Das Zeichen der Eriny

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Aus der Reihe: Erinysaga #1
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Das Zeichen der Eriny
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Lara Elaina Whitman

Das Zeichen der Eriny

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zum Buch

Prolog

Das Spiel

Gebrandmarkt

Verschwunden

Der Durchgang

Fieberträume

Noch immer keine Neuigkeiten

Unheimliche Veränderungen

Schwarzer Krieger

Korrigan

Ein unangenehmer Besuch und Spinnenkrabben

Filigranes Netz

Wahrheit oder Märchen?

Schlagzeilen und ein schrecklicher Tag

Kadmus und das Kiohtuan

Wildes Waldland

Saphirauge

Sturmwinddämonen

Flucht durch den Tunnel

Verwirrendes Urteil

Schreckliche Verwandlung

Glossar

Danksagung

Über die Autorin

Rezensionen und Feedback

Bisher erschienene Romane von Lara Elaina Whitman

Leseprobe aus: Das Verlorene Siegel, Ullisten Getrillum - Flucht zum Mond

Rechtliche Hinweise

Impressum neobooks

Zum Buch

An Sarahs sechzehntem Geburtstag geschieht etwas unheimliches und dann verschwindet auch noch ihr bester Freund Thomy. Auf der Suche nach ihm stößt sie auf ein uraltes Geheimnis und einen Druidenorden. Hals über Kopf muss sie fliehen und stolpert dabei in eine gefährliche Welt in der sich Menschen und Dämonen unversöhnlich gegenüberstehen. Aber das Schicksal hat ihr bereits eine Rolle zugedacht, in der sie zwischen Verzweiflung und Hoffnung um ihr Leben kämpfen und ihr Herz zum Schweigen bringen muss. Doch kann sie das wirklich?

Prolog

Verbannt in die Grauen Nebel.

Jahrhundert um Jahrhundert.

Söhne des Kalten Windes.

Dämonen der Lüfte.

Sing, Tochter der Schwäne, sing.

Erlöse uns von der Nacht.

Anmar´aganai

Barde des Hochkönigs von Aremar

1. Dynastie

Das Spiel

»Thomy, das ist langweilig«, sagte ich ungeduldig, während ich versuchte das Bild auf meinem veralteten Tablet dazu zu bewegen sich schärfer zu stellen. Ich sollte mit meinen Eltern sprechen, über ein neues, schnelleres Gerät. Mit dem hier konnte ich gar nichts mehr anfangen. Vielleicht würden sie sich erweichen lassen, denn immerhin hatte ich ziemlich gute Noten, Höchstpunktzahl, fast nur Einsen. Das war doch eine Belohnung wert, oder nicht? Auch mein Computer war nicht auf dem neuesten Stand, hatte schon ein paar Jährchen auf dem Rücken und sollte längst gegen einen Neueren ausgetauscht werden. Vermutlich war das der Grund, warum das Spiel nicht so richtig lief, redete ich mir missmutig ein und starrte auf den Bildschirm, auf dem sich nichts mehr bewegte.

»Sarah, du musst den Bildschirm ein wenig drehen, sonst kann ich nichts erkennen. Wo hängst du denn schon wieder?« Thomas ist wie immer die Geduld in Person.

Seine Ruhe möchte ich haben. Thomas, von mir liebevoll Thomy genannt, was er mittlerweile hasste wie die Pest, ist mein bester Freund und genaugenommen auch mein einziger. Wir beide sind Außenseiter in der Schule, Einserschüler, uh, ah. Das kommt nicht so cool rüber, aber das ist mir egal. Ich weiß, dass gute Noten wichtig sind für meine Zukunft. Außerdem lerne ich immer gerne neue Dinge. Wenn die anderen sich dabei langweilen sind sie selber schuld. Trotzdem gab es mir manchmal einen Stich, wenn ich wieder einmal geschnitten wurde, bestenfalls.

Vor drei Jahren sind wir von Carnac, das liegt in der Bretagne direkt am Meer, nach Stuttgart gezogen. Genaugenommen in ein Kaff namens Filderstadt. Meine Mutter wollte unbedingt nach Deutschland zurück, nachdem Großmutter so krank geworden war und dringend Pflege brauchte. Der Abschied von Frankreich fiel uns allen schwer. Ich bin in Carnac geboren worden und dort aufgewachsen. Carnac ist eine kleine Gemeinde mit nur etwas über fünftausend Einwohnern und liegt an der Bucht von Quiberon im Departement Morbihan. Morbihan ist bretonisch und bedeutet "kleines Meer", das tatsächlich wie ein Minimeer bis weit in das Innenland hineinreicht. Es hat dem Landstrich im äußersten Westen Frankreichs seinen Namen gegeben. Leises Heimweh regte sich in meiner Magengegend. Sehnsüchtig stellte ich mir die Bilder im Kopf vor und versuchte mich an den Geruch zu erinnern und die Schreie der Möwen, die mich jeden Morgen auf dem Weg zur Schule begrüßten. Ich mag das kleine Meer gerne, da ich dort segeln darf. So ziemlich jeden Sonntag haben wir zusammen einen Ausflug dorthin gemacht. Fast sechzig kleine grüne Inseln leuchten in dem manchmal recht dunkel, manchmal auch tiefblau wirkenden Wasser. Das Binnenmeer ist nur über eine ziemlich schmale Stelle mit der Bucht von Quiberon verbunden und es ist ziemlich flach. Deshalb gibt es keine großen Schiffe, dafür aber viele kleine. Wir haben auch ein Segelboot, die "Ange des Loups - Engel der Wölfe". Es ist nicht groß, nur ein Einhandsegler, aber es macht riesig Spaß damit auf dem Meer herumzuschippern. Der Segler hat eine Spinakertrompete, das macht ihn ziemlich schnell und eine Steuerung über die Pinne, so kann ich das Boot auch alleine bedienen. Ich kann das schon richtig gut, trotz der starken Gezeitenströme, die an einigen Stellen bis zu vier Metern pro Sekunde schnell werden können, was einen enormen Sog bedeutet für so ein kleines Schiff. Seit ich vierzehn bin habe ich sogar einen Sportbootführerschein Binnen, mit dem ich auf Flüssen und Seen fahren darf. Den Sportküstenschifferschein, mit dem ich in Küstennähe auf dem Meer segeln darf, habe ich auch bereits bestanden, allerdings bekomme ich das Dokument erst nach meinem Geburtstag zugesandt, da ich für diesen Schein sechzehn sein muss. Mit meinem Wissen könnte ich eigentlich jetzt schon alle Meere dieser Welt überqueren, aber meine Eltern würden das niemals zulassen. Schade eigentlich! Es ist einer meiner Lieblingstagträume alleine auf den Wogen der Ozeane zu reiten und fremde Länder anzusteuern. Mir ist klar, dass das eher eine romantische Vorstellung ist, schließlich hatte ich schon manchen aufziehenden Sturm auf dem Morbihan erlebt und das ist im Vergleich zum Atlantik ein zahmes kleines Gewässer. Nun liegt unser Segelboot in einer alten Scheune eines Bauern in der Nähe von Penhouet, im Hinterland von Carnac und wartet bestimmt traurig darauf, dass wir zurückkommen.

Von Heimweh übermannt holte ich meine Fotosammlung heraus, die aus drei Alben bestand. Am schönsten waren die Bilder vom Hinterland von Carnac geworden. Dort gibt es sogar noch ein paar größere Wälder und eine Hügelkette. Ich vermisse unsere Ausflüge in diese Wälder, vor allem den Wald bei Huelgoat und den bei Paimpont. Beide Wälder sind Reste des uralten Waldes, der vor langer Zeit die ganze Bretagne bedeckt hat. Den Wald von Paimpont mag ich besonders gerne, denn dort ist mehr von den dicken hohen Bäumen übrig geblieben und er hat ziemlich dichtes Unterholz, in dem sich viele Tiere verbergen können. Einige munkeln der Wald von Paimpont wäre der Rest des Geisterwaldes Brocéliande und es würden dort Druiden, Feen und andere dämonische Mächte hausen. Zugegeben, der Wald hat etwas Magisches an sich, aber ich glaube nicht an Feen und all das Zeug. Meine Freunde in der Bretagne dagegen waren immer überzeugt davon, dass es in dem Wald spukt. Das Heimwehgefühl zieht mein Herz zusammen. Ich vermisse die salzige Luft, das unablässige Geschrei der Möwen und sogar die Wolken, die weit vom Atlantik draußen heranstürmen und Wind und Regen mit sich bringen. Und ich vermisse meine Freunde. Ich hatte jede Menge Freunde in Carnac, im Gegensatz zu hier.

 

Für meinen Vater war es auch schwer von dort wegzugehen, schwerer als für meine Mutter. Das weiß ich ganz genau, auch wenn er es sich nicht anmerken lässt. Aber Großmutter wollte nicht nach Frankreich in die Bretagne kommen und so sind wir umgezogen, nach Filderstadt. Mein Vater arbeitet jetzt als Chefarzt in der hiesigen Klinik. Er scheint glücklich zu sein, weil meine Mutter jetzt glücklich ist. Immerhin ist sie seitdem auch etwas verständnisvoller zu mir und meckert nicht ständig über meine Vorliebe für Computerspiele.

Genervt nestelte ich an der Verkabelung des Bildschirmes, die irgendwo zwischen Schreibtisch und Wand eingeklemmt war. Endlich bekam ich sie frei.

»Ist es so besser?«

»Ja, so seh´ ich was!« Thomy runzelte die Stirn, als er den Schlamassel musterte, den ich wieder angerichtet hatte. Nach einer Weile, die etwas länger dauerte als sonst, blickte er mich resigniert an. Mein Tablet flimmerte ein wenig und Thomy verschwand kurz, so dass ich den Rest, den er mir gerade erzählte, nicht mitbekam. »…pass auf, wenn du … du musst das abschließen, sonst kommst du nicht weiter.«

»Thomy, ich habe nichts verstanden. Mein Tablet spinnt, die Skypeverbindung war unterbrochen.«

»Das liegt an deinem schlechten WLAN und nicht an dem Tablet. Dein Vater sollte in modernere Router und bessere Bandbreite investieren. Also, noch einmal. Du musst den rosa Drachen in die Höhle dort schubsen. Dann bist du mit dem Level fertig. Danach wird es besser, glaube mir!«, sagte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

»Was soll an dem Spiel besser werden. Wir schubsen verschiedenfarbige Drachen herum, suchen Diamanthöhlen und sammeln Punkte. Das ist Kinderkram! Wo hast du das Spiel überhaupt her?«, erwiderte ich genervt. Ich hatte keine Lust mehr das dämliche Spiel zu spielen. Ich wurde übermorgen sechzehn. Das hier war etwas für Achtjährige.

»Vertrau mir! Bring den Level zu Ende und du wirst dich wundern.« Thomys Grinsen wurde noch ein wenig breiter und meine Laune noch schlechter. Ich würde noch mindestens zwei Stunden brauchen, um den Level abzuschließen. Aus dem Hintergrund in Thomys Zimmer hörte ich eine Stimme.

Thomy drehte sich kurz um, sagte etwas und wandte sich dann wieder mir zu. »Ich muss Schluss machen. Sehen wir uns morgen?«, fragte er mich hoffnungsvoll.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, morgen ist Samstag. Ich muss mit meiner Mutter Einkäufe erledigen und dann muss ich mit auf diese komische Feier in die Klinik gehen. Mein Vater lässt mich da nicht raus. Ich melde mich am Sonntag bei dir. Wir haben ja nächste Woche Osterferien.«

Thomy nickte nur ergeben und legte auf. Ich starrte noch eine Weile nachdenklich auf mein Tablet und beschloss dann in die Küche zu gehen und mir ein Sandwich zu holen. Besser ich brachte diesen Level hinter mich, bevor meine Eltern nach Hause kamen. Sie mochten mein Hobby nicht besonders und abends durfte ich nicht spielen. Computersperre! Aber das würde ich mir nicht mehr lange gefallen lassen. Am Sonntag würde das enden. Es war mein Geburtstagswunsch, ein neuer Computer und die Freiheit ihn benutzen zu können, wann ich es wollte. Eine Spielekonsole war weit außerhalb meiner Vorstellungskraft. Das würde ich mir irgendwann selber kaufen müssen, sobald ich achtzehn war.

Missmutig schlich ich zurück in mein Zimmer, damit mich meine Großmutter nicht hörte und womöglich mit mir einen Plausch halten wollte, wozu ich gerade keine Lust hatte. Immer noch genervt setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch, während ich mein Sandwich kaute. Wo war nur dieser kleine rosa Drache und wo war schon wieder diese Höhle? Nach einer geschlagenen halben Stunde hatte ich ihn endlich gefunden. Mit einem letzten Stupser bugsierte ich ihn in das dunkle Loch. Fast hätte ich es nicht gesehen, so winzig war es. Das Loch wurde umrankt von wild um sich peitschenden Pflanzen mit widerlichen kleinen grellgrünen Saugnäpfen an den langen Ranken, die den kleinen Drachen immer wieder auffressen wollten. Mit einem Stoßseufzer und einem letzten Stupser brachte ich ihn heil hindurch.

In der Höhle war es dunkel und feucht. Wasser tropfte von den Felswänden und Nebel wallte auf dem Boden. Es sah irgendwie unheimlich aus und ich hatte das dringende Gefühl, dass ich mich beeilen sollte, bevor noch irgendetwas anderes versuchte sich meines Drachen zu bemächtigen. Irgendetwas Ekliges, das sich womöglich in dem dichten Bodennebel verbarg der merkwürdig plastisch aussah, obwohl das kein 3D-Spiel war. Ein fauliger Geruch stieg mir in die Nase, der mich irritiert innehalten ließ. Wo kam das denn her? Prüfend blickte ich in meinen Abfalleimer unter dem Tisch, aber da war nichts drin.

Ich sollte mich nicht von Nebensächlichkeiten ablenken lassen und widmete mich wieder meiner Spielfigur. Drachen lieben Diamanten, zumindest in diesem Spiel. Obwohl sie Wyvern sind, sehen sie ganz niedlich aus, mit rosa Schleifchen um den langen Schlangenhals und schwarzen Kulleraugen, die ziemlich doof gucken können. Wie um Himmels willen war Thomy nur zu diesem Kinderspiel gekommen? Das musste er mir aber verraten, wenn ich ihn das nächste Mal traf. Ich würde ihn solange quälen, bis er damit herausrückte. Selbst meine Eltern hatten nichts dagegen gehabt. Sie wussten ja auch nicht, dass die Drachen von ziemlich gruselig aussehenden Monstern bedroht wurden. Die hatte ich ihnen nicht gezeigt. Ich suchte die Höhle nach dem Diamanten ab, der mir noch fehlte, um den Level abzuschließen. Normalerweise leuchtete irgendwo ein Stein, oder ein Gefäß, aber ich konnte nichts finden und so trieb ich die Figur weiter in die Höhle hinein, die sich zusehends verengte. Eigentlich wurden Höhlen größer, sobald man sie betreten hatte, aber diese hier war anders. War es das, was Thomy vorhin meinte?

Ein kratzendes Geräusch ließ mich aufhorchen. Irgendetwas Großes war im Anmarsch. Der kleine Drache flimmerte aufgeregt, ein deutliches Zeichen, dass Gefahr im Verzug war. Ich schubste ihn mit ein paar Bewegungen meines Joysticks weiter, immer tiefer hinein in die felsige Röhre, bis ich vor einem grauen Symbol zum stehen kam, das aus drei ineinanderfließenden ziemlich schnörkeligen Spiralen bestand. Hier war Schluss, es gab kein weiterkommen, aber zurück konnte ich auch nicht mehr. Hinter mir, am Eingang zu der Röhre, ertönte ein lautes Brüllen. Das war neu. Es klang beängstigend gruselig und mir lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Was immer das war, ich wollte es nicht wissen.

»Mon Dieu, was muss ich jetzt tun?«, schimpfte ich leise. Fieberhaft überlegte ich, was wohl jetzt von mir erwartet wurde, aber mir fiel nichts ein. Hier gab es keine Diamanten. Ich saß in der Patsche. Sollte ich mit diesem Symbol etwas machen müssen? Aber was? Ich betrachtete mir das Symbol genauer. Es bestand aus drei Spiralen, die um ein Zentrum angeordnet waren. Ich klickte mit der Maus auf das Symbol. Es leuchtete hell auf und in der Mitte tauchte eine achteckige Form auf, die in kleine Felder unterteilt war, die mich verdächtig an Diamanten erinnerten. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ich musste meine gesammelten Diamanten in den Feldern des Symbols platzieren. Rasch zog ich das Icon, eine kleine Tasche in der sich meine gesammelten Schätze befanden, auf das Zeichen an der Wand. Erfreut sah ich zu, wie sich die Felder mit meinen Edelsteinen füllten, bis auf eines. Mir fehlte ein Diamant! Das Brüllen kam näher, unterbrochen von einem eklig klingenden Schmatzgeräusch, das mir die Nackenhaare zu Berges stehen ließ. Wenn das Ungeheuer meinen Drachen erwischte, dann musste ich von vorne anfangen. Verzweifelt drehte ich meine Spielfigur, damit ich mich in dem engen Tunnel umsehen konnte, aber die Wände waren nackt und es gab keine Nische, in der etwas versteckt sein könnte. Meine Spielfigur flackerte aufgeregt und hüpfte Schwanz peitschend auf und ab. Mir kam eine Idee. Ich schob den rosa Drachen auf das letzte Feld des Symboles und er verschwand.

Mit offenem Mund starrte ich auf den Bildschirm, als sich das Symbol in einen hell leuchtenden Diamanten verwandelte und anfing zu wachsen, bis es meinen ganzen Monitor ausfüllte. Erstaunt bemerkte ich, dass sich das Strahlen über das Gerät hinaus ausdehnte und mich in das prickelnde Licht einhüllte. Dann begann die Welt um mich herum zu verblassen, um mich in einer diffusen Finsternis zurückzulassen, die sich irgendwie dicht anfühlte. Mein Zimmer war verschwunden, ich konnte auch den Sessel unter mir nicht mehr fühlen. Stattdessen schien ich auf einem nassen Stein zu hocken und Feuchtigkeit legte sich als feiner Film über meine nackten Arme und mein Gesicht. Ich stand auf und betastete meine Hose. Sie war nass. Verblüfft sah ich mich um, aber es war zu dunkel um etwas erkennen zu können. Es fühlte sich alles irreal an, so als gäbe es kein oben und kein unten. Ich war zu überrascht, um mich zu fürchten. Watteweiche Stille umgab mich, das beängstigende Brüllen war nicht mehr zu hören, aber auch von dem Diamanten war nichts mehr zu sehen. Ein weißes Licht weiter vorne erregte meine Aufmerksamkeit. Es blinkte in unregelmäßigen Abständen auf, wie das Leuchtfeuer eines Leuchtturms. Ein fauliger, manchmal muffigfeuchter Geruch wehte mir in die Nase, gefolgt von einem Rascheln direkt neben mir, das mich erschrocken zusammenzucken ließ. Etwas berührte mein Bein. Ich machte einen Satz nach vorne und stolperte über einen weiteren Felsen, den ich im Dunkeln nicht gesehen hatte. Meine Hände konnten den Sturz abmildern, aber sie brannten jetzt wie Höllenfeuer, denn ich hatte sie mir aufgeschürft. Der Boden war feucht und glitschig. Lieber nicht darüber nachdenken, was da so herumkroch. Langsam registrierte mein Verstand, dass ich mich nicht mehr in meinem Zimmer in unserem Haus in Filderstadt befand.

»Verdammt, wo bin ich hier eigentlich?«, fluchte ich, obwohl ich das nicht sollte.

Meine Großmutter wäre entsetzt von mir. Ich rappelte mich auf und versuchte mehr zu erkennen, aber es war zu dunkel. Das Rascheln entfernte sich in eine andere Richtung und hinterließ ein Echo, das sich zu vervielfachen schien. Mein Atem beschleunigte sich und mein Herz begann zu rasen. Die Furcht drohte mich zu übermannen. Kopflos stolperte ich vorwärts, auf das helle Licht zu. Meine Schritte hallten von den Wänden wieder, die ich nicht sehen konnte, aber es fühlte sich an, als wäre ich in einem riesigen Abwasserkanal unterwegs. Der Boden war wie eine glatte Rutschbahn und ich hatte Angst zu stürzen, da ich nicht sah, wo ich hintrat. Ich wollte mir nicht vorstellen, was passierte, wenn ich mir hier ein Bein brach. Niemand würde mich finden. Tränen liefen über meine Wangen, Tränen der Furcht. Ich wollte hier raus, der Gestank hier drinnen hinderte mich am Atmen.

Dann war es einfach vorbei! Keuchend und mit jagendem Herzen sah ich mich um. Ich stand im Sonnenlicht auf der großen Wiese, die sich zwischen der Siedlung, in der unser Haus stand, und dem Wald ausbreitete. Unmittelbar vor mir befand sich der Obelisk, um den im Sommer die Schafe herumgrasten und den Thomy und ich gerne als Treffpunkt benutzten. Wie zum "Heiligen Bimbam" kam ich hierher? Ich saß doch eben noch an meinem Schreibtisch! Ich legte meine Hand auf den rauen Stein, um zu prüfen, ob er tatsächlich echt war. Er war kalt und ein wenig verwittert, so wie immer. Die Luft roch nach frisch gemähtem Gras und Feuchtigkeit vom Wald. In der Ferne bellten Hunde beim Spiel. Das alleine genügte, um zu wissen, dass ich nicht träumte. Ich warf einen Blick auf meine Hände. Sie waren blutig abgeschürft und mit irgendeinem glibberigen gelblichen Sabberzeug bedeckt. Angeekelt wischte ich sie schleunigst an meiner Hose ab, die nicht besser aussah als meine Hände. Verwirrt ging ich zurück zu unserem Haus. Was immer gerade geschehen war, es war nicht normal. Da war ein Gespräch mit Thomy fällig.

Gebrandmarkt

Meine Großmutter stand in der Tür und sah mir stirnrunzelnd entgegen.

»Sarah, wo kommst du denn her?«, fragte sie mich erstaunt.

Ich biss mir auf die Lippen. Zu dumm, dass sie mich gesehen hat. Was soll ich ihr nur antworten? Es behagte mir nicht, sie anzulügen. Ich mag meine Großmutter und sie ist immer noch sehr krank, obwohl es ihr mittlerweile wieder besser geht, als noch vor drei Jahren. Rasch drückte ich ihr einen Kuss auf die faltige Wange und sagte. »Ich war schnell auf der Wiese, einen Ohrring suchen. Ich bin ausgerutscht«, log ich und wurde ein wenig rot dabei. Ich bin eine schlechte Lügnerin und konnte deutlich sehen, dass meine Großmutter mir nicht glaubte, aber sie beließ es dabei.

 

»Du gehst dich besser waschen. Deine Mutter kommt gleich nach Hause. Sie hat gerade angerufen.« Ein besorgter Unterton schwang in ihrer Stimme mit.

Ich nickte nur stumm und lief die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Meine Mutter durfte mich auf keinen Fall so sehen. Sie würde so lange nachbohren, bis ich ihr alles erzählt hatte. Aber das ging nicht, denn das was wirklich geschehen war, würde sie mir niemals glauben und mich bestimmt zum Schulpsychologen schleppen. Ich zog eine frische Jeans und eines meiner Lieblingssweatshirts aus dem Schrank. Die verschmutzte Kleidung warf ich ins Waschbecken. Nachdem ich mich geduscht hatte, versuchte ich den Glibberschleim von meiner Hose zu waschen. Es war schwierig. Das Zeug klebte wie Pech und Schwefel an dem Stoff. »Meine Mutter wird bestimmt sauer auf mich werden, wenn sie das hier sieht«, dachte ich gereizt. Das war meine beste Jeans, aber ich fürchte, dass sie nicht mehr zu gebrauchen ist. Seufzend hängte ich die Hose über den Wäscheständer auf der kleinen Terrasse draußen, die zu meinem Zimmer gehört. Besorgt musterte ich meine abgeschürften Handinnenflächen. Sie brannten wie Hölle. Es sah so aus, als hätte ich ein besonders tiefgehendes Peeling mit der Haut veranstaltet. Vorsichtig trug ich Wundsalbe auf. Unten hörte ich die Eingangstür ins Schloss fallen. Meine Mutter war nach Hause gekommen. Ich musste ihr in der Küche beim Kochen helfen, so wie jeden Tag. Ausgerechnet heute hatte ich gar keine Lust dazu, zumal ich mir gut vorstellen konnte, wie der Zwiebelsaft auf meinen aufgeschürften Handinnenflächen brennen würde. Normalerweise machte ich das gerne und ich konnte mittlerweile richtig gut kochen und backen. Thomy liebte meine Muffins. Bei dem Gedanken an Thomy fiel mir alles wieder ein. Ich sollte ihn sofort anrufen, aber meine Mutter rief nach mir und so musste ich es wohl oder übel auf später verschieben.

»Sarah, hilfst du mir?«, schallte es vom Erdgeschoss herauf.

»Ich komme sofort, Maman. Eine Minute,« rief ich die Treppe hinunter. Meine Mutter Maman statt Mama zu nennen, fand ich viel eleganter und es erinnerte mich an Frankreich. Hastig lief ich in mein Zimmer zurück, um noch einmal einen Blick auf den PC zu werfen. Er war noch an. Der Bildschirmschoner scrollte durch meine Fotos vom letzten Aufenthalt in der Bretagne und der Lüfter brummte, als würde er gleich abheben wollen. Ich überlegte kurz, ob ich den Computer ausschalten konnte, aber ich zögerte ihn anzufassen. Vielleicht passierte mir das gleiche noch einmal und ich würde wieder in den Tunnel hineingezogen werden. Das konnte ich nicht riskieren.

Meine Mutter rief ungeduldig aus der Küche nach mir. Kurzentschlossen ließ ich den PC einfach laufen und ging hinunter.

»Was kochen wir heute?«, fragte ich meine Mutter, während ich die Küche betrat. Es gelang mir ein normaler Tonfall.

»Nicht viel. Dein Vater hat Nachtdienst. Ich mache eine Quiche. Ist das ok, ma chérie?« Sie sah mich vielsagend an. Natürlich wusste sie, dass ich jede Art französisches Essen liebte. Es half mir mein Heimweh zu bekämpfen.

Ich fing an die Zwiebeln zu schneiden, tunlichst darauf bedacht keinen Saft auf meine Wunden zu bringen und sie nicht meine Mutter sehen zu lassen. Dann räumte ich die Zutaten für den Teig aus dem Schrank, während sich meine Mutter eine Schürze umband und die Küchenmaschine anwarf. Eine Stunde später saßen wir gemütlich an dem kleinen Esstisch in der Küche, den wir immer benutzten, wenn mein Vater nicht da war. Meine Großmutter erzählte uns während des Essens Geschichten aus der Zeit, als sie noch jung war. Ich lauschte höflich, da ich die meisten Erzählungen nicht zum ersten Mal hörte. Meine Mutter stand auf und holte den Nachtisch.

»Sarah, hast du dir schon überlegt, ob du zu deinem Geburtstag eine Party geben willst?«, fragte sie mich unverfänglich, während sie die Puddingschüsselchen verteilte.

Ich betrachtete sie stirnrunzelnd. Warum fragte sie mich das schon wieder? Außerdem war mein Geburtstag übermorgen und das wäre ja nun wirklich ein wenig knapp, um noch eine Feier zu organisieren. Ein wenig bissig antwortete ich deshalb, »nein, da hat sich nichts geändert oder glaubst du, dass Jean, Maiwenn und all die anderen aus Carnac mitten im Schuljahr hierherkommen könnten?«.

Meine Mutter seufzte und strich mir in einer mitfühlenden Geste über den Kopf. »Es tut mir leid, Kleines.«

»Schon gut. Ich kann das in den Ferien nachholen. Nicht so wichtig,« antwortete ich schnell mit einem prüfenden Seitenblick auf meine Großmutter. Ich wollte nicht, dass sie sich schuldig fühlte. Sie sah mich traurig an, aber ich lächelte und drückte ihre Hand.

»Du bist ein gutes Kind«, sagte meine Großmutter.

»Oma, ich bin kein Kind mehr. Ich werde sechzehn und es macht mir nichts aus. Es ist nicht wichtig.«

»Hast du denn einen anderen Wunsch, anstelle einer Party?«, meine Großmutter hielt meine Hand fest und beobachtete mich gespannt.

Ich warf einen raschen Blick auf meine Mutter, die sich wieder gesetzt hatte, bevor ich antwortete, »ja, den hätte ich schon, aber ich weiß nicht, ob Maman damit einverstanden ist.«

Meine Mutter zog die Augenbrauen hoch. Sie wusste natürlich was jetzt kam.

»Du weißt, dass ich nicht viel davon halte,« sagte sie streng.

»Maman! Ich werde sechzehn! Andere dürfen in die Disco gehen bis Mitternacht, trinken Alkohol und machen was weiß ich sonst noch. Da ist doch ein besserer Computer harmlos dagegen. Außerdem brauche ich den für die Schule.« Bockig verschränkte ich die Arme vor der Brust. Das konnte doch nicht wahr sein. Wollte sie das so machen bis ich achtzehn war?

Ein kurzes verstohlenes Lächeln schlich sich über den schönen Mund meiner Mutter. Meine Mutter hatte volle Lippen und ein hübsches Gesicht, trotz ihres Alters. Sie war eine schöne Frau in den Vierzigern, hatte eine gute Figur und einen guten Geschmack, was ihren Kleidungstil betraf. Mein Vater war mächtig stolz auf sie. Leider sah ich ihr überhaupt nicht ähnlich, ich kam eher nach meinem Vater und hatte seine schlanke, hochaufgeschossene Gestalt geerbt. Meine Mutter meinte, dass sich das noch ändern würde, aber ich glaubte nicht mehr daran. Immerhin ist man mit sechzehn fast ausgewachsen, was soll da noch kommen? Es blieb bei Körbchengröße A, Kleidergröße 36 und 58 Kilo. Mit letzterem war ich sehr zufrieden, denn für meine 1,75 war das völlig ok. Das schönste an mir waren meine langen Beine und meine rotbraunen, geringelten, langen Haare, fand ich. Leider hatte ich nicht das Blond meiner Mutter geerbt, dafür aber ihre helle empfindliche Haut. Zum Ausgleich hatte ich die strahlend grüne Augenfarbe meines Vaters bekommen. Obwohl mir die Farbe so manche Hänseleien in der Schule einbrachte, mochte ich das ungewöhnliche Grün, das meinem Gesicht ein exotisches Aussehen gab.

Meine Mutter bedachte mich mit einem etwas nachdenklichen Blick und sagte dann, »wir werden sehen, ma chérie. Räumst du den Tisch ab? Hast du deine Hausaufgaben schon erledigt?« Sie stand auf, um meiner Großmutter zu helfen, die sich wieder hinlegen musste.

»Ja, alles erledigt. Wir haben Osterferien nächste Woche.« Das könnte sie sich auch langsam abgewöhnen, mich zu behandeln als wäre ich fünf.

»Ach, ja. Du wolltest dieses Jahr ja nicht zu Tante Claire fahren. Ich werde nicht viel Zeit für dich haben, Kleines. Ich muss ein paar Dinge erledigen, die ich schon eine Weile vor mir herschiebe. Ist dein Freund Thomas auch hier?« Sie lächelte mir mit einem Augenzwinkern zu.

Ich wusste, was sie meinte. »Maman! Thomy ist nur ein Freund, ein guter Freund, sonst nichts. Und ja, er fährt auch nicht weg. Wir wollten etwas zusammen unternehmen, wenn es dir recht ist.«

»Aber natürlich, solange ihr nicht nur am Computer sitzt.« Sie sah mich streng an.

»Nein, das werden wir nicht.« Ich rollte unwillig mit den Augen und fing ungeduldig an den Tisch abzuräumen und die Küche sauber zu machen. Danach lief ich rasch in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir zu. Ich musste unbedingt Thomy anrufen. Meine Mutter würde mich vor acht Uhr abends nicht mehr stören. Ich hatte also über zwei Stunden Zeit mich diesem Problem zu widmen.

Um den Computer auf meinem Schreibtisch, der immer noch laut brummend vor sich hinarbeitete, machte ich einen großen Bogen und griff nach meinem Handy, das auf dem Regal über meinem Bett lag. Aufgeregt wählte ich die Nummer von Thomy. Es läutete ein paarmal, aber er ging nicht dran. Nervös knabberte ich an meinen Fingernägeln. Warum zur Hölle meldete er sich nicht? Er war doch sonst immer so schnell. Nach ein paar Minuten gab ich es auf und hinterließ ihm eine Rückrufnachricht auf seiner Box. Unruhig ging ich im Zimmer auf und ab, warf immer wieder einen Blick auf den Computer. Irgendetwas arbeitete in ihm und beanspruchte die CPU enorm. Ich traute mich nicht näher heran. Vielleicht sollte ich einfach die Sicherung für mein Zimmer ausschalten, dann wäre er ohne Strom. Leider befand sich der Sicherungskasten im Keller und mir fiel kein Grund ein, den ich meiner Mutter erzählen konnte, warum ich das Stromnetz im Haus lahmlegte. Wenn ich einfach den Stecker herausziehe, dann kann mir doch auch nichts passieren, oder? Irgendetwas hielt mich davon ab. Andererseits konnte ich den PC nicht einfach laufen lassen. Davon abgesehen, dass ich ihn nicht mehr benutzen konnte, wenn ich das Problem nicht löste.

Mein Blick fiel auf die Arnisstöcke, die Thomy und ich für das Training benutzten. Arnis ist eine philippinische Kampfkunst, es ist etwas anders als Kung Fu, das ich auch sehr mochte, und ziemlich anstrengend. Ich war ein großer Martial Arts Fan und wollte unbedingt so gut werden wie Michelle Yeoh oder Cynthia Rothrock. Wir übten fast jeden Tag unsere Sinawalis und Tapi-Tapis und waren mittlerweile schon ziemlich schnell damit. Der Arnisverein war der einzige Ort, an dem ich mich nicht abgelehnt fühlte. Wir hatten einen ziemlich guten Trainer und ich hatte bereits einige Gürtelprüfungen abgelegt. Wenn ich fleißig weitertrainierte, dann konnte ich mit achtzehn meinen ersten Meistergrad machen. Ich griff nach dem roten Stock und näherte mich vorsichtig dem Computer. Mit der Spitze des Stockes schob ich die Maus ein wenig über das Mousepad. Der Bildschirmschoner ging zu, aber es war nichts zu sehen, nur ein heller Punkt in der Mitte blinkte unregelmäßig. Ein schauriges Stöhnen klang aus dem Audiosystem. Erschrocken stürzte ich zur Steckdose und versuchte den Stecker heraus zu ziehen. Ein stechender Schmerz fuhr mir in die Hand, es brannte höllisch in meiner Handinnenfläche. »Aua!«, brachte ich nur noch heraus, als ein unangenehmes Kribbeln meinen linken Arm hochsauste. Es schien meine Zunge zu lähmen und mein Gehirn zu fluten, um dann meinen gesamten Körper bis in meine Fußspitzen hinunter auszufüllen. Ich stöhnte leise, zu mehr war ich nicht fähig. Zum Glück verebbte das Gefühl nach ein paar Sekunden wieder. Erschrocken betrachtete ich die Handfläche meiner linken Hand. Dort wo der Funke übergesprungen war, war ein etwa zwei Euro großer, schwarzer, verbrannter Fleck entstanden, genau in der Mitte, da wo die Haut am dünnsten war. Er hatte eine seltsame Form, die ich gar nicht genau beschreiben konnte. Um ihn herum war alles stark gerötet.