Heimkehr ins Unbekannte

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jaffa–santiago: 24. januar

Der Schriftsteller-in-Jaffa hält die Idee ganz und gar nicht für abwegig, durchzustreichen und mit schwarzen Balken zu arbeiten, anonym, ohne Unterschrift, aber er glaubt, »die geschwärzten Wörter unterstreichen die Unmöglichkeit, frei über Israel zu schreiben, und das erhöht wiederum die Möglichkeit, dass die Ultrazionisten den Autor unter ihre Kontrolle bringen und für eine Bestrafung sorgen wollen, sobald er entdeckt wird.« Dann hält er meinem Vorschlag ein weiteres Aber entgegen, und kein geringes: »Mich hatte vor allem interessiert, eine Bestandsaufnahme von meinem Leben hier zu machen. Über meine Herkunft zu reden und über meine Adoptivfamilie, die ich von Herzen liebe. Dort beginnen, bei meinem wirklichen Leben, meiner Identität in diesem Land. Wie schade, dass es nicht geht, aber es hilft nichts.« Das schreibt er, und mir ist, als hörte ich ihm dabei zu, wie er sich selbst von seiner Entscheidung überzeugen will, denn »für einen Lateinamerikaner, der in seinem Land in einer Zeit der Gewalt aufgewachsen ist und in einer Familie wie der meinen, ist das Risiko etwas Schreckliches, aber auch Anziehendes. Im Grunde ist ein Leben ohne Risiko kein Leben. Ich selbst habe darauf bestanden, den Text zu schreiben, und will es immer noch (ich hoffe, das werde ich in ein paar Jahren, wenn das Risiko nicht mehr existiert oder es mir egal ist). Ich weiß, früher oder später werde ich ihn schreiben, und die Zeit wird diesen Worten mehr Kraft verleihen.«

jaffa–new york: 29. januar

Nach Chile und einer weiteren Nachricht meinerseits, von unschlüssiger Hand geschrieben, erhalte ich wieder Post vom Schriftsteller-in-Jaffa, der mir einflüstern will, ich dürfe mir nichts von der komplexen Wirklichkeit entgehen lassen, in der die Palästinenser leben. »Du wirst sehen«, schreibt er und fügt hinzu: »Keine Armee, kein Überwachungsapparat kann die zahllosen menschlichen Regungen kontrollieren, und mögen auch viele leiden, dann leben sie wie alle hier so intensiv, wie sie nur können (und es gibt Musik, Essen, Sex, es gibt Ehen, Kinder, Scheidungen und alles Übrige auch). Das heißt, wir leben sehr gut. Nicht in diesem Rausch wie in meinem Land, wo das Leben manchmal zu sehr überschäumt (und auch der Tod), aber hier versteht man es ebenfalls – vor allem die Palästinenser –, zu leben und glücklich zu sein. Am Schreiben hindert mich, dass es in den letzten Jahren immer weniger Platz gibt für eine Meinung zwischen dem Wahnsinn der Hamas und dem Wahnsinn der israelischen Ultrarechten (wer sich vermittelnd äußert, wird unweigerlich in die eine extreme Ecke geschoben und aus der anderen angegriffen). Zum Glück ist die Wirklichkeit weitaus reicher und komplexer als diese Meinungen, und die Leute bleiben lebendig, unvorhersehbar, unkontrollierbar. Jetzt habe ich pathetisch herumdoziert, so ein Mist. Am besten, Du siehst es Dir selbst an. Wir erwarten Dich, wenn Du Dich zur Reise entschließt.«

zehn jahre früher aufwachen

Allmählich holen mich alte palästinensische Lockrufe ein. Das Telefonklingeln erwischte mich an der Wohnungstür, nicht meine Wohnung, sondern gemietet und nicht mal ganz. Damals hatte es gerade mal für ein Zimmer in einem irisch-russisch-libanesischen Viertel im Süden Brooklyns gereicht. Es war neun vorbei, wie ich an der Wanduhr sah, als ich zurück in die Küche ging und den Hörer abnahm. Der afroamerikanische Freund meiner Mitbewohnerin war dran. Bleib zu Hause, sagte er voller Sorge. Und bombardierte mich mit Nachrichten von einem Anschlag. Zwei Flugzeuge. Zwei enthauptete Türme. Ich war schon spät dran für meinen ersten Unterricht. Vielleicht war es auch sein Akzent oder meine Probleme mit dem Englischen, damals. Er musste es mir wiederholen. Der U-Bahn-Verkehr ist eingestellt, Bahnhöfe und Flughäfen sind gesperrt. Schalte den Fernseher an, wenn du mir nicht glaubst, und weck Niki, hol sie ans Telefon. Please. Auf dem Bildschirm wurde geschrien. Die Fernsehmoderatorinnen rangen um Fassung und riefen Gott an, als würden sie ihn verfluchen. Oh my God, riefen sie, während sie zusahen, wie sich Menschen ins Leere stürzten. Hand in Hand die einen, andere in einsamem Flug. Diese Bilder verschwanden bald, und der Bildschirm füllte sich mit anderen Nachrichten: offizielle Erklärungen, Videos, Schuhe zwischen Trümmern, während ich in einem kalten Kaffee rührte, den Niki auf dem Tisch hatte stehen lassen. Gemeinsam sahen wir, wie der erste Turm zu Staub wurde. Die Sicherheit brach in sich zusammen, und aus der dunklen Wolke erhob sich grenzenlose Paranoia. Zu dem Zeitpunkt gab es noch kein Bekennerschreiben, aber man mutmaßte bereits, »eine arabische Terroristengruppe« räche sich an einem Land, das stets die Sache Israels unterstützt hatte. Bilder von palästinensischen Kindern kamen herein, die auf der Straße den Anschlag feierten. Das Bild zeigte nur einen Ausschnitt. Man wusste nicht, was sie da betrachteten oder vor wem sie die Fäuste hoben. Es war eine kurze Sequenz, doch sie kam immer wieder, im Wechsel mit Einsturz und nochmaligem Einsturz der Türme. Die Kinder. Die Türme. Immer dieselben Kinder mit denselben erhobenen Händen, die Gesichter leuchtend, dazu eine Stimme im Off, die sie als Komplizen der ewigen Intifada bezeichnete. Die Kinder und der Einsturz, danach ein Jassir Arafat, dem damals noch drei Jahre zu leben blieben und der die Tragödie bedauerte. »I am shocked«, sagte er in bestürztem Englisch, aber sofort kamen wieder die Türme und die arabischen Kinder, um ihn Lügen zu strafen. Diese Kinder, verwandelt in frühreife Terroristen, waren die Sendboten von damals. Ich schrieb an dem Abend über sie, für eine chilenische Tageszeitung, von dem Bedürfnis getrieben, das alles schriftlich zu bezeugen. Jetzt blättere ich durch die Zeitungsausschnitte jener Jahre und lese, was ich über die Fernsehszene geschrieben, was ich im Laufe des Tages empfunden hatte. »Ich dachte an meine palästinensische Herkunft, inmitten dieser Schlacht, an meinen Nachnamen, an die Möglichkeit, verdächtig zu werden für eine Gemeinschaft von Individuen, die sich im Augenblick des Unheils zusammenschließen, ihr Recht einfordern und Sicherheit gegenüber diesem vermeintlichen Gegner verlangen. Denn man wird die suchen müssen, die für das Attentat verantwortlich sind, für das Flugzeug, muss die abertausend Zerstückelten und Verbrannten unter den Trümmern des Imperiums rächen.« Ich traue meinen Augen nicht. Ich bin dreißig, als ich das unterschreibe und mir als verschlüsselte Botschaft in die Zukunft schicke. Meine eigene Sendbotin.

münze in der luft

Im Geist werfe ich eine Münze: Wenn mich eine Einladung nach Europa führt, reise ich mit eigenen Mitteln weiter Richtung Osten. Die Münze dreht sich um sich selbst, während ich an all das denke, was ich subtrahieren muss: Die gescheiterte Rückkehr meiner Großeltern. Die Weigerung meines Vaters. Meine Unschlüssigkeit. Das Schweigen der Welt, während man den Palästinensern immer mehr Gebiete subtrahiert. All die Urteilssprüche, bei denen ihnen eine Stimme verwehrt wurde. Eine Geschichte voller Löcher, durch die Rückkehrer sickern und in der Bande und Leben gekappt werden. Zu dieser Subtraktion etwas summieren, sage ich mir. Nach Palästina zurückkehren. Zu mir zurückkehren. Ich werfe noch eine Münze in die Luft, und jetzt klingt sie nach Metall: In meinem Briefschlitz steckt eine Einladung, die mich nach London bringen wird.

eine geschichte, verkleidet mit bäumen

Hamza hatte sich in der ersten Seminarstunde als Jordanier vorgestellt, aber als er die Herkunft meines Nachnamens entdeckt, korrigiert er seine Geschichte: Ich bin auch Palästinenser, ein Palästinenser, der im Exil geboren wurde. Er lächelt, froh, eine Schicksalsgefährtin gefunden zu haben. Aber wie kommt es, dass Sie Palästina nicht kennen, wenn Sie doch einreisen dürften?, fragt er überrascht, sein Englisch so korrekt, dass es künstlich wirkt. Ein Englisch aus dem Buch. Ich sage, Palästina hat mir Sendboten geschickt, Lockvögel, Lockrufe und nun eine Einladung an einen Ort auf halber Strecke. Hamza sieht mich gespannt an, ohne zu begreifen, dass auch er nun ein solcher Sendbote ist und alles, was er sagt, ein Punkt in meinem Atlas. Ein Eintrag in meinem Notizbuch. Der Grund für eine Suche. Fahren Sie unbedingt nach Yalo, sagt Hamza noch; nach Yalo oder Yalu, fügt er hinzu. In der Umgebung von Ramla, der Stadt des Sandes. (Ich notiere Ramallah; später auf der Landkarte erkenne ich meinen Irrtum.) Hamza erzählt, aus Yalo sei die Familie seines Vaters im Krieg ausgewandert, der damals meinen Großvater daran gehindert hatte, nach Beit Jala zurückzukehren, 1967, als Israel die Gebiete annektiert hatte und aberhundert Palästinenser nach Jordanien geflohen waren. Die Familie seiner Mutter war schon zwanzig Jahre zuvor ins Exil gegangen, mit der ersten Fluchtwelle, und hatte niemals zurückkehren können. Hamza sagt das mit britischer Lässigkeit, auch wenn man zwischen den Silben den Dorn des Geflüchteten spürt, der diesen Status als Anspruch aufrechterhält. Hamza, Sohn und Enkel politischer Vertriebener, begeistert sich für meine Rückkehr, die seiner Familie seit ihrem Fortgang verwehrt ist; selbst Besuche waren ihnen nach der ersten Intifada Ende der Achtziger verboten. Beim ersten Aufstand war er noch nicht auf der Welt, trägt aber schon das Erbe eines Exils; er träumt, sagt er, da hilft nichts, von diesem so fremden und so eigenen Palästina. Ich will ihn fragen, welches Palästina er meint, welches Fleckchen dieses zerstückelten Landes. Was gibt es dort in Yalo oder Yalu?, frage ich stattdessen, weiß nicht, was sonst fragen. Nichts, sagt er, nur verstümmelte Biographien und geschliffene Mauern aus Stein. Wo einst sein Haus stand und das so vieler Nachbarn, befindet sich jetzt ein Nationalpark. Ein Park, sagt er, das heißt eine ökologische Schutzzone, in der die Palästinenser, selbst wenn sie zurückkehren dürften, nicht wieder bauen könnten. Ein Park, in dem die Geschichte mit Bäumen verkleidet wurde. Doch finden sich dort noch die Spuren der Räumungen, die Fundamente der fortgerissenen Häuser. Und die Olivenbäume, sagt Hamza, wachsen weiter, wo sie stehen, beladen ihre Äste mit Oliven, obwohl es niemanden gibt, der sie erntet. Dann geht der junge Fast-Palästinenser, und auch ich gehe an dem Abend nach Hause, suche auf dem Bildschirm nach diesem Stadtfriedhof, den im virtuellen Raum jemand als »Niemandsland« bezeichnet. Von wegen niemand, wird geantwortet, es sei palästinensisches Land, völkerrechtswidrig usurpiert, und ein anderer führt ins Feld, den Park habe eine wohlhabende kanadische Zionistengemeinde finanziert, in der Absicht, die Vergangenheit auszulöschen. Nach Yalo fahren und Hamzas verschwundenes Haus besuchen, denke ich und lasse im Geist Brände, Erdbeben, Überschwemmungen und andere Naturereignisse vorbeiziehen, Leitfaden der palästinensischen Verluste. Dieses Verschwinden geschah jedoch von Menschenhand. Das Zerstörungswerk geistert durch meine Fantasie, bis der Student eines Nachmittags wieder zu mir kommt. Er überbringt eine Nachricht seiner Mutter aus Jordanien. Die Empfehlung trägt einen Namen, den ich noch nie gehört habe und der auf Hamzas Lippen nach loos klingt oder vielleicht nach loss, das englische Wort für Verlust. Aber loos oder loss bezeichnet auf Arabisch eine rohe Mandel mit dicker grüner Samthaut, die man ungeschält isst, mit etwas Salz, vielleicht Olivenöl. Selbst mein Vater, ein großer Mandelesser wie zuvor schon sein Vater, kennt sie nicht, als ich ihn danach frage. Keine meiner Tanten kennt sie. Ich werde das Wort so niederschreiben, wie es im Mund des jungen Fast-Palästinensers klingt. Wochen später entdecke ich sie auf einem Markt in Bethlehem, auf einem Metallwägelchen, inmitten einer Gasse. Ich werde ein Päckchen dieser rauhen Mandeln kaufen und ihm als Geschenk mitbringen, ohne zu gestehen, dass ich sie einfach nicht hinunterschlucken konnte, diese dicke Frucht des Verlustes, von seiner Mutter empfohlen.

 

winziges gepäck

Für die Reise zu packen wird zu einem langen Abschied vom Gepäck. Tagelang liegt der offene Koffer vor mir, in den ich nach und nach meine Erinnerungen lege. Aber je näher das Datum rückt, desto mehr reduziert sich der Inhalt, damit Platz bleibt für die Ahnung von dem, was kommt. Ich nehme einen kleineren Koffer, werfe aber immer weiter Ballast ab, bis nur noch das Unerlässliche übrig ist, wenig Kleidung, das eine oder andere Geschenk, eine kurze Geschichte des Konflikts, die mir eine Freundin nach dem Einsturz der Türme geschenkt hatte. Ich sehe auf das Erscheinungsdatum. September 2002. Hinein kommen die Bücher, um die mich mein Freund-der-Schriftsteller gebeten hat. Hinein, aber gleich wieder heraus kommt ein Dokumentarfilm, den mir eine deutsche Frau geschickt hatte, die nicht nur in Beit Jala gelebt, sondern auch an der Chile-Schule unterrichtet hatte. Ich sehe mir die Amateurdokumentation noch einmal an und frage mich, ob mein Vater sich die Kopie angesehen hat, die ich ihm geschenkt habe. Ich fische die Mailadresse der Deutschen-Freundin-einer-Freundin heraus und schreibe ihr von meiner Reise. Sie antwortet nicht, und ich begreife, dass ich meinen winzigen Koffer schließen muss.

who are you

Das Datum der Londonreise rückt näher, und immer öfter befällt mich Schwindel beim Gedanken an den freien Fall ins Ungewisse. Meine Tante-die-Ältere lässt mir über meinen Vater ausrichten, ich solle die entfernten Tanten besuchen und ihnen Geschenke mitbringen. Solle Wolljacken kaufen oder ein Seidentaschentuch oder ein Portemonnaie, das meinen geschrumpften Koffer nicht belaste. Sie werde es mir später zurückzahlen. Heb die Rechnung auf, betont die überkorrekte Immigrantentochter, meine Tante-die-Erstgeborene. Und ich solle sie so bald wie möglich anrufen, lässt sie ebenfalls ausrichten. Mein Vater diktiert mir eine Telefonnummer und verlangt, peinlich genau, dass ich sie wiederhole. Langsam sage ich die Ziffern auf, und ein Gedanke kommt mir in die Quere: In welcher Sprache wir uns verständigen werden. Natürlich auf Spanisch, sagt mein Vater, Maryam hat ein paar Jahre in Südchile gelebt. Das ist lange her, erklärt er, aber ein wenig spricht sie noch. Ich lasse die Nummer zwei, drei Tage auf dem Tisch liegen. Die Frist läuft ab und lässt mir schließlich keine Wahl. Ich zwinge mich dazu, sie zu wählen und nach ihr zu fragen. Hallo, sage ich, Maryam? Maryam, höre ich am anderen Ende wie ein Echo, und dann einen langen Satz auf Arabisch, der eine Frage oder ein Totengesang sein könnte. Hallo, wiederhole ich, hello, noch einmal, English?, und ich versuche, marhaba zu sagen, aber meine Zunge verheddert sich. Ich wiederhole: Maryam. Am Apparat ist wohl die andere Schwester, die niemals Beit Jala verlassen hat, die nur Arabisch spricht, mir aber ein paar Brocken steifes Englisch hinwirft und mir zu verstehen gibt, zumindest entnehme ich das ihrem Phrasieren, Maryam sei zu Besuch bei einem kranken Verwandten und werde um die und die Uhrzeit oder am nächsten Tag zurück sein. Eine Pause, dann ein gedehntes who are you, und ich versuche zu erklären, wer ich zu sein glaube. Da entsteht Erregung in der Leitung, das Beben einer Zunge, die zu übersetzen versucht, was ich ihr da sage, und die unter dem Druck der Antwort etwas herausschreit, das einzige Wort, was sie zur Hand hat. Aaaaah!, family!, sagt sie, in heftigster Bewegung, family!, family!, und ich, die ich nichts weiter zu sagen weiß, entgegne yes, yes, und fange zu lachen an, denn dieses Wort tönt so laut und verwirrend, und zugleich liegt eine gewaltige Leere von Jahren und Meer darin, von möglicher Armut, doch bei jedem family, das sie ruft, muss ich mehr lachen, sage yes, family, yes, als hätte ich alle anderen Wörter vergessen. Und ich weiß nicht mehr, ob ich ihr in diesem telefonischen Pingpong gesagt habe oder ob sie verstanden hat, dass ich reisen werde oder zurückkehren, dass ich sie besuchen möchte.

III. Palästina in Fetzen
eine revolutionäre wahrheit

London ist nicht mehr als ein Tunnel zwischen zwei Stationen. Ich bleibe nicht eine Minute länger als nötig. Werfe keinen Blick in seine Paläste, verliere mich nicht unter seinen niedrigen Wolken, strecke mich nicht in seinen Parks aus. Ungeduldig ziehe ich meinen Koffer nach Heathrow. Ich irre umher, bis ich den entlegenen Bereich entdecke, der auf jedem Flughafen der Welt für die Fluglinie El Al reserviert ist. Schnell mache ich die israelischen Sicherheitskräfte aus. Als wären es Zwillinge der Geheimpolizisten während der Diktatur in Chile. Die gleichen dunklen Sonnenbrillen mit Metallgestell, der gleiche militärische Haarschnitt, die gleiche stramme Art. Ihr abweisendes Gesicht. Das oberste Gebot, denke ich, während ich auf sie zugehe: Nie die Ruhe verlieren, immer die Wahrheit sagen. Denn die Wahrheit ist revolutionär, hat ein marxistischer Führer einmal bemerkt, auch wenn es die hartnäckige Stimme von Diamela Eltit ist, die mir das verkündet: noch eine chilenische Schriftstellerin mit Wurzeln in Beit Jala. Ich verlangsame den Schritt und denke, dass dieser Satz bei ihr immer fällt, wenn eine schwierige, aber notwendige Wahrheit auftaucht. Das Fragen beginnt, und die Wahrheit stößt dem Sicherheitsbeamten allmählich auf. Ein Geheimpolizist mit pechschwarzem Haar, der niemals lächeln gelernt hat und sicher schief herauslacht, jemand, dem beigebracht wurde, dass eine Frau nur dann allein reist, wenn sie etwas im Schilde führt. Sein erster Schuss: Warum reisen Sie allein? (Dafür gibt es eine lange und eine kurze Antwort, aber ich wähle keine von beiden, sondern eine Zusammenfassung, die Schultern leicht hochgezogen.) Weshalb ich nach Tel Aviv fahre. (Tourismus, sage ich, aber das überzeugt ihn nicht.) Woher ich komme. (Er richtet seine Augen auf das Foto in meinem Pass und murmelt Chile und denkt dabei, das lese ich an seinen Stirnfalten, dieses Land der Palästinenser.) Wie lange ich schon an der Universität arbeite. (Ein Jahr, runde ich auf.) Weniger als ein Jahr, korrigiert er mich, ganz langsam, als zählte er innerlich jeden einzelnen Monat. Aber wie lange leben Sie schon in den Vereinigten Staaten. Ja, das ist wahr, seit vielen Jahren bereits, aber ebenso wahr ist, dass ich erst seit kurzem eine Arbeitserlaubnis habe, und obwohl ich nicht in Chile lebe, hatte ich niemals vor, mich einbürgern zu lassen. Diese Wahrheit bekommt noch mehr Kratzer, als in meinen Papieren ein deutsches Visum auftaucht. Da verfärbt sich das Weiß seiner Haut zu einem leicht ockernen Ton. Sein Gesicht verzieht sich. Mit meiner Revolution geht es bergab: Ganze acht Monate lang bin ich in einer Stadt voller Türken gewesen, die er sich gewiss als Fundamentalisten ausmalt, Scharia-Türken. Die Wahrheit könnte noch vertrackter werden und wird es auch, als ich den Namen des Viertels ausspreche, in dem ich wohnen werde. Im allmählichen Bewusstsein meiner Schuld sage ich, dass ich in Jaffa unterkomme, in Jafo, wenn ihm das lieber ist, wie man die alte muslimische Stadt im Süden Tel Avivs auf Hebräisch nennt. Jafo, korrigiert der Israeli und hebt seine heikle Polizistenbraue. Und wer wohnt dort, wenn ich fragen darf? Die Wahrheit, denke ich. Die Wahrheit. Ein befreundeter Schriftsteller, antworte ich, auch wenn befreundet leicht übertrieben ist, die chilenische Art, zu sagen, dass uns eine dreitägige Lesereise durch Deutschland und ein paar kürzliche Mails verbinden. Als hätte er nicht zugehört oder nicht verstanden, fragt er, als was dieser Freund von mir arbeite. Ein Schriftsteller, fürchte ich, schreibt einfach Romane, schreibt Reiseberichte, schreibt Kolumnen und Erzählungen, gibt Workshops, gewinnt mit etwas Glück einen Preis und kann ein paar Monate überleben. Ich weiß nicht, ob mein Freund irgendwo angestellt ist. Ein Schriftsteller, der schreibt, krächzt dieser Schatten von Mann und legt die Stirn in Falten, Schriftsteller, und er rollt das r, bevor er seinen Chef ruft.

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