Die Jutta saugt nicht mehr & Voll von der Rolle

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»Ich lebe allein hier«, sagte er. »Dies ist ein Einpersonenhaushalt.«

»Und der Keller?«

»Wieso der Keller?«

»Haben Sie nicht regelmäßig Kellerdienst? Der muss doch auch gereinigt werden.«

»Das erledigt ein Unternehmen. Im Keller haben Sie nichts …«, er stockte und räusperte sich. »In den Keller müssen Sie nicht. Ihr Bereich ist ausschließlich diese Wohnung.«

Damit war alles geklärt.

Wir verabredeten uns für den übernächsten Tag um acht Uhr.

Ab Mittwoch war ich also die neue Putzfrau von Gerhard Dengelmann.

»Nirgendwo habe ich Anzeichen dafür gesehen, dass er bis vor Kurzem nicht alleine gewohnt hat«, erzählte ich eine Stunde später Erwin und Dennis, die atemlos lauschten, was ich zu berichten hatte. »Also, zumindest rein äußerlich. Kein Foto von ihr, nichts. Kein Damenmantel an der Garderobe, keine zweite Zahnbürste im Bad, keine Pantoffeln vor dem Bett, das im Übrigen auch nur für eine Person bezogen war. Noch konnte ich natürlich nicht in den Kleiderschrank gucken. Ach so, auf dem Schminktisch im Schlafzimmer lag auch nichts.«

»Und sonst?«, fragte Dennis. »Wie ist er so? Traust du ihm einen Mord zu?«

»Dennis, bleib locker«, erwiderte ich. »Noch haben wir nichts weiter als Frau Bergers Verdächtigungen. Vielleicht hat Jutta ihn ja tatsächlich verlassen, und er hat einfach nur alles aus der Wohnung geräumt, was ihn an sie erinnerte. Oder er hat irgendwo einen versteckten Schrein errichtet. Zum Beispiel in seinem Arbeitszimmer, in das ich bei der Wohnungsbegehung keinen Blick werfen durfte – im Gegensatz zu allen anderen Räumen. Das Arbeitszimmer gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich, wenn ich zitieren darf. Das gilt übrigens auch für den Keller. Hat die Berger nicht erzählt, dass er stundenlang im Keller verschwindet?«

Erwin nickte. »Hat sie.«

»Wunderbar.« Ich rieb mir die Hände. »Ich kann kaum erwarten, herauszufinden, was sich dort verbirgt.«

»Vielleicht ein Folterkeller?«, mutmaßte Dennis aufgeregt. »Oder er hält Jutta dort gefangen, weil sie ihn verlassen wollte! Bestimmt hat er den Raum schalldicht gemacht, und sie ist dort an ein schmiedeeisernes Bettgestell gekettet. Ihre Kleider bestehen nur noch aus Fetzen ... verzweifelt ruft sie um Hilfe, aber niemand kann sie hören ...«

»Du guckst eindeutig zu viele schlechte Pornos«, fiel ich ihm ins Wort, bevor seine schmuddeligen Fantasien noch weiter ausufern konnten. »Aber pass auf: Wenn ich Jutta wirklich im Keller finden sollte, gebe ich dir einen aus.«

»Du gehst kein Risiko ein, Loretta, hörst du?«, sagte Erwin streng. »Wenn die Türen abgeschlossen sind, machst du keinen Unsinn. Das verbiete ich dir.«

»Das allergrößte Risiko bin ich bereits eingegangen«, erwiderte ich mit einem Seufzen.

Erwin sah mich alarmiert an. »Und das wäre?«

»Ich gebe vor, putzen zu können. Wisst ihr, das ist eine echte Wissenschaft. Ich habe zu Hause nur ein Mittel, mit dem ich alles irgendwie sauber kriege. Außerdem ist meine Toleranzgrenze ziemlich hoch, schon allein wegen Baghira. Irgendwo liegen immer Krümel von Katzenstreu rum oder kleben irgendwelche seiner Haare, das stört mich nicht weiter. Oder ob nach dem Putzen noch ein paar Streifen auf dem Fenster sind. Damit werde ich bei Gerhard Dengelmann nicht durchkommen. Seine Spießerbude ist so sauber, dass ich nicht einmal weiß, was ich dort überhaupt putzen soll.«

Erwin lachte dröhnend. »Na, dazu könnte mein Täubchen dir einiges erzählen. Schwämme und Lappen unterschiedlicher Farbe für verschiedene Bereiche, mindestens acht Sorten Putzmittel, außerdem kennt sie Dutzende Tricks. Zum Beispiel, wie man diese Streifen auf Fensterscheiben todsicher verhindert.«

Ich krallte mich in Erwins Arm. »Das ist meine Rettung! Sie muss mir alles beibringen! Sonst fliege ich bei Dengelmann raus, bevor ich auch nur das Geringste herausfinden konnte! Der durchschaut mich doch sofort, wenn seine Jutta so ein Putzteufel war. Und außerdem wissen wir von der Berger, dass er seine Putzfrauen offenbar so penibel kontrolliert, dass alle bisherigen das Weite gesucht haben. Jungs – ohne Täubchens Hilfe habe ich nicht die geringste Chance, das ist euch hoffentlich klar.«

Erwin und ich sahen Dennis eindringlich an, und der kapierte ausnahmsweise mal sofort. »Alles klar, ich habe verstanden. Hier bin ich gefragt, kein Problem. Morgen bekommt Doris von mir einen Tag Urlaub. Bezahlten Urlaub natürlich. Dafür schult sie dich im Putzen, Loretta. Wär doch gelacht, wenn wir diesen Dengelmann nicht überzeugen könnten.« Er schnappte meinen Blick auf und fügte eilig hinzu: »Wenn du ihn nicht überzeugen könntest, meine ich.«

Na also.

Kapitel 6

Loretta lernt mehr übers Putzen, als sie jemals wollte, und schreibt zur Sicherheit alles auf – aber nicht etwa, weil sie schon immer eine Putzbibel hätte haben wollen

»Jetzt wird erst mal ordentlich gefrühstückt«, sagte Doris resolut, als ich am nächsten Morgen bei ihr eintraf. »Danke übrigens für den freien Tag.«

»Bedank dich bei Dennis«, sagte ich und pellte mich aus meiner Winterjacke. »Er ist der Boss. Und so richtig frei ist der Tag ja nun wirklich nicht.«

In weiser Voraussicht hatte ich mich zu Hause auf ein Tässchen Espresso zur frühmorgendlichen Lektüre der Tageszeitung beschränkt – schließlich kannte ich meine Pappenheimer. Doris hätte es mir niemals verziehen, wenn ich mit vollem Magen bei ihr aufgekreuzt wäre.

Sie fuhrwerkte am Backofen herum, in dem ein halbes Dutzend Aufback-Brötchen ihrer perfekten Bräunung und Knusprigkeit entgegensahen. Das summende Umluftgebläse murmelte die Begleitmelodie dazu, während das Küchenradio leise dudelte.

»Setz dich, Schätzchen. Die Brötchen brauchen noch eine Minute.«

»Wo ist Erwin?«, fragte ich. Nur zwei Gedecke, nur lächerliche sechs Brötchen – ganz eindeutig war Erwin außer Haus.

»Im Büro«, erwiderte sie und gab mir einen Klaps auf die Hand, da ich mir eine Scheibe Salami vom hübsch angerichteten und mit Gürkchen dekorierten Wurstangebot klauen wollte. »Er hat doch gleich einen Termin mit dieser Frau ... wieheißtsienochgleich ...«

»Du meinst Frau Berger«, soufflierte ich.

»Genau. Die Frau, die denkt, dass ihr Nachbar seine Frau abgemurkst hat.«

So viel also zu unserem pompösen Privatdetektiv-Ehrenwort, unsere Klienten und ihre Informationen vertraulich zu behandeln.

»Und bei diesem Herrn Dengelmann sollst du jetzt als Putzfrau eingeschleust werden?«, fuhr sie fort und schenkte Kaffee ein. Dann holte sie die Brötchen aus dem Backofen und brachte sie in einem Körbchen mit zum Tisch.

Bevor sie sich setzte, murmelte sie: »Hab ich irgendwas vergessen?«, und scannte mit geübtem Blick das üppige Nahrungsgebot. Dann erst nahm sie mir gegenüber Platz.

»Na ja, eigentlich bin ich ja schon eingeschleust«, erwiderte ich. »Ich hatte gestern mein Vorstellungsgespräch, und ich hab den Job. Deshalb bin ich ja jetzt hier. Der Typ ist als Kontrollfreak bekannt. Angeblich hat er in den letzten drei Wochen bereits vier Putzhilfen verschlissen, und ich könnte ratzfatz die Nummer fünf werden. Meine Fähigkeiten auf diesem Gebiet würde ich, vorsichtig formuliert, als eher unterentwickelt bezeichnen; da gibt es nichts zu beschönigen. Meine Wohnung kennst du ja.«

»Na, na, na. Sei mal nicht so streng mit dir«, brummte sie mütterlich, während sie konzentriert die Konsistenz ihres Frühstückseis prüfte und dann zufrieden nickte.

»Bin ich nicht. Für meine Bedürfnisse und vermutlich für jeden anderen Menschen, der keinen Sauberkeitsfetisch hat, reichen sie vollkommen aus, finde ich. Aber ganz bestimmt nicht für Gerhard Dengelmann.«

»Musst du eigentlich dein eigenes Equipment mitbringen?«, fragte sie.

Klock. Das Brötchen, das ich gerade hatte aufschneiden wollen, kollerte über den Tisch, denn ich hatte es vor Schreck fallen lassen.

»Wie bitte?«, fragte ich, atemlos vor Entsetzen. »Mein eigenes Equipment? Gibt es das, dass Putzfrauen ihr eigenes Zeug mitbringen?«

»Sicher gibt es das. Wenn du diesen Service richtig professionell anbietest, hast du natürlich eine eigene Ausrüstung.«

»Jesses. Mach mich nicht schwach. Ob er das etwa von mir erwartet?«

»Glaub ich nicht, wenn er nix davon gesagt hat. Wenn er so ein Kontrolltyp ist, will er vielleicht gar nicht, dass du ihm was in die Wohnung schleppst.«

»Nachdem ich gestern seine Wohnung gesehen habe, ist mir sowieso völlig schleierhaft, was ich da überhaupt machen soll! Ich kann mir kaum vorstellen, dass er heute eine Party plant, nach der seine Bude morgen aussehen wird wie ein Schlachtfeld.«

»Echten Fanatikern reicht die Vorstellung, dass sie draußen vor der Tür waren und dann Straßenschmutz reingetragen haben«, entgegnete sie. »Außerdem geht es bei deinem Auftrag doch wohl eher darum, Hinweise auf den Verbleib seiner unter mysteriösen Umständen verschwundenen Gattin zu finden, oder?«

»Angeblich unter mysteriösen Umständen verschwunden«, sagte ich. »Kann genauso gut sein, dass die gute Frau Berger viel zu viel Tagesfreizeit hat und deshalb auf dumme Gedanken gekommen ist. Dieses Phänomen soll ja öfter mal auftreten. Frag deinen Erwin mal danach, wie viele Wirrköpfe ihm in seiner Karriere als Polizist begegnet sind, die sich irgendeinen hirnrissigen Blödsinn über ihre Nachbarn zusammenfantasiert haben.«

Doris sah mich erstaunt an. »Machte sie auf dich denn den Eindruck, als wäre sie nicht ganz klar im Oberstübchen? Erwin hat nichts davon gesagt.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist eine gut gekleidete, biedere ältere Dame. Ihre aufrichtige Sorge um ihre Freundin habe ich ihr abgenommen. Aber was bedeutet das schon? Heißt es nicht, Psychopathen seien die besten Schauspieler?«

 

»Du denkst, sie ist eine Psychopathin?«

»Nee, natürlich nicht. Noch denke ich überhaupt nichts. Gerhard Dengelmann hat auch nicht gerade Killer auf der Stirn stehen, weißt du? Das haben Mörder sowieso ziemlich selten, habe ich mir sagen lassen. Zum großen Bedauern der ermittelnden Behörden, übrigens.«

Doris und ich kicherten eine Runde, dann fuhr ich fort: »Aber zurück zum eigentlichen Thema. Um überhaupt in die Situation zu kommen, irgendwas herauszufinden, muss ich länger als eine Stunde beim guten Gerhard beschäftigt bleiben, richtig? Also muss ich es zumindest schaffen, den Eindruck zu erwecken, als verstünde ich etwas vom Putzhandwerk. So ’n bissken Haushalts-Wischiwaschi reicht da nicht. Also werde ich mit Schlauschwätzerei nicht durchkommen und muss Taten folgen lassen. Sprich: streifenfreie, blitzeblanke Fenster, zum Beispiel. Oder die rückstandslose Entfernung von Kalkablagerungen an Badezimmerarmaturen, und was da sonst noch so an heimtückischen Angriffen auf klinische Reinheit lauern könnte. Bitte – du musst mir helfen.«

Ich blickte Doris flehend an, und sie grinste.

»Alles zu seiner Zeit. Jetzt wird erst mal ordentlich gefrühstückt.«

Mit allzu vollem Magen lässt es sich nicht unbedingt leicht putzen, wie ich dann rasch feststellen musste, als es schließlich losging. Erwin hatte nicht zu viel versprochen: Doris präsentierte mir Schwämme und Lappen in so ziemlich jeder Farbe des Regenbogens, die sämtlich eine ganz bestimmte Aufgabe und natürlich im Bad einen eigenen Schrank hatten.

»Fangen wir hiermit an«, dozierte sie und deutete auf diverse Schwämme beziehungsweise Lappen im Farbspektrum zwischen Grün und Blau, »im Bad ist die Hygiene ganz besonders wichtig. Ich halte es so: Dunkelgrün: Toilette, und zwar ausschließlich die Toilette – von außen, versteht sich. Hellgrün: Waschbecken und Wanne. Hellblau: Spiegel und Armaturen. Dunkelblau: Fliesen.«

»Warum ausgerechnet diese Farben?«, fragte ich.

»Irgendwelche musste ich ja nehmen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Irgendwie gehören die farblich ja auch zusammen. Und wenn du über Jahrzehnte mit diesem System arbeitest, denkst du überhaupt nicht mehr darüber nach. Stell dir vor, du hättest kein System dafür. Dann stehst du da und weißt nicht mehr, mit welchem Lappen du die Pipispritzer weggewischt hast, und putzt damit das Waschbecken. Schon hast du die Keime verbreitet. Und der Nächste, der das Bad benutzt, stützt sich am Waschbeckenrand ab und wischt sich dann mit den verkeimten Händen über den Mund …«

»Hör auf!«, kreischte ich angeekelt. »Das ist ja widerlich! Gerade noch dachte ich, du übertreibst mit deiner merkwürdigen Regenbogenkollektion aus Putzlappen, aber so …«

Sie nickte. »Siehste. Natürlich koche ich die Lappen zusätzlich regelmäßig aus. Und ich putze grundsätzlich mit Handschuhen. Wenn du keine Gummihandschuhe magst: Diese Einwegdinger eignen sich hervorragend, und zwar aus zwei Gründen. Erstens bleiben deine Hände sauber und ebenfalls keimfrei. Denn vergiss nicht: Wenn du einen verkeimten Schwamm in der Hand hattest und dann in dein Gesicht … «

»Schon gut! Ich habe verstanden!«, keifte ich und stöhnte. »Und zweitens?«

»Deine Haut quillt nicht so auf. Außerdem sind manche Putzmittel ziemlich aggressiv, und falls du empfindlich bist, empfehlen sich Handschuhe ohnehin als Schutz. Dein Herr Dengelmann macht mir den Eindruck, als müsstest du dort schwere Geschütze auffahren. Also Mittel benutzen, die schön ätzend nach Säure stinken. Die riechen, als könnte man damit auch Wälder entlauben.«

»Großer Gott, das klingt ja gruselig. Sind die gefährlich?«, wisperte ich eingeschüchtert.

»Na ja, du solltest sie vielleicht nicht unbedingt trinken, manche enthalten tatsächlich Salzsäure. Oder zu viel davon in einem kleinen, ungelüfteten Raum benutzen. Dann kann dir von den aufsteigenden Dämpfen durchaus schwummerig werden.«

Himmel – worauf hatte ich mich da eingelassen? Dengelmann machte mir keine Angst, aber ich begann, die Putzmittel zu fürchten, die man offensichtlich auch als Chemiewaffen einsetzen konnte.

Wir verließen das Bad und begaben uns zu meinem ersten Praxistest. Ich bekam von Doris die Aufgabe, das Küchenfenster zu putzen. Tapfer machte ich mich ans Werk und sah schon an ihrem kritischen Blick, dass ich mich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Ich mühte mich redlich ab, aber als wir das Fenster schlossen, präsentierte die unbarmherzige, tiefstehende Novembersonne ein hübsches Muster aus Putzstreifen.

Damit würde ich bei Dengelmann niemals durchkommen, und auch Doris runzelte die Stirn.

»Guck mir zu«, sagte sie, öffnete das Fenster wieder und griff zu einem Schwamm. Rasch wischte sie über die Scheibe, während sie dozierte: »Ein streifenfreies Fenster ist eigentlich keine Zauberei. Wichtig ist, dass du in der richtigen Reihenfolge und vor allem zügig arbeitest. Du nimmst zunächst einen Schwamm und seifst erst die Scheibe, dann den Rahmen ein. Am besten dafür geeignet ist ein leicht fettlösliches Mittel; ein Spritzer Spülmittel im Wasser tut es auch.«

»Und was ist mit Glasreinigungsspray?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf, warf den Schwamm zurück in den Eimer mit Putzwasser und griff zu einem lederartigen Lappen. »Um mal eben einen Spiegel zu reinigen – okay. Aber nicht für verschmutzte Fenster. Diese Sprays verursachen Streifen eher, als dass sie welche verhindern würden.« Wieder machte sie sich über die Scheibe her. »Okay, weiter. Nach dem ersten Schritt trocknest du das Glas und die Innenseiten des Rahmens mit einem Kunstlederlappen wie diesem hier; die Scheibe muss aber leicht feucht bleiben.« Sie legte den Lappen beiseite und nahm ein weiches Tuch zur Hand. »Dann geht es mit einem Mikrofasertuch oder einem Abzieher weiter. Für Ungeübte ist die Arbeit mit einem Abzieher nicht ganz einfach, aber das können wir trainieren, wenn du willst.«

Wollte ich das? Ich war mir nicht sicher.

Aber ich musste wohl.

»Auf jeden Fall muss ich mir gleich noch alles aufschreiben, was du hier erzählst«, sagte ich. »Das lese ich mir dann heute Abend noch einmal durch.«

Kichernd trocknete sie die Scheibe mit energischen Schwüngen des Lappens. »Die Streifen entstehen, wenn du zu langsam bist, verstehst du? Zur Sicherheit kannst du mit einem zweiten, trockenen Tuch noch einmal hinterhergehen. Wichtig ist aber, dass das Tuch noch nie gewaschen wurde, denn danach kann es auf dem Fenster Fusseln hinterlassen.«

»Na toll. Und wie viele von diesen Lappen gehen dabei drauf, bis du alle Fenster durchhast? Jedes Mal ein fabrikneuer, trockener Lappen? Scheint mir vom Wareneinsatz her reichlich übertrieben.«

»Und genau deshalb kannst du dafür auch das gute, alte Zeitungspapier nehmen. Wie gesagt: Wichtig ist, dass du die Schritte vor dem Polieren in der richtigen Reihenfolge und zügig erledigst. Noch ein Tipp: Wenn dir beim Blumengießen Wassertropfen auf die Scheibe geraten, mach sie sofort weg. Das kann üble Kalkflecken geben. Apropos Kalkflecken …«

Sie ging zurück ins Band, und ich trottete brav hinterher.

»Ich habe extra gestern nicht die Armaturen geputzt«, sagte sie und öffnete erneut den Lappenschrank, in dem auch die diversen Putzmittel aufbewahrt wurden. »Das wirst du jetzt erledigen. Nur zu.«

Zögernd griff ich nach dem hellgrünen Lappen, aber sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. Aha – falsch. Huch, das war doch wohl nicht der Pipilappen? Was hatte sie noch gesagt, welche Farbe für die Armaturen reserviert war? Ich grübelte, dann fiel es mir ein: Hellblau. Ich holte den Lappen heraus und sah sie abwartend an.

Doris nickte. »Sehr gut. Hellblau ist richtig. Jetzt weiter: Welches Mittel benutzt du?«

Die Flaschenbatterie war beeindruckend, die Etiketten schwungvoll und grellfarben beschriftet. Ich deutete auf eine Sprühflasche, und Doris hob die Hand.

»Falsch. Zu aggressiv. Dieses Mittel enthält Chlorbleichlauge. Wenn du ein Spray benutzt, dann darfst du es nicht direkt auf die Armatur sprühen.«

»Warum nicht? Wie soll ich es denn sonst machen?«

»Du sprühst es auf den Lappen, den du benutzt, ganz einfach. Der Grund dafür ist, dass der feine Sprühnebel in die Ritzen und Öffnungen der Armatur gelangen und dort großen Schaden anrichten könnte.«

Darauf wäre ich nun wirklich in tausend kalten Wintern nicht gekommen. Meine Billig-Armatur zu Hause schien da nicht so empfindlich zu sein: Ich benutzte so ein Sprühzeugs, das ich gerne stundenlang einwirken ließ – beziehungsweise nach dem Aufsprühen vergaß und mich dann später wunderte, was zum Henker da an meinem Wasserhahn klebte.

Sie reichte mir eine Flasche, auf deren Etikett was von ›Power‹ und von ›multi-aktiv‹ stand. »Das Allerbeste ist sowieso, die Armaturen nach jedem Benutzen kurz mit einem weichen Lappen zu trocknen, dann können die Wassertropfen erst gar keine Kalkablagerungen bilden.«

»Man kann auch übertreiben«, murmelte ich und sprühte ein wenig von dem antiseptisch riechenden Zeug auf meinen Lappen. »Ich sehe hier keine Ablagerungen, aber das nur nebenbei.«

Doris grinste. »Natürlich nicht. Ich mache das schließlich regelmäßig. Und bei Herrn Dengelmann wird es ähnlich sein, wenn seine Frau jahrelang dafür gesorgt hat. Aber es geht auch nicht darum, dass du schmutztechnisch herausgefordert sein wirst. Du sollst ja nicht ein Haus wieder bewohnbar machen, in dem jahrelang Messies gehaust haben und in dem überall zentimeterdicker Siff klebt. Du willst den hohen Standard in einer gepflegten Wohnung erhalten, Loretta. Und zwar unter den Augen eines überaus kritischen Auftraggebers, aber das dürfte locker zu schaffen sein. Und jetzt ab an die Armaturen, Frollein.«

Tatsächlich erledigte ich die Aufgabe zu ihrer vollsten Zufriedenheit, und ich freute mich wie eine Grundschülerin, die zum allerersten Mal ein fehlerfreies Diktat geschrieben hatte.

Weiter ging es von Raum zu Raum, und ich erhielt von ihr fabulöse Tipps zur fachgerechten Pflege und Reinigung von Fußböden, Lichtschaltern und empfindlichen Oberflächen aus Holz.

Den Außenbereich schenkten wir uns, denn ich ging nicht davon aus, dass ich bis zur Eröffnung der nächsten Balkonsaison im Frühjahr bei Dengelmann beschäftigt sein würde. Aber ich war sicher, dass ich von Doris auch alles über die Reinigung von Verandamöbeln und Steinfliesen sowie darüber erfahren könnte, wie man lästige Moosbildung verhinderte.

Nun, beim nächsten Mal vielleicht.

»Mir schwirrt der Kopf«, sagte ich schließlich, »da passt nix mehr rein.«

Mütterlich tätschelte sie mir den Arm. »Ich mach uns jetzt erst mal ein Käffchen und ein lecker Bütterken. Und danach schreiben wir dir alles auf.«

»Hier, Jungs: Das ist das Ergebnis der heutigen Unterrichtseinheit bei Doris«, sagte ich und knallte meine persönliche Putzbibel auf den Tisch im Detektivbüro.

Dennis schnappte sich das Schulheft und blätterte es sichtlich beeindruckt durch. »Nicht schlecht. Und damit willst du Gerhard Dengelmann aus den Klotschen hauen, nehme ich mal an.«

Ich holte mir ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank und ließ mich in einen Sessel fallen. »Mir reicht schon, wenn er mich nicht gleich wieder entlässt, weil ich für seinen ollen Kacheltisch in seinem blöden Wohnzimmer das falsche Mittel benutzt und das potthässliche Ding ruiniert habe.«

»Schönen Gruß von Frau Berger«, sagte Erwin und setzte sich zu mir. »Sie ist begeistert, dass es mit dem Job bei Dengelmann geklappt hat. Sie hat dich gestern gesehen, als du den Termin mit ihm hattest.«

Natürlich hatte sie das – schließlich hatte ich ihren neugierigen Blick durch den Türspion beinahe körperlich gespürt. Sollte sie, mich störte es nicht weiter.

»Hatte sie noch irgendwelche Informationen zu bieten, die für mich relevant sein könnten?«, fragte ich.

Erwin schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist noch immer felsenfest davon überzeugt, dass ihre Freundin Jutta nicht freiwillig verschwunden ist.«

»Und wenn sie eine total verrückte Spinnerin ist, die sich einfach dadurch ein wenig Würze in ihr ödes Leben holt, dass sie ihren Nachbarn durch uns ausspionieren lässt?« Ich zuckte mit den Achseln. »Könnte doch sein, oder?«

»Alles Mögliche könnte sein«, erwiderte Erwin. »Das wissen wir doch.«

Wie recht er hatte. Vor allem könnte es sein, dass ich morgen bei meiner ersten Putzschicht nichts mehr von dem wusste, was Doris mir erzählt hatte. Also war es Zeit, nach Hause zu gehen und den Unterrichtsinhalt noch einmal sorgfältig durchzugehen. Das Gehörte nur aufzuschreiben und dann nicht mehr ins Heft zu gucken, brachte nichts, das wusste ich schließlich noch aus der Schule.

 

Weil ich noch ein so großes Lernpensum vor mir hatte, belohnte ich mich schon im Voraus mit einem Döner, was Baghira in einen wahren Freudentaumel versetzte. Tatsächlich schaffte er es sogar, mich beim Fressen seines Abendhappis nicht aus den Augen zu lassen: Er saß dabei neben seinem Schüsselchen, fixierte mich am Esstisch und angelte, ohne hinzusehen, mit der Kralle einzelne Stückchen aus seinem Fressen, die er sich dann geziert mit den Zähnen von der Pfote pickte. Doch, wirklich, das tat er – ich konnte es selbst kaum glauben.

Aus purer Gemeinheit ließ ich ihn noch ein wenig zappeln und gab vor, seine aufgeregte Ungeduld zu meinen Füßen nicht zu bemerken. Erst als er sich hochkant stellte, seine Vorderkrallen in meinen Oberschenkel grub und mich laut anschrie, knüllte ich die Alufolie, in die der Döner eingewickelt gewesen war, zu einem festen Ball zusammen und warf ihn durch die Küchentür hinaus in den Wohnungsflur. Blitzartig verwandelte sich mein sonst überaus träger Kater in ein pfeilschnelles Wesen, das plötzlich sechzehn Beine zu haben schien und den Ball mit der Virtuosität eines Fußballweltmeisters durch die Wohnung dribbelte.

Ich lauschte dem sich entfernenden Getöse einige Minuten lang, dann schlug ich mit einem Seufzen das Heft auf. Ich hatte mit mir selbst abgemacht, die honigtriefenden Baklava-Teilchen erst anzurühren, wenn ich mein Pensum mindestens einmal durchgearbeitet und einen kleinen Test geschrieben hatte.