, was ich mir überlegt hatte. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, meine Idee nur Anderson persönlich zu vorzustellen, weil ich schlechte Erfahrungen damit gemacht habe, wenn Ideen weitererzählt werden; sie werden dann oft bis zur Unkenntlichkeit verwässert und verändert.

Aber jetzt war ich so eingeschüchtert, dass ich sie ihm erzählte. Hatte ich wirklich etwas von Nutten geschrieben und an alle geschickt? Allein der Gedanke ließ mich erröten.

Als ich fertig war, runzelte er die Stirn. Dann sah er mich an, schweigend. Ich runzelte ebenfalls die Stirn und hob meine linke Augenbraue. Mein Spock-Gesicht, das kann nicht jeder. Ich kann es sogar wahlweise mit der linken oder der rechten.

»Meinen Sie das ernst?«, fragte er dann.

»Ich habe in meinen ganzen Leben noch nie etwas so ernst gemeint.« Er sah mich etwas verunsichert an.

Ich schluckte und nickte langsam. »Ich meine es ernst. Wirklich.« Es ist schwierig, für voll genommen zu werden, wenn man als oberflächlicher, flattriger Werber verschrien ist.

Und wenn man gerade in alle Welt hinausposaunt hat, dass der Chef der ganzen Chose mit Schampus und Nutten vorbeikommen soll, trägt das auch nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit bei.

»Und wo wollen Sie … solch eine Person finden?«

Er hatte gleich den Schwachpunkt gefunden, das war ja auch kein Kunststück. Jetzt war es wichtig, sich keine Unsicherheit anmerken zu lassen. Ich sah ihm in die Augen. »Wir suchen. Das ist ja die Idee. Ich kann Sie dabei natürlich gerne unterstützen.« Alte Freelancer-Gewohnheit. Als Freiberufler sollte man stets versuchen, sich einen Folgeauftrag zu sichern, das ist auf jeden Fall einfacher als Neu-Akquise. »Ich denke, wir werden am ehesten in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien fündig. Sagt mir mein Gefühl. Schön, nehmen wir den Nahen Osten noch mit dazu, aus historischen Gründen, sozusagen.« Ich zwinkerte ihm zu. Wie sollte ich den Typen ernst nehmen? Er sah ja wirklich aus, als sei er gerade einem Agentenfilm entsprungen, wo er »Villain #3« spielte.

Der Anzugmann schwieg und vermittelte den Eindruck, intensiv nachzudenken. Vielleicht zählte er auch nur still bis zehn, ich glaube nicht, dass er für selbständiges Denken bezahlt wurde. »Ich spreche mit meinen Vorgesetzten.«

»Ich kann denen gerne noch mal die Idee vorstellen.«

»Das wird nicht nötig sein, ich habe gut verstanden.« Na klar hast du das, du Arschloch, schimpfte ich mich selbst. Ich bin so ein Idiot.

Er ließ mich allein und ich überlegte, ob ich im Zimmer warten sollte. Nach ein paar Minuten verlor ich aber die Geduld und machte mich auf zum Speisesaal. Anderson oder einer seiner Agenten würden mich schon finden, so groß war das Hotel nun auch nicht.

Beim Frühstücksbuffet sahen mich einige ziemlich komisch an, was wohl an meiner Nachricht lag. Falls sie sie schon bekommen und gelesen hatten. Und meinem Gesicht zuordnen konnten. Zur Sicherheit versuchte ich, gewinnend zu lächeln, aber das ist mir bestimmt misslungen. Ich stelle mir in solchen Fällen immer vor, dass ich George Clooney bin, aber das bin ich eben nicht. Also bin ich nervös herumgestolpert, habe dünn gelächelt und sah wahrscheinlich aus wie das personifizierte schlechte Gewissen. Verdammte Realität, das ist genau der Grund, weshalb ich Computerspiele liebe. Warum kann ich nicht ein Mal in meinem Leben cool sein, wenn ich es mir wünsche?

 

Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich wieder gehen, aber wenn’s um Frühstück geht, bin ich nicht zu bremsen. Zu Hause frühstücke ich immer nur ein Schüsselchen Schoko-Knusper-Müsli vom Discounter meines Vertrauens und dazu noch einen kalten Kaffee vom Vortag, falls noch etwas in der Kanne ist, das nicht schon seit Tagen herumsteht. Das ist dann schon das höchste der Gefühle. Ich tue das aber nur, weil ich zu faul bin, irgendetwas vorzubereiten. Tatsächlich liebe ich ein ausgiebiges Frühstück. Und hier war ich im Paradies. Es gab einfach alles. Schon der Duft war sensationell.

Nach etlichen mit Schokoladecreme gefüllten Mini-Croissants, unzähligen Latte Macchiatos und, als krönenden Abschluss, noch Baguette mit Spiegeleiern und wunderbar knusprig gebratenem Speck, ging es mir wieder besser. Hoffentlich war niemandem aufgefallen, dass ich mindestens zehn Mal am Buffet war. Als ich gerade überlegte, ob ich mir als, sagen wir: weiteren krönenden Abschluss noch einen Espresso gönnen sollte, oder mir der Vitamine wegen vorher doch einen Obstsalat genehmigen sollte, kam der Linksscheitel und setzte sich zu mir. Ich glaube, es war der gleiche, dem ich meine Idee erklärt hatte, aber ganz sicher war ich mir nicht, weil von der Sorte mehrere herumliefen. Kann sein, dass auch ein paar Rechtsscheitel dabei waren, so genau habe ich nicht hingesehen.

»Es freut mich, dass Ihnen das Frühstück hier schmeckt.«

Ich grinste ihn gelassen an. Wenn das eine Spitze gewesen sein sollte, so war sie wirkungslos abgeprallt an meinem aus Koffein, Zucker und Fett geschmiedeten Schutzpanzer der Zufriedenheit. Ist es nicht immer wieder überraschend, welch große Wirkung Essen auf unsere Stimmung hat? Wenn es mir richtig schlecht geht und ich völlig fertig bin und dann einen Kaffee trinke und etwas Süßes dazu esse, geht es mir augenblicklich wieder besser. In dem Moment will ich mir das natürlich nicht eingestehen, aber es ist so.

»Dr. Anderson möchte mit Ihnen sprechen.« Oha, das ist doch was. Aber eigentlich war es mir ja klar gewesen. Ich konnte nicht anders und antwortete laut, so laut, dass man mich im halben Speisesaal hören musste: »Dann gehen wir doch zu Dr. Anderson. Wir sollten ihn auf keinen Fall warten lassen.«

Der Anzugtyp verdrehte genervt die Augen, aber das war mir sowas von egal. Er hatte ja damit angefangen. Ich genoss meinen kleinen Triumph. Zu meiner Freude sah ich die Blonde vom Vortag und bildete mir ein, dass sie mich anlächelte. Ich war eben doch ein Siegertyp, ein sympathischer Rebell. Vielleicht umwehte mich jetzt endlich ein Hauch George Clooney. Als ich an ihr vorbeiging, versuchte ich, selbstsicher zu lächeln, ohne sie allzu deutlich anzusehen. Ich nahm einen leichten Jasminduft wahr, was erstaunlich ist, weil ich eigentlich ein olfaktorischer Krüppel bin, aber ich hatte mal eine Kollegin, die immer Jasmintee getrunken hat und so etwas prägt sich ein.

Austin

Die Kirche am Highway sah aus wie hunderte anderer Kirchen in den USA. Ein weißes Holzgebäude mit einem dunklen Dach und einem kleinen, spitzen Turm. Cullen hatte seinen Wagen vor der Kirche geparkt, direkt unter dem hohen Schild, auf dem in großen Lettern »Welcome« stand. Das »c« hing wenig tiefer und hatte eine andere Farbe als die anderen Buchstaben, vielleicht war das alte heruntergefallen und sie hatten ein neues gekauft.

Cullen fuhr einen Jeep Grand Cherokee, und das nicht nur, weil es ein bequemes Fahrzeug war. Auch wenn es nur ein Mietwagen war, war es ihm wichtig, ein amerikanisches Fabrikat zu fahren. Das war für ihn eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Die Klimaanlage lief nicht, dennoch war es im Innern der Kirche angenehm kühl. Obwohl neben seinem Wagen noch zwei andere gestanden hatten, war der Raum leer. Vielleicht nutzten die Besitzer der anderen Autos einfach nur den kostenlosen Parkplatz und waren in einem Geschäft in der Nähe.

Gemächlich schritt Cullen durch die leeren Sitzreihen. Ein schwacher Geruch von Kerzenwachs schwebte in der Luft. Seine regelmäßigen Schritte bildeten das einzige Geräusch neben dem bereits entfernt klingenden Rauschen der Autos auf dem Highway. Tapp, tapp, tapp. Wie ein langsamer Herzschlag.

Er fühlte, wie auch er zur Ruhe kam. Er nahm in der zweiten Sitzreihe Platz. Die Kirche war schmucklos, welch ein Gegensatz zu den barocken Kirchen in Europa, die er im letzten Sommer besichtigt hatte, als er im Rahmen einer Tagung nach München gereist war. Dennoch war in der Alten Welt der Glaube klein, nur wenige nannten sich aus vollem Herzen Christen und auch deren Frömmigkeit war oft seltsam verkopft. Sie nahmen das Wort Gottes nicht ernst und drückten sich vor einem klaren Bekenntnis zu Gott. Egal, Europa war weit weg. Alles war weit weg. Jetzt war nur noch wichtig, dass er bei Gott war.

Er kniete nieder und schloss die Augen. Wartete.

Seine Knie schmerzten bereits, als er Schritte hörte. Highheels. Rot, glänzend, allein das eine Verfehlung an diesem Ort. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wie sie aussahen. Sie ging langsam, aber nicht aus Demut. Ohne hinzusehen, wusste er, wie aufreizend sie ihre Hüften schwang. Sie nahm neben ihm Platz und ihr billiges, blumiges Parfum stieg ihm in die Nase.

»Er kommt nicht«, sagte sie. »Ist wohl gerade woanders beschäftigt.«

Bewegungslos verharrte Cullen im Gebet.

»Vielleicht ist er bei einer hübschen Nonne.« Sie kicherte über ihren Scherz. »Nonnen sind doch die Ehefrauen von Jesus, also muss er sie doch auch mal rannehmen, oder?«

Sie schniefte geräuschvoll. »Andererseits … er ist noch nie zu dir gekommen. Nicht wahr?«

Er hörte das Geräusch von Leder auf Leder. Kramte sie in irgendeiner Tasche?

»Gib’s auf, alter Mann. Wenn er in den letzten 52 Jahren nicht zu dir gesprochen hat, wird er es jetzt auch nicht tun.«

Es raschelte wieder.

»Er hat kein Interesse an dir, okay? Gott hat keinen Bock auf dich. Such dir ein anderes Hobby.« Sie nuschelte jetzt, als hätte sie etwas im Mund.

Er hat zu mir gesprochen, dachte Cullen. Er hat mir einen Auftrag erteilt. Es war ein Telefonanruf gewesen, aber er hatte ihm die Augen geöffnet.

»Wie niedlich. Gott hat dich angerufen. Das macht er immer so. Hat er seine Rufnummer unterdrückt, oder wirst du seine Telefonnummer bei deiner nächsten Predigt durchsagen?«

Die Frau lachte laut auf. Der frivole Klang ihrer Stimme entweihte den Ort. Nein, niemand konnte diesen Ort entweihen, dazu hatte sie nicht die Macht.

»Der Einzige, der hier irgendetwas entweiht, bist du, Reverend.« Das letzte Wort hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. »Und was deinen Auftrag angeht – wie kann dir jemand etwas sagen, der nicht mit dir spricht? Hm?«

Eine Weile sagte sie nichts. Cullen hoffte bereits, dass sie das Interesse verloren hatte und ihn verließ. Dass sie einmal, nur ein einziges Mal von ihm abließ.

Dann hörte er das Aufschnappen eines Feuerzeugs. Zündete sie sich etwa eine Zigarette an? Hier?

»Ja, stell dir nur mal vor. Genau das mache ich.«

Cullen spürte seine Knie kaum noch. Doch der Schmerz tat gut, er fühlte sich echt an.

»Ach Cullen, Cullen. Glaubst du, Gott liebt dich, weil dir deine Knie wehtun?« Sie sog den Rauch tief in ihre Lunge und stieß ihn langsam aus.

»Gott weiß gar nicht, dass es dich gibt. Du bist ihm scheißegal.«

Die Bank knarrte, als sie aufstand. »Und wenn er es wüsste, könnte er dich nicht leiden.«

Sie spuckte ihn an. Cullen spürte ihren Speichel warm an seinem Gesicht herablaufen. Er presste die Augen noch mehr zusammen.

»Oh, entschuldige, das macht dich womöglich an, was? Bist du jetzt geil?«

Führe mich nicht in Versuchung, Dämon.

»Sondern erlöse uns von dem Bösen. Und das bist du, Cullen.« Er hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde, und wusste, dass sie sich auszog.

»Oh«, rief sie in gespielter Überraschung aus. »Ich habe ja gar nichts drunter.« Ihre Stimme klang jetzt lasziv, fast weich. »Hab ich glatt vergessen.«

Cullen hörte, wie ein Kleidungsstück zu Boden fiel. Dann noch eines. Er spürte, wie seine Erregung wuchs. Es machte ihn wütend, dass er nichts dagegen tun konnte.

Das ist nicht real, dachte er. Das ist nicht real. Als er die Augen öffnete, stand sie nackt bis auf ihre roten Highheels vor ihm. »Ohhh, Reverend, ich war ein böses Mädchen.« Sie nahm die Zigarette aus dem Mund, hielt sie in der rechten Hand und umschloss die Glut mit ihrer linken Faust. Ihre Scham war so nahe vor seinem Gesicht, dass er jedes einzelne der zarten, roten Haare erkennen konnte.

Sie öffnete die Hand und zeigte ihm die schwarze Brandwunde.

»Gefällt dir das?« Fragend legte sie den Kopf schief. Dann schüttelte sie ihn traurig. Dabei bebten ihre vollen Brüste mit den zartrosa Nippeln.

»Nein, sieht nicht so aus. Dabei wollen wir dir doch gefallen, oder? Das ist doch der einzige Grund, warum junge Frauen sich sexy kleiden. Damit perverse Säcke wie du sich daran aufgeilen können.«

Suchend sah sie sich um. Der weiße Leib schimmerte wie Elfenbein in dem halbdunklen Raum. Ihr Blick fiel auf den Altar. »Ich habe eine Idee.« Sie zwinkerte ihm zu. »Das wird dir gefallen, Reverend.«

Sie trat zu dem schmucklosen, weißen Tisch. Sie strich mit dem Finger über einen der silberfarbenen Kerzenständer, nahm dann schnell das massive Kruzifix aus Messing vom Tisch. Sie schloss die Augen und küsste den stilisierten Jesus, dann ging sie in die Hocke. Sie spreizte die Beine, so dass Cullen ihre geheimsten Stellen sehen musste, ergriff das Kruzifix mit beiden Händen und –

»Nein! Hör auf!« Schnell stand Cullen auf und wandte sich zum Gehen.

»Warum denn? Liebst du unseren Herrn Jesus nicht? Ich möchte dir zeigen, wie ich ihn liebe.«

Cullen Hopefield hastete zwischen den Sitzreihen hindurch zum Ausgang.

»Ohh … ist der dick. Sieh doch her, Reverend! Du verpasst ja das Beste.«

Er öffnete die Tür und gleißendes Sonnenlicht fiel ins Innere der Kirche.

»Lauf doch, aber ich sehe, wie es dir gefällt, –« Ihre letzten Worte verhallten ungehört, als das Tor ins Schloss fiel. Schwer atmend lehnte er sich von außen dagegen. Eine sinnlose Geste, das wusste er, denn Conny würde ihn immer begleiten. Aber noch nie hatte sie ihn in einem Gotteshaus heimgesucht.

Ein Truck fuhr mit durchgedrückter Hupe auf dem Highway vorüber, der Geruch von heißem Asphalt und Abgasen lag in der Luft.

Vielleicht war es ein Zeichen. Vielleicht wusste der Satan von seinem Auftrag und wollte ihn daran hindern.

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