Kostenlos

Störtebecker

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Störtebecker
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Marlen blähte der Wind den blauweiß karierten Rock auf.

Sie stand in einer Tornische der Nikolaikirche, dickbäckig und dickbäuchig, die grellroten Hände stemmte sie in die Seite und schrie:

Zwetschgen! Zwetschgen!

Ein Echo von den Häusern her höhnte:

Zwetschgen! Zwetschgen!

Der Wind fegte eine Staubwolke über den Nikolaimarkt. Erst schlich sie über den Boden wie eine Blindschleiche. Dann wuchsen ihr Flügel. Sie rauschte auf und schlug wie der Vogel Phönix mit riesigen Flügelschlägen gegen die bemalten Fenster der Nikolaikirche, daß sie in den rostigen Angeln knarrten und der rote Sankt Sebastian und der grüne Sankt Makarius ihre Farbe verloren und braun bestäubt wie schmutzige Bettelmönche oder Lebkuchenmänner im gläsernen Oval standen.

Der Himmel blinkte schwefelgelb wie ein Katzenauge bei Nacht.

Der erste Blitz zuckte seine silberne Geißel und peitschte die Wolken, daß sie brüllend auseinanderstoben.

Marlen stand in der Nische und lachte.

Der Regen sauste vor ihr nieder.

Immer schneller zuckten die Blitze. Sie legte die breite Hand auf ihren Bauch. Der Herzschlag des Kindes, den sie schon spürte, und Blitz und Donner: das war ein Schlag, ein Klang, das ging im gleichen Takt.

Das wird ein wilder Junge werden, ein Blitzjunge, ein Donnerbursche.

Blitz und Donner knallten und zischten ineinander. Eine schlanke Feuersäule stieg auf. Der Blitz hatte in das Haus des Senators Stollenweber eingeschlagen. Fenster sprangen auf. Geschrei. Hilferufe. Lärm in allen Gassen und das Horn des Wächters vom Turm.

Marlen lachte.

Sie ballte die Faust.

Ihr Gesindel, ihr Lumpen, ihr Pack! Es hat bei euch eingeschlagen! Es war die strahlende Faust meines Sohnes, die auf euer morsches Gebälk niederfuhr! Er wird auf euch niederkommen wie Gottes Sohn. Er wird kein Jesus Christus sein, kein sanfter Engel, kein milder Prophet. Er wird das Licht der Liebe nicht eher entzünden, als bis er mit der Fackel des Hasses euch aus dem Bau geräuchert hat, den ihr aus unserm Schweiß, aus unserm Blut, aus unseren Leibern, aus unsrem Leben euch errichtet, und den unser Blut, unser Leben wieder niederringen muß. Ihr habt Gödeke an den Galgen gebracht, weil er den Menschen helfen wollte, zu Recht und Gerechtigkeit zu kommen. Aber der tote Gödeke wird in euern Häusern umgehen. Er wird bleich hinter eurem Stuhl stehn, wenn ihr tafelt, und er wird euch Vernichtung einschenken. Er wird euren Kindern in der Wiege die Seele vergiften mit Wolfsmilch und Rattenmilch. Eure Weiber werden mit bocksbeinigen und kalbsköpfigen Mißgeburten niederkommen, darum, daß ihr des Menschen Antlitz und Gestalt geschändet und habt aus Lämmern Wölfe und aus Eidechsen Drachen gemacht.

Ihr sollt an meinen Zwetschgen ersticken!

Der Regen sauste. Der Donner grollte nur noch wie ein ferner Hofhund.

Zwetschgen! schrie Marlen, Zwetschgen!

Unbeweglich wie ein steinerner Nepomuk stand der Wächter am Galgen. Die Hellebarde stach mit dem Schaft in die feuchte Erde, mit der Spitze in den Himmel. Ein Stern tanzte darauf wie ein Elmslicht.

Gödeke schwankte im Nachtwind.

Er hing die dritte Nacht und hatte Leben und Sterben schon vergessen. Er war tot, wie er einst lebendig gewesen war. Ein Rabe, der sein linkes Auge gefressen hatte, saß auf seinem kahlen Schädel. In der leeren Augenhöhle kroch ein brünstiger Glühwurm. Von Hamburg herüber schlug es zwölf Uhr. Von zwölf Kirchen hintereinander. Der Wächter zählte bis hundert, da war er im Stehen fest eingeschlafen.

Er schreckte auf.

Was war das für ein verdächtiges Geräusch? Er fällte die Hellebarde.

Wer da?

Marlen legte ihm von hinten die Hände über die Augen.

Rate, mit wem du zu tun hast!

Der Wächter fluchte. Mit des Teufels Großmutter wahrscheinlich. Verdammtes Weibsstück, laß los. Wer bist du?

Deine Freundin, sagte Marlen. Und wenn du willst, deine Geliebte.

Sie riß ihn zu sich heran, daß die Hellebarde ins Gras fiel und er nach Atem schnaufte. Als er seine Arme frei spürte, suchte er nach ihren Brüsten. Er schälte sie aus dem groben Leinenhemd wie Früchte. Sie fielen neben der Hellebarde ins Gras, das noch feucht war vom Gewitter. -

Du bist schwanger, sagte der Soldat.

Sie lagen im Gras und sahen in den Himmel, wo die Sterne verschlafen blinzelten wie sie selbst.

Ja, sagte Marlen, ich bekomme ein Kind.

Von wem? fragte der Soldat.

Von meinem Mann, sagte Marlen.

Und wer ist dein Mann? fragte der Soldat.

Marlen zeigte mit spitzem Knöchel nach oben.

Der da!

Wer da? Ich sehe niemand da oben als Sterne. Also ist ein Stern dein Mann.

Er glänzte wie ein Stern und zog seine Bahn wie die Sonne.

Und wer ist es?

Marlen hob wieder den Finger:

Der, der da hängt.

Der Soldat richtete sich auf.

Der am Galgen, der ist dein Mann?

Ja, sagte Marlen, der Mann am Galgen ist mein Mann.

Der Soldat schüttelte den Kopf:

Da kannst du froh sein, daß du ihn los bist. Er war ein roher Patron, ein Räuber und Bandit. Er hat dich sicherlich jeden Tag geprügelt.

Marlen dachte nach:

Ja, er hat mich wohl zuweilen geprügelt. Das war so seine Art. Aber er hat mich geliebt, und ich habe ihn geliebt.

Du verstehst zu lieben, sagte der Soldat.

Und zu hassen, sagte Marlen.

Sie schwiegen.

Dem Soldaten war, als wäre ein kühler Wind über ihn hinweggestrichen. Ihn fröstelte.

Der Mann am Galgen schwankte leise. Der Rabe hatte ihn verlassen. Nur der Glühwurm leuchtete noch.

Hier in der Nähe ist ein Friedhof, sagte Marlen.

Der Soldat schwieg.

Gestern ist der Sohn des Tuchhändlers begraben worden. Das Grab ist noch nicht zugeschüttet.

Was soll das? fragte der Soldat.

Marlen fuhr fort:

Gödeke soll das Begräbnis eines ehrlichen Christenmenschen erhalten. Denn er war ein Christ wie wenige.

Vielleicht, sagte der Soldat. Auch Räuber sind zuweilen umgängliche Menschen. Ich habe mal mit einem Karten gespielt und ihm all seinen Raub abgenommen.

Hilf mir, sagte Marlen. Und sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.

Der Soldat drehte verlegen an einem Rockzipfel.

Wie könnte ich dir helfen, ich bin hilflos wie du.

Marlen stand auf:

Wir graben den Sohn des Tuchherren aus und hängen ihn an die Stelle von Gödeke an den Galgen. Der Galgen ist hoch. Man kann von hier unten nicht unterscheiden, wer da oben im Winde hängt.

Und Gödeke graben wir ehrlich in die Erde an Stelle des Kaufmannssohnes.

Der Soldat:

Ich verlier meinen Kopf, wenn es an den Tag kommt -

Die Nacht ist finster, es kommt nicht an den Tag.

Sie zog ihn zu sich heran. Da spürte er ihre Brüste.

Wie Katzen schlichen sie die hundert Schritte zum Friedhof.

Wie schwer die Toten wiegen! sagte der Soldat, als sie den Kaufmannssohn zum Galgen trugen. Nun: es schadet nichts, wenn von dem Patrizierpack einmal einer hängt. Ich wünschte noch manchen an den Galgen. Sind hochmütig wie der Kaiser. Unsereiner ist ja nur ein Stück Vieh für sie.

Sie setzten eine Leiter an.

Der Soldat löste Gödeke die Schlinge.

Er hielt sich die Nase zu. Alle Wetter, dein Liebster duftet nicht schlecht.

Er ließ Gödeke die Leiter hinabgleiten.

Marlen nahm ihn zitternd in ihre Arme und küßte seinen stinkenden Mund.

Die Schlinge wehte leicht und lustig. Marlen sah empor.

Ach, sieh die lustige Schlinge! Wie hübsch sie sich ringelt! Wie eine Schlange.

Sie sucht ein neues Opfer. Soldat, zeig mir doch einmal, wie man die Leute hängt. Möcht's gern wissen.

Der Soldat lachte.

So mein Täubchen, hängt man die Leute, so mein Täubchen.

Er legte sich die Schlinge kunstgerecht um den Hals.

Als er den Hals in der Schlinge hatte, stieß Marlen die Leiter um. Er zappelte noch ein wenig wie ein Frosch, zuckte ein paarmal und hing still.

Marlen sah zu ihm hinauf:

So soll es allen gehen, die Schergenknechte sind.

Ihre Brust ging schwer.

Gödeke!

Sie schleifte die Leiche zum Friedhof und begrub ihn. Den Kaufmannssohn zerrte sie bis übern Damm und warf ihn, mit einem Stein beschwert, in die Elbe.

Als um sechs Uhr früh die Ablösung der Galgenwache kam, sah sie zu ihrem Entsetzen den Wächter am Galgen hängen.

Von Gödeke ward keine Spur mehr gefunden.

Aber durch die Bürgerschaft Hamburgs ging ein Zittern.

Der Teufel ist mit den Rebellen im Bunde! wisperte der Erzpriester von Sankt Georgen und legte diese Worte seiner nächsten Sonntagspredigt zugrunde und malte ein Bild des Teufels, daß die christliche Gemeinde schaudernd in den Mittag auseinanderging und sie sich in der grellen Sonne voreinander fürchteten.

Einige Tage darauf warf Marlen wie eine Hündin in einer Nische der Nikolaikirche einen Knaben, der später Störtebecker genannt wurde.

Vertrunken und versunken saß ein junger Gelehrter vor seinem Schoppen Wein. Zuweilen nahm er den Doktorhut herab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Weitere Bücher von diesem Autor