Buch lesen: «Monas braune Augen»

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Lutz Hatop

MONAS BRAUNE AUGEN

Roman

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Covergestaltung Tino Hemmann unter Verwendung

Namib © TEMISTOCLE LUCARELLI - Fotolia.com

Augen © Jeanette Dietl - Fotolia.com

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Kapitel 1 – Verliebt

Erste Begegnung

Mona

Mühsamer Beginn

Ein folgenreicher Anruf

Monas Familie

Angelika

Verschmäht und ausgeschlossen

Eine entwürdigende Erfahrung

Auftritt eines Rassisten

Letzte Hoffnung

Melanies Drohung

Thelma

Der Opernbesuch

Thelmas Geheimnis

Kapitel 2 - Vergangenheit

Eine verhängnisvolle Anschuldigung

Die Farben der Sonne

Rückhalt für Thelma

Eine unglaubliche Geschichte

Als alles begann

Martin

Die Nachfolgerin

Der Brief

Das Geständnis

Friederike

Eine dunkle Bedrohung

Endlich verbunden

Ein unerwartetes Bekenntnis

Die Prüfung

Kapitel 3 – Vorsehung

Die Staatsmacht greift ein

Namibia

Wiedersehen mit einer Vertrauten

Liebeserklärung an zwei Frauen

Fluchtversuch

In den Dünen

Zwischen Himmel und Erde

Im Koma

Das Netz schlägt zurück

Ende der dunklen Zeit

Thelma wird verschleppt

Eine unheilvolle Nachricht

Die Staatsanwältin

Um Haaresbreite

Fast wieder vereint

Der Waterberg oder die Geschichte einer deutschen Kolonie

Alina

Die Fährte ist aufgenommen

Thandiwe

Ein unvergessliches Erlebnis

Ein Bad im Pool

Hinweise nach Tsumeb

Die Tankstelle in der Wüste

Zerbricht die Liebe?

Reißende Wasser

Abschied für immer

Kapitel 4 – Vergebung

Zurück in Berlin

Der Bunker

Der letzte Abend

Heimkehr

Vergebung

Treffen im Kreuzgang

Denise

Ein Brief aus Namibia

Langersehntes Wiedersehen

Endlich Vater

Ein letzter Besuch am Grab

Ein unvergesslicher Markttag

Die Himbafrau

Aufnahme bei den Himba

Die Umstände verändern sich

Thambas Rückkehr

Vineta – Siedlung am Meer

Weihnachten am Meer

Das schönste Geschenk

Neue Heimat Berlin

Das Zerwürfnis

Eine neue Arbeit?

Letztes Aufbäumen

Schloss Wulkow

Ein neuer Anfang – oder ein neues Leben

KAPITEL 1 – VERLIEBT
Erste Begegnung

Anfang Februar, kurz vor acht Uhr. Ein dunkler kalter Tag, das Thermometer zeigte sieben Grad Minus. Mike zog sich die Mütze einige Zentimeter tiefer ins Gesicht, klappte den Mantelkragen nach oben und streifte sich den Schal über den Mund. So geschützt verließ er die U-Bahn am Bahnhof Potsdamer Platz und erreichte nach langem Aufstieg die freie Fläche vor dem gläsernen Turm der Zentrale der deutschen Bahn. Kaum aus dem Schutz des Aufgangs gekommen, blies ihm der eiskalte Wind heftig ins Gesicht. Sein Atem stockte.

Sieben Grad, dass ich nicht lache, fühlen sich an wie fünfzehn Grad. Aber was macht man nicht alles für eine Frau. Eine Frau? Nein, seine zukünftige Frau, Angelika. Bei diesen Gedanken musste er unwillkürlich lächeln, vor seinen Augen entstand ihr Bild mit den langen rotblonden Haaren, die er so liebte.

Schnell lief er über die Straße, blieb kurz auf dem Mittelstreifen stehen und blickte zu einem Stern am Boden. Darunter stand: Marlene Dietrich. Also auch hier in Berlin, nach dem großen Vorbild Los Angeles: der Weg des Ruhmes. Das passte auch zum heutigen Tag, denn der Kartenverkauf für die Berlinale begann genau um neun Uhr. Endlich erreichte er die Potsdamer Platz Arkaden, ein typisches Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild. Er drückte die große Glastür auf und betrat das Erdgeschoss.

Die Temperaturen waren jetzt mehr als erträglich, er nahm seine Mütze ab, stopfte sie in die linke Manteltasche und ging zielstrebig zum Ende einer der langen Schlangen, die sich schon jetzt, eine Stunde vor Öffnung der Kartenhäuschen in den Arkaden gebildet hatten. Er musste nur noch jemanden finden, mit dem er sich austauschen konnte. Das war nicht einfach, musste aber sein, benötigte er doch vier Eintrittskarten, denn nur zwei konnte er pro Film erwerben.

Mike fragte herum, wer noch zwei Karten mehr erstehen könnte, im Gegenzug bot er das gleiche an. Keiner, weder vor, hinter oder neben ihm ging auf sein Angebot ein. In diesem Augenblick wandte sich eine Frau, die gerade mal zwei Meter von ihm entfernt stand, um. Sie trug einen blauen Wintermantel, passend dazu eine adrette blaue Strickmütze mit rosa Band.

Seine Blicke trafen die ihren für wenige Sekundenbruchteile. Er musste schlucken. Was für eine Schönheit. Sie besaß eine fast schwarze Hautfarbe. Woher stammte sie, aus Ghana, Kenia oder gar Brasilien? Diese Gedanken kamen Mike in den Kopf. Schon hatte sie ihm wieder den Rücken zugewandt. Mike blieb stehen, versuchte sich wieder auf den Kartenkauf zu konzentrieren. Jedoch blickte er wieder und wieder verstohlen zu der Frau, die immer noch keine zwei Meter von ihm entfernt stand.

Auch sie versuchte mit den umstehenden Personen ins Gespräch zu kommen. Doch jeder schüttelte nur den Kopf oder verneinte. So wandte sie sich dem älteren Herrn direkt vor Mike zu, wollte wissen, ob er nicht ebenfalls zwei Karten für sie kaufen könnte. Als Mike das hörte, packte ihn eine leichte Nervosität.

Hoffentlich sagt er nein, dann kann ich mich anbieten. In seinem Eifer, seine Bereitwilligkeit zu zeigen, schubste er von hinten versehentlich den älteren Herrn. Der ließ vor Schreck seine gesammelten Prospekte und Broschüren fallen. Mike entschuldigte sich sofort und beeilte sich, diese wieder aufzusammeln. Die junge Frau half ihm dabei. Sie reichte Mike ihre aufgehobenen Prospekte. Bei der Übergabe berührte er ihre Hand.

In dieser Sekunde trafen sich ihre Blicke zum zweiten Mal. Für eine gefühlte Ewigkeit schauten sich beide tief in die Augen. Mike konnte seine Augen überhaupt nicht mehr von den ihren lösen. Wow, was für Augen! So was hab ich noch nie …

Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen: „Entschuldigung, können Sie jeweils zwei zusätzliche Karten kaufen?“ Das war die Frage, die er sich vor wenigen Minuten noch gewünscht hatte. „Ja“, erwiderte er lachend. „Super, ich dachte schon, ich finde niemanden mehr. Klar kann ich!“

Auch sie lachte ihn an: „Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.“

Mike stellte sich mit zu ihr in die Warteschlange, beide ließen dem Herrn den Vortritt.

„Da habe ich mich gerade wohl etwas ungeschickt angestellt. Es war aber keine Absicht.“ Die Antwort kam herausfordernd. „Wer weiß? Vielleicht war es ja doch Absicht und Sie wollten mich kennenlernen, oder warum haben Sie mich gerade so angestarrt, hm?“

Absichtlich blickte sie ihn direkt an. Und wieder, diese Augen faszinierten ihn unendlich, so hielt er ihren Blicken auch stand. Leise murmelte er vor sich hin: „Ich hatte auch gute Gründe.“

Ihr Blick wurde unsicher, schnell wechselte sie das Thema. „Sollen wir zuerst mal die Filme abgleichen?“

„Ja, natürlich. Ich habe ‚Barbara‘, ‚Coming home‘ und ‚Was bleibt‘. Welche haben Sie?“

„Die gleichen und noch ein paar andere!“

„Wie, die gleichen! Das gibt es doch nicht!“ Sie musste lachen.

„Doch, scheint so zu sein.“ Mike wurde immer unruhiger.

„Wenn wir jetzt noch die gleichen Uhrzeiten haben, war das wohl Schicksal!“

Auch bei ihr wuchs die Neugier. „Jetzt bin ich aber gespannt.“ Beide schauten gegenseitig auf ihre Listen und stellten aber nur eine Übereinstimmung bei zwei Filmen fest. Das war jedoch für die Kartenbeschaffung von großem Vorteil.

Die fünfzig Minuten Wartezeit, bis sie den Schalter erreichten, vergingen wie im Fluge. Beide tauschten sich über ihre Vorlieben bei den ausgesuchten Filmen und über ihre Interessen aus. Dabei stellten sie viele Gemeinsamkeiten fest. Sie kauften sämtliche Karten für alle Filme. Triumphierend nahm Mike die Karten in die Hand, ließ sie auseinanderfallen, sodass sich ein langes Band ergab und hing sich dieses wie einen Schal um den Hals.

„Na denn, danke für die Unterstützung“, hörte er die junge Frau sagen. In diesem Moment schoss ihm nur ein Gedanke durch den Kopf: Sag irgendetwas, damit sie nicht einfach wegläuft. „Ähm, ich würde mit Ihnen gerne einen Film anschauen. Schließlich haben wir so viele gemeinsame Neigungen festgestellt. Und hinterher tauschen wir uns aus.“ Er machte eine kurze Pause. „Bei einem Glas Wein?“

Sie zögerte. „Hm, ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass die Idee so gut ist.“ In Mikes Gesicht schlich sich Enttäuschung. „Schade! Na dann, … ich sag mal …“

In diesem Augenblick trafen sich ihre Augen zum dritten Mal. Die junge Frau war irritiert. Was für ein helles Blau. Tu was, lass ihn nicht gehen. Bist doch sonst nicht so schüchtern. Sie ergriff die Initiative. „Warten Sie! Wie wäre es jetzt mit einer Tasse Kaffee. Ich hätte nach der Ansteherei ziemlich Appetit darauf.“

Mike wusste nicht, wie ihm geschah. „Sehr gerne. Hier in den Arkaden ist da oben eine amerikanische Bar, die haben hervorragende Erfrischungsgetränke und guten Kaffee!“

„Auch Latte?“

„Auch Latte, aber ich lade Sie ein. … Wenn Sie schon nicht mit mir ins Kino wollen.“

Sie lächelte ihn an. „Einverstanden, ich gehe nämlich noch zur Schule.“

„Schule? Oder Uni?“

„Weder noch, Schauspielschule. Ich werde dieses Jahr fertig.“

„Da muss ich aber aufpassen, dass sie mir nichts vorspielen!“

„Vielleicht!“ Sie lachten.

Beide fuhren mit der Rolltreppe in die obere Etage und setzten sich an einen Zweiertisch. Mittlerweile war es halb zwölf. Mike und die junge Frau unterhielten sich angeregt. Berlinale, Filme, Vorlieben, Interessen, Hobbys, Schauspiel, Theater und vieles andere mehr. Sie fanden beinahe kein Ende. Und es war kein Monolog von einem der beiden, sondern ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Mittlerweile war die Zeit weit fortgeschritten. Verstohlen blickte die junge Frau auf ihre Uhr.

„Wow, wir sitzen schon seit drei Stunden hier. Danke, so gut habe ich mich schon lange nicht mehr unterhalten.“

„Das Kompliment kann ich zurückgeben.“

Mike merkte, dass die Zeit knapp wurde. So startete er einen neuen Anlauf, wusste er doch immer noch nicht wie sie hieß. „Jetzt sitzen wir hier schon so lange und ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen, außerdem sind wir immer noch beim Sie, sollen wir nicht Du zueinander sagen?“ Die junge Frau spürte, dass die Unverbindlichkeit der Unterhaltung verloren gehen könnte, schob ihre Bedenken dann jedoch schnell beiseite.

„Okay, warum nicht, ich heiße Mona!“ Fassungslos schaute Mike sie an. „W…w…wie b…bitte, Mona?“ Er kam ins Stottern und plusterte die Backen auf. Mona sah ihn überrascht und fragend zugleich an.

„Ist das schlimm, hast du ein Problem damit?“

„Nein, natürlich nicht, das ist aber eine andere Geschichte.“

„Eine andere Geschichte? Würdest du sie mir erzählen?“

Ihre noch vorhandenen Bedenken waren plötzlich weg, die Neugier hatte die Oberhand bekommen. „Schließlich heiße ich Mona. Und du bläst bei dem Namen die Backen auf. Ich glaube, ich darf erfahren, was es mit dem Namen auf sich hat. Meinst du nicht?“

Mike wurde verlegen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun soll, vielleicht lachst Du dann über mich.“ Er schaute sie dabei an, ihre Blicke begegneten sich zum vierten Mal. Aus ihren Augen blitzte der Schalk.

Mike wich ihren Blicken nicht aus, er konnte sich nicht genug satt sehen an diesen rehbraunen Augen. „Jetzt machst du mich aber richtig neugierig, warum sollte ich denn über dich lachen, hmm?“ Mike wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte sich selbst in diese Lage gebracht, entschied sich dann für die Wahrheit ohne Schönfärberei. „Vielleicht, weil ich dann ein Weichei für dich bin und kein richtiger Kerl!“

Mona verdrehte ihre Augen und stöhnte. Mike dachte für sich: Mist. Ist ja auch nicht wichtig, was soll’s, ich bin ja in einer festen Beziehung. In diesem Moment legte Mona ihre Hand auf die seine und sagte leise: „Unsinn! Glaubst du, dass ich keine Gefühle habe?“

„Nein, natürlich nicht“, beeilte sich Mike zu sagen, seine Hand aber zog er nicht weg. „Aber du machst mich ganz nervös!“

„Oh, das ist nicht meine Absicht und nein, ich werde dich nicht auslachen. Versprochen! Sag bitte endlich, was es mit meinem Namen auf sich hat.“ Mona schaute Mike lächelnd und unwiderstehlich an.

In diesem Augenblick kam die Kellnerin an den Tisch. „Darf ich Ihnen noch etwas bringen.“ Keine Reaktion, im Gegenteil die beiden ignorierten sie.

„Bitte, du hast mir doch schon so viel über dich erzählt, so schlimm kann es doch wohl nicht sein. Sag, wieso hast du mich denn vorhin so angeschaut, was für gute Gründe gab es denn?“

Diesmal blickte er ihr direkt in die Augen. „Ich konnte nicht anders, es war wie Magie. So was ist mir noch nie passiert.“ Er machte ein kurze Pause und blickte sie dabei direkt an: „Du hast hinreißend schöne Augen. Da leuchten zwei Sterne am Firmament.“

Mona senkte ihre Blicke. „Danke für das schöne Kompliment.“ Anstatt eine weitere Reaktion von Mona abzuwarten, redete Mike sofort weiter. „Stimmt, wir haben uns so gut unterhalten, also …“ Die Bedienung stand immer noch daneben, sah von einem zu anderen und trommelte mit den Fingern auf ihrem Tablett. Leicht genervt unterbrach sie Mike.

„Hallo, ihr beiden Hübschen, möchtet Ihr noch was haben?“ Aufgeschreckt schauten Mike und Mona auf. Mike war völlig aus dem Konzept. „Bitte wie?“

„Möchten … Sie … noch … etwas … bestellen?“ Sie betonte dabei Wort für Wort. Mona schaute verdutzt zuerst die Bedienung an und dann Mike, lachte kurz auf. „Danke für die freundliche Berliner Art, aber wir möchten nichts mehr.“

Sie wandte sich an Mike. „Wolltest du mir nicht noch etwas erzählen? Deinen Namen weiß ich auch noch nicht.“ Sie setzte einen Schmollmund auf. „Ähm ja, Mike.“

„Und weiter, ich warte, spann mich nicht so auf die Folter.“

Mike nahm Anlauf und sprach mit betont bedächtiger Stimme. „Sagt dir der Name Mike Batt etwas?“ Mona dachte kurz nach. „Nein, nie gehört.“

„Mike Batt ist Musiker und Songwriter von Pop Balladen insbesondere der achtziger Jahre. Und er hat ein sehr stimmungsvolles Musikstück namens Mona geschrieben.“

Erwartungsvoll schaute sie ihn an: „Ja und weiter, war das schon alles?“ Mike legte eine kurze Pause ein und antwortete leise. „Nein, das war ja auch der sachliche Teil.“

„Aha“, sagte sie mit der Betonung auf dem zweiten a. Sie stützte dabei ihr Kinn auf die Handfläche und schaute lächelnd dem unsicheren Mike dabei wiederum direkt in die Augen. Mit diesem Wissen spielend, setzte sie ihn ein bisschen unter Zugzwang. Er konnte sich diesen Augen beim besten Willen nicht entziehen.

Und das brachte ihn nur noch mehr durcheinander, so dass der nächste Satz des sonst so redseligen Mike „verhackstückt“ und mit vielen Räuspern daher kam. „Das ist so, … immer dann, wenn ich das Musikstück gehört habe, … ähm, habe ich mir diese Mona, oh je … wie soll ich sagen … vorgestellt.“ Mike wurde noch leiser, als ob es ihm unheimlich schwer fallen würde, den Satz zu vollenden … und mir insgeheim eine solche Mona gewünscht!“

Mike brachte keinen Ton mehr heraus. Er schaute auf sein fast leeres Glas. Ganz langsam hob er seinen Kopf, Mona lächelte ihn an, „und inwieweit kommen deine Vorstellungen nun der vor dir sitzenden Mona nahe?“, fragte sie ebenfalls leise Mike.

„Meine Vorstellungen haben aber auch gar nichts mit dir zu tun.“ Diesmal schlich sich in Monas Gesicht Enttäuschung. Typisch, wieder so ein blöder weißer Heini. Ich hätte es wissen müssen. Mike war aber noch nicht fertig und beendete seinen Satz kaum hörbar mit: „… soweit reichte meine Phantasie einfach nicht, um mir so was, … so etwas Schönes wie du es bist, vorstellen zu können.“ Überraschung stand in ihrem Gesicht, ihre Augen wurden noch größer. Mike blickte auf den Tisch, wagte es nicht, Mona direkt anzusehen.

Sie fasste seine Hand. „Kannst du mir diese Ballade vorspielen?“ Erst jetzt hob er seinen Kopf und blickte sie wieder an, lachte dabei. „Gerne, das würde ich sehr gerne. Hier kann ich es aber nicht. Ich hab sie im Handy nicht gespeichert, hab sie aber zuhause.“ Sie hielt seine Hand immer noch fest und blickte ihn an. „Spielst Du sie mir?“

„Wann?“ Sie lächelte und ließ seine Hand los. „Na, jetzt?“ Mike hatte sich wieder gefangen. Seine Augen leuchteten. „Sehr gerne, nichts lieber als das!“ Jetzt ging alles sehr schnell. Sie riefen nach der Bedienung, zahlten die Rechnung und machten sich auf den Weg.

Mona

Mike fuhr einen knallroten Citroen DS 3 mit Schachbrettdach in schwarz-gelb. Als sie auf das Auto zugingen, sagte sie überrascht: „Hey, ist das deiner und auch noch in Rot. Wow!“ Mona umrundete das Auto. Als Mike die Autotür öffnete, flippte sie fast aus. „Und innen schwarz-weiß, wie geil ist das denn?“ Am liebsten würde sie sich an das Steuer setzen, traute sich aber nicht, Mike zu fragen. Der ging zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und schaute sie lachend an. „Möchtest du?“ Er hielt dabei den Autoschlüssel in die Höhe.

„Ehrlich, du lässt mich fahren? Sofort, gib her! … Ehe du dir’s anders überlegst.“ Mike schloss wieder die Tür, kam zu ihr auf die Fahrerseite und übergab den Schlüssel.

Mit dem Wagen fuhren sie zur Wohnung in Friedrichshain. Während der Fahrt dämmerte es Mike, dass er Karten für seine Verlobte Angelika und Freunde gekauft hatte. Nun saß Mona neben ihm auf dem Fahrersitz und bereitete ihm ein schlechtes Gewissen. Die unterschiedlichsten Gedanken kamen ihm in den Kopf. Was mach ich bloß, lasse eine wildfremde Frau mit meinem Auto fahren. Frauen und Autos tauscht man nicht. Ich muss dem ein Ende setzen.

Mona wiederum dachte an ihren Freund und daran, dass sie sich geschworen hatte, mit weißen Männern nie wieder etwas anzufangen. Was sollte sie also hier im Auto, aber ihr gefiel der junge Mann. Sie musste an die Begegnung in den Potsdamer Platz Arkaden denken. Noch nie hatte sie einen Mann beim ersten Mal so lange angeschaut, ohne etwas zu sagen. Sie musste an die dreistündige Unterhaltung im Café denken. Selten hatte sie sich so kurzweilig unterhalten und sie musste an den Vergleich mit der „Phantasiemona“ denken. Ihr lief noch jetzt ein wohliger Schauer über den Rücken. Wow! War das eine Bemerkung – So was Schönes – und damit hat er mich gemeint! Dann noch dieses Auto, ist genau mein Geschmack. Und er lässt mich auch noch fahren.

Außerdem wollte sie unbedingt diese Ballade kennenlernen. Ein lautes Knurren im Magen signalisierte ihr, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte und es zwischenzeitlich halb vier nachmittags war.

„Na, Hunger? Wenn du möchtest, koche ich uns was Leckeres. Was magst du denn besonders gerne?“

„Spaghetti“, war die kurze Antwort. „Sag mal, du kannst kochen?“

„Ich denke schon und auch recht gut, bilde ich mir jedenfalls ein.“

Mona schaute Mike von der Seite an und dachte für sich: Der Typ macht mich immer neugieriger, mal sehen ob das nur Sprüche sind und er kippt nachher die fertige Tomatensauce aus der Dose über die Nudeln.

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich mit ihrem Freund Tom um sieben verabredet hatte. Sie musste sich entscheiden. Zu Mike oder mit Tom? „Ich muss mal schnell telefonieren.“ Sie fuhr an die Seite und rief ihren Freund an. „Hallo Tom, hier ist Mona. Du, ich muss heute Abend unser Date absagen. Habe heute eine ehemalige gute Schulkameradin getroffen, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe. … Nein, du kannst nicht dazu kommen. … Das ist ein Mädchenabend, da können wir keine Jungs brauchen … Tom, bitte beherrsch dich. Es reicht, … Ende der Durchsage!“ Sie drückte Tom weg. „So ein Blödmann“, murmelte sie. Was für ein Unterschied zwischen den beiden, dachte sie. Tom sieht zwar viel besser aus, kann aber wie es scheint mit Mike nicht mithalten. Diesen Mike, nahm sie sich vor, möchte ich besser kennenlernen.

Während dieses Telefonates bekam Mike erst recht ein schlechtes Gewissen gegenüber Angelika. Was würde er ihr wohl am Telefon sagen? Sie wohnte zwar 600 km entfernt von Berlin, was aber völlig zweitrangig war. Denn die Entfernung spielte in diesem Fall keine Rolle. Aber Mona schien es genauso zu gehen.

„Ein Date? Abgesagt? Wegen mir?“ Etwas unwirsch reagierte sie. „Kluger Junge, und? … Bild dir bloß nichts ein!“ In diesem Moment klingelte Mikes Telefon.

„Geh ruhig ran.“ Auf dem Display leuchtete der Name Angelika. „Deine Freundin?“, grinste sie.

„So ähnlich.“ Mike nahm das Gespräch an.

„Jaaa, Hallo Geli!“

„Hallo Schatz, hascht du die Karten für die Berlinale? Hat’s klappt?“

„Ja!“

„Was machscht du heut Abend, am liebschta wär ich jetzt bei dir. Weischt du, was ich jetzt gerne mit dir machen tät, … hallooo, bischt du noch da?“

„Ja“

„Hey, du bischt so einsilbig, ischt jemand bei dir?“

„Ja, Harald sitzt neben mir.“ In diesem Moment fing Mona an, leise zu kichern. „Ruhig!“, zischte Mike. „Du Geli, lass uns morgen weiter telefonieren, wir treffen uns gleich mit ein paar Leuten, ich ruf dich an, ja!“

„Wart a mal, des Lachen da hat sich aber grad nach einer Frauenstimme angehört?“

„Ja, in meinem Auto sitzen noch mehr Leute und fangen schon an mit lachen, bitte lass uns morgen weiterschwätzen. Ich ruf an, versprochen!“

„Wenn’s sein muss, bis Morgen, ade!“

Mona schaute Mike direkt an und sagte ganz langsam. „Na, gelogen? Wegen mir?“ Er drehte sich zu Mona. „Wir haben beide gerade unsere Partner angelogen, ist doch richtig oder? Tolle Voraussetzung!“

„Für was?“, ihre Augen funkelten. „Für den weiteren Abend.“ Seine Stimme wurde weich, „den ich trotzdem gerne mit dir fortsetzen würde.“

Oh, Sch…, was rede ich denn da, das wäre die Chance zum Abbruch gewesen. Wie wird sie wohl antworten? „Du möchtest den Abend also gerne fortsetzen, hmm?“ Sie machte eine kurze Pause um seine Reaktion abzuwarten. Mike blickte sie erwartungsvoll an, sie lächelte ihn an.

„Das möchte ich auch und ich würde gerne endlich das Lied hören. Außerdem hab ich Hunger. Lass uns einfach sehen, was aus dem Abend wird, wenn du dich nicht wohl fühlst, kannst du es jederzeit sagen. … Würdest du mich nach dem Essen dann nach Hause fahren?“

Mike wusste nicht wie ihm geschah, er war vollkommen durcheinander. Was mach ich hier bloß. Ich bin auf dem besten Weg, Angelika zu … Verdammter Mist, ich kann aber nicht nein sagen. Diese Frau fasziniert mich dermaßen. Geli, verzeih mir.

Schnell antwortete er: „Natürlich, selbstverständlich. Warum sollte ich mich nicht wohlfühlen, es geht mir bestens, … kann ja nicht anders sein, … neben dir!“ Mona lächelte ihn nur an. Nach weiteren fünfzehn Minuten kamen sie endlich vor dem Haus an. Es gab sogar einen freien Parkplatz.

Mikes Wohnung lag im zweiten Obergeschoss des Vorderhauses eines typischen Berliner Altbaus mit zwei Höfen aus der Jahrhundertwende. Von außen war nicht zu erkennen, wie groß diese Wohnung war. Vier Zimmer mit fast 140 Quadratmetern und zwei Balkonen. Der Zugang erfolgte über ein großes Treppenhaus, dessen Treppe um einen Aufzug herumlief. Dadurch fuhr der Aufzug in die jeweilige Etage und ermöglichte einen ebenen Zugang. Dieses Treppenhaus war besonders prächtig ausgestattet mit seinen Stuckdecken und dem mit zahlreichen Jugendstilsymbolen verziertem Geländer. Am aufwändigsten waren aber die Wohnungseingangstüren gestaltet mit sechs Feldern, darinnen Pflanzen- und Blumenmotive. Der Fahrstuhl selbst stammte noch aus der Erbauungszeit, sogar die alte hölzerne Fahrgastzelle war noch erhalten.

Die Wohnung selbst lag in der sogenannten Beletage, zur Erbauungszeit das bevorzugte Hauptgeschoss eines Gebäudes mit einer Raumhöhe von 3,50 Meter. Alle Innenräume besaßen noch die ursprünglichen Stuckdecken und Dielenböden. Eine große zweiflügelige Tür führte in den Hauptraum der Wohnung, dem ‚Berliner Zimmer‘. Dieser war besonders hervorgehoben durch einen schönen Kamin, einem riesigen über drei Meter hohen Fenster, welches zugleich Tür zu einem Balkon war und einer besonders reichhaltigen Stuckdecke.

Sie betraten die Wohnung. Mike half Mona aus dem Mantel. Sie nahm die Strickmütze ab und legte sie auf die Hutablage. Nun erst entdeckte er ihre ganze Schönheit: Ihre schwarzbraunen Haare waren zu zahllosen kleinen langen Rastazöpfen geflochten. Direkt am Kopf lagen sie jedoch dicht an, wie sauber aufgereihte Schnüre. Dadurch kam ihre Gesichtspartie voll zur Geltung. Er bewunderte die alles in ihren Bann ziehenden braunen Augen, ihre feine ebenmäßige Nase und ihren wunderbar geformten Mund mit den ausdrucksvollen Lippen. Ihre Haut schimmerte wie dunkler Samt.

„Was darf ich Dir anbieten?“, fragte Mike und führte sie in das Berliner Zimmer. Sie setzte sich in die Ecke des zweisitzigen Sofas, welches den direkten Blick auf den Kamin gestattete. „Machst du ihn an? So ein Feuer find ich urgemütlich.“ Während Mike sich noch mit dem Kamin beschäftigte, schaute ihn Mona genau an.

Er war kein Riese, 1,75 Meter groß, von schlanker Gestalt, dabei wirkte er sportlich trainiert. Dunkelblonde kurze Haare mit einer markanten natürlichen Locke über der Stirn setzten einen besonderen Akzent. Interessant machte ihn sein kurzer hellblonder Bart, der das eckige Gesicht einrahmte. Die Linien wurden dadurch weicher. Besonders gut gefielen ihr aber die hellen blauen Augen, die offen und neugierig in die Welt blickten. Sie fragte sich, was er wohl als nächstes tun würde.

Knisternd schlugen die Flammen aus dem Holz. Endlich konnte sich Mike wieder Mona zuwenden. „Was möchtest du trinken?“, seine Anspannung stieg. „Hast du einen Rotwein? Ich kann nachher auch mit dem Taxi nach Hause fahren, dann kannst du mit trinken. Legst du bitte erst mal die Musik auf?“

„Sofort, was für einen Wein trinkst du am liebsten?“

„Italiener aus der Toskana, keinen Chianti bitte“. „Damit kann ich dienen, wie wär’s mit einem Nobile di Montepulciano?“

„Super, einer meiner Lieblingsweine!“ Ihr schossen viele Gedanken durch den Kopf. Da lerne ich heute einen weißen Mann kennen mit so vielen Gemeinsamkeiten, guten Manieren, der vielleicht auch noch kochen kann? So übel sieht er nun auch nicht aus. Mal sehen, was noch so alles passiert, ich lass mich überraschen.

Nachdem Mike den Wein eingeschenkt hatte, legte er die CD von Mike Batt auf. Wo sollte er sich nun hinsetzen, zu Mona auf das Sofa oder in einen der beiden Herrensessel. Diese Entscheidung wurde ihm sogleich abgenommen. „Setzt du dich zu mir?“

„Ja, gerne!“ Mona lehnte sich zurück und schloss die Augen, gespannt wartend auf die Musik. Mike dagegen konnte nicht mehr die Augen von ihr lassen.

Endlich setzte die Musik ein. Mike merkte ihr an, dass sie die Musik sehr genoss. Ein wunderbares langes Gitarrensolo schloss das Musikstück.

Nachdem die Musik zu Ende war, schaute Mike Mona erwartungsvoll an. „Das war wunderschön!“, hauchte sie dahin. „Soll ich uns was kochen?“

„Nein, spiel den Song bitte noch einmal“, sagte sie ganz leise und etwas energischer: „Und bleib endlich sitzen!“

Nochmals setzte die Musik ein. Sie drehte ihren Kopf langsam zu Mike und kam ihm immer näher. Ihre Blicke begegneten sich wieder wie beim ersten Mal. Da spürte er ihre weichen Lippen auf den seinen. Er löste sich schnell von ihr, aber nur für wenige Sekunden. „Was machst du bloß mit mir?“, flüsterte er und nahm ihr Gesicht zärtlich in beide Hände, zog sie an sich. Es folgte ein langer leidenschaftlicher Kuss. Die Musik war längst verstummt.

„Das … das war traumhaft.“ Sie nickte. „Ja, das war es.“ Er hielt sie im Arm und schaute sie verliebt an. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Mona unschlüssig. „Mona, ich muss dich was fragen?“

„Ja?“, fragend blickte sie zu ihm. „Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?“ Sie zögerte. „Nein, eigentlich nicht.“

„Ich tat es bis heute auch nicht, aber wenn ich dich so anschaue, ich glaube, ich habe mich …“

Mona legte ihren Zeigefinger auf Mikes Mund und schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt, küss mich bitte noch einmal.“ Mike drückte Mona förmlich auf das Sofa. Es wurde nicht nur ein Kuss, sondern viele. Hörte Mike auf, fing Mona wieder an und umgekehrt. Sie konnten beide nicht voneinander lassen.

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