Hechtsprung ins Liebesglück!

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Hechtsprung ins Liebesglück!
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Lucy van Geldern

Hechtsprung ins Liebesglück!

Ein Liebesroman für Jugendliche

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel

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LESEPROBE „Traumtänzer – Liebe auf den falschen Schritt“

LESEPROBE „Das Kleeblatt – ein Pferderoman“

Impressum neobooks

Kapitel

»Wie lange willst du eigentlich noch schwimmen?«

Kai winkte seiner Schwester zu, aber seine Geste wuchs sich zu einem hektischen Gefuchtel aus. Susi, die unermüdlich ihre Runden in dem Fünfzig-Meter-Becken des Hallenbads drehte, reagierte nicht. Doch Kai ließ sich nicht so schnell beirren.

»Du tust, als würde morgen das Schwimmen verboten«, hallte seine Stimme durch die Halle. Mareike, die ihn umschlungen hielt, drückte ihn energisch vom Beckenrand weg.

»Also wirklich, welcher Liebreiz. Bist du immer so lieb zu deiner kleinen Schwester? Susi hat dir so einiges voraus, was die Bewegungsfreude angeht. Du solltest dir an ihr ein Beispiel nehmen.«

Aufmerksam beobachteten die beiden jede Bewegung der Schwimmerin. Mit kräftigen und regelmäßigen Schlägen kraulte Susi durch die Bahn. Mit der Schwimmbrille sah sie aus wie ein glubschäugiger Frosch. Ein Frosch mit kurzem, struppigem Haar, welches ihr strähnig in der Stirn hing.

Eine einzige, fließende Bewegung, eine Rolle unter Wasser, und Susi nahm weitere fünfzig Meter in Angriff.

»Aber, aber Schwesterherz.« Kai konnte sich seine bissigen Bemerkungen nicht verkneifen. »Bei der Wende bist du gehörig aus dem Takt geraten. Wirklich sehr taktlos von dir.« Kai lachte. »Am besten, ich werfe dir Schwimmflügel zu, bevor du noch ertrinkst.«

Mareike versetzte ihrem Freund einen Stoß in die Rippen. »Mach es erst selber besser. Du bist doch immer derjenige, der faul wie ein Stück Holz im Wasser treibt. Kommst du? Ich möchte noch ein wenig relaxen.«

»Einverstanden. Susi hört von allein auf, wenn sie müde wird.« Zärtlich küsste er Mareike auf die Lippen und streichelte sanft mit seiner Hand über ihre Schulter. Ohne sich aus der Umarmung zu lösen, gingen sie zum Ruheareal am Ende des Schwimmbads. Kai setzte sich sofort auf einen der Liegestühle. Seine Finger glitten an Mareikes Hüfte hinab über den Oberschenkel zum Knie.

»Treibt es aber nicht zu doll.« Eine männliche Stimme ließ die beiden auffahren. »Ich könnte sonst glatt neidisch werden.«

»Hallo Marco, wieso solltest du? Schließlich bist du doch in festen Händen.«

»Nein, seit zwei Tagen nicht mehr. Diese falsche Schlange, sie hat einen anderen.«

»Komm, setz dich zu uns. So ganz allein, das ist nichts.«

Marco breitete ein Frotteetuch und auf einer der Liegen aus. Gewissenhaft strich er es glatt, bevor er sich niederließ. Seine krausen, dunkelbraunen Locken und die gebräunte Haut passten ausgezeichnet zu seiner hellen Badehose. Lässig, sich seiner ganzen männlichen Schönheit bewusst, posierte er auf dem Liegestuhl. Sein Blick nahm alle Einzelheiten von Mareike auf.

»Holde«, schmeichelte er. »Du weißt gar nicht, wie Kai von dir schwärmt. Jede Stunde aufs Neue. Dadurch versüßt er uns den harten Lehrlingsalltag. Seine Worte schmelzen auf unseren Zungen wie die leckerste Schokolade, die es gibt.«

»Offensichtlich fordert euch der Ausbilder nicht genug«, antwortete Mareike mit einem freundlichen Grinsen.

Kai, der den Charme von Marco nur zu gut kannte, nahm seine Freundin enger in den Arm. »Hast du deinen Roller wieder flottgekriegt?«

»Ja, bis gerade eben habe ich an dieser Klapperkiste herumgebastelt. Es wird Zeit, dass ich achtzehn werde. Dann kaufe ich mir eine Harley-Davidson. Stell dir vor, wie mir die Girls dann nachlaufen.«

Gelangweilt seufzte Mareike und streckte sich auf ihrer Decke aus. Wenn die Boys anfingen, über Motorräder zu schwärmen, war nichts mit ihnen anzufangen.

»Sie werden dich kaum einholen, wenn du mit diesem Ungetüm davonbraust.«

Marco ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Mensch, seht ihr dort das entzückende, schlanke Geschöpf in diesem weinroten Badeanzug?« Vor lauter Begeisterung rutschte Marco halb von der Liege. »Hat das Girl tolle Beine. Das Mädchen muss ich unbedingt kennenlernen.«

»Kein Problem«, Kai lachte leise auf. »Das ist Susi, meine Schwester.«

Wahllos griff Marco nach einem der herumliegenden Handtücher und sprang auf. Mit dem ausgebreiteten Tuch ging er auf Susi zu und wollte sie darin einhüllen.

»Hallo entzückende Susi, komm in meine Arme!«

Verblüfft betrachtete Susi den Typen, der so verliebt lächelnd auf sie zukam.

»Danke, das ist nicht mein Handtuch.« Geschickt tauchte sie unter dem Arm hindurch und griff nach ihrem flauschigen Laken. Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn und rubbelte sich trocken.

Verzückt beobachtete Marco jede ihrer Bewegungen. Gedankenverloren warf er das Handtuch beiseite.

Susi blickte zu ihrem Bruder.

»Kennst du diesen aufdringlichen Typen, Kai?«

»Ja, das ist Marco, wir arbeiten im gleichen Ausbildungsbetrieb. Er ist überall bekannt für seine Hilfsbereitschaft.« Kai grinste seine Schwester an. »Besonders gegenüber dem weiblichen Geschlecht.«

Susi schaute nach oben und verdrehte die Augen. »Warum müsst ihr Kerle immer so nerven?«

Demonstrativ drehte sie Marco den Rücken zu und hockte sich mit übergeschlagenen Beinen hin.

»Hast du etwas dagegen, wenn ich mich dazusetze?«, fragte Marco.

»Ich sehe kein Verbotsschild.«

Marco rückte eine Liege zurecht und setzte sich ihr unmittelbar gegenüber. Gut gelaunt redete er drauflos. Die wenig begeisterte Miene von Susi beeindruckte ihn keineswegs.

»Dieses Schmuddelwetter. Was für ein Glück, dass es dieses Hallenbad gibt. So können wir uns wenigstens entspannen, ohne vom Regen völlig durchnässt zu werden. Übrigens, warum trägst du einen Badeanzug? Ein Bikini würde dir viel, viel besser stehen.« Unermüdlich wie ein Wasserfall plapperte er weiter. »Dass ich dich erst jetzt kennenlerne. Wo habe ich die ganze Zeit nur meine Augen gehabt? Kai, du undankbarer Geselle, du hast mir verschwiegen, was für eine umwerfende Schwester du hast.« Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Verehrte Susi möchtest du heute Abend mit mir über den Jahrmarkt bummeln, der Stätte der Gaukler und Komödianten?«

»Nein, danke. Mein Bedarf an Gauklern ist bereits gedeckt. Außerdem bin ich schon verabredet.« Sie griff nach einem T-Shirt und zog es über. Unter Marcos aufdringlichen Blicken fühlte sie sich nackt.

»Schade. Du hast keine Ahnung, was du da versäumst. Nun ja, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.«

Wer jetzt glaubte, Marco würde die Flinte ins Korn werfen, kannte ihn nicht. Er setzte sein schönstes Lächeln auf.

»Darf ich dich beziehungsweise euch wenigstens zu einem Eis einladen?« Er bedachte Susi mit einem besonders dahinschmelzenden Blick.

Susi zog eine Grimasse. Von diesem aufdringlichen Boy nahm sie nicht einmal ein Eis an.

»Für ein Eis bin ich immer zu haben«, rief Kai begeistert. »Mir kommt da eine blendende Idee. Wie wäre es mit einem Wettschwimmen? Ich und Marco, eine Bahn im großen Becken. Der Verlierer zahlt das Eis.«

»Ha, du und schwimmen können. Dich überholten beim Schulschwimmen sogar die Mädchen. Mir wäre so etwas nie passiert.«

Jetzt wurde es Susi zu bunt. Diesem aufgeblasenen Gockel wollte sie es zeigen. Sie sprang auf und stemmte die Fäuste in die Hüften.

»Du meinst also, gegen ein Mädchen zu schwimmen ist ein Zuckerschlecken. Dann fordere ich dich hiermit heraus.«

»Ist ja gut kleine Schwester. Dass du schwimmen kannst, wissen wir. Reg dich ab und spare deine Kräfte für den nächsten Wettkampf.« Kai grinste sie an. Ihr aufbrausendes Temperament kannte er gut. »Also, Marco, bist du einverstanden, gegen meine kleine, schwache«, dabei versuchte er ein tierisch ernstes Gesicht aufzusetzen, »Schwester zu schwimmen? Der Verlierer zahlt ein großes Eis.«

»Eigentlich kämpfe ich nicht gegen Mädchen, aber wenn Susi meint, sie hat eine Chance ...« er spielte versonnen mit seinem Bizeps.

»Und ob, es ist nicht mein erster Wettkampf.« Vor Erregung rötete sich ihr Gesicht, dieser Idiot regte sie auf.

 

»Oh du holdes Weib, dieser energische Ausdruck in deinem Gesicht, er ist zum Verlieben.« Während Marco immer tiefer in seine bodenlose Kiste der Komplimente griff, standen Mareike und Kai auf.

»Komm schon, oder hast du plötzlich Angst?« Kai wusste genau, wo Marco empfindlich war. Gemeinsam gingen sie hinüber zum großen Becken.

Eifrig lief Marco immer einen halben Schritt vor Susi her. Mit der linken Hand strich er durch seine Locken. Ein Dandy war nichts dagegen.

»Ich möchte fair sein und gebe dir einen Vorsprung.«

»Danke, nicht nötig. Sonst kommst du nachher womöglich an und erzählst, es sei kein fairer Wettkampf gewesen.«

Am Beckenrand zog Susi ihr T-Shirt aus und reichte es Mareike. Anschließend informierte sie die Schwimmer im Becken über das bevorstehende Wettschwimmen. Diese räumten bereitwillig zwei Bahnen auf der linken Seite. Erste neugierige Zuschauer stellten sich an den Beckenrand. Marco, der sehr wohl wusste, wie viele Augen ihm zusahen, straffte seine Schultern und stellte sich in Positur.

Susi setzte sich auf die Kante des Beckens und kühlte sich ab, danach ging sie zum Startblock. Flüchtig blickte sie zu Marco. Vertraulich blinzelte er ihr zu. Abrupt wendete sich Susi ab. Konnte er nicht aufhören, sie anzumachen?

Kai gab das Kommando.

»Auf die Plätze - fertig - los!«

Die beiden schnellten sich von den Blöcken ab und tauchten elegant ins bewegte Wasser ein. Als Susi auftauchte, sah sie, dass Olaf einen kleinen Vorsprung hatte. Es störte sie nicht. Sollte er ruhig in Siegeslaune schweben. Sie würde es ihm schon zeigen.

»Susi, Susi, zeig ihm, was eine Harke ist.« Nur undeutlich vernahm Susi die anspornenden Rufe von Kai. Offensichtlich bekam es ihr Bruder mit der Angst zu tun. Dabei sollte er sie doch besser kennen.

Wie ein Schatten folgte sie Marco, egal, wie schnell dieser schwamm. Am erstaunten Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass sie ihm auf den Fersen blieb. Ihre Augen tränten vom Chlorwasser. Jetzt bereute sie es, keine Schwimmbrille aufgesetzt zu haben.

Die Fünfundzwanzig-Meter-Marke. Die Zeit war gekommen, um aus diesem gemütlichen Spaziergang ein Wettschwimmen zu machen. Langsam erhöhte Susi die Anzahl der Schläge ihrer Arme. Synchron dazu schwangen ihre Beine wie Kolben im tiefen Wasser auf und nieder. Immer wenn sie Luft holte, sah sie, wie der Abstand zu Marco schmolz.

Bei fünfunddreißig Metern lagen sie Kopf an Kopf. Marco verdoppelte seine Bemühungen, sein Gesicht war verkniffen. Mit Genugtuung stellte Susi fest, dass ihn allmählich die Kräfte verließen.

Langsam, aber sicher schob sie sich an ihm vorbei. Nur noch fünf Meter, und Susi streckte sich, baute einen Vorsprung von einer halben Länge aus. Das Beckenende ragte vor ihr aus dem Wasser. Die Beine gaben ihr den letzten nötigen Schwung. Laut keuchend erreichte sie den Beckenrand und berührte mit der flachen Hand die Kacheln.

»Sieger!« Susi sah sich nach Marco um, der gerade erst anschlug.

»Gratuliere.« Heftig atmend schwamm er neben ihr Susi im Wasser. »Diese Blamage. Ich kann mich nicht mehr unter die Leute wagen. Gib zu, du hast geschummelt.«

Sie stieß sich ab und schwamm die wenigen Meter bis zur Leiter. Solche Typen liebte sie, angeben wie nichts Gutes, aber nichts dahinter.

Mareike und Kai empfingen sie begeistert. Ein paar der Zuschauer klatschten Beifall. Kai klopfte ihr erfreut auf die Schulter.

»Ich danke dir, junge Squaw. Du hast die Ehre der Familie gerettet. Das war allererste Sahne, wie du Marco auf den letzten Metern geschlagen hast.« In seinen Augen glänzte brüderlicher Stolz.

Marco folgte Susi und trat zu ihnen.

»Echt toll, wie du schwimmst. Was für eine Kraft. Das hätte ich nie gedacht«, sagte er und schüttelte seine dunklen Locken, dass die Wassertropfen nur so flogen. Er streckte Susi die Hand entgegen. Nach leichtem Zögern schlug sie ein. Sein Händedruck war kräftig, aber nur kurz. Verlegen wühlte er in seinen Haaren und grinste die Drei an.

»Bitte tut mir den Gefallen und schweigt über dieses Wettschwimmen. Nicht auszudenken, wenn das jemand erfährt.«

»Keine Bange, das wird garantiert Stadtgespräch, Zuschauer gab es ja zuhauf. Sei nur froh, dass mein Smartphone im Schließfach liegt. Sonst hätte ich schon ein Foto geschossen.« Kai verkniff sich nur mit Mühe das Lachen.

»Ich flitze eben, mein Portemonnaie holen. Ihr seid alle eingeladen, das ist Ehrensache.«

So schnell wie jetzt war er wohl noch nie in seinem Leben von der Bildfläche verschwunden.

»Kommt, stellen wir uns an, bevor das Eis ausverkauft ist.« Susi deutete durch die Glastür zum kleinen Kiosk neben dem Restaurant, vor dem eine lange Schlange stand.

Erwartungsvoll reihten sie sich ein. Marco ließ nicht lange auf sich warten.

»Freiheit für Grönland«, rief er. »Weg mit dem Pack, her mit dem Eis.«

Als sie endlich an die Reihe kamen, ließen sie ihren Wünschen freien Lauf. Und Marco zahlte, ohne zu murren.

Genüsslich am Eis lutschend schlenderten sie zurück zur Ruhefläche.

»Susi, nun verrate mir bitte dein Geheimnis. Wie kommt es, dass du so gut im Schwimmen bist?«

»Oh, das ist doch kein Geheimnis«, sagte Kai. »Sie gehört dem A-Kader des Schwimmvereins an.«

Wie vom Blitz getroffen blieb Marco stehen. Das Eis auf seiner Waffel bekam gefährliche Schieflage. Nur seine schnelle Reaktion rettete es vor dem Verderben. Er druckste ein wenig herum.

»Ein Profi also. Na ja, da brauche ich mich nicht zu schämen, dass ich verloren habe ...«

*

»Findest du auch, dass heute viel los ist? Selten habe ich ein solches Geschubse und Gedrängel erlebt.« Susi sah ihre Teampartnerin Angela an. Ständig musste sie aufpassen, um nicht von anderen Besuchern angerempelt zu werden. »In diesem Jahr sind es wesentlich mehr Besucher und Buden als im vergangenen.« Mit den Lippen fischte sie nach einem weißen Wölkchen von ihrer Zuckerwatte. »Und sieh mal dort drüben die beiden Typen. Kreidebleich kommen sie aus der Geisterbahn. Kein Mumm in den Knochen, die Jugend von heute. Wollen wir?«

»Pfui Teufel. So was Kindisches«, meinte Angela. »Hmm, hier duftet es lecker nach gebrannten Mandeln. Ob ich mir welche hole?«

Sie suchten sich eine Nische zwischen zwei Ständen, wo sie kurz verweilten. Ihnen gegenüber drehte sich ein altmodisches Karussell. Bunte Pferdchen, rote Feuerwehrwagen und kleine Cabrios zogen, sich langsam im Kreis drehend, an ihnen vorbei.

»Du hast doch noch deine Zuckerwatte.« Susi zog eine Grimasse. »Oder darf ich sie ...«

»Oh, nein. Auf was für Gedanken du nur kommst.« Mit den Fingerspitzen zupfte Angela etwas von der süßen Watte ab und folgte Susi, die sich erneut heldenhaft ins Gewühl stürzte. In die Betrachtung der Plüschtiere und Plastikblumen des Lotterieverkäufers versunken, gingen sie schweigend weiter.

Liebend gern hätte Susi ein paar Lose gekauft, aber ihr Taschengeld erlaubte keine allzu großen Sprünge. Zwischen all den Buden und Fahrgeschäften ragte ein Podest in der Art eines Boxrings auf. Es wirkte wie ein Fremdkörper. Neugierig steuerten die beiden Mädchen darauf zu.

»Kommen Sie und sehen Sie Mister Universum. Jawoll, meine Damen und Herren, noch nie hat ihn jemand besiegt. Kommen Sie näher. Wer hat Mut? Nur wer wagt, der gewinnt!«

Ein kleiner, schmächtiger Mann in einem abgewetzten schwarzen Anzug und mit einem überdimensionalen Zylinder stand in der Mitte der Plattform. Ein Lautsprecher sorgte dafür, dass ihn jeder mühelos verstand.

Neben ihm ragte ein Hüne von Mann auf. Trotz der Kälte trug er nur zwei lange Tigerfelle, die über der Schulter zusammengeknotet waren. Selbstbewusst grinste er in die Besuchermenge und präsentierte seine Muskeln.

»Gewinnen Sie eintausend Euro. Wagen Sie einen fairen Ringkampf. Besiegen Sie unseren Mister Universum.« Herausfordernd sah der Schmächtige die Anwesenden an.

Angela blieb mit offenem Mund stehen. Ihre Zuckerwatte schien sie gänzlich vergessen zu haben.

»Mensch, was für ein Kerl.«

»Riesiger Körper und nichts dahinter.« Susi krauste die Nase. »Komm, lass uns weitergehen.«

»Nein, ich möchte noch einen Moment bleiben. Vielleicht gibt er eine Kostprobe seines Könnens.«

Mit gespielter Verzweiflung schüttelte Susi den Kopf. »Du und deine Männer. Glaubst du, die sind hinter dir ebenso her wie du hinter ihnen?«

»Bah. Du hast ja keine Ahnung.«

Mit wachsender Begeisterung sah Angela der Vorführung des Muskelmannes zu, der altmodische, schwarz lackierte Gewichte hob. So mühelos, wie er sie bewegte, schienen es Attrappen zu sein.

»Jahrzehntelanges, intensives Training, das richtige Zusatzfutter und ein täglicher Krafttrunk helfen auch Ihnen, unbesiegbar zu werden. Sie erhalten SUPER ZWEITAUSEND an der Kasse.« Sichtlich begeistert von seiner eigenen Anpreisung trank der hagere Mann aus einer zierlichen Flasche.

Susi lauschte den markigen Sprüchen nur mit halbem Ohr. Sie fand die ganze Vorführung mehr als suspekt. Nach ein paar Minuten bemerkte sie, dass ein Artist mit einem Hut durch die Reihen ging. Unsanft stieß sie Angela in die Seite.

»Komm. Für fünf Minuten Langweile kassieren die jetzt.« So unhöflich aus der Betrachtung gerissen, sah Angela Susi verwundert an.

»So schlecht ist Mister Universum nicht«, verteidigte sie ihn.

Sie warfen ein paar Münzen in den Hut und bummelten zur nächsten Attraktion. »Wow. Eine Achterbahn mit zwei Loopings«, jubelte Angela, rasch machte sie mit ihrem Smartphone ein paar Bilder. Und blieb anschließend begeistert vor dem beeindruckenden Metallskelett der Anlage stehen. Das mechanische Klappern und das Aufjauchzen der Fahrgäste signalisierten einen der Höhepunkte dieses Jahrmarktes. Große Halogenstrahler erhellten das Umfeld.

Die beiden Mädchen legten den Kopf in den Nacken, um bis zur Spitze blicken zu können. »In der Zeitung stand ein ausführlicher Bericht. Es klang sehr spannend. Traust du dich?«

Susi dachte nach. »Warum nicht. Ist zwar das erste Mal, aber das will ja nichts heißen.«

Einen Augenblick dachte sie an Marco, der sie für heute Abend hierher hatte einladen wollen. Ob er wohl mit ihr in dieses Ungetüm gestiegen wäre? Zu gern hätte sie getestet, ob sein Mut mit seiner Klappe mithalten konnte.

Über wackelige Metallböden schritten sie zur Kasse und zahlten. Mit Grausen sah Susi ihr stetig schrumpfendes Taschengeld. Bevor sie sich versahen, saßen die beiden Girls in den engen, mit abgewetzten Plastik überzogenen Sitzen des Waggons. Aufgeregt machte Angela ein Selfie nach dem anderen. Die Sicherungsstange rastete ein, und langsam kam die lange Schlange aus sechs Anhängern in Bewegung.

»Nun räum endlich dein Smartphone weg! Es gibt mehr als eine verbriefte Erzählung, wo es heruntergefallen ist! Und aus der Höhe - da hast du ein Puzzel für die nächsten hundert Jahre!«

»Du bist schlimmer als meine Mutter«, nörgelte Angela, steckte aber ihren treuen Begleiter in den Rucksack. Vergnügt musterte sie ihre Schwimmkameradin. »Dann mal los!«

Fest umklammerte Susi die Stange. Ihre Hände wurden leicht feucht, und ihr Herz klopfte vor Aufregung immer stärker. Den ersten Anstieg schlichen die Wagen im Schneckentempo hinauf. Dann ging es abwärts, und der Wind pfiff ihnen so richtig um die Ohren. Die Waggons beschleunigten sichtlich, überwanden einen weiteren Anstieg und donnerten anschließend die erste steile Passage abwärts. Noch eine Kuppe und eine erneute Talfahrt, dann nahte der Looping. Susi kniff die Augen zu. Sie wollte nicht sehen, wie sich die Erde auf den Kopf stellte. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl zu fliegen, dann war es schon vorbei. Sie blinzelte und riskierte einen Blick. Bis zum nächsten Looping dauerte es noch.

»Ist das nicht herrlich?«, rief Angela und übertönte den Lärm der Wagen. »Fahren wir nachher gleich nochmal?«

»Nein! Ich bin froh, wenn mein Magen nicht jetzt schon rebelliert. Kein Bedarf.«

»Schade ...«, mehr konnte Angela nicht antworten, da die Bahn Anlauf für den zweiten Überschlag nahm.

Erneut schloss Susi die Augen, ihre Hände krallten sich um die Sicherungsstange. Und wieder stellte sich alles auf den Kopf. Deutlich spürte sie, wie die Welt unter ihr hing. Am höchsten Punkts des Loopings schien für einen winzigen Augenblick die Schwerkraft aufgehoben, dann ging es mit Power abwärts. Die Fliehkraft drückte Susis Magen verdächtig nach oben. Es war eine ungewohnte Mischung aus Angst und Lebensfreude und so schrie sie mit den anderen um die Wette, als es abwärtsging.

 

»He, guck mal«, rief Angela, wenig später, als sie eine weitere Steigung in Angriff nahmen. »Dieser Ausblick. Von hier oben aus kannst du jeden Boy erkennen. Dort drüben am Schießstand steht ein toller Typ.« Begeistert rutschte Angela auf ihrem Sitz hin und her. Fast wäre sie aufgesprungen, aber der eingerastete Bügel hinderte sie daran.

»Hast du nichts anderes im Kopf als die Jungs? Meist sind das doch nur eingebildete Affen. Viel heiße Luft und Imponiergehabe. Wenn du hinter die Fassade siehst, gähnt dir eine große Leere entgegen.«

»Bei dem Typen ganz bestimmt nicht«, verteidigte Angela den Unbekannten. »Schau ihn dir doch wenigstens mal an.«

Susi tat ihr den Gefallen und musterte die schlanke, gut gekleidete Gestalt. Zugegeben, von diesem Blickwinkel aus sah er verdammt gut aus, aber das bizarre Licht an den Ständen täuschte garantiert. Ein wenig zweifelte Susi an Angelas Verstand.

Die Waggons erreichten die Auslaufgerade und kamen langsam zum Stillstand. Die beiden Mädchen lösten die Verriegelung, klappten die Stangen nach oben und erhoben sich mit wackeligen Knien.

»Schaden kann es nichts, ihn kennenzulernen. Kommst du mit?«

»Angela auf dem Kriegspfad. Wehe, ein männliches Wesen wagt sich in ihre Nähe«, spöttelte Susi. Dennoch zuckte sie ergeben mit den Schultern. »Meinetwegen. Wenn es unbedingt sein muss.«

»Ist ja schon gut.« Angela, die nur noch den Boy im Sinn hatte, drängelte sich ungestüm zwischen den Fahrgästen hindurch zum Ausgang. Etwas langsamer folgte Susi ihr, sie kannte Angelas Marotte nur zu gut.

Das Opfer ihrer Neugier schlenderte weiter. Sie beeilten sich, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

»Siehst du, was ich sehe?«, flüsterte Susi.

Der Typ blieb hinter einer Frau stehen. Etwas blitzte in seiner Hand. Mit einer flinken Bewegung durchschnitt er den Schulterriemen der Handtasche und riss sie an sich. Mit raschen Schritten eilte er davon.

Die Frau schrie auf, drehte sich überrascht um. »Hilfe, Diebe.« Ein paar Besucher blickten sich neugierig um, doch keiner reagierte. Niemand hatte etwas gesehen.

»Los, hinterher!«, stieß Susi hervor. »Du da entlang, ich hier.«

Zustimmend nickte Angela, dann stürmten die beiden hinter dem Dieb her. Sie nutzten jede sich bietende Lücke in dem Gewimmel menschlicher Leiber.

Der charakteristische Kopf des Kerls tauchte in Susis Gesichtsfeld auf. Die Handtasche drückte er wie eine wertvolle Trophäe an sich.

Eine Gruppe, die falsch, dafür aber sehr laut sang und ihre Flaschen hin und her schwenkte, stand ihr im Weg. Susi drängelte sich hindurch, doch ein Mann hielt sie am Ärmel fest.

»Wohin, schönes Mädchen? Wie wär's mit einem Gläschen?«

»Arschloch.« Sie nutzte die Verblüffung und riss sich los. Vergeblich hielt sie nach dem Dieb Ausschau. Die Sekunden der Ablenkung hatten genügt, um ihn aus den Augen zu verlieren.

Dafür sah sie Angela, die atemlos angerannt kam.

»Nichts, keine Spur. So ein Mist.«

»Ich hatte ihn bis vor ein paar Augenblicken, aber jetzt ist er weg.« Susi deutete nach links, wo es zum Haupteingang ging.

Sie eilten weiter, gaben es aber bald auf. Der Kerl war garantiert inzwischen über alle Berge.

Susi warf einen Blick auf ihre Uhr. »O je, es ist höchste Zeit. Morgen muss ich früh aus den Federn. Ich habe Kai versprochen, ihn beim Einkauf für seine Fete zu begleiten.«

»Ich gehe auch nach Hause, Susi. Hier ist es stinklangweilig.«

»Ach? Jetzt auf einmal? Bis eben fandest du es noch ganz toll. Gab es doch lauter dufte Typen. Doch dieser Hereinfall, der hat dir den Rest gegeben - oder? Außer Muskelprotze und Taschendiebe anzuhimmeln, hast du heute Abend nichts zustande gebracht.«

*

Susi wuchtete einen Arm voll Salatköpfe in den Einkaufswagen und trat zu der Kiste mit saftigen, roten Tomaten. Sorgfältig suchte sie die besten Früchte aus und packte sie in eine Plastiktüte. Aber es war nicht ihr Morgen. Ein leises, reißendes Geräusch belohnte ihre Mühe. Verblüfft blickte sie den Tomaten nach, die aus der geplatzten Tüte auf den Boden fielen und über die Fliesen rollten.

»Verd ... Mist«, schimpfte sie zwischen den Zähnen und machte sich an die Verfolgung. Hastig sammelte sie die Ausreißer wieder ein. Zum Glück waren alle heil geblieben.

»Sag mal, Susi, was machst du da eigentlich?« Kai tauchte neben ihr auf. »Wolltest du mir nicht beim Einkaufen helfen?«

Susi bewunderte die Nähte seiner Schuhe. »Ich beschäftige mich mit dem Ketchup«, erwiderte sie.

»Aus eigener Herstellung, wie ich sehe. Schwesterherz, damit solltest du warten, bis wir zu Hause sind. Noch besser, wir kaufen es fertig in der Flasche. Jedenfalls hat Mutti mir gesagt, es soll mit auf die Liste.« Kai krauste seine Stirn und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Es ist erstaunlich, was sie alles auf dem Zettel notiert hat. Hack, Eier, Kartoffeln, tausenderlei Gemüse, Knabbereien und Getränke.«

»Wundert dich das? Gemessen an dem, was du jeden Tag alleine verputzt, ist es wenig.«

»Wie immer übertreibst du gewaltig.« Kai blickte in den Wagen. »Haben wir alle frischen Sachen? Wir müssen uns ein wenig beeilen, Mutti hat garantiert keine Lust, ewig auf uns zu warten.«

»Ja, wir können weiter.«

Susi nahm den Einkaufswagen und schob ihn zwischen den Regalen entlang. Kai, mit der Liste in der Hand, lud die Sachen in den Drahtkorb.

Susi brauchte nur im gemütlich Tempo hinterher fahren. Da sie diese Aufgabe so sehr fesselte, hatte sie genug Zeit, die Regale mit den Waren und die Kunden des Supermarktes zu mustern.

Ein junger Mann mit schwarzen, streichholzkurzen Haaren, erregte ihre Aufmerksamkeit. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie grübelte und grübelte, versuchte sich zu erinnern. Wie ein Blitz kam die Erkenntnis, wo sie ihn gesehen hatte. Auf dem Jahrmarkt! Der Typ war der Handtaschendieb!

Fieberhaft überlegte sie, wie sie sich verhalten sollte. Konnte es sein, dass er es war? Die verwirrenden Lichtverhältnisse auf dem Jahrmarkt täuschten. Und falls er tatsächlich der Dieb war, wie sollte sie es beweisen? Garantiert trug er die Handtasche nicht mit sich herum.

Sie folgte ihm durch das Labyrinth des Supermarktes, nutzten Berge aus gestapelten Dosen und Regale als Deckung und tat, als sei sie intensiv mit Einkaufen beschäftigt. Der Typ verhielt sich wie jeder Kunde. Jetzt allerdings näherte er sich einer Kundin mit einer voluminösen Umhängetasche.

Susi stoppte den Wagen und betrachtete die Konserven mit Hundefutter ausführlich. Sie nahm zwei der Dosen und verglich die Angaben. Dabei schielte sie ununterbrochen zu dem dunkelhaarigen Typen. Sollte sie es riskieren und die Frau vor dem Dieb warnen? Sie spannte ihre Muskeln, bereit zum Losspurten. Zwei, drei bange Momente rechnete sie mit dem Schlimmsten. Doch er fragte nur nach den Schreibwaren.

»Susi, wo steckst du?«

Vor lauter Konzentration hatte sie ihren Bruder glatt vergessen. Rasch stellte sie das Hundefutter zurück, wendete den Wagen und steuerte in die Richtung, aus der die Stimme von Kai gekommen war.

»Aber Susi. Ich hetzte durch die Gegend, und du träumst. Wie soll das nur mit dir enden?« Bis zum Scheitel mit Chips, Erdnüssen und Salzstangen beladen, stand Kai vor ihr. Susi half ihm gedankenverloren, die Tüten zu verstauen. Gleichzeitig lauschte sie angestrengt, ob nicht jemand um Hilfe rief.

Kai stupste sie mit dem Ellenbogen in die Seite. »Aufwachen, wir sind nicht in der Schule!«

»Stimmt schon, aber freiwillige, unbezahlte Helfer haben ihre Macken«, belehrte sie ihn. Doch von nun an folgte sie ihm wie ein Schatten.

Den Typen mit den dunklen Haaren entdeckte sie nirgends mehr.

Kurz vor der Kasse hielt Kai an und checkte seine Liste. »Sieht so aus, als hätten wir alles.«

»Es geht auch nichts mehr rein.« Susi deutete auf den Einkaufswagen, an dem sie sich fast zu Tode schob.

»Dann auf zur Kasse. Sicher steht Mutti schon vor dem Eingang und zählt die Sekunden. Los Schwesterlein, Endspurt! Oder bist du von einer plötzlichen Muskellähmung befallen? Komm, lass mich den Wagen schieben.«