Die Organuhr

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Die Organuhr
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Prof. TCM (Univ. Yunnan) Li Wu

Die Organuhr

Leben im Rhythmus der Traditionellen

Chinesischen Medizin (TCM)

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Prof. TCM (Univ. Yunnan) Li Wu

Die Organuhr

Leben im Rhythmus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)

E-Book (pdf): ISBN 978-3-86374-145-7

E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-146-4

(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-144-0, 1. Auflage 2014)

Mankau Verlag GmbH

Postfach 13 22, D – 82413 Murnau a. Staffelsee

Im Netz: www.mankau-verlag.de

Internetforum: www.mankau-verlag.de/forum

Redaktion: Friederike Lutz, München

Lektorat: Julia Feldbaum, Augsburg

Endkorrektorat: Susanne Langer M. A., Traunstein

Umschlag: Andrea Barth, Guter Punkt GmbH & Co. KG, München

Layout Innenteil: Sebastian Herzig, Mankau Verlag GmbH

Illustrationen: Grafikstudio Heike Brückner, Regensburg (80, 81, 85, 90, 95, 99, 100, 104, 108, 112, 116, 121, 125, 126, 127, 131, 132, 164, 167), Thomas Pelletier, Saarbrücken (36, 79, 80, 84, 88, 89, 94, 98, 103, 107, 111, 115, 119, 120, 124, 125, 130, 131)

Energ. Beratung: Gerhard Albustin, Raum & Form, Winhöring

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

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Wichtiger Hinweis des Verlags:

Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig recherchiert und geprüft worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den hier erteilten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Die vorgestellten Hilfestellungen und Therapievorschläge sollen den Besuch beim entsprechenden Facharzt, Psychologen oder Heilpraktiker nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Inhalt

Einführung: Der zivilisationskranke Mensch

Das ganzheitliche Weltbild in der TCM

Die jahrtausendealten Ursprünge der TCM

Yin & Yang – das sensible Zusammenspiel der Kräfte

Wu Xing – die fünf elementaren Wandlungsphasen

Zang Fu – die Funktionskreise mit ihren inneren Organen

Qi – die alles durchdringende Lebensenergie

Die fünf Grundsubstanzen des Lebens

Meridiane – die unsichtbaren Energieleitbahnen

Krankheit im Kontext fernöstlicher Medizin

Leben mit der chinesischen Organuhr

Der hohe Preis unserer Zivilisation – wenn das Leben aus der Balance gerät

Der chinesische Kalender – Geschichte und Ursprünge der Organuhr

Der Tag im Zweistundenrhythmus

Die Organuhr in der Praxis – Aktivitätsund Ruhephasen nutzen

Der 24-Stunden-Rhythmus des Körpers

Die Partnermeridiane im Zweistundenrhythmus

Der Partnermeridian Lunge – Dickdarm

Der Partnermeridian Magen – Milz-Pankreas

Der Partnermeridian Herz – Dünndarm

Der Partnermeridian Blase – Niere

Der Partnermeridian Perikard – Dreifacher Erwärmer

Der Partnermeridian Gallenblase – Leber

Diagnose und Therapie in der TCM

Störungen und Disharmonien erkennen – die Diagnose in der TCM

Fragebogen zur Erfassung energetischer Organstörungen und Disharmonien

Heilmethoden – die fünf Behandlungssäulen

Die chinesische Kräuterheilkunde

Akupunktur und Moxibustion

Massage

Ernährung

Bewegungslehren

Anhang

Tabellarische Übersicht mit Zeiten und Funktionen der jeweiligen Organe

Literaturverzeichnis

Bezugsquellen für chinesische Heilkräuter

Danksagung

Zum Autor

Weitere Veröffentlichungen des Autors

Stichwortregister

Einführung:

Der zivilisationskranke Mensch

Der Mensch im 21. Jahrhundert hat sich seinem natürlichen Lebensrhythmus immer weiter entfremdet. Unsere Tagesplanung wird häufig nicht mehr durch den natürlichen Tag- und Nachtrhythmus, den Takt, den die Sonne uns vorgibt, oder selbst den jahreszeitlichen Wechsel bestimmt, sondern strukturiert sich durch eine Vielzahl von Verpflichtungen und drängenden Aufgaben, denen der Alltag täglich neu angepasst werden muss.

Ob im Berufs- oder Privatleben, bei Tag oder Nacht, jederzeit muss man erreichbar und verfügbar und am besten gleich im Sauseschritt unterwegs sein. Schließlich bringt man andere durch nichts mehr an den Rand der Verzweiflung als durch Langsamkeit.

Häufig gibt es nur noch wenige Momente, in denen man wirklich zur Ruhe kommen und Atem holen kann. Und auch wenn der Seele ein vertrödelter Tag hin und wieder guttut, das chronisch schlechte Gewissen macht den Erholungseffekt schnell wieder zunichte.

Viele Menschen fühlen sich deshalb im Dauerstress, sind gehetzt, überreizt und irgendwann einfach nur noch erschöpft. Oder sie entwickeln typische Stresssymptome, die dann – weit entfernt von den eigentlichen Ursachen – medikamentös „verarztet“ werden. Früher oder später leiden die meisten von uns an regelmäßig wiederkehrenden Schlafstörungen, Migräne, Magen-Darm-Beschwerden oder Energielosigkeit, bis hin zu depressiven Verstimmungen. Auch wenn es sich oft „nur“ um psychosomatische Beschwerden handelt – sie sollten immer als Warnsignale gedeutet werden. Sie weisen uns darauf hin, dass wir wieder mehr auf den eigenen Körper, auf unsere innere Uhr hören sollten. Denn jedes Loslösen von den rhythmischen Prozessen der Natur wirkt sich langfristig negativ auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden aus.

Nach dem jahrtausendealten Heilwissen der Traditionellen Chinesischen Medizin ist die Natur und selbst der unendliche Kosmos einem ständigen Wandel unterworfen – einem Wechselspiel von Aktivitäts- und Ruhephasen, von Yin und Yang, vom dynamischen Zusammenspiel der Gegensätze. Wenn dieses sensible Gleichgewicht gestört ist, gerät das ganze System aus dem Takt. Was bereits im „Buch des Gelben Kaisers“, dem uralten Grundlagenwerk der Traditionellen Chinesischen Medizin, geschrieben steht, gilt heute mehr denn je:

„In alten Zeiten führten die Menschen ein einfaches Leben. Sie gingen auf die Jagd, sie fischten und hielten sich den ganzen Tag in der Natur auf. Wurde es kühler, steigerten sie ihre Aktivität, um die Kälte abzuwehren. Im Sommer zogen sie sich an schattige Plätze zurück, um der Hitze zu entfliehen. Innerlich ließen sie sich durch ihre Emotionen nicht aus der Ruhe bringen, und sie verspürten keine maßlosen Begierden. Äußerlich waren sie noch nicht den heute verbreiteten Belastungen ausgesetzt. Sie lebten frei von Gier und Neid, im Einklang mit der Natur. Sie bewahrten sich eine Haltung des Jingshen neisuo, inneren Frieden und gesammelten Geist. Dadurch verhinderten sie, dass krankheitsauslösende Faktoren eindringen konnten. (…) Heutzutage sind die Menschen anders. In ihrem Inneren sind sie Sklaven ihrer Emotionen und Sorgen. Sie überanstrengen ihren Körper mit harter Arbeit. Sie folgen nicht mehr dem rhythmischen Wandel der Jahreszeiten und werden so anfällig für Angriffe durch ‚Räuber’ und Winde.“

 

(Quelle: Maoshing, Ni (Hrsg.): Der gelbe Kaiser, Knaur, München 2011, S. 78f.)

Auch der Mensch ist eingebettet in diese rhythmischen Prozesse der Natur. Unser Leben wird tagein, tagaus bestimmt vom Lauf der Jahreszeiten, von Sonne und Mond, von Tag und Nacht. Wir unterliegen einem 24-Stunden-Rhythmus, einem täglich neu einsetzenden Energiekreislauf. In gleicher Weise hat auch jedes unserer Organe seine aktiven Phasen und seine Ruhephasen. Beschwerden, die zu bestimmten Tageszeiten auftreten, verweisen auf bestimmte Organe. Auch Behandlungen können zu bestimmten Zeiten am wirkungsvollsten sein. Und selbst unsere Arbeitszeiten können wir nach diesem inneren Schrittmacher, der Organuhr, ausrichten.

Für unsere Gesundheit und unser Lebensglück tragen wir selbst die meiste Verantwortung. Erst wenn wir unseren Alltag wieder nach unseren natürlichen Bedürfnissen ausrichten und wenn wir achtsam und im Einklang mit unserer inneren Uhr leben, finden wir zu unserem natürlichen Biorhythmus zurück – eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wohlbefinden, Gesundheit und vor allem auch Zufriedenheit.


Das ganzheitliche Weltbild in der TCM

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) betrachtet den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele. Doch das Individuum steht nicht isoliert und losgelöst von seiner Umgebung: Gleichzeitig ist es auch untrennbar in ein universales Gesamtgefüge, eine universelle Ordnung eingebunden. Dieselben Urkräfte, die diesen Makrokosmos lenken, wirken im Kleinen auch auf den Mikrokosmos des Menschen.

Wie die Natur und der ganze Kosmos unterliegt jeder einzelne Mensch einem alldurchdringenden Prinzip – er ist nicht das Maß aller Dinge und der alleinige Beherrscher des Universums, sondern ein winziges Teil davon, ein Rädchen im Getriebe. Nur wenn alle Dinge reibungslos ineinandergreifen und harmonisch aufeinander abgestimmt sind, ist der störungsfreie Lauf der Welt gewährleistet. Alles hängt voneinander ab und ist unauflöslich miteinander verbunden. Sobald ein Bereich geschwächt ist, wirkt sich das auf alle anderen Gebiete des Lebens aus.

Gesundheit und dauerhaftes Wohlbefinden können deshalb nur erlangt werden, wenn der Mensch in Harmonie und Einklang mit der Natur lebt; wenn er den immerwährenden Kreislauf nicht stört, etwa indem er Energien und Ressourcen ausbeutet oder verschwendet. Das bedeutet auch, dass er sich dem jahreszeitlichen Wandel, dem natürlichen Rhythmus der Natur und den jährlichen makrokosmischen Einflüssen anpassen muss, um keine Disharmonien in Gang zu setzen, die das sensible Gleichgewicht beeinträchtigen könnten. Nur in einem harmonischen Miteinander mit der Natur kann der Mensch zu innerer Ruhe und Gelassenheit finden.

Die jahrtausendealten Ursprünge der TCM

Die Weltanschauung, die der TCM zugrunde liegt, findet sich in Grundzügen bereits in der chinesischen Religionsund Philosophielehre des Daoismus. Sein bedeutendstes Werk ist das „Daodejing“ („Tao Te King“) des mythenumwobenen Laotse, der im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt haben soll. Die Spruchsammlung ist vermutlich jedoch erst um 400 v. Chr. entstanden. Der Daoismus postuliert, dass der Mensch zur Erlangung von Glück und Unsterblichkeit mit dem Lauf der Welt, dem Dao (chines. „Weg, Gesetz“), im Einklang leben muss. Denn alles im Kosmos ist Veränderung und einem ewigen Wandel unterworfen – auch der Mensch. Statt blindem Aktionismus und Selbstbezogenheit predigt der Daoismus als Handlungsprinzip das Nicht-Eingreifen in die Natur oder das Nicht-Erzwingen („Wu Wei“). Seinen Platz in der Welt kann der Mensch nur finden, wenn er sich in heiterer Gelassenheit übt und sich dem steten Lauf der Dinge anpasst.

In der Traditionellen Chinesischen Medizin finden sich viele Elemente dieser Lehre wieder – die kosmologische Vorstellung von Himmel und Erde, die Lehre der fünf Wandlungsphasen, das Konzept der universellen Lebensenergie Qi und des Gegensatzpaares Yin und Yang, denen zufolge alles Sein von Gegensätzen bestimmt wird. Im Daoismus bildeten sich auch bereits bewährte Therapietechniken heraus, wie die Bewegungs- und Atemübungen des Qigong oder Tai-Chi.

Die mythische Niederschrift des „Gelben Kaisers“

Daneben beruft sich die Traditionelle Chinesische Medizin in erster Linie auch auf verschiedene medizinische Grundlagenwerke, die in der Überlieferung mythischen Urkaisern Chinas zugeschrieben werden. Der Legende nach lebten sie vor mehreren Jahrtausenden, ihre ersten überlieferten Abschriften stammen jedoch erst aus dem letzten Jahrtausend vor Christus.

Zu den wichtigsten Standardwerken zählt hier das „Buch des Gelben Kaisers zur inneren Medizin“ („Huang Di Nei Jing“). Eine Sammlung von 81 Abhandlungen, die wohl in einem Zeitraum von etwa 400 Jahren aus verschiedenen Schriften unbekannter Autoren zusammengestellt wurde und die für Generationen von chinesischen Ärzten bis heute richtungsweisend ist.

In Frage- und Antwort-Dialogen des sagenumwobenen Gelben Kaisers Huang Di mit seinen Gelehrten, insbesondere dem weisen Arzt und Minister Qi Bo, werden hier erstmals systematisch alle wichtigen diagnostischen und ganzheitlichen therapeutischen Verfahren der TCM behandelt. Gleichzeitig behandelt das „Buch des Gelben Kaisers“ auch die Naturgesetzmäßigkeiten zwischen Menschen, Natur und Himmel.

Auch hier ist bereits das ganzheitliche Bild des Menschen angelegt, der sein Dasein und sein Handeln ganz nach dem Rhythmus und den Gesetzen der Natur ausrichten muss, wenn er deren harmonischen Lauf, aber auch sein eigenes Wohlbefinden nicht gefährden will. Berücksichtigt sind sowohl äußere Einwirkungen, also klimatische, geografische und jahreszeitliche Einflüsse, wie auch innere Faktoren: Emotionen wie Sorge, Angst, Traurigkeit, Erregung und Zorn, die im Übermaß ebenfalls zu schweren Störungen führen können.

Die Traditionelle Chinesische Medizin kann auf einen reichhaltigen, jahrtausendealten Erfahrungsschatz zurückblicken, in den bis heute neue, auch wissenschaftlich bestätigte Erkenntnisse miteinfließen. Doch aus welchen grundlegenden Elementen speist sich das allumfassende Weltbild der TCM im Einzelnen?

陰陽 Yin & Yang – das sensible Zusammenspiel der Kräfte

Die beiden Urkräfte Yin und Yang gehören zu den elementaren Grundbegriffen der chinesischen Weltanschauungslehre. In ihrer Polarität und Gegensätzlichkeit symbolisieren sie die universellen Grundkräfte des Lebens, die in allen Bereichen des Himmels und der Erde und im gesamten Universum zum Tragen kommen. Das chinesische Yin lässt sich mit „schattiger Ort“, „wolkig und dunkel“ übersetzen, Yang bedeutet „sehr hell“, „sonnige Anhöhe“. In diesen beiden Begrifflichkeiten spiegelt sich das Prinzip ihrer zyklischen Wechselwirkung und ihrer entgegengesetzten Naturkräfte, die einander gleichzeitig bedingen, zugleich aber ohne einander undenkbar sind – denn wo Licht ist, ist auch Schatten.

Alle Dinge, alle Prozesse dieser Welt lassen sich dieser Polarität zuordnen: Yin steht für das weibliche Prinzip, Yang für das männliche. Yin ist die Nacht, die Dunkelheit und der Mond. Yang ist das Licht, der Tag und die Sonne. Yin ist schwach, passiv und damit auch empfangend, kalt und feucht. Yang stark, aktiv, also gebend, warm und trocken. In der TCM ist Yin die Leere, das Innen und die Kälte. Yang steht für die Fülle, das Außen und die Hitze etc.

Yin und Yang können dabei niemals gleichzeitig stärker oder schwächer werden – wenn Yin steigt, nimmt Yang ab und umgekehrt. Yin und Yang sind also voneinander abhängig, kontrollieren sich aber auch gegenseitig. Und hinzu kommt – so schwarz-weiß, wie das Yin-Yang-Symbol, das „Taijitu“, zumeist gezeichnet ist, sind die Begriffe nicht zu verstehen: In jedem Yin steckt auch ein bisschen Yang, und in jedem Yang verbirgt sich immer auch ein Yin-Anteil – und wenn er sich nur als kleiner Punkt in der jeweils entgegengesetzten Farbe offenbart.

Das Taijitu-Symbol versinnbildlicht auch, wie sich Yin und Yang hier fast dynamisch zu durchdringen scheinen – denn das Gegensatzpaar Yin und Yang gilt zugleich als Ursprung jedes Veränderungsprozesses. Ihre früheste schriftliche Erwähnung finden Yin und Yang dann auch im „I-Ging“, dem „Buch der Wandlungen“, das wohl älteste Werk zur chinesischen Philosophie. Hier wird aufgezeigt, dass alles einem immerwährenden Umwandlungsprozess unterworfen ist: ein ewiges Wechselspiel von Yin und Yang, das im Kreislauf der Jahreszeiten, im Lebenszyklus eines Menschen oder im Übergang vom Tag zur Nacht, sichtbar wird.

Yin und Yang im 24-Stunden-Rhythmus

Betrachtet man einen 24-Stunden-Tag, wird das Prinzip dieses kontinuierlichen Wandels und Übergangs deutlich: Die Helligkeit und der Tag entsprechen Yang, die Dunkelheit und die Nacht Yin. Wenn die Sonne am höchsten steht, dominiert das Yang. Doch wenn die Sonne langsam untergeht und es dunkler wird, steigt der Yin-Anteil im Yang. Der Nachmittag ist Yin im Yang. Und während um Mitternacht schließlich das Yin seinen Höhepunkt erreicht, nimmt mit anbrechendem Tag der Yang-Anteil immer weiter zu. Die Zeit von Mitternacht bis Sonnenaufgang wird demnach als Yang im Yin bezeichnet.

Da die Tage zum Sommer hin länger werden und zum Winter hin kürzer, bleiben die Zeiten des Wechsels hierbei nicht gleich, sondern sind ebenfalls, analog zu den Jahreszeiten, einer ständigen Veränderung unterworfen.

Yin und Yang in der TCM

Auch in der Medizin werden alle Phänomene, alle Körperteile und Organfunktionen nach Yin und Yang eingeteilt:


YINYANG
KörperinneresKörperäußeres
Vorderseite (Gesicht, Brust etc.)Rückseite (Hinterkopf, Rücken, Po)
rechte Seitelinke Seite
UnterkörperOberkörper
LungeZang-Organe (Speicherorgane)DickdarmFu-Organe (Arbeitsorgane)
HerzDünndarm
MilzMagen
LeberGallenblase
NiereHarnblase
LeereFülle
KälteHitze
FeuchtigkeitTrockenheit
chronischakut

Bei einem gesunden Menschen befinden sich diese beiden polaren Kräfte in einem harmonischen, wechselseitigen Gleichgewicht. Gerät das Gleichgewicht von Yin und Yang jedoch aus dem Takt, führt das auf körperlicher wie seelischer Ebene zu Krankheiten.

Yin, Yang und die fünf Wandlungsphasen

Während Yin und Yang in der TCM also die Wechselwirkung der polaren Kräfte symbolisieren – Helligkeit und Dunkelheit, Hitze und Kälte etc. –, wird dieses Konzept durch die sogenannten fünf Wandlungsphasen noch weiter differenziert und aufgeschlüsselt: Sie versinnbildlichen das stufenweise Fortschreiten aller Prozesse in der Natur und auch in unserem Organismus; den schrittweisen Wandel von Yin nach Yang und umgekehrt. Alles ist ihrem fein abgestuften Wechselspiel untergeordnet: unsere Emotionen, unsere Organe, die verschiedenen Lebensalter oder der Wechsel der Jahreszeiten.

五行 Wu Xing – die fünf elementaren Wandlungsphasen

Das daoistische Konzept der fünf Wandlungsphasen, auch bekannt als die „Fünf-Elemente-Lehre“, behandelt also die Gesetzmäßigkeiten, nach denen die zyklischen Prozesse in der Natur ablaufen. Die Zahl Fünf (Wu) symbolisiert dabei „das rechte Maß“ und die „Mitte“. Xing bedeutet u.a. „die Reise“, im weiteren Sinn auch „Bewegung“. Anhand dieses Konzept werden die dynamischen Veränderungen in der Natur erklärt: das Werden, die Reife und das Vergehen, dem auch unser eigenes Dasein unterliegt.

 

Die jeweiligen Prozesse sind dabei durch Studium und Beobachtung unmittelbar aus der Umwelt abgeleitet und berufen sich auf allgemeingültige Naturgesetze.

Die fünf Elemente und ihre Eigenschaften

Nach dieser universalen Lehre lassen sich alle Dinge in fünf Grundelemente oder Grundbausteine einteilen, nämlich: Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Um die Begriffe verständlich zu machen, hier ein kurzer Abriss ihrer Eigenschaften:


Holz steht für die belebte Natur und jede Art von Vegetation. Es repräsentiert das Wachstum, deshalb symbolisiert es die Kindheit und den Frühling, wenn alles sprießt und gedeiht und neues Leben entsteht. Als Wurzel und schwerer Stamm ist es Yang zuzuordnen, die feinen, biegsamen Zweige und Blätter sind hingegen Yin. Zielstrebig verfolgt das Element seine Ziele. Wird es daran gehindert und kommt es zu Disharmonien, treten Wut und Aggression auf.
Feuer ist hell, heiß und leicht entflammbar. Diesem Element sind demgemäß Begeisterung und Lebensfreude zuzuordnen, das Mitreißende. In der Feuer-Phase zeigt sich der noch jugendliche Überschwang, das Erwachen der Sexualität, gepaart mit Tatkraft und Abenteuerlust. Gleichzeitig zehrt das Feuer und kann, wenn es nicht genährt wird, verglimmen. Feuer zeugt also auch von Abhängigkeit und muss überwacht und gespeist werden. Yang ist die Helligkeit und die Hitze, Yin das glimmende Feuer und die Wärme.
Erde steht für Beständigkeit, Klarheit, Standfestigkeit und Stabilität. Sie versorgt uns mit Nahrung, in körperlicher wie geistiger Hinsicht. Der Mensch wird sesshaft, sucht nach Sicherheit und konzentriert sich auf die Familiengründung. Die Erdphase gilt als die (Lebens-)Mitte. Auch Macht und materieller Besitz sind dem Erd-Element zugeordnet. Doch wer zu viel davon hortet, leidet unter einem Ungleichgewicht. Yin ist z.B. der feuchte Erdboden, Yang sind trockene Erde, große mächtige Gesteins- und Landmassen.
Metall wie Gold weckt Begehrlichkeiten und symbolisiert Begierde und Eitelkeit. Wegen seiner Härte steht es auch für Durchsetzungsvermögen, Entschlossenheit und Konzentration auf Wesentliches. Gleichzeitig kann das Metall auch Erstarrung und übertriebene Prinzipientreue verkörpern. Metall kennzeichnet die Phase des Herbstes und des Verfalls. Die Zeit, in der die Ernte eingebracht wird, in der man aber auch mit Reife und Gelassenheit an die Dinge herangehen kann.

Das Wechselspiel der Wandlungsphasen

Diese fünf Elemente repräsentieren die Durchgangs- und Bewegungsphasen eines Zyklus. Sie stehen in einer dynamischen Wechselwirkung zueinander, interagieren miteinander und steuern so die Stadien des Wachstums und des inneren wie äußeren Wandels. Alle fünf Elemente sind also abhängig voneinander: Jede Wandlungsphase wird aus einer anderen geboren. Sie setzt ein, dehnt sich aus, strebt ihrem Höhepunkt zu und bringt im Vergehen wiederum eine neue Wandlungsphase hervor. Dabei gleicht jedoch kein Zyklus dem vorhergehenden, nichts bleibt unveränderlich oder kommt zum Stillstand. Alles Leben, die Natur und der ganze Kosmos sind einer ständigen, unumkehrbaren Veränderung unterworfen – so wie wir es selbst jeden Tag aufs Neue erfahren. Alles, im Kleinen wie im Großen, befindet sich in einem immerwährenden Fluss.

Die fünf Wandlungsphasen können sich jedoch nicht nur gegenseitig erzeugen, sondern auch überwinden, eindämmen und kontrollieren. Damit nicht ein Element zu stark oder zu schwach wird und Disharmonien entstehen, wird ihr Gleichgewicht durch vier Zyklen ausbalanciert: den Nährungszyklus, den Erschöpfungszyklus, den Kontrollzyklus und den Verletzungszyklus. Durch ihre wechselseitige Einflussnahme entsteht ein harmonisches, aber auch sensibles Gleichgewicht der Kräfte.

Die vier Zyklen zeigen, wie die fünf Elemente miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen:


1. Der Erschaffungs- oder Nährungszyklus (Sheng-Zyklus)

Im Uhrzeigersinn angeordnet erzeugt, nährt und unterstützt eine Wandlungsphase die nächste, wie in einer Mutter-Kind-Beziehung. Dann beginnt der Zyklus mit dem Element Holz von vorn.


Holz nährt das Feuer.
Die durch das Feuer erzeugte Asche reichert die Erde mit Nährstoffen an.
Erde bringt Erze, also Metall hervor.
Spurenelemente, also Metall, bereichern das Wasser.
Wasser nährt die Bäume, also das Holz.

Eine Disharmonie setzt ein, wenn ein Element geschwächt ist, denn dann kann es das nächste nicht mehr ausreichend ernähren. Dadurch setzt sich das energetische Ungleichgewicht fort, das sich letztlich auf alle Bereiche ausdehnt. Um das zu verhindern, unterliegen die Wandlungsphasen verschiedenen Kontrollmechanismen.


2. Der Schwächungs- oder Erschöpfungszyklus (Cheng-Zyklus)

Gegen den Uhrzeigersinn gerichtet wird jedes Element hingegen gestärkt, indem es das vorhergehende Element schwächt. Der Erschöpfungszyklus kann somit als Kind beschrieben werden, das der Mutter Energie entzieht und sie dadurch schwächt.


Holz saugt das Wasser auf.
Wasser korrodiert das Metall.
Metall zieht Mineralien aus der Erde.
Erde erstickt das Feuer.


3. Der Kontrollzyklus (Ke-Zyklus)

Um einen Mangel oder Überfluss auszugleichen, findet eine Kontrolle statt, bei der jedes Element auf seinen „Enkel“, also das übernächste Element einwirkt. Der Kontrollzyklus, die „Großmutter-Enkel-Beziehung“, beschreibt die natürliche Kontrolle des Wachstums und der Ausdehnung mittels der „Großmutter“.


Bäume (Holz) entziehen der Erde Nährstoffe.
Dämme (Erde) halten Wasser auf, Erde saugt Wasser auf.
Wasser löscht das Feuer.
Feuer schmilzt Metalle.
Metall spaltet oder zersägt Holz.


4. Der Schädigungs- oder Verletzungszyklus (Wu-Zyklus)

Der Verletzungszyklus beschreibt die Auflehnung des „Enkels“ gegen die „Großmutter“ und deren Schwächung – ein Element kann das vorletzte schädigen, wenn es zu stark wird.


Holz macht das Metall stumpf.
Metall nimmt das Feuer auf.
Feuer lässt das Wasser verdampfen.
Wasser weicht die Erde auf.
Erde erstickt das Holz.

Die fünf chinesischen Jahreszeiten

Doch wie sieht ein solcher Zyklus in der Praxis aus? Am Beispiel der Jahreszeiten lässt sich das Konzept der Wandlungsphasen anschaulich aufzeigen: In der Traditionellen Chinesischen Medizin geht man analog zu den fünf Wandlungsphasen von fünf Jahreszeiten aus. So wie diese ineinander übergehen, umschreiben auch die fünf Elemente die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Stadien eines Lebenszyklus:


Der Frühling wird der Wandlungsphase Holz zugeordnet. Das Yang erwacht und findet zu neuer Kraft – die Natur beginnt zu wachsen und zu grünen, die Knospen treiben aus. Die Tage werden länger, und die Zahl der Sonnenstunden nimmt zu.
Der Sommer ist das erstarkte Yang, das seinem Höhepunkt zustrebt. Er wird aus dem Frühling geboren und dem Feuer zugeordnet. Alles erblüht. Es wird spät dunkel, und die Temperaturen steigen.
Der Spätsommer ist die Phase, in der sich das Yang langsam zum Yin wandelt. Er entspricht dem Element Erde. Die Natur hat ihre höchste Blütezeit überschritten, die Frucht bildet sich, bevor alles allmählich beginnt, sich zurückzuziehen. Die Ernte steht an, und die Tage werden wieder kürzer.
Im Herbst beginnt das Yin zu erstarken. Er ist der Wandlungsphase Metall zugeordnet. Die Pflanzen reifen, die Blätter färben sich und fallen zu Boden. Die Lebenskraft zieht sich zunehmend zurück, und die Natur bereitet sich auf ihren langen Winterschlaf vor. Es wird früh dunkel.

Weitere Zuordnungen zu den fünf Wandlungsphasen

Ähnlich wie mit dem Jahreszeiten verhält es sich auch mit dem Lebenszyklus des Menschen: Wie auf den Frühling der Sommer, dann der Herbst und schließlich der Winter folgt, so fließt die Lebensenergie im menschlichen Körper von einer Wandlungsphase zur anderen.


ElementYin & YangLebensalterTageszeitJahreszeitKlima
Holzjunges YangKindheitFrüher MorgenFrühlingWind
Feueraltes YangHeranwachsenderMittagSommerHitze
ErdeMitteErwachsenerspäter NachmittagSpätsommerFeuchtigkeit
Metalljunges Yingereifter Erwachsenerfrüher AbendHerbstTrockenheit
Wasseraltes YinGreisenalterMitternachtWinterKälte

Jede dieser Wandlungsphasen ernährt und stärkt das nachfolgende Element und kontrolliert die vorangegangenen und nachfolgenden Wirkkräfte. Die fünf Wandlungsphasen finden sich in allen Erscheinungen des Kosmos wieder: Auch Himmelsrichtungen, klimatische Bedingungen, Farben, Gerüche, Sinneswahrnehmungen und Emotionen etc. lassen sich diesen fünf Elementen zuordnen. Ebenso die menschlichen Organe, von denen jedem eine besondere Beziehung zu jeweils einer der fünf Wandlungsphasen und fünf Jahreszeiten zugeschrieben wird.

脏腑 Zang Fu – die Funktionskreise mit ihren inneren Organen

Die Organe in der Traditionellen Chinesischen Medizin decken sich nicht mit der westlichen Vorstellung dieses Begriffs. Ihre Definition beschränkt sich nicht auf ihre rein anatomische Bedeutung. Sie sind vielmehr als „Organkreise“ – als Funktionskreise zu verstehen, die sowohl den körperlichen wie auch den seelisch-geistigen Bereich umfassen und immer auch in Verbindung zu anderen Funktionskreisläufen bzw. Organen stehen. In der TCM erzeugen Organe auch Gefühle und Emotionen, durch die sie wiederum in Wechselwirkung zu anderen Funktionskreisläufen treten – im weitesten Sinn vergleichbar dem Begriff „Herz“, mit dem auch im westlichen Sprachgebrauch neben dem rein Anatomischen bestimmte Wesenszüge umschrieben werden.

Im Organ konzentriert sich die gespeicherte Energie, und der ihm zugeordnete Meridian nimmt diese auf und verbindet sie mit der Energie anderer Organe und Leitbahnen. Im Chinesischen werden diese Funktionskreise als „Zang Fu“ bezeichnet. Es werden sechs Yin- und sechs Yang-Organe unterschieden:


Zang-Organe: Die Yin-Organe heißen Zang (chines.: „fest“, „solide“). Sie werden als Speicherorgane bezeichnet, da sie die verschiedenen Qi-Formen und Grundsubstanzen (Xue, Shen, Jing, Jin Ye) aufnehmen, speichern, produzieren und umwandeln. Milz und Bauchspeicheldrüse werden dabei als Funktionseinheit aufgefasst, ähnlich wie die Yang-Organe Magen und Zwölffingerdarm.

Jedem Zang-Organ ist ein Fu-Organ des gleichen Elements zugeordnet – ihre funktionellen, seelischen und geistigen Funktionen hängen eng zusammen und bilden eine energetische Einheit. Jedes dieser Paare steht zudem in Verbindung mit jeweils einer der fünf Wandlungsphasen – nur dem Feuer entsprechen zwei Funktionskreise: Herz und Dünndarm sowie Perikard/Herzbeutel und Dreifacher Erwärmer.

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