Fiesta Patronal.

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Fiesta Patronal.
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LSAnderson

Fiesta Patronal.

Eine romantische Kurzgeschichte

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Fiesta Patronal

Impressum neobooks

Fiesta Patronal

I

Die Schülerinnen des ehrwürdigen Colégio Nuestra Señora Inmaculada in Aguadulce, einer kleinen Stadt zwischen Wüste und Meer, trugen Uniformen. Wenn sie am Ende ihres Schultages auf die Straße strömten, eine Flut dunkelhaariger, blau und weiß gekleideter fröhlicher Mädchen, dann krempelten die Älteren unter ihnen als Erstes den Bund ihres Rocks ein, um den Saum anzuheben, und rollten die Kniestrümpfe zu den Knöcheln hinab. Die Verwegenen unter ihnen und die, die meinten, es sich leisten zu können, öffneten den zweiten oder gar noch den dritten Knopf ihrer Bluse. Dann schlenderten sie schwatzend und lachend in Paaren oder kleinen Gruppen auf ihrem Nachhauseweg wie unabsichtlich am Instituto General Francisco Villega vorbei, einer höheren Schule für Jungen. Die Mutter Oberin des Colégio und der Leiter des Instituto hatten vereinbart und organisiert, dass der Unterricht an ihren Schulen nie zur gleichen Zeit endete. So blieb den Jungen, die in den Klassenräumen zur Straße hin einen Fensterplatz errungen hatten, erst einmal nichts weiter, als die Parade der Mädchen neugierig oder sehnsüchtig aus der Ferne zu verfolgen, und die Mädchen erfuhren nur auf Umwegen, ob und bei wem sie Eindruck machten.

Auf einem der begehrten Fensterplätze saß der siebzehnjährige Augustín Vega, ein hübscher und beliebter Junge, ein guter Schüler und ein talentierter Fußballer in der Schulmannschaft. Ihn interessierte nur eine Einzige von den vorbeiziehenden Mädchen, und sein Herz klopfte schneller, wenn er sie zwei- oder dreimal in der Woche zu sehen bekam. Natürlich wusste er, wer sie war, denn in einer kleinen Provinzstadt bleibt auf die Dauer niemand fremd. Augustín kannte Luisa Calderón schon länger, wenn auch nur flüchtig. Jahrelang war sie für ihn nur ein dünnes Kind mit einer Zahnspange, knubbeligen Knien und verrutschten Strümpfen. Irgendwann nach ihrem fünfzehnten Geburtstag verschwand die Zahnspange, Luisas Knie und der Rest ihrer Figur rundeten sich, und Augustín begann, sie neu zu sehen. Wie durch Zauberei wurde sie innerhalb eines Jahres eine Schönheit. Unter ihren Klassenkameradinnen, denen die ferne Verwandtschaft mit den schon lange verschwundenen Ureinwohnern der Region dickes, glattes, schwarzes Haar beschert hatte, dunkle Augen und einen kräftigen, etwas gedrungenen Wuchs, war Luisa plötzlich eine auffallende Erscheinung: Sie war größer als die meisten, schlank, besaß eine Fülle an unbändigen dunkelbraunen Locken und hatte blanke, goldbraune Augen.

Augustín war nicht schüchtern, und er hatte keine Angst vor Mädchen. Als ein spätes Kind, mit dem Matilde Vega, seine Mutter, zu einem Zeitpunkt schwanger wurde, da sie ihre fruchtbare Lebenszeit bereits hinter sich zu haben glaubte, war er zehn Jahre jünger als der nächstältere seiner beiden Brüder. Sein Vater, Walter Vega, Sprengmeister in einer der Minen im Hinterland von Aguadulce, war aus beruflichen Gründen häufig und lange abwesend. So wuchs Augustín fast wie ein Einzelkind und hauptsächlich in weiblicher Gesellschaft auf, und lange, bevor er alt genug war, um von seinen Brüdern ernst genommen zu werden, verließen sie das Elternhaus und die Stadt. Doña Matilde lehrte ihren Jüngsten und erklärten Liebling Manieren, erzog ihn zur Achtung vor Frauen und zwang den widerstrebenden Jungen, zur Tanzstunde zu gehen. Nebenbei lernte er, ohne sich dessen recht bewusst zu sein, in der Auseinandersetzung mit seiner temperamentvollen und willensstarken Mutter, wie man mit Frauen umzugehen hatte.

Es fiel Augustín daher nicht schwer, Luisa anzusprechen. An einem warmen Samstagabend entdeckte er sie in der Kassenschlange vor dem Kino der kleinen Stadt und entschied spontan, aufs Ganze zu gehen. Sie stand mit zwei anderen Mädchen zusammen, die abweisende Gesichter aufsetzten, als Augustín plötzlich zu ihnen trat, sich vorstellte und Luisa fragte, ob er sie nach dem Kino zu einem Eis einladen dürfe.

Luisa war nicht überrascht und wurde auch nicht verlegen.

Ich weiß, wer du bist, Augustín Vega, sagte sie, lächelte den Jungen mit blitzenden Augen an und zeigte schöne, von der Zahnspange zurechtgerückte Zähne. Ich danke dir für die Einladung, und ich will gerne ein Eis mit dir essen, aber nicht heute Abend, denn heute bin ich mit meinen Freundinnen verabredet.

So trafen sich Augustín und Luisa am Nachmittag des folgenden Tages, dem Sonntag, vor der gelatería an der Plaza Central von Aguadulce. Augustín kaufte zwei Becher Eis, und dann schlenderten er und Luisa im Schatten der Pfefferbäume um den Platz. Solange sie Eis aßen, sprachen sie nicht viel. Wenn sie glaubten, der andere merke es nicht, musterten sie ihn neugierig, denn sie waren sich noch nie zuvor so nah gewesen. Trafen sich ihre Blicke, dann lächelten sie einander an, und ihre Herzen schlugen fester. Auch als das Eis verzehrt war, setzten sie ihre langsamen Runden fort, denn auf den Bänken unter den Bäumen konnte man nicht sitzen, weil sie mit Vogelkot bekleckert waren. Augustín und Luisa unterhielten sich, und es fiel ihnen leicht, miteinander zu reden. So lernten sie sich kennen: nicht durch das, was sie sich mitteilten, sondern dadurch, wie sie es taten. Als Kinder einer kleinen Provinzstadt, in der es nur wenige Geheimnisse gab, wussten sie ohnehin schon einiges voneinander. Luisa kannte Augustíns Eltern vom Sehen. Sie fand Doña Matilde eine beeindruckende Frau, hatte gehört, dass Walter Vega in der Mine einen verantwortungsvollen Posten innehatte, und dass er El Alemán genannt wurde. Augustín kannte Luisas Schwestern, denn sie gehörten zu denen, die mittags unter den Fenstern des Instituto vorbei paradierten, und er wusste, dass die Calderóns ein kleines Hotel und ein Restaurant führten. Dort, so erfuhr er, während er mit dem Mädchen um den Platz spazierte, arbeitete die ganze Familie, weil sie keine Angestellten bezahlen konnte. Luisas Vater, Ernesto Calderón, kochte für die Gäste und renovierte in seiner spärlichen Freizeit ein altes Fischerboot, das am Strand vor der Stadt aufgebockt war. Luisa, ihre drei Schwestern und ihre Mutter, María Calderón, waren, je nachdem, was die Situation erforderte, Zimmermädchen, Barfrau oder Küchenhilfe, Rezeptionistin oder Kellnerin. Der Familienbetrieb war der Grund, warum Luisa schon nach einer Stunde mit Augustín wieder nach Hause musste; sie war eingeteilt, die Sonntagabendgäste zu bedienen. Augustín begleitete sie auf ihrem Heimweg, und als sie sich an einem Seiteneingang des Hotels mit angedeuteten Wangenküssen verabschiedeten, wie es Mode war unter den älteren Schülern der Stadt, fragte er, ob er sie anrufen und wieder treffen dürfe. Natürlich sagte sie ja, und danach lief Augustín wie ein Traumwandler durch die sonntagabendträge Stadt ebenfalls nach Hause, beschwingt, fast schon schwindelig von einer Art Glück, die er vorher noch nicht gekannt hatte.

Schule und Arbeit im elterlichen Geschäft ließen Luisa nur wenig Zeit, deshalb sahen sie und Augustín sich nicht oft, und ihre Treffen waren meist nur von kurzer Dauer. Obwohl sie typische Jugendliche ihrer Zeit waren – das einundzwanzigste Jahrhundert stand auch in Aguadulce vor der Tür – stellte sich Intimität zwischen ihnen nur langsam ein. Irgendwann nahm Luisa im dunklen Kino Augustíns Hand und ließ sie den ganzen Abend nicht mehr los, und bis sie sich zum ersten Mal küssten, waren sie schon einige Wochen zusammen. Weiter gingen sie zunächst nicht. Unter Freunden und Altersgenossen sprach sich binnen vierundzwanzig Stunden nach dem ersten Treffen der beiden herum, dass sie ein Paar waren. Eltern und andere Erwachsene dagegen bemerkten es vorläufig nicht oder achteten nicht darauf, auch weil Augustín und Luisa so selten zusammen zu sehen waren. Nur Luisas Vater fiel früh auf, dass seine zweitjüngste und hübscheste Tochter einen Freund hatte. An einem lauen Abend trat Ernesto Calderón aus der Hintertür seiner heißen Küche, um sich abzukühlen und eine Zigarette zu rauchen, und sah Luisa und einen Jungen im Seiteneingang des Hotels, wie sie einander umarmten und heftig küssten. Er nahm es gelassen. Luisa war nicht die erste seiner Töchter, die er dort küssen sah. Das war der Lauf der Dinge, fand er, dass seine Mädchen junge Männer trafen und mit ihnen taten, was Mädchen und junge Männer eben tun. Calderón lebte seit Jahren in einem Haushalt mit fünf Frauen und hätte nichts dagegen gehabt, wenn eine von ihnen mit einem Mann weggegangen wäre – Doña María natürlich ausgenommen. Noch mehr gefiel ihm die Vorstellung, einmal einen Schwiegersohn zu haben, der ihm bei der Renovierung des Bootes half, mit dem er Bier trinken und über Fußball diskutieren konnte und der für ein paar männliche Enkel sorgen würde. Als sich das Paar voneinander löste und Luisa im Haus verschwand, erkannte Don Ernesto den jüngsten Sohn von Walter und Matilde Vega. Er grüßte den Jungen mit einer knappen Handbewegung, wie es Männer unter sich tun, und Augustín Vega grüßte ebenso zurück. Ernesto Calderón kannte die Vegas als angesehene Familie, ihren Jüngsten als talentierten Fußballspieler und entschied, seiner Frau nicht von Luisa und Augustín zu erzählen. María Calderón hatte altmodische Ansichten über angemessenes Verhalten in der Beziehung der Geschlechter zueinander und die Jungfräulichkeit ihrer Töchter.

 
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