Buch lesen: «Nur dämlich, lustlos und extrem?»
PROJEKTGRUPPE
#JUGEND
#MACHT
#POLITIK
NUR DÄMLICH, LUSTLOS UND EXTREM?
WIE JUGEND POLITIK MACHT
Originalausgabe
© 2021 Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin;
prverlag@hirnkost.de; http://www.hirnkost.de/
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage August 2021
Vertrieb für den Buchhandel:
Runge Verlagsauslieferung; msr@rungeva.de
Privatkunden und Mailorder:
Layout: Conny Agel, Regina Vierkant
Lektorat: Klaus Farin, Gabriele Vogel
ISBN:
PRINT: 978-3-948675-93-6
PDF: 978-3-948675-95-0
EPUB: 978-3-948675-94-3
Dieses Buch gibt es auch als E-Book – bei allen Anbietern und für alle Formate.
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DIE AUTOR*INNEN
Dieses Buch entstand im Zusammenhang eines zweisemestrigen Lehrforschungsprojektes unter der Leitung von Prof. Dr. Kurt Möller an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege der Hochschule Esslingen.
Die Autor*innen dieses Buches sind: Sina Beyer, Johanna Feder, Jan Greifelt, Helen Krause, Kurt Möller, Nadine Natterer, Semra Podbicanin, Claudia Schaller, Yannik Steinhart, Pia Zazzarini und Hanna Zinßer.
Inhalt
Vorwort
Jugend MACHT Politik – Kurt Möller
#bunt, laut und kreativ
»›Kapitalismus ist scheiße‹ ist ein bisschen stumpf«
»Man muss halt manchmal einfach die Leute nerven, damit verstanden wird, warum man wütend ist«
»Was ist Deutschland für dich?«
»Wenn man stickert, kann man seiner Meinung einfach Ausdruck verleihen, ohne dass man was dazu sagen muss«
»Ich find, dass Tattoos schon ’ne Form von Politik sind«
»Der Steppenwolf ist eine schöne Beschreibung der Zerrissenheit des modernen Menschen«
»Es ist wichtig, dass man sich für sich und seine Weltvorstellung einsetzt, obwohl es vielleicht gegen den Strich von anderen läuft«
#online
»Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass ich aktiver werden muss, wenn ich die Gesellschaft mit all ihren freiheitlichen Rechten weiter behalten möchte«
»Du hatest jemanden, ohne dass du mit ihm ein Wort ausgetauscht hast«
»Der Einfluss, den man hat, wenn man Politik beobachtet und darüber berichtet, ist größer als in einer Partei«
»Anstatt soziale Medien wie Instagram für […] Selbstdarstellung zu nutzen, können wir die gerade für politische Interessen und Inhalte auch positiv gebrauchen«
#gemeinsam in Bewegung
»Wie lange soll es noch so weitergehen, dass wir unterdrückt werden durch ein paar Hellhäutige?«
»Der beste Weg ist, zu akzeptieren und zu wissen, was meine Privilegien sind, und sie nicht zu leugnen«
»Du wirst als durchschnittlich abgestempelt, als jemand, der sowieso die Schule abbrechen und heiraten wird«
»Ein Stück weit sind Jugendliche da kompetenter als Erwachsene«
»Eine Gesellschaft, wo man nicht für Geld Menschenleben riskiert, nur damit man noch ein paar Jahre gut wirtschaften kann«
»Wir wollen unsere Stadtgesellschaft selbst in die Hand nehmen«
»Veganismus ist die stärkste politische Entscheidung, um was zu ändern«
»Auf jeden Fall sollten alle so weit wie möglich vegan werden«
»Auch wenn es nur ein banaler Spruch war, ist es eine respektlose Grenzüberschreitung«
»Der Schwangerschaftsabbruch dürfte nicht mehr illegal sein, sondern ganz normal geregelt wie alle anderen medizinischen Eingriffe«
»Ich finde nicht, dass die Welt in ’nem kapitalistischen System leben sollte, in dem es Eigentum an Grundsachen wie Nahrung, Wasser oder Sonstigem gibt«
»Wohnungsnot besiegen, Gartenstraße sieben!«
»Wir stehen zusammen, ob vor Gericht, bei der Strafzahlung oder auf der Straße!«
»Ich würde mir wünschen, dass es kein Deutschland mehr gäbe«
»Meine Utopie ist die Anarchie«
#mit Vertrauen ins System?
»Wenn man sich einbringen kann, merkt man, dass man was ändern kann, gerade als junge Person«
»Es ist nur ein Tuch«
»Ich betitele mich selbst immer als realistische Kommunistin«
»Ich bin halt der Politikdude«
»Der Kapitalismus ist eine gute Sache«
»Irgendeinem dabben wir immer auf die Füße«
»Generell halte ich es schon für effektiver, sich in dieses Bürokratenkorsett zu zwingen«
#demokratisch gebildet?
»Ich finde es nicht richtig, dass man Kindern sagt, was sie machen müssen«
»Wenn man was verändern will, ist der erste Schritt, an sich selbst etwas zu verändern«
»Es geht darum, das Übernehmen von Verantwortung zu lernen«
»Es hilft eben auch im kleinen Maß, denen zu helfen, die bei uns im Ort sind«
»Wir sind die letzte Generation, die was ändern kann«
»Es ist wichtig, dass wir uns um Menschen kümmern, die es vielleicht selbst nicht können, weil sie in einer Position sind, in der sie nicht verhandeln können«
»Dass die Arbeitsbedingungen besser und fairer werden«
#mitmischen und mitgestalten
»Es ist mir wichtig, dass ich meinen Teil zur Gesellschaft beitragen kann«
»Keiner kommt her und fragt uns«
»Wir haben es durch den Gemeinderat geschafft, das ist echt cool«
»Durch die Stimme in einem Verein, in einer Partei kann man viel verändern«
»Pfadfinder sein ist für mich grundsätzlich von den Werten her schon politisch«
Vorwort
»Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen« – schon vor über 2.000 Jahren klagte der griechische Philosoph Aristoteles (469–399 v. u. Z.) über seine jungen Zeitgenoss*innen. Auch heute erhebt sich vielfach ähnliches Gejammer über »die Jugend von heute«. Und darüber, wie unpolitisch sie doch eigentlich sei.
Aber was ist wirklich dran an solchen Beschwerden? Sind junge Menschen wirklich nur lustlos, dämlich und extrem? Oder handelt es sich um ein Vorurteil, das so alt ist wie die Menschheitsgeschichte selbst? Muss sich nicht jede Jugend anhören, dass sie nicht mehr das ist, was sie zu Zeiten der Eltern und Großeltern einmal war? Und gibt es die eigentlich Lustlosen und Unverantwortlichen nicht vielleicht sogar besonders zahlreich in der Vorgängergeneration der gegenwärtigen Jugend, also in der Erwachsenenwelt von heute? Ist es nicht eher sie, die sich wohlstandsverwöhnt auf den fetten Jahren des Wirtschaftswunders ausruht nach dem Motto »Nach mir die Sintflut!«?
Spätestens seit Fridays for Future sollte auch den Letzten aufgefallen sein, dass Jugendliche heute alles andere als naiv, träge und unpolitisch sind. Aber wer denkt, dass die politische Beteiligung der Jugend sich ausschließlich auf Fridays for Future beschränkt, hat weit gefehlt!
Wir, Studierende der Sozialen Arbeit und der Frühkindlichen Bildung und Erziehung an der Hochschule Esslingen, haben uns im Verlauf des Jahres 2020 auf die Suche nach den Ausdrucksformen jugendlicher Politik gemacht: auf die Suche nach guten Gesprächen, spannenden Motiven und vermeintlich blindem Aktivismus für die gute Sache. Dazu trafen wir über 70 Interviewpartner*innen aus dem Großraum Stuttgart und ganz Deutschland, die uns persönlich oder digital über ihre Art, Politik zu machen, berichteten. Dabei fanden wir Weltverbesserer*innen, Gemäßigte und weniger Gemäßigte, auf die Straße Geher*innen und kreative Köpfe. Uns begegneten junge Menschen, die Statements auf die Straße kreiden, weil sie allen Umständen zum Trotz ihren Standpunkt vertreten … Songtexte schreiben, weil sie es nicht ertragen, nur auszusprechen, was sie umtreibt … sich in Gremien und Parteien engagieren, weil sie die Hoffnung auf Mitwirkung im gegebenen politischen System nicht verloren haben … oder ihre Faust in der Tasche ballen, weil ihre Wut so groß ist.
Mit diesem Buch nehmen wir dich, liebe*r Leser*in, mit in die gegenwärtige politische Welt von Jugendlichen. Sie begreifen sich selbst sehr wohl als Teil dieser Gesellschaft, sie wollen und können nicht auf ein Morgen warten, das sich von selbst einstellt. Wir zeigen, warum und wie sie ihren Teil dazu beitragen, dass diese eine gute, ja sogar eine bessere Gesellschaft werden kann … warum und wie sie politisch aktiv sind, selbst wenn sie manchmal ihr Engagement selbst gar nicht als politisches bezeichnen … warum und wie sie sich für eine Gesellschaft einsetzen, für die es sich lohnt, den Mund aufzumachen, den Stift oder die Spraydose anzusetzen und auf die Straße zu gehen.
Wir durften vieles hören, vieles sehen und vieles erleben. Viel Neues entdecken und vieles dazulernen: Unterschiedliche junge Menschen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen mit unterschiedlichen Gedanken und unterschiedlichen Formen des politischen Ausdrucks. Dafür möchten wir uns bei allen Mitwirkenden an diesem Buch bedanken. Und dafür, dass sie uns die Gelegenheit gegeben haben, Jugend zu zeigen, wie sie wirklich ist: vielfältig und divers, interessiert und engagiert. Aber vor allem eines nicht: mit wenigen Worten zu beschreiben. Statt auf jahrhundertealte Vorurteile über die »Jugend von heute« reinzufallen, mach dir lieber dein eigenes Bild: Blättere in diesem Buch! Lies, was dir unsere Gesprächspartner*innen zu erzählen haben! Und vielleicht entdeckst du ja, dass du politischer bist, als du bisher gedacht hast!
Esslingen, im Januar 2021
Projektgruppe #Jugend #Macht #Politik
Kurt Möller
»Wenn jeder denken würde: Wenn ich was mache, dann bringt das was – dann würde die Welt ja ganz anders aussehen«1
Jugend MACHT Politik
Nein, dass der Untertitel dieses Artikels doppeldeutig daherkommt, ist kein Zufall. Er signalisiert zweierlei: Zum Ersten steckt er das Thema grob ab. Es geht im Folgenden darum, wie junge Menschen Politik betreiben. Zum Zweiten lässt er deutlich hervortreten, dass Fragen der Macht im Mittelpunkt stehen, wenn hier die Bestimmung des Verhältnisses von Jugend und Politik zum Gegenstand gemacht wird.
Für alle Begriffe des Untertitels scheint zunächst eine definitorische Klärung angebracht zu sein, bevor wir auf das eingehen, was wir empirisch über politisches Interessiertsein und politisches Handeln von jungen Menschen wissen, um danach auf dieser Grundlage abschließend wenigstens ganz knapp Perspektiven aufzuzeigen, wie einschlägige Aktivität(sbereitschaft)en gesellschaftlich gefördert werden können, um politische Teilhabechancen und Demokratie auf Dauer sichern, ausbauen und weiterentwickeln zu können.
JUGEND, MACHT, POLITIK – DEFINITORISCHE KLÄRUNGEN
JUGEND
Werden in jüngerer Zeit die Relationen von Jugend und Politik öffentlich erörtert, dann stehen sich zumeist zwei Positionen diametral gegenüber: Die einen lamentieren über die angeblich so unpolitische Jugend von heute – zumeist mit einem nicht ganz uneitlen Verweis darauf, dass dies ja in der eigenen Jugend alles ganz anders gewesen sei. Die anderen singen das hohe Lied breiten jugendlichen Engagements oder betonen zumindest das große politische Interesse in der nachwachsenden Generation.
Das Problem an beiden Positionen scheinen die Pauschalisierungen zu sein, die oftmals mitschwingen, wenn undifferenziert von der Jugend oder der jungen Generation die Rede ist. Die Jugend aber gibt es eben nicht – dies weiß die Jugendforschung mindestens seit Ende der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie unterstreicht dieses Wissen aber in jüngerer Zeit mit Verweisen auf zunehmende Individualisierung und Pluralisierung zu Recht immer häufiger. Jugend ist mannigfaltig und divers, sodass sich knapp formulieren lässt: Jugendliche gibt es, aber nicht die Jugend.
Selbst wer zur Gruppierung der Jugendlichen zu zählen ist, wird seit Längerem jedoch in wachsendem Maße unklar: Dass es nicht nur die 14- bis 18-Jährigen sind, die diese Altersgruppierung bilden, lässt sich allein schon daran erkennen, dass die Adressat*innen der Jugendhilfe laut ihren gesetzlichen Grundlagen bis zu 27 Jahre alt sein können und sogar noch viele Menschen im vierten Lebensjahrzehnt sich in vergleichbaren Lebenslagen befinden oder einen jugendlichen Lebensstil pflegen: z. B. eine (Zweit-)Ausbildung durchlaufen, keinem sozialversicherungspflichtigen »Normalarbeitsverhältnis« nachgehen, (noch) keine Kinder haben, kulturelle Vorlieben pflegen, die denen der Jüngeren gleichen usw. Für jede*n sichtbar dehnt sich auf der anderen Seite die Jugendphase auch »nach unten« hin aus: Wer rechtlich gesehen noch ein Kind ist, zeigt vielfach schon jugendtypische Verhaltensweisen: kleidet sich wie die Älteren, hört »ihre« Musik, nutzt dieselben Medien und geriert sich auch sonst oftmals wie sie. Insofern gibt es ebenso wenig die Jugendlichen wie die Jugend.
Folglich ist die Frage, ob die Jugend oder die Jugendlichen heute politischer, weniger politisch oder genauso politisch sind wie vorherige Jugendgenerationen, falsch gestellt. Sie ist in dieser Pauschalität gar nicht seriös zu beantworten.
Chancen auf verlässlichere Antworten ergeben sich wohl erst dann, wenn unter dem Schlagwort »Jugend« auf diejenigen geblendet wird, die sich zum einen in einer Lebensphase und -lage befinden, die als jugendlich gelten kann, also noch nicht die Insignien des Erwachsenseins aufweist, und die sich vor allem auch selbst als Jugendliche verstehen, und die zum anderen diese Lebensphase in durchaus unterschiedlichen Milieus und dementsprechend auch mit unterschiedlichen Chancen, Wertorientierungen und Haltungsbeständen durchlaufen.
POLITIK
»Politik ist ein schmutziges Geschäft«, »Politik wird in Parteien und Parlamenten gemacht«, »Politik ist alles, was nicht in deiner Wohnung passiert«, »Politik ›von unten‹ findet als Protest auf der Straße statt« – bereits diese kleine Auswahl von formelhaften Verständnissen von dem, was mit dem Begriff »Politik« gemeint sein kann, zeigt auf: Eine auch nur einigermaßen gesamtgesellschaftlich geteilte Definition von »Politik« kann wohl nicht angenommen werden. Mehr noch: »Das Private ist politisch.« Das, was dieser vor allem in der Frauenbewegung verbreitete Slogan ausdrückt, macht die Sache noch komplizierter. Er reißt die Auffassung ein, es ließe sich zwischen einer öffentlichen Sphäre der Politik und einer der Privatheit trennen.
Was nun? Vielleicht führt es weiter, einer Unterscheidung zu folgen, die in der Politikwissenschaft praktiziert wird: der zwischen »Politik« und dem »Politischen«. Bezeichnet »Politik« das gesellschaftliche Funktionssystem aus Parteien, anderen Organisationen, Parlament und Regierung, das letztlich einen Staat ausmacht, so zielt der Begriff des »Politischen« auf die politische Dimension des sozialen Mit-, Neben- und Gegeneinanders – auch im Alltag.
Wenn wir nun mit diesem Beitrag gerade auf das Verhältnis von Jugend und Politik blenden, dann erscheint ein enger Politikbegriff wenig angebracht: Im gesellschaftlichen Funktionssystem spielen Jugendliche kaum eine Rolle. Es ist in erheblichem Maße erwachsenendominiert. Zwar beziehen sich auch Jugendliche auf dieses System, etwa dann, wenn sie die Regierungen und Volksvertretungen dafür kritisieren, zu wenig gegen die drohende Klimakatastrophe oder rassistische Tendenzen in der Gesellschaft insgesamt und in staatlichen Behörden im Besonderen zu unternehmen. Selbst unmittelbar aktiv darin sind sie aber nur in wenigen Fällen; dies nicht nur, weil Jugendliche etablierte Positionen an den »Schalthebeln der Macht« noch nicht erreicht haben, sondern allein schon deshalb, weil das aktive und passive Wahlrecht dem einen Riegel vorschiebt. Aber auch ungeachtet dessen dürfte der Löwenanteil an politisch relevanten Erfahrungen von (jungen) Menschen in den Lebensvollzügen des Alltags gesammelt werden: beim (Nicht-) Mitbestimmenkönnen in Kita, Schule und Berufsausbildung, beim Agieren in Vereinen und Jugendarbeit, bei der Kommunikation auf Onlineplattformen; bei der Regelung von familiären Konflikten und Auseinandersetzungen zwischen Peers, beim Leben in Jugendkulturen sowie auf öffentlichen Straßen und Plätzen etc. Erst recht dort, wo es um Politik geht, die junge Menschen selbst betreiben, ist von Sphären wie den zuletzt genannten gar nicht abzusehen.
Und doch macht es wenig Sinn, sich angesichts dieser Breite der Erscheinungsweisen des Politischen in die Aussage zu flüchten: Letztlich ist alles politisch. Damit würde der Begriff des Politischen grenzenlos verwässert. Eine Alternative zu derartiger begrifflicher Ausuferung ist in Anknüpfung an das folgende Politikverständnis in Aussicht: Lässt sich Politik knapp als die Gesamtheit der Aktivitäten und Strukturen verstehen, die auf die Herstellung, Durchsetzung und Infragestellung von kollektiv verbindlichen Regelungen öffentlicher Belange ausgerichtet sind (vgl. auch Bundesministerium 2020), so ist das Politische als das begreifbar, was einerseits als Auswirkungen dieser Regelungen und Regelungsprozesse in den (alltäglichen) Lebensvollzügen der Menschen zutage tritt und was andererseits in ihren Impulsen zu kollektiv angestrebten Neuregelungen und neuen Thematisierungen besteht. Es handelt sich mithin um das Betroffensein von politischen Verhältnissen, etwa in Form von sozialer Ungleichheit, Lasten klimaschädlicher Produktion, Ungerechtigkeiten der Reichtumsverteilung, institutionellen Diskriminierungen etc., aber auch um die Entwicklung von Widerstand, Gegenwehr und überhaupt um Interessen, öffentlich relevante Sachverhalte mit zu beeinflussen.
Zugleich stellt sich mit einer solchen Feststellung auch die Frage nach Macht: nach dem Ausgesetztsein von Machtausübung, aus dem Betroffensein resultiert, genauso wie nach der Potenzialität machtvollen Mitmischens.
MACHT
Ohne an dieser Stelle terminologische Spitzfindigkeiten diskutieren zu wollen und zu müssen, lässt sich Macht zunächst, anknüpfend an die im deutschsprachigen Raum wohl gängigste Definition, nämlich die von Max Weber (1922/1985), begreifen als »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht« (1985, 28). Wo solche Macht institutionalisiert ist, tritt sie als Herrschaft in Erscheinung, dies mit dem Anspruch, »Gehorsam zu finden« – entweder weil der Legalität des Anweisungsrechts geglaubt wird, weil Traditionen sie als legitim erscheinen lassen oder weil das Charisma der Herrschenden Folgsamkeit bewirkt. Ob derart herrschaftliche Macht verkrustet und irreversibel erscheint oder nicht, in jedem Fall gilt: »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand« (Foucault 1977, 96). Macht schränkt, so gesehen, nicht nur Handlungsmöglichkeiten ein, sondern initiiert unter Umständen auch neues Handlungsvermögen und/oder liegt gar in diesem Vermögen.
Diese positive Bedeutungszuweisung kann nicht nur an der etymologischen Herkunft des Begriffs andocken (»magh« <indogermanisch> = können, vermögen, fähig sein bzw. »magan« <gotisch> = können, vermögen, machen). Sie wird auch von Hannah Arendt verfolgt, wenn sie formuliert: »Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln« (Arendt 2000, 45).
Politik als das Feld der Regelungen und der Diskussion öffentlicher Belange wird also von kollektiv organisierten Machtaushandlungen und -kämpfen durchdrungen. Das Verhältnis von Jugend zu Politik und zum Politischen stellt sich damit als Frage der Positionierung zu fremder und eigener Handlungsmacht dar. Indem Jugendliche Politik machen, arbeiten sie sich an Machtstrukturen der Gesellschaft, in die sie hineinwachsen, ab und kreieren zugleich eigenes Handlungsvermögen.