Eva langt zu

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Meine Zunge fühlte sich wie ein Schaumgummipfropfen an.

»Wie bitte?«, fragte sie.

»Nichts«, sagte ich. »Ich bin Catcherin geworden. Ich bin die Größte und Beste von allen. Ich habe sogar einen Privattrainer. Du musst dir unbedingt mal einen Kampf von mir ansehen. Ich besorge dir Plätze direkt am Ring. Der Promoter ist ein Freund von mir. Er behandelt dich wie eine Königin, wenn er weiß, dass du meine Schwester bist. Für meine Schwester ist das Beste gerade gut genug.«

»Ich würde dich gern einmal kämpfen sehen«, sagte sie. »Aber sicher. Ach, Eva, du brauchst doch nicht gleich so aus dem Häuschen zu sein. Natürlich komme ich. Ist ja schon gut. Alles ist gut.«

»Natürlich ist es gut«, sagte ich. »Es ist bloß … Es ist bloß, ich habe etwas aus mir gemacht, Simone. Ich habe es geschafft.

»Aber ja«, sagte sie. »Ich bin stolz auf dich.«

Da. Sie hatte es gesagt. Was ich hören wollte. »Ich bin stolz auf dich.« Einfach so.

»Möchtest du noch so ein Weißweindingsbums?«, fragte ich und ging zur Bar.

Diesmal bediente mich die Wirtin. Als ich mir noch einen Rum hinter die Binde goss, sagte sie: »Trink nicht so viel, Eva.

Wenn du dich wieder so aufführst wie letzte Woche, setze ich dich vor die Tür. Ehrenwort. Mein Mann hat dich schon im Visier.«

»Wie habe ich mich denn aufgeführt?«, sagte ich. »Dein Alter soll lieber die Klabusterbeeren ins Visier nehmen, die dir aus dem Hintern wachsen. Was geht mich dein Alter an?«

»Hüte deine Zunge, Eva. Sei froh, dass ich so ein Gemütsmensch bin. Wenn ich nicht so eine Engelsgeduld mit dir hätte, hättest du schon seit Monaten Lokalverbot.«

»Sie können mich nicht einfach rausschmeißen«, sagte ich. »Mein Geld ist so gut wie jedes andere.«

»Wo wir gerade beim Thema sind«, sagte sie. »Wo …?« Aber ich wollte nichts mehr hören. Diese verschrumpelten Quatschtanten haben immer noch ein anderes Thema auf Lager. Die geben nie Ruhe.

Als ich wieder an unseren Tisch kam, saß ein Geschirrverkäufer vom Markt auf meinem Platz. Er wollte Simone anbaggern. Kein Wunder eigentlich, aber es passte mir trotzdem nicht, und ich sagte: »Verpiss dich, du Scheich. Musst du nicht langsam nach Hause zu deiner Frau?«

Er sagte: »Wie kommst du denn zu so einem Prachtexemplar von Schwester, Eva?«

Ich sagte: »Zieh Leine, Missgeburt.« Aber insgeheim freute ich mich, weil Simone zu mir gestanden hatte. Wenn sie nach unserer Ma geraten wäre, hätte sie das nie gemacht. Ma gibt ja nie freiwillig zu, dass sie mit mir verwandt ist.

»Männer«, sagte Simone, nachdem er sich verkrümelt hatte. »Immer wollen sie was von einem.«

»Bist du verheiratet?«, fragte ich. Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Kaum zu glauben, dass ich nicht wusste, ob meine Schwester verheiratet war.

»Tja …«, sagte sie, und ich hielt den Atem an. Ich wollte nicht, dass sie verheiratet war. Ganz und gar nicht.

»Ich war mal verheiratet«, sagte sie. »Aber die Ehe ging in die Brüche.«

Ich war vielleicht froh, das können Sie mir glauben. Ich wollte sie nicht wieder zurückhaben, nur um sie dann mit jemand anderem teilen zu müssen.

»Nach ein paar Monaten war alles schon wieder vorbei«, sagte sie.

»Wie kam das?«, fragte ich.

»Es ging einfach nicht«, sagte sie. »Es war ein Fehler. Ich bin nicht zum Hausmütterchen geboren.«

»Und wozu bist du geboren?« Es war wirklich merkwürdig. Als wir noch zusammen waren, hätte ich sie so etwas nie fragen müssen. Sie war zu etwas Besserem geboren, das stand fest. Jeder mochte sie. Sie hätte werden können, was sie wollte, außer vielleicht Gehirnchirurg – in der Schule waren wir beide nicht die Besten.

»Ach«, sagte sie. »Ich habe Verschiedenes ausprobiert. Aber es war schwer. Meine andere Familie …«

»Ja?«

»Ruhig, Eva«, sagte sie. »Es lässt sich nicht ändern. Du weißt, dass wir nichts dagegen machen konnten. Wir waren noch Kinder. Wir mussten dahin gehen, wo man uns hingeschickt hat.«

»Aber deshalb musstest du dich noch lange nicht adoptieren lassen«, sagte ich. »Du musstest nicht für immer zu ihnen gehen. Dazu hat dich keiner gezwungen.«

»Es gibt solche und solche Zwänge.«

»Was soll denn das wieder heißen?«

»Ach, Eva«, sagte sie. »Schrei mich nicht an. Bitte, schrei mich nicht an. Ich kann es nicht ertragen, wenn du mich anschreist.«

Das stimmte. Sie musste immer weinen, wenn sie angeschrien wurde. Deshalb hat sie auch nicht halb so viele Schläge kassiert wie ich. Man brauchte sie bloß anzuschreien, damit sie anfing zu weinen.

»Du musstest nicht für immer zu ihnen gehen«, sagte ich.

»Sie hatten Teppiche auf dem Fußboden«, sagte sie. »Und Zentralheizung. Ich bekam ein eigenes Zimmer. Sie wollten mich. Sie haben mir ein Zuhause gegeben, Eva.«

»Ich wollte dich auch«, sagte ich. »Und ein Zuhause hattest du schon.«

»Nein«, sagte sie.

»Doch«, sagte ich.

»Nein«, sagte sie. »Und du auch nicht. Sei doch mal ehrlich. Und schrei mich nicht an. Wenn du mich anschreist, gehe ich.«

»Wir hatten uns«, flüsterte ich. Mir hatte das genügt. Warum war es für sie nicht genug gewesen? Ich brauchte keinen Teppichboden, wenn ich sie hatte.

»Wir hatten immer nur Ärger, waren ständig auf der Flucht.«

»Aber wir waren zusammen. Es war schön, wenn wir zusammen waren.«

»Scht!«, sagte sie. »Du warst zäher als ich.«

»Ja, und wer hat auf dich aufgepasst?«

»Jetzt schreist du schon wieder.«

»Ich schreie doch gar nicht!«

»Ich gehe«, sagte sie. Und sie ging.

7

Ich konnte es nicht fassen. Von einer Sekunde auf die andere war sie weg. Schnips, ich habe eine Schwester, schwups, ich habe keine mehr. Einfach so.

Ich stand auf.

Der Wirt kam an. Er sagte: »Heb sofort den Stuhl auf, Eva. Du kannst nicht einfach hier reingewalzt kommen und mit den Möbeln um dich schmeißen.«

»Weißt du was?«, sagte ich. »Geh doch in die Kirche und orgel dir einen.«

Ich weiß nicht mehr genau, was danach passiert ist, auf jeden Fall saß ich plötzlich draußen im Regen, in der Gosse. Irgendwie war ich in den letzten Tagen ein bisschen zu oft auf dem Hosenboden gelandet. Vor der Kneipe lungerten ein paar Kerle rum, die gackerten wie die Hühner. Ich stand auf und ging nach Hause. Ich konnte es nicht fassen – sie war einfach abgehauen. Einfach so, ohne mir ihre Adresse dazulassen.

Dabei hatte ich sie gar nicht angeschrien. Oder? Na gut, vielleicht war ich ein bisschen laut geworden, aber das galt noch lange nicht als anschreien. Was bildete sie sich eigentlich ein?

Es stand auch kein Renault Clio mehr auf der anderen Straßenseite. Als ob ich mir alles nur ausgedacht hätte.

Aber ich hatte es nicht erfunden. Simone war wieder da. Oder zumindest da gewesen.

Die Hunde spielten verrückt, und da fiel mir wieder ein, dass ich sie vergessen hatte. Also ließ ich sie raus. Ramses war dermaßen sauer, dass er mir ein Stück aus der Jacke riss. Ich musste ihm einen Tritt verpassen, sonst hätte er nach mir geschnappt. Lineker sah mich nur höhnisch an.

»Verpisst euch«, sagte ich. »Ihr versteht das nicht. Ich weiß nicht, wo ich sie finden soll. Ihr seid bloß Köter. Ihr habt doch keine Ahnung, wie das ist.«

»Hörf?«, sagte Milo.

»Schnauze«, sagte ich. »Mit dir bin ich auch fertig.« Und das meinte ich so, wie es sich anhörte. Ich wollte keinen halbstarken Hund. Ich wollte Simone.

»Hip«, sagte Milo, und Ramses schnappte nach ihm.

»Sie ist zu empfindlich«, sagte ich. »Sie war schon immer ein viel zu sensibles Pflänzchen.«

»Hip?«

»Ich muss sie finden. Sie ist zu weich, sie kann nicht auf sich selber aufpassen.«

»Hip-hörf?«

»Schnauze«, sagte ich. »Misch dich nicht dauernd ein. Ich habe sie nicht angeschrien. Das kam ihr bloß so vor.«

Milo rannte davon.

»Hau doch ab«, sagte ich. »Verschwinde du ruhig auch noch. Ihr alle. Meint ihr, das macht mir was aus?«

Ich hielt mir Ramses mit einem Besenstiel vom Leib. Er hatte das Fell gesträubt und den Kopf gesenkt. Er sah so aus, als hätte er am liebsten ein paar Kätzchen aufgespießt und zum Nachtisch noch einen Weltkrieg angezettelt.

»Du willst mir an die Kehle, was?«, sagte ich und stocherte nach ihm. »Immer dasselbe, ich kenn dich doch. Pech gehabt, Freundchen. Heute Abend ist es noch nicht so weit. Hörst du?«

Er hatte verstanden. Er wich zurück und preschte wie ein Bluthund zum Tor. Er war unruhig, gefrustet und hungrig. Genau wie ich.

Ich ging in den Hänger und stöberte in den Schränken erfolglos nach etwas Essbarem. Vielleicht hatte ich vergessen einzukaufen oder ich hatte das Zeug verräumt, als ich nach der Zahnbürste suchte.

Ich setzte mich aufs Bett und wickelte mir den Schlafsack um die Schultern. Ich konnte überhaupt nichts mehr finden – nichts zu essen, nicht die Zahnbürste und meine Schwester auch nicht. Wäre ich nicht so ein zäher Brocken gewesen, hätte ich bestimmt angefangen zu flennen.

Dann weiß ich nichts mehr. Plötzlich war es Morgen. Ein Scheißmorgen. Ich sperrte die Hunde in den Zwinger und ließ die Arbeiter rein. Ob sie mir dafür dankbar waren? Ungefähr so dankbar wie Schüler, die einen Haufen Hausarbeiten aufgebrummt kriegen.

»Du blöde Kuh«, sagte der Vorarbeiter. »Wir stehen uns jetzt schon eine halbe Stunde die Beine in den Bauch und rufen nach dir.«

»Ich hab die Grippe«, sagte ich. »Ich bin eine kranke Frau.«

»Aber ja, natürlich bist du krank«, sagte er. »Du bist schon seit Wochen krank. Aber die Krankheit kenne ich. Sie kommt aus der Flasche. Reiß dich ein bisschen am Riemen, sonst muss ich dich melden.«

 

»Melde lieber deine Hämorrhoiden«, sagte ich und ging die Hunde füttern.

Wenigstens hatten sie noch was zu beißen. Aber mir wurde übel, als ich ihnen das Futter in die Näpfe schaufelte. Vielleicht hatte ich tatsächlich die Grippe. Ich schwitzte, und irgendwer hämmerte mir einen zwanzig Zentimeter langen Nagel in den Schädel. Ich legte mich noch mal für fünf Minuten aufs Ohr.

Länger als fünf Minuten kam mir mein Nickerchen auf jeden Fall nicht vor. Ich wachte auf, als es an meine Tür klopfte. Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon mal gesagt habe, aber wenn bei mir jemand klopft, ist das ein Großereignis, das nichts Gutes bedeutet. Ich kriege ungefähr genauso oft Besuch, wie ein Supermodel Pickel kriegt, und meistens bringen die Besucher bloß Ärger ins Haus.

Ich zog mir den Schlafsack über den Kopf und stellte mich tot.

Das Klopfen wurde nicht leiser, es artete zum Hämmern aus. Ich dachte: Simone! Sie will sich entschuldigen. Ich ging zur Tür und lugte durch ein Guckloch.

Es war nicht Simone. Das Einzige, was ich sehen konnte, war ein tabakfarbenes Auge, das zu mir reinlugte, und ich dachte: Harsh! Harsh will sich entschuldigen.

Also machte ich auf. Aber es war nicht Harsh. Ich konnte den Typen nicht einordnen, aber er kam mir bekannt vor.

»Yo«, sagte er. »Kennst du mich noch?«

»Nein«, sagte ich und wollte die Tür wieder zumachen.

»Keif«, sagte er. »Von gestern.«

»Du heißt Keif und bist von gestern?«

»Wir haben uns gestern kennengelernt. Ich war mit Phil Julio zusammen. Du hast gesagt, dass du dir einen Privattrainer nehmen willst.«

»Und?«

»Hier bin ich. Du kannst mich haben.«

»Hä?«

»Scheiße«, sagte er. »Was ist? Willst du jetzt einen Privattrainer? Oder muss ich mich auf diesem Scheißschrottplatz wegen nichts und wieder nichts nassregnen lassen?«

»Ich wollte dich nicht, ich wollte Harsh.«

»Harsh kriegst du ja doch nicht«, sagte er. Regentropfen kullerten über seine Kräuselkrause. »Aber mich kannst du haben. Willst du mich?«

»Warum nicht?«, sagte ich. »Aber nicht heute. Ich hab die Grippe. Und ich habe noch nicht gefrühstückt.«

»Frühstück?«, sagte er. »Es wird schon dunkel. Und wenn du die Grippe hast, habe ich ein Spitzenhöschen an.«

»Dunkel?« Ich sah an ihm vorbei, und tatsächlich, es war Abend geworden. Die Männer machten Feierabend. Mir war irgendwie flau, und mir fiel nichts ein, womit ich ihn abwimmeln konnte, also ließ ich ihn rein.

»Ich brech zusammen«, sagte er, während er sich umsah. »Hattest du Einbrecher im Haus?«

»Einbrecher?« Ich schaute mich ebenfalls um. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich ein solches Chaos anrichten konnte, ohne was davon zu merken. Dann fiel mir die Zahnbürste wieder ein. »Ich habe was gesucht«, sagte ich. Aber je länger ich mich umsah, desto chaotischer kam mir der Schweinestall vor, und plötzlich wusste ich wieder, dass ich mit Simone in den Fir Tree gegangen war und die Hunde vergessen hatte. Wenn die Hunde den Platz nicht bewachten, konnte jeder reinspaziert kommen und mir meine Kohle klauen.

Ich rannte raus in den Regen. Ich hatte panische Angst. Mein Geld gehörte mir. Ich wollte nicht schon wieder arm sein, bevor ich mich ans Reichsein gewöhnt hatte. Die Hunde waren unausstehlich, weil ich sie zu früh geweckt hatte, aber an der Wand hing meine Pumatasche, gesund und munter. Ich streichelte sie und machte sie auf, um auf Nummer sicher zu gehen.

Eigentlich hätte es doch nichts ausgemacht, wenn in der Nacht jemand auf den Platz gekommen wäre. Die Hunde waren im Zwinger, genau wie meine Kohle. Es war also gar nicht hirnrissig von mir gewesen, sie zu vergessen. Es war oberschlau gewesen. Da haben Sie’s. Als ich wieder in den Wohnwagen kam, ging es mir schon ein bisschen besser.

»Wieso bist du immer so biestig?«, sagte Keif. »Die reinste Drahtbürste.«

»Ich bin nicht biestig.« Ich war echt ziemlich gut drauf. »Ein Guter hält’s aus.«

»Dann bin ich genau der richtige Mann für dich«, sagte er. »Ein Guter und Harter. Fragt sich bloß, wie es mit dir steht.«

»Ich bin die Härteste von allen«, sagte ich.

»Willst du wirklich wieder in Form kommen?«, fragte er. »Ganz im Ernst?«

»Klar«, sagte ich. »Aber ich habe …«

»Erzähl mir nichts«, sagte er. »Du hast keine Grippe, du hast einen Kater. Da brauchst du gar nicht so zu gucken. Was wahr ist, ist wahr.«

»Leck mich.«

»Ich bin doch nicht extra hergekommen, um mich von dir blöd anquatschen zu lassen.«

»Dann mach dich lieber gleich wieder vom Acker«, sagte ich. »Was wolltest du eigentlich von mir?«

»Es ist so«, sagte er. »Ich stehe auf starke Frauen, und stärkere als du werden heutzutage nicht mehr gebaut. Du hast echt was auf dem Kasten. Außerdem hast du gesagt, dass du für das Training bezahlen willst.«

»Jetzt kommen wir der Sache schon näher«, sagte ich. »Das glaube ich dir auf Anhieb. Du willst an mein Geld.«

»Was dachtest du denn?«, sagte Keif. »Dass ich es dir umsonst mache?«

»Mach doch, was du willst«, sagte ich. »Ich wollte Harsh dafür bezahlen. Das Angebot gilt nicht für dich.«

»Das Thema hatten wir doch schon«, sagte er.

»Harsh ist sein Geld wert, das weiß ich«, sagte ich. »Aber dich kenne ich ja noch nicht mal.« Clever, was? Tierisch clever.

»Soll ich dir meinen Stammbaum runterbeten? Okay. Mein Dad war Boxer. Seit seine Karriere zu Ende ist, trainiert er die Jugendmannschaft vom Ring O’Bells-Boxstudio. Sagt dir das was?«

»Kann schon sein.« Das Studio hat einen guten Namen, da hängen jede Menge Londoner Boxer rum.

»Und mich hat er auch trainiert.«

»Dann bist du also Boxer. Toll.«

»Ob du das toll findest oder nicht, ist mir egal. Willst du Catcherin werden oder was?«

»Ich bin Catcherin. Was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?« Ich war wirklich wütend. »Damit du es weißt, ich bin die Londoner Killerqueen.«

Er zog den Kopf ein. »Zu langsam«, sagte er. »Hör zu, du Dummbeutel. Wenn du wieder in den Ring willst, musst du noch mal ganz von vorne anfangen. Und von vorne heißt von unten. Von ganz unten.«

»Du kannst mich mal, und zwar von hinten und von vorne«, sagte ich. »Und von unten.« Er wich zurück. »Wer ist hier ein Dummbeutel? Ich bin nicht dumm.«

Ich hätte ihn an die Wand klatschen können, sauer genug war ich. Aber da fiel mir der Mieteintreiber wieder ein. Auf den wollte ich losgehen, und er hatte mir eins übergebraten. Mal angenommen, Keif hätte sich nicht geduckt, als ich ihm eine verpassen wollte, sondern mir auch einfach eine getickt. Stellen Sie sich das mal vor. Ich hätte ihn zu Brei hauen können. Ich hätte ihn zu Brei hauen müssen. Aber mein Verstand kam mir in die Quere.

»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte ich.

»Was?«, sagte er. »Ich kann dich nicht verstehen, wenn du nicht rumbrüllst.«

»Nicht nur doof, auch noch taub«, sagte ich. In dem Moment klopfte es. Mannomann, was für ein Tag.

Keif lehnte mit dem Rücken an der Tür. Bevor ich ihm sagen konnte, dass er nicht aufmachen sollte, hatte er die Tür schon offen. Und das war ein Glück, denn was meinen Sie, wer im schicken, langen Regenmantel draußen stand? Simone. Sie war wieder da. Sie war wieder da. Sie war wieder da.

Sie sagte: »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, etwas trinken zu gehen. Ich wusste ja nicht, dass du Besuch hast.«

»Das ist kein Besuch«, sagte ich. »Das ist mein Privattrainer. Habe ich dir doch erzählt. Weißt du noch? Du wolltest es nicht glauben. Das ist er jedenfalls.«

»Wir wollten gerade eine Runde joggen gehen«, sagte Keif. Der Mann hatte Nerven, das musste man ihm lassen.

»Morgen«, sagte ich.

»Ich wollte mich nur entschuldigen, weil ich gestern Abend einfach weggegangen bin«, sagte Simone. »Ich dachte, wir könnten uns vielleicht bei einem Drink aussprechen.«

»Klar«, sagte ich. Sie war wieder da, und ich hatte Durst.

»Zuerst wird gelaufen«, sagte Keif.

»Zieh Leine«, sagte ich.

»Wenn du nicht mitkommst, kündige ich«, sagte Keif. »Sicher, es war eine lange, erfolgreiche Zusammenarbeit, aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich arbeite nur mit Profis.«

»Gequirlte Hundekacke!«, sagte ich.

»Ach bitte, fang nicht wieder an zu schreien, Eva«, sagte Simone. »Ich warte solange auf dich.«

»Ich lutsch dir gleich ein Auge aus«, sagte ich zu Keif.

»Aber vorher musst du mich kriegen«, sagte er und trabte zur Tür raus.

»Hinterher«, sagte Simone. Also lief ich los. Es war zum Mäusemelken.

8

Platsch-platsch-platsch, schmatz-schmatz-schmatz machten meine Füße. Und hoppel-di-hopp machte mein Herz. Ich hatte das Gefühl, als würde es mir jeden Augenblick aus der Brust springen und wie ein japsender Fisch unter meinen Turnschuhen verenden. Mir war schlecht.

»Wer war denn die Torte?«, sagte Keif.

»Torte? Wer … ist … hier … eine … Torte?«, sagte ich. Ich konnte kaum sprechen, so wütend war ich. »Du beleidigst meine Schwester.«

»So ist es richtig«, sagte Keif. »Etwas mehr Tempo, etwas mehr Tempo. Wir wollen doch nicht, dass uns die alten Omas überholen.«

Ich war nass bis auf die Haut. Der Regen spritzte mir von der Nase in die Augen. Meine Füße waren wund.

»Los«, sagte Keif. »Wir haben noch keine Viertelmeile geschafft.«

Platsch-platsch-platsch, platsch-platsch-platsch.

»Beweg dich«, sagte Keif. »Wenn du vor deiner Schwester groß angeben willst, musst du die Meile schon schneller runterreißen als in vierzig Minuten.«

Schmatz-schmatz-schmatz. Was tun die Hersteller heutzutage bloß in ihre Turnschuhe? Bleisohlen?

»Schneller«, sagte Keif. »Ich habe schon Ochsen mit Rinderwahnsinn flotter laufen sehen.«

»Ich kann … Lauftraining … nicht ausstehen.« Ich hatte nicht mal mehr genug Puste, um zu schnaufen. Platsch, schmatz, stolper.

»Okay«, sagte Keif. »Von jetzt an reicht Schritttempo. Das waren ungefähr anderthalb Meilen. Du brauchtest bloß ein paar aufmunternde Worte.«

»Nennst du das aufmunternd?«

»Schritttempo, habe ich gesagt. Nicht auf der Stelle gehen. Zügiges Schritttempo.«

»Von mir aus kannst du dich zügig durchs Klo spülen.«

»Braves Mädchen!«, sagte Keif. »Nachdem du jetzt weißt, was für ein Wunderknabe ich bin, wie sieht es mit der Bezahlung aus?«

Ich gab ihm Bescheid, wie es mit der Bezahlung aussah, und sagte ihm auch gleich noch, wohin er sie sich stecken konnte. Aber während er lachte, fiel mir ein, dass Simone ihn gesehen hatte. Ich musste ihn wohl oder übel behalten. Wenigstens für eine Woche. Schade, dass sie Harsh nicht kennengelernt hatte. Mit Harsh als Privattrainer hätte sie mich ernst nehmen müssen. Was würde sie wohl von diesem Scherzkeks halten? Wie sollte irgendjemand zu mir aufsehen, wenn ich einen Privattrainer wie Keif hatte?

Also verhandelten wir, im strömenden Regen. Ich wusste schon längst nicht mehr, was Regen und was Schweiß war, aber das spielte auch keine Rolle, weil ich sowieso bis auf die Knochen durchgeweicht war.

Irgendwann sagte er: »Okay, Mann, gebongt.« Wir waren uns einig. Sie können mich ruhig für übergeschnappt halten, bitte sehr, aber ich hatte Simone von meinem Privattrainer erzählt und was Besseres als Keif war zurzeit nun mal nicht auf dem Markt.

Als wir zum Hänger zurückkamen, war Simone nicht mehr da.

»Die hat anscheinend kein Sitzfleisch«, sagte Keif. »Aber wenigstens hat sie aufgeräumt.«

Er hatte recht. Der Wohnwagen sah sauber und ordentlich aus, aber ich war so fix und fertig, weil sie nicht gewartet hatte, dass ich mich im Klo einschloss. Jetzt hatte ich extra wegen ihr einen Privattrainer angeheuert, und sie konnte nicht mal so lange warten, dass sie ihn sich richtig ansehen konnte.

Ich musste mich mit kaltem Wasser waschen, weil ich vergessen hatte, welches aufzusetzen. Das Wasser war so kalt wie mein Herz.

Als ich wieder rauskam, hatte Keif ein paar Teebeutel ausgegraben und Wasser gekocht.

»Keine Milch«, sagte er.

»Milch ist was für Waschweiber«, sagte ich.

»Keine Fressalien«, sagte er. »Sind die auch was für Waschweiber? Dein Körper gibt dir nur das zurück, was du in ihn reinsteckst. Wovon ernährst du dich? Kettensägen? Batteriesäure?«

 

»Typisch Privattrainer«, sagte ich. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn wieder zu feuern. Simone war ja sowieso nicht mehr da.

»Aber jetzt mal im Ernst, Mann«, sagte er. »Was hast du vor? Lässt Mr. Deeds dich wieder in den Ring, wenn du wieder fit bist?«

»Mr. Drecksack Deeds ist nicht der einzige Promoter auf der Welt.«

»Hast du noch andere Kontakte angeleiert?«

»Ich könnte rauf in den Norden gehen. Da oben nehmen sie das Catchen viel wichtiger als hier.«

»Hast du schon mal daran gedacht, umzusatteln? Auf moderne Gladiatorin zum Beispiel? Oder es gibt doch auch noch diese Frauenringkämpfe in Öl oder im Schlamm.«

»Das ist kein Sport mehr«, sagte ich. »Das ist Show.«

»Sport ist Show«, sagte Keif. »Catchen ist Show. Boxen ist Show. Hast du schon mal ans Boxen gedacht? Du hättest die ideale Figur dafür.«

»Nee«, sagte ich. Boxer stehen bloß blöd rum und hauen sich gegenseitig die Nase platt. Sie schleudern sich nicht quer durch den Ring, und sie gehen nicht richtig zur Sache. Ich stehe auf die Würfe und Griffe, bei denen es auf Gewicht und Schnelligkeit ankommt. Darin bin ich nicht zu schlagen.

Aber ich sagte nichts. Ich war viel zu geknickt. Mr. Deeds würde mich nie wieder in den Ring lassen, und wenn doch, was hätte ich davon? Meine Schwester konnte nicht mal so lange dableiben, bis ich von einem Trainingslauf zurückkam. Ich hatte sie gesucht, auf sie gewartet und mich jahrelang nach ihr gesehnt, und als ich sie gefunden hatte, hielt sie nicht richtig zu mir. Sie konnte keine fünf Minuten warten. Sie war einfach abgehauen und hatte mich mit einer Witzfigur von einem Privattrainer am Hals sitzengelassen.

»Was hast du?«, fragte Keif.

»Nichts«, sagte ich. »Ich brauche was zu trinken.«

»Du hast noch Tee in der Tasse.«

»Deinen Tee kannst du dir sonst wohin schieben.«

»Mein Arsch ist kein Schultornister«, sagte er. »Was ich mir da heute Abend schon alles reinschieben sollte, passt in kein Lagerhaus.«

»Hör zu, du Tornisterarsch«, sagte ich. »Du bist nicht mein Gefängniswärter. Also lass mich in Frieden.«

»Okay«, sagte er und stand auf. »Wie du willst.«

Sehen Sie? Er kümmerte sich einen Scheißdreck um mich. Dabei war er mein Angestellter.

In dem Augenblick kam Simone zurück.

»Wo bist du gewesen?«, fragte ich.

»Einkaufen«, sagte sie. »Du hattest ja überhaupt nichts Essbares im Haus. Schrei mich nicht an. Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass ich die paar Minuten nicht warten würde, oder?«

Ich hätte nie an ihr zweifeln dürfen. Als sie die Einkaufstüte auspackte, kam eine schöne große Flasche Jamaika-Rum zum Vorschein. So was nenne ich Schwester.

Keif sagte: »Bist du wirklich Evas Schwester? Gleiche Mutter, gleicher Vater?«

»Gleiche Mutter.«

»Wirklich? Dann willst du doch sicher nur das Beste für Eva.«

»Ja.«

»Okay«, sagte Keif. »Dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn ich das hier mitnehme.« Er schnappte sich die schöne große Flasche Jamaika-Rum und ging nach draußen.

»He!«, brüllte ich.

Wir liefen sofort hinter ihm her, aber bis wir aus der Tür waren, war er längst im Regen verschwunden.

»Was für eine Unverschämtheit!«, sagte Simone.

Ich war so sauer, dass ich kein Wort rauskriegte.

»Hast du das gesehen?«, sagte Simone. »Hast du das gesehen? Was bildet dieser Mensch sich eigentlich ein?«

»Das ist Keif«, sagte ich. »Mein Privat …«

»Privattrainer. Ich weiß. Und du lässt es zu, dass er so mit dir umspringt? Ich kann mich nur wundern, Eva. Früher hättest du dir das nicht gefallen lassen.«

Autsch, das hatte gesessen. Ich sagte: »Aber ansonsten ist er …«

»Kannst du keinen Besseren finden?«

Da hatte ich den Salat. Ich konnte nicht so über Keif herziehen, wie ich wollte, weil Simone dann gedacht hätte, dass ich mir keinen besseren Trainer leisten konnte. Also sagte ich: »Er kennt sich aus. Er bringt mich wieder in Form. Ich war nämlich krank.«

»Okay, Eva, aber muss es ausgerechnet ein Schwarzer ohne Manieren sein? Oder ist er etwa dein Freund?«

»Ach du Scheiße. Nein, Simone.«

»Warum würdest du dich sonst von ihm rumkommandieren lassen?«

»Ich lasse mich nicht rumkommandieren«, brüllte ich. »Und außerdem habe ich mir schon überlegt, ob ich ihn nicht feuern soll.«

»Höchste Zeit, wenn du mich fragst«, sagte Simone. »Und schrei mich nicht an.«

»Aber er ist nicht mein Freund. Nein!«

»Vielleicht bist du heiß auf ihn.«

»Ich habe keinen Freund. Kein Interesse.«

»Schon gut, schon gut«, sagte Simone. »Das sollte ja nicht heißen, dass du keinen Freund haben könntest, wenn du wolltest.«

»Wie oft muss ich es noch sagen? Kein Interesse.«

»Reg dich doch nicht so auf«, sagte Simone. »Du kannst froh sein, dass du solo bist, glaub mir. Ich kann es bloß nicht mit ansehen, dass der Typ dich so mies behandelt. Einfach mit deinem Rum abzuhauen, was für eine bodenlose Frechheit.«

Sehen Sie? Simone machte sich was aus mir. Wirklich. Sie wollte mich beschützen, genauso wie ich sie früher beschützt hatte.

»Ich habe dir eine Zahnbürste gekauft«, sagte sie. »Du konntest doch deine alte nicht mehr finden.«

Ich war so gerührt, dass ich sofort damit ins Badezimmer lief. Mein Mund fühlte sich kühl an und meine Zähne glatt. Plötzlich merkte ich auch, dass meine Beinmuskeln warm waren und kribbelten. Ich konnte also tatsächlich wieder dahin zurück, wo ich einmal gewesen war. Wenn ich mich tüchtig anstrengte, würde ich bald so hart und zäh wie früher sein. Wenn jemand wie Simone hinter mir stand und auf mich aufpasste, konnte ich es schaffen. Dann würde ich wieder die Londoner Killerqueen sein. Es gab nichts, was ich für sie nicht schaffen konnte. Auch wenn ich mich noch so sehr quälen musste.

Als ich aus dem Badezimmer kam, lehnte sie mit dem Rücken an der Küchentheke und sah sich ein altes Poster an. Mein Name stand darauf und die Namen der anderen aus meiner Truppe – Harsh, Gruff, Pete, Phil und sein Dad. Mir wurde ein bisschen flau in den Gedärmen. Keine Ahnung, wo sie es gefunden hat. Ich dachte nämlich, ich hätte alles vernichtet, was mich an meine große Zeit erinnerte.

Ich sagte: »Es ist schwer, nach einer Verletzung wieder auf die Beine zu kommen.«

»Ich dachte, du wärst krank gewesen«, sagte sie.

»Das auch.« Ich wollte ihr nicht erzählen, was wirklich passiert war.

»Im Ring geht es ziemlich hart zu«, murmelte ich. »Erst hatte ich eine Rückenverletzung. Und später habe ich dann auch noch die Grippe gekriegt.«

»Ach«, sagte sie. »So ein Pech.«

»Ja«, sagte ich. »Wir Athleten sind durchtrainierte Kampfmaschinen. Wenn man sich einmal den Rücken verrenkt hat, kann es ewig dauern, bis man das wieder auskuriert hat.«

»Deshalb brauchst du also einen Privattrainer«, sagte sie. »Du musst ziemlich gut verdient haben mit dem Catchen, wenn du dir das leisten kannst.«

»Ich war ganz oben.«

»Und warum steht dein Name auf dem Poster dann ganz unten?«

»Ein altes Poster«, sagte ich. »Da hatte ich mein volles Potenzial noch nicht ausgeschöpft.«

Von mir aus konnte sie sich ruhig ein anderes Thema aussuchen.

»Los, komm«, sagte sie, als ob sie Gedanken lesen könnte. »Wir unternehmen etwas. Was sollen wir noch hier, nachdem der Idiot unseren Rum mitgenommen hat?«

Wir brachen auf. Diesmal vergaß ich die Hunde nicht. Simone fand Milo ganz niedlich, aber vor Ramses und Lineker hatte sie Schiss, deshalb schloss ich ihr schon mal das Tor auf, bevor ich die Jungs rausließ.

Sie rochen, dass ein Fremder auf dem Gelände war, und kamen wie der Blitz aus dem Zwinger geschossen. »Klappe«, rief ich, während ich hinter ihnen her trabte. »Das ist meine Schwester. Sie ist in Ordnung.«

Es wäre am besten gewesen, wenn Simone sich ganz dicht vors Tor gestellt hätte, damit die Hunde sie gründlich beschnüffeln konnten und wussten, dass sie willkommen war. Aber sie traute sich nicht nah genug heran.

Im Grunde lag es an Ramses. Manche Hunde haben einen Riecher für Blut, manche für Rauschgift, manche für Sprengstoff. Aber Ramses braucht nur den leisesten Hauch von Angst zu wittern, schon saugt er einem die Adern durch den Bauchnabel aus. Ich habe Ihnen ja schon erklärt, dass Simone zu empfindlich war. Das wollte Ramses ausschlachten.

»Das sind aber schrecklich große Hunde«, sagte sie, als wir schließlich losgingen.

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