Die Jutta saugt nicht mehr & Voll von der Rolle

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Kapitel 10

Was kocht man bei einem Dinner für zwei, das den oder die Bekochte nicht ins Schlafzimmer locken soll?

»Jetzt wird es aber absurd, oder?«, fragte Erwin, als ich meinen Bericht beendet hatte. »Ein Essen kochen für ein amouröses Dinner?«

Er wechselte einen Blick mit Dennis, der skeptisch murmelte: »Ich finde auch, das geht zu weit.«

Ich schüttelte den Kopf. »Auf einmal so besorgt, die Herren? Außerdem glaube ich nicht, dass dieses Essen einen amourösen Hintergrund hat. Eher im Gegenteil. Er hatte an der einen oder anderen Stelle seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Ich hatte zwischendurch den Eindruck, als handelte es sich bei diesem Essen eher um so etwas wie eine lästige Pflicht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht irre ich mich ja auch, und er lädt jetzt nach und nach alle Frauen von dieser Singleplattform ein, die es unter seine persönliche Top Ten geschafft haben. Und irgendwann, am Ende seines vermutlich komplizierten Auswahlverfahrens, darf eine der zehn die plötzlich frei gewordene Stelle seiner unbezahlten Haussklavin antreten.«

Ich fragte mich allerdings, wie er sie dazu kriegen wollte, bei ihm in der Wohnung ein Testputzen zu absolvieren. Ob er dann wohl Noten verteilte? Oder Putzlappen für die nächste Runde bei Germany’s Next Mrs Dengelmann? Und die Aussortierten bekamen zu hören: Tut mir leid, ich habe heute leider keinen Lappen für dich?

Ich kicherte in mich hinein.

»Und du willst das wirklich machen?«, fragte Dennis. »Also, wenn du das nicht willst, also, ich meine …«

»Klar will ich! Was glaubt ihr wohl, wie neugierig ich bin? Er hat mir sage und schreibe dreihundert Kröten in die Hand gedrückt, um dafür einzukaufen.«

Erwins Brauen verschwanden unter seinen Löckchen. »Nicht schlecht, der lässt sich ja wirklich nicht lumpen.«

»Siehst du? Noch ein Grund mehr, neugierig zu sein. Diese geheimnisvolle Dame will ich unbedingt sehen.«

»Was? Sollst du so lange bleiben?«

Ich grinste. »Ich werde schon dafür sorgen, dass meine Hilfe auch während des Essens benötigt wird, bevor ich mich dann diskret zurückziehe. Übrigens sollten wir Frau Berger nichts davon verraten.«

»Warum denn das?«, fragten meine Chefs synchron.

»Ich weiß nicht – ich kann sie noch nicht recht einschätzen. Ihr vielleicht? Keine Ahnung, wie durchgeknallt sie ist. Hinterher stürmt sie die Veranstaltung, wenn sie davon weiß. Oder randaliert im Hausflur. Stellt euch das mal vor! Bleiben Sie nicht mit diesem Mann allein! Vertrauen Sie ihm nicht! Er hat seine Frau ermordet!« Ich schüttelte mich. »Brrrr, gruselig. Und wer muss dann die Männer mit den weißen Jacken holen? Ich.«

Erwin und Dennis kriegten sich kaum ein vor Lachen. Als Erwin sich beruhigt hatte, sagte er: »Vielleicht hast du sogar recht. Unser Auftrag besteht darin, herauszufinden, ob er etwas mit dem Verschwinden seiner Gattin zu tun haben könnte. Es ist nicht unsere Aufgabe, sie über jedes Detail seines Intimlebens zu informieren.«

»Eben. Das geht nur uns etwas an.«

Grinsend schüttelte Erwin den Kopf. »Keineswegs, meine liebe Loretta. Auch uns geht sein Intimleben nicht das Geringste an. Aber nun ist es einmal Fakt, dass er dich praktisch dazu eingeladen hat. Ist ja nicht so, als würden wir heimlich hinterm Haus in einem Gebüsch hocken und ein Richtmikrofon einsetzen, um herauszufinden, was er am Samstagabend so treibt.«

Abwehrend hob ich beide Hände. »Was er oder wie er es treibt, will ich auf keinen Fall wissen, meine Herren, das ginge zu weit. Aber ob und wie er den Ersatz für seine Jutta umgarnt – das interessiert mich brennend.«

»Was willst du denn für ihn und seine Auserwählte kochen? Schon eine Idee?«, fragte Erwin. »Hat er Vorgaben gemacht, was du berücksichtigen musst? Irgendwelche Unverträglichkeiten oder dergleichen?«

»Nee. Ich gehe mal davon aus, dass sein Gast keine Vegetarierin oder Veganerin ist; zumindest hat er nichts davon gesagt, dass ich diese Eventualität einkalkulieren soll. Von irgendwelchen Allergien oder Intoleranzen weiß ich auch nichts.« Ich stieß ein genervtes Schnauben aus. »Herrje, jetzt hast du mir einen Floh ins Ohr gesetzt, vielen Dank auch, Erwin. Kommt es nur mir so vor, als würde die Frage, was auf den Tisch kommt, in letzter Zeit immer komplizierter, und zwar inflationär? Laktose-Intoleranz, glutenfreies Zeugs, Ovo-Lakto-Vegetabile, militante Veganer – ätzend! Früher wurde ein Braten auf den Tisch gestellt, und jeder hat ihn gegessen. Heutzutage wird von dir erwartet, dass du als gute Gastgeberin für jede Variante möglicher Mäkeleien gerüstet bist und Alternativen in der Hinterhand hast.«

»Erstens: Du bist nicht die Gastgeberin«, sagte Erwin. »Wenn du etwas servierst, das die Dame nicht mag oder verträgt, ist Dengelmann der Arsch, weil er die Auswahl des Menüs dir überlassen hat. Und weil er sich bei der Dame nicht vorher danach erkundigt hat, aber das nur nebenbei. Zweitens: Es ist nicht deine Aufgabe, dir über zig Eventualitäten den Kopf zu zerbrechen, und zwar aus den eben bereits genannten Gründen.«

Na, dann war ja alles in Butter.

Zu Hause ging ich erst einmal unter die Dusche. Nicht nur, dass mich das ungewohnte Putzpensum ordentlich ins Schwitzen gebracht hatte – ich fühlte darüber hinaus das dringende Bedürfnis, mir diesen Hausfrau-Uschi-Moment abzuwaschen, der noch immer zäh wie Tapetenkleister in meinem Hirn klebte und einfach nicht verschwinden wollte.

Natürlich war das Duschbad in dieser Sache eine reine Übersprungshandlung, aber so konnte ich mich wenigstens äußerlich von dieser unangenehmen Fantasie reinigen. Die Vorstellung, dass meine Beschäftigung bei Dengelmann durch diese Wahnvorstellung auch nur den Hauch des Sexuellen bekam, war mir einfach zu schräg.

Nein, falsch: Es war mir zutiefst zuwider.

Als ich später mit einem Espresso am Küchentisch saß und per Laptop das Internet nach Rezeptvorschlägen für ein Drei-Gänge-Menü durchforstete, überfiel mich plötzlich schmerzhafte Sehnsucht nach Pascal. Ich wählte seine Nummer, und er ging tatsächlich ans Telefon.

»Wie geht es meiner Liebsten?«, fragte er fröhlich.

»Sie vermisst dich«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Was machst du so?«

Begeistert erzählte er von seinem Tag, wie viel Spaß die Arbeit ihm mache und wie nett die Kollegen seien.

»Freut mich«, sagte ich. »Es ist also so toll, wie du es dir erhofft hast?«

Ich spürte sein Strahlen selbst durch den Hörer. »Noch besser, Loretta. Ich komme mir vor wie in einem Traum. So könnte es ewig weitergeh…«

Er stockte, weil ihm klar wurde, was er da gesagt hatte.

»Um Himmels willen, Loretta«, sagte er hastig in mein betroffenes Schweigen hinein, »so habe ich das nicht gemeint, versteh mich bitte nicht falsch. Wirklich, ich vermisse dich schrecklich.«

Aber du hast jede Menge Ablenkung, dachte ich und zwang mich zu einem munteren Tonfall. »Unsinn, Schatz, alles ist bestens. Ich verstehe dich doch! Mach dir keinen Kopf um mich. Alle Freunde sind um mich herum.«

Seine Erleichterung war ihm anzuhören, als er sagte: »Das weiß ich doch. Und was ist bei dir sonst so los?«

Eigentlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit gewesen, ihm vom Dengelmann-Auftrag zu erzählen. Das hatte ich noch nicht getan. Und von dem Uschi-Moment, denn mit ihm zusammen hätte ich bestimmt sogar darüber lachen können.

Aber dazu war mir die Lust vergangen. »Alles wie immer, nichts Besonderes. Das gewohnte, langweilige Loretta-Leben.«

Pascal lachte leise. »Dein Leben ist alles andere als langweilig, das weißt du selbst am allerbesten. Sollte etwa kein Mord in Sicht sein?«

»Mal den Teufel nicht an die Wand. Ich kann sehr gut ohne leben. Von der Aufregung habe ich erst einmal die Nase voll.«

»Und wie geht es Baghira?«

Unwillkürlich blickte ich hoch zum Krähennest: Lediglich die Ohrenspitzen des Katers waren zu sehen. »Dem geht es prima. Frisst, scheißt, schläft. Was ein verwöhnter Hauskater den lieben Tag lang so zu tun pflegt.«

Pascal seufzte. »Ich wünschte, ich könnte mich mal eben von Scotty zu euch beamen lassen, aber …«

Irgendjemand im Hintergrund rief seinen Namen, und er fügte hinzu: »Ich muss los, Süße, ich werde gebraucht. Bis bald, ich liebe dich.«

»Ich dich auch«, erwiderte ich, aber er hatte bereits aufgelegt.

Ich warf das Telefon auf den Tisch und starrte es böse an, als wäre es schuld daran, dass mein Gespräch mit Pascal mir die Laune verdorben hatte. Mich nervte, dass er Spaß hatte und mich nicht so vermisste wie ich ihn.

Ja, du wirst gebraucht, dachte ich, und zwar hier, von deiner Freundin.

Das war unfair, ich weiß, aber ich wollte jetzt sauer sein. Er hatte gut lachen, der Blödmann. Er erlebte gerade ein Abenteuer, traf täglich neue Menschen, stand täglich vor neuen Herausforderungen, machte coole Sachen … und ich? Musste mir ein verfluchtes Menü für einen Spießer ausdenken, der irgendeine langweilige Else betören wollte.

Ich wandte mich wieder der Rezeptsuche zu. Dutzende Internet-Communitys ambitionierter Hobbyköche überboten sich gegenseitig mit Vorschlägen für Zwei-Personen-Dinner, die aber alle einen irgendwie schlüpfrigen Subtext zu haben schienen. Ich fand nur Vorschläge wie Valentinstag-Dinner für Liebende oder Anregendes Dinner für zwei oder Candle-Light-Dinner für zwei … also wirklich: Konnten zwei Menschen nicht ganz normal miteinander essen, ohne dass gleich eine Rosenblätter- und Teelichtspur direkt ins Schlafzimmer führte?

Und überhaupt: Was sprach eigentlich gegen Bockwurst und Kartoffelsalat?

Was in Tausenden deutschen Haushalten gut genug für Heiligabend war, konnte für Herrn Dengelmann ja wohl nicht schlecht sein, oder? Oder sollte ich einfach das Menü kochen, das ich damals als Kandidatin für Einer gibt den Löffel ab! meinen Gästen serviert hatte? Kartoffelcremesuppe mit gebratenen Garnelen als Vorspeise, Lammbratlinge mit Wirsingspalten an Gorgonzolasoße als Hauptspeise und zu guter Letzt gab es ein Trifle mit Erdbeeren. Immerhin hatte ich dreißig Punkte dafür eingeheimst, genauso viele wie Frank, der ebenfalls an dieser Kochshow teilgenommen hatte.

 

Andererseits gehörte Lamm zu den Dingen, die nicht bei jedem Essensgast Jubel auslösten. Waaaas? Ich esse doch kein süßes kleines Lämmchen … wahlweise Kälbchen, Ferkelchen und dergleichen gerade der Kinderkrippe entstiegenes Getier.

Aber Baby-Ananas essen, das konnten sie, diese Heuchler.

Vielleicht sollte ich Frank um Rat fragen? Trotz seiner heißen Liebe zu Deftigem aus den Imbissbuden des Ruhrpotts war er ein exzellenter Koch, wie er nicht nur bei der Kochshow eindrucksvoll bewiesen hatte. Ich sah auf die Uhr, es war kurz vor drei. Konnte gut sein, dass er schon Feierabend hatte.

Zehn Minuten später stand ich am Herd und köchelte eine Tomatensoße, denn Frank war auf dem Weg zu mir. Wie ich es geahnt hatte, war die Formulierung ›ich brauche deinen Rat‹ für ihn unwiderstehlich. Auch bei der Aussicht, bei mir einen – oder zwei – Teller Spaghetti mit leckerer Tomatensoße und großzügiger Parmesanberieselung abzugreifen, konnte er unmöglich Nein sagen.

Das Nudelwasser kochte bereits, als er klingelte. Ich ließ ihn herein und flitzte zurück in die Küche, um die Spaghetti in den Topf zu geben.

Frank war mir gefolgt und guckte mir über die Schulter. »Ah, du nimms diese superdünnen Spaghettis. Lecker.«

»Ja, die brauchen nur vier Minuten. Geht ratzfatz.«

Ich verkniff mir, ihn zu verbessern. Er sagte grundsätzlich Tortellinis und Zutschinis oder auch Expresso und Krossong, aber ich verschonte ihn mit meiner sonst üblichen Klugscheißerei und unterließ es, ihn zu korrigieren. Frank durfte das.

»Hände waschen, hinsetzen«, kommandierte ich.

Wenige Minuten später saßen wir am Tisch. Er mochte einiges falsch aussprechen, beherrschte aber die korrekte Art, Spaghetti zu essen: Nicht mit Gabel in der rechten und Löffel in der linken Hand wie die meisten, sondern nur mit der Gabel in der rechten, wie Italiener es praktizierten.

Nachdem er mit beinahe heiliger Konzentration zwei Portionen verputzt hatte, schob er den Teller weg und lehnte sich zurück. »Boah, Loretta, dat war gut. Tomatensoße hasse echt drauf, dat muss man dir lassen. Du brauchs meinen Rat, hasse gesacht. Also, worum geht et?«

»Ich muss ein Dinner für zwei Personen kochen und habe null Ideen.«

»Wat? Kommt der Pascal schon nach Hause?«, fragte er verblüfft.

Ich schüttelte den Kopf. »Nicht für Pascal und mich.«

»Wat? Für wen denn dann? Wer is der Kerl?«

Ich verdrehte die Augen. »Hör doch zu, du Honk. Nicht für Pascal und mich, habe ich gesagt. Also weder für Pascal noch für mich.«

»Weißte, Loretta, für solche sprachlichen Nickelichkeiten fehlt mir die Antenne. Also: Für wen is dat Dinner? Und wieso muss du dat kochen?«

Ich erklärte ihm also, worum es ging, und seine Augen wurden riesig und kugelrund.

»Has du ’n Ei am Wandern?«, blökte er dann. »Du willz für den Mörder und sein nächstet Opfer kochen?«

»Ich dachte, das hätten wir geklärt. War es nicht erst gestern? Dass der Mann etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hat, ist vielleicht nur ein Hirngespinst seiner Nachbarin. Ich habe noch keinerlei Anzeichen dafür gefunden, dass Jutta Dengelmann unfreiwillig aus dem Leben ihres Gatten geschieden ist. Dass die Nachbarin nicht weiß, wo diese Jutta sich zurzeit aufhält, ist kein Beweis für ein Verbrechen.«

»Was sacht dieser Typ denn dazu?«

»Wozu?«

»Na, wo seine Olle is.«

»Danach kann ich ihn ja wohl schlecht fragen.«

Frank runzelte die Stirn. »Wieso dat denn nich?«

»Weil ich nur seine Putze bin. Ich weiß doch offiziell gar nichts davon, dass es mal eine Ehefrau gab, also kann ich ihn auch nicht nach ihrem Verbleib fragen, richtig? In der Wohnung gibt es keinen einzigen Hinweis auf sie. Keine Klamotten, gar nichts.«

Sein Zeigefinger fuhr pfeilschnell auf mich zu. »Ha! Wenn dat nich verdächtich is!«

»Ist es nicht! Wenn Pascal mich von einem Tag auf den anderen verlassen würde, wäre meine erste Besorgung riesige Müllsäcke, um seinen Krempel zu entsorgen!«, keifte ich erbost. »Alles weg, aber ganz zügig! Ich hätte doch keine Lust, ständig an ihn erinnert zu werden! Vielleicht ging dem Verschwinden der Frau ja eine lange Trennungsphase voraus, von der die Nachbarin nichts weiß! Vielleicht weiß dieser Mann ganz genau, wo sie gerade ist, und telefoniert jeden Tag mit ihr! Herrje, mach es doch nicht so kompliziert, Frank! Vielleicht ist alles vollkommen harmlos!«

»Und vielleicht hat der Papst ’n lustigen Hut auf«, brummte Frank.

»Nee, der hat sogar ganz bestimmt einen lustigen Hut auf!«, prustete ich.

Nachdem wir ausgekichert hatten, konnten wir uns endlich mit dem Wesentlichen beschäftigen: dem Menü für den nächsten Abend.

Wir besprachen diverse Optionen und verwarfen sie wieder, bis wir uns schließlich geeinigt hatten: Bei Dengelmann würde es als Vorspeise gebackene Feigen mit Ziegenfrischkäse, Honig und Thymian geben, als Hauptspeise Schweinefiletmedaillons mit Kräuternusskruste, Gewürzmöhrchen und Kartoffel-Selleriepüree und als krönenden Abschluss Schokocreme mit Zimtsahne und Himbeersoße.

Die Einkaufsliste war gefühlt achtzehn Kilometer lang. Zur Sicherheit würde ich nicht davon ausgehen, dass er irgendetwas im Haus hatte – nicht einmal Honig, Butter oder Alufolie.

Ein Satz im Rezept für den Nachtisch erheiterte mich sehr. Weil die Menge Schokocreme größer war als die vier Nocken, die gebraucht wurden, stand dort: Übrige Schokocreme am nächsten Tag essen.

Na, das wüsste ich aber.

Die übrige Schokocreme würde noch am selben Tag gegessen werden, und zwar von mir.

Kapitel 11

Loretta entscheidet, dass sie auch mal Nein sagen muss – und erlebt dann noch eine Überraschung, mit der sie im Leben nicht gerechnet hätte

Am nächsten Morgen ging ich als Erstes einkaufen, da die Schokocreme für vier Stunden in den Kühlschrank musste, um ihre optimale Konsistenz zu erreichen. Wenn ich also am späten Nachmittag zu Dengelmann wollte, war es opportun, den Tag um acht Uhr zu beginnen.

Angesichts meiner ellenlangen Liste begab ich mich also ins größte Hier-gibts-alles-Einkaufszentrum der Region, da ich keine Lust hatte, auch noch verschiedene Geschäfte anzusteuern, um alles Nötige zu bekommen. Gerade stand ich in der Abteilung für hübsch gedeckte Tische und sinnierte über die Farbe der Kerzen, als mir siedend heiß einfiel, dass ich nicht wusste, wie das zur Verfügung stehende Service aussah. Oder ob der Mann eine weiße Tischdecke hatte.

Kurz entschlossen rief ich ihn an.

»Dengelmann.«

»Guten Morgen, hier ist Loretta Luchs. Es geht um heute Abend.«

»Sie wollen doch nicht absagen?« Seine Stimme hatte einen leicht hysterischen Einschlag.

»Nein, keine Sorge. Es geht um … also, ich kaufe gerade ein und habe einige Fragen.«

»Ja?«

»Haben Sie eine weiße Tischdecke, Herr Dengelmann? Ich möchte doch den Tisch hübsch eindecken, deshalb muss ich das wissen. Haben Sie auch Stoffservietten? Oder reicht Papier? Und, ganz wichtig: Wie sieht Ihr Geschirr aus? Hat es ein Muster? Danach richtet sich nämlich die Farbe der Kerzen. Und der Blumen, falls ich welche besorgen soll.«

Fassungsloses Schweigen.

Ich wartete ein Weilchen, dann fragte ich: »Herr Dengelmann? Sind Sie noch dran?«

Konnte ja sein, dass er ohnmächtig geworden oder in einen Schockzustand gefallen war, man wusste ja nie.

»Ich ... äh ... ja, ich bin noch dran.« Ich hörte, wie er Schranktüren öffnete. Dann fuhr er fort: »Weiße Tischdecken habe ich. Und Stoffservietten ebenfalls. Geschirr …« Weitere Schranktüren wurden geöffnet. »Hier stehen mehrere. Weiß mit Goldrand, weiß mit Blümchenmuster und eins in so einem hellen Beige oder Elfenbein oder wie sich das nennt. Das hat am Rand so ein eckiges griechisches Muster, ebenfalls in Gold. Mäander. Wissen Sie, was ich meine?«

»Klar. Das nehmen wir. Ich gucke dann mal, was ich Passendes an Dekoration finden kann.«

»Keine Rosen«, sagte er hastig.

»Keine Rosen. Das hatten wir ja bereits besprochen. Alles wird schön, aber schön dezent. Stilvoll, ohne aufdringlich zu sein. Die Dame wird keine zweideutigen Botschaften herauslesen können, versprochen.«

»Das wäre mir auch sehr unangenehm«, murmelte er. »Wirklich, sehr unangenehm.«

Das hatte ich mittlerweile nun wirklich verstanden, auch ohne dass er es wieder und wieder betonte.

»Wollen Sie wissen, was ich kochen werde? Dann kann ich notfalls noch umschwenken, falls Ihnen eine Komponente nicht gefällt. Oder mehrere.«

Ja, er wollte, also erklärte ich ihm das geplante Menü.

»Das klingt sehr schmackhaft«, sagte er dann.

»Freut mich, dass es Ihnen zusagt. Zwei Dinge könnten kritisch werden: der Ziegenkäse und die Nusskruste. Nicht jeder mag Ziegenkäse, und falls die Dame eine Nussallergie hat, wird sie im schlimmsten Fall anschwellen wie ein Fesselballon und keine Luft mehr kriegen. Und dann ist der schöne Abend zu Ende, bevor er richtig begonnen hat. Eine Leiche zum Dessert, Sie wissen schon. Braucht ja kein Mensch.«

Ihm entfuhr ein kurzes Kichern, als würde ihm diese Vorstellung gefallen. »Ich mag Ziegenkäse. Und ich habe keine Nussallergie. Alles bestens, also.«

Die Vorlieben oder eventuellen gesundheitlichen Probleme der Dame waren ihm also so egal wie nur was.

Interessant.

»Ach, da fällt mir gerade noch etwas ein: die Getränke. Soll ich auch Getränke besorgen? Sekt oder so?«

»Nicht nötig«, erwiderte er. »Ich habe Wein im Haus. Ich bin ohnehin kein Freund von viel Alkohol. Eine Flasche Wein reicht vollkommen aus.«

Alles andere hätte mich jetzt auch echt gewundert.

Zu meiner größten Begeisterung entdeckte ich goldene Tortenspitze, die sich hervorragend zu Platzsets zweckentfremden lassen würde. Dazu kamen eine goldene Stumpenkerze und einige kleine Windlichter aus goldgemustertem Glas, in die man Teelichte stellen konnte. Ich hielt inne und dachte nach. Ich musste aufpassen, dass der Tisch nicht aussehen würde wie für eine goldene Hochzeit. Mir fiel ein, dass ich nicht nach dem Besteck gefragt hatte. Wie wirkte wohl silbernes Besteck zu dieser goldenen Opulenz? Kurz entschlossen packte ich noch eine silberne Kerze in den Korb, gefolgt von Windlichtern mit silbernem Muster, so konnte ich mischen, falls nötig. Ob er Serviettenringe hatte? Und wie sahen – falls vorhanden – die Ständer für die Blockkerzen aus?

Herrje, drehte ich jetzt durch?

Erneut hielt ich inne und atmete tief durch. Allmählich war es genug, entschied ich, und kehrte der Deko-Abteilung tapfer den Rücken zu.

Als Nächstes begab ich mich zu den Blumen und wurde schnell fündig: Ich entdeckte ein silbriges Gestrüpp in einem Blumentopf, das mich an Stacheldraht erinnerte – perfekt. Dazu kamen einige kleine gelbe Dahlien und ein Strauß Blümchen, die wie Kamille aussahen.

Danach arbeitete ich generalstabsmäßig die Lebensmittelliste ab, was sich relativ flott gestaltete. Bereits um kurz nach neun lud ich die Einkäufe in meinen Kofferraum; dann fuhr ich noch zum Wochenmarkt und besorgte alles für ein opulentes Frühstück, das ich zu Hause ausgiebig genoss.

Schließlich war nicht abzusehen, wann ich das nächste Mal was in den Magen bekommen würde, also gönnte ich mir von geräuchertem Fisch über Rühreier bis hin zu Croissants alles, wonach es mich spontan gelüstete. Das übrigens auf Dengelmanns Rechnung. Immerhin war es in seinem Interesse, dass ich nicht während der Zubereitung des Hauptgangs in seiner Küche kollabierte, weil ich unterzuckert war.

Um Punkt fünf klingelte ich bei Dengelmann. Meine Einkaufstüten sowie eine Klappkiste mit der Deko und der fertigen Schokocreme stapelten sich vor der Haustür.

»Ich könnte eine helfende Hand gebrauchen«, sagte ich in die Gegensprechanlage, als er sich meldete.

Drei Sekunden später war er unten an der Tür und packte mit an. Ich fragte mich, ob Frau Berger wohl wieder an ihrem Türspion klebte, hatte aber bei meiner Ankunft kein Licht in ihrer Wohnung gesehen.

 

Vielleicht war sie ja gar nicht zu Hause, und Dengelmann konnte die Puppen tanzen lassen, ohne dass seine Nachbarin daraus ein neues Horrorszenario machen würde.

Wir schleppten die Ausbeute meiner morgendlichen Einkaufsorgie in die Küche und stellten alles auf der Arbeitsfläche ab.

»Wollen Sie gleich abrechnen?«, fragte ich, aber er schüttelte den Kopf.

»Das machen wir in Ruhe, wenn Sie am Montag zum Putzen kommen, einverstanden? Jetzt haben Sie doch bestimmt anderes zu tun.«

Da hatte er recht. Mein Kopf war bereits damit beschäftigt, in welcher Reihenfolge ich was zu tun hatte. Einige Dinge konnte ich vorbereiten, andere mussten kurz vor der Zubereitung erledigt werden.

Ich nickte. »Am allerliebsten würde ich zuerst den Tisch eindecken und dekorieren.«

Bei ihm konnte ich das unbesorgt so machen. Bei mir wäre das anders gewesen. Ein frühzeitig eingedeckter Tisch, der nicht jede Zehntelsekunde bewacht wurde, verführte Baghira gern dazu, darauf herumzuspazieren und sich zum Beispiel intensiv mit den Blumen zu beschäftigen. Es konnte passieren, dass man dann über den ganzen Raum verteilt abgeknabberte Blüten vorfand – mal ganz abgesehen von Katzenhaaren auf dem einen oder anderen Teller. Ging gar nicht. Und das mit den Haaren war überdies eklig – so sehr ich meinen Kater auch liebte.

Wir gingen also ins Esszimmer, und ich baute mich sinnend vor dem ovalen Tisch auf.

»Wie hätten Sie es denn gern?«, fragte ich. »Wollen Sie am schmalen Ende sitzen? Dann sind Sie von Ihrem Gast allerdings relativ weit entfernt. Schöner wäre es, wenn Sie sich an den Längsseiten gegenübersitzen würden.«

»Denken Sie?«, fragte er zweifelnd.

»Als Erstes lassen wir mal die überflüssigen Stühle verschwinden, dann können wir es ausprobieren.«

Wir schleppten also vier Stühle ins Schlafzimmer, dann kehrten wir zum Esstisch zurück, und ich demonstrierte ihm, was ich gemeint hatte. Wir einigten uns auf die zweite Option, und er zeigte mir, wo ich Tischdecken und dergleichen fand. Wie insgeheim erwartet, verfügte der Haushalt über ganze Batterien an Gläsern, die ich für die Blumen benötigte. Da es keine Kerzenständer für die Blockkerzen gab, entschied ich, mit zwei Desserttellern vom Service zu improvisieren: ein kleiner Blumenkranz, Kerze rein, fertig. Und wenn die Teller hinterher mit Wachs bekleckert sein sollten, wusste Doris bestimmt einen Trick, um das Zeug rückstandslos zu entfernen.

Dengelmann stand linkisch in der Gegend herum und beobachtete mich dabei, wie ich zwischen Küche und Esszimmer hin und her sauste.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was? Warum machen Sie sich nicht einen schönen Tee, setzen sich ins Wohnzimmer und entspannen sich, während ich mich hier um alles kümmere. Wenn ich mit dem Tisch fertig bin, rufe ich Sie. Und wenn Sie alles total bescheuert finden, machen wir es anders.«

»Sie machen das bestimmt hervorragend.«

Natürlich. Aber das konnte er ja noch nicht wissen.

Zwanzig Minuten später stand ich im Esszimmer und betrachtete wohlgefällig mein Werk. Die Blumen hatte ich auf kleine Trinkgläser verteilt, die ich abwechselnd mit den Windlichtern als lockere Reihe zwischen den beiden Gedecken aufgestellt hatte. Den Abschluss bildeten rechts und links die Blockkerzen. Ich löschte das Licht im Raum bis auf eine Stehlampe, entzündete die Kerzen und Teelichte, dann rief ich nach Dengelmann.

Sofort kam er angaloppiert und blieb in der Tür stehen, als wäre er vor eine Mauer geprallt. »Also … das ist ja …«, stammelte er und wusste nicht weiter.

»Gefällt es Ihnen nicht? Ist Ihnen der Tisch zu aufgedonnert?«

»Nein … es gefällt mir, sehr gut sogar. Es sieht wunderbar aus, überhaupt nicht aufgedonnert. Und Sie hatten gar nicht so viel Aufwand damit, oder?«

Ich grinste. »Ein wenig Fantasie reicht, um es sich nett zu machen, das ist keine Zauberei. Ich finde, ein Essen schmeckt noch einmal so gut, wenn ich dabei an einem hübschen Tisch sitze. Es müssen keine meterhohen Blumenaufbauten und pompösen Kerzenleuchter sein, wie Sie sehen. Ein paar hübsche kleine Elemente reichen völlig aus.«

Er nickte gedankenverloren. Er schien zu überlegen, warum sein Leben bisher ohne diese schlichte Weisheit und deren Umsetzung hatte auskommen müssen.

»Wenn Sie dann das Essen servieren …«, begann er.

»Was?«, fiel ich ihm entgeistert ins Wort. »Das gehört nicht zu unserer Abmachung.«

»Aber ich kann das nicht, Frau Luchs! Was, wenn ich alles fallen lasse?«

Herrje – ernsthaft? Buhuhu, ich kann das nicht … Der Mann war eine verfluchte Memme.

Dennoch: Ich blieb hart. »Sorry, aber darauf bin ich nicht vorbereitet.«

»Was müssten Sie denn dafür vorbereiten?«, fragte er verständnislos.

»Sehen Sie mich an.« Ich deutete erst auf mein Ringelshirt, dann auf meine schlabbrige Jeans. »So kann ich unmöglich Essen servieren. Und über meine Klamotten werden sich demnächst zusätzlich die Spuren dessen verteilen, was ich gleich in Ihrer Küche veranstalten werde. Ich habe weder eine saubere Kochjacke dabei noch einen fleckenlosen Vorbinder oder irgendwelche einigermaßen adäquate Kleidung. Und ich rede nicht von einem Kellnerfrack, sondern einfachen, ordentlichen Klamotten. Noch einmal: Das war nicht Teil meines Auftrags. Tut mir sehr leid, Herr Dengelmann, aber wie genau das Essen von der Küche hier auf den Tisch kommt, ist nicht mein Problem.«

Er war so fassungslos, dass er nicht sprechen konnte. Es war sonnenklar, dass er sich darüber bisher keine Gedanken gemacht hatte. Nein, falsch: Er hatte vorausgesetzt, dass er mit dem Hintern am Tisch sitzen blieb, während ihm und seinem Gast ein Gang nach dem anderen vor die Nase gesetzt wurde. Das war er von seiner Jutta vermutlich so gewöhnt.

Aber ich war nicht seine Jutta. Je früher er es begriff, desto besser. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, um eine klare Grenze zu ziehen. Freundlich, aber bestimmt.

»Herr Dengelmann, ich bin der gute Geist in Ihrer Küche. Der unsichtbare gute Geist. Wir finden eine Lösung. Sie haben doch diesen wunderbaren Servierwagen im Wohnzimmer, den werden wir benutzen. Ich richte in der Küche das Essen an, und Sie bringen es damit an den Tisch. Und wenn Sie mit einem Gang fertig sind, packen Sie das benutzte Geschirr auf das Wägelchen und holen den nächsten bei mir ab. Ganz einfach. Sie lassen gar nichts fallen. Zwei Teller unfallfrei auf den Tisch zu stellen, ist keine Raketenwissenschaft, glauben Sie mir. Das Essen ist auch nicht kompliziert aufgebaut und in affigen Türmchen angerichtet oder so. Da kann nichts umkippen oder dergleichen. Teller hinstellen, fertig. Das ist kinderleicht.«

Selbst für dich, fügte ich in Gedanken hinzu.

Großer Gott – brauchte er vielleicht auch jemanden, der ihm die Schnürschuhe zuband oder ihm eine Gutenachtgeschichte vorlas, damit er einschlafen konnte? Dann war es wahrlich höchste Eisenbahn, dass er einen Ersatz für seine Jutta fand.

Ich ließ ihn verdattert stehen und begab mich blitzschnell in die Küche, um eventuellen weiteren Diskussionen zu diesem Thema direkt einen Riegel vorzuschieben.

Die Lebensmittel stellte ich gruppenweise zusammen: für die Vorspeise, die Hauptspeise und das Dessert.

Nach und nach erledigte ich die Vorbereitungen. Nachdem ich Kartoffeln und Sellerie geschält und gewürfelt hatte, stellte ich die Nusskruste für die Medaillons her, rollte sie aus und stellte sie in den Kühlschrank. Danach pürierte ich die Himbeeren zusammen mit etwas Zucker und passierte sie durch ein Haarsieb, das ich Gott sei Dank in der Küche auftrieb. Himbeersoße mit Kernen drin – das hätte mich echt genervt. Nach und nach füllten sich Schüsselchen und Behälter mit Zutaten, die ich später brauchen würde, wenn es ans eigentliche Kochen ging. Kartoffeln und Sellerie wollte ich aufsetzen, sobald der Gast eingetroffen war, damit sie frisch vom Herd kamen, wenn ich das Püree herstellte.