Flarrow, der Chief – Teil 3

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Außerdem gab es im Kühlmaschinenraum noch ein Dieselaggregat, das auf einem Podest montiert war. Der Dieselmotor stand direkt am Schott zum Maschinenraum, seine Abgasleitung wurde aber noch über zwei Meter im Kühlmaschinenraum geführt und das nicht schwingungsfreie Podest sorgte dafür, dass die Abgasleitung stark vibrierte. Das Ganze war konstruktiv eine Zumutung, ganz zu schweigen von der Brandgefahr, die von der vibrierenden Abgasleitung ausging. Ändern konnte man das jedoch nicht mehr.

Unter den misstrauischen Augen des Zweiten wurden nun die einzelnen Kompressoren gestartet. Das ging auch bei Kompressor I ganz gut. Nachdem alle Kompressoren gelaufen hatten, blieb ein Kompressor in Betrieb, um die Laderäume vorzukühlen. Die Lufttemperaturen im Laderaum begannen sofort zu sinken, was ein gutes Zeichen war. Am Abend erreichten sie null Grad Celsius, und Flarrow widmete sich beruhigt seinem Bürokram. Zum Wachwechsel um Mitternacht zeigten die Fernthermometer minus fünf Grad. Alle anderen Temperatur- und Druckanzeigen lagen im normalen Bereich. Nach einem kurzen Schwätzchen mit dem zweiten Offizier, der die Null-Vier-Wache auf der Brücke ging, machte Flarrow seine Kojenlampe aus. Gegen sechs Uhr tauchte er unerwartet im Maschinenraum auf. Der Zweite stand in der Werkstatt an der Drehmaschine. Flarrow warf zunächst einen Blick auf die Laderaumtemperaturen. Die Fernthermometer zeigten nur minus fünf Grad!

Nun ging er zum Zweiten in die Werkstatt und sah, dass der die Sitze von neuen Auslassventikegeln abdrehte. Der Zweite erklärte ihm, dass er die neuen Kegel überdrehen würde, damit die Sitze dann auch passen würden, viel einzuschleifen wäre da dann nicht mehr. Das hätte Flarrows Vorgänger herausgefunden. Flarrow fragte zurück, ob er denn die Lieferscheine nicht lesen würde, denn dann wüsste er, dass die Sitze mit Stellit beschichtet wären, wie das für Schweröl erforderlich sei. Die dürfte man natürlich nicht überdrehen, höchstens schleifen. Der Zweite schwieg dazu. Flarrow wurde nun einiges klar. Durch das Abdrehen der Stellitsitze war die Oberfläche beschädigt worden, und das führte schon nach kurzer Standzeit zu diesen merkwürdigen Auskohlungen, die er in Dakar gesehen hatte. Der Zweite hatte mit seiner Abdreherei genau das Gegenteil von dem erreicht, was durch die Beschichtung vermieden werden sollte!

Die Geschichte mit den stellitisierten Ventilkegeln konnte man ja noch verzeihen. Es war nicht üblich, dass von der Reederei solches Wissen mitgeteilt wurde; ein ganz schlechtes Zeugnis lieferte der Zweite aber damit, dass er das Abdrehen auf einer völlig „ausgeleierten“ Drehmaschine vornahm, mit der die erforderliche Präzision gar nicht mehr erreicht werden konnte. Es ging also offenbar darum, das mühevolle Einschleifen von Kegel und Sitz zu umgehen, und das roch, wie vieles seiner Aktivitäten auch, nach Faulheit. „Was ist mit den Laderäumen?“, fragte Flarrow. „Die habe ich schon weiter aufgedreht, damit die Temperaturen sinken.“ – „Sie haben was?“ Der Zweite antwortete nicht, und Flarrow überprüfte die Expansionsventile, die alle völlig falsch eingestellt waren. Was er herausfand war, dass der Zweite den Kälteprozess überhaupt nicht verstanden hatte. Da platzte ihm der Kragen, aber ehe er anfing, den Zweiten anzuschreien, stürzte er an Deck, fraß das Erlebte in sich hinein und lief zwei Tage mit Magenschmerzen herum.

Flarrow hatte die Expansionsventile eingestellt und drohte jedem mit fristloser Entlassung, der sich an diesen Ventilen noch einmal vergreifen sollte. Auf der Nachmittagswache sprach er mit dem Dritten, der ihm erzählte, wie das mit dem Kühlbetrieb bisher gelaufen war. Vorkühlung maximal minus zehn Grad, schon um Treibstoff zu sparen. Die Spanier hätten das nie überprüft. Der Fisch kam mit minus dreißig Grad Celsius in die Räume, und auf der Reise bis zum Äquator hatte er dann die Laderäume auf minus vierzehn oder fünfzehn Grad herunter gekühlt. In Vigo wurde die Ladung mit sechzehn bis achtzehn Minusgraden gelöscht. Da aber die Lukenabdeckung entweder nicht dicht oder schlecht isoliert war, hatten die Kartons der obersten Lage selten mehr als minus fünfzehn Grad. Das war natürlich nicht kalt genug, Fisch musste kälter als minus achtzehn Grad gefahren werden, damit die Qualität erhalten blieb. Ein Logbuch für die Kälteanlage wurde hier auch nicht geführt. Das stünde ja alles im Maschinentagebuch, und die Spanier nahmen das so hin. Das waren weiß Gott unhaltbare Zustände, und die Inspektion in Hamburg „wusste (angeblich) nicht genau“ was hier an Bord los war?

Nach insgesamt dreißig Stunden Vorkühlbetrieb waren die Laderäume der „HILDEGARD“ auf minus zwanzig Grad, weshalb der Betrieb gestoppt wurde.

Flarrow änderte die Zuständigkeiten und gab dem Zweiten die Hauptmaschine, der Dritte behielt den Hilfsbetrieb, und er selbst kümmerte sich allein um die Kälteanlage. Für die verbleibende Zeit bis Kapstadt, sah er sich die Kompressoren genau an, beseitigte eine Reihe von Mängeln. Kurbellager, Ventile und Kolbenringe waren in einem sehr schlechten Zustand, obwohl es an Ersatzteilen nicht mangelte. Die Arbeit wurde sehr schnell mühevoll, weil das Wetter nun nicht mehr mitspielte.

Der Südost-Passat trat sehr früh, also noch in Äquatornähe, auf. Der Alte war so lange als möglich unter Land geblieben, um den mitlaufenden Guinea-Strom zu nutzen. Aber spätestens ab der Höhe von Freetown, wo das Land immer mehr zurück wich, hatten sie den Äquatorialstrom gegenan, und das würde bis Kapstadt so weiter gehen.

Der kräftige Passat hatte Zeit und Raum genug, eine See aufzubauen, die „HILDEGARD“ nur schwer meistern konnte. Obwohl alle Ballasttanks geflutet waren, ragte das Vorschiff wegen der achtern liegenden Maschinenanlage und den Aufbauten hoch heraus. Durch den geringen Tiefgang tauchte auch der Propeller nicht tief genug ein und war deshalb nicht so wirksam, wie es erforderlich war. „HILDEGARD“ quälte sich in Berg- und Talfahrt nach Südosten, und in der Maschine fluchte Flarrow, der mit dem Kopf im Kurbelraum eines Kältekompressors hing, während sein Werkzeug durch die Schaukelei, rasselnd über die Flurplatten rutschend, in der Bilge verschwand. Dem Dritten, der einen Hilfsdiesel überholte, ging es nicht viel anders.

Um das Schiff zu entlasten, steuerte der Alte Zick-Zack-Kurse, wie ein Segelschiff, das aufkreuzte. Trotzdem konnte die Dienstgeschwindigkeit von zwölf Knoten nicht annähernd gehalten werden.

An einem grauen Sonntagmorgen, an dem nicht gearbeitet wurde, ging Flarrow auf die Brücke, wo der wachhabende Kapitän angewidert in die graue See blickte.


Eigentlich war es ein eher majestätisches Bild, das Flarrow immer wieder begeisterte. Mit Blick auf den Alten behielt er aber seine Gefühlsausbrüche lieber für sich.

Zwischen beiden hatte sich ein recht freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Einmal hatte der Kapitän ihn auf der Abendwache im Maschinenraum besucht. Da er die „Hörnchen“ kannte, kam er sich hier in dieser „Zeche Elend“ ziemlich verloren vor, und als Flarrow ölverschmiert und dreckig aus der Bilge auftauchte, schüttelte er nur noch den Kopf und verschwand nach oben. Das wäre ja kein Maschinenraum mehr sondern ein Dreckstall und alles wäre so furchtbar durcheinander. Flarrow gab ihm Recht. Für groß angelegte Reinigungsarbeiten war eben noch keine Zeit gewesen, abgesehen davon, dass auf „HILDEGARD“ kein Reiniger gefahren wurde. Damit musste man leben, wenigsten im Moment noch. Der Kapitän fragte, warum der seegrüne Anstrich der Hauptmaschine entfernt worden war. Flarrow fragte den Zweiten danach und erfuhr, dass sie während der Liegezeit vor Walvis Bay die Farbe „mechanisch“ entfernt hätten. Der Chief hätte gemeint, dass das den Wirkungsgrad der Maschine verbessern würde. Während dieser Liegezeit hatte aber der Zweite auch die beiden Brennstoffpumpenblöcke aufgenommen und „generalüberholt“. Er hatte damit dafür gesorgt, dass Farbsplitter in die Brennstoffpumpenblöcke gekommen waren, die schon mehrmals zu Störungen geführt hatten. In der Regel bedeutete das dann, dass sie auf See stoppen mussten. Auf die Frage, wie die Farbsplitter in die Brennstoffpumpen gekommen sein könnten, hatte der Zweite aber nie geantwortet.

Flarrow hatte schon lange begonnen an seinem Zweiten Ingenieur, der immerhin ein ausgefahrenes C5–Patent besaß, zu zweifeln. Hier hatte der Wahnsinn wirklich Methode, und das musste doch sogar die Inspektion in Hamburg gemerkt haben!

„Ich habe heute Nacht geträumt“, sagte der Alte zu Flarrow. „Dieser Kahn war mal wieder dabei eine See zu nehmen. Die war aber viel zu groß und wuchs und wuchs, und unsere ‚HILDE‘ fuhr bergauf und immer bergauf, wurde langsamer und langsamer, bis sie anfing, rückwärts ins Wellental zu rutschen. Na, was sagen Sie dazu?“ – „Wenn ich das geträumt hätte, wäre natürlich auch noch die Maschine stehen geblieben.“ Da lachte der Alte und wurde aber sehr schnell wieder ernst. „Wir haben keine Chance, den vorgegebenen Termin für die Ankunft in Kapstadt zu halten. Wenn das so weitergeht, werden wir mit erheblicher Verspätung ankommen. Die Fischer sind dann bestimmt stinksauer auf uns, aber ändern können wir das nicht.“

Achtundzwanzig Tage nach London liefen sie in Kapstadt ein und gingen mitten im Becken des alten Viktoriahafens an die Bojen. Sie hatten fast sechs Tage länger gebraucht als veranschlagt. Der Reiseschnitt für die 6.258 Seemeilen von London bis Kapstadt lag damit deutlich unter zehn Knoten. „You are minimum five days late Captain, Sir!“ Mit diesen Worten kam der Agent an Bord, während ein spanischer Trawler, der an der Pier gelegen hatte ablegte und auf „HILDEGARD“ zu lief. Der Alte murmelte etwas von „Damned fucking shit weather“, aber der Agent meinte, dass das Sommerwetter in den vergangenen Wochen doch recht gut gewesen wäre. Ja, es war Sommer auf der südlichen Hemisphäre des Planeten und Kapstadt auf 33° 54’ Süd, umgeben vom gewaltigen Südmeer hatte natürlich ein sehr gemäßigtes Seeklima. Von den Verhältnissen auf See hatte der Agent natürlich keine Ahnung.

 

Es gab jede Menge Post von der Reederei und einige Pakete mit Ersatzteilen, die per Luftpost eingetroffen waren. Die Privatpost wurde sofort verteilt, und der Agent legte im Salon Listen aus, auf denen jedes Mitglied der Besatzung vor dem Landgang bestätigen musste, dass es hinsichtlich der geltenden gesetzlichen Regelungen der Apartheid unterwiesen war. Alle an Bord mussten wissen, dass Geschlechtsverkehr mit Farbigen – Coloured People – verboten war und strafrechtlich verfolgt werden würde.

Der Zweite kam mit den Papieren für die Pakete. Die Reederei hatte prompt reagiert, und der Zweite staunte Bauklötze, was da alles möglich war. „Das hätte sich Ihr Vorgänger nicht getraut. Aber der war ja auch nicht von der Süd“, meinte er. Dass er sich nicht traute, das war das Übel, dachte Flarrow.

Der spanische Trawler machte an Backbord fest, und dann tauchte noch ein weiterer Trawler auf, der sich an die Steuerbordseite legte.


KMS „HILDEGARD“ in Kapstadt

„Wie bei einem flotten Dreier“, ließ sich ein fröhlicher Dritter Ingenieur hören.

Flarrow fragte nach dem Schiffshändler, der Rohrleitungen und Armaturen, die für den Umbau der Schwerölvorwärmung benötigt wurden, sowie eine Menge anderer Dinge, die zum täglichen Bedarf des Betriebs zählten, liefern sollte.

Die Behörden, vertreten durch einen Hafenpolizisten, arbeiteten unauffällig und schnell mit dem Kapitän zusammen. „No wireless Operator?“, fragte der Südafrikaner, und der Alte zeigte ihm sein Großes Funksprechzeugnis. Damit war der Punkt abgehakt.

Sie würden mindestens fünf Tage zum Laden benötigen, und damit stand für Flarrow fest, dass sie einige Kolben der Hauptmaschine ziehen würden. Dann kehrte Ruhe ein, Agent und Polizist gingen an Land, die wachfreie Besatzung auch, und der Obersteward deckte im Salon den Tisch. Nach dem Abendessen las Flarrow die Reedereipost. Sie lobten seinen Bericht, weil er so schnell und tatkräftig gehandelt hatte, versicherten ihm ihre volle Unterstützung und wünschten weiterhin gute Reise. Es machte ihn stolz, weil sie von ihm beeindruckt waren, aber auch, weil er das richtige Schiff gewählt hatte. Ein Neubauprogramm von sechs Kühlschiffen war aufgelegt worden. Da wollte er dabei sein, und der Erfolg auf der „HILDEGARD“ würde bestimmt dazu beitragen. Die bittere Pille stand in einem Absatz über die Versicherung des Schiffes. KMS „HILDEGARD“ war maschinentechnisch nur gegen Fehlbedienung versichert. „Bei Ihren Entscheidungen sollten Sie deshalb vorher die Ursachen ergründen und, natürlich nur gegebenenfalls, Fehlbedienung feststellen. Für diesen Fall benötigen wir dann einen Bericht und entsprechende Unterlagen, die wir der Versicherung einreichen können.“ Zwischen den Zeilen hieß das, die Schadensursachen möglichst oft auf Fehlbedienung zu schieben. Was verlangten sie da von ihm? Und wie würde sich das auswirken, wenn die Versicherung ihn als Chief wegen zahlreicher Fehlbedienungen ablehnte?

Dann fiel sein Blick auf einen privaten Brief, der nur von zu Hause sein konnte. Ach ja, zu Hause das gab es ja auch noch! Er riss den Brief auf und las, was die Eltern von Kassel und den Ereignissen aus ihrer Welt zu berichten hatten.

Am nächsten Morgen fehlte der Schmierer Jan van Thaden und trat deshalb seine Hafenwache von acht bis sechzehn Uhr nicht an. Der Elektriker tauchte ziemlich betrunken gegen neun Uhr auf und bekam sofort einen freien Tag. Unter diesen Bedingungen hatte es keinen Zweck, mit dem Kolbenziehen zu beginnen. Es waren einfach zu wenige Leute da.

Die Zulus von der Stauerei erschienen in dicker Winterkleidung. Sie mussten eine halbe Stunde stauen und hatten dann eine halbe Stunde Aufwärmzeit an Deck, und alles war sehr neu für diese Leute. Die Räume waren auf minus zwanzig Grad vorgekühlt. Das war bestimmt schwer für die Zulus, in solcher ungewohnten Kälte zu arbeiten. Deshalb ging es auch so langsam. Umgeschlagen wurde mit den Ladewinden der „HILDEGARD“, die von qualifizierten Farbigen bedient wurden. Sie kannten sich mit der Arbeit aus und waren eingearbeitet.

Als abends die Kühlung angesetzt wurde, lief der Kompressor I nicht. Es war der Elektromotor, der wieder irgendwoher Wasser geschluckt hatte. Also wurde Kompressor II angesetzt. Der Fisch war mit minus zwanzig Grad gut gekühlt, da brauchte es nicht viel Kälteleistung vom Schiff.

Der Elektriker saß am Achterdeck und trank mit ein paar Matrosen. Er hatte gehört, dass der Kompressor nicht in Ordnung war und verkündete nun jedem, der es hören wollte, dass er leider einen freien Tag hätte und da müsste eben der schlaue Chief sehen, wie er klar käme. Der Zweite hatte Bordwache, und der Dritte war an Land gegangen. Von Jan noch immer keine Spur. Der Schiffshändler hatte die bestellten Materialien bereits geliefert, so dass am nächsten Morgen mit dem Umbau der Schwerölvorwärmung begonnen werden konnte.

Der Alte kam noch auf einen Schluck Whisky und begann irgendwann von früher zu erzählen. Er war mit vierzehn zur See gegangen, zuerst auf einem Kümo und später auf Großer Fahrt. Als der Krieg ausbrach, war er Zweiter Steuermann auf einem großen Frachter, der von der Kriegsmarine gechartert worden war. Ab Mai 1940 war er überwiegend mit der Versorgung der deutschen Truppen in Norwegen beschäftigt. Anfang 1941 wurde sein Schiff torpediert und sank. Er bekam ein neues Schiff und wurde zum Ersten Offizier befördert. Die zweite Versenkung fand im Sommer 1943 statt, und er überlebte wiederum. Im Anschluss an einen Erholungsurlaub sollte er sein erstes Kommando bekommen. Das Schiff, auf dem er den Kapitän ablösen sollte, wurde aber vorher versenkt. Er bekam nun einen Erzfrachter als Erster Offizier, mit der Aussicht, später dort als Kapitän zu fahren. Der Erzfrachter lief aber auf dem Weg zum Ladehafen Lulea auf eine deutsche Mine und sank. Alle Besatzungsmitglieder überlebten. Nun wurde er auf einen Trockenfrachter versetzt, der in der Ostsee als Versorger der Ostfront fuhr. Das Kriegsende erlebte er auf diesem Schiff als Erster Offizier. Seine Reederei hatte kein Schiff mehr. Mit einer Landstellung tat er sich schwer. Er wartete, bis Deutschland wieder eine Handelsmarine haben durfte und begann nach dem Krieg als Dritter Offizier. Mittlerweile war er dreißig Jahre alt geworden und noch immer Dritter Steuermann. Dann bekam er bei H. C. Horn eine Chance als Erster Offizier, nach einem Jahr wurde er Kapitän. Als H. C. Horn von der Hamburg-Süd-Gruppe übernommen wurde, versuchte er, auf ein Südschiff zu kommen. Er bekam das Kommando auf einem Frachter, der im Columbus Line Service fuhr; ein Service, der gerade im Aufbau war. Da wurde jede Ladung angenommen. In New York luden sie unter Anderem gefährliche Ladung, Chemikalien in Stahlfässern, die wegen der Brandgefahr nur an Deck gefahren werden durften. Andererseits bestand bei der Berührung mit Wasser Explosionsgefahr. Es war September und Hurrikanzeit in der Karibik. Dort traf der Alte mit einem zusammen. Als der Wirbelsturm anfing, die Aufbauten und die Decksladung zu beschädigen, ließ er die Fässer über Bord werfen. Obwohl er weisungsgemäß handelte, wurde er nach dieser Reise abgelöst. Ohne Angabe von Gründen schickten sie ihn zurück zu den Hörnchen. Die Kaufleute der Hamburg-Süd wollten ihn nicht mehr. „Nun werde ich wohl hier alt werden, mit siebenundvierzig sind doch fast alle Züge abgefahren“, sagte der Alte.

Gerade, als Flarrow noch einmal einschenken wollte, gab es Getöse. Der Dritte war von Land gekommen, den völlig betrunkenen Jan unter dem Arm, der sich heftig wehrte. Auch der Dritte war betrunken. Trotzdem schaffte der es, Jan in die Koje zu packen. Dem wachhabenden Matrosen gab er Anweisung, ihn auf keinen Fall wieder an Land zu lassen. So ging der zweite Tag im Victoria Basin in Kapstadt zu Ende.

Am nächsten Morgen meldete sich Jan zum Wachdienst und bat um Entschuldigung für das Wachvergehen. Flarrow drohte ihm bei Wiederholung den Sack an und machte ihm klar, dass dies völlig ernst gemeint wäre. Der Elektriker, immer noch nicht ganz nüchtern, meldete sich zum Tagesdienst und teilte mit, dass er für andere Arbeiten als die seines Fachgebietes nicht mehr zur Verfügung stünde. Flarrow ließ sich nicht provozieren und schickte ihn zum Motor von Kompressor I. Der Elektriker war zum Problem geworden. Weil ihm der Chief nicht passte, stellte er sich stur und versuchte möglichst viele Schwierigkeiten zu machen.

Mit dem Umbau der Schwerölvorwärmung kamen sie vor allem deshalb so gut voran, weil der Dritte ein ausgezeichneter Schweißer war. Am Abend begann der Probelauf, und alles funktionierte tadellos. Der Zweite staunte, er hatte bezweifelt, dass das etwas werden würde. Auf Flarrows Frage, warum sie diesen Umbau nicht schon längst erledigt hätten, gab er aber keine Antwort. Das genau war es, was Flarrow niemals begreifen konnte. Kaum einer der Schiffsingenieure, die alle auch gute Handwerker waren, war bereit, an der Anlage etwas zu ändern. Das wäre doch in der Verantwortung der Reederei, sagten sie immer, und dabei blieb es dann. Am Abend des dritten Tages wurde nach Löschende noch eine Schicht von den Besatzungen der Trawler und der Matrosen der „HILDEGARD“ gefahren. Die schafften fast das Dreifache der Tagesschicht. Die Fischer waren nervös geworden, weil sie bereits fünf Tage verloren hatten, als sie auf „HILDEGARD“ warten mussten. Nach Schichtende luden sie zu sich an Bord zum Nachtmahl ein. Als Flarrow mit einer Kiste Becks Bier die Messe des Trawlers betrat, fühlte er sich sofort heimisch. Erinnerungen an ROS 107 wurden wach! Es war gegen zwei Uhr morgens, als sie zur „HILDEGARD“ zurückkehrten. Am nächsten Vormittag wurde der Trawler leer, ging an den Bunkerpier und lief danach aus, um zu den südlichen ergiebigen Fanggründen an der Eisgrenze zurückzukehren.

An der Hauptmaschine waren mittlerweile alle Auslassventile gewechselt worden. Die neuen Ventile hatten sie nach Flarrows Anweisung von Hand eingeschliffen, worüber besonders die Assistenten fluchten, die diese Arbeit während ihrer Hafenwachen erledigen mussten. Nun durften alle gespannt sein, welche Standzeiten diese Ventile erreichen würden. Der Zweite hatte die Brennstoffpumpen mit neuen Rückschlagventilen versehen, und das Schweröl im Tagestank war exakt auf Vorwärmtemperatur. Aber der Motor von Kältekompressor I machte Sorgen. Es war natürlich nicht die Schuld des Elektrikers, dass der Isolationswert des Motors nicht auf ein ausreichendes Niveau gebracht werden konnte. Aber der Elektriker fasste die ihm zugeteilte Arbeit an dem Motor als Schikane auf. Früher war es doch auch ohne diesen verdammten Kompressor gegangen, warum sollte er gerade jetzt gebraucht werden? Und je mehr er sich diese Gedanken zu eigen machte, umso mehr trank er, auch während der Arbeitszeit. Flarrow setzte sich hin und schrieb nach Hamburg, dass er den Elektriker von Vigo aus nach Hause schicken würde. Der Ersatz sollte aber wegen der noch zu erledigenden Arbeiten an der Bordelektrik Vollelektriker sein.

Der letzte Abend in Kapstadt! Die Agentur hatte zu einem Essen an Land eingeladen. Mit von der Partie war ein Texaner von der Personalabteilung von SAFMARINE, der staatlichen Reederei der Republik Südafrika. Ihm ging es darum, Patentträger anzuwerben. Es gab Verständigungsprobleme, weil der Texaner ungehemmt in seinem Slang parlierte und Flarrow rügte, der diesen Dialekt nicht so ganz verstand. Er machte ihm ein sehr gutes Angebot, aber ein Wechsel zu einer ausländischen Flagge kam für Flarrow nicht in Frage. Das tat man einfach nicht. In Erinnerung an diesen Abend würde das gewaltige T-Bone-Steak und der hervorragende Rotwein der Kapregion bleiben, sonst nichts.

Am nächsten Mittag wurden auf „HILDEGARD“ die Luken geschlossen, der zweite Trawler legte ab, bunkerte und ging in See. „HILDEGARD“ übernahm noch Frischwasser und Frischproviant, um dann gegen Abend die Reise nach Vigo anzutreten.

Während die Lichter von Kapstadt langsam hinter die Kimm rutschten, begann der kräftige Westwind mehr und mehr auf Süd zu drehen, und am nächsten Morgen liefen sie, vom Südost-Passat getrieben, im Benguelastrom. Wind und Strom „mit“, wann gab es das schon?!

Die Ladung hatte sich während des Ladens auf minus zwanzig Grad gehalten. Mehr war mit drei Kompressoren nicht drin.

In Dakar, das nur zum Bunkern angelaufen wurde, warteten zwei neue Kolben für die Hauptmaschine und weitere Ersatzteile für die Hilfsdiesel. Der Bunkerclerk, mit einem schweren Colt an der Seite, kam an Bord und verlangte von Flarrow, dass er die Bunkerbestellung ausfüllte. Flarrow meinte aber, dass er der Kunde sei und der Clerk das Ausfüllen erledigen sollte. Der Clerk klopfte nach Wild-West-Manier auf seinen Colt und murmelte etwas auf Französisch, das Flarrow nicht verstand. Um die Situation zu entspannen, legte er drei Stangen Zigaretten auf den Tisch, worauf der Clerk noch Seife verlangte. Als er die bekommen hatte, teilte er leicht grinsend mit, dass er gar nicht schreiben könne, und ein zorniger Flarrow füllte das wichtige Formular aus. Danach zauberte der Clerk ein weiteres Papier auf den Tisch.

 

Das war eine Erklärung, dass das Schiff 50.000 $ zahlen müsste, für den Fall, dass Bunkeröl „auch in geringen Mengen“ in das Hafenbecken gelangen würde. Flarrow unterschrieb zähneknirschend auch das, weil er einsah, dass hier jeder Protest zwecklos war. Die anderen saßen eben am längeren Hebel. Endlich erschien der französische Agent der Ölgesellschaft und teilte mit, dass in der Stadt Dakar, Hauptstadt der Republik Senegal, von Umsturz und Revolution geredet würde. Es gäbe Spannungen, und die Schwarzen wären nervös. Flarrow hielt ihm die Zahlungsverpflichtung unter die Nase und zeigte auf das ölige Wasser im Hafenbecken. Der Agent warnte ihn, denn die Bunkerleute hätten da eine Geldquelle entdeckt. Sie würden alles versuchen, einen Overflow herbei zu führen; und sie versuchten es natürlich. Aber der Zweite rettete die Situation, indem er den Bediener im richtigen Moment vom Absperrventil wegstieß und es zudrehte. Flarrow begann, die Leute von Land zu hassen. Er empfand diese Behandlung als Demütigung und dachte darüber nach, wie man zukünftig das Bunkern in Dakar umgehen könnte. „Scheiß Nigger“, sagte er zum Alten, der zustimmend nickte. Nach sechs Stunden Liegezeit verließen sie Dakar mit vollen Bunkern, froh, dass sie so gut davon gekommen waren.

Im Fischereihafen von Vigo löschten sie den Fisch mit durchschnittlich minus zwanzig Grad. In den oberen Lagen und unter den Luken waren es allerdings nur minus siebzehn und weniger, was aber hier niemanden interessierte.

Das Löschen dauerte vier Tage, in denen die Hauptmaschine zwei neue Kolben bekam. Die Auslassventile hatten durchgehalten, und eine Prüfung zeigte, dass sie wohl noch weiter durchhalten würden. Der Zweite war darüber so sauer, dass er Urlaub einreichte. Der Elektriker packte seine Sachen und verschwand nicht von Bord, ohne noch einmal eine richtige Saufparty mit seinen Freunden veranstaltet zu haben. Er konnte aber damit keinen bleibenden Eindruck bei Flarrow hinterlassen, der dieses Verhalten in seiner Beurteilung für die Reederei berücksichtigt hatte.

Nachdem die Ladung gelöscht worden war, begannen die Leute von Pescanova Ausrüstung und Stückgut in Luke I zu laden, und der neue Elektriker traf ein, ein sehr junger Mann, gerade ausgelernt und nun dabei, die große weite Welt kennen zu lernen. Sie hatten ihm einen unbefahrenen Elektriker-Assistenten geschickt! Noch schlimmer war aber, dass er von einem kleinen Handwerksbetrieb kam, der vornehmlich im Wohnungsbau tätig war. Solche Leute nannten sie an Bord „Schwachstrom-Elektriker“. Als Flarrow dem Jungen den Motor von Kältekompressor I zeigte, wurde der blass und sagte ihm frei heraus, dass er davon praktisch keine Ahnung hätte. Daraufhin bekam er ein Buch über Gleichstrommotoren in die Hand gedrückt. Und Flarrow empfahl ihm dringend, sich schlau zu machen. „Denken Sie daran, dass wir diesen Motor an Land geben werden und zwar zerlegt, weil wir ihn nicht durch das Kühlmaschinenraumschott bekommen. Er wird auch in Einzelteilen von Land zurückkommen, und Sie werden dann den Motor zusammenbauen und in Betrieb nehmen!“

Da das Laden sehr langsam ging, beschlossen Kapitän und Chief, einen Nachmittag an Land zu verbringen. Zunächst besuchten sie die von der Hamburg-Süd autorisierte Agentur LINEAS MARITIMAS, MEINO VON EITZEN Y CIE in der Valperra 5. Dort wurden sie sehr willkommen geheißen, denn solche Besuche bei den Agenturen waren eher selten geworden, weil die Leute von Bord kaum noch Zeit dafür hatten. Der hoch betagte Meino von Eitzen empfahl den Besuch von Baiona, einem Badeort mit viel Gastronomie. Sie bekamen auch gleich eine Empfehlung für ein bestimmtes Fischlokal mit. Nach einem sehr herzlichen Abschied, nahmen sie die Ferrocarril, eine schon fast historische Straßenbahn, die sich schlingernd, quietschend, knarrend und blitzend auf den Weg machte. Der Tourismus von 1967 war mit heute nicht zu vergleichen, und das Dorf lag Anfang April noch ein bisschen im Winterschlaf. Die empfohlene Gaststätte lag etwas höher in den Hügeln, wo man einen sehr hübschen Ausblick auf das Meer und das Dorf hatte. Der Wirt beendete seine Siesta und machte dem Personal lauthals Beine. Meeresfrüchte waren angesagt, und sie waren wirklich frisch. Es wurde eine richtige Schlemmermahlzeit mit Austern, Muscheln und allerlei nie gesehenem Schalengetier. Natürlich mussten sie bei so viel Eiweiß vorsichtig sein, weshalb als Zwischengang jeweils ein Carlos Primero fällig war und natürlich der vorzügliche Vino Rocha. Der überaus freundliche Wirt schenkte reichlich ein. Die deutschen Gäste waren hier noch eine Seltenheit, weshalb er sich sehr geehrt fühlte. Als Hauptgang hatte er zwei ausnehmend große Krabben, wie sie Flarrow noch nie gesehen hatte, angepriesen, die dann auch auf den Tisch kamen. Es schmeckte einfach herrlich, und sie waren seit langer Zeit wieder einmal frei von allen Verpflichtungen. Nach der zweiten Flasche Roten brachen sie auf, hinunter ins Dorf, so lange sie noch Tageslicht hatten. Im Dorf wanderten sie weiter, von einer Bar zur nächsten, was recht interessant war, bis sie schließlich die letzte Bahn nach Vigo erwischten. Dort angekommen, fanden sie ein nettes Restaurant, wo sie auf Bier umstiegen und köstliche Tapas vorgesetzt bekamen. Dort zeigte ihnen der Wirt auch ein Eisernes Kreuz erster Klasse, das er im Krieg an der Ostfront als Soldat in der spanischen Blauen Division bekommen hatte. Diese Division war Francos Beitrag zum Krieg Hitlers. Mehr hatte der Caudillo nicht für den deutschen Faschismus übrig gehabt.

Lange nach Mitternacht stiegen sie aus einem Taxi, das sie zu ihrem Schiff gebracht hatte. Ein ausnehmend schöner Nachmittag war zu Ende.

Am nächsten Morgen verholten sie zum Eispier. Dort sollten sie hundertfünfzig Tonnen Eis für das Fabrikschiff „GALICIA“, das vor Las Palmas lag, laden. Die Ausrüstung in Luke I war für die spanische Fangflotte bestimmt, die weiter südlich im Atlantik fischte. Die „GALICIA“ war ihr Mutterschiff.

Jan van Thaden war an diesem Morgen nicht an Bord zurückgekehrt und hatte wiederum seine Wache nicht angetreten. Er wurde spät abends von der Polizei an Bord gebracht. Wegen einer Schlägerei hatte man ihn in Gewahrsam genommen. Nun saß Flarrow in der Tinte, denn er hatte Jan versprochen, ihn bei der nächsten Übertretung fristlos zu entlassen, und weil der Schmierer außerdem völlig betrunken war, konnte er ihn gar nicht ansprechen. Das Eis rauschte in Luke II, und am Abend liefen sie aus. In drei Tagen würden sie auf der Reede von Las Palmas / Gran Canaria ankern. Das Problem „Schmierer Jan van Thaden“ musste wohl oder übel auf die lange Bank geschoben werden. Die beiden Assistenten teilten sich die Abendwache des Schmierers und meckerten über ihn. Der Elektriker-Assistent gab sich viel Mühe mit der Demontage des Antriebsmotors von Kältekompressor I. Eigentlich lief alles gut, die Arbeit wurde leichter und weniger. Der Dritte war ein fleißiger Mann und hatte so ganz nebenbei seine Hilfsdiesel überholt, die nun mit neuen Laufbuchsen und Kolbenringen merklich besser liefen. Man konnte ruhiger schlafen auf „HILDEGARD“. Störungen und Ausfälle hatten stark abgenommen. Seit Kapstadt hatte es nur einen kurzen Stopper auf See gegeben!