Einmal Ragnarök für Zwei: Laoghaire & Loki

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Einmal Ragnarök für Zwei: Laoghaire & Loki
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Über das Buch:

Sie sucht einen Ort, an dem sie einfach ihre Ruhe hat.

Er sucht eine Möglichkeit, um seinem Gefängnis zu entgehen.

Jahrhundertelang befindet sich der nordische Gott Loki schon in seiner Verbannung und kann dieser nicht entkommen. Erst als sein Blick auf die Sterbliche Laoghaire fällt, scheint er einer Lösung nahe.

Laoghaire, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, möchte in dem kleinen irischen Fischerdörfchen nur zur Ruhe kommen.

Als sie von Loki zu träumen beginnt und die halbe nordische Götterwelt ein gesteigertes Interesse an ihr entwickelt, ist von der Ruhe allerdings schnell nichts mehr übrig.


Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2018

Ihr findet uns auf www.weber-tilse.com

https://www.facebook.com/autorin.webertilse

Email Melanie@Weber-Tilse.comcom

https://www.facebook.com/Liam.Rain.Autor/ Email LiamRain@gmx.de

Herausgeber:

Melanie Weber-Tilse

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

Liam Rain

Bliesgaustr. 76

66440 Blieskastel

© Februar 2018 Melanie Weber-Tilse

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autoren.

Covergestaltung: Dennis Wilkinson

Bilder: © konradbak, © diversepixel, © Kostudio, © dundanim, / depositphotos.com

Korrektorat: Mike Stone / http://mike-stone.com/

Inhaltsverzeichnis

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Laoghaire

Loki

Epilog

Über den Autor

Über die Autorin

Laoghaire

Lautes Schrillen kündigte das Ende des langen Schultages an. Augenblicklich wurde es laut im Klassenzimmer und ich schmunzelte. Nicht nur, dass die Kinder den Tag hinter sich hatten, es stand auch das Wochenende vor der Tür. Normalerweise benahmen sich meine kleinen Zwerge vorbildlich, so vorbildlich Sechsjährige eben sein konnten. Aber freitags herrschte auch in meiner Klasse Ausnahmezustand.

Lächelnd packte ich meine Sachen zusammen, während der Großteil der Schüler schon aus dem Raum stob. Auf dem Flur traf ich auf Terry, eine von den insgesamt vier Lehrkräften, die wir in der kleinen Schule waren.

»Schönes Wochenende Lao. Und wenn du es dir doch noch einmal anders überlegst«, sie zwinkerte, während mir ein leises Seufzen entwich, »dann hast du meine Nummer.«

»Danke, das wünsche ich dir auch.«

Winkend schlängelte Terry sich durch die Schülerschaft. Seit ich vor einem halben Jahr hierhergezogen war, schien sie sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mich endlich dazu zu bekommen, am Wochenende mit auszugehen. Allerdings war ich ganz sicher nicht aus meinem letzten Wohnort geflohen, um mich sofort ins nächste Abenteuer zu stürzen. Bewusst hatte ich mich für Ballycotton entschieden. Mit seinen 425 Einwohnern, direkt an der irischen Küste im Süden gelegen, hoffte ich, hier zu Ruhe zu kommen und mit meiner Vergangenheit endlich abschließen zu können.

Ich trat auf den Pausenhof und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Der nahende Sommer kündigte sich an und ich freute mich, diesen am Wasser zu verbringen. Schon jetzt nutzte ich jede Minute meiner freien Zeit, um ausgedehnte Spaziergänge am Strand, aber auch in den Weiten der Wiesen zu unternehmen.

»Auf Wiedersehen, Miss O’Byrne«, riefen mir einige der letzten Schüler zu.

Ich klemmte die Tasche auf meinen Gepäckträger fest und verließ endlich auch das Schulgelände. Ich liebte meinen Beruf, wirklich … aber im Moment genoss ich die Ruhe um einiges mehr. Die Zeit vor meinem Umzug war sehr … nervenaufreibend, um es einmal nett auszudrücken.

Während ich auf die Straße einbog, sah ich aus dem Augenwinkel etwas Felliges, das sich in Bewegung setzte, sobald ich in die Pedale trat. Der riesige Hund war mir vor einigen Tagen erstmals aufgefallen. Herrenlos stromerte er durch den kleinen Ort, wobei es mir mittlerweile vorkam, als ob er irgendwie immer in meiner Nähe anzutreffen war. Als ob er mich verfolgen würde.

Und tatsächlich, nachdem ich in den Feldweg eingebogen war, der mich zu meinem Cottage bringen würde, trottete auch der große Hund weiter hinter mir her. Eigentlich hatte ich keine Angst vor Hunden, egal wie groß sie waren, aber mittlerweile behagte es mir nicht mehr, dass dieser Hund immer hinter mir herlief, ohne dass ein Besitzer weit und breit zu sehen war.

So schnell war ich noch nie an meinem Häuschen angekommen und darin verschwunden. Ich hatte mir noch nicht einmal die Zeit genommen, meine Tasche vom Gepäckträger zu nehmen. Aber dieser Hund machte mich einfach nervös. Eben hatte er mich mit einer Intensität angestarrt, dass mir ganz anders wurde.

Vorsichtig schob ich die Gardine am Küchenfenster zur Seite und spähte nach draußen. Der Hund lief in einigem Abstand um mein Cottage herum, legte dann den Kopf schief, als ob er lauschte, und schon sprang er in großen Sätzen davon. Gab es vielleicht doch einen Besitzer, der ihn gerade gerufen hatte? Wobei ich nicht wusste, ob es mich nervöser machte, wenn der Hund mir herrenlos folgte, eben weil er Anschluss suchte, oder es jemanden gab, der ihn hinter mir herschickte.

Normalerweise ging ich abends noch eine Runde spazieren, da ich aber weder dem großen Hund, noch dem Besitzer begegnen wollte, schlüpfte ich schnell - nachdem ich mich zigmal vergewissert hatte, dass der Hund wirklich weg war - nach draußen und rannte mit der Tasche fest an die Brust gepresst wieder nach drinnen.

Anstatt somit heute durch die Wiesen und an der Küste entlang zu streifen, zog ich mir die Hefte meiner Schüler hervor und beschloss, den ersten Test den sie hatten schreiben müssen, heute schon zu korrigieren.

Loki

Seit Jahrhunderten schon wandelte ich nun über diese triste, tote Welt, stets begleitet von meinem Warg, einem riesigen wolfsähnlichen Wesen. Seit mein Vater mich aus dem Reich Asgard, unserer göttlichen Heimat, verstieß, war ich einsam. Die Sterblichen hatten sich weiterentwickelt, sie bewegten sich in eigenartigen Metallkästen über ihren Planeten und richteten ihn langsam mit ihrem Unrat zugrunde. Doch eine Maid war mir besonders ins Auge gefallen. Sie lebte auf einer kleinen Insel, auf der das Volk der Kelten sich niedergelassen hatte. Onyxfarbene, lange Haare, Augen von der Farbe des Grasmeeres, weiche weibliche Kurven und ein Mund, der mir die ewige Verbannung schwermachte. Immer wieder sandte ich meinen treuen, tierischen Begleiter zu ihr, um sie durch seine Augen zu beobachten. So auch jetzt.

»Alvar, geh und leiste ihr Gesellschaft.«

Ein kurzes Knurren zur Bestätigung und mein Warg stieg durch die dünne Dimensionsschicht hindurch, die für mich eine unnachgiebige Barriere darstellte.

Meinen Blick vor der tristen Welt, auf der ich festsaß, verschließend, sah ich durch seine Augen. Ein breiter schwarzer Weg mit weißen, kurzen Strichen in der Mitte, über den Metallkästen rauschten. In einem ruhigen Moment, in welchem keines der Fuhrwerke kam, rannte er zur anderen Seite. Ein wenig abseits des Weges wogte dichtes grünes Gras hin und her. Vereinzelte Blüten standen im saftigen Grün. Fast schon konnte ich die frische Luft schmecken, die ihm dort um die Nase wehte. Eine unbedachte Bewegung meines Fußes wirbelte eine Staubwolke auf die sich trocken über mein Gesicht legte und mir das Atmen erschwerte. Dadurch wurde meine Konzentration gestört und die Verbindung zu meinem Warg unterbrochen. Erst ein kräftiges Niesen erleichterte mir die Atmung. Sofort konzentrierte ich mich auf Alvar und seine Eindrücke. Die Verbindung entstand erneut und die Vielfalt in dem Grasmeer beeindruckte mich ebenso, wie die stille Schönheit, die das Ziel seiner Reise darstellte. Die Maid überragte meinen Begleiter kaum an Höhe, dennoch war ich mir gewiss, dass sie an meiner Seite nicht zu klein wirken würde.

 

Endlich erreichte er den Ort. Während er zu seinem auserwählten Beobachtungsplatz unterwegs war, wichen ihm die Menschen aus und wechselten auf die andere Seite des Weges. In dem Moment wo er sich hinsetzte, kam sie aus einem Gebäude. Mit ihr lief eine Schar fröhlicher Kinder. Sie alle schienen noch sehr jung zu sein, vielleicht gerade einmal sechs Menschenjahre, und verabschiedeten sich von der Frau, ehe sie zu ihren Eltern liefen. Einige der Kleinen deuteten auf Alvar, meinen Warg und riefen begeistert etwas von einem großen zottigen Hund. Mein pelziger Freund folgte der Schwarzhaarigen in einigem Abstand. Sie war auf ein seltsam anmutendes Gestell mit zwei Rädern gestiegen, dass sich nun bewegte. Mit ihren Füßen schob sie kleine Paddel im Kreis auf und ab, was das Gefährt vorantrieb.

Alvar lief ihr gemächlich hinterher, den breiten Weg entlang, bis er auf einen noch kleineren, sandigen Pfad stieß. Vorbei an einer Umzäunung mit Pferden darin und abgegraster Wiese. Eine niedrige Hütte war ihr Ziel. In einigem Abstand streifte der Warg nun um das Gebäude, denn sie war hineingegangen, und hatte die Tür geschlossen. Seufzend rief ich ihn zu mir zurück. So gern ich dortgeblieben wäre, wenn die Sonne unterging und die Tür zu war, gab es sicher nichts mehr zu sehen für Alvar und mich.

Er kam zurück durch die verhasste Dimensionsbarriere und trat an meine Seite, als ob er nie fort gewesen wäre. Einmütig wanderten wir über die staubige Welt, die einst der Planet Midgard war - ehe ich den Weltenbrand ausgelöst hatte. Seufzend wurde ich mir erneut meines unendlichen Vergehens bewusst. Wäre ich nicht so töricht gewesen und hätte Söhne gezeugt, die ich niemals hätte haben sollen, hätte ich nie das gefürchtete Ragnarök eingeleitet. Zur Strafe wurde ich wie ein trotziges Kind mit Arrest bedacht. Weggesperrt zwischen Raum und Zeit, damit ich keine Streiche mehr spielen und über meine Fehler nachdenken konnte.

Jeden Tag gab mir Odin Gelegenheit ein Einsehen zu zeigen und für mein Vergehen einzustehen. Mein Begleiter drückte seine Schnauze in meine Hand und ich wusste diese tröstende Geste zu schätzen. Doch niemals würde ich Göttervater, den Obersten der Asen, Odin, um Verzeihung bitte, nicht nachdem er mich mein Leben lang angelogen hatte!

»Komm Alvar, lass uns noch ein wenig gehen. Etwas Anderes kann ich ohnehin nicht tun.«

Gemeinsam bewegten wir uns wieder voran, einen Fuß vor den anderen setzend.

Erst durch einen Angriff der Riesen auf Asgard erfuhr ich, dass Odin nicht mein leiblicher Vater war. Nein, er hatte mich meinen Eltern geraubt und zu sich geholt, um so den Riesenkönig zu zwingen, Frieden zu halten. Meine Hände waren zu Fäusten geballt, vor Zorn auf meinen Gottvater und auf mich.

Unerwartet trieben meine Gedanken wieder zu der Maid. Was wohl ihre Sorgen waren? Was mochte sie? Was fand sie abstoßend? Was brachte sie zum Lachen?

Ich war stehen geblieben und richtete den Blick auf die Welt der Sterblichen. Dort lag die Nacht mit ihrem sanften Schleier über der Insel und sie schlief gewiss. Ein Blatt von Yggdrasil für ihre Träume.

Laoghaire

Die Sonne ging gerade erst auf und doch saß ich schon auf meinem Fahrrad und war unterwegs zu dem kleinen Hafen. In den frühen Morgenstunden liefen die Boote vom Fischen ein und ich liebte es, ihnen dabei zuzuschauen. Außerdem bekam ich immer wieder einen Fisch ab, den ich jetzt bei dem guten Wetter draußen im Garten grillte.

»Guten Morgen, Laoghaire«, rief mir Sam vom Deck des einlaufenden Schiffes zu. Der ältere Mann winkte mir zu und ich erkannte schon an seinem Strahlen, dass er einen guten Fang eingefahren hatte. Für sein Alter noch sehr behände, sprang er auf den Steg, um das Schiff zu vertäuen. Er war auch der Einzige, der es schaffte, meinen Namen richtig auszusprechen. Alle anderen nannten mich Lao, oder bei meinem Nachnamen.

»Morgen, Sam«, grüßte ich zurück. Bevor ich mich versah, drückte er mir einen in Papier eingewickelten Fisch in die Hand.

»Aber sag’s keinem. Sonst will hier jeder einen abhaben.« Sein wettergegerbtes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Aber du bringst mir samstags Glück, Mädchen. Seit du morgens hier auftauchst, habe ich einen viel besseren Fang.«

Ich musste laut lachen, denn ganz sicher lag es nicht an mir, dass er an diesen Tagen mehr Fische ins Netz bekam. »Danke.« Ich senkte verschwörerisch meine Stimme. »Natürlich bleibt das unser kleines Geheimnis.«

Ich radelte über die Mainstreet zurück zu meinem Cottage und freute mich auf den kleinen Spaziergang zur Küste. Das Meeresrauschen hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich und als ich mit … Ich verbot mir den Gedanken an seinen Namen. Als ich noch mit ihm in Athlone im Landesinneren gewohnt hatte, hatte ich mich jeden Tag eingesperrt gefühlt.

Zuhause verstaute ich den Fisch im Kühlschrank und schlug den Trampelpfad zur Steilküste ein. Eine schmale Steintreppe führte zwischen dem Geröll nach unten und ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Weder wollte ich mir das Genick brechen, noch mit gebrochenem Bein in der Bucht liegen. Bis jemand bemerkte, dass ich verschwunden war, wäre ich hier unten verrottet.

Ich genoss den Anblick der rauen See und ließ mich im Schneidersitz in den Sand fallen. Das Geräusch, als sich die Wellen am Stein brachen, führte mir wieder einmal vor Augen, wie klein und unbedeutend ich war.

Und doch hörte ich das Herabrieseln der Steine, als sich jemand über den Weg nach unten zu mir in die Bucht begab. Langsam drehte ich den Kopf und mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich erkannte, dass es der Hund von gestern war, der da auf mich zukam. Dieser schwarze Riese wirkte auch jetzt nicht weniger bedrohlich und ich überlegte fieberhaft, wie ich entkommen könnte, falls er mich beißen wollte.

Was hatte ich meinen Kindern immer beigebracht, wenn man auf einen fremden Hund traf? Richtig, direkten Blickkontakt vermeiden. Schnell senkte ich den Kopf und streckte die Hände mit den Innenflächen zu ihm zeigend, nach oben. Mist, ich wurde doch nicht mit einer Waffe bedroht, wenngleich der riesige Hund locker als solche durchgehen konnte.

»Feiner Hund«, wisperte ich, was ihm ein leises Knurren entlockte. Oh Gott, er mochte wohl nicht angesprochen werden. Ich kniff die Augen fest zusammen und saß erstarrt im Sand.

Als ich eine feuchte Nase und den warmen Atem in meinem Gesicht spürte, riss ich panisch die Augen auf. Ich sah gerade noch so die Zunge kommen, dann hatte er mir einmal quer über das Gesicht geleckt.

»Du hast jetzt aber nicht überprüft, ob ich auch schmackhaft bin?«, versuchte ich meine Anspannung irgendwie zu überspielen. Ich starb hier gerade tausend Tode, während der Hund seinen Kopf schief legte, mich aus seinen großen, bernsteinfarbenen Augen anstarrte, als ob er mir bis auf den Grund meiner Seele schauen konnte und sich dann mit einem Schnaufen niederließ. Seinen großen Kopf legte er in meinen Schoß und ich saß hier noch immer mit erhobenen Händen und wusste nicht, ob ich mich bewegen sollte - durfte - oder nicht.

Loki

Diese Maid ging mir nicht mehr aus dem Sinn, ständig musste ich an sie denken. Doch fiel mir auch auf, dass Alvar sie zu verunsichern schien. Hatte sie neulich ängstlich aus dem Haus gespäht? Doch war der Blick seiner Augen zu kurz über das Gebäude gestriffen, damit ich es mit Sicherheit hätte sagen können. Bei Yggdrasils Wurzeln! Was hatte sie bloß an sich, was mich derart faszinierte?

Wenn ich an sie dachte, regte sich tief in meiner Brust etwas, das ich seit einer Ewigkeit nicht mehr spürte – mein Herz. Es klopfte heftig gegen meine Rippen und brachte meinen Brustkorb zum Vibrieren.

Eine List kam mir in den Sinn, wie ich dem ewigen Gefängnis entrinnen konnte. Wenn ich es schaffte ihr meinen Samen einzupflanzen, könnte ich mich durch sie wieder gebären lassen. Der Gedanke in ihren heißen Schoß zu gleiten bewirkte, dass sich noch andere totgeglaubte Körperregionen meldeten. Beim wilden Drillzahn, sie würde mein Schlüssel zur Freiheit werden! Langsam nahm ich meine Wanderschaft wieder auf und gab so meinem Körper Gelegenheit, sich zu beruhigen. Meine rastlosen Gedanken ließen mich Schritt um Schritt gehen und als ich stehen blieb, um zur Menschenwelt zu sehen, ging dort über der Insel gerade die Sonne auf.

»Was denkst du, mein Freund – ob sie schon munter ist?«

Alvar sah zu der Menschenwelt und es war mir, als würde er breit lächeln. Gespannt hob er den Blick zu mir und wartete nur darauf, dass ich ihn zu ihr schickte.

»Geh und bring mir ihren Namen.«

Schon sprang er durch die Dimensionsbarriere und eilte in die Welt der Sterblichen. Diesmal kam er direkt an der Umzäunung mit den Pferden heraus und trottete gemächlich zu ihrem kleinen Haus. Das merkwürdige Gestell stand davor, doch halt – es war nicht mehr an derselben Stelle wie am Abend zuvor! Witternd streckte er seine Schnauze in den Wind und folgte ihrer verblassenden Spur. An einem Steilhang blieb er stehen, hier musste sie entlanggegangen sein. Suchend schlich er an der harten Kante entlang, bis er einen winzigen Pfad mit einer Treppe in die Tiefe fand und ihn betrat. Steinchen lösten sich unter seinen Pfoten und fielen in die Tiefe. Er stockte mitten in der Bewegung und ich befahl ihm, weiter zu gehen. Wenn sie da unten war, und die Flut einsetzte, wäre mein Plan in Gefahr.

Ganz vorsichtig schlich er den Pfad hinab, hatte gerade das erste Stück geschafft, da hob sie den Blick und ihre Augen weiteten sich. Ich befahl ihm innezuhalten und er setzte sich hin. Schnell senkte sie den Blick und hob ihre Hände mit den Handflächen zu uns.

»Feiner Hund« sagte sie leise. Oh, oh … Alvar, hatte schon gestandene Krieger gerissen, die ihn als Hund betitelt hatten. Er knurrte.

»Wehe dir, Alvar! Wage es nicht, ihr auch nur ein Haar zu krümmen!«, grollte ich, schon senkte er den Blick auf seine Pfoten. Noch immer saß sie wie versteinert dort unten im Sand, mit erhobenen Händen. Als sie nun auch noch die Augen zusammenkniff, setzte mein Herz einen Schlag aus. Sie derart verängstigt zu sehen, störte mich.

»Alvar, mein Freund, geh und nimm ihr die Angst. Sie fürchtet sich vor dir.«

Sachte bewegte er sich nach unten zu der verängstigten Maid. Schon drückte er ihr die Schnauze fast ins Gesicht und leckte sie ab. Sie wirkte verunsichert und sagte zu ihm: »Du hast jetzt aber nicht überprüft, ob ich auch schmackhaft bin?«

Er legte ihr seinen mächtigen Schädel in den Schoß und sie bewegte sich keinen Millimeter unter ihm. Seine Augen hatte er auf das ständig in Bewegung bleibende Wasser gerichtet. Was wenn die Flut einsetzte? Alvar war, als mein Begleiter, unsterblich. Er würde auch bei einsetzender Ebbe noch dort liegen, ohne Schaden – doch sie war eine Sterbliche. Wenn die Flut sie überspülte, würde sie ertrinken wie ein hilfloses Kätzchen, das man ersäufte. Bei Yggdrasils Blättern!

Meine Hände fuhren in mein verfilztes Haar und Staub rieselte herab. Ich war ein Gott und doch war ich außerstande, diese sterbliche Maid für meinen Fluchtplan zu bewahren. Unruhig lief ich auf und ab, während Alvar einfach nur still liegen blieb. Es schien mir, als würde er ihre Nähe und den engen Kontakt zu ihr genießen.

Ein altes, längst vergessenes Gefühl keimte in mir auf – Eifersucht.

Mein Warg konnte sie berühren, ihr nahe sein. Ihren Duft atmen und ihre Wärme spüren - während mir nur die Stille, der Staub und die Kälte meines Gefängnisses blieben. Wieder sah ich durch seine Augen, dunkel wogte die Gefahr vor ihnen und plötzlich verschwand das Bild. Er hatte seine Augen geschlossen! Einen Blick ins unendliche Weltenmeer werfend, hoffte ich darauf, dass er sie beizeiten freigeben würde. Endlich öffnete er die Augen und das wogende Wasser wirkte, als wäre es nähergekommen. Langsam schwappten bereits die ersten Wellen bis an ihre Füße. Durch seine feinen Ohren konnte ich ihr Herz heftig klopfen hören. Die nächste Welle schwappte heran und zerschellte an ihren Beinen. Bei Odins fehlendem Auge! Der sture Warg blieb einfach liegen!

 

»Alvar! Gib sie frei, wenn sie ertrinkt, wirst du die Ewigkeit dafür büßen!«, donnerte meine Stimme – ich wusste sie würde in ebendieser mächtigen Form durch seinen sturen Schädel hallen.

»Bitte steh' auf, das Wasser ist kalt und ich möchte nach Hause«, klang ihre zögerliche Stimme in seinen Ohren. Tatsächlich erhob er sich langsam und schüttelte einmal seinen mächtigen Körper, sodass Sandkörner wie glitzernde Funken in alle Richtungen stoben. Dann ging er einige Schritte Richtung Aufstieg und blieb stehen. Seine Augen fassten sie in den Blick und es schien, als würde er sie auffordern ihm zu folgen. Sie stand auf, klopfte sich den Sand aus ihrer Kleidung und ging mit staksigen Schritten auf ihn zu.

»Darf ich vorbei?«, fragte sie, geradeso als ob er ihr antworten könnte. Mein Warg machte ihr etwas Platz und sie ging, mit dem Rücken zur Wand, an ihm vorbei. Erst als sie auf dem Pfad war, hielt sie den Blick nach vorne gerichtet und wandte Alvar den Rücken zu. In kleinen Schritten eilte sie hinauf und er folgte ihr in einigem Abstand.

Ihr weich geschwungener Hintern schwebte direkt vor seinem Blick. Schmale Hüfte, ein gebärfreudiges Becken. Schon wieder kam mir der Gedanke an die listige Flucht. Götter wuchsen innerhalb eines Menschenjahres zu Erwachsenen heran. Sie würde vergessen, jemals ein Kind geboren zu haben, und ich könnte an ihrer Seite sein. Langsam reifte diese fixe Idee zu einem Plan heran.

Oder ich wählte eine Andere, damit ich dann ihr auf aufrichtige Weise nahe sein konnte. Die Sterblichen hatten eine Abneigung gegen Intimitäten zwischen direkten Verwandten. Bei uns Göttern spielte das keine Rolle.

Nein, ich wollte nur sie! Nur in ihren weiblichen Schoß wollte ich eintauchen und ihn mit meinem Samen füllen. Sicher war sie fähig mir Kinder zu schenken? Wahre Kinder, keine Wiedergeburten meiner Selbst. Doch wollte ich das?

Oben sah sie Alvar an und schien erst da seine enorme Größe wahrzunehmen. Ihre Mundwinkel zuckten und die Augen hatten einen belustigten Glanz. Etwas erheiterte sie und ich würde zu gerne wissen, was es war.