Buch lesen: «Geht's noch!»
Lisz Hirn
Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist
STYRIA
BUCHVERLAGE
© 2019 by Molden Verlag
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien – Graz
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-990-40510-9
Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop www.styriabooks.at
Covergestaltung: Emanuel Mauthe
Coverabbildung: gettyimages/CSA-Printstock
Buchgestaltung und Satz: KettnerVogl – Grafik Design
Lektorat und Projektleitung: Elisabeth Wagner
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
FÜR THEO
INHALT
COVER
TITLE
IMPRESSUM
VORSPIEL: BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER
Alles beginnt scheinbar harmlos: Die »Biedermanns« holen sich aus falscher Höflichkeit die ungebetenen Gäste ins Haus, die sich wenig später als die Brandstifter herausstellen, die ihren Untergang besiegeln.
DIE KONSERVATIVE OFFENSIVE
Die Konservativen haben kein Interesse an emanzipierten Frauen oder Männern. Sie propagieren ein Familienideal der 1950er-Jahre. Am meisten verlieren die Frauen.
DAS UNGLEICHE GESCHLECHT
Männer und Frauen sind nicht gleich, aber angeblich gleichberechtigt. Wieso sind es dann die Frauen, die weniger verdienen, mehr kostenlose Arbeit verrichten und unter dem Risiko der Altersarmut leiden? Frau sein in Österreich heißt, aus Prinzip strukturell diskriminiert zu werden.
DIE QUAL DER WAHL
Die Generation der 30- bis 40-Jährigen hat nur auf dem Papier die freie Wahl. Die Realität sieht anders aus: Doppel- und Mehrfachbelastungen führen dazu, dass sich »die Generation der unendlichen Möglichkeiten« mit der Ungleichheit arrangiert hat und die »Rückkehr zur Natur« ersehnt.
DIE KONTROLLIERTE GEBÄRMUTTER
Unser konservatives Mutterbild verhindert beharrlich die Gleichheit der Geschlechter. Kein Wunder, dass sich an der niedrigen Gebärstatistik kaum etwas ändert. Verhütung und Abtreibung werden als moralische Angelegenheiten behandelt: Denn wer die Fortpflanzung kontrolliert, kontrolliert auch die Frauen.
BLUT, BURKA UND BEKENNTNIS
Nicht nur importierte Frauenbilder tabuisieren den weiblichen Körper und klassifizieren Frauen als defizitär. Auch längst überholt geglaubte Vorurteile aus Wissenschaft und Religion tragen dazu bei. Sowohl Linke als auch Rechte möchten Frauen befreien – indem sie ihnen ihre jeweilige Vorstellung von Freiheit aufzwingen.
DER BEFREITE MANN
Alle Emanzipationsbewegungen sind bisher gescheitert. Vor allem, weil sie es nicht geschafft haben, ein verbindliches Ethos der Geschlechter zu schaffen. Auch wenn es wehtut: Emanzipation kann nur nachhaltig gelingen, wenn sich mit den Frauen auch die Männer emanzipieren.
TESTEN SIE SICH
Für Männer: Sind Sie ein Biedermann? Für Frauen: Stecken Sie in der Retrofalle? Etwas Selbsterkenntnis zum Ausklang: garantiert wissenschaftlich nicht fundiert.
DANKSAGUNG
ANMERKUNGEN
QUELLEN
DIE AUTORIN
VORSPIEL: BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER
Der, um zu wissen, was droht, Zeitungen liest, Täglich zum Frühstück entrüstet Über ein fernes Ereignis, Täglich beliefert mit Deutung, Die ihm das eigene Sinnen erspart, Täglich erfahrend, was gestern geschah, Schwerlich durchschaut er, was eben geschieht Unter dem eigenen Dach.
MAX FRISCH,
Biedermann und die Brandstifter
AM ANFANG dieses Buches steht eine Geschichte, die wohl jeder aus dem Deutschunterricht kennt. Es ist die Geschichte von Herrn Biedermann, der mit seiner Frau in einem schönen Haus lebt. Er verdient so viel, dass sie nicht arbeiten gehen muss. Beide fühlen sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Einzige, was das Paar beunruhigt, ist eine ungeklärte Brandserie, die in der Stadt wütet. Dann passiert etwas, womit sie nicht gerechnet haben: Die vermeintlichen Brandstifter klopfen auch an ihre Tür und – siehe da – werden auch eingelassen.
Statt sich gegen die offensichtlichen Brandstifter zu wenden, Behörden und Nachbarn zu alarmieren, versuchen Herr und Frau Biedermann, sich mit diesen gut zu stellen. Sie hoffen bis zuletzt, dass sie dadurch von den Brandstiftern verschont bleiben. Was sie dabei übersehen, ist das, was ihnen einer der Brandstifter, Herr Eisenring, selbst offenbart hat: »Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. … Aber die beste und sicherste Tarnung (finde ich) ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Das glaubt niemand.«1 Das Lehrstück ohne Lehre endet, wie es enden musste: Nicht nur Biedermanns Haus fliegt in die Luft, sondern dank ihrer opportunistischen Gutmütigkeit und Einfalt auch alle Häuser rundherum.
Max Frisch zeigt in »Biedermann und die Brandstifter«, was die Ursache des Verderbens zwischen einzelnen Personen und der Gemeinschaft ist. Nämlich eine biedere Geisteshaltung, die verkennt, dass es nicht um die Entlarvung von Lüge und Manipulation geht, sondern um Mitläufertum und Opportunismus, die sich wehrlos gegenüber Verbrechern gibt, die sich überhaupt nicht tarnen, sondern die unverblümt sagen, was sie wirklich wollen. Die Ereignisse der letzten Jahre, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, haben einem Konservatismus den Weg geebnet, der als politische Strömung lange in der Versenkung verschwunden war. Niemand hätte sich vorher freiwillig als »konservativ« bezeichnen lassen.
Konservativ galt als Synonym für veraltet und gänzlich unzeitgemäß. Erst die jüngste Zeit machte es schick, sich »neokonservativ« zu nennen.
Als in Österreich Sebastian Kurz 2017 mit seiner »neuen ÖVP« antrat, um das Konservative wieder salonfähig zu machen, gab ihm der Wahlerfolg recht und führte zur »türkis-blauen« Regierung mit der FPÖ. Aber auch in Deutschland rufen Personen mit auffallend konservativer Einstellung nach der »bürgerlichen Wende«. Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, fordert sie in seinem programmatischen Papier für Deutschland ein. Seiner Meinung nach müsse 50 Jahre nach 1968 »endlich klar« sein, dass Deutschland »nie links war, sondern immer bürgerlich«.2 Die »linke Meinungsvorherrschaft« solle endlich gebrochen werden und damit die Kritik von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Diese »neuen« Konservativen vertreten also ein Weltbild, in dem nicht nur die Frauen, aber vor allem wieder die Frauen verlieren werden. Denn eine dieser unüberbrückbaren Ungleichheiten, die diese Männer (und merkwürdigerweise auch Frauen) verkünden, ist die zwischen den Geschlechtern.
Die ungleiche Situation von Mann und Frau ist ein alter Hut. Sie bestand schon lange, bevor die französische Philosophin Simone de Beauvoir 1949 ihr Grundlagenwerk »Das andere Geschlecht« veröffentlichte. Ihr erklärtes Ziel war damals, die Ursachen dieser Ungleichbehandlung zu analysieren, um die Frauen aus diesem Teufelskreis zu befreien. Die Philosophin diagnostizierte seinerzeit, dass diese Welt immer den Männern gehört habe und noch immer gehöre: »Keiner der Gründe, die dafür angegeben werden, erscheint ausreichend.«3 Beauvoirs Buch zeigt akribisch, dass sich patriarchale Strukturen an nahezu allen Orten unseres Lebens finden lassen und wie sie sich bemühen, die Unterdrückung zu halten.
Ihre Thesen sorgten für einen Aufschrei, der wesentlich die Emanzipationsbestrebungen und das Denken einer ganzen Generation von Frauen in den 1960er- und 1970er-Jahren prägen sollte. Danach wurde es leiser. Welche Auswirkungen diese patriarchalen Strukturen noch immer für viele Frauen haben, brachte erst wieder die #MeToo-Debatte auf die Bildschirme der Social-Media-Gesellschaft, die allerdings »nur« die Problematik sexualisierter Gewalt und die Belästigung an Frauen thematisierte. Zwar wurden diverse Vorfälle benannt und kritisiert, doch der heiß geführte Opferdiskurs lenkte von etwas viel Wichtigerem ab: An der umfassenden sozialen und ökonomischen Diskriminierung, in der sich das Gros an Frauen seit jeher und noch immer befindet, hat sich seit Beauvoir nicht viel geändert. An der formalen Oberfläche haben sich die meisten Frauen emanzipieren können, in der gesellschaftlichen Tiefe jedoch nicht.
Emanzipierte Frauen spielen heute sogar zusätzlich unter erschwerten Bedingungen, da die Erwartungen an sie hoch sind: Den Druck, »alles« zu schaffen, bekommen die meisten dieser Frauen spätestens dann zu spüren, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Wir erleben Frauen, die von einer immer härteren und ungerechter werdenden Arbeitswelt entmutigt werden und sich von einem »maternalistischen Feminismus« zur Rückkehr an den Herd verführen lassen. Wie aber konnten wir in diese Zwickmühle kommen? Ist die Emanzipation der Frauen wirklich oder nur auf dem Papier gelungen? Wurde nicht schon längst der globale Triumph der liberalen Demokratie und der endgültige Erfolg der Emanzipation verkündet? Das war auf jeden Fall voreilig.
Statt unseren Blick ausschließlich auf Differenzen zwischen den Geschlechtern zu richten, sollten wieder die großen sozialen Ungleichheiten behandelt werden. Stattdessen marschieren die Biedermänner wieder schamlos und unbehelligt auf und unterwandern die Idee einer emanzipierten Gesellschaft mit alten Herrschaftsmustern. In den Köpfen geistert nach wie vor das Bild vom »Mann als Ernährer« herum, aus den Boulevardblättern lacht uns einerseits die starke, unabhängige »Biederfrau« im Businessjackett entgegen und andererseits die neueste Diät sowie erotische Tipps, um einen Mann zum Heiraten zu finden. Die geltenden Männlichkeitsideale werden dabei ebenso wenig wie die vorherrschenden Machtstrukturen infrage gestellt. Junge, hübsche Gesichter werden hier zu den alten »Emanzen« in Konkurrenz gesetzt, mit dem Zweck, den »alten Feminismus« als Männerhass »frustrierter alter Jungfern« abzutun.
Längst hat der Neoliberalismus die Emanzipation als Geschäftsmodell begriffen. Nach dem neoliberalen »feministischen« Mantra ist jede Frau nun ihres eigenen Glückes Schmiedin. Die Geschlechterhierarchien zu kritisieren war gestern. Jede muss sich selbst verbessern, ihre Performance optimieren, anstatt Veränderungen der sozialen Umstände zu fordern. Diese Haltung kommt jener konservativen Politik entgegen, die auf den Erhalt patriarchaler Machtstrukturen erpicht ist. Frauen richten sich plötzlich wieder gerne in Abhängigkeiten ein, wenn sie dadurch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Sicherheit bekommen, die ihre Geschlechtsgenossinnen in prekären Verhältnissen vermissen. Emanzipation ja, aber nur in abgespeckter Form und solange sie davon profitieren. Was diese »Biederfrauen« dabei vergessen, ist, dass ihr »Feminismus light«, der die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht grundlegend verändern will, keine wirkliche Befreiung bedeutet.
Denn progressive Bewegungen können schnell ins Gegenteil umschlagen. Der aktuelle Backlash zeigt sich weltweit nicht nur an einem Erstarken der politischen Repräsentanten konservativer und nationalistischer Politik, sondern auch an der wachsenden Resignation gegenüber einer globalisierten Wirtschaft, die sich durch raschen Wandel und gnadenlosen Wettbewerb zwischen den Nationen, Unternehmen und Arbeitnehmern auszeichnet. Der Stresstest für Familien und Gemeinschaften ist immens. Nicht nur die Rolle der Frauen wird fraglich, sondern auch die der Männer. Verunsichert fühlen sich die Männer in einer von den Frauenbewegungen veränderten Welt abgehängt und werden zum leichten Opfer für die zahlreichen Brandstifter, die ihnen einfache Gründe für ihre komplexe, soziale Situation liefern. So hätte auch die zunehmende Gleichheit der Frauen Schuld daran, dass Männer ihren Platz in der Welt verloren haben. Die Aggression über den Verlust von Privilegien bekommen alle Gruppen zu spüren, denen man in den letzten Jahren mehr Rechte eingeräumt hatte. Zu diesen zählen auch die Frauen, auch wenn nicht alle der Backlash im gleichen Ausmaß betrifft.
Nicht die »Bieder- und Bobofrauen« leiden unter dem aktuellen Backlash am meisten, sondern die Frauen, die bisher am wenigsten von Emanzipation und Feminismus profitiert haben.
Die sozial Benachteiligten und jene mit niedrigem sozialen Status bezahlen den Preis für die größere Gleichberechtigung der bereits privilegierten Biederfrauen in Politik und Wirtschaft, die als Exotinnen von ihren Führungspositionen aus posaunen, dass es jede schaffen kann, wenn sie sich nur genug bemüht. Diese Biederfrauen glauben nicht mehr, dass es ein Hindernis ist, eine Frau zu sein, sondern eine Besonderheit, die sich nutzen lässt. In diesem Buch wird es also nicht nur um die Biedermänner, sondern auch um die Biederfrauen gehen. Es geht darum, die aktuellen gesellschaftlichen Brandstifter – und Brandstifterinnen – zu benennen und anhand konkreter Beispiele der jüngeren Vergangenheit ihr Vorgehen zu dokumentieren.
Die konservative Offensive, die derzeit in Politik und Medien tobt, hat dazu geführt, dass emanzipierte Minderheiten mehr denn je in die Defensive gedrängt werden. Mit diesem Vorgehen werden allerdings auch immer öfter die Werte unserer offenen, demokratischen, egalitären Gesellschaft bedroht. Diese konservativen oder rechts der Mitte angesiedelten Brandstifter zu unterschätzen hieße, keine Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Wenn wir eine Moral aus der Geschichte der »Biedermanns« lesen können, dann ist es die, dass es die »Biedermanns« selbst sind, die sich die Brandstifter ins Haus einladen. Erst ihre Geisteshaltung ist es, die sie den Brandstifter unterlegen macht und ihren Untergang besiegelt.
DIE KONSERVATIVE OFFENSIVE
Die Menschen sind am konservativsten, wenn sie am wenigsten tatkräftig sind und am üppigsten. Nach dem Essen ist man konservativ.
RALPH WALDO EMERSON
WIE KANN man sich also dagegen wehren? Woran erkennt man den Biedermann, die Biederfrau? Wie durchschaut man das Theater der Brandstifter? Indem wir uns zuerst bewusst machen, dass die »westliche« Gesellschaft, die sich für emanzipiert und kosmopolitisch hält, nie ihrem Ruf gerecht wurde. Sie hatte auch nie vollständig ihre konservativen Rollenbilder abgelegt. Frauen müssen in dieser Welt noch immer Männern gefallen, um in ihrem Frauenleben erfolgreich zu sein. »Eine Frau, die sich der herrschenden Vorstellung nicht anpaßt, entwertet sich sexuell und folglich auch gesellschaftlich, da die Gesellschaft die sexuellen Werte integriert hat.«4
BEISPIEL 1: DER DEKORATIVE AUFPUTZ
Schladming 2018. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz übernimmt den EU-Ratsvorsitz. Zusammen mit Ratspräsident Donald Tusk und dem bulgarischen Premierminister Bojko Borissow posiert Kurz körpernah zwischen drei blonden jungen Frauen für die offiziellen Pressefotos. Während die Herren in legere Anzüge gekleidet sind, tragen die »Dachsteinkönigin« und ihre beiden »Dachsteinprinzessinnen« Dirndl, Schärpe und Tiara.
Und da ist es wieder, diesmal sichtbar für die ganze Weltöffentlichkeit: dieses Frauenbild, das unter der aktuellen Regierung wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Es lässt Frauen am liebsten ins politische Rampenlicht, wenn sie die Insignien einer Schönheitskönigin tragen. Lässt sich das Szenario mit umgekehrten Vorzeichen überhaupt denken? Hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel je mit hübschen jungen Männern in Lederhosen in die Kameras gewinkt? Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein erwachsener Mann finden lässt, der mit einer Prinzenschärpe ausstaffiert posieren würde. Die Inszenierung der Frau im Namen ihrer Weiblichkeit »… ist das sicherste Mittel, ihr einen schlechten Dienst zu erweisen«5 und das gewünschte, konservative Rollenbild zu propagieren.
Wie aber sieht dieses konservative Rollenbild genau aus? Eindeutig weiblich, nicht nur vom biologischen Geschlecht, sondern auch vom sozialen fügt sich die Frau in das Rollenspiel. Es sollen wieder »richtige Frauen« her, solche, die sich fortpflanzen und den Nachwuchs mit größtem Vergnügen und viel Hingabe betreuen sowie ihre Position an der Seite eines Mannes schätzen können. Gut ausgebildet, steckt die ideale Biederfrau ihre Ambition in ihren Mann und ihre Kinder, denen zuliebe sie zu Hause bleibt und die Kleinfamilie managt. Kindererziehung, Kochen und Putzen – diese Dreifaltigkeit bestimmt das Leben der Biederfrau. Ein Leben wie aus einer Werbung der 1950er-Jahre, in der es hieß: »Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?« Frauen, die sich bewusst gegen Ehe und Mutterschaft entscheiden, sind demnach keine »normalen« Frauen.
Die »richtigen« Frauen betonen nicht nur die Unterschiedlichkeit der Geschlechter, sondern preisen auch das Kinderkriegen als höchste Erfüllung der Weiblichkeit. Man verstehe das konservative Frauenbild nicht falsch: Den Frauen kommt in dieser Gesellschaftsvorstellung eine wichtige Rolle zu. Sie dürfen das Bollwerk gegen die von den Männern geschaffene soziale Kälte und Wettbewerbsgesellschaft bilden, dagegen angehen dürfen sie jedoch nicht, ohne ernste Konsequenzen befürchten zu müssen. Wer will schon offen als »Emanze« gelten, der Herr Otto Normalverbraucher schon mal gerne »Geschlechtsverkehr zum Frustabbau« verordnet? So geschehen der ehemaligen Grünen-Abgeordneten Sigrid Maurer.
BEISPIEL 2: SEXUELLE BELÄSTIGUNG 4.0
Sigrid Maurer hatte am 30. Mai 2018 obszöne Privatnachrichten, die vom Facebook-Account eines Wiener Craft-Beer-Geschäftsführers stammten, auf ihrem eigenen Facebook-Account öffentlich gemacht. Nachdem der Geschäftsbesitzer daraufhin von Usern beschimpft wurde und sein Lokal online schlechte Bewertungen erhielt, klagte er Maurer wegen übler Nachrede und bestritt, der Verfasser der Nachrichten zu sein.6 Angeblich habe es vor dem Lokal herumstehende Männer gegeben, die Maurer immer wieder anzügliche Kommentare hinterherriefen. Der Kommentar des klagenden Anwalts, Frauen könnten schließlich ausweichen und einfach die Straßenseite wechseln, erinnert an den Artikel einer Zeitung der 1950er-Jahre. In diesem wird reihum betont, dass eine Frau, »seine ›kleinen Fehler‹ auch schon mal lächelnd in Kauf nehmen« muss.
Unter diese »kleinen Fehler« – früher »Kavaliersdelikt« genannt – scheinen also auch sexistische Äußerungen zu fallen. Positiv zu vermerken ist, dass der Fall Maurer eine umfassende gesellschaftliche Debatte und Unterstützung ausgelöst hat, die es so vor einigen Jahrzehnten noch nicht gegeben hätte. Auf der »Sollseite« findet sich allerdings die reformbedürftige Gesetzeslage, die es Cybermobbingopfern – von der sexuellen Spielart sind überwiegend Frauen betroffen – momentan erschwert, gegen die Täter vorzugehen.
Von konservativer Seite werden Proteste von Frauen gegen sexuelle Belästigung und die implizite Reduktion auf ihren Körper übrigens oft als überempfindliche Reaktion spaß- und lustbefreiter »linker Emanzen« abgetan. Doch wie das nächste Beispiel zeigt, sind auch konservative Frauen nicht davor gefeit – womit die Absurdität eines »Lagerdenkens« in diesem Kontext deutlich wird.
BEISPIEL 3: DIGITALES BODYSHAMING
Als die österreichische Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus Elisabeth Köstinger nach der Geburt ihres Sohnes mit ein paar Kilos mehr auf den Rippen aus der Karenz zurückkehrte, wurde sie in sozialen Medien als »fett« bezeichnet; eine sexistische Hassnachricht, die viele prominente Frauen nach Schwangerschaft und Geburt erreicht. Köstinger reagierte darauf prompt mit einer Nachricht, in der sie ihren Stolz auf einen »gebärfähigen Körper« betonte.
Letzterer sei ihr gegönnt, diese Argumentation ist dennoch ein denkbar schlechtes Argument gegen Frauenhass dieser Art. Ist es doch gerade die Gebärfähigkeit, die der Auslöser aller dieser Aggressionen ist. Steht doch gerade sie für das Weibliche an sich. Einmal wendet sich der Hass gegen die Frauen, die nicht gebären wollen oder können, ein anderes Mal gegen die, die gerade schwanger sind. Jede Ausformung des weiblichen Körpers kann ihn provozieren. Ursache dafür ist das jahrhundertealte Selbstverständnis der Brandstifter und Biedermänner, freien Zugriff auf diese Körper zu haben, um diesen zu kontrollieren: durch Gesetze, Verbote, Schönheitsideale oder Postings. Sie beweisen, dass das Leben der Frauen trotz aller mehr oder minder erfolgreichen Emanzipationsfortschritte weiterhin im Mittelpunkt von Macht- und Gewaltfragen steht. Die Biederfrauen sind die Komplizinnen der Brandstifter, die mit ihrer konservativen Rhetorik »die Frau« auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren, also essenzialisieren und naturalisieren. Freilich mit dem Zweck, damit gleichzeitig deren Diskriminierung zu rechtfertigen.
Die Biedermänner haben mit den Brandstiftern gemeinsam, dass sie genau wissen, was die Rolle einer »Frau« sein soll und inwiefern sich diese »natürlich« von der eines »Mannes« unterscheiden muss. Immerhin sind die strengen komplementären Geschlechterrollen wesentlich für die Aufrechterhaltung der patriarchalen Gesellschaftstradition. Ihr Selbstverständnis basiert auf der Trennung zwischen einer männlichen und einer weiblichen Sphäre samt Aufgaben und Rollen. Wie sollten Frauen eine Änderung der Verhältnisse schaffen können, wenn doch diese von Männern für Männer geschaffen wurde? Folgen wir dieser Logik, wird auch klar, warum mehrheitlich nie eine »starke Frau« an der Spitze gefordert wurde. Trotzdem gibt es mittlerweile eine Handvoll.
Diese kleine Gruppe hat das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Plötzlich haben also Männer nicht nur die Konkurrenz von anderen Männern zu fürchten, sondern auch mit der von Frauen zu kämpfen. Zusätzlich empfinden diese ökonomisch unabhängigeren Frauen Männer, die nicht die Hälfte der Hausarbeit schultern, als unattraktive Partner. Es war vorhersehbar, dass die neuen Anforderungen besonders die weniger gebildeten und privilegierten Männer verunsichern. Schließlich sind weder Politik noch Arbeitsmarkt das liberalistische Abbild des freien Wettbewerbs, sondern bilden neben historisch gewachsenen Geschlechteridealen auch kulturelle Grundüberzeugungen ab.7 Klar sehnen wir uns nach den »starken Männern«, wie wir es aus den Geschichtsbüchern gewohnt sind, die uns diesmal aus dieser »Krise der liberalen Demokratie« führen, und den »hübschen Frauen«, die als harmloser Blickfang deren Anblick erträglicher machen sollen.