Buch lesen: «Ferngesteuert»
»Nuancen der Lust«
erotische Novellen
Nuancen der Lust
erotische Novellen
ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH
BAND 4065
Auflage: September 2013
VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2013 BY ELYSION BOOKS GMBH, GELSENKIRCHEN
ALL RIGHTS RESERVED
UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert
FOTO: © Fotolia/ Raven
www.imaginary-world.de ISBN 978-3-945163-61-0 www.Elysion-Books.com
Inhalt
Ferngesteuert
Lilly Grünberg
Autorinnen
Ferngesteuert
Lilly Grünberg
Es war eine dieser Freundschaften, die gute Chancen haben, ein Leben lang zu bestehen. Gemeinsam hatten sie die ersten sexuellen Erlebnisse, das Ende der Schulzeit, die Entwicklung ins Erwachsenenalter und die Wahl eines Berufes überstanden. Es gab nichts, worüber sie nicht gesprochen hätten.
Und auch jetzt schafften es Marvin und Steffen, sich zweimal im Monat bei ihrem Lieblingsitaliener zu treffen. Ganz ohne Frauen, nur sie beide allein. Ein Ritual, das mehr als alles andere ein fester Bestandteil ihres Lebens geworden war und die wechselnden Liebesbeziehungen überdauert hatte.
Die Plätze im Il Gusto waren auf drei unterschiedlich große, durch Rundbogen miteinander verbundene Räume verteilt und strahlten viel Gemütlichkeit aus. Der in Wischtechnik angefertigte ockerfarbene Anstrich war angenehm für die Augen und beruhigte nach einem stressigen Tag das Gemüt. Die Fotodrucke auf Leinwandimitat, die an den Wänden hingen, zeigten typisch italienische Landschaften und bewegten sich an der Grenze zum Kitsch. Auf den Fensterbrettern standen einige hübsch blühende Pflanzen, dazwischen Töpfe mit Gewürzen, die einen angenehmen Duft verbreiteten und eine Ahnung davon vermittelten, womit Koch Giulio seine Gerichte verfeinerte.
Einen Tisch, an dem die beiden Freunde sich ungestört unterhalten konnten, fanden sie immer. Das Lokal war zwar auch wochentags gut besucht, jedoch nicht bis auf den letzten Platz besetzt.
Es wurden stets lange Abende, denn der Gesprächsstoff ging ihnen nie aus. Ihre Freundschaft begann in der fünften Klasse, als Marvin von einem älteren Jungen verprügelt wurde und Steffen ihm zu Hilfe eilte. Seither hatte ihre Freundschaft viel ausgehalten und sie kannten einander beinahe so gut wie sich selbst. Davon waren sie überzeugt, bis zu diesem speziellen Abend …
Mit einer herzlichen Umarmung, wie sie sonst nur unter Südländern üblich ist, drückte Marvin den Freund an sich, dann nahmen sie Platz.
»Alles klar bei dir? Was gibt’s Neues?«, begann er das Gespräch und ließ seine Augen über das Tagesangebot fliegen.
»Na ja, zu viel Arbeit, was sonst«, seufzte Steffen. »Du weißt ja, das Leben könnte so schön sein, wenn man nicht Geld verdienen müsste. Aber bring den Kunden mal bei, nicht alle gleichzeitig mit ihren Aufträgen zu kommen. Zur Zeit nervt uns wieder dieser …«
Ihr Gespräch wurde jäh von Marina unterbrochen, der hübschen Bedienung, die ihre Bestellung aufnahm und wie jedes Mal versuchte, mit Steffen zu flirten. Ihre dunklen, mit einem Kajal betonten Kulleraugen ruhten länger auf seinen weich geschwungenen Lippen als nötig war. Ihr kirschroter Mund hauchte einen Kuss in seine Richtung, wohingegen sie Marvin nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte, als notwendig war. Dass Steffen auf ihre Luftküsse nie reagierte, schien sie nicht abzuschrecken.
Was Frauen betraf, kamen sich die Männer nicht in die Quere, dafür waren sie zu unterschiedliche Typen. Während Marvin nicht nur als Arbeitskleidung elegante Anzüge bevorzugte, sondern auch privat welche trug, gab sich Steffen vorwiegend leger und wirkte eher wie ein großer Junge. Wie meistens waren seine dunkelblonden Haare auch heute völlig zerzaust, als hätte sie ein Sturm durcheinander gewirbelt.
»Eine Flasche Bardolino, zweimal Tagliatelle con …, na du weißt schon, ich kann das eh nicht aussprechen. Und zwei Insalata Mista.« Die Empfehlung des Tages hatte sich im Laufe der Zeit als gute Wahl herausgestellt. Man musste nicht lange warten, bis das Essen serviert wurde und bis jetzt hatte es nie einen Grund zur Klage gegeben.
»Du solltest mal mit ihr ausgehen«, meinte Marvin grinsend, nachdem Marina mit schwingenden Hüften und einem letzten schmachtenden Blick auf Steffen zur Theke zurückkehrte.
»Mit Marina? Oh nein, das meinst du nicht ernst.« Marina war gefühlte zwanzig Jahre älter als er und hatte zwei Kinder im Teenageralter, auch wenn sie dafür ziemlich gut aussah.
»Allmählich wird es Zeit, dass wir beide wieder eine feste Partnerin finden«, meinte Marvin nachdenklich. »Dieses Alleinebleiben taugt auf die Dauer nichts. Ich merke jedenfalls, dass mich das irgendwie unzufrieden und reizbar macht.«
Steffen zuckte mit den Schultern. »Und unser Arbeitspensum verträgt sich nicht mit den Wünschen der Frauen. Das weißt du doch. Zuerst tolerieren sie deine Überstunden, weil sie sich lieber mit einem erfolgreichen Liebhaber schmücken als einem Faulpelz. Aber dann werfen sie dir ständig vor, dass du keine Zeit für sie hast.«
»Tja, und was schlägst du zur Lösung dieses Problems vor?« Als Inhaber eines Geschäftes für exquisite Herrenbekleidung kam Marvin jeden Tag spät nach Hause. Eine schlechte Voraussetzung für eine glückliche Partnerschaft oder Familiengründung. Gewiss, er hatte zuverlässige Mitarbeiter, worüber er sehr froh war. Dennoch war es besser, sich selbst um alles zu kümmern, vor allem in den Abendstunden und am Samstag Präsenz zu zeigen. Es gab Kunden, die vertrauten auf seine persönliche Beratung. Sein Erfolg war hart erarbeitet und die Konkurrenz schlief nicht.
»Was uns fehlt sind Frauen, die ähnliche Arbeitszeiten haben. Die muss es geben, nur haben die sich bislang vor uns versteckt«, entgegnete Steffen und schaute sich um, als wären diese seltenen Exemplare an einem anderen Tisch des Lokals zu entdecken.
Als Programmierer in einer kleinen Werbeagentur richteten sich Steffens Arbeitszeiten nach der Dringlichkeit der Aufträge. Daran war seine letzte Beziehung gescheitert. Zu oft hatte er angerufen und gesagt, er komme später nach Hause. Irgendwann war Iris einem Mann begegnet, der mehr Zeit für sie und ihre individuellen Bedürfnisse hatte und zog aus.
»Ah, unser Essen. Ich habe Hunger wie ein Wolf.« Marvin schenkte Marina ein Lächeln, als sie den Teller vor ihm abstellte, aber sie hatte nur Augen für Steffen. Vergebens.
Für einige Minuten herrschte Schweigen. Beide konzentrierten sich darauf, das Essen zu genießen, bis eine penetrante Melodie erklang. Stirnrunzelnd sah Marvin zu, wie Steffen sein Handy aus der Jackentasche fischte.
»Entschuldige«, murmelte dieser, bevor er den Anruf entgegen nahm. »Hallo?«
Seine Miene wurde verschlossener, während er der Stimme lauschte. »Nein, nein, auf keinen Fall. Heute kann ich nicht.« Es folgte eine Entgegnung, die offenbar seinen Unwillen erregte. »Nein«, erwiderte er energischer. »Es geht nicht. Heute habe ich keine Zeit.«
Der Anrufer schien hartnäckig zu sein. Die Stimme quäkte mit dem Tempo eines Maschinengewehrs.
»Meinetwegen, morgen Abend.« Steffen legte auf und schaltete sein Telefon diesmal aus, ehe er es wegsteckte.
»Entschuldige.« In einer stillen Übereinkunft machten sie ihre Mobiltelefone aus, wenn sie sich trafen. Nichts sollte ihren Abend stören. Diesmal hatte er nicht daran gedacht.
»Ein Job? Du stehst unter Zeitdruck, oder?«
»Nein, nicht direkt.«
»Ärger?«
»Ja und nein. Ist nicht so wichtig.«
»Also ein weiblicher Kunde?«, mutmaßte Marvin. »Komm schon, ich kenne dich lange und gut genug um zu merken, wenn etwas ganz und gar nicht stimmt.«
Steffen stieß einen tiefen Seufzer aus, hob sein Glas, um Marvin durch die Luft zuzuprosten und nahm einen langen Zug, ehe er antwortete. »Die Dame zahlt gut, nervt aber.«
Wie geheimnisvoll. Marvin zog neugierig die Augenbrauen hoch. »Erzähl. Woran arbeitest du? Website plus klassische Werbemittel?«
»Nein, es hat nichts mit der Arbeit zu tun. Lass uns von etwas anderem reden.«
»Komm schon, verrat’s mir.« Das abweisende Verhalten seines Freundes war ungewöhnlich. »Wenn ich kann, helfe ich dir. Das weißt du.«
Steffen verzog das Gesicht, als wäre ihm die Angelegenheit ein wenig unangenehm und starrte auf das Glas, das er immer noch festhielt. »Na ja, ich bin da in so eine Sache reingeschliddert. Nichts Illegales. Es ist ja auch nur wegen den Schulden für mein neues Auto.« Er stellte sein Glas so ruckartig ab, dass der Wein gefährlich nahe bis zum Rand hinauf schwappte.
»Aha, was heißt das im Klartext?«
Marvin hatte seinem Freund davon abgeraten, sich den schönen, aber teuren Golf GTI zu kaufen, auch wenn es sich dabei um seinen Traumwagen handelte und dieser als Jahreswagen zu fairen Konditionen angeboten wurde. Irgendwie hatte er sich dabei doch ein wenig übernommen. Sein Gehalt reichte kaum für Miete, Versicherungen, Lebensunterhalt plus Autoraten.
»Also, ich verdiene mir ein bisschen Geld nebenbei. Gutes, schnell verdientes Geld. Das ist alles.«
»Aha. Na, das sind doch interessante Neuigkeiten. Was ist das für ein Job?«, bohrte Marvin, als sein Freund nicht weiter sprach und stattdessen unschlüssig mit der Gabel die Tagliatelle drehte, ohne sie zum Mund zu führen. Was zum Teufel war an der Sache so unangenehm, dass es ihn in Verlegenheit brachte? »Was ist los mit dir? Wir hatten doch noch nie Geheimnisse voreinander. Ist es gefährlich?«
Steffen holte tief Luft. Seine Ohrspitzen röteten sich zusehends. »Ich – naja, wie soll ich das sagen, ich – arbeite ab und an als Callboy.«
»Oh. Das ist – allerdings – wow.« Marvin zog überrascht die Augenbrauen hoch und musterte den Freund, ob dieser ihn auf den Arm nehmen wollte. Dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem amüsierten Grinsen. »Callboy? Aha, und, wie lange machst du das schon?«
Steffen zuckte mit den Schultern. »Na ja, etwa drei Monate. Ich wollte es dir schon längst erzählen, ehrlich, aber irgendwie war es mir unangenehm. Es ist auch nur vorübergehend, bis ich meine Schulden abbezahlt habe. Die meisten Frauen sind ganz nett.«
Wie, das war kein Scherz? Marvin hob sein Glas und prostete dem Freund zu. »Na ja, fürs Vögeln bezahlt zu werden ist doch immer nett, oder? Und welches Problem hast du mit der Anruferin? Ist sie alt und hässlich?«
»Nein«, Steffen lachte und entspannte sich allmählich wieder. »Die anderen wollen einfach ein bisschen Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Sex. Eine normale Nummer, nichts Besonderes. Es sind alles Frauen, die viel und hart arbeiten, und keine Zeit für einen festen Partner haben. Oder schon geschieden sind.« Er hielt kurz inne.
»Und?«
»Es ist so – die Frau, also sie heißt Eva, die hat spezielle Sonderwünsche. Einerseits ist sie viel zu selbstbewusst und tough, um die Kontrolle abzugeben. Andererseits will sie in einer Art Rollenspiel unterdrückt werden.« Er winkte ab und lachte verlegen. »Ein bisschen merkwürdig. Und eigentlich ist mir das alles zu viel.«
Im Grunde genommen bist du auch gar nicht der Typ für Sex ohne Gefühle. Ich weiß. Marvin war völlig klar, dass Steffen nur durch einen dummen Zufall in diese Nummer geschlittert war. »Lass mich raten. Du sollst sie hart rannehmen, ohne sie zu vergewaltigen. Du sollst sie dabei demütigen, züchtigen, und von ihr Dinge verlangen, die sie normalerweise empört ablehnen würde.«
»So – ungefähr«, stieß Steffen überrascht aus. »Woher weißt du das?«
Marvin lachte. »Ist dir das unangenehm?«
»Ehrlich, ich steh nicht darauf, eine Frau zu erniedrigen. Selbst wenn sie das will. Falls sie es überhaupt wirklich will, ich blicke da nicht durch.«
»Du verstehst nicht, warum eine selbstbewusste erfolgreiche Frau von einem Mann dominiert werden will.«
Steffen nickte und trank einen Schluck.
»Will sie, dass du ihr den Hintern versohlst und bestimmst, wann sie einen Orgasmus haben darf?«
»Ja, du bringst es auf den Punkt. Ich mach das, weil sie es will und gut bezahlt. Das ist alles. Nun, jetzt weißt du es und wir können über etwas anderes reden.«
Scheinbar beruhigt darüber, dass das Thema nun ausgesprochen war, machte Steffen sich auf einmal mit Heißhunger über das Essen her.
Marvin überlegte einen Augenblick, ehe er weitersprach. »Du musst das nicht verstehen. Es ist auch schwer zu erklären. Gerade erfolgreiche Menschen geben gerne mal die Kontrolle ab und ziehen daraus einen ganz speziellen Kick. Ich mach dir einen Vorschlag. Du überlässt dieses Spiel mir.« Er hob abwehrend die Hand, als Steffen einen Einwand bringen wollte. »Warte. Es geht mir nicht um das Geld. Im Gegenteil. Ich gebe dir ein zinsloses Darlehen, damit du deinen Kredit ablösen kannst. Ich will nur die Frau.«
Ungläubig starrte Steffen seinem Freund in die Augen und legte die Gabel mit dem vorbereiteten Bissen auf dem Teller ab. »Moment mal, Marvin – willst du mir jetzt gerade erklären, dass du weißt, um was es geht? Hast du so was schon mal gemacht oder bist du einfach neugierig?«
Marvin schmunzelte vergnügt. »Mehr als einmal. Ein äußerst erquickliches Spiel, wenn sich dafür die richtigen Partner finden. Ich denke, ich weiß, was deine Kundin braucht.«
Steffen starrte ihn einige Sekunden lang sprachlos an. »Okay, erklär’s mir.«
Als Marvin sich am darauffolgenden Abend mit Steffen vor der Tür des Studios traf, trug er eine Maske, die sein Gesicht bedeckte. Solange er nicht wusste, wer Eva war und ob er ein Problem damit haben würde, ihr womöglich im Alltag über den Weg zu laufen, solange würde er Inkognito bleiben. Zwar sollte sie seine Anwesenheit überhaupt nicht wahrnehmen, aber es schadete nicht, ein wenig vorsichtig zu sein. Bisher beschränkten sich seine Informationen auf das, was Steffen ihm erzählt hatte: Anfang dreißig, Inhaberin eines erfolgreichen Dessousgeschäftes, das hauptsächlich exklusive Marken im Sortiment hatte, und darüberhinaus selbst Designerin einer kleinen aber feinen Dessousmarke.
Beim Studio handelte es sich um einen einzelnen, etwa vierzig Quadratmeter großen Raum in einem umgebauten Fabrikgebäude, mit Kochnische und Nasszelle. Die meisten der anderen Räume wurden von kleinen Firmen genutzt und nach Ladenschluss verlassen. Dann war es in dem riesigen Areal zum Fürchten, so einsam fühlte man sich darin. Andererseits musste man sich nicht sorgen, durch ungewöhnliche Geräusche auf sich aufmerksam zu machen.
Die Studiotür war nur angelehnt, Steffen wurde bereits erwartet. Marvin nickte ihm verschwörerisch zu und ließ den Freund vorausgehen. Es war nicht zu übersehen, dass er nervös und angespannt war. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt und unter seinem rechten Auge zuckte ein Nerv. Warum hast du dir nicht einen anderen Nebenjob gesucht oder mich um Hilfe gebeten, dachte Marvin.
»Hi, da bist du ja.« Die Frauenstimme klang angenehm und weniger streng, als Marvin aufgrund von Steffens Beschreibung vermutet hatte.
»Möchtest du ein Glas Wein, Liebster?«
»Vielleicht später. Zuerst werde ich dich dafür bestrafen, dass du mich gestern angerufen hast.« Steffen hielt sich exakt an den abgesprochenen Text. Allerdings klang es sehr einstudiert. Ein Klaps auf nackter Haut war zu hören. »Heute werde ich keine Gnade kennen. Es wird Zeit, dir zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Stell dich ans Kreuz!«
Lag ein Zittern in seiner Stimme? Es war schlichtweg lächerlich, sich Steffen als Dom vorzustellen. Seine anderen Kundinnen wollten nur normalen Sex, hatte er erzählt. Was man landläufig unter normal verstand. Blümchensex. Manche wollten nicht einmal mit ihm schlafen, sondern waren wohl einfach nur so einsam, dass sie jemanden buchten, der Zeit hatte, sich mit ihnen zu unterhalten. Und diese Eva wollte nach seiner Aussage hart rangenommen und verprügelt werden. Er hatte doch tatsächlich »verprügelt« gesagt. Bei dem Gedanken daran schüttelte sich Marvin innerlich. Alleine das hatte ihn schon sehr nachdenklich gestimmt. Irgendetwas lief da vollkommen schief.
Vorsichtig spähte er um die Ecke. Seit ein paar Stunden schwirrte eine Idee in seinem Kopf herum, wie er Steffen helfen könnte. Doch dazu musste er sich erst einmal ein Bild von der Situation machen. Und von der Frau.
Noch war Steffen damit beschäftigt, Eva ans Andreaskreuz zu fesseln. Marvin hörte, wie er Befehle murmelte. Der ganzen Aktion fehlte vollkommen die prickelnde Stimmung, um sie für das Opfer zu einem erfüllenden Erlebnis zu machen. Warum gab sich die Kundin damit zufrieden? Hatte sie keinen anderen gefunden, der ihr Verlangen besser befriedigte?
Erst als Eva eine blickdichte Augenmaske trug, schlich Marvin sich in den Raum. Vorsichtig stellte er seine Schuhe ab und legte seine Jacke über einen Stuhl, darauf bedacht, durch keinerlei Geräusche auf sich aufmerksam zu machen. Dann sah er Eva und war angenehm überrascht. Sie war schöner, als Steffen sie beschrieben hatte. Keine magere Hungerharke, aber auch nicht zu dick. Einfach mit fraulichen Rundungen an den richtigen Stellen und einem wohlgeformten Busen, der sein Herz höher schlagen ließ. Ihre braunen Locken fielen bis auf ihre Schultern herab. Im selben Augenblick war ihm klar, er musste ihr helfen, zumal ihre gesamte Körperhaltung Anspannung verriet. Sie suchte eine Befriedigung, die sie von Steffen niemals erhalten würde.
Während Marvin leise näher ging, schaute er sich im Raum um.
Wände und Decke waren pechschwarz gestrichen und wirkten erdrückend, obwohl der quadratische Raum eigentlich recht groß war. Die einzigen Akzente waren ein leuchtend rot lackierter Türrahmen und rote Vorhänge vor den hohen Industriefenstern. Aus der abgehängten Decke warfen Spots in gleichmäßigen Abständen mit kaltem Licht runde Punkte auf den Fußboden aus schwarzem Linoleum, der seine Schritte dämpfte. Für seinen Geschmack war es überflüssig, eine derart finstere, kühle Gestaltung zu wählen. Sollte der Eindruck einer Folterkammer entstehen? Dann hätte er allerdings noch einen Käfig und eine Schandgeige aufgebaut.
Ein Drittel des Raumes wurde durch eine Sitzecke mit Sesseln und einem roten Kunstledersofa, ein Sideboard aus schwarzem Klavierlack sowie durch eine Stereoanlage eingenommen. An den Wänden darüber hingen großformatige Schwarzweißfotos von Akten. Nichts besonderes, einfach nur eine Dekoration, um die Wandflächen zu gliedern.
Der größere Teil des Raumes diente dem Spiel und wurde von Strafbock und Andreaskreuz dominiert. Die Türen eines deckenhohen Schrankes standen offen. Schubladen waren herausgezogen und an der Innenseite einer Tür warteten verschiedene Rohrstöcke in einer Halterung auf ihren Einsatz.
Steffen schaute Marvin fragend an. Wie geht’s jetzt weiter? Stumm gab Marvin ihm ein Zeichen, dass er zunächst den Inhalt der Schubladen nach brauchbaren Utensilien inspizieren wolle. Eva durfte jedoch auf keinen Fall bemerken, dass sich außer Steffen noch jemand im Raum befand.
»Musik!«, forderte er tonlos. Steffen verstand. Kurz darauf erfüllte laute Popmusik den Raum. Nicht unbedingt Marvins Geschmack, aber besser als nichts. Wenigstens gaben die kleinen Lautsprecher, die an der Wand hingen, einen ordentlichen Sound von sich.
Der kostenlose Auszug ist beendet.