Kennedy und die Mauerbrigaden

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Kennedy und die Mauerbrigaden
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Klaus Huhn

Kennedy und die

Mauerbrigaden

2011 • Verlag Wiljo Heinen, Berlin

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Inhalt

I. Auftakt im Gerichtssaal

II. Wir hoffen auf eine friedliche Lösung

III. Chancen wie Kohlhaas?

IV. Nachfrage zum Ferienlager Frauensee

V. »1947 war die Teilung unabwendbar geworden«

VI. Das Protokoll von Wien

VII. Kennedys »Erläuterungen«

VIII. Die Antwort aus Moskau

IX. Kennedy zurückhaltend

X. Brandt gegen »Untätigkeit«

XI. Kein Appell an die UNO

XII. Reaktionen

XIII. Der Mauerbau begann in Fulton (USA)

XIV. Der Dichter hinter der Mauer

XV. Was Brecht und Galilei meinten

XVI. 2009 war es ein »Coup der DDR«

XVII. Clay reitet gegen die Mauer

XVIII. Bonn lässt Grewe abstürzen

XIX. Der Sprecher des Weißen Hauses packt aus

XX. Unerwartetes Finale

Editorische Notiz

Impressum

I. Auftakt im Gerichtssaal

Die Erinnerung hat nicht an Schärfe verloren. Der Saal war nüchtern und kalt. Alle erhoben sich, wie es die Gewohnheit fordert. Die Richter betraten den Saal. Der Vorsitzende warf einen reglos gelangweilten Blick in die Runde, nahm Platz und bekundete dann durch seine Geste: Hinsetzen!

Ich habe ihn noch klar vor Augen: Das dichte weiße Haar über dem schmalen Gesicht sorgfältig frisiert, die Miene verstrahlte souveräne Distanz.

Ich schätzte ihn um die fünfzig und die kräftige Sonnenbräune ließ mich vermuten, dass er vor einigen Tagen aus dem Urlaub – ich tippte auf Gran Canaria – zurückgekehrt war.

Für mehr Spekulationen blieb keine Zeit, die Verhandlung begann. Ich war der Angeklagte, beschuldigt zum zweiten Mal – also: »Wiederholungstäter« – ein von mir geschriebenes Buch verlegt zu haben, in dem das Thema »Berliner Mauer« nach Ansicht der Anklage, gegen § 130 des Strafgesetzbuches verstoßend, abgehandelt worden war.

Die Staatsanwältin – ihr knallrot natürliches Haar war das auffälligste an ihr – schien aufgeregt – vielleicht neu in der Branche? –, begann dann aber konzentriert und kam ohne Umschweife zur Sache: »Es handelt sich um ›Volksverhetzung‹. Paragraph hundertdreißig, Abschnitt 1… Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, erstens zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder, zweitens die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.« Die Staatsanwältin verschnaufte und fuhr fort: »Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer erstens Schriften, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist…«

Ich kannte den Paragraphen und wusste, dass sie noch immer nicht am Ende war: »…einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder zweitens eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk verbreitet.«

Sie blätterte in ihrem Aktenstapel und kam zu meinen konkreten Gesetzesverstößen: »Der Angeklagte hat in seinem Buch formuliert: ›Der Bau der Berliner Mauer war triftig, unumgänglich und deshalb auch in vieler Hinsicht rechtens, sowohl in moralischer als in juristischer Hinsicht‹. Damit haben sie die Errichtung der Mauer unzweifelhaft nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sogar begrüßt. Das, so die Staatsanwaltschaft, verletzt die Menschenwürde derer, die unter den Folgen der Mauer zu leiden hatten, an der Mauer zu Tode kamen – man wirft ihnen sogar vor, deren Tod in gewisser Hinsicht billigend in Kauf genommen zu haben – und damit wird der Tatbestand erfüllt, wonach Bürger von ihnen volksverhetzend beschimpft, böswillig verächtlich gemacht und sogar verleumdet wurden, da diese Bürger durch die Mauer in ihrer Menschenwürde und in ihren Menschenrechten beeinträchtigt wurden.«

Der Richter wirkte, als sei er von dem Plädoyer irgendwie überrascht, obwohl er es doch kennen musste. Vielleicht war es dem Umstand zuzuschreiben, dass er ein ähnliches Delikt noch nie verhandelt hatte. Seine erste Bemerkung ließ ahnen, dass er vor allem dem Hinweis auf die Wiederholung der Tat Gewicht beimaß. Dennoch fragte er: »Sie haben schon mal…?«

Ich nickte, ließ, da mich meine Anwältin sanft in den Rücken stieß, ein vernehmliches »Ja, Herr Vorsitzender« folgen.

Er schien noch nicht zufrieden.

»Auch da ging es um die Mauer?« Nach einer kurzen Pause fragte er fast amüsiert: »Leugnen Sie etwa, dass sie errichtet wurde?«

Ich hatte mich im Griff: »Das weiß alle Welt. Es ging darum, wer sie warum errichtete!«

Der Vorsitzende schien für einen Augenblick irritiert: »Wer sie bauen ließ ist hinlänglich bekannt: Ulbricht! Wir haben – damit das klar ist – nicht zu untersuchen, was ihn dazu bewog diese Order zu geben, sondern nur zu klären, ob der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen sie hinlänglich begründet ist. Alles andere im Hinblick auf die Mauer ist – auch juristisch – von kompetenteren Instanzen längst befunden worden. Ich werde also auch nicht zulassen, dass die Kammer die Warum-Frage etwa noch einmal erörtert.«

Er sah nun nicht mehr freundlich drein. Möglicherweise hatte er von mir ein Wort der Zustimmung oder gar eine Art Geständnis erwartet.

Ich antwortete, bemüht, Gelassenheit zu bekunden: »Ich stimme Ihnen in jeder Hinsicht zu, erlaube mir aber dennoch die Frage, wie sich Volksverhetzung nachweisen lässt, ohne dass zuvor geklärt wird, welcher Tatbestand überhaupt verhetzt worden ist? Selbst ein simpler Ladendiebstahl muss doch von der Anklage nachgewiesen werden, weil sonst die Gefahr bestünde – rein theoretisch –, dass sich der Beschuldigte darauf beruft, das angeblich Gestohlene sei ihm geschenkt worden!«

Der Richter fuhr hoch und klopfte mit der Rechten auf den Aktenstapel: »Wollen Sie mich etwa belehren?«

Die Anwältin knuffte mir diesmal energischer in den Rücken. Ich beteuerte eilig, dass ich bedaure, offensichtlich missverstanden worden zu sein.

Der Vorsitzende reagierte verblüffend: »Nach Ihrer Ansicht also nicht Ulbricht. Und wer dann? Das frage ich nur so, denn ich hatte schon erwähnt, dass diese Frage höheren Orts durch Urteile bereits geklärt wurde.«

 

»Mir bliebe da nur die Möglichkeit dem Gericht – so Sie es gestatten – einige Zeilen aus meinem Buch vorzulesen.«

Er blickte zur Staatsanwältin, hob die Schultern und sagte: »Ich betrachte das nicht als Teil der Beweisaufnahme. Haben sie mich verstanden?« Und an mich gewandt: »Vielleicht sollte ich für sie noch hinzufügen, dass derlei in einem Rechtsstaat durchaus üblich ist.«

Ich langte nach meinen vorbereiteten Auszügen: »Die Welt behauptet, es geschah, um alle, die die DDR verlassen wollten daran zu hindern, sie zu verlassen. Und alle Welt behauptet, alle wollten die DDR verlassen.

Zum Glück liegen Zahlen vor. Lange bevor die DDR gegründet wurde, nämlich im Jahr 1946 lebten 18.629.000 Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone. Als die Mauer errichtet wurde, waren es 17.079.000, also 1.550.000 weniger.

Aufschlussreich dazu ein ›Tagesschau‹-Bericht vom 3. Oktober 2009: ›Alle zehn Minuten ein Ostdeutscher weniger. Jahr für Jahr ziehen immer noch Tausende von Ost nach West. Wenn die Abwanderung weitergeht, leben in Bayern bald mehr Menschen als in den fünf neuen Bundesländern zusammen. Gegen den Trend entwickeln sich aber einige ostdeutsche Städte zu Wachstumszentren mit großer Anziehungskraft.

Jeden Tag zieht es 140 Ostdeutsche in die alten Bundesländer. Allein Sachsen-Anhalt verliert auf diese Weise täglich 32 Bürger. Zwar leiden auch westdeutsche Länder wie Rheinland-Pfalz und das Saarland unter Abwanderung, doch ziehen auch 19 Jahre nach der Wiedervereinigung mit 136.000 Menschen die meisten von Ost nach West und nur 85.000 in die umgekehrte Richtung. Demografische Bedingungen, die sich negativ auf den wirtschaftlichen Aufholprozess Ostdeutschlands auswirken können.

Schon zwischen 1949 und dem Mauerbau 1961 sank die Einwohnerzahl der DDR kontinuierlich. Mangel an Demokratie und Freiheit, aber auch das ständig zunehmende West-Ost-Wohlstandsgefälle waren die wichtigsten Motive der Massenabwanderung. Die Wirtschaft der DDR geriet durch die anhaltende Flucht von meist hoch qualifizierten Arbeitskräften zunehmend in Schwierigkeiten. Die Bundesrepublik profitierte dagegen erheblich von der Zuwanderung.

Diese Entwicklung setzte sich auch nach dem Mauerbau fort. Zwischen 1945 und der Wiedervereinigung 1990 zog es insgesamt rund 4,6 Millionen Menschen von Ost nach West. Mit der deutschen Einheit folgten im Jahr 1990 weitere 395.000. Seither ist die Wohnbevölkerung in den neuen Bundesländern von 14,5 Millionen auf 13 Millionen im Jahr 2008 zurückgegangen.‹

Doch zurück zur Mauer und ins Jahr vor ihrer Errichtung, also ins Jahr 1960. Chrustschow hatte die Welt wissen lassen, dass er – nachdem die Westmächte bereits 1954 faktisch ihren Friedensvertrag mit der BRD geschlossen hatten, wenn er auch aus völkerrechtlichen Gründen nicht so bezeichnet worden war – nach vielen vergeblichen Anläufen, gemeinsam mit den Westmächten eine Lösung des Deutschlandproblems zu finden, entschlossen sei. Es ging ihm um einen Friedensvertrag mit der DDR, der auch die anomale Situation um Berlin klären sollte. Denn: Westberlin gehörte nicht zur DDR und nicht zur BRD. Das ist von beiden Seiten auch nie behauptet worden. Man tat aber gern so – vor allem in den Medien –, als wäre es eine Art ›Filiale‹ der BRD.

Ein weiterer Grund für Chrustschows Absichten dürfte gewesen sein, dass die Bundesregierung die von der DDR anerkannte Oder-Neiße-Grenze zu Polen als für ›Deutschland‹ nicht akzeptabel erklärt hatte. Ein Friedensvertrag zwischen der UdSSR und der DDR hätte auch dieses Thema völkerrechtlich beendet, was Bonn um jeden Preis verhindern wollte.

So war die Situation 1960 und niemand kann das bestreiten. Um zu einer Lösung zu gelangen, hatten sich US-Präsident Eisenhower und Chrustschow für den Mai in Paris verabredet. Alle Welt hoffte, dass sich die inzwischen aufgeheizte Weltlage, die zudem durch die atomare Aufrüstung beider Seiten eskaliert war, durch diese Begegnung entspannen würde. Und das Thema Berlin stand auf der für Paris gemeinsam vereinbarten Tagesordnung, das belegen Dokumente.

Auf beiden Seiten packte man bereits die Koffer für die Reise an die Seine, als die USA am 30. April in der Türkei ein Spionageflugzeug starten ließ, das tief in sowjetisches Luftgebiet eindrang und zwar nicht um Luftbilder von den Maifeiern zu knipsen…«

»Derlei Späße können sie weglassen«, winkte der Vorsitzende ab.

Ich las dennoch ungerührt weiter, auch weil ich den Eindruck gewonnen hatte, dass er sich des damaligen Geschehens nicht erinnerte, es ihn aber interessierte: »Am 1. Mai wurde Chrustschow früh um fünf Uhr aus dem Bett geholt und informiert, was sich am russischen Himmel tat. Chrustschow riet zu Zurückhaltung und fuhr zum Roten Platz, um die traditionelle Parade abzunehmen. Dort flüsterte ihm Luftabwehr-Chef Birjusow zu, dass die Maschine abgeschossen werden musste, als sie Plessezk überflog und damit die Startrampen der Interkontinentalraketen SS 6. Der US-Pilot Powers habe sich mit dem Fallschirm gerettet, aber das Treffen in Paris war abgestürzt. Zwar ließ Chrustschow Eisenhower wissen, dass sich die verfahrene Situation durch eine unmissverständliche Entschuldigung klären ließe, aber Eisenhower mochte sich nicht entschuldigen.«

»Ich fürchte Sie haben mich missverstanden«, sagte der Richter und seine Stimme klang nun unfreundlich: »Was konnte nun auch noch Powers mit der Mauer zu tun haben?«

Ich legte meinen Text zur Seite und nahm einen neuen Anlauf: »Niemand leugnet doch, dass sein Flug das Gespräch verhinderte, auf dem möglicherweise auch die Berlin-Frage hätte geklärt werden können. Als John F. Kennedy Eisenhower im Januar 1961 ins Weiße Haus gefolgt war, nahm Chrustschow einen neuen Anlauf und vereinbarte mit ihm ein Treffen in Wien. Dort redeten die beiden dann bekanntlich auch über Berlin…«

»…aber darüber werden hier nicht reden, weil das – der Herr Vorsitzende hat es ihnen doch bereits gesagt – die Anklage nicht berührt!« fiel mir die Rothaarige ins Wort und der Vorsitzende bekundete ihr durch eine deutliche Geste seine Zustimmung. Das ermunterte die Staatsanwältin, mich ungefragt zu fragen: »Oder wollen sie bestreiten, dass in jener Zeit Millionen von Ost nach West geflohen sind?«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Zahlen hatte ich doch schon erörtert.«

Das zunehmende Missbehagen des Vorsitzenden war nicht zu ignorieren.

Ich wagte dennoch zu sagen: »Ich gebe ja zu, dass niemand leugnen kann, wann wer die Mauer wo errichtet hat. Aber ebenso wie man die Chinesische Mauer nur zu erklären vermag, wenn man die Situation der Zeit berücksichtigt, in der sie errichtet wurde, gilt das auch für die Berliner Mauer. Die Feststellung: ›Ein Volk wurde eingemauert‹ reicht da ebensowenig als Erklärung, wie etwa die Behauptung, die Chinesen seien damals eingemauert worden.«

Die Rothaarige schien, ließ ihre Miene ahnen, zu erwägen, mich im Gerichtssaal durch Peitschenhiebe abstrafen zu lassen, die Richter flüsterten miteinander. Ich fürchtete, dass ich vielleicht zu weit gegangen war.

II. Wir hoffen auf eine friedliche Lösung

In die entstandene Pause hinein fragte ich: »Was glauben sie, von wem die folgenden Worte stammen: ›Besser als eine Maschinengewehrgarbe für Berlin sei nach seiner Meinung die stufenweise Anwendung wirtschaftlicher Sanktionen… von der Drosselung bis zur Einstellung der Stahllieferungen…‹«

Der Richter sah verdrossen drein, wohl auch weil er keinen Zusammenhang zwischen der Chinesischen Mauer und der Einstellung von Stahllieferungen an die DDR erkennen konnte.

Er sagte scharf: »Das ist hier keine Quizrunde!«

Aber dann schien es ihn plötzlich doch zu interessieren, von wem die Äußerung stammte.

Ich beeilte mich mit der Antwort: »Franz Josef Strauß, war es, wie die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ am 31. 1. 1961 mitgeteilt hatte.«

Und fuhr eilig fort: »Und zur Kenntnis nehmen sollte man auch, dass das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung am 12. August 1961 – das Datum scheint mir wichtig – ein Interview mit Kennedy publiziert hatte.«

Mit einem Mal schien der Richter sichtlich interessiert. »Mit Kennedy? Am 12. August?«

Ich nickte und griff zum nächsten Blatt: »Die erste Frage lautete: ›Herr Präsident, ich hätte gern ihre Stellungnahme zu einer Passage in der Rede Chrustschows. Er sagt in Verbindung mit einem Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und der ostdeutschen Regierung: »Wir beabsichtigen nicht, irgendwelche legitimen Rechte der Westmächte zu verletzen. Es ist von keinem Verbot des Zugangs nach West-Berlin, von keiner Blockade West-Berlins die Rede.« Steckt da eine Falle dahinter?‹

Kennedy: ›Ich glaube, sie müssen die Rede als Ganzes lesen. Ich glaube, es wurde erwähnt, dass wir mit der ostdeutschen Regierung in Verhandlungen eintreten sollen, um zu dem Ergebnis zu kommen, das vorgeschlagen wurde. Es gab eine ganze Reihe von Vorschlägen über die Rechte der ostdeutschen Regierung: den Zugang zu kontrollieren und auch das Territorium von West-Berlin zu kontrollieren – und deshalb sollte die Rede als Ganzes gelesen werden. Aber ich glaube, dass wir alle verfügbaren Mittel anwenden sollten, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob eine friedliche Lösung erreicht werden kann, die die Rechte der Bevölkerung von West-Berlin und unsere eigenen Rechte schützt.‹

Eine weitere Frage: ›Herr Präsident, wenn es um Berlin zum Kampf kommen sollte – d.h. wenn die Friedensbemühungen fehlschlagen – glauben Sie, dass der Kampf auf einen konventionellen Krieg beschränkt werden kann oder dass er zum Einsatz nuklearer Waffen führt?‹ Die Antwort des Präsidenten lautete: ›Wir hoffen sehr, dass wir imstande sein werden, eine friedliche Lösung zu erreichen.‹«

Der Richter unterbrach mich: »Liegt dieses Interview bei den Akten?«

»Das weiß die Staatsanwaltschaft sicher genauer als ich…«

Der Vorsitzende beflüsterte sich mit seinen Beisitzern und verkündete dann zur allgemeinen Überraschung: »Wir vertagen die Sitzung auf den 14. Also bis nächsten Dienstag!«

Die Staatsanwältin protestierte, meine Anwältin stimmte ihr zu. Warum, begriff ich nicht.

Der Richter sagte, schon fast an der Tür, zur Staatsanwältin gewandt: »Möglich, dass wir tatsächlich prüfen müssen, ob es sich um Volksverhetzung im Sinne des Gesetzes handelt.«

Die Staatsanwältin hatte erregt das Barett abgelegt. Ihr wallendes rotes Haar unterstrich ihre Empörung: »Das fehlte noch, Herr Vorsitzender, dass der Angeklagte uns hier belehren wird, warum diese Mauer errichtet wurde. Und das nach Jahrzehnten? Und nachdem alle Welt sich in dieser Frage einig ist. Mit mir nicht!«

Darauf der Richter kühl aber dabei freundlich lächelnd: »Da bliebe Ihnen – juristisch betrachtet – nur der Verzicht auf die Klage!« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

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