Elefantenfieber

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Elefantenfieber
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Klaus Sebastian

Elefantenfieber

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Impressum neobooks

Kapitel 1

Cover-Gestaltung: Anupap Kiatkerdsook

2014

„Wenn man in die Wüste entflieht, schreit einem die Stille ins Ohr.“

Graham Greene

Vorbemerkung

Alle Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Allerdings borgte ich mir ganz schamlos einige Orte auf der thailändischen Insel Koh Chang, um meine Romangestalten dort auftreten zu lassen.

Wenn in diesem Krimi Personen im Zusammenhang mit Elefanten zu Tode kommen, so bedeutet das nicht, dass jeder Ausritt auf einem Dickhäuter mit Lebensgefahr verbunden ist.

Die Wahrscheinlichkeit, beim Ausritt mit einem Elefanten zu Schaden zu kommen, ist statistisch deutlich geringer als die Chance, bei einem Autounfall verletzt zu werden.

Vor allem mit den Betreibern und den Mahouts des Baan Chang Thai habe ich im Laufe von mehreren langen Aufenthalten herzliche Freundschaften geschlossen und im Camp wertvolle Informationen über das Zusammenleben mit den thailändischen Elefanten erhalten.

Dennoch sollte man insbesondere beim Ausritt oder beim Baden mit männlichen Tieren vorsichtig sein. Bei den Elefantenbullen - meist zu erkennen an den großen Stoßzähnen - t ritt ungefähr einmal im Jahr eine Phase der Aggressivität auf, die als „Musth“ bezeichnet wird. Das aggressive Verhalten wird durch einen Testosteron-Schub ausgelöst. Arbeitselefanten sind in dieser Musth-Phase kaum kontrollierbar. Sie werden deshalb traditionell mit dicken Seilen festgebunden und erhalten nur minimale Futtermengen. Unter solchen Bedingungen endet die Musth nach kurzer Zeit von selbst. Dass Elefanten trotz dieses gefährlichen Zustand im Touristenbetrieb zum Einsatz kommen, ist normalerweise ausgeschlossen. Es hat aber immer wieder Berichte gegeben, dass Urlauber in Asien von männlichen Elefanten schwer verletzt worden sind.

Es liegt also nicht in meiner Absicht, den Camps auf der Insel zu schaden. Jedem Touristen sei das harmlose Vergnügen eines Ausflugs mit einem Elefanten von Herzen gegönnt.

Die Geschichte ist fiktiv - könnte sich aber unter ungünstigen Umständen so ähnlich zugetragen haben.

Thailand, Koh Chang, Montag, Regenzeit

Die erste Leiche des Tages fand Inspektor Chaichet von der Koh-Chang-Police um zwei Uhr nachts auf den feuchten Holzdielen seiner kleinen Terrasse. Der Polizist war von einem unheimlichen Schrei aus dem Schlaf gerissen worden. Er wusste zunächst nicht, ob er nur schlecht geträumt hatte, oder ob dieser Laut ganz real aus der Wirklichkeit dort draußen gekommen war. Schlaftrunken warf er das dünne Bettlaken beiseite und öffnete die blau gestrichene Eingangstür. Er scheuchte eine schwarze Libelle mit riesigen Augen auf, die wie ein Spielzeughubschrauber vom Boden seiner Terrasse abhob. Da unten lag ein wunderschön gemusterter, blaugelber Gekko, der von einem Raubtier in zwei Stücke gerissen worden war. Während der große Kopf des Gekko am äußersten Rand der Veranda abgelegt worden war, befand sich der Körper mit dem langen Schwanz direkt auf der Fußmatte.

Chaichet spürte, wie ihm das Chang-Bier vom Vorabend hochkam. Er schlurfte zurück ins Haus, ging zum Kühlschrank und trank einen großen Schluck Wasser direkt aus der Flasche. Er konnte sich denken, wer der Mörder der Echse war. Nie hatte er einen Fall schneller gelöst. Da kam wohl nur die schwarzweiße Katze in Betracht, die sich seit einer Woche bei ihm einschmeichelte, um seine Beine strich, wenn er erschöpft vom Dienst kam und die er, gutherzig wie er war, hin und wieder mit Essensresten fütterte. Sie hatte ihm den Gekko vermutlich als tierischen Treuebeweis auf die Matte gelegt.

Das hatte er nun von seiner Tierliebe. Der Inspektor ging wieder nach draußen, warf noch einen Blick auf die schöne Echse, schnappte sich dann den Besen, der an einem Haken an der Wand hing und fegte die Leichenteile von der Terrasse. Den Rest würden die Ameisen erledigen.

Wie die meisten Thais glaubte auch Chaichet an düstere Vorzeichen, die man als Warnung vor einem drohenden Unheil nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Er erinnerte sich noch sehr gut, wie er den letzten toten Gekko vor etwa vier Jahren auf seiner Veranda gefunden hatte. Am selben Tag war er mit seinem Motorrad in einer Kurve am White-Sand-Beach auf ein paar matschigen Durian-Früchten ins Schleudern gekommen und gegen einen Lichtmast aus Beton geprallt. Eine Narbe auf seiner Stirn erinnerte ihn bis heute an diesen Unglückstag. Chaichet war also gewarnt.

Er legte sich wieder ins Bett, brauchte aber fast eine Stunde, bis er in einen leichten Schlaf gefallen war. Bald darauf wurde er wieder geweckt. Er tastete im Dunkeln nach seinem Handy, dessen Leuchtziffern ihm die Uhrzeit anzeigten. 4:10. Innerlich fluchend ging er ran. Was ihm der Anrufer mitteilte, bestärkte den Inspektor in seinem Glauben an Zeichen und Vorahnungen. Denn nun hatte er es mit einer echten Leiche zu tun. Ein Mann war zu Tode gekommen. Mitten in der Nacht – in einem Elefantencamp.

Koh Chang, Montag, Nacht, 30 Minuten vorher

Die urzeitliche Szenerie war in ein fahles Licht getaucht, da der Mond sich hinter dem Vorhang einer dunklen Wolke verborgen hatte. So gab es keine Zeugen, als das staubbedeckte Erdungeheuer seinen rechten Stoßzahn noch einmal in den leblosen Körper des halbnackten Mannes rammte.

Boy George, der große Elefantenbulle, sah aus, als wäre er geradewegs aus der Erde gekrochen. Seine dicke Haut war mit einer Schicht aus ockerfarbenem Sand paniert. Der Elefant liebte es, die trockenen Erdbrocken mit seinem Rüssel aufzunehmen und sie dann in einer lässigen Bewegung auf seinen buckligen Rücken zu schleudern.

Jetzt schien er erschöpft zu sein. Boy George hatte kaum Schlaf gefunden. Lustlos wandte er sich von dem Toten ab, und machte seiner Erregung mit einem grellen Trompetensignal Luft. Wenige Minuten später war das gesamte Elefantencamp in Aufruhr. Die ersten Mahouts hatten den Schlafplatz des Bullen erreicht, hatten versucht das Tier zu beruhigen, seine Fußketten gelöst und Boy George in die äußerste Ecke des Grundstücks geführt. Mae Chi, die Chefin des Elefantencamps, stand kurz darauf im Nachthemd neben der fürchterlich entstellten Leiche ihres Cousins und war nicht in der Lage, die Nummer des Notrufs in ihr iPhone zu tippen.

„Ruf den Krankenwagen an!“ kreischte sie die an ihrer Seite stehende Nok an. „Er lebt noch“, winselte sie. Tatsächlich konnte man mit etwas Fantasie noch eine nervöse, zuckende Bewegung des Herzens wahrnehmen. Das dunkelrote Organ hatte den schützenden Brustraum verlassen und ragte deutlich sichtbar zwischen den gebrochenen Rippen hervor.

„Boy George hat ihm das Herz aus der Brust gerissen!“ jammerte die Tochter der Mae Chi und verdeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Es vergingen fünfzehn Minuten bis der Rettungswagen aus dem nahegelegenen Bangkok-Chang-Hospital im Camp eintraf. Wie zu erwarten war, konnte der junge thailändische Arzt nur noch den Tod des Mahouts feststellen.

Dass sich wenig später auch die Polizei am Unglücksort blicken ließ, war eher ungewöhnlich. Doch in den letzten Wochen hatten sich auf der Ferieninsel Koh Chang gleich mehrere Unfälle mit Elefanten ereignet. In einem Fall hatte ein Bulle eine italienische Touristin beim Baden mit seinem Stoßzahn schwer verletzt. Inspektor Chaichet hatte nach diesem Ereignis strikte Anweisung erhalten, jeden Unfall mit Elefantenbeteiligung zu melden und genaue Untersuchungen anzustellen.

Seit einigen Jahren florierte der Tourismus in der Region Trad, und das sollte auch so bleiben. „Schlagzeilen wie: 'Elefant tötet Urlauber' können wir wirklich nicht gebrauchen“, hatte Somchai, Chaichets oberster Vorgesetzter, ihm noch vor wenigen Tagen eingeschärft.

 

Deshalb war der Inspektor um halb fünf in der Frühe ungeduscht in das Elefantencamp gerast, um sich ein Bild von dem neuerlichen Unglücksfall zu machen.

Als er das freie Feld betrat, auf dem die Elefanten in der Nacht angebunden wurden, war er beinahe erleichtert, dass es sich bei dem Getöteten nicht um einen Touristen handelte. Zwei Hunde folgten ihm mit lautem Gekläff. Anscheinend mochten sie keine Uniformen. Chaichet bückte sich kurz, tat so, als wollte er einen Stein aufheben. Die Hunde verstanden die Warnung und zogen knurrend ab.

„Auch schon wach, Khun Chaichet?“ witzelte Pong, wobei er seine Handflächen übertrieben devot vor seiner Nasenspitze zusammenlegte.

„Sawadii krap“, brummte der Inspektor ohne den Wai zu erwidern. Es wurmte ihn, dass dieser uniformierte Polizistendarsteller Pong schon vor ihm an der Unfallstelle eingetroffen war.

„Was hat denn die Tourist Police hier zu suchen?“ maulte er den schlanken Kollegen an. „Sogar ohne Brille erkenne ich, dass der Tote wie ein Thai aussieht.“

Pong nahm seine schwarze Uniformmütze ab und kratzte sich am Kopf.

„Da mögen Sie wohl Recht haben, Inspektor,“ antwortete er lächelnd. „Aber auch wir von der Touristenpolizei haben Anweisung von ganz oben erhalten, jeden Zwischenfall mit Dickhäutern zu protokollieren.“

Chaichet drückte sein Missfallen mit einer wegwerfenden Handbewegung aus und ging einen Schritt näher an den grausam zugerichteten Körper heran.

„Fragt sich, was der Mann hier mitten in der Nacht bei dem gefährlichen Tier zu suchen hatte. Als einfachen Unfall können Sie das nicht in ihr Protokoll aufnehmen“, ließ er den diensteifrigen Kollegen von der Tourist Police wissen.

„Wenn Sie schon mal hier sind, Sergeant Pong – vielleicht hätten Sie Zeit und Lust, mir bei der Vernehmung der Camp-Bewohner zu helfen? Ich würde mir dann vorher noch die Unterkunft des Opfers ansehen.“

Pong wunderte sich ein wenig über das Friedensangebot des Inspektors, willigte aber sogleich mit Freude ein. Vermutlich hatte der Kollege noch nicht gefrühstückt und war darauf bedacht, die lästige Prozedur möglichst schnell hinter sich zu bringen.

„Alle, die hier rumstehen: Folgen Sie mir nach vorn in den Coffee-Shop!“ herrschte er die immer noch fassungslosen Camp-Bewohner an.

Seit Tagen hatte er gelangweilt in seinem stickigen Büro gesessen. Stickig, weil die Klimaanlage seit zwei Wochen defekt war. Es war zwar recht kühl für die Jahreszeit, doch eine funktionierende Air-Condition hätte wenigstens etwas frische Luft in den winzigen Raum pumpen können.

Ein paar läppische Motorradunfälle hatte er protokollieren müssen und den leicht verletzten Touristen den Weg zur nächsten Klinik beschrieben. Aber das hier war etwas anderes – ein richtiges Drama, eine echte Leiche. Trotz der frühen Morgenstunde fühlte sich Pong hellwach. Er kontrollierte noch einmal den Sitz seiner engen Uniformjacke, dann marschierte er mit energischen Schritten in Richtung Coffee-Shop. Im Geiste formulierte er schon die ersten Fragen für die anstehende Vernehmung.

Die aus ihrer Nachtruhe gerissenen Mahouts boten einen erbärmlichen Anblick. Mit gesenkten Köpfen, fettigen Haaren, die meisten noch in Shorts und fadenscheinigen T-Shirts, saßen sie auf den Holzbänken der Cafeteria und warteten auf die Befragung.

Pong rief den erstbesten Elefantenmann zu sich an den Tisch.

„Wie heißt du?“

„Nonn.“

„Alter?“

„46.“

„Ok, Khun Nonn. Hast du eine Erklärung dafür, warum der Getötete sich vor Sonnenaufgang zu seinem Elefanten begeben hat?“

„Entschuldigung Sie, Khun Pong, Sergeant. Aber das war gar nicht der Elefant von Mister Jimm. Sein Elefant ist eine Lady mit Namen Num Nim.“

An diese Möglichkeit hatte Pong noch gar nicht gedacht. Er überlegte kurz, ob diese Aussage von Belang war. Er wusste natürlich, dass jeder Mahout in der Regel für ein bestimmtes Tier zuständig war. Die meisten bildeten über Jahre ein eingespieltes Team. Manche blieben sogar ihr ganzes Leben zusammen. Das hatte den Vorteil, dass der Betreuer die Vorlieben und Eigenheiten des Dickhäuters sehr genau kannte. Also gut - die Aussage von Nonn war wohl doch von Belang. Dass der Mahout sich nachts an einen Elefantenbullen herangewagt hatte, kam dem Sergeant höchst verdächtig vor.

„Aber bis vor zwei Jahren war es noch sein Elefant. Dann hat die Chefin ihm Num Nim anvertraut. Also - er kannte den Bullen natürlich schon.“

„Verstehe. Wie viele Bullen gibt es denn im Camp?“ fuhr Pong mit der Vernehmung fort.

„Nur den einen Bullen – Boy George.“

„War der denn besonders gefährlich?“

Khun Nonn starrte auf seine nackten, rissigen Füße, als suchte er dort unten nach einer Antwort.

„Kann ich eine rauchen?“

„Ja, rauch ruhig.“

Der Polizist gab dem Mahout Feuer und wartete ungeduldig auf die Beantwortung seiner Frage.

„Also gefährlich würde ich nicht sagen. Nur in der Zeit, wo die Bullen ihren Hormonschub bekommen, sind sie unberechenbar. Man nennt das Musth.“

„Davon habe ich schon gehört“, erwiderte Pong. „Dann dürfen sie auch nicht für Touristenausritte verwendet werden. Und - weißt du, ob Boy George derzeit seinen Hormonschub hat?“

Nonn nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und blies den Rauch über seine Schulter aus.

„Nein, momentan nicht. Eigentlich ist er recht friedlich. Ich kann mir das alles nicht erklären. Obwohl...“

Er stutzte kurz, warf dem Polizisten einen fast scheuen Blick zu und glotzte dann wieder auf seine Füße.

„Nun sag schon, wenn dir noch was eingefallen ist!“ mahnte Pong, dem die stockenden Antworten des Elefantenpflegers allmählich auf den Geist gingen.

„Hier reißt dir keiner den Kopf ab.“

„Boy George mochte es nicht, wenn Leute Alkohol getrunken hatten. Dann konnte er richtig aggressiv werden und mit dem Rüssel um sich schlagen. Vielleicht hat ihn mal ein Besoffener attackiert, das weiß ich nicht.“

Pong war richtig erstaunt über den plötzlichen Redeschwall des Mahouts und notierte, dass bei der Untersuchung der Leiche die Blut-Alkoholwerte festgestellt werden mussten. Er beendete das Interview mit Khun Nonn und wollte gerade den nächsten Mahout aufrufen. Doch im selben Moment betrat Chaichet die hölzerne Plattform des Coffee-Shops und winkte den Kollegen heran.

„Ich habe mir die Hütte von diesem Mister Jimm angesehen. Am besten kommst du gleich mal mit!“

Pong folgte dem Inspektor über den mit Abfall übersäten Hinterhof des Camps. Mittlerweile war die Sonne schon über den Bergen aufgegangen. Ihre gelblichen Strahlen tauchten die ärmlichen Behausungen der Elefantenbetreuer in ein mildes Licht. Die aus Wellblech und Holzlatten zusammengezimmerten Hütten lagen an der Rückseite des Grundstücks. Pong erinnerte sich daran, dass die Chefin des Camps einen nagelneuen Toyota-Hybrid fuhr und dass sie sich auffällig mit Gold behängt hatte. Das touristische Geschäft mit den Elefanten schien also ordentlich Gewinn abzuwerfen. „Bei den Mahouts scheint davon aber nicht viel anzukommen“, notierte sich Pong im Stillen.

Die Hütte des Toten lag am äußersten Rand der kleinen Siedlung. Links und rechts vom Eingang wucherten baumhohe Bananenstauden. Die anderen Hütten waren mit Orchideen oder Zierpflanzen geschmückt. Khun Jimm schien augenscheinlich keinen Wert auf überflüssiges Dekor gelegt zu haben. Pong erwartete deshalb, im Innern des windschiefen Gebäudes ein entsprechendes Tohuwabohu vorzufinden. Doch beim Eintreten wurde er positiv überrascht. Auf dem schmucklosen Bett lagen die Kleidungsstücke des Opfers fein säuberlich gefaltet nebeneinander. Das ganze Zimmer sah staubfrei und aufgeräumt aus, wie der Wohnraum eines pedantischen Ordnungsfanatikers.

„Was soll daran verdächtig sein?“ fragte Pong den Kollegen, der mit nachdenklicher Miene in der Mitte des blitzsauberen Raum verharrte.

„Ich habe eben mit einem anderen Mahout gesprochen – der einzige Junggeselle außer unserem Toten. Die beiden haben manchmal etwas zusammen unternommen. Sind zum Angeln gegangen oder haben sich mit Lao Kao-Reisschnaps betrunken. Also der Freund hat mir berichtet, dass Jimms Unterkunft normalerweise nicht so klinisch sauber aussah. Im Gegenteil: Hier hätte es immer wie nach einem Bombenangriff ausgesehen.“

„Das ist in der Tat seltsam“, stimmte Pong zu.

Er betrachtete noch einmal diese inszeniert anmutende Ordnung und versuchte den Anblick mit der Aussage des Mahouts in Einklang zu bringen.

„Hatte der Freund eine Erklärung dafür? Wollte das Opfer uns mit dieser Installation etwas mitteilen?“

„Nein, eigentlich hatte er auch keine Idee“, antwortete Chaichet. „Aber dann machte er nebenbei so eine Bemerkung, die mich nachdenklich stimmte.“

„Was für eine Bemerkung?“

Chaichet deutete noch einmal auf die ordentlich gestapelten Kleidungsstücke.

„Der Freund meinte, das sehe so aus, als wollte jemand seine Sachen packen und verreisen.“

Pong wusste noch nicht, worauf der Inspektor hinaus wollte und warf ihm einen ratlosen Blick zu.

„Verstehst du? Jemand bereitet sich auf eine große Reise vor. Er packt alles zusammen. Eine sehr große Reise – ins Jenseits. Unser Mahout hat wahrscheinlich seinen Tod geplant.“

„Selbstmord mit einem Elefanten?“ entfuhr es Pong.

Der Inspektor seufzte. „Das hört sich seltsam an, aber ausschließen können wir diese Version der Geschichte nicht.“

* * * *

Nach fast zwei Stunden hatten die beiden Polizisten sämtliche Angestellten des Camps befragt und gönnten sich eine Ruhepause. Der normale Betrieb im Baan Suan Chang war wieder aufgenommen worden. Touristen wurden in Pickups auf das Gelände gefahren und zu einem Hochstand aus Holz begleitet. Wenn sie oben waren, konnten sie ihre Schuhe ausziehen und bequem auf einem der Elefanten Platz nehmen. Im gemütlichen Schritttempo wurden sie dann in den nahen Regenwald geschaukelt.

„Wir können hier nicht einfach zumachen“, erklärte die Mae Chi, die beim Abtransport der Leiche ihres Cousins doch noch ihre Fassung verloren hatte und in Tränen ausgebrochen war. „Wir haben Buchungen von den großen Hotels auf der Insel, die können wir nicht stornieren.“

Sie spielte nervös mit den goldenen Armreifen an ihrem linken Handgelenk.

„Was geschieht mit dem Killer-Elefanten?“ fragte Pong.

Mae Chi warf ihm einen ungnädigen Blick zu.

„Boy George ist kein Killer, so ein Unsinn! Mein Cousin hat eine unglaubliche Dummheit begangen. Was wollte er nur mitten in der Nacht bei diesem Bullen?“

„Hatte ihr Verwandter ein Alkoholproblem?“ setzte Chaichet nach.

Mae Chi seufzte und nippte an dem kalten Tee, der vor ihr stand.

„Die meisten Mahouts trinken zu viel von diesem Lao Kao-Schnaps. Das ist ja kein romantisches Leben, was die hier führen. Jeden Tag hocken sie auf den Hälsen von ihren Tieren, laufen die immer gleiche Strecke ab, mit Japanern oder grölenden Russen auf dem Sitz hinter sich. Und am Abend gibt es auch wenig Abwechslung. Da wird halt viel gesoffen.“

„Ihr Cousin unterschied sich da nicht?“ fragte Chaichet nach.

„Vielleicht ist alles meine Schuld“, jammerte die Chefin und warf einen Blick auf das Geisterhaus gegenüber. „Ich muss den Geistern heute ein besonderes Opfer bringen“, fügte sie hinzu.

„Wieso soll es Ihre Schuld sein?“ hakte Pong nach.

Mae Chi wich seinem Blick nun nicht mehr aus und fixierte ihn fast herablassend. Er war nur ein kleiner Touristenpolizist in der hintersten Provinz. Sie war älter und Leiterin eines florierenden Tourismus-Unternehmens. In der Thai-Hierarchie stand sie einige Stufen über ihm.

„Mein Cousin hatte eigentlich überhaupt kein Interesse an Elefanten. Er war der Feingeist in unserer Familie und wäre am liebsten Kunstmaler oder Musiker geworden. Nun, ich habe ihn überredet, hier im Camp mitzuarbeiten. Ich glaube zwischen all den Mahouts hat er sich nie richtig wohlgefühlt. Er kam mir depressiv vor, hat viel getrunken. Ich wollte mit ihm reden, aber man kam nicht an ihn ran. Er wurde immer verschlossener.“

Mae Chi rief einer Angestellten zu, sie solle Ananas aus dem Kühlschrank holen. Dann besann sie sich auf die Anfangsfrage des Polizisten.

„Boy George wird die Insel heute noch verlassen. Der LKW ist schon auf dem Weg. Wir bringen ihn zurück nach Surin ins Elefantendorf. Wenn ein Elefant einmal einen Menschen verletzt oder sogar getötet hat, dann wird er sich seiner Stärke bewusst. Und es ist möglich, dass er es wieder versucht. Das Tier ist für den Tourismus leider nicht mehr zu gebrauchen.“

 

Chaichet schob sich ein Stück von der eiskalten Ananas in den Mund, zerbiss die Frucht und ließ den süßen Saft über seine Zunge laufen.

„Verstehe“, sagte er. „Glauben Sie, dass ihr Cousin Selbstmordgedanken hatte?“

„Ich weiß es wirklich nicht. Man konnte ja nicht mehr mit ihm reden.“

„Mae Chi stützte sich auf der Tischplatte ab und erhob sich schwerfällig. Wortlos verschwand sie in der Küche.

„Was meinst du?“ fragte Chaichet den Kollegen. „Im Moment können wir hier wohl nicht mehr viel erreichen, oder?“

„Wir müssen die Obduktion der Leiche abwarten“, stimmte Pong zu. „Das kann zwei Tage dauern.“

* * * *

Nachdem die beiden Polizisten das Camp verlassen hatten, kehrte einer der Mahouts noch einmal zu dem Elefantenschlafplatz zurück, an dem sich das grausame Unglück ereignet hatte. Die Leiche war vor einer Stunde abtransportiert worden. Mit einem Elefantenhaken wühlte der dunkelhäutige Mann die vertrockneten Futterreste auf, die hauptsächlich aus stachligen Ananasblättern und Stängeln von Palmwedeln bestanden. Danach stocherte er noch in den großen Kotbällen herum, die Boy George in der Nacht abgesondert hatte. Etwas Metallisches blitzte dort im Morgenlicht auf. Der Mahout bückte sich und steckte das Fundstück in die Tasche seines blauen Baumwollhemds. Diese Provinzpolizisten waren ting tong, zu dämlich, den Tatort gründlich zu untersuchen. Von Spurensicherung hatten die noch nie etwas gehört. „Zum Glück“, dachte der Mann.