BEUTEZEIT – Manche Legenden sind wahr

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Aus der Reihe: Manche Legenden sind wahr #1
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Read riss die Augen auf. »Wahnsinn!« Dann hastete er über den quadratischen Kasernenplatz davon, um den Rest ihrer Einheit zu suchen.

»Waren wir auch mal so?«, fragte Coolie. »So diensteifrig?« Er schüttelte den Kopf. »Nach allem, was ich hörte, ist das nichts weiter als ein neuer Babysitter-Auftrag, aber Read hier ist bereits ganz im Indiana-Jones-Modus – hurra, wir suchen nach der Bundeslade.«

Taine bedachte Coolie mit einem grimmigen Lächeln. »Die verlorene Bundeslade scheint mir ein passender Vergleich zu sein. Offenbar werden in der Region vierzehn Menschen vermisst.« Coolie hob eine Augenbraue, und Taine fuhr fort. »Und fünf davon sind unsere Jungs.«

Coolie pfiff leise vor sich hin. »Vierzehn! Dann nehme ich nicht an, dass sie sich einfach nur verlaufen haben?«

Taine schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. Da ist noch mehr. Einer der Digger ist ein gewisser Kevin James Arnold, zwanzig Jahre alt.«

»Ein Verwandter des Majors?«

Taine nickte. »Und der Platoon Lieutenant war nicht zugegen, als ich meine Befehle erhielt.«

Coolie runzelte die Stirn. »Keine Befehlskette. Also ist es eine Geheimmission.«

»Oh, sie ist schon offiziell, Coolie«, sagte Taine. »Wir sollen ein Team von Wissenschaftlern in einem Gebiet beschützen, in dem sich die Einheimischen als feindlich entpuppen könnten.«

Coolie scharrte mit seinem Stiefel im Dreck. »Und die vierzehn vermissten Personen sind nur ein Nebenkriegsschauplatz?«

»So was in der Art.«

»Das würde erklären, wieso wir keinen Chopper bekommen.« Collie schnaubte. »Lass mich raten: Wenn wir mit dem Jungen nicht zurückkommen, können wir uns irgendwelche Medaillen abschminken?«

Taine grinste. Coolie, der vor langer Zeit über eine der glitzernden Werde-Soldat-entdecke-die-Welt-Rekrutierungsanzeigen zur Armee gekommen war, gab einen Scheißdreck auf irgendwelche Orden. Read war nicht der Einzige in ihrer Einheit, der süchtig nach dem Adrenalinkick war.

McKenna kniff die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und spähte über den Platz. Der Neuankömmling war bereits in der Offiziersmesse verschwunden.

»Dann nehmen wir die Standardausrüstung mit?«, fragte Coolie.

»Ja. Aber ich hoffe, dass wir sie nicht brauchen werden. Wer immer für das Verschwinden dieser Leute verantwortlich ist, auf wen wir auch im Busch treffen werden – Ökos, separatistische Tūhoes oder angepisste Einheimische – es sind alle Kiwis, nicht wahr? Mir gefällt der Gedanke nicht, ein Maschinengewehr auf jemanden richten zu müssen, ganz besonders nicht auf unsere eigenen Leute. Sollten wir gezwungen sein, zu schießen, dann sollten wir uns auf Verwundete beschränken statt auf Leichen.«

»Und den Raketenwerfer verstecken wir dann unter den Lunchboxen?«

»Das ist der Plan.«

Coolie blickte ebenfalls zur Messe und neigte den Kopf zur Seite. »Weißt du, Trigger wird das nicht gefallen. Er hasst Babysitter-Jobs.«

Taine nickte. Coolie hatte recht. Etwas älter als er und wie ein Kühlschrank gebaut, hatte Trevor Gierson doppelt so viele Touren wie McKenna hinter sich gebracht. Ihr letzter Babysitter-Job war während einer Tour gewesen, an einem Morgen wie diesem, als die tiefstehende Sonne von den staubigen Gebäuden reflektiert wurde …

Sie waren in Afghanistan gewesen, als Teil der International Security Assistance Force, um den Afghanen beizubringen, sich selbst zu beschützen, als die Taliban ihre Absicht verkündeten, Kabul anzugreifen, und dies dann auch taten, mit gleichzeitigen Attacken auf den Wazir-Akbar-Khan-Distrikt sowie die östlichen Städte Jalalabad, Pul-e-Abam und Gardez.

Taines Einheit war damit beauftragt worden, einige Angestellte der britischen Botschaft zu evakuieren, aber in letzter Minute hatten sich ihre Befehle noch geändert: Die Botschaft war abgeriegelt worden, und stattdessen sollten sie die angrenzende französische Schule sichern. Taine und seine Jungs waren an der Schule eingetroffen, als die ersten Widerständler bereits die nahegelegene Baustelle stürmten. Von diesem taktisch günstigen Angriffspunkt aus überfielen die überraschend strategisch vorgehenden Fanatiker den Stadtteil. Über Stunden hinweg führten Maschinengewehrfeuer und einschlagende Granaten eine tödliche Oper auf, mit dem Heulen der Sirenen als Kopfstimme und dem periodischen Bass der dumpfen Explosionen der NATO-Luftunterstützung. Innerhalb des Schulgeländes sorgten die Schreie der Kinder dafür, dass die Nerven blank lagen.

Der Lärm selbst hatte Taine nicht sonderlich gestört, das kleine sechsjährige Mädchen mit der blassblauen Bluse hingegen schon, eines der drei Mädchen, die sich glücklich schätzen konnten, überhaupt eine Schule besuchen zu können. Sie litt Todesängste. Kleine Büschel glänzenden schwarzen Haars lugten unter ihrem Hijab hervor, während sie zusammengekauert unter einem Tisch saß, wimmernd an ihrem Daumen lutschte und vor und zurück wippte, um den Krach vergessen zu machen.

Eine Stunde verging. Dann eine weitere. Mehr als einmal trafen die Raketen der Angreifer das Schulgebäude. Taine bezweifelte, dass die Afghanen die Situation unter Kontrolle hatten. Deren Erfolgsbilanz sah bisher sehr trostlos aus. Vor etwas weniger als einem Jahr war die US-Botschaft das Zentrum einer neunzehn Stunden andauernden Belagerung durch die Taliban geworden. Schließlich machten Sprengstoffattentäter dem Warten ein Ende, attackierten das Anwesen und töteten neun Zivilisten. Für Taine war es ausgeschlossen gewesen, ein solches Debakel zu wiederholen und auf sein Gewissen zu laden. Davon abgesehen würde diese Gruppe eine ähnliche Situation nicht überstehen. Einer der Lehrer zeigte bereits erste Anzeichen dafür, auszuflippen. Wäre nicht das erste Mal gewesen. Das Letzte, was sie gebrauchen konnten, war, dass er in Panik auf die Straße rannte. Für einen Scharfschützen der Taliban würde ein hysterischer Lehrer genauso leicht zur Strecke zu bringen sein wie eine Fliege mit einem Sprühstoß Insektenspray.

Besser, die Kids hinauszuschaffen. Sie würden die Route an der Rückseite des Anwesens nehmen, während die Luftunterstützung der Alliierten die Fanatiker in Schach hielt.

Taine hatte den entsprechenden Befehl bereits gegeben, als Trigger ihn von den Zivilisten wegzog. »Was soll das, McKenna?«, zischte er. »Wir können hier nicht raus! Wir werden einfach warten und die Jungs vor Ort sich um die Sache kümmern lassen.«

»So wie letztes Jahr?«

»Mir gefällt das genauso wenig, aber wir müssen es riskieren. Hier sind kleine Kinder. Wie sollen wir sie unter Beschuss denn hier rausschaffen, Mann?«

»Aber das ist eine Schule, Trigger«, hatte Taine erwidert und seinen Arm von ihm losgerissen. »Wenn die Taliban erst merken, dass sie keine Delle in das Botschaftsviertel auf der anderen Straßenseite geschlagen kriegen, was glaubst du dann, wie lange es dauern wird, bis sie ihr Feuer auf das nächstbeste Ziel konzentrieren, eines, das die westliche Welt zur Kenntnis nehmen wird? Was, wenn sich da draußen bereits jemand eine Sprengweste anlegt, während wir uns hier unterhalten? Irgendso ein dschihadistischer Spinner, der bereit ist, hier reinzustürmen und sich und alles von hier bis Hawidscha in die Luft zu jagen? Verrate mir – welche Chance haben diese Kinder dann?«

Sie schafften es kaum zwei Häuserblocks weit, bis Taine klarwurde, dass es ein Fehler gewesen war. Die Straße war voller Rauchwolken und Trümmer. Leere ausgebrannte Autowracks standen in der Mitte der Straße, die Türen aufgerissen. Über ihnen bombardierten NATO-Blackhawks die Baustelle und wirbelten Schutt auf, um die Militanten in Schach zu halten. Taines Gruppe versuchte sich so klein und unscheinbar wie möglich zu machen und sich hastig vorwärtszubewegen. Es hätte vielleicht sogar funktioniert, doch am Ende tötete einen auch das Feuer der eigenen Leute.

Das Mädchen wurde an der Oberschenkelarterie getroffen. Trigger hatte sie aufgehoben und in Deckung getragen, doch zu dem Zeitpunkt war sie schon so gut wie verblutet gewesen. Mit einem letzten schwachen Seufzen verstarb sie in Triggers Armen. Ihr Blut tränkte seine Uniform und ihre weiße Haut und ihr gleichgültiger Gesichtsausdruck bildeten einen starken Kontrast zu dem Grauen um sie herum. In dem Gewühl war dem Mädchen der Hijab vom Kopf gerutscht. McKenna erinnerte sich noch an den kleinen Stofffetzen, der sich hartnäckig an eine ihrer Locken klammerte.

Später fiel die offizielle Version der Geschichte positiv aus: Dreiundzwanzig Zivilisten konnten gerettet werden, mit nur einem Todesopfer. Ausnahmsweise spielten die westlichen Medien den Vorfall herunter, wahrscheinlich aus Respekt vor der Familie des Mädchens, hauptsächlich aber, weil man vermeiden wollte, dass die Taliban die Sache für sich nutzten. Es gab eine Nachbesprechung. Berichte wurden geschrieben und abgeheftet. Das Leben ging weiter. Aber Taine hatte es nie vergessen können, genauso wenig wie Trigger – auch wenn der große Mann nur wenig über diesen Tag sprach. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Taine trug genug Schuld für sie beide auf seinen Schultern …

»McKenna«, rief Coolie und riss Taine aus seinem Albtraum. »Bevor Read mit den anderen zurückkommt, solltest du noch etwas wissen.«

Taines Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich höre.«

»Lefty und Eriksen streiten sich mal wieder.«

Taine verschränkte die Arme vor seiner Brust und seufzte. Als erfahrene Kämpfer waren die meisten von ihnen befreundet, aber die beiden hatten sich gerade in der letzten Zeit wie Hund und Katze benommen.

»Worum geht es denn dieses Mal?«

Coolie zuckte mit den Schultern. »Sagen sie nicht, aber es wird immer brenzliger.«

McKenna nickte und konnte sich gut vorstellen, wie die beiden sich gegenseitig finster anblickten. »Wir behalten sie im Auge. Hat sonst noch jemand ein Problem? Miller? Winters?«

 

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Ausgezeichnet.«

Taine setzte sich seine ballistische Sonnenbrille auf die Nase und trat ins Sonnenlicht, um seine Einheit zu treffen.

Kapitel 5

Die Kleinstadt Rotorua, Montagabend

Nathan Kerei schob sich das letzte Stück des panierten Schnitzels in den Mund. Noch kauend legte er Messer und Gabel ordentlich neben seinem Teller ab, dann schlang er den Bissen hinunter. »Ich hab heute einen Anruf bekommen. Morgen früh muss ich weg, Liebes.«

Aus ihrem Sessel vor dem Fenster und mit einem Auge auf die Wiederholungen von Downtown Abbey fragte ihn Paula: »Noch eine Gruppe? Es ist ziemlich spät für Touristen.«

»Es sind keine Touristen. Die Armee will mich haben.«

»Wieso? Sind wir im Krieg?«, wollte Nathans Enkel wissen. Der Teenager saß neben Nathan. Vor ihm auf dem Küchentisch lagen seine Geographie-Hausaufgaben – sein Lehrbuch, ein paar Buntstifte und ein zerfledderter Schulblock.

Brandon lebte nun schon seit ein paar Monaten bei ihnen, seit Nathans Tochter einen neuen Mann anschleppte und mit ihm ein Baby bekam, Kimbra. Mary war glücklich, doch der arme Brandon kam nie wirklich mit seinem Stiefvater aus. Als die Spannungen zwischen ihnen zu viel für Mary wurden, schalteten sich Nathan und seine Frau ein und boten an, Brandon so lange bei sich aufzunehmen, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten.

»Sie wollen mich als Fremdenführer haben.«

»Wieso benutzen sie keine Karte?«

»Weil sie jemanden suchen, der sich besonders gut in der Gegend von Maungapōhatu auskennt.«

Brandon blätterte in seinem Buch herum und zeigte Nathan dann eine Seite darin. »Sie brauchen eine topografische Karte, so wie diese.«

»Das ist nicht das Gleiche, als wenn man den Ort wirklich kennt, Sohn.«

»Aber wieso müssen sie ihn denn kennen?« Brandon blieb beharrlich.

Nathan schob den Anflug von Verärgerung beiseite, den Brandons unablässige Fragen auslösten. Die Teenager von heute stellten eine Menge Fragen. Das brachten sie ihnen in der Schule bei. Anscheinend lernten sie auf diese Weise besser. »Ich bin nicht sicher«, antwortete Nathan. »Es sind wohl auch ein paar Wissenschaftler unter ihnen.«

»Ich wette, das ist nur ein Vorwand für etwas anderes.«

»Und ich wette, es ist nur ein ganz normaler Forschungstrip.«

»Wieso schicken sie dann die Armee?«

Nathan zuckte mit den Schultern. »Um ihnen zu helfen. Die Armee half auch aus, als die Rena vor der Küste von Tauranga Schiffbruch erlitt, erinnerst du dich? Sie säuberten den Strand von Öl und diesen verfaulenden Fleischpasteten. Das gehört zu ihrem Job.«

»Aber haben sie denn dazu überhaupt die Erlaubnis?«, blieb Brandon hartnäckig. »Der Strand gehörte allen, aber Te Urewera gehört uns Tūhoe.«

Nathan trug seinen Teller zur Spüle und schob mit der Rückseite seines Messers ein Stück Fett in den Mülleimer. »Ich nehme an, sie haben um Erlaubnis gebeten, sonst würden wir nicht aufbrechen.« Er spülte seinen Teller ab und stellte ihn auf das Abtropfbrett.

»Aber wen würden sie fragen, Koro? Es gibt mehr als eine Gruppe, die glaubt, für den gesamten Stamm sprechen zu dürfen.«

Da musste er dem Jungen recht geben. Vielleicht waren die ständigen Fragen gar nicht so schlecht für den Jungen.

»Wirst du lange weg sein?«, fragte Paula und unterbrach die Diskussion. Sie streckte einen Arm aus und rollte noch etwas mehr von der rosafarbenen Wolle ab.

»Ein paar Tage, eine Woche vielleicht. Mehr nicht.«

»Dann lege ich dir besser ein paar warme Sachen raus«, sagte sie und stand auf. Sie wickelte den Rest der Wolle auf, beugte sich nach vorn, um ihre Strickarbeit in ihren Handarbeitsbeutel zurückzustecken, schaltete den Fernseher aus und verschwand im Flur. Ein paar Minuten später huschte Nathan in die Garage, um seine Wanderschuhe zu holen.

***

Brandon rechnete sich aus, dass ihm etwa fünfzehn Minuten für einen Anruf blieben, während sein Koro – sein Großvater – auf der Rückseite eine rauchte. Als er hörte, wie seine Großmutter die Schubladen im Schlafzimmer öffnete und wieder schloss, schnappte er sich das Telefon.

»Die schicken die Armee in den Park«, berichtete er dem Jungen am anderen Ende mit leiser Stimme. »Mein Koro wird mit ihnen mitgehen.«

»Die Armee? Das ist verdammt mutig.«

»Denke ich mir auch.«

»Was wollen sie da?«

»Das hat Koro mir nicht verraten.«

»Suchen sie wieder nach diesen Separatisten?«

»Wie ich schon sagte, Koro hat nichts verraten. Außer, dass sie einen Führer brauchen.«

»Mein Dad wird es wissen. Und wenn nicht, wird er es herausfinden.«

»Was wird er unternehmen?«

»Ich weiß nicht. Irgendwas. Die Armee hat hier nichts zu suchen. Der Park gehört dem Volk der Tūhoe.«

Brandon schnitt ihm das Wort ab – diese Alle-Macht-dem-Volke-Ansprache hatte er schon oft genug gehört. »Vergiss nur nicht, deinem Vater zu erzählen, dass Nathan bei ihnen sein wird.«

»Ja, okay, ich sag’s ihm. Mach dir keine Sorgen, deinem Großvater wird nichts passieren. Ich sollte auflegen. Danke für den Tipp.«

»Keine Ursache.«

Central Business District, Sydney, Australien

Die Bedienung des Collar & Thai führte Caren an einen Tisch in einer Nische, wo dicht gewebte Wandteppiche im schwachen Licht schimmerten. Es war noch sehr früh für ein Mittagessen, gerade erst kurz nach 11 Uhr, aber es saßen bereits erste Grüppchen an den Tischen verteilt, ihre Einkaufstaschen übereinandergestapelt gegen die schwarz lackierten Tischbeine gelehnt.

Caren schlüpfte auf die Bank und ärgerte sich, nicht selbst in einer der Boutiquen Halt gemacht zu haben, um nun auch eine Einkaufstasche zwischen ihre Beine klemmen zu können. Damit wäre sie zwischen den anderen Damen, die hier speisten, nicht aufgefallen. Carol hätte beinahe laut aufgelacht – eine Dame, die hier speiste.

Nun, ganz sicher nicht diese Dame.

Ein paar Minuten später bahnte sich ein großer, rotgesichtiger Mann mit Lippen, die ihr immer ein wenig zu schwülstig und feucht schienen, seinen Weg durch das Labyrinth aus Stühlen und Tischen. Caren sah auf die Uhr und lächelte; pünktlich auf die Minute.

Sie stand auf und der Texaner reichte ihr die Hand. Caren ergriff sie und hielt sie bewusst etwas länger fest. Seine Hände waren schwitzig.

»Vernon. Wie nett von dir, dass du dir in deinem Urlaub die Zeit genommen hast«, sagte sie und musste sich zwingen, ihre Hände nicht an ihrem Rock trockenzuwischen.

Mit einem Kopfnicken deutete Vernon auf den Tisch und die beiden setzten sich.

»Zur Mittagszeit wird es hier gern mal richtig voll, also hab ich mir die Freiheit genommen, schon mal für uns zu bestellen«, sagte Caren. Sie schob sich ihre Hände unter die Pobacken und zog dabei ihren Rock unter ihr zurecht. »Barbecue-Enten-Curry und scharfer Rindfleisch-Salat.«

Ein finsterer Blick huschte über das Gesicht ihres Begleiters.

Dumm, dumm, dumm.

Caren hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. Sie hätte nicht für ihn bestellen dürfen. Männer wie Vernon Bonnar brauchten das Gefühl, Herr der Lage zu sein, eigene Entscheidungen zu fällen. Zu bestimmen, wo es lang ging. Dieser kleine Fehler konnte sie ihren Deal kosten. Unbehaglich drehte Caren an dem Opal an ihrem Finger und widerstand dem Drang, die Luft anzuhalten. Bonnar aber schien bester Laune zu sein, denn er ignorierte ihren Patzer und rief mit einem Fingerschnippen die Bedienung an ihren Tisch. Er deutete auf einen Punkt in der Weinkarte und scheuchte das Mädchen dann davon.

»Diese Entdeckung … diese Information … ist sie echt?«, wollte er schließlich wissen. Seine gedehnte texanische Sprechweise donnerte dabei durch das Restaurant.

Caren hätte ihn am liebsten angezischt, verdammt nochmal leiser zu sprechen. Stattdessen aber zögerte sie ihre Antwort hinaus und goss sich ein Glas Wasser ein. Der Umstand, dass Bonnar ihr keinen Drink angeboten hatte, war ihr nicht entgangen. Es war schließlich ein Spiel, das sie hier spielten.

Caren wählte ihre Worte sehr sorgfältig. »Wie wir an die Daten gelangt sind, ist irrelevant. Die Resultate sprechen jedoch für sich. Wir haben es mit einem ungeheuren Vorkommen zu tun – vielleicht sogar mehr als die Goldgewinnung der Martha-Mine in Waihi – und das bei minimalen Förderkosten.«

»Wer weiß noch davon?«

»Nur Sie, Vernon.« Caren spielte mit ihren Fingern am Stiel ihres Wasserglases herum. »Zumindest noch.«

»Moment mal. Wenn Sie glauben …«

Entschlossen nahm Caren die Serviette aus ihrem Schoß, legte sie auf den Tisch, dann stand sie auf und hängte sich ihre Handtasche über die Schulter. Sie bewegte sich betont langsam dabei, wohlwissend, dass sie ihren Bluff nur einmal ausspielen konnte. »Wenn Sie mich entschuldigen würden – ich glaube, wir sind hier fertig.«

Aber Vernon rührte sich nicht. »Hey, kein Grund, gleich eingeschnappt zu sein«, protestierte er und hob entschuldigend die Hände. »Aber ich muss sicherstellen, dass Ihr Angebot exklusiv nur für OreGen gilt. Schließlich erwarten Sie von uns, dass wir einen Arsch voll Geld in die Sache stecken sollen.«

Caren lächelte in sich hinein. Er ruderte zurück und fluchte dabei. Sie stellte ihre Handtasche ab und setzte sich wieder auf die Bank, bevor sie fortfuhr. »Wir haben bereits eine Menge Geld in dieses Projekt investiert, Vernon, und ich will Sie einfach nur ins Boot holen. Ich muss das nicht tun.«

»Nur aus reiner Neugier, wieso tun Sie das überhaupt? Wieso schlachten Sie die Information nicht für sich selbst aus?«

»Sagen wir einfach, dass der Name GeoTech im Moment einige Hürden errichten würde.«

Vernons Schweineaugen bohrten sich in sie hinein. »Und weshalb?«

Caren, die wieder an ihrem Opal drehte, zuckte mit den Schultern. »Es gab in der letzten Zeit einige Vorwürfe die Sicherheit auf unseren Förderstätten betreffend.«

Vernon kniff die Augen zusammen. »OreGen wird keine unsichere Anlage kaufen, Caren.«

»Werden Sie auch nicht. Unsere Ausrüstung erfüllt alle gängigen Vorgaben, Vernon. Sicher, es gab in unseren Minen ein paar Unfälle. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass diese Unfälle nicht selten auf menschliches Versagen zurückzuführen sind.«

»Also brauchen Sie uns.«

»Wir brauchen eine Fassade. OreGen wäre mir dafür am liebsten, aber mir fallen auch andere ein, die dafür infrage kämen. Die China Mining Corp zum Beispiel«, ließ ihn Caren wie beiläufig wissen. »Tatsächlich habe ich mit deren Vorstandschef Xu erst vor zwei Wochen in genau diesem Restaurant zu Mittag gegessen. Der Chili-Tamarind-Schnapper hatte es ihm besonders angetan …«

Bonnar schürzte die Lippen. »Sie vergessen, dass OreGen auch ohne Sie tätig werden könnte. Wir haben die Daten«, fiel er ihr knurrend ins Wort. Etwas von seiner Spucke sprühte auf den Tisch.

»Das wird Ihnen nicht helfen, Vernon. Sie liegen bereits im Hintertreffen.«

»Zumindest wissen wir, wo wir zu suchen haben.«

»Ja, aber es könnte Jahre dauern, bis Sie die Erlaubnis erhalten, in dem Parkland zu schürfen. Ich habe eine Strategie ausgearbeitet, die uns bereits in sechs Monaten starten lassen könnte.«

»Vorausgesetzt, OreGen willigt ein, Ihnen eine Anlage abzukaufen.«

Caren starrte ihn nur an und hob das Glas an ihre Lippen.

»Okay, erzählen Sie mir mehr«, forderte Bonnar sie auf.

Was sie natürlich nicht tat. Wieso sollte sie Vernon Bonnar irgendetwas wissen lassen, dass OreGen einen Vorteil verschaffen würde? Doch als die Bedienung mit der Ente kam, hatte sie ihn mit genug gefüttert, um ihn damit zu ködern.

Army Leave Centre, Rotorua, Dienstagmorgen

»Sergeant McKenna?«

Taine richtete sich auf und drehte sich von dem Lastwagen weg, um sich dem Mann hinter ihm zuzuwenden. Breitgesichtig und mit seinen heiteren Gesichtszügen wirkte er eher wie ein Student als ein einunddreißigjähriger Berater.

»Mr. Fogarty.«

»Ah, dann wissen Sie also, wer ich bin.«

»Ausschlussverfahren. Sie sind nicht weiblich, was schon einmal Dr. Asher und Ms. Hemphill ausschließt, und Dr. de Haas habe ich bereits kennengelernt. Und der australische Akzent tat sein Übriges.«

 

»Beeindruckend, wo ich kaum ein Wort gesagt habe«, sagte Fogarty und bedachte Taine mit einem leichten Grinsen. »Bitte, nennen Sie mich doch Ben.«

»Schön, Sie kennenzulernen, Ben.«

Sie schüttelten sich die Hände. Ben Fogartys Händedruck war fest. Verlässlich.

»Also …«, begann Ben und wippte auf den Fersen, »Schätze, dass es keine Coffee-Shops gibt, wo wir hinfahren?«

»Macht wenig Sinn. Die Milch neigt dazu, auszugehen.«

»Dachte ich mir schon. Habe ich noch genug Zeit für eine letzte Tasse, bevor wir aufbrechen? Man sagte mir, dass dieser kleine Ausflug eine Woche dauern könnte – eine ziemlich lange Zeit ohne einen guten Espresso.«

Lachend sah Taine auf seine Uhr. »Wir brechen in zwanzig Minuten auf. Das Briefing beginnt in fünfzehn Minuten.«

»Dann sollte ich mich besser beeilen.« Bens Hand suchte bereits nach seiner Brieftasche.

Als der Berater gegangen war, nahm sich Taine einen Moment Zeit, um die anderen Zivilisten zu mustern. Zumindest waren keine offensichtlichen Stubenhocker darunter. Nicht weit von ihm entfernt stellte de Haas‘ Forschungsassistentin Louise Hemphill – eine gutaussehende Frau Ende zwanzig – gerade ihren Rucksack neben eine zweite Segeltuchtasche auf den Asphalt. Louise öffnete die zweite Tasche und überprüfte noch einmal den Inhalt, zog nacheinander Notizbücher, Probentäschchen, einen Pickel und ein paar Meißel hervor. Nicht eine einzige Haarsträhne entkam ihrem engen Pferdeschwanz. Laut Taines Dossier hatte sie einmal die nationale Meisterschaft im Eier-Rudern gewonnen. Allem Anschein nach war sie im Training geblieben, zumindest was ihre Schultern und ihren schlanken Körperbau anbelangte.

Taine lächelte, als er Miller, den Neuzugang seiner Einheit, auf sie zuschlendern sah, offenbar in der Annahme, dass der Werbespruch Wir haben das Zeug dazu der neuseeländischen Streitkräfte ganz besonders auf ihn zutraf. Für Taine aber war klar, dass Louise auch ohne den Altersunterschied von zehn Jahren einige Nummern zu groß für ihn war. Glücklicherweise wurde der Private davor bewahrt, es auf die harte Tour herausfinden zu müssen, denn sein Annäherungsversuch wurde von einer Frau unterbrochen, die mit leichten, fliegenden Schritten den Parkplatz überquerte.

Jules Asher.

Taine erkannte die Biologin von dem Foto in ihrer Akte. Zierlich und dunkelhäutig wirkte sie sportlich genug, trotz ihrer mangelnden Felderfahrung.

»Louise?«, erkundigte sich die Biologin. Taine bemerkte eine Spur von Nervosität in ihrer Stimme. Nur die Aufregung, neue Leute kennenzulernen? Er schob den Rucksack tiefer in den Lastwagen hinein und spitzte die Ohren.

»Ja?«

»Jules Asher. Wir teilen uns ein Zelt. Ich dachte, ich stelle mich kurz vor und lasse sie wissen, dass, wann immer Sie jemanden schnarchen hören, es ganz gewiss nicht von mir kommt.« Taine spähte zu ihr hinüber und sah, wie sich Asher eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, während sie Louise die andere Hand entgegenstreckte.

Lächelnd schüttelte Louise Jules Hand, eine schnelle, effiziente Bewegung. »Gut zu wissen. Wie sieht’s mit Zähneknirschen aus?«

»Nur tagsüber.«

»Teilen wir uns eine Zahnbürste?«

»Urks.« Jules verzog das Gesicht, ihre Augen aber strahlten.

»Ich denke, dann kommen wir gut miteinander aus.«

Eine Pause.

»Ich bin froh, nicht die Einzige zu sein, die ihre Ausrüstung noch sortieren muss«, sagte Jules und deutete auf die Tasche.

»Ja, wir hatten nicht viel Zeit, und Dr. de Haas ist gern auf alles vorbereitet.« Louise deutete auf ihren Boss. Der untersetzte Geologe hatte am hinteren Ende des zweiten Lastwagens Miller abgefangen und bellte soeben den Private an, sofort alles stehen und liegen zu lassen und ihm beim Einladen seines Gepäcks zu helfen.

»Arbeiten Sie schon lange mit ihm zusammen?«, erkundigte sich Jules.

»Etwa ein Jahr.«

»Und ist er immer so … so …«

De Haas‘ Schimpftirade hallte mittlerweile so laut über den Parkplatz, dass Coolie sich veranlasst sah, hinzuzutreten und nachzusehen, was das ganze Trara zu bedeuten hatte.

»Fordernd?«, meinte Louise. »Ja, das ist er.«

Jules schien die Wortwahl ihrer künftigen Zeltgenossin nicht zu überraschen.

»Kann ich Sie etwas fragen?«, erkundigte sich Louise, ohne ihren Blick von Miller und Coolie zu nehmen.

»Klar.«

»Wozu die ganzen Kraftmeier? Wieso eine Militäreskorte, wenn wir doch schon einen Führer haben?«

Jules warf einen Blick über ihre Schulter, in Taines Richtung. Der lehnte an dem Lastwagen und verbarg sein Gesicht.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat die Armee nicht genügend für sie zu tun? Sie wissen ja, wie das mit diesen Jungs ist. Zu viel Testosteron und die bringen sich in Schwierigkeiten. Mit uns bekommen sie wenigstens was zu tun.«

Taine richtete sich auf und sah, wie sie auf die auf dem Asphalt aufgereihten Gepäckstücke deutete.

»Sie haben recht«, stimmte Louise zu. »Ich will es anders formulieren. Was ich meinte, war: Ist es nicht toll, all diese Muskelberge mit ihrem ungezügelten Testosteron um uns zu haben, die unser Gepäck tragen werden?«

»Na bitte«, antwortete Jules lachend, und Louise stimmte mit ein.

***

Christian de Haas wusch seine Hände im Waschbecken und ließ das kalte Wasser über seine Handgelenke laufen. Ein Trick, den er bei seiner Mutter gesehen hatte, wenn diese ihre Nerven zu beruhigen versuchte. Kein Wunder, dass er aufgebracht war. Dieser dumme Soldat war nicht einmal imstande gewesen, die einfachsten Befehle auszuführen. »Ich quetsche sie hier einfach mit rein«, hatte der Idiot gesagt. In der Tasche war ein Mikroskop gewesen! De Haas schüttelte den Kopf. Keinerlei Feingefühl. Aber was wollte man von diesen Kiwis auch erwarten, die Muskelkraft stets mehr verehrten als Gehirnschmalz. Herrgott nochmal, der jährlich in Neuseeland stattfindende Wettbewerb zur Wahl des besten Farmers – bei dem tumbe Kerle auf Traktoren herumfuhren – bekam mehr Presse als jede wissenschaftliche Errungenschaft!

Seufzend trocknete er sich seine Hände unter dem Gebläse ab und strich sich die Haare hinter die Ohren. Dann, und mit einem Blick auf die Uhr, hielt er inne. Kein Grund zur Eile. Im Gegenteil, es würde wahrscheinlich nicht schaden, ein paar Dinge grundlegend klarzustellen und angemessen zu spät zum Briefing zu erscheinen. Schließlich konnten sie schlecht ohne den Leiter der Spezialeinheit aufbrechen, nicht wahr? De Haas lächelte dem Mann im Spiegel zu. Wie aufgeregt er gewesen war, als ihn der Berater des Ministers wegen dieser Anstellung anrief. »Der Minister würde Sie gern zum Leiter einer Spezialeinheit auf einer wichtigen Mission von nationalem Interesse ernennen«, hatte der Berater gesagt. Wichtig genug, um eine Armeeeskorte zu rechtfertigen. Die Regierung wollte kein Risiko eingehen. Die Region war ein politischer Brennpunkt, und außerdem ging es um Gold.

De Haas trat einen Schritt zurück und richtete seinen Kragen. Eine ganze Expedition, Zivilisten und Soldaten, alle unter seiner Führung.

Leiter der Spezialeinheit.

Wie sich das anhörte! Nicht, dass der Titel seinen alten Herrn überzeugt hätte. Einzig das Kapitänsamt der Springbok Rugby-Mannschaft hätte ihm imponiert. Aber auch Christian hatte seine Momente gehabt. Von der New Zealand Petroleum and Minerals abgeworben zu werden und seine Kündigung selbst in der Firma seines Vaters abzugeben, zum Beispiel. Die Genugtuung, sein Heimatland in nur einer Woche verlassen zu können und den alten Bastard endlich los zu sein. Er hatte gehofft, von da an in Windeseile die Karriereleiter erklimmen zu können, aber wie so oft war er enttäuscht worden und verbrachte zehn Jahre mit langweiligem Papierkram. Aber nicht nach dieser Sache. Nicht, nachdem ihm eine bedeutsame Entdeckung in den Ureweras zu Ruhm verhelfen würde. Sollte sein Vater doch versuchen, das zu ignorieren.

Eine bedeutsame Entdeckung …

De Haas war fest entschlossen, genau das eintreten zu lassen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel und einem letzten Ruck an seinem Jackett verließ er die Toilette.