Buch lesen: «Der Verdacht»

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Logan Kenison

DER VERDACHT

Westernroman

Das Buch

Die Leute im Valley glauben, dass Sam Hannigan ein Mörder ist. Nach dem mysteriösen Tod seiner ersten Frau ist nun auch seine junge zweite Frau spurlos verschwunden, zusammen mit dem Farmhelp Noel Buckner. Sheriff Gil Pearson und Doc Jonathon Sexton versuchen, den Fall zu klären. Doch wenngleich Sams Erklärungen nicht nachprüfbar sind, klingen sie durchaus plausibel. Dann taucht eines Tages ein Fremder in der Stadt auf, und der Verdacht gegen Sam wächst ins Unermessliche …

Der Autor

Logan Kenison ist Autor von Western-, Abenteuer-, Action- und Spaceromanen. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Der Verdacht

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Impressum

© 12/2021

by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise

nur mit Genehmigung des Autors.

Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode »Der Tag der Lanze« (Orig.: »Day of Reckoning«, USA, 1960) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.filmjuwelen.de

Dieser Roman ist ein Produkt der Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ist unbeabsichtigt und wäre reiner Zufall.

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Logan Kenison

DER VERDACHT

SAM HANNIGAN spürte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte an jenem Samstagvormittag zu wenig Patronen für die Fasanenjagd eingesteckt, hatte noch einmal umkehren müssen und kam nun unverhofft auf seine Farm zurück. Und da merkte er, dass etwas nicht stimmte.

Gerade wollte er aus dem Gestrüpp treten und zum Farmhaus hinüberstiefeln, als er seine Frau den Heuschober verlassen sah. Sie warf einen kurzen Blick zurück ins Innere, lächelte, dann schloss sie die Tür und lief zum Wohnhaus. Sam bemerkte selbst auf diese Entfernung, wie derangiert sie aussah: Die Kleidung war zerknittert, Strohhalme klebten ihr im Haar, und sie knöpfte, während sie den Farmhof überquerte, die Bluse zu.

Was Sam Hannigan aber am meisten verstörte, war das versonnene Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte.

Jessica Hannigan bemerkte ihren Mann nicht. Er war am frühen Morgen aufgebrochen und hatte mit ein paar Fasanen zurückkommen wollen, die er drei Tage lang in einer Dill-Kümmel-Marinade einzulegen und danach krustig anzubraten gedachte. Sam Hannigans Fasanenbraten war berühmt und berüchtigt im ganzen Valley. Doch jetzt sah es aus, dass es zu diesem Schmaus, zu dem auch immer ein paar Nachbarn eingeladen wurden, nicht mehr kommen würde.

Von seinem Platz aus, versteckt hinter einem Holundergebüsch, das ihn vor fremden Blicken verbarg, sah Hannigan jetzt, wie eine weitere Person aus dem Heuschober trat. Die Person tat es durch die abgewandte Tür, und während sie fortging, steckte sie sich den letzten Zipfel ihres Hemds in die Hose. Es war Noel Buckner, der Farmhand, den Hannigan im Frühling eingestellt hatte.

Buckner war als abgerissener Landstreicher auf der Farm angekommen, hatte ausgesehen wie eine halbverhungerte Katze, die jemand in einen Teich geworfen hatte. Das hatte Sams Mitleid erregt. Sam hatte den jungen Mann in Lohn genommen und ihm einige seiner abgetragenen Sachen überlassen. Jetzt, ein halbes Jahr später, sah Buckner prächtig aus. Er rasierte sich regelmäßig und pflegte sich auf eine Weise, die Hannigan nur noch Staunen abringen konnte. Er war ein hübscher Kerl; einer, auf den die Frauen flogen, und wie es aussah, war genau das mit Jessica geschehen: Sie flog auf ihn.

Als Sam an diesem Samstagvormittag diese beiden Menschen aus der Scheune treten sah, beide in verschiedene Richtungen fortgehend, als ob sie sich nicht kannten, als ob nichts geschehen wäre, und doch mit einen solch intim-versonnenen Ausdruck im Gesicht, wusste er, dass sein bisheriges Leben vorbei war.

Niemand musste Sam Hannigan erzählen oder erklären, was die beiden dort im Heuschober – oder sollte man besser sagen: im Heu – getrieben hatten. Und er wusste, dass er Jessica gar nicht erst danach zu fragen brauchte; sie würde ihm doch nur eine Menge Lügen auftischen.

Auch Buckner würde bestimmt alles ableugnen und so tun, als trübte nichts das Wässerchen zwischen ihnen, rein gar nichts.

Sam taumelte keuchend in die Wildnis zurück. Es fühlte sich an, als hätte er eine gewaltige Maulschelle erhalten. In seinem Schädel klirrte es, in seinen Ohren rauschte das Blut. Ihm war, als dröhnte ein schriller, lauter, dissonanter Posaunenstoß in seinen Gehörgängen, so grell, dass er fast schon die Augen zusammenkneifen und die Hände gegen die Ohren pressen wollte. Er umklammerte das Gewehr, das er bei sich hatte, so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

Er musste erst einmal Abstand gewinnen … Abstand zur Farm, zu seinen Beobachtungen, zu allem.

Er lief eine ganze Weile durchs Gelände, ohne zu wissen, wo er eigentlich war. Links und rechts von ihm flatterten erschreckt Fasane auf, doch er bemerkte sie nicht.

In ihm wirbelten Gedanken und Gefühle, die er nie gekannt hatte, von denen er nicht einmal wusste, dass es sie gab. Und irgendwann an diesem Morgen wurde ihm klar, dass in seinem Herzen die Hölle tobte.

Er hatte Geschichten von untreuen Ehefrauen gelesen. Hatte sich darüber amüsiert und sich davon unterhalten lassen. Niemals hatte er sich auch nur im Entferntesten vorstellen können, dass ihn einmal genau dasselbe Geschick treffen könnte.

Nun aber war es so gekommen.

Nun stand er vor einer Weggabelung, nun musste er sich entscheiden.

Was würde er tun?

Wie würde er, Sam Hannigan, mit dieser Entdeckung und der daraus resultierenden Erkenntnis umgehen?

Welche Konsequenzen würden sich für ihn daraus ergeben?

Wenn er nun hinging, und sie beide über den Haufen schoss?

Es wäre das Beste. Ja, verdammt, es wäre einfach das Beste!

Die aufgewühlte Hölle in seinem Innern verlangte danach.

Oder sollte er sich nur an Jessica halten? Sie büßen und leiden lassen für das, was sie ihm angetan hatte?

Er würde dabei alles verlieren. Alles.

Sein ganzes verpfuschtes Leben würde dabei auf der Waagschale stehen.

Aber stand es das nicht bereits jetzt?

O yeah, selbst jetzt, da er noch gar nichts unternommen hatte, wo er nur wusste, was zwischen den beiden lief, aber noch nicht darauf reagiert hatte, war das Leben, das er bisher gekannt hatte, zu Ende.

Er wusste, er konnte nicht wieder zur Farm zurückkehren und so tun, als wäre nichts gewesen. Als wüsste er von nichts. Als würde er sie nach wie vor lieben und ihm ein Arbeitgeber sein wollen. Nein! Sam Hannigan würde sein Leben nicht weiterführen können. Nicht so. Nicht mit diesen beiden Menschen um sich.

Der Vertrauensbruch war da, und er war ein tiefer Riss, ein sehr tiefer Abgrund, der nicht wieder gekittet werden konnte.

Niemals mehr.

Diese beiden Menschen hatten ihn auf die abscheulichste Weise hintergangen, die ein Mann sich vorstellen konnte. Wie lange ging das schon so? Hatte Jessica ihm nicht erst gestern Abend noch ins Gesicht gelacht, als könnte sie kein Wässerchen trüben? Ihn auf die Wange geküsst. Seinen Arm gestreichelt. Seine Hand gehalten. Wer konnte sagen, wie lange sie ihn da schon betrogen hatte!

Selbst wenn er nur Noel Buckner erledigte und es mit Jessica noch einmal versuchte, hätte es überhaupt noch einen Sinn? Würde er ihr jemals wieder vertrauen können? Würde sie nicht bei der nächstbesten, sich ihr bietenden Gelegenheit wieder fremdgehen? Doch selbst wenn nicht – würde er nicht genau dies annehmen müssen? Jedes Mal, wenn er die Farm verließ und sie allein zurückblieb, würde er von Gedanken dieser Art gepeinigt und zerfressen werden. Er würde sich ihrer nie wieder sicher sein können. Niemals wieder, in seinem ganzen Leben.

Nein, es gab keine andere Lösung.

Sie mussten beide sterben.

Sam setzte sich auf einen umgefallenen, moosbewachsenen Baumstamm und starrte lange Zeit auf seine Schrotflinte. Auf den langen, zerkratzten Lauf. Den Schlüsselkasten. Den Abzugshebel. Den glatten, glänzenden hölzernen Schaft.

Irgendwann, nach Stunden des Nachdenkens, wusste er, was er zu tun hatte. Er machte sich auf den Weg zurück zur Farm.

*

Sheriff Gil Pearson zügelte sein Pferd und blickte zur Farm von Sam Hannigan hinab. Der Sheriff war 52, ein Hüne von Mann, und wirkte viel zu groß für sein Pferd. Zudem hatte er ein paar Pfund zuviel auf den Rippen; das arme Tier hatte schwer an ihm zu tragen. Doch Pearson war gütig und mutete ihm nur selten lange Ritte zu.

Dennoch … diesmal hatte er keine Wahl gehabt. Er hatte die zwölf Meilen zur Farm von Sam Hannigan herausreiten müssen. Schließlich war er als Sheriff für den gesamten Bezirk zuständig, und wenn es Klärungsbedarf gab, dann war es seine Aufgabe, für das Nötige zu sorgen. Diesmal war eine Befragung unabdingbar, und er wollte sie selbst durchführen. Er konnte nicht zulassen, dass weitere Gerüchte sich ausbreiteten. Was bereits durch die Stadt und über die Gehöfte geisterte, war schlimm genug.

Schlimm für Sam Hannigan, wenn es nicht stimmte.

Noch schlimmer, wenn es stimmte.

Pearson gab dem Gaul die Fersen und dirigierte ihn in den Farmhof, direkt auf die Pferdetränke zu. Das Tier atmete erleichtert auf, als der Sheriff aus dem Sattel stieg. Sofort begann es zu saufen. Der Weg war lang und staubig gewesen.

Sheriff Pearson trat an die Haustür und pochte laut dagegen.

Er hatte gehofft, Sam zuhause anzutreffen, und der Geruch nach Mittagessen, der in der Luft lag, stimmte ihn zuversichtlich. Es war ein guter Gedanke gewesen, die Farm zur Mittagszeit aufzusuchen.

Er hörte Schritte, dann flog die Tür auf.

Sam Hannigan trat im Unterhemd heraus. Seine Hose wurde durch breite, angeknöpfte Hosenträger gehalten. Er trug jene harten Lederschuhe, die bei der Landbevölkerung weitverbreitet waren, und die auf den Planken so laut polterten.

»Hello, Sam«, sagte Pearson, und dann unverblümt: »Wir müssen reden.«

Sam Hannigan sah den Sheriff ein paar Sekunden lang stumm an, während sich hinter seiner Stirn die Gedanken jagten. Dann trat er zur Seite und signalisierte damit dem Gesetzeshüter einzutreten.

»Hast du Hunger?«, fragte Sam. »Kannst ’n Teller abhaben. Ich hab genug gekocht.«

»Ich hab’s schon gerochen, Sam. Das machst du, glaube ich, ziemlich gut.«

»Jedenfalls kann ich mich schlecht über mich selbst beklagen, haha.«

Als der Sheriff das Haus betrat, sah er sich unauffällig um. Ihm fiel sofort auf, dass einige Bodenplanken erneuert worden waren; das Holz war heller und weniger abgenutzt als das der anderen Planken, die schon vor längerer Zeit verbaut worden und nachgedunkelt waren. Und auch in den Wänden waren einige Bretter ausgetauscht worden.

Nun, dafür konnte es ganz pragmatische Gründe geben – aber leider auch sehr unschöne. Durch den Austausch könnten Blut und Einschusslöcher vertuscht worden sein.

Er folgte Sam in die Küche, und der Sheriff sah zu, wie Sam zwei Teller aus einem großen Topf füllte. Es war Irish Stew, und er roch tatsächlich köstlich. Keine Hausfrau hätte dieses Gericht besser hinbekommen als Sam Hannigan. Teufel, dieser Mann konnte einfach mit Töpfen, Pfannen, Fleisch und Gewürzen umgehen.

»Du weißt, warum ich hier bin«, sagte Pearson.

Sam brummte nur vor sich hin, während er zwei Kanten Brot absäbelte. Solange er das Messer in der Hand hatte, behielt der Sheriff ihn genau im Blick und die Hand in der Nähe des Coltgriffs. Erst als Sam es beiseitelegte, entspannte Pearson sich wieder.

Sam packte die zwei gefüllten Teller.

»Bring du das Brot mit«, sagte er und ging voran in die Stube.

Pearson folgte mit den abgeschnittenen Brotkanten.

Sie setzten sich an den Tisch und begannen zu essen.

Pearson hatte mächtigen Kohldampf und genoss die Mahlzeit. Dabei hatte er Zeit und Gelegenheit, sich Sam Hannigan genau anzusehen. Das Haar des Farmers hing ihm ungepflegt und strubbelig ins Gesicht. Er hatte sich seit Tagen weder gekämmt noch rasiert. Seine Kleidung starrte vor Dreck. Wenigstens hatte er seine Hände gewaschen, bevor er die Mahlzeit zubereitet hatte. Dennoch prangten Dreckränder unter seinen Fingernägeln.

»Du weißt, warum ich hier bin«, wiederholte Pearson. Sein Blick fixierte den Farmer.

Wieder brummte Sam, was der Sheriff als Zustimmung deutete.

»Es ist jetzt zehn Wochen her, dass jemand Jessica gesehen hat«, fuhr Pearson fort. »Gerüchte gehen wie Wildfeuer durch die Gegend. Die Leute munkeln …«

»Was?«, brüllte Sam unvermittelt los und spuckte dabei Brotkrümel und feuchte Tropfen über den Tisch. »Was munkeln die guten Leute aus dem Valley?«

»Dass du sie … umgebracht hast«, ließ Pearson die Katze aus dem Sack.

Der Sheriff hatte mit vielem gerechnet, mit einem Wutausbruch, mit Erklärungsversuchen oder mit verlegenem Gestammel. Das Grinsen, das in Sams Gesicht stieg, überraschte ihn dann aber doch.

»Ach so, das. Sagen das die Leute? Ich bin also der wilde Mann. Ich bringe meine Frau um.«

Sein kurzes Lachen klang kehlig und unecht.

»Hör zu, Sam. Mir gefallen diese Gerüchte auch nicht, doch sie grassieren nun mal, und ich bin verpflichtet, der Sache nachzugehen. Was ist mit Jessica? Wo ist sie? Du weißt mehr als jeder andere darüber. Wenn du ein Mörder bist, muss ich dich verhaften. Aber wenn an der ganzen Geschichte nichts dran ist, dann schaden dir diese Gerüchte. Es ist auch in deinem Interesse, dass diese Sache geklärt wird.«

»Dann bist du also gekommen, weil du wissen willst, was los ist. Und du hoffst, ich erzähle es dir.«

»Ich bitte darum. Wie stellst du dich zu diesen Gerüchten, Sam?«

»Soll das jetzt eine offizielle Aussage werden?«

Pearson nickte ernst. »Yes, Sam.«

»Na gut. Dann erzähle ich dir die ganze, verdammte Geschichte. Auch, wenn ich nicht sonderlich gut dabei wegkomme.«

»Wie du dabei wegkommst, spielt keine Rolle, Sam. Da dies ein amtliches Gespräch ist, behandle ich deine Aussage weitestgehend vertraulich. Das bedeutet, ich werde mit niemandem darüber reden, wenn ich nicht aus ermittlungstechnischen Gründen muss. Also, schieß los! Was ist geschehen?«

»Es begann letzten Frühling. Du weißt doch, dass ich diesen Noel Buckner als Farmhelp eingestellt habe.«

»Nein, weiß ich nicht.«

»Es war im April oder so. Ganz genau weiß ich es nicht mehr. Der Mistkerl kam völlig abgerissen hier an und bat um Arbeit. Ich hätte ihn zum Teufel jagen sollen. Aber mein Herz war zu weich. Dummkopf, der ich war. Du kennst mich ja. Ich ließ ihn auf der Farm arbeiten. Gab ihm meine abgetragenen Klamotten. Er aß an meinem Tisch. Schlief unter meinem Dach. Und was war das Ende vom Lied? Er ist mit meiner Frau auf und davon.«

»Du … du willst sagen, dass …?«

»Dass Jessica mit diesem Bastard durchgebrannt ist! Yeah, genau das will ich damit sagen. Ich kam von der Hühnerjagd nach Hause und fand alles leer vor. Ihr kurzes Schreiben, das sie auf den Küchentisch gelegt hatte, war kaum der Rede wert. Good Bye, Sam. Ich gehe mit Noel. Suche uns nicht, du wirst uns nicht finden. So ähnlich hat sie geschrieben. Sie ist mit ihm abgehauen. Wünschte mir noch viel Glück und solch dummes Zeug, aber damit kann sie sich den Arsch abwischen. Von mir aus kann sie sich zum Teufel scheren. Ich will sie nie wieder sehen. Weißt du jetzt genug, Gil? Ist jetzt alles klar?«

Der Sheriff saß einen Moment lang wie betäubt auf dem Stuhl. Dann bewegte er schnell den Kopf, als gelte es, Nässe abzuschütteln.

»Hast du … hast du diesen Abschiedsbrief noch?«

»Natürlich nicht! Ich hab ihn zerknüllt und durch den Raum geschleudert. Später hab ich auf ihm herumgetrampelt. Zuletzt hab ich ihn ins Feuer geworfen.«

»Hm. Das ist nicht gut.«

»Wenn ich gewusst hätte, dass zweieinhalb Monate später jemand nach dem Wisch fragt, hätte ich ihn … He, Moment mal, nein! Ich hätte ihn trotzdem verbrannt! Du kannst dir nicht vorstellen, wie ein hart arbeitender Mann sich fühlt, wenn er von seiner Frau einen solchen Wisch erhält. Ich hätte diesen Fetzen auf jeden Fall verbrannt. Das ist mein Recht, Gil! Ich habe niemanden erwürgt, niemanden erstochen – aber den Zettel habe ich verbrannt. Und darauf bestehe ich.«

»Ja, ja, schon gut. Es ist dein Recht. Nur hätte es eben die ganze Sache untermauert. Aus unserer Sicht ist nur bekannt, dass Jessica seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen wurde. Weder in der Stadt noch auf irgendeinem Gehöft. Würde ein Abschiedsbrief vorliegen, könnte das die Gerüchte zum Verstummen bringen.«

»Ich scheiß’ auf Gerüchte. Und ich scheiß’ auf alle, die mich für einen Mörder halten. Ich hab sie nicht ermordet. Sie ist von allein abgehauen. Mit Noel Buckner, diesem Arschloch. B-u-c… ich buchstabier’ dir den Namen, wenn du ihn aufschreiben willst.«

»Nicht nötig. Ich werde eine Notiz dazu verfassen und zu den Akten legen. Damit ist die Sache erledigt.«

Doch einmal in Fahrt, wollte Sam den Sheriff so schnell nicht wieder gehen lassen.

»Weißt du, ich hätte gute Lust, den beiden Schweinen eine Ladung Schrot in den Balg zu jagen. Und ich hätte es getan, wenn ich sie hier angetroffen hätte. Das schwöre ich dir, Gil. Ich hätte sie kaltgemacht. Aber sie waren weg. Als ich von der Fasanenjagd zurückkam, waren sie schon weg. Hatten sich auf und davon gemacht. Keine Ahnung, wohin. Ich solle sie nicht suchen – das hat sie in ihrem saublöden Brief geschrieben. Als ob ich hinter so ’ner Schlampe herreisen würde. Was bildet die sich eigentlich ein? Nein, Mister, so nicht! Die kann mir gestohlen bleiben. Ich will sie nie wiedersehen. Wenn’s dich interessiert, kannst du die einzelnen Poststationen abreiten, ob die beiden irgendwo in eine Stagecoach gestiegen sind. Doch wenn du herausfindest, wo sie sind, dann behalt’s bloß für dich. Ich will’s nämlich gar nicht wissen. Sonst sattle ich vielleicht doch noch meinen Gaul und reite hin. Und was das bedeutet, kannst du dir ausmalen. Das würde dann keiner von uns Dreien überleben.«

*

Auf dem Ritt zurück nach Harpersville hatte Gil Pearson genügend Zeit, sich über Sams Aussage Gedanken zu machen. Aus seiner Verbitterung hatte der Farmer ja keinen Hehl gemacht. War das seine ehrliche Meinung gewesen? Durchaus möglich. Oder aber, er spielte dem Gesetzeshüter etwas vor, weil er genau wusste, dass man ihm alles andere ohnehin nicht abnehmen würde.

Von seiner Frau verlassen.

Die – mit einem andern durchgebrannt …

So was ist ein herber Schlag, wohl für jeden Mann.

Pearson hatte tiefstes Mitgefühl mit Sam Hannigan. Doch er durfte sich von seinem Mitgefühl nicht täuschen lassen. Jetzt galt es, nicht lockerzulassen. Zumindest nicht für den Moment. Er musste versuchen, ein paar Spuren von Jessica und ihrem Geliebten zu finden, erst das würde Sam völlig entlasten.

Wenn sich in der Gegend herumsprach, dass er ein gehörnter Ehemann war, war das nicht so schlimm, als wenn man ihn für einen Mörder hielt.

Wie auch immer, Pearson musste noch etwas Arbeit in die Sache stecken. Sobald klar war, dass das Paar irgendwo anders gesehen worden war, war Sam vom Haken.

Pearson erreichte die Stadt und lenkte sein fast schon taumelndes Pferd zu seinem Office in der Main Street. Nachdem er aus dem Sattel gestiegen war, stiefelte er zum Telegraph Office hinüber und gab ein paar Telegramme in die Nachbarstädte auf. Er schrieb alle Poststationen an, ob irgendwo unterwegs ein Paar zugestiegen war, und falls ja, wohin es gereist sei. Er bat um umgehende Rückmeldung.

Dann ging er in sein Office, wo bereits jemand auf ihn wartete.

Dr. Jonathon Sexton war ein kleiner, rundlicher Mann, der gerne schwarze Anzüge und weiße Hemden trug, selbst wenn sie sich über seinem Bauch spannten. Sein schwarzer Hut passte zur Farbe seiner Anzüge, und sein schlohweißer Backenbart zur Farbe seiner Hemden. Er war Anfang 70 und lebte seit über 40 Jahren in Harpersville. Er hielt sich häufig hier auf, fühlte sich im Office des Sheriffs wie zuhause und benahm sich auch so. Pearson hätte sich nicht gewundert, wenn der Doc hier in den letzten Stunden ein Nickerchen gehalten hätte. Jetzt stand er ächzend von dem Stuhl auf, auf dem er gesessen hatte, und trat Pearson entgegen.

»Gehe ich recht in der Annahme, dass du gerade von der Hannigan-Farm kommst?«, fragte Sexton unbekümmert. »Du solltest dir überlegen, ob du künftig mit einem Einspänner rausfahren willst, Gil. Dein Pferd pfeift aus dem letzten Loch. Bist schon arg schwer geworden, über die letzten Jahre.«

»Doch nur, weil die von dir verordneten Diäten überhaupt nicht funktionieren, Doc«, versetzte Pearson leichthin. »Weder bei mir noch bei dir selbst.«

»Ich kann es mir leisten«, erwiderte der Doc. »Schließlich fahre ich seit Jahren schon in meinem Dougherty durch die Gegend. Außerdem muss ich nicht hinter gefährlichen Verbrechern herjagen.«

»Ich auch nicht«, lachte Pearson. »Dafür habe ich meinen Deputy. Er ist jung und kräftig und holt sich jeden, auf dessen Fährte ich ihn setze.«

»Warum hast du ihn nicht zu Sam Hannigan hinausgeschickt?«

»Das war eine Sache, die ich selbst regeln wollte. Ich kenne Sam schon seit vielen Jahren. Er sollte nicht das Gefühl haben, dass er in die Mühlen der Justiz geraten wäre. Die Geschichte, die er mir erzählt hat, lässt einem anständigen Mann das Blut in den Adern gefrieren.«

»Und?«, fragte der Doc mit hochgestellten Augenbrauen nach, als Pearson mit weiteren Erklärungen auf sich warten ließ.

»Ich habe ihm versprochen, die Sache vertraulich zu behandeln.«

»Jetzt hab’ dich bloß nicht so, Gil!«, tat der Doc entrüstet. »Ich bin ein Mann, der schweigen kann wie ein Grab. Außerdem kann man mich als Berater des Sheriffs betrachten, so oft wie ich dir schon irgendwelche Dinge angeraten habe.«

»Hahaha, yeah, ich weiß. Also gut, Doc. Setz dich wieder. Aber versprich mir, dass du zu niemandem darüber ein Wort verlierst. Wenn du mit jemandem darüber reden musst, dann komm zu mir. Klar?«

»Klar.«

»Sam sagt, Jessica hätte mit einem Farmhelp, den er vor ein paar Monaten eingestellt hat, das Weite gesucht. Die beiden hätten Sam versetzt und wären durchgebrannt. Jetzt lebe Jessica mit diesem Noel Buckner in Sünde an einem unbekannten Ort.«

»Und das soll die Erklärung dafür sein, dass sie seit Wochen nicht gesehen wurde?«

»Ja. Irgendwelche Bedenken oder Zweifel?«

»Nicht auf Anhieb. Kann durchaus sein. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Untreue Ehefrauen gibt’s hier im Westen dreizehn auf ein Dutzend. Na ja, vielleicht nicht ganz so viele. – Wie alt ist Jessica nochmal?«

»Siebenundzwanzig.«

»Und wie alt ist Sam?«

»Zweiundvierzig.«

»Hm. Großer Altersunterschied. Und Kinder sind bisher keine gekommen. Könnte durchaus ein Grund dafür sein. Junge Frau – unzufrieden mit dem eintönigen Leben auf der Farm – sucht Bestätigung in der Liebe. Brennt mit einem Heißsporn durch, der ihr schöne Augen macht.«

»Höre ich da ein Aber heraus?«

»Aber … warum hat sie denn dann Sam überhaupt geheiratet? Das hätte sie sich doch vor ein paar Jahren überlegen können. Selbst wenn sie beide noch jünger waren, war schon damals der Altersunterschied so groß.«

»Vielleicht hat die Familie Druck gemacht. Jessicas Vater, der alte McBoon, soll ein ziemlicher Kotzbrocken sein. War vielleicht froh, als seine Tochter endlich unter der Haube, sprich: aus dem Haus war. Ein Esser weniger, wie es landauf landab so schön heißt.«

»Zechiel McBoon. Tja. Der Alte ist nicht ganz dicht. Aber was in den Familien abgeht, braucht uns wohl nicht zu kümmern, solange kein Verbrechen stattfindet. Warum hat Sam sich auf so eine Ehe eingelassen? Konnte er sich nicht denken, dass seine junge Frau ihm eines Tages davonläuft, wenn er ihr nichts bietet?«

»Sam hat vielleicht nie so weit gedacht. Er war vollauf damit beschäftigt, seine Farm auf die Beine zu bringen und dem Land seinen Lebensunterhalt abzuringen. Eine Frau sollte dafür Partnerin, Unterstützung und Gehilfin sein. Dass er ihr etwas bieten muss, daran denkt ein Mann wie Sam Hannigan zuletzt. Wahrscheinlich hätte er sich eines Tages in seinem Schaukelstuhl zurückgelehnt, hätte das Land angesehen, dann seine Kinder, und gedacht: Jetzt läuft alles rund, jetzt setze ich mich zur Ruhe. Und dann hätte er begonnen, sich um seine Frau zu kümmern.«

»Das ist der beste Weg, von einem Tag auf den andern vor dem Nichts zu stehen. Sam war doch schon einmal verheiratet, nicht wahr?«

»Yes. Mit Neva Mills. Sie starb an irgendeiner Krankheit, vor acht Jahren.«

»Es soll das Gelbfieber gewesen sein. Angeblich.«

»Woher weißt du das, Doc? Soviel ich weiß, hast du sie nie behandelt.«

»Ich interessiere mich von Haus aus für alles, was mit Krankheiten und Todesfällen zu tun hat. Als ich von Nevas Tod hörte, bin ich zu Sam rausgefahren und habe mit ihm gesprochen. Das, was er sagte, ließ in mir den Schluss aufkommen, dass es sich um Gelbfieber gehandelt haben könnte. Doch ganz sicher bin ich mir nicht. Ich habe Neva nicht gesehen. Er hat sie nicht in die Stadt gebracht, und ich wurde nicht an ihr Bett gerufen. Sie war schon tot und begraben, als ich damals bei ihm war. Alles, was ich darüber weiß, stammt aus seinem Mund. Hey, sag mal, findest du es nicht irgendwie seltsam, dass ein Mann wie Sam Hannigan keinen Arzt ruft, wenn seine Frau schwer krank wird? So schwer, dass sie kurz darauf stirbt?«

»Ich gebe zu, es ist ein Verdachtsmoment«, sagte Sheriff Pearson. »Doch was können wir jetzt noch in der Sache tun? Ist schon zu lange her.«

»War vielleicht ein Fehler, Todesfälle einfach so hinzunehmen, ohne sie näher nachgeprüft zu haben. Wir sollten in unserem Valley baldmöglichst den Posten eines Coroners installieren, dem man alle Todesfälle melden muss, und der sich die Leichen daraufhin ansieht.«

»Ich gebe dir recht, Doc. Das sollten wir bei der nächsten Stadtratssitzung unbedingt ansprechen. Andererseits … Sam war damals ziemlich knapp bei Kasse. Es hatte einige magere Jahre gegeben, weil der Regen ausgeblieben ist. Erinnerst du dich? Die Farmen pfiffen alle aus dem letzten Loch. Vielleicht wollte er nur sparen. Oder er hatte schlicht kein Geld, um dich zu bezahlen.«

»Oh, ich hätte auch Naturalien genommen«, sagte Doc Sexton verschmitzt. »Daran gewöhnt man sich als Landarzt als erstes.«

»Vielleicht dachten er und Neva, dass sie es mit ein paar Tagen Bettruhe schaffen würde.«

»Ja, das ist bestimmt das, was wir zu hören bekommen würden, wenn wir ihn danach fragten. Und keiner kann ihm das Gegenteil beweisen. Ich weiß nur eins, Gil, und das sind die Fakten: Neva Hannigan starb, ohne dass jemand dabei war. Sam hat sie beerdigt, und keiner hat ihre Leiche je zu Gesicht bekommen. Und nun ist auch seine zweite Frau verschwunden. Angeblich mit ihrem Liebhaber durchgebrannt. Auch sie hat seither keiner mehr zu Gesicht bekommen. Ich wiederhole: Zwei Frauen verschwinden von der Erdoberfläche, keiner bekommt sie je wieder zu Gesicht. Wirst du da nicht ein wenig misstrauisch, Gil? Ein klein wenig?«

»Natürlich, Doc. Ich bin nämlich auch nicht im Wald bei den Wölfen aufgewachsen. Doch was können wir tun? Ich habe Telegramme in die umliegenden Städte und Poststationen geschickt, aber mehr kann ich beim besten Willen nicht tun. Wir müssen abwarten, ob Rückmeldungen kommen und wie sie lauten.«

Doc Sexton stöhnte auf.

»Aber das kann Wochen dauern.«

»Das wollen wir nicht hoffen. Ich habe um rasche Beantwortung gebeten.«

»Nehmen wir mal an, Sam hat seine Frau und ihren Liebhaber in flagranti erwischt. Angenommen, er hat sie in wilder Wut über den Haufen geknallt …«

»Lieber Doktor, das geht mir selbst schon seit Stunden durch den Kopf. Aber was soll ich denn tun? Sollen wir die ganze Hannigan-Farm umgraben um zu sehen, ob er die beiden irgendwo verbuddelt hat? Wenn er die Tat nicht gesteht, kann ich nichts machen, Doc. Gar nichts. So sieht’s leider aus.«

*

Nachdem Sheriff Pearson fortgeritten war, ahnte Sam Hannigan, dass er in Schwierigkeiten steckte.

Er hatte nicht unbedingt das Gefühl, dass der Sheriff an seiner Geschichte zweifelte, doch auf einmal war ihm bewusstgeworden, welcher Art die Gerüchte waren, die über ihn kursierten. Irgendwelche verdammten Arschgeigen glaubten, er hätte Jessica erschossen (und den Farmhelp womöglich gleich dazu). Er hätte sie verschwinden lassen. Nur, weil man sie seither nicht mehr gesehen hatte, glaubten sie, er wäre an ihrem Verschwinden schuld.

Und diese Maulhelden hatten nichts anderes zu tun als diese Storys hinter seinem Rücken überall herumzuposaunen.

Bravo!

Wenn diese Gerüchte weiterhin grassierten, würde es ziemlich mies um Sam Hannigan stehen. Wer würde ihm dann jemals wieder vertrauen? Würde er jemals wieder in die Stadt fahren können, ohne dass die Menschen sich über ihn das Maul zerrissen; sich hinter vorgehaltener Hand zuraunten: Da kommt der Mörder! Da kommt der Verbrecher! Da kommt der Halunke, der seine Frau umgebracht hat!

Zum tausendsten Mal fluchte er auf das Pack, das ihm dies angetan hatte: Jessica und Noel Buckner! Die beiden sollte doch der Teufel holen! Warum hatte er diesen Landstreicher auch einstellen müssen? Damals. Im Frühling. Arrgh, verdammter Idiot, der er damals gewesen war. So leichtgläubig und viel zu gutherzig! Einen Arschtritt hätte er dem Lumpen verpassen sollen, von Anfang an.

Ach, es hatte keinen Sinn, im Nachhinein über Fehler und falsche Entscheidungen zu grübeln. Er hatte damals keine Ahnung gehabt, wozu dies führen würde, denn er hatte nicht in die Zukunft sehen können, so wie kein Mensch dies konnte. Er musste jetzt einfach mit den Gegebenheiten zurechtkommen, wie immer diese auch aussahen.

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120 S.
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9783754178928
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