Viktor

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Sie nickte ganz selbstverständlich. »Natürlich, er ist doch der Abteilungsleiter. Der Impfstoff steht doch unter Verschluss.«

»Ach, ja?«

»Natürlich, er muss doch individualisiert werden.«

»Aber haben Sie das auch überprüft?«, fragte ich sie. Diese Frage löst in ihr eine Kette bürokratischer Überlegungen aus. Ihre langjährige Erfahrung sagte ihr wohl, dass sie jeden Schritt der Impfung peinlich genau im Protokoll hinterlegen und kontrollieren musste. Sollte ihr ein Versehen unterlaufen, konnte dass für ihre eigene Karriere unangenehme Folgen haben. Deshalb achteten alle Mitarbeiter des Amtes darauf, zumindest die Krankenakte formal in Ordnung zu halten, was nichts anderes heißt, als die notwendigen Eintragungen vor oder nach einem peinlichen Zwischenfall vorzunehmen. Für den Richter zählte nur das, was auf dem Papier stand, in positiver wie negativer Auslegung.

»Ich habe es abgezeichnet«, antwortete sie ein wenig zu schnell.

»Frau Kollegin, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber wie Sie wissen, arbeiten wir im selben Metier. Haben Sie es auch überprüft?«

Aus der Rötung, die ihr Gesicht annahm, entnahm ich, dass dies wohl nicht der Fall war.

»Natürlich, aber Ihnen zuliebe mache ich es gerne nochmal!«, versuchte sie ihr Gewissen zu bereinigen.

»Ja, tun Sie das bitte«, forderte ich sie auf. Da ich ihr seelisches Gleichgewicht nun schon einmal erschüttert hatte, wagte ich mich zum zweiten Schritt vor.

»Sagen Sie mal, Frau Kollegin, Sie kennen doch auch den Kollegen von der Sicherheit, der immer in der Cafeteria sitzt, dieser leicht phlegmatische, wissen Sie, wen ich meine?«

Sie schaute mich einen Moment fragend an, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich gehe eigentlich nie dorthin.«

»Einen Raskovnik?«, versuchte ich es weiter. »Er ist von der Sicherheitsabteilung.«

Sie überlegte. »Meinen Sie vielleicht Herrn Svatousek? Marek Svatousek? Der kam neulich mit Eschner zu uns runter. Er wirkte irgendwie auch so zurückhaltend. Er hat kein Wort von sich gegeben, nur immer so merkwürdig geschaut.«

»Nein, ich meine Raskovnik, Vladic Raskovnik!«

»Nein, nie gehört, tut mir leid.«

Ich legte mich in mein Bett zurück und starrte sie fassungslos an.

»Nie gehört?«, fragte ich nach.

»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sie sich. »Sie sind plötzlich so blass geworden.«

»Ach, wissen Sie, ich habe gestern einen üblen Überfall erlebt, deshalb liege ich jetzt auch hier.«

»Gestern? Sie liegen doch schon drei Tage hier, soweit ich weiß«, sagte sie erstaunt.

»Drei Tage? Welcher Tag ist denn heute?«

»Sonntag, wissen Sie das denn nicht?«

Irgendwie hatte ich wohl jetzt die Reste ihres ärztlichen Mitgefühls geweckt. »Na, Sie scheinen ja ordentlich was abbekommen zu haben?«

»Scheint so!«, antwortete ich und fasste mir unwillkürlich an die verbundene Stirn.

»Ich werde noch mal den Impfstoff überprüfen. Ihnen zuliebe!«, beruhigte sie mich. Während sie die Chargenummer und den Gencode auf der Impfampulle mit den Angaben im Screen verglich, versuchte ich, das innere Gleichgewicht wieder zu erlangen. Wie war das möglich, dass sich Vladic plötzlich in Luft aufgelöst zu haben schien?

Erleichtert, wie mir schien, meldete sie die völlige Übereinstimmung beider Nummern.

»Darf ich?«, fragte sie höflich, bevor sie die Impfpistole an meinen Arm ansetzte.

»Nur zu, ich hab ja nichts dagegen, ich hab es nur verschwitzt.« Es zischte kurz und ein dumpfer Schmerz zeigte an, dass die Mikrokapsel mit dem Depotimpfstoff unter der Haut appliziert worden war. »Den Arm jetzt zwei Stunden nicht stark belasten, keinen Sport und keine berauschenden Getränke...«, begann sie ihren Routinetext abzuspulen. Kicherte dann jedoch selbst ein wenig, als sie sich des Widersinns dieser Bemerkungen bewusst wurde.

»Versprochen!«, gab ich müde lächelnd zurück und schaute ihr sinnend nach, als sie sich schnell verabschiedete.

Ich war völlig geplättet, und das lag nicht nur an der Immunreaktion, die der Impfstoff in den ersten Minuten seiner Inkorporation auslöst, ein grippeähnliches Gefühl mit Gliederschmerzen und allgemeiner Mattigkeit.

Daher wunderte es mich auch nicht, als ein routinemäßig herbei beorderter, übellaunig gestimmter Richter in Zivil mir mitteilte, dass ich vorerst in Haft bliebe, deshalb mit den üblichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zurechtkommen müsse, als da wären digitale Fußfessel, Einschränkung des persönlichen Kontos, Meldepflicht bei Beauftragung eines AuTaX und Aufhebung des kryptographischen Schutzes meiner Netzaktivitäten bzw. ohnehin Einschränkung des Zuganges und so weiter blablabla.

Ich unterzeichnete digital, die juristische Aufklärung verinnerlicht zu haben und mit drakonischen Strafen einverstanden zu sein, sollte ich mich eines Verstoßes gegen die Auflagen schuldig machen.

Und es wunderte mich auch nicht weiter, als am nächsten Tag der von mir angegebene Rechtsanwalt ohne rechtes Engagement nochmals die vorliegenden Beschuldigungen und meine Aussagen dazu zu Protokoll nahm, mir hoch und heilig versprach, sein Bestes zu tun, um mich aus der misslichen Lage zu befreien und etwas verstimmt das Krankenzimmer wieder verließ, als ich ihm andeuten musste, dass in diesem Fall meine Rechtsschutzversicherung wohl nicht eintreten würde, was sie eigentlich nie tut, wenn es sich um Fälle handelt, die üblicherweise vorkamen und eigentlich der Sinn solcher Versicherungen sein sollten. Auch besserte sich seine Stimmung nicht gerade, als ich ihm eröffnen musste, dass ich, wie die Dinge so standen, derzeit als zahlungsunfähig angesehen werden musste.

Meine eigene Stimmung verbesserte sich dadurch jedoch auch nicht. Denn eigentlich fühlte ich mich nackt und in einem Maß aus dem Sozialleben gerissen, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.

Immerhin wies ein Sozialarbeiter, der in diesen Fällen hinzugezogen werden muss und den ungewöhnlich altmodischen Namen Erwin trug. »Hallo ich bin Erwin, wir können uns duzen!«, darauf hin, dass die PC-Punkte, die ich sammelte, wenn ich fleißig online sei, auf mein persönliches Konto übertragen werden könnten. Besonders, fügte er verschwörerisch hinzu. »Wenn du die Werbeblocks nicht vorzeitig wegklickst, sammelst du sowas von Punkte, ganz im Vertrauen. Brauchst ja nicht die ganze Zeit hinzuschauen.«

Der Typ ging mir eindeutig auf die Nerven, zumal es ihm nicht einging, dass ich nicht vom ihm geduzt werden wollte und somit der letzte Rest meiner Würde vor die Hunde ging.

»Die Gesichtserkennung?«, gab ich zu bedenken. »Was ist mit der Gesichtserkennung, die kontrolliert, ob du in den Bildschirm schaust oder woanders hin guckst?«

Da hatte er mir unter dem Siegel der Vertraulichkeit zu verstehen gegeben, dass man einfach ein zweites Programm in einem parallelen Frame aufmachen muss, in dem das läuft, das man eigentlich sehen möchte, das würde dann nicht stören.

Ich dankte ihm herzlich, weil ich ihn loswerden wollte.

Sei. »Ich werde dich alle zwei Tage aufsuchen, damit wir die Auflagen erfüllen, allerdings meist über den Screen. Wir können dann alles weitere besprechen!«, löste bei mir Mordlust aus.

»Ich freu mich drauf!«, log ich, insbesondere weil ich seinen Tipp mit den zwei Fenstern gedachte bei ihm direkt selbst auszuprobieren. So verabschiedeten wir uns vordergründig herzlich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Die Verabschiedung aus meinem Krankenhausgefängnis verlief hingegen unerwartet unspektakulär. Nach bereits zwei weiteren Tagen fühlte ich mich soweit wiederhergestellt, dass mein Kreislauf sogar die stehende Position einigermaßen aushalten konnte. In Ermangelung eines Chips und eines Arm-Pads hatte ich beides in Form eines vorläufigen Applets au. »Knastbasis« erhalten, sprich mit eingeschränkten Funktionen.

Der Sozialstaat ist bis heute insoweit intakt, dass er noch nicht rechtskräftig verurteilten Verdächtigen ein Mindestmaß an sozialem Komfort zugesteht, insbesondere wenn es sich um bisher unbescholtene Bürger mit höherem sozialen Status wie mich handelt. Insofern war die Haft erträglich, konnte sie doch weitgehend von zuhause erledigt werden. Ich hatte jedoch auch den Verdacht, dass meine erfreuliche Bewegungsfreiheit, die man mir trotz des Terrorverdachtes zugestand, nicht ganz uneigennützig sein könnte, weil man vielleicht hoffte, ich könnte die Sicherheitskräfte eventuell zu wichtigen Kontakten führen, die ich bislang nur heimtückischerweise erfolgreich verschwiegen hätte.

Nur Erwin war nicht abzuschütteln. Er verfolgte mich wirklich auf Schritt und Tritt, wenn auch nur virtuell. Seine unrasierte Visage gratulierte mir zur Haftentlassung ebenso wie beim Verlassen des Sicherheitstraktes. Er war der Ansprechpartner, als ich ein AuTaX nach Hause bestellen wollte, er oder sein ebenso unrasiert wirkendes virtuelles Abbild gab die Freigabe bei der Eingabe der Zielkoordinaten des Gefährts, sendete das Okay bei der Abbuchung der Transaktionsgebühr für den Fahrpreis, protokollierte den Eingangscode in mein Appartement und loggte sich auch beim Gebrauch des Netzcomputers mit ein. Mit einem Wort, er war nach kurzer Zeit für mich ein noch größeres Übel als Dr. Dr. habil. Arschloch Eschner. Er wurde zu einer ernsten seelischen Bedrohung für meinen ohnehin bereits angeknacksten seelischen Zustand. Ich begann mich nach dem Tag meiner Gerichtsverhandlung zu sehnen und mir sogar ernsthaft meine Verurteilung zu wünschen. Paradiesisch stellte ich mir die Einsamkeit meiner dunklen Einzelzelle vor. Allerdings war ich mir durchaus bewusst, dass dies ein Zerrbild der Wirklichkeit war, denn bei meinen beruflichen Besuchen in derartigen Hafteinrichtungen erlebte ich, dass von Romantik dort keine Spur zu finden war. Im Gegenteil wurden die Häftlinge, soweit sie psychisch dazu noch in der Lage waren, zu den stupidesten Tätigkeiten gezwungen, die der Reintegration in die Gesellschaft dienen sollten, meist aber in die Abgeschiedenheit des Wahnsinns mündeten.

 

Schon wenige Stunden nach meinem Wiedereintritt in den häuslichen Orbit erwartete mich auf meinem Mail-Server die Mitteilung, dass ich bis auf Weiteres von meinen beruflichen Tätigkeiten entbunden sei und ich sogar das Verbot zur Kenntnis nehmen müsse, dass ich das Amt bis zur Aufklärung meiner Angelegenheit nicht aufsuchen dürfe.

»Kenntnisnahme dieser Mitteilung durch Daumenabdruck und Irisscan bescheinigen!« Ich kann zwar nicht sagen, dass ich dies zuerst als einen tragischen Schicksalsschlag empfunden hätte, die Kränkung, die dies beinhaltete, nagte jedoch einige Tage an mir. Mit einem Mal wurde mir die Fragilität meiner bürgerlichen Existenz bewusst. Nur durch die tägliche Routine vom Selbstmord abgehalten, schlug jetzt die Tatenlosigkeit, zu der ich verurteilt war, umso härter auf mein Gemüt. Niemand, mit dem ich hätte mein Leid teilen können außer einem Psychoprogramm. Keine Person mit natürlicher Körperwärme in der Umgebung, mit der ich hätte zumindest streiten können. Nur die eigenen inneren Feinde, unausgelebte Dialoge mit den verhasstesten Personen, die nach kurzer Zeit begannen, ein munteres Eigenleben zu führen. Erschwerend kam hinzu, dass die Schuldenlast mir zunehmend Sorgen über meine Zukunft bereitete, auch wenn sie unverschuldet durch Ausrauben meines Kontos entstanden war. Der Überziehungskredit lag bleischwer auf dem Limit. So sind die Zahlen auf meinem Konto, auch wenn sie einen geringen taktilen Reiz haben, doch ein wichtiger Anker meines Selbstbewusstseins und meines Stolzes, ja integraler Bestandteil meiner gesellschaftlichen Rolle und Wertigkeit. Nach wenigen Tagen begann ich auf den Monitor zu stieren wie ein enthirnter Affe in der Hoffnung, einige PC-Payback-Quians anzusammeln und so teilweise in echtes Geld zu verwandeln, um meine Schuldenlast dadurch zu minimieren. Der soundsovielte Anruf bei meinem Rechtsverdreher, wann endlich mit einem Fortgang der Anklage gerechnet werden konnte, verhallte unbeantwortet, bis ich schließlich die leicht genervte Reaktion bekam, auch wenn ich persönlich zweimal täglich ins Anwaltsbüro käme, könne der Fortgang der Ermittlungen gegen mich nicht anwaltlich beschleunigt werden. Er riet mir, einfach abzuwarten. Außerdem müsse die Kostenfrage noch geklärt werden. Es folgten zwei Tage, an denen ich nicht einmal das Licht anschaltete, sondern es vorzog, bewegungslos in der Dämmerung zu sitzen, zumal auch die Fenstermonitore ausgeschaltet blieben. Ich wollte weder virtuelles Wellenrauschen, fröhliche Frühlingslandschaften noch andere irgendwie stimulierende Visionen der Wirklichkeit vorgespiegelt bekommen, ich wollte mich nur einfach bedauern können und mich so richtig mies fühlen.

Dann begann mit einem Mal mein Körper zu schmerzen. Erst war es ein feiner, ziehender Schmerz in einigen Muskeln der Arme und Beine, oder des Nackens und des Brustkorbs. In Ermangelung anderer Stimuli vertiefte ich mich in diesen Schmerz, bis er meine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen hatte. Ich kam zu der Überzeugung, ein schweres Rheumaleiden sei zum Ausbruch gekommen. Jedes Gelenk, welches ich bewegte, erzeugte einen scharfen ziehenden Schmerz, der nur langsam wieder abklang. In meinem Kopf bewegten sich dann stundenlang nur wenige unsinnige Worte hin und her, wie auf einer Schiffsschaukel. »Geh da weg Suzanne!« Immer wieder dieser Satz, bis ich völlig erschöpft einschlief. Ich wusste nicht mehr, ob es Tag und Nacht war, wann ich zuletzt etwas gegessen oder getrunken hatte, als mich mein Arm-Pad unsanft aus meiner Lethargie weckte. Erwin war diesmal persönlich auf dem Screen zu sehen.

»Hallo Levi, wie geht es?«

Ich starrte die verhasste Visage an und konnte mir gerade noch verkneifen, ein ‚Leck mich‘ auszusprechen. »Ich bin krank!«, jammerte ich statt dessen.

»Können wir helfen, wir haben uns schon über deine Inaktivität gewundert.«

»Ich glaube, ich werde sterben«, jammerte ich weiter.

»Du hast eine Isolationskrise, Levi, das ist ganz normal in deiner Situation.«

»Das ist beruhigend.« Ja, das war es wirklich.

Irgendwo in meinem Inneren erwachte plötzlich der Mediziner wieder, der bestätigte, dass dieser bescheuerte Erwin tatsächlich recht haben könnte. Depressionen gehen recht häufig mit unerklärlichen körperlichen Schmerzzuständen einher. Und ich war knatschdepressiv, fürwahr.

»Wir haben einen Ferncheck deiner Vitalfunktionen vorgenommen. Du leidest etwas an Wassermangel, aber sonst scheint alles okay zu sein.«

»Danke Doktor«, murmelte ich.

»Hör zu Levi, ich bin nicht dein Feind, ich bin Sozialarbeiter und es ist nicht meine Aufgabe, dich zu foltern, sondern dich zu betreuen. Für die Auflagen, die man dir auferlegt hat, bin ich nicht verantwortlich...«

»Sprich mich nicht immer mit ‚du‘ an!«, schrie ich auf einmal los und schlug mit der flachen Hand auf den Monitor. Erwin blieb einige Sekunden stumm. Selbst auf dem kleinen Monitor war zu erkennen, dass er etwas aus der Fassung geraten war. Dann kam ein zögerliches, fast fragendes. »Okay?!«

Ich machte eine erschöpfte Pause. Es war ja auch schließlich egal. Alles war egal. »Ach, scheiß drauf!«, ließ ich mich vernehmen.

»Nein, nein, ist schon okay. Wir können es so machen«, stimmt er zu. »Ich sage, Herr Krongold und Sie. Ist völlig okay.«

Plötzlich stiegen meine Sympathiewerte für ihn ein wenig an.

»Aber ich bestehe darauf, dass Sie mich Erwin nennen.«

»Warum?«

Er grinste schmal. »Erwin ist mein Pseudonym, darum.«

Ich schluckte, was völlig überflüssig war, da sich meine Kehle völlig ausgetrocknet und rau anfühlte. Ich hatte mich wiederum zum Affen gemacht.

»Also, Herr Krongold, wir sehen, dass Sie Unterstützung benötigen.«

»Wir?«

»Natürlich, ich bin Mitarbeiter eines Teams und mit der Analyse Ihrer Daten beauftragt, neben Ihrer Betreuung.«

Scheiße.

»Ich soll Sie fragen, ob Sie zu Ihren Verbindungen mit dem fraglichen Personenkreis noch Angaben machen möchten? Wohlgemerkt, ich soll Sie fragen!«

Daher wehte also der Wind! Zuerst wollte man mich durch Isolierung mürbe machen, um dann um so leichter noch Informationen aus mir rauszuquetschen. Eine feine Gesellschaft.

»Dann sagen Sie ihrem Team, dass ich bereits alles gesagt habe, mich völlig unschuldig fühle, weder mit Terroristen oder sonst noch mit anderen -isten zu tun habe und die Herrschaften mich am Arsch lecken können!«

»Ist es recht, wenn ich den letzten Teil Ihrer Aussage weglassen?«, meinte er fein säuerlich.

»Tun Sie, was Sie wollen«, knurrte ich.

Es folgte eine kleine Pause, während der er wohl in seinen Monitor starrte und ich ebenso bemüht war, nicht auf das Pad zu schauen.

»Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«

»Nur zu«, knurrte ich.

»Ich schicke Ihnen eine Relaxations-App auf den Heimmonitor und Sie lassen mal ein wenig locker?«

Als ich nicht sogleich antwortete, fügte er etwas leiser hinzu. . »Gibt einige Bonuspunkte bei der Beurteilung Ihres Verhaltens während der Haft.«

»Danke«, gab ich nun etwas weniger giftig zurück. Im Grunde genommen war meine Haltung ziemlich pubertär, entschied ich. Ich sollte mich zusammennehmen.

»Sorry! Ich werde sie mir anschauen«, fügte ich etwas versöhnlicher hinzu.

»Fein. Das freut mich. Wirklich.« Er schaltete ab. Vielleicht war er ja doch nicht so ein übler Kerl.

Eine Weile ließ ich noch die Dunkelheit in mir nachwirken. Immerhin hatte diese Auseinandersetzung meine Lebensgeister wieder etwas geweckt. Ich musste mich zusammenreißen, wenn ich nicht völlig versumpfen wollte. Initiative ergreifen. Ich schaltete den Monitor im Wohnraum wieder ein, auf dem die Nachricht aufblinkte, dass eine neue Applikation auf den Download wartete. Ich gab das okay, ging zum Kühlschrank und entnahm dort mit dem Chip einen isotonischen Drink aus dem Vorratsfach. Der Kühlschrank meldete, dass der Vorrat auf eine verbleibende Einheit geschrumpft war und bat darum, eine Neubestellung absetzen zu dürfen. Bei Abnahme des praktischen Einführungsangebots zusammen mit einem neu eingeführten Erfrischungsgetränk könne mir auf die Erstbestellung ein 10%iger Rabatt gewährt werden. Bei Gefallen wäre auch zum einmaligen Werbepreis das Jahresabonnement für 30 Dosen im Monat zum Vorzugspreis. »Zahle 11 bekomme 12 Monate«, möglich. Da ich davon ausging, dass der Staat dies bezahlen würde, drückte ich ausnahmsweise di. »Jetzt kaufen«-Taste. Leider klappte sofort danach eine Meldebox auf, die mir anzeigte, dass diese Order im Moment nicht möglich sei. Brummend schleppte ich mich auf meinen Liegesessel und startete die App.

Es erwartete mich eine kitschige tropische Strandlandschaft, mit Meeresrauschen, nur selten unterbrochen von einigen wohlgemeinten Motivationssätzen und Entspannungsformeln. »Bitte schauen Sie ganz ruhig und entspannt auf den Monitor und denken Sie einfach einmal an nichts. Lassen Sie alle Sorgen los. Lassen Sie alle Gedanken ziehen, wie die Wolken am Himmel.« Der Monitor zeigte träge dahinziehende Schönwetterwolken über endlosem türkisblauem Meer. »Lassen Sie die Muskulatur ihres Kiefers und der Wangen locker, atmen Sie tief ein.« Merkwürdigerweise begann ich mich nach und nach trotz der mich langweiligenden Autosuggestionen langsam etwas besser zu fühlen. Als Erstes verschwanden allmählich die merkwürdigen Muskelschmerzen, was ich eigentlich erst bemerkte, als ich mir eine zweite Dose Iso-Drink genehmigen wollte und das Aufstehen aus der Liege ohne den erwarteten reißenden Gelenkschmerz vonstattenging. Unsicher testete ich alle Bewegungen, die ich eine Stunde vorher noch sorgfältig vermieden hatte. Es blieb dabei, der Schmerz zog sich freiwillig aus den Tiefen meines Bewusstseins zurück. Erfreut nahm ich einen neuen Anlauf. Die App zeigte inzwischen eine blühende Almwiese, so eine, die es heute nirgendwo anders mehr gibt als in alten Kinderbüchern oder Dokumentarfilmen von vor hundert Jahren. Aber der Psychiater C. G. Jung hatte wohl recht, dass derartige Bilder als gemeinsame Archetypen im menschlichen Bewusstsein tief verankert sind. Eine angenehm seidige Frauenstimme flüsterte mir zu, ich solle doch das Leben genießen und einfach nur da sein. Suzanne.

»Entspannen, konsumieren.« Einatmen, ausatmen.

Suzanne.

»Den Atem kommen lassen, sich führen lassen«. Einatmen, ausatmen.

Suzanne, Suzanne.

Plötzlich fuhr ich wie vom Blitz getroffen ruckartig auf. Natürlich, das war es! Ich hatte die Montenièr schon getroffen, oder vielmehr sie mich. Ich war plötzlich davon überzeugt, die Zusammenhänge zu verstehen, die ich irgendwie bereits geahnt hatte. Die Montenièr hatte mich in der Gasse liegend gesehen und jemanden gefragt, was mit mir sei. Auch die merkwürdige Reaktion des schmierigen Wirtes im Fleur machte plötzlich Sinn. Er kannte die Montenièr, aber wollte dies aus irgendeinem Grunde nicht zugeben! Nicht nur das. Ich hatte mit meiner Frage den Falschen erwischt, mich zu weit vorgetraut. War zu neugierig geworden und hatte dies mit einer kräftigen Tracht Prügel bezahlt. Aber wenn er sie gedeckt hatte, warum? Sollte sie versteckt bleiben? Und wenn, weshalb? Was sollte dort verborgen werden? Hatte ich in ein Terroristennest gestochen? Mein Hirn begann auf Hochtouren zu arbeiten und gleichzeitig fühlte ich neue Lebensenergie durch mich fluten. Meine Neugierde erwachte. Da war aber noch mehr! Diese angenehme Frauenstimme, sie hatte fast dieselbe Stimmlage, die Montenièr. Ich versuchte, mich wieder zu entspannen. Ruhig bleiben. Nachdenken. Es gab da viel zu viele Unbekannte in der Gleichung. Was war mit Raskovnik? Wer wollte mich in diese Falle schicken und warum? Ich musste vorsichtig sein. Ich würde es langsam angehen müssen. Aber eins wusste ich damals, ich würde sie suchen, die Montenièr!