Buch lesen: «Der Finanzfaust»
LOTHAR MÄRKL
DER FINANZFAUST
CONZETT VERLAG
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E-Book 2012 (nach der Printausgabe 2000)
ISBN 978-3-03760-021-4
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Meiner Frau Ellen
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Vorspiel
Prolog im Himmel
Der Albtraum und der Wunschtraum im Faustschen Studierzimmer
Faust im Kaminzimmer
Osterspaziergang
Der Faustsche Zyklenkalender
Abendlicher Presseball auf dem Venusberg
Die Nacht der Erkenntnisse
Das Monster
Besuch bei Mephisto
Das Netz
Die Geschichte einer Ehe
Im Computerkeller
Die Liebe
Der Wettausgang
Epilog im Himmel
VORWORT
FAUST ist heute lebendiger denn je! Die Faustsage ist um 1570 in Wittenberg entstanden. Der Urheber blieb unbekannt, doch wurde das erste Faustbuch von Johann Spies im Jahre 1587 in Frankfurt am Main veröffentlicht. Schon kurze Zeit danach hat die Sage Eingang gefunden in die englische, französische und italienische Literatur und sogar in die Musikliteratur Europas.
Die Gelehrtentragödie des Doktor Faustus ist die Geschichte des Scheiterns des wahrheits- und erkenntnissuchenden Menschen im sokratischen Sinne; sie ist eine menschliche Tragödie, sie ist aber nicht die Geschichte der Tragödie der Menschheit. Erst die Erkenntnistragödie eines einzelnen bringt die ganze Menschheit voran.
Vieles versucht Faust zu erforschen, besonders die Naturwissenschaften reizen ihn, er unternimmt Flugversuche, bereist ganz Europa, aber er stösst immer wieder an die Grenzen: Nur Magie kann helfen! Faust weiss viel, aber gerade weil er vieles weiss, erkennt er die Begrenztheit seines Wissens: Er erkennt, dass er nichts weiss. In sokratischer Bescheidenheit verzweifelt Faust. Der »Gelehrte« Faust versucht – besessen von unersättlichem Forschungsdrang – sein Wissen stets neu zu vertiefen und zu erweitern.
Diesen trockenen Gelehrten Faust reizt aber auch die andere Seite des Lebens, das Hedonistische, der Luxus, die Lust und das pralle Leben. Er bekennt: »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.«
Und so kommt der Teufel in seine Welt.
In der ursprünglichen Fassung der Faustsage des 16. Jahrhunderts schliessen Faust und Mephisto einen Vertrag miteinander, einen Pakt: Mephisto verspricht Faust sowohl in den drängenden Fragen der Zeit, den Natur- und Geisteswissenschaften, Erkenntnisse zu liefern, als auch für ausreichend Genüsse für sein leibliches Wohl zu sorgen, wozu auch die Erfüllung sexueller Wünsche gehört. Im Gegenzug verspricht Faust dem Teufel seine Seele nach seinem leiblichen Tode. (In der Finanzwelt von heute würde dies als Barbezug von heutigem Wohlleben und gleichzeitigem Terminverkauf der Seele im Todesfalle bezeichnet werden.)
Die Erfüllung dieses Paktes liegt im Interesse beider Vertragsparteien. Insofern wird der Pakt von und für beide Seiten schliesslich zufriedenstellend erfüllt.
In der Faustbearbeitung von Johann Wolfgang von Goethe im 18. Jahrhundert steht nicht mehr der im beidseitigen Interesse liegende Pakt im Vordergrund. Denn Faust und Mephisto wählen eine andere Vertragsart: die Wette. Im Gegensatz zum historischen Pakt von 1587 bedeutet diese Wette ein entgegengesetztes Interesse der beiden Vertragsparteien. Der Gewinn des einen ist der Verlust des andern und umgekehrt. Faust und Mephisto wetten um die Seele von Faust. Mephisto verschafft ihm eine neue Jugend und verspricht ihm irdische Freuden. Sollte er es erreichen, dass Fausts unentwegter Wissensdrang in Schwelgerei und Müssiggang versiegt, so hätte Mephisto die Wette und damit Fausts Seele gewonnen. Mephisto verliert schliesslich die Wette nach vierundzwanzig Jahren, weil die göttliche Gnade Faust erlöst hat.
In meinem Finanzfaust des ausklingenden 20. Jahrhunderts weiss Faust und wissen die Menschen, dass sie für ihre und ihrer Kinder Zukunft selbst verantwortlich sind. Sie wissen um die zwei Seelen in ihrer Brust und haben daher Angst, sich über andere zu stellen und damit zu fehlen. Sie haben auch Angst, gegen das Sokratische Bescheidenheitsgebot zu verstossen, und sie haben Angst, auf dem Faulbett des süssen Lebens zu verderben und die Arbeit und das Forschen, das Investieren und das Wagen zu vernachlässigen.
Die zutiefst verwurzelte Angst des modernen Faust, in diesen drei elementaren Prinzipien zu fehlen und damit von seinen gleichsam universalen Normen abzuweichen, bedeutet für ihn, »des Teufels zu sein«. Schliesslich glaubt der Teufel nach dreissig Jahren, der Wettsieger zu sein, da er fleissig einen Katalog sogenannter Sünden von Faust zusammengetragen hat, muss dann jedoch feststellen, dass er die alles entscheidende Wahrheit – das Metagebot, nämlich die Liebe – übersehen hat.
Das Faustthema ist immer dann besonders aktuell, wenn sich die Geschichte und die Zeiten im Umbruch befinden. Ursprünglich entstand die inzwischen über vierhundert Jahre alte Faustsage in einer Zeit des religiösen Umbruchs. Sie ist gewachsen auf dem Boden der Reformation. Das neu erwachte Wissen um die persönliche Individualität erweckte alte Ideale aus der griechischen Kultur zu neuem Leben. Im Gegensatz zu der bis dahin gültigen Überzeugung, dass alles im Dogma geregelt sei und dass das theozentrierte Weltbild allein richtig sei, also alles in der absoluten Gottbezogenheit gesichert sei, entwickelte sich in der Renaissance das anthropozentrierte Weltbild. Dieses bedeutete eine diesseitige, der Welt zugewandte Orientierung, die den Menschen Rechte, aber auch Pflichten auferlegt. Damit waren die Zeiten des käuflichen Ablasses vorbei. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts schafften den religiösen Umbruch.
Auch Goethe schuf seinen Faust in einer Zeit des geschichtlichen Umbruchs: Eine gewaltige Bevölkerungsexplosion fand in Europa statt, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege, erste Milizarmeen, die Erneuerung von Rechts- und Fiskalordnungen. Im Zuge dessen wurden wenig später die Nationalstaaten in Europa geschaffen, die die neuentstandenen Massengesellschaften organisiert und geordnet haben.
Goethe hat der Gelehrtentragödie Faust die Gretchentragödie hinzugefügt. Angeregt durch das tragische Schicksal einer jungen Frau, die wegen einer nicht ehelich legitimierten Schwangerschaft ihr Kind tötete und im Kerker starb, prangerte Goethe damit gesellschaftliche Notstände und insbesondere auch die Unterordnung von Frauen an. Genial verwob er das Schicksal des zu neuer Jugend gelangten Faust mit dem Schicksal Gretchens: die Liebe zur Magie in dem Gelehrtendrama mit der Magie der Liebe des Gretchendramas.
Die Faustsage ist somit einerseits zeitgenössisch, aber andererseits wegen der zutage tretenden Grundstruktur ebenso überzeitlich.
Auch heute befinden wir uns wieder in einer Zeit des Umbruchs. Die reale Wirtschaft und damit der Kapitalstock wachsen weltweit zu gewaltiger Grösse. Das Finanzvermögen in der Welt steigt in unvorstellbare Grössenordnungen. Die Finanzmärkte stehen vor neuen grossen Herausforderungen und befinden sich in rasendem Tempo auf der Suche nach neuen Gleichgewichten. Die Menschheit ist in die Epoche der Hochgeschwindigkeit, der »real time«, eingetreten. Viele neue Aufgaben sind zu bewältigen in den Bereichen der Elektronik, im Rechtswesen, in der Ethik, der Ökonomie, der Ökologie und vor allem in den interdisziplinären Wissenschaften.
Unser Finanzfaust steht mit beiden Beinen fest im Leben, aber der Boden schwankt heftig. Täglich gibt es neue, andere Antworten auf die ewig gleichen Fragen.
Deshalb erkennt der Finanzfaust, dass er nichts weiss! Und selbst dieses Wissen ist unsicher! Er wird sich jedoch nicht aufs Faulbett legen, und er wird auch keinen Trost in neuem Aberglauben suchen. Er wird nicht jammern, er wird nicht klagen, wird nicht vor Gier verzagen, und, vor allem, er will sich nicht über andere stellen!
Im Bewusstsein seines zeitbemessenen Glücks auf dieser Erde sucht Finanzfaust Erkenntnis und Liebe.
Gleichsam diskontiert er mit einem hohen Risikozins Körper und Geist in die Gegenwart. In seinem Innersten will er schon heute das Morgen geniessen, und so jagt er von Begierde zu Genuss, und im Genuss verschmachtet er nach Begierde. Der heutige Faust hat den Dämon im Innern seiner Seele gebändigt, er beherrscht ihn, er wehrt sich gegen die Verletzung des Weisheits- und des Liebesgebots. Er will nicht durch andere »ver-rückt« werden. Er will nicht durch den Teufel gezwungen werden, Dinge zu tun, die er nicht tun will. Die Angst vor der Unfreiheit, die von obsoleten Normen ausgeht, wird dazu führen, dass Faust diese Normen sprengt, ohne dass dies Sünde wäre!
Und der Teufel spielt in dieser Welt immer wieder seine verführerische Rolle. Nicht immer war das seine Rolle. Im Alten wie im Neuen Testament bedeutet der Teufel Tod und Verderben. Dort ist er nicht der Repräsentant des Bösen, sondern des Todes und des Schattens, er steht für die Nacht.
Ganz anders der Teufel in der Reformation: Der Mensch hat jetzt seine Handlungen selbst zu verantworten, und der Teufel wird zum Ventil für alle Fehler und Misserfolge. Erst seither spielt der Teufel seine verführerische Rolle. Er braucht Gesetze, Grenzen und Gespenster, um Faust zu Übertretungen zu verführen. Aber davor, nämlich vor der Übertretung überholter Normen – vor der Sünde, wie es alte Autoritäten definieren –, hat Faust keine Angst. Mephisto setzt alles daran, um Faust zur Abweichung von diesen Normen zu verführen. Es sieht zuweilen aus wie Sünde, ist aber Fortschritt: Der Teufel will das Böse und schafft schliesslich das Gute. Im Chaos der Normenzerstörung entstehen neue Welten, neue Ordnungen. Alles fliesst. Es entstehen auch neue Werte, Normen und Sensibilitäten: Rassismus und Sexismus wird getrotzt, die Erde wird als brüchiger, aber fruchtbarer Boden allen Lebens erkannt. Dabei verzehrt Faust sich in seiner Sucht nach Entgrenzung.
Eine ganz andere Rolle spielt Dr. phil. Nekro. Diese Figur habe ich dem Faustdrama hinzugefügt, um den Wirkungsbereich des Teufels deutlich abzugrenzen. Dr. Nekro anerkennt für seine Person überhaupt keine Regeln, keine Gesetze und keine Normen. Im Gegensatz zu Mephisto schafft er lebensfeindliche Ergebnisse: Er will nicht den Krieg, er will Tote; er will nicht das Stehlen, er will Armut; er will nicht die Vertreibung, er will Genozid; er will bewusst Rechtsunsicherheit schaffen. Die Macht über Menschen genügt ihm nicht, er will deren totale Ohnmacht. Seine Lebenseinstellung ist im Gegensatz zum biophilen Faust absolut nekrophil und monströs.
Nekro hat der Geschichte immer wieder seinen grausigen Stempel aufgedrückt. Anders als der Teufel ist er ein Monster. Dr. Nekro hat keine Seele. Aus diesem Grunde handelt er verantwortungslos. Er ist damit für den Teufel nicht nur kein Kunde, Mephisto akzeptiert ihn nicht und veranlasst schlussendlich seine Vernichtung. In einer Welt ohne Normen hätte der Teufel keine Existenzberechtigung.
Dr. phil. Nekro schafft immer das negative Endergebnis, weil er den totalen Krieg um seiner kranken Ideen willen anstrebt. Er schürt Rassismus; vernichtet Rechte und raubt jede Hoffnung. »Ver-rückt« im Hirn, jenseits aller Ethik, will Nekro Untergang, totale Zerstörung. Sein Ego verträgt keine Kompromisse, nur sein absolutistisches Ego erklärt die Unbedingtheit seiner Existenz oder seiner Nonexistenz, seiner Vernichtung.
Mephisto dagegen anerkennt die Notwendigkeit von Normen, Gesetzen und Regeln, er möchte sie nur übertreten wissen, vielleicht auch für einen guten Zweck. Es gäbe keine Sünde, wenn es keine Normen gäbe!
Nero, Hitler, Stalin, Eichmann und viele andere, die die Geschichte noch brandmarken wird, beweisen, dass immer wieder ein Nekro unter uns lebt und immer wieder von neuem seine menschenverachtenden, zynischen Ziele anstreben wird.
Die Zahl der handelnden Personen im Finanzfaust ist bewusst klein gehalten. Auch der eng umgrenzte Raum und eine symmetrische Struktur sollen eine Metaebene erkennen lassen, auf der grundsätzliche Linien hervortreten sollen: das Weisheitsgebot, die Zehn Gebote, das Forschungs- und Investitionsgebot und das »summum bonum« der Menschheit:
DIE LIEBE.
Lothar Märkl |
VORSPIEL
auf der Bühne im Jahre 2000
(zum Drama, das im Zyklus von 1989 bis 2050 spielt)
JOHANN WOLFGANG
JOHANN WOLFGANG
Heute ist der Globus voll erschlossen,
In Zeit und Raum.
Dem Faust im Menschen ist dies entsprossen:
Der uralte Menschentraum,
Die Welt vernetzt und globalisiert.
Weltoffen Börsen und Finanzen, voll computerisiert,
Hier ist unser FAUST sehr irritiert.
Seine Sinne sind elektrisiert.
Er spürt in seinem Innern den grossen Bruch
In der Geschichte Tagebuch.
Die Menschheit schaffte die grosse Wende:
Überwand des Krieges ew’gen Fluch,
Machte Not und Pein
Ein Ende.
(vor einem Bild von FAUST stehend, sinniert er)
Was Du denkst und was Du fühlst,
Was Du hörst und was Du siehst,
Was Du schmeckst und was Du riechst,
Dein Morgen in Dein Heute fliesst.
Dein Gestern wird Vergangenheit,
Der Erinnerung werte-volle Beute,
Festgeschrieben Dir im Heute.
Nicht alles verfällt der Vergessenheit;
Über den Tag hinaus fliegt Dein Gedanke in die Zeit,
Das Besondre malt des Lebens buntes Kleid:
Hinein in die Zukunft des fernen Sehnens,
Der Hoffnung Zittern fliesst durch Adern und Venen.
FAUST, Du kannst nur werden, wenn Du weisst:
Ich kann nur sein, wenn ich weiss, wer ich bin.
Die Geschichte gibt den wahren Sinn.
Auf ihrem Hochaltar
Wird Dir die Zukunft offenbar.
Geh über die Brücke der Zeit;
Deine Zukunft fliesst aus Deiner Vergangenheit.
Willst Du die Zukunft nicht dem Zufall überlassen,
Musst Du sie heute schon mit beiden Händen fassen!
Was Du wirklich willst!
Zu gestalten, was Du in Dir fühlst,
Zu vollenden, was Du willst!
Weise Seher und Propheten waren stets bestrebt,
Zu erforschen ferner Tage Zukunftsbahn.
Das ist gut, doch haben nur Orakeln nachgelebt,
Den Tempeln, Priestern, Delphi und dem Nostradam
Leider viele, Dareius, und so manches Volk.
Mit mehr Infos würde nicht so falsch entschieden,
Über Krieg, Frieden und Erfolg.
Verantwortung ist doch beim Volk geblieben!
Merke: Gurus, Gaukler und Ganoven sind im Handumdrehen
In allen Zeiten Dir zu Stelle,
Deiner Zukunft die Entscheidung abzunehmen,
Schick sie weg, sie sind nicht der Weisheit richt’ge Quelle!
Voll neuer Kraft besiegt der Faust im heutigen Politgeflechte,
Unter Akzeptanz der Menschenrechte,
Mit INFORMATION
Und KOMMUNIKATION
Der Erde Not und Pein,
Die Zukunft wird wieder voller Zukunft sein!
Der kostenlose Auszug ist beendet.