Welle 1 - 8

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Welle 1 - 8
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Kurt Baldauf

Welle 1 - 8

La Isla que no es

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Welle 1 - 8

WELLE I

WELLE II

WELLE III

WELLE IV

WELLE V

WELLE VI

Welle VII

Welle VIII

Impressum neobooks

Welle 1 - 8

Kurt Baldauf

® kurt.baldauf@gmx.ch

WELLE I
1

Jacko stand zwischen Touristen und Geschäftsleuten, die mit anscheinend klarem Ziel in verschiedene Richtungen verschwanden oder auf ihr Gepäck warteten.

Sein Flug war vor wenigen Minuten in Südafrika gelandet und er hatte noch beim Anflug versucht, nicht zu erwarten, dass er Amy am Flughafen wiedersehen würde. Obwohl er ihr seine Ankunftsdaten geschickt hatte, kam sie in der Planung dieses mehrmonatigen Afrika-Abenteuers höchstens in seinen Träumen vor und seine Projekte würden auch ohne Amy funktionieren.

Trotzdem war er von der gegenwärtigen Situation überfordert.

Eigentlich gab es für Jacko genug andere Gründe, nach Afrika zu fliegen. Aber Amy war einer der Leitsterne gewesen und er hatte damit gerechnet, sie Heute wiederzusehen. Das wurde ihm soeben schmerzhaft bewusst, weil dieser Stern gerade verglühte und noch dazu drohte, alle anderen Sterne mitzureissen.

Plötzlich verschwanden Geräusche und Stimmen im Hintergrund und wurden von einem Rauschen in seinem Kopf übertönt, das ihn schwindlig machte.

*

Seit sie sich vor einem halben Jahr kennen gelernt hatten, war kein Tag vergangen, ohne dass er an sie dachte. Das war absurd, denn Amy hatte auf keinen seiner Briefe geantwortet. Wieso auch? Schliesslich hatten sie noch Gestern mehr als zwölftausend Kilometer voneinander getrennt und es war unwahrscheinlich, dass sie sich jemals wiedersehen würden. Das war eigentlich schon in Spanien klar gewesen, als sie am Ende einer 2200 Kilometer langen Wanderung zusammen auf einer Klippe standen und beobachteten, wie sich weit unten zwei grosse Meeresströmungen in einer Schaumkrone vereinten, die bis zum Horizont reichte.

Amy und Jacko waren damals am Ende einer dreimonatigen Wanderung angelangt und sie standen auf einer Klippe in Galizien, die einmal das ‚Ende der Welt‘ gewesen war.

Ohne sich unterwegs zu begegnen, hatte jeder auf seinen eigenen Wegen viele Wochen und Monate auf diesen Moment gewartet und auf oft einsamen Kilometern hart gekämpft, um dieses endgültige Ziel zu erreichen. Erst auf den letzten Kilometern der Wanderung waren sie zum ersten Mal aufeinander getroffen, aber sie sahen gemeinsam, wie die Wellen des Atlantiks in der rotglühende Sonne brachen, die in diesem Moment hinter den Ausläufern des Caps versank.

Es gab damals für beide mehr als genug Gründe zum Feiern und sie feierten zusammen. Ein halbes Jahr später war Jacko in Südafrika und an einem anderen ‚Ende der Welt‘. Obwohl er erneut eine lange Reise hinter sich hatte, gab es diesmal aber wenig Gründe zum Feiern.

‚Ich sollte sie besser vergessen‚‘ sagte er sich, nicht zum ersten Mal, aber diesmal ernsthaft.

*

Jacko hatte früh in seinem Leben begonnen, alle möglichen Grenzen auszutesten. Oft genug hatte er diese auch überschritten. In negativen, wie auch in positiven Bereichen und er fragte sich gerade, ob das hier und jetzt auch wieder eine solche Grenzerfahrung war.

Er hatte schon immer versucht, herauszufinden, ob es etwas Namenloses gab, das hinter allen ihm bekannten Grenzen lag und er war davon überzeugt, dass sich jeder seiner Träume erfüllen konnte, wenn er an ihn glaubte und wenn er bereit war, dafür zu kämpfen. Spätestens seit jener Riesenwanderung war ihm kein Ziel mehr zu weit und kein Traum zu fantastisch.

Afrika war einer dieser Träume. Bereits vor vielen Jahren zum ersten Mal geträumte, hatte er diesmal ohne zu Zögern seine sichere Anstellung gekündigt und alle seine Kräfte auf das Ziel Südafrika konzentriert.

Auf das ‚Kap der Guten Hoffnung‘, am Ende eines vermeintlich paradiesischen Landes und am Ende eines riesigen Kontinents. Auf Südafrika, das Land von so vielen überragenden Persönlichkeiten und nicht zuletzt natürlich : Amys Land.

*

Jacko setzte sich auf eine Bank vor dem Flughafengebäude von Kapstadt und rauchte die erste Zigarette seit Istanbul. Erst danach versuchte er, sich der momentan nicht sehr erfreulichen, aber deshalb nicht weniger spannenden Realität zu stellen.

Das Rauschen in seinem Kopf blieb und er stellte sich vor, dass es die nächste Welle war, die ihn aus der nicht gerade erfreulichen Lage heraustragen würde. Die Welle war unterwegs. Er hörte sie ja bereits und sie würde auch kommen.

In ein paar Minuten oder Stunden. Vielleicht auch erst in Tagen oder Wochen. Aber irgendwann ganz sicher. Davon war Jacko nach wie vor überzeugt.

Mit oder ohne Amy.

Die Welle würde kommen.

2

Die Ereignisse liessen ihm keine Zeit, weiter über Wellen, Romantik und Vernunft nachzudenken, denn als Erstes musste er von diesem Flughafen weg.

Es schien hier keinen öffentlichen Verkehr zu geben und nachdem er endlich ein Taxi gefunden hatte, vielen ihm schon auf der Fahrt nach Kapstadt die vielen Portraits von Nelson Mandela auf. Das war womöglich normal für dieses Land, aber im Empfangszimmer des Hotels, das ihm der Taxifahrer empfohlen hatte, las er die immer gleiche Schlagzeile mehrerer, an der Rezeption aufliegender Tageszeitungen:

‚Madiba – Heute gestorben.‘

Das Rauschen in seinem Kopf wich endlich einer konzentrierten Klarheit.

Vor einem halben Jahr und während Jackos letzten Tagen vor ‚Fisterra‘ war Nelson Mandela ins Spital eingeliefert worden und Jacko wusste schon damals, das dieses Leben nur noch an Maschinen hing, aber eigentlich zu Ende war.

Der Gedanke an Nelson Mandela liess ihn damals den ganzen Tag nicht los und stundenlang wandern, obwohl sein Körper den roten Bereich längst überschritten hatte. Amy, die er an diesem Tag zum ersten Mal sah, wollte damals so schnell wie möglich nach Fisterra‚ und dann zurück nach Kapstadt, um den offiziellen Todestag nicht zu verpassen. Jacko hatte ein halbes Jahr gebraucht, um nach Südafrika zu kommen und war trotzdem keinen Tag zu spät, obwohl ihn der künstliche Todestag des einzigartigen Politikers und Todestage im Allgemeinen nicht sonderlich interessierten.

*

Nachdem er sich in seinem Hotelzimmer eingerichtet hatte, verabschiedete er sich an der Rezeption, um einen Spaziergang zu machen. Die Angestellte, der er seinen Zimmerschlüssel übergab, warnte ihn beim Verlassen des Hotels:

„Be carefull,“

Was meinte sie damit? Es war heller Tag. Trotzdem nahm er den Hinweis ernst und war vorsichtig. Auch während den nächsten drei Tagen, die keine Besserung seiner Situation brachten. Im Gegenteil: einfachste Dinge wurden an diesem fremden Ort zu anstrengenden Problemen und Jacko hatte das Gefühl, alles falsch zu machen.

Als Erstes wurde ihm klar, wie schlecht seine aktuellen Englischkenntnisse waren und das sie kaum ausreichten, um sich auf einem fremden Kontinent, zu seinem ersten Auftrag auf einer 500 Kilometer entfernten Farm durchzuschlagen. Einer Farm, die sich noch dazu irgendwo in der ‚Kleen-Karoo-Halbwüste‘ befand. Die Lage erschwerend funktionierte sein Telefon nicht, weil sein Netzanbieter anscheinend irgendein Problem mit der Telefongesellschaft hatte, die hier in Südafrika den Markt beherrschte.

Das wäre nicht so schlimm gewesen, denn es gab überall öffentliche Telefonautomaten. Diesen sah man allerdings schon von Weitem an, dass sie Überbleibsel einer vergangenen Zeit und längst ausser Betrieb waren.

All diese Gründe verhinderten, dass er auf der gesuchten Farm anrufen und sich für die nächsten Tage ankündigen konnte.

‚Hatte er sich doch übernommen? Hatten die warnenden, manchmal auch spottenden Stimmen Zuhause doch recht gehabt?‘

Zweifel, die sonst höchstens während einer schlaflosen Nachtstunde auftauchten, am Morgen aber wieder verschwunden waren, hielten nun schon seit Tagen an.

Trotzdem und obwohl alles dagegen sprach, weigerte er sich, Amy abzuschreiben. Daran würde auch der Gehörsturz, den er am Flughafen erlitten hatte, nichts ändern. Zudem hatte er Zeit und versuchte, so gut wie möglich, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im Moment war Jacko allerdings etwas orientierungslos.

 

Obwohl er Amys Adresse in Kapstadt kannte, musste er hier weg, ohne weiter nach ihr zu suchen. Das wurde ihm klar, während er am dritten Tag von seinem Hotelzimmer aus das riesige Porträt von Nelson Mandela studierte, das an einer gegenüberliegenden Hausfassade hing.

‚Der würde ihm bestimmt helfen. - Auch in Liebesangelegenheiten.‘

Aber Nelson Mandela war soeben gestorben.

3

Am nächsten Morgen gelang es ihm, gleich das erste Gemeinschafts-Taxi anzuhalten, das mit vorwiegend farbigen Fahrgästen in Richtung Innenstadt unterwegs war. Als er nach dem Bahnhof fragte, bedeutete man ihm einzusteigen. Froh darüber, dass endlich mal wieder etwas auf Anhieb funktionierte, setzte Jacko sich auf einen freien Sitzplatz und quetschte sein Gepäck zwischen die Beine.

Der Start in den neuen Tag war damit geglückt und der Entscheid, diese Stadt zu verlassen, musste somit richtig sein.

Bereits am ersten Bahnhofsschalter, an dem er sich nach dem Ort erkundigte, in dessen Nähe die gesuchte Farm sich befand, ging es jedoch mit Problemen weiter. Niemand schien das Städtchen zu kennen, nachdem er suchte.

„Hast du Geld?“ fragte die Frau am Schalter.

Sah er aus wie jemand der kein Geld hatte, oder war das eine allgemeine Frage?

„Wenn du Geld hast, gehst du am besten dort hinten die Treppe hoch aufs Bahnhofsdach. Da gibt es Taxis. Frag einfach, welches in deine Richtung fährt.“

Weiter konnte oder wollte ihm hier niemand helfen.

Von diesem Dach hatte er schon Zuhause gehört: ‚Wer das einzige, noch ursprünglich erhaltene Afrika in Kapstadt erleben wolle, müsse das Dach des Zentralbahnhofs mit seinen malerischen Marktständen unbedingt besuchen,‘ hatte es in seinen Reisebüchern geheissen. Von Erkundigungen nach Sonnenuntergang wurde jedoch wegen der hohen Kriminalität abgeraten. Jacko hatte sich damals vorgenommen, diesen Ort zu besuchen. Deshalb war es eigentlich ganz in Ordnung, dass er jetzt hier war, obwohl er keine Ahnung hatte, wie es vom Bahnhofsdach aus weitergehen würde.

Glücklicherweise war es noch früher Morgen und vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man ihm nicht ansah, dass er Geld hatte. Ausserdem war er nicht als fotoknipsender Tourist hier. Er wollte so schnell wie möglich weiter und erkundigte sich beim ersten Schwarzen, der ihm schon auf der Treppe zum Dach begegnete, nach einer Fahrgelegenheit.

Auf der Karte, die Jacko Zuhause noch schnell kopiert hatte, konnte der junge Mann wenigstens die Region erkennen, in der das Städtchen ‚Ladismith‘ und die gesuchte Farm liegen mussten.

„Okay. Ich habe einen Freund auf dem Dach, der dir weiterhelfen kann,“ grinste der Schwarze und erst jetzt erkannte Jacko, dass der junge Mann keine Vorderzähne mehr hatte. Das war Jacko egal, denn der Junge hatte einen Freund, der helfen konnte und Jacko wollte auf jeden Fall Heute weiterreisen. Von diesem Freund, der mit seinem Megafonlautsprecher nicht zu überhören war, erhielten sie die Telefonnummer eines weiteren Freundes. Nur half das nicht weiter, denn das nächste Problem war eines, das Jacko bereits kannte und den Schwarzen zum Strahlen brachte:

„Was? Dein Telefon funktioniert nicht? Zeig mal. ...Oh, ein Galaxy. Ich habe einen Freund, der es kurzschliessen kann. Dann kannst du in die ganze Welt telefonieren. Gib mir dein Phone. Das geht ganz schnell.“

Auf keinen Fall würde Jacko sein Telefon aus der Hand geben, obwohl es im Moment nicht funktionierte. Also mussten sie wieder zurück, in die Bahnhofshalle. Die Telefonzellen waren allerdings auch hier ausser Betrieb.

Der Junge klaubte eine verklemmte Münze aus einem der Automaten.

„Wir müssen ‚Air-Time‘ kaufen,“ meinte er dazu.

‚Air-Time‘ nennt man hier das Prepaid-Guthaben. Wenigstens habe ich bereits etwas gelernt,‘ dachte Jacko und sie kauften Air-Time. Danach lieh ihnen ein Sicherheitsbeamter, der offensichtlich auch ein Freund des Jungen war, sein Telefon. Leider erhielten sie aber nur die Auskunft, dass der Minibus nach ‚Ladismith‘ bereits ausgebucht sei. Zurück auf dem Dach meinte der junge Mann, er müsse jetzt weiter:

„Familienangelegenheiten, aber der Megafonmann, wird sich um dich kümmern.“ Jacko gab ihm zum Dank für seine Hilfe etwas Geld und merkte sofort, dass er soeben einen idiotischen Fehler gemacht hatte. Der Schwarze schaute ihn mit grossen Augen an und bat sofort um mehr Geld. Von seinem ersten Fehler total verwirrt, ging Jacko auch darauf noch ein.

Wenigstens war der Megafonmann jetzt sehr freundlich und versprach, ihm weiterzuhelfen: „Ich habe viele Freunde hier, setz dich in den Schatten. Ich komme gleich zurück.“

Mit diesen Worten spazierte der Typ weiter und quakte irgendwelche Ortschafsnahmen durch das Megafon oder lies, wenn er eine schöne Frau sah, auch mal einen freudigen Ausruf weit herum schallen.

Jacko setzte sich zu einigen Farbigen in den Schatten einer der vielen Bushaltestellen. Unter ihnen war auch eine uniformierte Beamtin, die ihm vorübergehend die Sicherheit gab, hier oben nicht ganz falsch zu sein.

Wie die Reiseführer versprochen hatten, war es tatsächlich sehr spannend auf dem Bahnhofsdach. Unzählige Minibusse kamen an oder verliessen die Plattform wieder, nachdem ihre Kundschaft ein- oder ausgestiegen war. Viele Schwarze, Inder, Farbige und auch einige Weisse strömten aus allen und in alle Richtungen oder verschwanden irgendwo zwischen den Marktständen. Zusätzlich war die Aussicht auf den nahen ‚Table Mountain‘, eines der Wahrzeichen Kapstadts, von hier oben und bei dem vorherrschenden Sonnenschein, besonders eindrücklich. Der Megafonmann tauchte immer mal wieder auf und teilte ihm mit, das bald ein Bus kommen würde: „Keine Sorge - Don’t worry. Ich kümmere mich um dich.“

Das tönte beruhigend und Jacko beobachtete weiter die hektische, aber nie unkontrolliert wirkende Geschäftigkeit. Die ersten zwei Stunden waren bereits vergangen, als er zum ersten Mal auf die Uhr schaute.

Obwohl er im kühlen Schatten sass, wäre ein Bier trotzdem nicht schlecht gewesen und zur Toilette musste er inzwischen auch. Also erkundigte er sich bei seinem neuen Freund, der vor der Treppe mit Bekannten diskutierte, ob es möglich sei, das Dach schnell zu verlassen.

„Kein Problem. Deinen Rucksack kannst du hierlassen,“ meinte der Megafonmann. „Keine Sorge. Ich passe auf ihn auf... .“

Das dann doch nicht, fand Jacko und eine Toilette war schnell gefunden. Bier gab es allerdings im ganzen Bahnhof nicht und er stieg wieder aufs Dach, um zu schauen, was mit dem Bus los war. Nichts war los, aber ein Bier könne er ihm natürlich besorgen, meinte der Megafonmann: „ No Problem. Gib mir Geld.“

Was blieb Jacko anderes übrig und der Farbige verschwand wieder in der Menschenmenge. Zwischendurch war sein Megafon aus verschiedenen Richtungen zu hören und verriet, dass er noch in der Nähe war. Als Jacko nach weiteren zwei Stunden langsam unruhig wurde und immer noch nichts zu Trinken hatte, riss ihm die Geduld. Während er den Megafonmann zur Rede stellen wollte, tauchte genau im richtigen Moment ein weiterer Farbiger mit dem bestellten Bier auf.

„Afrika,“ sagte sich Jacko und genoss sein Bier möglichst versteckt, weil es in Südafrika verboten ist, ausserhalb von Bars und Restaurants Alkohol zu trinken.

‚Ob der Megafonmann seine Bierflasche aus diesem Grund in einem Zug geleert hatte?‘

4

Wenigstens war Jacko jetzt wieder entspannter, was sich aber erneut änderte, nachdem er mit drei Afrikanern ins Gespräch gekommen war. „Sei vorsichtig hier oben, Jacko,“ warnten sie ihn. „Manchmal steigen Leute in ein Taxi, das sie dann an den Stadtrand transportiert, wo man sie ausraubt und kurzerhand umbringt.“

Zu diesen Worten spritzte der Wortführer der drei Männer die ersten Tropfen der Mineralwasserflasche, die er soeben geöffnet hatte, auf den Asphalt.

Es sah wie eine Opfergabe aus.

Das war nun wirklich beunruhigend und Jacko nahm sich einmal mehr vor, wachsam zu bleiben. Nur gelang ihm das Heute schlecht und er liess den Dingen ihren Lauf. Nach sieben Stunden wurde es ihm dann doch zu viel und er versuchte endlich, sich eine andere Fahrgelegenheit zu organisieren. Leider ohne Erfolg und als er auf das Bahnhofsdach zurückkehrte, fragte ihn der Megafonmann beunruhigt, wo er gewesen sei.

„Wo ist der Bus?“ fragte Jacko zurück und merkte, dass er langsam wütend wurde.

„No, no, no problem, der Bus kommt um vier Uhr,“ antwortete der Schwarze und ruderte dazu mit den Armen.

Jacko war inzwischen schon froh, wenigstens eine Zeitangabe zu haben und nahm sich vor, auf keinen Fall alleine in einen Bus zu steigen. Um vier Uhr war noch kein Taxi da und auf dem Dach befanden sich immer weniger Menschen.

„Was machst denn du immer noch hier?“ Das war die Sicherheitsbeamtin, die er schon am Morgen im Schatten angetroffen hatte. Sie trat zu ihm und warnte ausdrücklich: „Steig auf keinen Fall nach fünf Uhr in irgendein Fahrzeug. Das ist zu gefährlich. Besser, du schläfst auf der Polizeistation.“

Darauf hatte Jacko nun wirklich keine Lust, obwohl es gleich fünf Uhr sein musste.

Er wollte weiter. Erst recht, nachdem er so lange gewartet hatte.

„Der Bus müsse jeden Moment kommen,“ vertröstete ihn der Megafonmann erneut und winkte ab, denn er führte gerade ein anscheinend wichtiges Telefongespräch. Das taten allerdings alle hier. Jedenfalls diejenigen, die ein Telefon hatten und das waren fast alle. Die Augen des Schwarzen waren inzwischen blutunterlaufen und leuchteten rot in der soeben untergehenden Sonne. Dass die Sonne unterging, war wegen der Hitze eigentlich angenehm, aber Jacko fühlte, dass es jetzt langsam wirklich gefährlich wurde.

*

Endlich traf der Bus ein. Es war allerdings eines der ältesten Modelle, die Jacko heute gesehen hatte und die zwei Fahrer mussten als Erstes einen platten Reifen am Anhänger wechseln. Die Zwei sahen müde und nicht sehr fröhlich aus. Unterdessen verging viel Zeit und es sah nicht so aus, wie wenn es gleich weitergehen würde, denn die Fahrer waren inzwischen verschwunden, um irgendwelche dringenden Dinge zu erledigen. Wenigstens war Jacko nicht mehr ihr einziger Kunde und konnte sich mit einer indischen Familie unterhalten, die mit ihm reisen würde. Trotzdem verlor er langsam die Nerven und als es um acht Uhr endlich losgehen sollte, stieg er als Erster in den Kleinbus.

Nur ging es nicht los.

Die indische Familie hing noch an ihren Telefonen, und es war nicht klar, ob und wie es jetzt weitergehen würde.

„Okay, wir kommen nicht mit dir,“ meinte der Vater der Familie plötzlich.

„Was? Warum nicht?“ wollte Jacko wissen. „Wir mussten unsere Pläne ändern, aber keine Angst, die Fahrer sind unsere Freunde. Bleib sitzen und entspann dich.“

Der Megafonmann meinte auch, er solle ruhig bleiben:

„Don’t worry, my Friend. Wir passen auf dich auf.“

Davon war Jacko überzeugt, aber nicht weil hier alle Freunde waren. Es war jetzt sowieso zu spät, denn einige Sekunden später ging es tatsächlich los und er sass alleine mit den Fahrern im Bus.

Das war genau die Situation, die er versucht hatte zu vermeiden und Jacko war schlagartig hellwach.

Die Stimmung im Bus war angespannt und als es auch noch in das riesige Township von Kapstadt hineinging, packte Jacko endgültig eine Angst, wie er sie seit Jahren nicht mehr gefühlte hatte. Zu oft hatte man ihn gewarnt, dass man sich als Weisser nicht alleine in Townships aufhalten sollte. Schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit und er erinnerte sich an die Warnungen der drei Afrikaner von heute Nachmittag.

Einer der Fahrer informierte ihn, dass unterwegs weitere Fahrgäste zusteigen würden. „Hier in den Townships?“ wollte Jacko wissen.

„Wo denn sonst,“ die Blicke der Fahrer straften ihn mit einem Ausdruck, der bedeutete, dass er anscheinend keine Ahnung von Afrika hatte.

Dafür hatte er Angst. Nachdem ihn ein Stossgebet auch nicht beruhigte, versuchte Jacko die Situation möglichst klar einzuschätzen: Mit den Fahrern würde er fertig werden, falls die ein krummes Ding planten. Das waren alte Männer und sie machten zudem einen leicht betrunkenen oder zumindest sehr müden Eindruck.

 

Aber wo würden sie ihn hinbringen und wer, oder was würde ihn dort erwarten?

„Don't worry, be happy,“ grinste der einer von ihnen erneut nach hinten und schüttete dazu ein undefinierbares Pulver aus einem Briefumschlag in seine Trinkflasche.

Die Minuten wurden unendlich lange für Jacko, der längst keine Ahnung mehr hatte, in welchem Teil von Kapstadt sie sich befanden. Nach einer halben Stunde fuhren sie an eine Tankstelle, wo man von ihm das Fahrgeld verlangte, um Benzin tanken zu können.

‚Besser er stieg hier aus,‘ zuckte es wie ein Blitz durch seinen Kopf.

‚Nachts im Township? - Auf keinen Fall.‘

Soviel wusste inzwischen auch Jacko von Südafrika.

Als sie schon fast fertig getankt hatten, trat ein Mann mit einer jungen Frau, die wohl seine Tochter war, zum Bus und verhandelte mit einem der Fahrer. Als sich die beiden einig waren, stieg das Mädchen ein. Sie setzte sich neben Jacko und alles schien ganz normal zu sein. Jacko fiel ein Stein vom Herzen, denn jetzt war er wenigstens nicht mehr der einzige Fahrgast. Danach fuhren sie so schnell, wie es der klapprige Bus zuliess, durch die afrikanische Nacht. Er wusste nicht, wann sie ankommen würden und von den Fahrern erhielt er keine eindeutige Antwort, weil sie es womöglich selber nicht wussten. Die waren beide sehr müde und weil sie seine Unruhe natürlich bemerkt hatten, womöglich auch noch beleidigt.

„Mach dir keine Sorgen. Wir kümmern uns um dich und werden dir helfen, in ‚Ladismith‘ ein Hotel zu finden,“ waren die letzten Worte gewesen, die er mit ihnen wechselte.

Inzwischen war es elf Uhr und stockdunkle Nacht. Eine Zeit, in der man in Südafrika auch als Schwarzer besser nicht mehr alleine unterwegs war.

Jacko kämpfte gegen die Müdigkeit.

Obwohl es ein langer und aufreibender Tag gewesen war, wollte er auf keinen Fall einschlafen, bevor er in einem sicheren Bett lag. Nach weiteren drei Stunden holperten sie endlich an einer Ortstafel vorbei: ‚Swellendam‘ und nicht ‚Ladismith‘, stand auf dem Schild, aber hier müsse er aussteigen, meinte der eine der Fahrer. Kurz danach hielten sie vor einem Hotel, das allerdings teuer aussah. Auf seine Frage, ob es hier kein BnB gebe, erhielt er keine Antwort. Das wäre natürlich billiger gewesen. Trotzdem wunderte er sich selber über seine Frage und war froh, dass der Fahrer wenigstens wartete, bis er abgeklärt hatte, ob hier ein Zimmer frei war. Danach ratterte der Bus ohne grosse Abschiedsworte weiter.

‚Danke und gute Nacht,‘ wünschte Jacko zum Sternenhimmel hinauf und war davon überzeugt, dass er gerade einen verrückten Tag überlebt hatte.

Bald darauf schlief er in seinem teuren, aber sicheren Hotelbett ein.