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Eine gefährliche Unschuld

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Alle gingen ins Nebenzimmer- um den Ausgang der Verhandlung zu erwarten, und wir brauchen wohl nicht ausdrücklich zu berichten, daß Jeder sich bestrebte, nach Kräften zu horchen. Unsere Geschichte schließt, wie sie begann, mit einer Theater-Intrigue. Daran sind wir indessen unschuldig, es kommt dies vom Einfluß unseres Helden her.

Der Oberst hatte sich so unwiderstehlich wie möglich gemacht; der Schnurrbart war frisch gekräuselt, Rock und Handschuhe saßen tadellos, und um die Lippen spielte sein gewinnendstes Lächeln. Lucie seufzte bei seinem Anblick wahrhaft erleichtert auf. Seit ihrer ausgestandenen Angst fand sie die Komödie plötzlich langweilig und wünschte ungeduldig die Lösung herbei. Aber äußerlich wollte sie bis zum Schlusse ihre Haltung bewahren, ja, sich zu guter Letzt wo möglich noch selbst übertreffen. So begrüßte sie denn Arthur von mindestens dreihundert Fuß Wolkenhöhe herunter und deutete auf einen Fauteuil. Sie fand es indessen doch angemessen, ihm die Zunge zu lösen, und begann:

Ich habe meine Mutter gebeten, Sie allein sprechen zu dürfen, Herr Graf, und sie hat es mir erlaubt. Ich wußte voraus, daß diese Unterredung Hoffnungen zerstören müsse, die ich nicht erregt habe, aber ich begreife, daß sogar meine Gegenwart schon zuviel ist für die Verlegenheit, welche jede abweisende Antwort dem erregt, der sie erhält.

Sie lächelte sanft bei diesen letzten Worten und beobachtete verstohlen die Wirkung dieser unumwundenen Anrede. Der Oberst hielt sich tapfer, er wußte aus Erfahrung, daß die Schlüssel der feindlichen Festung nicht ohne einige Nöthigung ausgeliefert werden. Also traf er seine Anstalten zur regelrechten Belagerung und eröffnete rasch die Tranchée.

Lucie ließ ihn ausreden, aber je ausführlicher und dringender er sprach, je mehr Wärme er entwickelte, desto kühler und hochmüthiger wurde ihre Haltung, als fühle sie sich durch eine solche gegen ihren Willen eingeflößte Leidenschaft beleidigt. Der Oberst machte es nicht wie der antike Redner, der seine Brust aufriß und seine Wunden befühlen ließ, sondern er sank auf ein Knie und richtete den schmachtendsten Blick, der je aus einem Husarenauge kam, nach der Zimmerdecke hinauf.

Lucie ließ ihn einige Augenblicke in dieser Stellung, um ihren Triumph vollständig zu machen, dann antwortete sie ihm. Die Rede floß ihr langsam und einförmig, wie ein süßer, kalter Sorbet, von den Lippen. Erst dankte sie dem Obersten für seine Liebe und das Anerbieten seines Namens und seiner Hand. Dann kam sie mit einem plötzlichen Uebergang auf Clara zu sprechen, verglich sich mit ihr und pries mit immer größerer Wärme deren Schönheit und Liebenswürdigkeit; sie verwickelte den Obersten in ein wahres Labyrinth von künstlich verschlungenen Phrasen, appellirte an seine Redlichkeit, an seine verirrte, aber nicht verlorene Liebe, bewies ihm, daß er sich durch diesen Bruch entehren würde – und faßte ihn bei der gekränkten Eitelkeit, beim Ehrgeiz und bei der Vernunft. Endlich, nach dreiviertel Stunden, hatte das geniale Mädchen den unglücklichen Eroberer geschlagen, entwaffnet, gebunden und geknebelt, so daß er zu der Einsicht gelangte, daß er sich vor der Lächerlichkeit nur retten könne, wenn er Clara heirathe, die ihn liebe und seiner würdig sei.

Sie war wirklich großartig und hinreißend in ihrer Begeisterung. Der Oberst, bestürzt und über sich selbst im Unklaren, fühlte sich überredet, wenn auch nicht überzeugt; er zog sich übrigens so gut als möglich aus der Sache, bat, das Vorgefallene zu vergessen, und versprach, sich Clara’s Verzeihung zu holen. Dann ging er wie im Opiumrausch und noch ganz von Lucie bezaubert, obgleich er sich bereits innerlich sagte (so geschwind tröstet die Eitelkeit), daß bei alledem Clara nicht der schlechteste Ersatz sei und man bei ihr wenigstens keine so unglaubliche Kälte zu überwinden habe, wie bei Fräulein von Beaulieu, die möglicherweise am Ende für einen Mann sehr lästig werden könne.

Lucie sandte dem Weggehenden einen spöttischen Blick voll unermeßlicher Verachtung nach, in welchem deutlich geschrieben stand:

Und das nennt man nun einen Mann! – Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, als die gegenüberliegende aufflog und Clara in Luciens Arme stürzte.

Du bist mein rettender Engel! Dank, tausend Dank!

Germanet und Herr von Albingen machten den Chor; Julius sagte nichts, seine Zeit war noch nicht da.

Als der freudestrahlende Herr von Albingen seine Tochter heimführen wollte, hielt Lucie sie noch einen Augenblick zurück und flüsterte ihr ins Ohr:

Es ist kein Verdienst von mir, daß ich dir den Obersten zurückgab, ich liebe ihn nicht und könnte ihn niemals lieben. Dazu müßte er beständiger sein. Aber manche Andere hätte sich vielleicht die Gelegenheit zur Rache nicht entgehen lassen. Erinnerst du dich des Ballabends, wo du so herausfordernd warst, als könntest du Alle mit deiner Heirath demüthigen? Ich habe es dir verziehen, weil ich dich wirklich liebe, aber eine Andere hätte vielleicht ihr Glück aufgegeben, um deinen Hochmuth zu strafen.

Clara sah ihrer Freundin starr in die Augen. Aber es war die alte bescheidene Lucie, deren Seele keiner Berechnung oder Intrigue fähig war, und ihre Worte enthielten einen wohlmeinenden Rath, nicht ein Geständniß. Clara küßte sie überströmend zärtlich:

Ich will bescheiden werden, lieber Engel, und du sollst für deine Güte und Hingebung tausendmal gesegnet sein,

Als Alle gegangen waren, kniete Julius auf derselben Stelle, wie vorhin der Oberst, nieder und küßte mit Thränen in den Augen Luciens Hand.

Ja, sie haben Recht, sprach er leise. Sie sind wirklich ein Engel!

Lucie fuhr zusammen wie von einem Biß. O, Sie dürfen mich nicht so nennen! sagte sie erbleichend. Lassen Sie dies Wort den Andern. Ich bin nur ein Mädchen, das Sie innig liebt und Ihnen eine treue Frau sein wird.

Die bessere Hälfte ihres Herzens schämte sich ihrer Lüge und Koketterie. Sie fing an, ihre Engelsflügel zu bereuen, und für Julius wenigstens wollte sie fest auf der Erde stehen.

Am andern Morgen kam ein überglücklicher Brief voll zärtlichen Geplauders von Clara! die auf vier Seiten, ihre Aussöhnung mit dem Obersten beschrieb. Das Nadelbüchschen lag bei.

Lucie steckte es lachend in ihre Arbeitsschachtel und sagte: Wenn er mir nur keine Nadel daraus gestohlen hat!

Kurz darauf fand die Vermählungsfeier des Grafen von Corval mit Fräulein von Albingen Statt. Die Braut trug Spitzen im Werth von zehntausend Francs, der Oberst hatte alle seine Orden angelegt. Der Minister wohnte der Ceremonie bei. Als der Brautzug an Lucie vorüber kam, die mit Julius Hammel unter der Menge kniete, sah sie all diesen Pomp und Glanz mit verächtlichem Lächeln an und dachte im Stillen:

Das Alles hätte ich haben können, ich brauchte nur die Hand darnach auszustrecken. Aber ich wollte nicht, ich habe die Liebe, wenn auch in Begleitung von Armuth und Sorge, vorgezogen.

Und in ihren Augen, die sich nach oben wandten, glänzte eine Thräne, nicht der Reue, sondern der reinen Freude.

Julius neigte sich zu ihr.

Was ist Ihnen?

Ich denke daran, daß Gott uns in acht Tagen ebenfalls segnen wird.

Und wirklich wohnte acht Tage später das junge gräfliche Ehepaar, strahlend vor Glück und Liebesseligkeit, der ehelichen Einsegnung von Julius Hammel und Lucie von Beaulieu bei. Der Altar war einfach geschmückt. Die Braut hatte sich ganz in ihren Schleier gehüllt, aber Jedermann bewunderte ihre züchtige Grazie und andächtige Haltung.

Unsere Erzählung kann hier schließen, denn Jeder wird leicht einsehen, daß mit einem Charakter wie Lucie keine vollständige Lösung möglich ist. Wir begnügen uns also, nur noch hinzuzufügen, daß am Hochzeitabend, als die jungen Gatten endlich allein und sich selbst überlassen waren. Lucie einmal in ihrem Leben die Wonne kosten wollte, ganz aufrichtig zu sein. Sie warf sich ihrem Gatten um den Hals, drückte ihn heftig an sich und sagte:

Mein heißgeliebter Julius, sei stolz und muthig! Du sollst groß und berühmt werden, weil ich es will, weil ich dich unendlich liebe! Ich helfe dir dazu, ich will dir rathen. Es ist nicht so schwer, die Menschen durch ihre Interessen zu beherrschen, das, habe ich erfahren. Wir wollen die Marionetten gehörig tanzen lassen, damit du rasch zu Ruhm und Reichthum gelangst!

Ich verlange nichts von dir, als deine Liebe, versetzte Julius ganz erstaunt über diese Offenbarung.

Lucie ließ es bei diesem einzigen Aufblicken bewenden. Sie nahm wieder ihr verschleiertes bescheidenes Wesen an und verbarg auch ferner ihren festen Willen unter der Engelshülle. Ich weiß nicht, ob sie jemals wieder in den Fall kam, sich zu rächen; was ich weiß, ist nur, daß sie einige Jahre später am Arm ihres Mannes zu sehen war, schön und heiter wie immer und fast zaghaft, ihr wolkenloses Glück und ihren befriedigten Ehrgeiz vor der Welt zu zeigen.

Julius Hammel ist, wie seine Frau vorhergesagt hatte, reich und berühmt geworden. Jedermann und er selbst am ersten glaubt, daß er dies seiner angestrengten Arbeit verdankt, aber seine Frau weiß wohl, welcher feste, geschickte Wille ihm zur rechten Zeit, ohne daß er es auch nur ahnte, die glücklichen Gedanken eingegeben hatte. Sie verstand es meisterhaft, ihm zu helfen, und ohne daß sein Ansehen oder der eheliche Frieden jemals gestört wurden, besiegte sie hier eine Schwierigkeit durch ihr Lächeln und schmolz dort ein Hinderniß mit dem Blick ihrer Augen weg.

Lucie ist mehrmals Mutter geworden, aber es war, als ob jedes Kind ihr einen neuen jungfräulichen Reiz mitgebracht hätte. Und möchte sie die fünfzig Danaiden zu Töchtern haben, so würde man in ihrer Gegenwart immer noch die heilige Scheu, wie vor der Unschuld, empfinden. Sie hat sich den Schleier bewahrt, der den Glanz ihres Hauses befestigt, und hat in ihm auch ferner ihr Genie keusch verhüllt. Warum soll man nicht zugestehen, daß dies eine Ausnahme ist? Ihr Mann ist durch sie glücklich und berühmt geworden, aber wenn sie den Obersten geheirathet hätte, wäre es möglicherweise anders gegangen. Und seltsam! In ihren lebhaftesten Herzensergüssen, wenn sie die Zärtlichkeit noch so weit fortriß, hat sie niemals ihr Geheimniß ihrem Gatten verrathen; dieser wird dereinst sterben, ohne zu ahnen, daß er eine Kokette zur Frau gehabt hat.