Buch lesen: «Die erste Durchquerung Australiens»

Schriftart:

Über den Autor

Ludwig Leichhardt (1813 – 1848), gebürtig aus Brandenburg, studierte in Göttingen zunächst Philosophie, Sprachwissenschaften und Religionsgeschichte, später Naturwissenschaften. 1841 reiste er nach Australien und erreichte im Jahr 1842 Sydney. Zwei Jahre später brach er zu seiner ersten Expedition quer durch Australien auf. Nach seiner erfolgreichen Rückkehr folgte 1848 seine letzte Reise in die australische Wildnis, wo er auf bis heute ungeklärte Weise den Tod fand.

Franz Braumann (1910 – 2003) war selbst passionierter Reisender und stammte aus der Gegend von Salzburg. Für sein literarisches Schaffen und seine historischen Werke erhielt er mehrere Auszeichnungen, so u.a. den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur.

Zum Buch

Ludwig Leichhardts Reisebericht liest sich wie ein literarisch anspruchsvoller Abenteuerroman. Und doch entspringen die hier beschriebenen Ereignisse nicht der blühenden Fantasie ihres Verfassers, sondern einer wahren Begebenheit. Nach zweijährigem Überlebenskampf und einem Gewaltmarsch von beinahe 5000 Kilometern durch das australische Outback kehrt der Zoologie-, Botanik- und Geologieforscher am 21. September 1846 in die Zivilisation zurück. Was hinter ihm liegt, begründet seinen Ruhm als einer der größten Entdeckungsreisenden des 19. Jahrhunderts: Die kleine Expedition um Leichhardt hatte eine der gefährlichsten Regionen der Welt bezwungen und den australischen Kontinent erstmals in der Geschichte vollständig durchquert.

Im Jahr 1844 traten Ludwig Leichhardt und sein Forschungsteam eine Expedition in unbekanntes Gebiet an: Australien zu Fuß zu durchqueren, hatte vor Leichhardt niemand gewagt. Auf fünf Monate war die Reise angelegt, für ebendiesen Zeitraum waren Proviant und Ausrüstung berechnet, doch insgesamt fünfzehn Monate sollte der Marsch durch eines der lebensfeindlichsten Gebiete der Erde letztendlich dauern. So blieb der Expedition nichts anderes übrig, als die Überlebenstechniken ihrer Aborigine-Führer zu übernehmen und sich den vorgefundenen Bedingungen zu stellen. Immer wieder wurden sie von Ureinwohnern angegriffen und waren von Nahrungsnot betroffen. Doch ganz entgegen der herrschenden Mentalität seiner Zeit sah Leichhardt sich selbst und seine Expedition als die eigentlichen Eindringlinge an. Als er am 21. September 1846 heil von seiner Mission zurückkehrt, wurde der Totgeglaubte über Nacht zum Nationalhelden.

DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER


Ludwig Leichhardt nach der Rückkehr von seiner Expedition nach Sidney mit 33 Jahren

Ludwig Leichhardt

Die erste
Durchquerung
Australiens

Von Brisbane zum

Northern Territory

1844 – 1846

Neu bearbeitet nach seinen Tagebüchern, mit

einer Einführung und einem Nachwort versehen

und herausgegeben von Franz Braumann

Mit 45 Abbildungen


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012

Der Text wurde behutsam revidiert

nach der Ausgabe Edition Erdmann Stuttgart, Wien und Bern, 1983

Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

nach der Gestaltung von Nele Schütz Design, München

Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin/Erich Lessing

eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0311-3

www.marixverlag.de/Edition_Erdmann

INHALT

Einführung des Herausgebers

LUDWIG LEICHHARDTS TAGEBUCH

Dornige Pfade

Hodgson und Caleb gehen nach Moreton-Bay zurück

Weihnacht im Busch

Durst

Die schwarzen Begleiter trennen sich

Kontakte mit Aborigines

Alltag des Lebens in der Wildnis

Der Überfall

Weitermarsch mit den Verwundeten

Am Mondschein-Creek

Reiche Emu-Jagdbeute

Pferde ertrinken

Die Eingeborenen als Führer durch den Sumpf

Nach 15 Monaten in Port Essington

Nachwort

Worterklärungen

Daten zur Entdeckungsgeschichte Australiens

Quellenwerke und Literaturhinweise

Bildnachweis

EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS
DER SOHN DES TORFSTECHERS

Ludwig Leichhardt entstammte dem ›Volk aus der Tiefe‹. Er konnte weder auf eine adelige noch auf eine bürgerliche oder nur eine bäuerliche Abkunft verweisen. Er wurde am 23. Oktober 1813 als das sechste Kind eines armen Torfstechers in der Nähe des Dorfes Trebatsch in der preußischen Mark Brandenburg geboren. Die mühevolle Lebensaufgabe seines Vaters und wohl auch schon der Vorfahren bestand darin, in den weiten brandenburgischen Moorheiden Heiztorf in Ziegelform auszustechen, diesen den Sommer über an mannshohen in den Moorboden getriebenen Stangen zu trocknen, der dann an der Stelle von Kohle oder Brennholz in die Haushalte der Umgebung bis nach Berlin geliefert wurde.

Dem kleinen Ludwig wäre vielleicht genauso wie einigen seiner Brüder dieses gleiche Lebensschicksal beschieden gewesen, wäre seine Intelligenz und die rasche Auffassungsgabe nicht seinem Taufpaten, dem Pastor Rödelius aus Zaue, schon in der Volksschule aufgefallen. Er sah in ihm einen jungen Seelenhirten heranwachsen und brachte den Jungen mit 13 Jahren auf eigene Kosten an das Gymnasium in Cottbus. Die Mutter ließ das ungern geschehen; sie fürchtete, dass sich ihr Jüngster – wie so viele Studenten damals – auch zu einem Freigeist entwickeln würde.

Der junge Ludwig aber entwickelte bald eine andere Leidenschaft: Als ihm das eben damals erscheinende mehrbändige Werk Alexander von Humboldts »Die Ansichten der Natur« in die Hand fiel, erweckte es in ihm eine unbändige Sehnsucht nach Reisen in ferne und unerforschte Länder. Aber wie hätte er jemals ohne Geld und gute Beziehungen auf die Erfüllung solcher Wünsche hoffen können?

Mit 18 Jahren bestand Ludwig Leichhardt 1831 sein Abitur in Cottbus mit ausgezeichnetem Erfolg. Er musste nun wieder nach Hause heimkehren und versuchen, die Laufbahn eines kleinen Beamten anzutreten. Doch noch während der Ferien entschloss er sich zum Studium der Philosophie. Im Herbst 1831 fand er von Neuem Gönner, damit der völlig mittellose Student an die Universität Berlin gehen konnte. Er blieb dort vier Semester, immer noch schwankend, zu welchem Lebensberuf er sich entscheiden sollte.

Im Jahre 1833 wechselte Ludwig Leichhardt an die Universität Göttingen. Und hier fiel mit einem Schlag durch eine zufällige Begegnung die Entscheidung über sein endgültiges Lebensziel!

Er lernte dort zwei Studenten aus England, die Brüder John und William Nicholson, kennen. Diese stammten aus dem Hause eines wohlhabenden Händlers in Clifton und waren eben auf einer Bildungsreise für ein paar Semester an eine deutsche Universität gekommen. Ludwig freundete sich mit den Brüdern Nicholson an, die von der gleichen Reiselust befallen waren. Sie überredeten Leichhardt, auf das Studium der Naturwissenschaften und der Medizin hinüberzuwechseln, weil sich nur mit diesen Wissenschaften für einen jungen Forscher der Weg in die weite Welt öffnete. Die drei Freunde wohnten bald auf einer gemeinsamen Studentenbude.

Ludwigs Eltern und Pastor Rödelius waren über diesen Studienwechsel aufs Tiefste enttäuscht. Aber nun übernahmen nach einem kurzen Briefwechsel mit den Eltern der Nicholsons diese auch die Kosten für das Studium Leichhardts. Nach einem Jahr Studium in Göttingen gingen alle drei Studenten wieder an die Universität Berlin, um dem damals berühmtesten Weltreisenden Alexander von Humboldt, der zeitweilig auch an der Universität Vorlesungen hielt, nahe zu sein.

Nach dem Abschluss des Studiums kam auch für die drei Freunde die Stunde der Trennung. Doch die Brüder John und William luden den Freund nun zu einem mehrmonatigen Aufenthalt im Hause Nicholson nach Clifton ein. Ludwig Leichhardt kehrte noch einmal zu seinen Torfstecher-Eltern nach Trebatsch zurück, bevor er sich auf die Reise nach England begab.

Er fuhr in der Reisekutsche nach Hamburg und kam auf einem Segler, der auch sechzig deutsche Auswanderer nach Amerika an Bord hatte, nach England. Nach einem kurzen ersten Aufenthalt in London, wobei er die Weltoffenheit dieser großen Stadt staunend erlebte, reiste er mit der Postkutsche eine Woche später nach Clifton in der Nähe von Bristol.

Ludwig wurde wie ein Kind des Hauses aufgenommen. Der Besuch war nur auf ein paar Monate gedacht gewesen. In dieser Zeit aber starb eine kinderlose Erbtante der Nicholsons, die den beiden Neffen ihr ganzes großes Vermögen testamentarisch vermacht hatte.

William Nicholson ließ nun seinen Freund nicht mehr aus England fort. »Wir werden jetzt mitsammen reisen und die Welt studieren!«, lud er Ludwig ein. Wie hätte dieser ein solches Himmelsgeschenk ablehnen können? Er schlug sogleich überglücklich ein.

Ludwig Leichhardt lebte nun ein halbes Jahr lang in England. Auf die immer dringenderen Bitten der Eltern, wieder nach Deutschland heimzukehren, schrieb er Ende 1837 einen Brief an sie, der zusammen mit anderen Briefen Leichhardts erhalten blieb: »William und ich wollen noch bis zum Mai des nächsten Jahres in London studieren. Später wollen wir zusammen nach Paris gehen. Und wenn uns die Umstände günstig gestimmt sind, wollen wir hernach an den Küsten des Mittelländischen Meeres naturwissenschaftliche Studien anstellen. Diese sollen uns für größere Reisen in tropische Erdteile vorbereiten. Soviel ist schon jetzt gewiss, dass uns Europa allein nicht genügen wird und dass wir drei oder vier Jahre lang auf Reisen bleiben wollen. Wir planen, später nach Ostindien oder nach Australien zu gehen …«

In diesem Brief kündigte sich zum ersten Mal der ferne Erdteil Australien in Leichhardts Leben an, der später auch sein ausschließlicher Lebensinhalt und sein Schicksal wurde. In den wohlhabenden Kreisen Londons ging damals ein geflügeltes Wort um: »Ein Mann, der nicht beide Indien gesehen hat, ist noch kein richtiger Reisender und hat von der Welt noch nichts gesehen!«

Im Mai 1838 beantragte Leichhardt vor seiner Ausreise nach Paris einen Reisepass bei dem deutschen Konsul in London. Dieser aber wurde ihm nach einer Rückfrage in Berlin überraschend verweigert. Leichhardt war in der Zwischenzeit in Preußen zur Ableistung des Militärdienstes einberufen worden. Seine sofortige Heimkehr aus England wurde ihm nun befohlen.

Der Einberufene fiel aus allen Himmeln. Jetzt – vor dem Beginn der größten Reise seines Lebens sollte er zu jahrelangem Kasernendienst verurteilt sein? Auch William redete ihm dringend zu, jetzt nicht heimzukehren. Leichhardt ersuchte um die Aufschiebung seines Militärdienstes bis zur Rückkehr von der großen Weltreise. William Nicholson erreichte es mit den guten Verbindungen seines reichen Vaters ohne Weiteres, dass Ludwig einen englischen Pass erhielt. Mit diesem setzten die zwei Freunde ohne Behinderung über den Kanal nach Frankreich über. In Paris erfuhr Leichhardt von dem Aufschub der Einberufung bis zum 1. Oktober 1840. Kehrte er jedoch auch bis dahin nicht zurück, war ihm als Fahnenflüchtigem Preußen für immer verschlossen, oder er lief Gefahr, bei seiner Heimkunft vielleicht für Jahre in den Kerker zu wandern.

Paris, das Ludwig Leichhardt gerade zu dieser Zeit mit einem Rausch an Reiselust erfüllte, ließ ihn diese Drohung nicht schwernehmen. Er träumte schon von den blauen Küsten des Mittelmeers, von Italien und Griechenland – wie sollte er da einen Befehl, der ihm zur Befolgung noch zwei Jahre Zeit schenkte, ernst nehmen? Bis dahin konnte er sich immer noch entscheiden – zurück nach Preußen in eine graue Kaserne oder hinaus in eine unbegrenzte weite Welt! Die Entscheidung fiel für die unbegrenzte Weite.

Aber dennoch spürte er eine ständige Drohung über seinem Leben, die ihm manche unerhörte Erlebnisse verdarb. Das unerträgliche Gefühl, später einmal nicht mehr in sein Vaterland zurückkehren zu dürfen, ohne Strafe und Kerkerhaft erwarten zu müssen, brachte ihn noch in Italien fast dazu, alles hinzuwerfen und wieder heim zu seinen alten Eltern zu gehen.

Aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass er schon als Zwölfjähriger davon geträumt hatte, einst ein Handwerksgeselle zu werden, damit er in die Welt hinauswandern konnte. Jetzt aber konnte er frei wie ein Vogel von Land zu Land, von Erdteil zu Erdteil fliegen! Das verdrängte die nagende Unruhe.

Nach einer achtzehn Monate dauernden Reise durch die Länder des Mittelmeers kehrte er 1840 noch einmal mit William nach London zurück. Seiner Heimkehr nach Deutschland hatte er endgültig abgesagt.

Vor seiner neuen Reise schrieb Ludwig an seine Mutter – der Vater war indessen gestorben: »… und unser gemeinsamer Plan ist, für zwei Jahre nach Neuholland (so hieß damals Australien noch in Europa) zu segeln und uns in der Sydney-Kolonie anzusiedeln. William will unsere Kapitalien in der Schafzucht anlegen, die das angelegte Geld derzeit mit 80% verzinsen soll. Von diesem Ertrag können wir zwei dann gemeinsam, ohne das eigentliche Kapital zu vermindern, unsere Reisen und Forschungen kreuz und quer durch Australien finanzieren …«

Doch im letzten Augenblick kam alles völlig anders. William Nicholson scheute sich auf einmal vor dem harten und ungeregelten Leben als »australischer Buschläufer«. Er eröffnete in Edinburgh in Schottland eine Praxis als Arzt.

Sein Freund Leichhardt aber sollte nicht auf seine Pläne verzichten müssen, obwohl er auch jetzt völlig bar eigener Geldmittel dastand. Nicholson bezahlte die Überfahrt nach Australien auf dem Auswandererschiff »Sir Edward Paget« und stattete ihn darüber hinaus noch mit 1400 Talern aus, damit sich Leichhardt im fernen Kontinent eine erste Lebensgrundlage schaffen konnte.

Die »Sir Edward Paget« stach am 1. Oktober 1841 von Cardiff aus in See. Mit der englischen Küste entschwand Europa endgültig aus dem Leben Leichhardts. Er hatte über seine Zukunft entschieden – für viele Jahre – vielleicht für sein ganzes Leben!

Die monatelange Segelreise auf dem Schiff verlief mit den üblichen Aufregungen – Stürmen und Krankheiten, Sehnsucht, Heimweh und Langeweile. Mit Leichhardt reisten 250 englische Auswanderer, die so bettelarm waren, dass ihnen die Regierung die Überfahrt hatte bezahlen müssen, um die Besiedlung der neuen Kolonie rascher voranzutreiben. Das englische Mutterland litt dauernd an Überbevölkerung, dennoch entschlossen sich viel zu wenig verarmte Manufakturarbeiter und Bauern zur Auswanderung in die verrufene Strafkolonie, auf der über hundert Jahre lang fast ausschließlich Verbrecher ausgesetzt worden waren. Nur die etwa zwanzig zahlenden Passagiere, Kaufleute und angehende Farmer, hofften, im neuen Erdteil viel rascher als zuhause zu Reichtum zu gelangen. Bereits auf dem Schiff blühte hektisch die Spekulation mit Grundstücken und Anteilen an riesigen Schaffarmen.

DER BUSCHLÄUFER

Mitte Februar 1842 betrat Ludwig Leichhardt nach einer viereinhalb Monate dauernden Schiffsreise von England um das Kap der Guten Hoffnung in Sydney den Boden des zuletzt entdeckten Erdteils Australien. Der geschäftige Trubel dieser jungen Stadt überraschte ihn sehr. Sie war erst vor 54 Jahren als Farmersiedlung in einer tief ins Land eingreifenden Bucht gegründet worden. Die Gründer aber bestanden aus 530 englischen Sträflingen und ihren Bewachern, die mit dem ersten Verbrechertransport, dem dann noch viele folgten, an dieser Stelle an Land getrieben worden waren. In dieser unerhörten Leere des in seinem Inneren noch völlig unbekannten Erdteils mussten nun die Sträflinge in schwerer täglicher Arbeit sich ihren eigenen Lebensunterhalt schaffen.

Jetzt aber, noch nicht einmal in der Hälfte des 19. Jahrhunderts, zählte Sydney bereits 100 000 Einwohner, die alle anscheinend nur eines vorantrieb: die Jagd nach Geld, Geld und wieder Geld! Ludwig Leichhardt nahm sich in dieser Gesellschaft wahrscheinlich lächerlich genug aus, weil er nicht nach Spekulationswerten fragte, sondern den erst eben neu angelegten Botanischen Garten aufsuchte. Er hatte erfahren, dass dessen Direktorstelle gerade zu dieser Zeit unbesetzt stand, und er bewarb sich um diesen Posten. Doch die Stadtverwaltung von Sydney lehnte seine Bewerbung ab – wahrscheinlich, weil sie dem eben erst zugewanderten Deutschen zu wenig vertraute.

Doch wie es sich bald erweisen sollte, war gerade diese Abweisung wieder für seine Zukunft entscheidend. Denn wäre nun Leichhardt als ausreichend dotierter und bald angesehener städtischer Beamter für lange Zeit in dieser Stadt festgebunden worden, wäre er vielleicht niemals mehr zum ständig nach neuen Wildnissen und unentdeckten Einsamkeiten suchenden Buschläufer gereift.

»Buschläufer« galt damals noch als verächtliches Schimpfwort für einen aus dem streng umgitterten Arbeitslager entsprungenen Häftling. Von Zeit zu Zeit gelang einem solchen die Flucht in den »scrub«, ins unerforschte Buschland des Inneren. Ein solcher konnte nur als Fallensteller sein Leben fristen, oder er überfiel ab und zu eine einsam gelegene Schaffarm und plünderte diese aus. Die berittene Polizei war aber stets solchen Buschläufern auf den Fersen. Wegen bloßen Diebstahls wurden sie nach einer harten Prügelstrafe wieder in einen streng bewachten Arbeitstrupp eingegliedert. Wer jedoch einen Mord auf dem Gewissen hatte, der wurde ohne Gerichtsverfahren an dem nächsten Baum aufgeknüpft.

Mit den Jahren aber änderte sich allmählich die Bedeutung dieses Namens, und Buschläufer wurde ein jeder genannt, der in das grenzenlose Land hinter den Blauen Bergen trampte und dort als Schafhirt oder auch nur als Jäger leben wollte.

Ludwig Leichhardt wurde durch die Abweisung seines ersten Ansuchens noch nicht entmutigt. Er trug aus England einen Empfehlungsbrief an den Chef der Landvermessung von Neu-Südwales, Sir Thomas Mitchel, bei sich. Und gerade Landvermesser zu werden, erschien ihm als der günstigste Beruf, später in das Innere Australiens zu gelangen. Doch das offizielle Australien schenkte ihm kein Vertrauen. Sein Gesuch um Anstellung wurde hier ebenso abgelehnt wie das erste am Botanischen Garten.

Leichhardts unverändertes Ziel war und blieb der unbekannte Kern der riesigen Landmasse Australiens, die damals noch im völligen Dunkel des Unbekannten lag. Als erforscht galt nur der südliche Zipfel des Kontinents und ein schmaler Küstenstreifen im Osten und Westen des Erdteils. Wohl hatten sich schon Expeditionen auch in diese »Terra incognita«, das unbekannte Land, hineingewagt, aber diese mussten wieder umkehren, wenn sie kein Wasser mehr fanden, wenn ihre mitgeführten Lebensmittel zu Ende gingen oder gar feindselige Eingeborene, Aborigines, sie mit Pfeilschüssen aus dem Hinterhalt oder im offenen Überfall zurücktrieben. Wer aber nicht mehr zurückkehrte, der war mit Sicherheit verdurstet, wenn nicht von den wilden kannibalischen Schwarzen getötet und vielleicht sogar verzehrt worden …


Ludwig Leichhardt als »Buschläufer«

Der englische Offizier Robert Lind, mit dem sich Leichhardt bei der Überfahrt angefreundet hatte, nahm ihn für einige Monate in seine Wohnung in Sydney auf. Anfang September reiste Leichhardt dann mit einem der neuen Dampfschiffe 120 Kilometer weit nordwärts nach Newcastle am Hunterfluss. Schon in Sydney hatte er den Farmer Walker Scott getroffen, der ihn zu einem längeren Aufenthalt einlud. Walker besaß über 20 000 Schafe auf seinen unendlichen, noch kaum vermessenen Weiden, und diese Zahl vermehrte sich durch den natürlichen Geburtenzuwachs noch ständig. Leichhardt wurde in Glenton weit hinter der Küste von Newcastle von Scott so freundschaftlich aufgenommen, dass er sich von diesem Tag an in Australien zu Hause fühlte. Nach den Gewitterstürmen des beginnenden Frühlings leuchtete Anfang Oktober die australische Landschaft blütenreich und grün. Die verdorrten Weideflächen und der verwelkte Busch hatten sich fast über Nacht in einen blühenden Garten des Paradieses verwandelt.

Aber Leichhardt hielt auch hier wieder das tatenlose Herumhocken nicht lange aus. Die unbekannten Berge der Liverpool-Range im fernen Westen der Farm verlockten ihn bald zu einem längeren Ausritt. Vor dem für mehrere Wochen geplanten Ritt hatte er sich noch eingehend mit dem Buschleben der Schafhirten und der Zedernholzfäller in den Bergwäldern vertraut gemacht. Zu Fuß wanderte er tagelang ohne Zelt und Waffe durch den Busch und lebte völlig auf sich gestellt von getrocknetem Schaffleisch in seinem Rückenpack, ausgerüstet mit nur einem Feuerzeug in der Tasche und einem verbeulten Kochkessel. Als studierter Geologe erkundete er dabei auch die Gesteinsschichten und führte ständig einen gar nicht so leichten Gesteinshammer mit sich.

Einmal rettete ihm dieser Prüfhammer sogar das Leben. Ein wild lebender Stier, der wohl einst seine Rinderherde verlassen und sie nicht wieder gefunden hatte, griff ihn plötzlich mitten im »scrub« mit dumpfem Gebrüll und gesenkten Hörnern an. Leichhardt rannte ohne Waffe um sein Leben. Der Stier aber war schneller. Er fasste Leichhardt auf seine Hörner und schnellte ihn in die Luft. Der Verfolgte sah schon sein Ende vor sich, von den breiten Hufen des wilden Tieres zu Tode getrampelt zu werden – da erinnerte er sich im Niederfallen des Hammers, den er noch in seiner Hand trug. In seiner Todesangst schlug er dem Stier mit aller Kraft auf die breite Stirn, dass dieser halb betäubt und dumpf brüllend zu Boden ging. Er rannte weiter, bis er endlich erschöpft auf einen niedrigen Baum klettern konnte. Der Stier folgte ihm nicht mehr.

Dieses Mal tat Leichhardt eine ausgiebige Rast in Scotts Schaffarm wohl. Sobald er sich kräftig genug fühlte, trat er zu Fuß den Marsch nach dem etwa 50 Kilometer fernen Mount Royal in den Liverpool-Bergen an. Nach drei Tagen Wanderung in den Bergen entdeckte er einen mächtigen hohlen Baum, der ihm für einige Wochen eine Wohnung wurde. Er lebte von Damper, einem harten, ungesäuert gebackenen Brotfladen, der wochenlang haltbar blieb. In der Nähe sprang eine klare Quelle den Berg herab; Zucker und Tee trug er bei sich. Mit jedem Tag fühlte er sich in der einsamen, großartigen Natur heiterer und innerlich freier werden. Wenn er abends in seine Baumhöhle zurückkehrte, kochte er sich noch Tee und kaute den steinharten Brotfladen dazu. Er wickelte sich in seine wollene Decke und schaute durch den offenen Baumspalt zu, wie sich die Sterne an dem unendlichen australischen Himmel entzündeten. Meistens weckte ihn schon gegen drei Uhr morgens die tief absinkende Nachtkühle. In diesen wachen Morgenstunden entwarf er den neuen Tagesplan der geologischen, zoologischen und botanischen Streifzüge, die er nach einer neuen Richtung wieder durchführen wollte.

Ein Mensch ohne Waffe, ohne böse Absicht wird bald im menschenleeren Busch als Freund aller Tiere und Vögel aufgenommen. So besuchten ihn neugierig bald jeden Morgen die tierischen Buschbewohner – der herrliche Leiervogel mit seinen Paradiesfedern, der dunkelfiedrige australische Truthahn, die blau schimmernde Lauftaube, manchmal sogar ein Wallaby, ein furchtlos äsendes Känguru. Über ihm flogen Schwärme schneeweißer Ibisse nach der dschungelfeuchten, tropischen Nordküste Australiens.

Leichhardt hatte stets gegen die empfindliche Morgenkälte mannslange Farne vor den Eingang seiner Baumhöhle gelehnt. Eines Nachts wirbelte der jähe Sturmstoß eines aufsteigenden Gewitters die noch nicht erloschene Glut des abendlichen Lagerfeuers vor der Baumöffnung jäh auf. Die längst schon dürren Farne fingen wie Zunder Feuer. Leichhardt blieb nur noch, mitten aus dem Schlummer geschreckt, die Zeit übrig, um durch den flammenden Baumspalt ins Freie zu springen. Ehe er noch etwas retten konnte, waren im Inneren sein Hut, sein einziges Hemd und sein Tagebuch mit allen täglichen Aufzeichnungen verbrannt. Anfangs lachte er trotzig zu dieser überstandenen Gefahr. Natürlich musste er nun die herrliche Wildnis verlassen. Bis er aber nach drei Tagen erschöpft und halb verhungert die Farm Glenton erreichte, hing ihm von dem ausgestandenen Sonnenbrand die Haut auf dem Rücken in Fetzen herab.

Natürlich stellte daraufhin Leichhardt seine Forschungen nicht ein. Diesmal entlieh er sich auf der Farm ein Reitpferd, mit dem er die hundert Kilometer nördlich von Newcastle liegende Landschaft der Moreton-Bay erforschen wollte. Auf seinem einsamen Ritt nordwärts traf er immer wieder hinter den fernsten Hügelwellen einen Ansiedler, der nichts sonst besaß als etliche Schafe und ein Graslager in einer primitiven Hütte, die er mit seiner Axt als dem einzigen Werkzeug gezimmert hatte. Mit diesem Siedler am äußersten Rand der bewohnten Welt teilte Leichhardt dann sein Lager unter einer gemeinsamen Wolldecke. Vielleicht schlief er neben einem Deportierten, der geflohen war oder dem die letzten Strafjahre erlassen worden waren.

Von solchen Einsiedlern erhielt er manchmal die besten Ratschläge, die ein Überleben in der leeren Wildnis erst möglich machten. Einer fragte ihn: »Kennst du den Bunyatree, den Bunya-Baum?« Leichhardt musste dies verwundert verneinen.


Biwak im Wald (Gemälde von Augustus Earle)

»Du findest ihn überall gegen Norden zu. Er sieht fast wie die Araukarie, der seltsame Nadelbaum im südlichen Australien, aus. Unter den Schuppen seiner Zapfen findest du die nahrhaftesten Kerne. Davon allein kannst du dich im »scrub« tagelang ernähren, wenn du sonst nichts mehr zum Nagen finden wirst. Aber beobachte den Bunya-Baum erst eine Weile aus der Ferne, bevor du hingehst und auf ihn kletterst! Die Horden der Schwarzen treffen sich unter einem Bunya gern und halten ihn natürlich für ihr Eigentum. Es ist schon geschehen, dass sie einen verirrten Schafhirten vom Baum herabgeholt, ihn gekillt und aufgefressen haben. Hoho, dann später haben die suchenden Reiter nur noch die abgenagten Knochen und seinen grinsenden Totenschädel gefunden!«

Nun, alles glaubte ja Leichhardt auch wieder nicht, was diese Squatter in ihrer Einsamkeit zu erzählen wussten. Doch er nahm sich vor, hier die Augen mehr offen zu halten als unten im Süden in den Liverpool-Bergen. Er wusste aus anderen Erzählungen, dass eher schon ein weißer Schafhirt getötet wurde, wenn er sich ein schwarzes Weib, das auf Wurzelsuche herumgestreift war, in seine Hütte mitgenommen hatte. In der Nacht darauf war die Horde geschlichen gekommen und hatte den Frauenräuber erschlagen. Ein solches unrühmliches Ende traf wohl hie und da einen der »Old hands« – wie die auf Bewährung freigelassenen Verbrecher genannt wurden. –

Ludwig Leichhardt wurde auf seinem Forschungsritt hinter der Moreton-Bay von einem tagelang unheilbar erscheinenden Durchfall begleitet, der ihn auf die Dauer so erschöpfte, dass er sich fast nicht mehr im Sattel aufrecht halten konnte. Er musste umkehren, um auf kürzestem Weg die Küste und Menschen zu erreichen. Er fürchtete bereits, dass er vorher noch bewusstlos vom Pferd sinken könnte und dann hilflos liegen bliebe.

In diesem Zustand traf er einen »Old hand«, der zu Fuß durch die Wildnis wanderte. Der Rauch seines niedrigen Lagerfeuers hatte das Pferd von selber dorthin geleitet. Der Mann blieb hocken und schaute fragend auf den blassen Reiter. Er half dem Kranken endlich aus dem Sattel und sagte nur: »Du hast Glück gehabt, weil du auf mich gestoßen bist! Du hast wohl fauliges Wasser ungekocht getrunken!«

Das mochte zutreffen. Leichhardt hatte sich bereits an die Wildnis akklimatisiert gefühlt und nicht mehr jeden Schluck Wasser abgekocht.

»Ich bin unentbehrlich für die Ansiedler hinter der Moreton-Bay!«, erzählte ihm der seltsame »Old hand«. »Ich bin Hüttenbauer, Bäcker, Schneider und Schmied, Tierdoktor und auch Wundheiler, wenn sich einer gefährlich verletzt hat und im Wundfieber schon auf den Tod daniederliegt! Du aber brauchst nur die Ly-Wurzel!«

Der geheimnisvolle Alte kochte Leichhardt den Absud einer heilkräftigen Wurzel. Und schon am nächsten Morgen blieb Leichhardts Hose wieder trocken. Im Busch entscheidet manchmal nur das Wissen um eine Wurzel das Überleben – wenn noch so harter Wille und Mut versagen!

Leichhardt fand am Rand der Wildnis manchmal auch eine Farm, auf der die Frau fehlte. Dann gab es statt eines sauberen Holzhauses nur eine schmutzige Bude auf vier eingerammten Pfählen, die den Bewohner vor der nächtlichen Bodenkälte, Schlangen und Ameisen schützen sollten. Ein paar Schafe genügen für den Lebensunterhalt mit Milch und Fleisch. Die übrigen Bedürfnisse des einst in der Gemeinschaft gesittet lebenden Menschen blättern wieder ab – zuletzt unterscheidet manchen Squatter nur noch die hellere Hautfarbe von dem australischen Ureinwohner.

Begleitet jedoch auch eine Frau den Mann in die Wildnis, wächst die abgelegene Farm förmlich von selber in eine menschliche Ordnung hinein. Möbel, Geschirr werden in die Einsamkeit geschafft; Leichhardt entdeckte sogar noch Bücher in Farmhütten, hinter denen alle Pfade endeten …

Ludwig Leichhardt lebte zwanzig Monate lang forschend und immer fernere Landschaften erkundend hinter den Küstenregionen zwischen dem 34. und dem 25. südlichen Breitengrad. Nach seiner späteren Schätzung legte er dabei rund 4000 Kilometer allein und stets ohne Begleiter im Sattel zurück. Er hatte sich in dieser langen Zeit zu einem erfahrenen und ausdauernden »Buschläufer« entwickelt. Allerdings hatten sich nach diesem langen Aufenthalt im Busch auch seine Haltung und sein Aussehen verändert. Seine große, dürre Gestalt bewegte sich etwas vornüber geneigt. Die Ränder seiner Hose hingen zerfranst und ausgerissen, sein Wollhemd hatte mehr Flicken als den früheren roten Stoff. Mancher ehrliche Squatter erschrak zuerst, wenn der hagere Besucher sich durch die Tür bückte, weil er ihn für einen entflohenen Deportierten hielt, den wohl nur der Hunger wieder aus dem menschenleeren »scrub« in bewohnte Gegenden zurückgetrieben hatte.

Genres und Tags

Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
267 S. 46 Illustrationen
ISBN:
9783843803113
Rechteinhaber:
Bookwire
Download-Format:

Mit diesem Buch lesen Leute