Flarrow, der Chief – Teil 3

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Da begann ein Ing.-Assistent zu spinnen. Er trat in die Fußstapfen des abgelösten Elektrikers und fand in der Mannschaftsmesse sofort Trinkkumpane. Zunächst nahm der Zweite, der ihn drei- und viermal wecken lassen musste, das nicht ernst. Dem Chief wurde das nicht bekannt, weil der Zweite nicht darüber redete.

Auf der Reede von Las Palmas lag TS „GALICIA“, ein zum Fischereifabrikschiff umgebauter Passagierdampfer, der lange vor dem zweiten Weltkrieg im Nordatlantik und später auf der Südamerikaroute gefahren hatte. Dort ging „HILDEGARD“ längsseits, um ihre Ladung zu löschen.

Der zerlegte Elektromotor wurde von der Werft abgeholt und sollte nach zwei Tagen wieder zurück sein. Flarrow ging mit an Land, um die notwendigen Absprachen mit der Werkstatt zu treffen. Die war sehr gut ausgerüstet, was ihm schon in Vigo gesagt worden war. Flarrow musste den Spaniern klar machen, dass der Motor einen kompletten Probelauf unter Last absolvieren sollte, dann aber wieder auseinander gebaut werden musste und an Bord zu liefern war. Es dauerte, bis die Spanier das verstanden hatten.

In Luke II schaufelten Leute von der „GALICIA“ das Eis in die Körbe, die dann per Ladebaum auf das Fabrikschiff wanderten. Irgendwann standen sie alle im Wasser, weil offensichtlich das Schmelzwasser nicht mehr abgepumpt wurde. Das lag an den Sieben der Saugkörbe im Laderaum, die schon lange nicht mehr gereinigt worden waren. Der wachhabende Assistent behauptete, dass seine Pumpe saugte, und die Wachingenieure waren anderweitig beschäftigt. Deshalb kam es zur Überschwemmung im Laderaum. Als Flarrow wieder an Bord kam, war das große Palaver schon im Gang. Die Leute vom Fabrikschiff hatten keine Stiefel und das Wasser war eisig. An die Siebe war nicht mehr heranzukommen, dazu stand das Wasser zu hoch, eiskaltes Schmelzwasser, wie gesagt.

Flarrow musste bei dem spanischen Chief um eine mobile Pumpe bitten und die schaffte das Schmelzwasser schnell außenbords. Nach dem Löschen, wurde die Luke geschlossen und der Raum mit Warmluft beheizt. Sie sollten siebenhundert Tonnen Fisch für Vigo übernehmen, und da musste die Luke trocken sein, obwohl die Spanier drängten, denn das Eis sollte an die Frischfischfänger geliefert werden, die weiter im Süden fischten. Gab es eigentlich auf den Kanarischen Inseln keine Eisfabrik für die Fischerei? Während der Trocknungszeit nahm sich Jan freiwillig der Saugkörbe an. War da vielleicht ein bisschen Reue im Spiel? Da der Schmierer völlig pleite war, kein Geld mehr bekam und ihm niemand etwas borgte, gab es keine Probleme. Ohne Geld zog es ihn nicht an Land. Nach drei Tagen ging Flarrow mit dem E-Assistenten zum Probelauf des E-Motors an Land. Alles klappte, die Werkstatt hatte sehr gute Arbeit geleistet, auch, wenn das Ganze einen Tag länger als geplant gedauert hatte. An Bord wurde der Motor sofort montiert. Als alles fertig war, durfte der E-Assistent den Motor starten. Der tat andachtsvoll und zögerte, bis Flarrow ein „Na los, mach schon hin!“ sagte.

Damit hatte die Kühlanlage wieder ihre volle Kälteleistung, und es war nun kein Problem mehr, die Ladung auf minus zwanzig Grad zu halten, mit der sie in Vigo gelöscht wurde.

Die Ausreise führte über Dakar, wo es den Bunkerleuten wiederum nicht gelang, einen Overflow zu produzieren, nach Walvis Bay und Kapstadt.

In Walvis Bay wartete ein Trawler, der sein Fanggeschirr beim Fischen verloren hatte und nun ein neues bekam. Außerdem gab er seinen bisherigen Fang ab, was nicht viel war. Da blieb keine Zeit für einen Spaziergang durch die Stadt.

Kapstadt erreichten sie vormittags und machten an den Bojen im Victoria Basin an der Victoria & Albert Waterfront fest. Der erste Trawler wurde für den nächsten Morgen erwartet.

Mit Jan van Thaden hatte Flarrow eine Vereinbarung getroffen. Wenn Jan wollte, bekam er nach dem Einlaufen ein oder zwei freie Tage. Wenn er seinen Landgang beendet hatte, musste er allerdings bereit sein, zwölf Stunden Hafenwache zu gehen. Alternativ drohte der Sack bei der nächsten Verfehlung. Das würde in Kapstadt beispielsweise ganz schön teuer werden, denn er durfte in diesem Fall neben den eigenen auch die Flugkosten für seinen Ersatzmann bezahlen.

Jan war ein guter Mann auf See, zuverlässig und qualifiziert. Ein Typ, den man gut gebrauchen konnte, den man deshalb nicht gern verlieren wollte. Leider vergaß er an Land seine Pflichten vollkommen, begann immer zu trinken, geriet auch in Schlägereien und überzog regelmäßig seinen Landurlaub. Er ging immer allein an Land, ein einsamer Wolf, der nervös wurde, wenn er Vorschuss aufnehmen konnte und Land in der Nähe war. Vielleicht hatte er keine Familie, denn Post bekam er auch nie. Am Nachmittag meldete er sich für zwei Tage ab. Sein Guthaben war ihm auf seinen Wunsch hin ausbezahlt worden. Flarrow machte keinen Versuch ihn zu bremsen, weil er wusste, dass solchen Leuten damit nicht beizukommen war. Für den E-Assistenten bedeutete das für zwei Tage Hafenwache zu gehen.

Flarrow wollte weiteres Bunkern in Dakar vermeiden und fragte den Agenten nach den Möglichkeiten in Kapstadt oder Las Palmas, was in jedem Fall vom Charterer, der den gebunkerten Treibstoff bezahlen musste, zu genehmigen war. Der Agent würde also Rücksprache mit Vigo via TELEX nehmen und am nächsten Abend Bescheid geben. Außerdem sollte er einen Vertreter von BBC-Südafrika an Bord schicken, weil Flarrow die Proviantkühlanlage einer gründlichen Überholung unterziehen wollte. Der BBC-Mann erschien noch am Abend an Bord. Die entscheidende Frage war, ob es in Kapstadt alle erforderlichen Ersatzteile gab, und das war der Fall, denn dieser Anlagentyp wurde hier auch an Land, vor allem in Hotels eingesetzt. Morgen würde er zwei Mann schicken, die nicht mehr als zwei Tage für diese Arbeit benötigen würden. Das hörte sich gut an, denn nun hatte Flarrow Zeit, sich um die Hauptmaschine zu kümmern. Auf dem Arbeitsplan stand nämlich für diese Liegezeit die Inspektion aller Auslassventile, die nun schon über tausend Betriebsstunden ohne ein Versagen hinter sich hatten, der Wechsel eines weiteren schadhaften Kolbens und das Nachpassen von Kurbel- und Grundlagern. Da konnten sie eine lange Liegezeit, die der Agent schon angedeutet hatte, gut gebrauchen.

Die Reederei teilte mit, dass die Charter für „HILDEGARD“ wahrscheinlich in Vigo auslaufen würde. Die Möglichkeit, von deutschen Trawlern in der Antarktis Fisch nach Deutschland zu bringen, wäre gegeben. Man erwartete aber einen Bericht über den Zustand der Ladekühlanlage und Kopien des Kühlmaschinentagebuches, das es inzwischen auf „HILDEGARD“ gab, sobald als möglich, um der Frachtabteilung gegebenenfalls eine verbindliche Zusage machen zu können. Schließlich und endlich war das Urlaubsgesuch für den Zweiten Ingenieur genehmigt worden, man würde ihn in Vigo ablösen.

Der Alte kam herüber und fragte nach Flarrows Meinung hinsichtlich der Ladekühlanlage. Er wusste, wenn das Schiff die Zusagen der NTA – und die versprechen dem Charterer ja bekanntlich immer Gott und die Welt – nicht würde halten können, wäre sofort das Schiff im Obligo. Er dachte dabei natürlich an seine Erfahrung mit der explosiven Decksladung von New York. Flarrow lächelte, er würde den Bericht sofort fertig machen.

Hier zeigte sich die Problematik, in der Schiffsführungen in jener Zeit steckten. Da es genug Kapitäne gab, aber zu wenig gute Chiefs, würde man sich natürlich an den Kapitän halten. Die an Land waren ja bekanntlich immer unschuldig, und ein Kapitän konnte sich am schlechtesten wehren. Damit hatte der Alte ja seine Erfahrungen und war natürlich beunruhigt.

Der abschließende Satz in Flarrows Bericht über die Ladekühlanlage lautete: „Da die bisherigen Betriebswerte des Elektromotors von Ladekühlkompressor I im normalen Bereich liegen, der Leck- und Spritzwasserschutz wirksam ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Verfügbarkeit von vier Kompressoren, entsprechend 100% installierte Kühlleistung, gegeben ist. (hz. s. Anlage: Kopien des Kühlmaschinentagebuches KMS ‚HILDEGARD‘; Reise mit Fisch von Las Palmas nach Vigo)“

Das wird auch den Alten beruhigen, dachte sich Flarrow und zündete sich eine Zigarette an.

Da klopfte es, und der E-Assistent trat ein. Er wäre nicht abgelöst worden. Von den Assistenten wäre keiner an Bord. Wie es denn nun weiter gehen sollte. „Haben Sie dem Wachhabenden Bescheid gegeben?“ – „Das sind Sie doch.“ Das stimmte natürlich. Flarrow sah auf die Uhr, es war schon fast ein Uhr morgens! „Und wann ist das letzte Boot von Land gekommen?“ „Das war kurz vor Mitternacht, da war aber meine Ablösung nicht dabei.“ Es gab natürlich die Möglichkeit, ein Boot zu mieten, wenn man das vom Schiff zur Verfügung gestellte und nach Fahrplan verkehrende Boot verpasst hatte. Ein solches Boot kam um ein Uhr. Die beiden Assistenten kamen aber auch mit diesem Boot nicht. Der Dritte kam zurück. Er hatte mit ein paar spanischen Fischerleuten den Abend im Hafenviertel, das bei Seeleuten besonders beliebt war, verbracht. Beide Assistenten waren allein weitergezogen. Flarrow fluchte, weil er in dieser Nacht Wachhabender war. Er konnte den E-Assistenten auch nicht länger in der Maschine behalten, denn der hatte ja auch schon mehr als zwölf Stunden Arbeit hinter sich. Der Dritte kam nicht infrage, weil er ja wachfrei war, der Zweite erst recht nicht. Wenn er also gerecht sein wollte, und das wollte er auch demonstrieren, blieb es an ihm hängen. „Gut“, sagte er zu dem E-Assistenten, „Sie gehen in die Koje oder wollen Sie noch an Land? Ich löse sie in zehn Minuten ab.“ Gegen drei Uhr kam ein Boot von Land. Der Wachhabende auf der Brücke rief deshalb Flarrow in der Maschine an und teilte ihm mit, dass keine Assistenten mitgekommen seien. Die erschienen am Morgen mit dem ersten regulären Boot so rechtzeitig, dass der für die Acht-Sechzehn-Wache eingeteilte Assistent pünktlich ablösen konnte. Der andere, der zur Ablösung um Mitternacht nicht erschienen war, meldete sich erst gar nicht, sondern schloss sich in seine Kammer ein und ging schlafen.

 

Jan van Thaden traf überraschend gegen Mittag ein, und das Bild, das er bot, erinnerte Flarrow an seine Fahrzeit bei der Hochseefischerei. Jan war offensichtlich wieder in eine Auseinandersetzung geraten und sah entsprechend „abgerissen“ aus. „Viel zu früh, Jan“ sagte Flarrow; „Geld geklaut!“ kam es von Jan zurück. „Heute Abend Null-Acht-Wache?“ – „Ja, das mache ich.“ – „Na, dann hau dich aufs Ohr.“ Jan schlich davon.

Flarrow fragte den Dritten, was denn an Land los wäre. Es wären die Mädchen, die die Seeleute gleich mit auf ihr Flat nehmen würden. Prostitution wäre das nur begrenzt. Natürlich würden die Seeleute die Feierei bezahlen. „Das ist schon ein toller Hafen hier. Hübsche Miezen, scharf wie Rettich; das Hafenviertel nicht weit weg und gute Liegezeiten. Was ja auch den Mädchen gefallen würde. Die Spanier sind knauserig, gehen kaum an Land, weil sie ja alle Familie haben, dafür sind wir Deutschen aber sehr beliebt.“ – „Wie das?“ – „Wir sind die besten im Bett.“ – „Na dann wird es ja wohl noch interessant werden in Kapstadt.“ – „Für mich nicht, ich muss sparen, für die Schule.“ – „Na gut, dann gehen Sie mal fleißig Hafenwache.“

Flarrow freute sich über die Auslassventile, die keinerlei Beschädigung aufwiesen. Der Dritte reinigte sie, und nach einem kurzen Einschleifen wurden sie alle wieder eingebaut. Der Zweite, der das sah, schwieg dazu, wie er sich überhaupt immer mehr zurückzog und immer weniger aktiv war. „Was ich auch mache, es ist Ihnen ja doch nicht recht“, pflegte er zu sagen. Er ist eben urlaubsreif, dachte Flarrow. Ihm war das egal, denn er hatte den Zweiten längst als unfähig abgehakt.

Der BBC-Monteur war pünktlich mit zwei Farbigen erschienen. Ein Engländer, und als Flarrow meinte, er hätte nur zwei Mann erwartet, sagte der: „Well, it’s me and these two guys; they count fifty percent each, Sir.” Flarrow warf ein Auge auf die Leute von BBC und sah, dass der Monteur die Arbeit machte. Die beiden Farbigen waren wirklich nur Hilfskräfte.

Gegen sechzehn Uhr erschien der wachhabende Assistent bei Flarrow, weil sein Kollege, der inzwischen ausgeschlafen hatte, die Wache nicht übernehmen wollte. Der sagte, er hätte ja Null-Acht-Wache und wollte jetzt an Land. Das Boot ginge ja gleich. Flarrow machte ihm klar, dass die Wachen wegen ihm geändert werden mussten. Das Ergebnis sei, dass er jetzt die Abendwache hätte, die er umgehend anzutreten habe. Und dann kam die Frage, warum er gestern Abend zum Wachwechsel nicht an Bord war. Außerdem hätte er sich auch heute Morgen nicht zurück gemeldet. Kaltschnäuzig behauptete er, das Boot verpasst zu haben, und ein privates Boot sei ihm zu teuer, er hätte auch gar kein Geld mehr gehabt und im Übrigen müsse er jetzt los, denn sonst würde er ja das Boot verpassen. Flarrow machte ihm klar, dass dies Arbeitsverweigerung sei, welche zur fristlosen Kündigung führen könnte und was ein Flug nach Deutschland kosten würde. „Sie haben eine dienstliche Anweisung, sofort Ihre Hafenwache anzutreten.“ Dies sagte Flarrow natürlich in Gegenwart des Zweiten, der dem Assistenten gut zuredete, doch der drehte sich nur um und verschwand. Kurz darauf kam Jan an, mit dem sich der Assistent inzwischen abgesprochen hatte und erklärte sich bereit, die Abendwache zu übernehmen. Da er einen Ersatzmann vorweisen konnte, war ihm der Landgang nicht zu verweigern, und die schriftliche Verwarnung, die er am nächsten Tag wegen Überziehen des Landurlaubs bekam, regte ihn nicht weiter auf. Flarrow hatte verloren, und das sollte noch schlimme Folgen haben. Aber was sollte er tun? Dem Assistenten konnte man nicht viel anhaben, Gefahr war ja nicht im Verzug. Er hatte mit Jan einen Deal gemacht, der hier an Bord üblich war und den der Assistent nun ausnutzte. Außerdem hatte sich herumgesprochen, dass der Chief für Jan die Wache gegangen war. Das wurde von der Mannschaft als Schwäche ausgelegt und allgemein belächelt. In den nächsten Tagen lief das Bordleben wieder normal, Jan hielt sich an seine Abmachung, er war scharf auf Überstunden, um Geld zu verdienen und ließ die Finger vom Alkohol.

Die Arbeiten an der Hauptmaschine liefen problemlos, so dass Flarrow Zeit fand, sich ein bisschen umzusehen. Es war später Nachmittag, als Flarrow an Deck kam. Er blickte hinauf zu dem gewaltigen Massiv des Tafelbergs, der, eingegrenzt von Devils Peak östlich und Lions Head westlich, wie ein Schutzwall vor der Stadt lag. Nebel zog sich auf dem über tausend Meter hohem Plateau zusammen und verdichtete sich sehr schnell. Und dann, nach einigen Minuten wälzte sich die Wolkenwand über die Plateaukante hinab auf die Stadt zu, deren Abwärme den Nebel genauso schnell wieder auflöste, wie er entstanden war. Es war das, was die Kapstädter das „Tischtuch“ nennen, das meist Regen ankündigt. „Ein tolles Schauspiel“, meinte der Alte, und da hatte er Recht.

Abends ging Flarrow mit dem Ersten Offizier an Land. Sie fuhren hinaus zur Camps Bay, wo ihnen ein Restaurant empfohlen worden war. Es gab hervorragende Steaks mit reichlich Knoblauch und den berühmten roten Wein der Cap Region. Es wurde ein interessanter Abend auf der Terrasse des Restaurants. Der Erste fragte Flarrow nach seiner Zeit bei der Fischerei und wollte seine Meinung zur Überfischung der Meere hören. Zu meiner Zeit, meinte Flarrow, sprachen nur wenige von Überfischung. Niemand dachte damals daran, so weit im Süden zu fischen, wie heute. Die Bestände im Nordmeer reichten noch. Von Überfischung sprach man also nicht, obwohl sie bereits stattfand. Die Fischer wichen mit immer besseren Fangschiffen und neuer Ortungstechnik nach Norden in neue Fanggründe aus. Da für Frischfisch die Reisezeit zu lang wurde, begann man damit, einen Teil des Fangs zu frosten. Extrem leistungsfähige Kälteanlagen kühlten den frisch gefangenen Fisch innerhalb von sechs Stunden auf minus dreißig Grad Celsius herunter. Damit wurde er für lange Zeit lagerfähig und behielt dabei seine Qualität. Mit der Frosterei begann aber auch die Fischverarbeitung an Bord, denn man frostete ja nur Filets und nicht den kompletten Fisch. So entstanden Fabrikschiffe, die ihren gesamten Fang auf See verarbeiteten und gefrostetes Filet, Tran und Fischmehl anlandeten. Sie konnten leicht hundertfünfzig Tage auf See bleiben und in ferne Fanggründe entsandt werden, wie beispielsweise den Südatlantik. Die Überfischung würde auch hier kommen, die Frage war nur, wie lange die modernen Fangschiffe dafür brauchen würden. Über diesem Vortrag war es Abend geworden. Die Sonne versank im Meer, und mit der kurzen Dämmerung kamen die Sterne hervor, die schon bald vom nachtschwarzen Himmel herab funkelten.

Ein Taxi brachte sie zur Waterfront, wo das Nachtleben pulsierte. Sie suchten sich eine Bierkneipe, weil der Rotwein so durstig gemacht hatte, bewunderten attraktive Mädchen in extrem kurzen Minis und kehrten mit dem letzten Boot an Bord zurück.

Am nächsten Morgen stand der Kapitän vor Flarrows Koje und schimpfte über den Knoblauchgestank. Das sei ja kaum auszuhalten. Das „Garlic-Steak“ von Camps Bay ließ grüßen, aber Flarrow und den Ersten störte das wenig.

Am kommenden Sonntag wollte der Alte auf den Tafelberg. Das Wetter war gut und so zogen sie zusammen mit dem Zweiten Offizier los. Mit der Seilbahn, der Cable Way, ging es nicht nur am bequemsten, sondern auch am schnellsten. Nach zehn Minuten Fahrzeit erreichten sie das über tausend Meter hohe Plateau. Tier- und Pflanzenwelt überraschten, vor allem eine Art Meerschweinchen (Dassies), die einem schon fast über die Füße liefen, aber auch scheue Bergziegen, Steinböcke und dreiste Paviane.


Kapitän der „HILDEGARD“ auf dem Tafelberg

Sie brauchten einige Zeit, um die atemberaubende Aussicht auf Kapstadt und seine am Fuß der Berge liegenden Siedlungen zu erfassen. Das Hafengebiet mit den großen Duncan und Ben Schoeman Docks und der geschützten Reede, wo große Tanker ankerten, die Frischproviant aufnahmen oder Besatzungswechsel durchführten. Dagegen fiel das kleine, schon fast historisch zu nennende Victoria Basin kaum auf. Wenn man aber genau hinschaute, konnte man sogar die „HILDEGARD“ mit den Trawlern an den Bojen erahnen. Im Süden breitete sich die False Bay aus, die falsche Bucht. So genannt von enttäuschten, ersten Seefahrern, die nach ihrem Landfall erkennen mussten, dass dies nicht die Table Bay war und dass sie Kapstadt verfehlt hatten. Die Kap-Halbinsel, als westliche Eingrenzung der False Bay, erstreckt sich weit nach Süden, wo sich ungefähr fünfzig Kilometer entfernt das Cape of Good Hope befindet.

Bartolomäus Diaz, der 1487/88 auch an der Table Bay vorbei bis zum Südkap gekommen war, entdeckte dieses Kap erst auf der Rückreise und nannte es „Kap der Stürme“. Der portugiesische König dagegen, der an Geld, Gold und Gewürze dachte, änderte später den Namen in Kap der Guten Hoffnung.


Vasco da Gama umsegelte zehn Jahre später auch das Südkap und konnte nun Kurs auf Indien oder die Gewürzinseln absetzen. Wenn auch mit Hilfe arabischer Lotsen, erreichte er schließlich Calicut, und die Gute Hoffnung seines Königs konnte sich nun erfüllen.

Der Alte wies auf eine steinerne Tafel, auf der die Erstbesteigung des Tafelbergs durch einen Europäer verewigt worden war. Der portugiesische Seefahrer Antonio de Saldanha hatte das 1503 vollbracht.

Weil es bis zum Kap zu weit für eine Tagestour war, kehrten sie in die Stadt zurück und nutzten den Nachmittag für einen Bummel durch das Zentrum von Kapstadt, wo sie vom Bahnhof aus über die Strand Street zum Castle of Good Hope gelangten. Dieses sternförmige Kastell mit fünf Bastionen, mit Kanonen bestückt, war 1666 erbaut worden. Dreitausend Matrosen hätten dafür nur ein Jahr benötigt. Allerdings blieb diesem Relikt aus der Zeit der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), die als Residenz der Gouverneure am Kap diente, ein Angriff bis heute erspart.

Beeindruckend auch der Botanische Park mit seltenen Bäumen und Rosensträuchern, Companys Garden genannt. Denkmäler erinnerten an den Diamantenkönig und Landeroberer Cecil John Rhodes und Sir George Grey, der einst Gouverneur am Kap war. Jan van Riebeek, dessen Denkmal sie schon am Hauptbahnhof gesehen hatten, gründete Kapstadt in dem er eine Versorgungsstation für die Schiffe der VOC eröffnete. Seine Gemüsebeete waren dann auch der Ursprung des Companys Garden.

Das Kaufhaus GARLIC fiel von seiner Größe her auf, der Name allerdings, erinnerte eher an die grandiosen Steaks in Camps Bay.

Müde vom ungewohnten Wandern, landeten sie am Abend wieder an Bord.

Der letzte spanische Trawler legte ab und ging in See. „HILDEGARD“ verholte zum Bunkerpier, wo bis in die Entlüftungen hinein gebunkert wurde. Dakar sollte ja nicht mehr angelaufen werden. Nachdem auch die Frischwassertanks voll aufgefüllt waren und Frischproviant an Bord gestaut war, verließ auch „HILDEGARD“ Kapstadt.

Alles lief recht gut, es gab nur wenige Störungen, was immer gut für die Stimmung an Bord ist. Die Ladekühlanlage lief einwandfrei, und bei Temperaturen um minus zweiundzwanzig Grad näherte man sich dem Äquator, gut gerüstet also für wärmeres Seewasser. Mit steigenden Lufttemperaturen versammelten sich die Leute abends wieder mehr an Deck. Es war eine Gruppe um den Koch, die anscheinend den Elektriker nicht vergessen konnte und in der der Assistent der Vier-Acht-Wache nun über die Schiffsleitung und insbesondere den Chief herzog, dem er es in Kapstadt mal so richtig gezeigt hatte. Dabei kam er immer unpünktlicher und oft nicht nüchtern auf Wache. Weil der Zweite das deckte und ihm sogar gestattete, auf Wache zu schlafen, bekam Flarrow das sehr spät mit. Dann aber bekam der Assistent mehrere Verwarnungen, und als er eines Morgens den Wachdienst verweigerte, die fristlose Kündigung. Da er nun als Passagier weiter fuhr, bekam er die Eigner-Kabine, und der Zutritt zum Wohnbereich der Besatzung wurde ihm untersagt. Das konnte nicht wirklich verhindert werden, zeigte aber, dass man sich nicht auf der Nase herumtanzen ließ. Seine Mahlzeiten hatte er im Salon einzunehmen, wovon er aber nur selten Gebrauch machte, und Alkohol durfte ihm nicht verkauft werden.

Der Kapitän legte ihm schon einmal die Rechnung für die Passage bis Vigo vor und verlangte seine Unterschrift. Da er sich weigerte, machte ihm der Alte klar, dass er dann mit einer Klage der Reederei zu rechnen hätte. Seine Freunde wurden nachdenklich, als ihnen das bekannt wurde. Neben den Reisekosten für den Ersatzmann kämen dann eventuell auch noch die Gerichtskosten auf ihn zu. Das könnte ganz schön teuer werden.

 

Der Kapitän nutzte die bestehende Situation, den Kantinenverkauf von Alkohol stark einzuschränken, womit eine mehr realistische Betrachtung der Situation, auch bei den fröhlichen Zechern, die Oberhand gewann. Der Versuch des Passagiers, die Sache ungeschehen zu machen, scheiterte aber an Flarrow, der das rundweg ablehnte.

Sie hatten Kap Verde passiert, und mit dem einsetzenden Nord-Ost-Passat wurden die Nächte frischer, was die Ausgucks veranlasste, die Dufflecoats hervor zu holen.

Flarrow stand am Fahrstand, als das Telefon klingelte. „Wir haben Feuer im Schiff.“ Und weil die Stimme des Ersten so entspannt klang, antwortete Flarrow: „Natürlich, im Kombüsenherd, weil der Koch morgen früh Brot backen wird.“ – „Nein, nein, es brennt wirklich, eine Matrosenkammer im Wohndeck Steuerbord. Wir müssen wahrscheinlich mit der Fahrt runter gehen und wegen der Windrichtung auch den Kurs ändern.“ – „O. k, wir treffen uns im Hauptdeck am Niedergang zum Wohndeck.“ So begann Flarrows erster Einsatz in Sachen „Feuerlösch“. Am Niedergang wurde einem Matrosen gerade der Rauchhelm KÖNIG aufgesetzt. Das war ein Monstrum aus einem anderen Jahrhundert, aber noch immer als Atemschutzgerät auf deutschen Schiffen zugelassen. Das war der eigentliche Skandal. Die Luftversorgung des Trägers erfolgte nämlich über eine Handpumpe, die durch einen Gummischlauch mit dem Rauchhelm verbunden war, aber die Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Die gläserne Sichtscheibe des Helms beschlug meistens und machte seinen Träger blind. Der Rauchhelmträger musste beim Abstieg in das Wohndeck zwei Wendungen von je neunzig Grad vollziehen und geriet sofort außer Sicht. Es dauerte jedoch nicht lange, da tauchte er aus dem dunklen Wohndeck wieder auf, weil er in Atemnot gekommen war. „So eine Scheiße!“, brüllte der Erste, „das war der zweite Versuch!“

Flarrow, der inzwischen über den Brandherd informiert worden war, machte sich seine eigenen Gedanken. Das Feuer brannte in einer Kammer, die direkt am Maschinenraumschott lag. Dahinter gab es einen fast leeren Brennstofftank, mit leichtem Dieselöl, das gegebenenfalls gasen würde! Er schnappte sich einen Feuerlöscher, ein nasses Taschentuch und empfahl dem Ersten einen C–Schlauch anzuschlagen, damit man notfalls mit Seewasser löschen konnte. „Die Feuerlöschpumpe läuft, ihr braucht nur das Ventil aufzudrehen.“ Damit stieg er in das Wohndeck hinunter. Beleuchtung gab es nicht mehr, da jemand den Gang aus Sicherheitsgründen stromlos gemacht hatte und Notstrombeleuchtung war auf „HILDEGARD“ ein Fremdwort. Er erreichte die Kammer, riss die Tür auf, sah den brennenden Kleiderschrank und entleerte den Feuerlöscher fachgerecht am Brandherd. Die Füllung war ausreichend. In der starken Rauchentwicklung tastete er sich, wegen tränender Augen fast blind, zurück. Atemluft wurde knapp, und dann bog er zu früh nach links ab und landete unter dem Niedergang anstatt daneben. Er fühlte noch das Ölzeug der Decksleute und begriff seine Situation, bevor er ohnmächtig wurde. Weil der Erste mit zwei Mann auf das Wohndeck hinab gestiegen war und auf den rückkehrenden Flarrow wartete, konnten sie ihn bergen. An der frischen Luft kam er schon bald wieder zu Bewusstsein, und bis auf die Rauchvergiftung, die ihn noch eine Woche lang quälte, war er unverletzt. Über die Brandursache wurde natürlich spekuliert.

Die Ausgucks durften nachts auf der Brücke nicht rauchen, weil das ihre Sehkraft minderte. Deshalb erlaubte der Wachhabende dem Ausguck, wenn nichts Besonderes anlag, nach zwei Stunden die Brückennock für eine Zigarettenpause zu verlassen. In diesem Fall hatte der Ausguck die Pause dazu benutzt, seinen Dufflecoat aus dem Kleiderschrank in seiner Kammer zu holen. Da das Schiff rollte, schwangen auch die Kleider im Schrank hin und her. Wenn man nun beide Hände benötigte, den Mantel aus dem Schrank zu nehmen, hatte man die brennende Zigarette natürlich im Mund. Eine Berührung der Glut mit den Kleidern genügte dann durchaus. Das konnte sich auch der Alte zusammenreimen und stellte die entscheidende Frage nicht. Im Protokoll stand deshalb: „Aus nicht geklärter Ursache“

Ein paar Tage später, im kalten Atlantikwasser, zeigten die in der Ladung ausgelegten Fernthermometer Temperaturen um minus fünfundzwanzig Grad an. Der Alte staunte und fragte Flarrow, wie kalt es denn noch werden solle. „Das will ich ja gerade wissen“, antwortet Flarrow, „aber ich denke, dass es noch ein oder zwei Grad mehr werden. Unsere Lukendeckel sind nicht sehr dicht, außerdem schlecht isoliert.“ – „Da sind wir ja für Deutschland fein raus, oder? Chief, ich hätte, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, dass Sie das schaffen würden.“

In der nächsten Nacht, als das Schiff im Seegang zunehmend schlingerte, gab es einen Knall, der auch Kapitän und Chief weckte. In der Maschine hatte die Wache nichts gehört, aber der Wachhabende auf der Brücke vermutete, dass das Geräusch aus Luke 2 gekommen war.

Da sich nichts weiter tat, keine Beschädigung oder Wassereinbruch festgestellt werden konnte, verschob man die Begehung des Laderaumes II auf den folgenden Morgen, wo die Ursache des Knalls gefunden wurde. Das Zwischendeck auf der Steuerbordseite war um eine Decksstütze herum bis zur Bordwand hin abgebrochen und hatte sich teilweise auf die Ladung im Unterraum gelegt! Daran konnte man erst etwas ändern, nachdem die Ladung gelöscht war. „Das ist auf jeden Fall Werftarbeit“, sagte Flarrow, „und in Vigo soll es ja eine Werft geben“.

Als sie in Vigo nach einer ausgesprochenen Schönwetterreise einliefen, stand der Agent Meino von Eitzen am Pier, um die Heimschaffung des „Passagiers“ schnellstens zu organisieren. Der wirkte hilflos, als er in den Wagen des Agenten stieg und nicht übersehen konnte, dass das niemand mehr interessierte. Flarrow aber machte drei Kreuze und war sehr erleichtert, dass diese elende Arie von Disziplinlosigkeit, die auch viel Schreibkram verlangte, endlich zu Ende war. Auch der Zweite Ingenieur und ein paar Leute von Deck wurden abgelöst, was sicher gut war für die Verbesserung des Bordklimas.

Der neue Zweite Ingenieur machte nicht viel Worte, besah sich seine Kabine, schüttelte den Kopf, schnappte sich den zuständigen Steward und verlangte eine saubere Kabine. Bis dahin zog er in eine freie Kammer.

Pescanova teilte mit, dass die Charter mit Löschende beendet sei, eine Verlängerung würde es nicht geben.

Die Werft, die Fischereifahrzeuge wie am Fließband baute, begann mit dem Abstützen des Zwischendecks in Luke 2, nachdem die Ladung in diesem Bereich gelöscht war.

Flarrow sah sich den Sprödbruch genau an, konnte aber natürlich nicht feststellen ob Ermüdung oder Kaltsprödigkeit zum Bruch geführt hatte. „HILDEGARD“ war ja als Trockenfrachter in Auftrag gegeben worden, und das konnte die Materialauswahl beeinflusst haben. Aber der Leitende Ingenieur der Werft, ein Deutscher, schüttelte zu Flarrows Gedanken nur den Kopf. Die modernen Schiffbaustähle wären in dem Temperaturbereich schon „kältefest“.

Von Hamburg wurde auch die komplette Erneuerung der Dichtungen der Lukendeckel genehmigt, und darüber freute sich natürlich der hiesige Vertreter der Firma Mc Gregor, die einst die Lukendeckel geliefert hatte.

Die Spanier gaben sich alle Mühe, eine saubere Arbeit abzuliefern, und an der Qualität der Arbeit war tatsächlich nichts auszusetzen. Das galt auch für die ausgebrannte Matrosenkammer. Natürlich wurden bei der Gelegenheit auch Reparaturen in anderen Kammern erledigt, denn es gab ja gute Chancen, dass diese Arbeiten in der großen Werftrechnung untergingen, und so geschah es dann auch.