Schmerzfrei ohne Medikamente

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Als die ersten Meditierer aus Asien zurückkamen und über ihre Erlebnisse sprachen, hatten sie nicht nur mächtig viel Gegenwind, sondern wurden auch mit öffentlich akzeptierter Feindseligkeit und Arroganz konfrontiert. Warum? Weil viele Menschen das Gefühl hatten, das, was sie da an anderen erlebten, sei ein Beweis dafür, dass sich ihr Leben durch Meditation ihrer Kontrolle entzöge. Etwas Dubioses muss da im Gange sein, etwas Unfassbares, das nichts als Gehirnwäsche und Willenlosigkeit erzeugt.

Tatsächlich beobachte ich, dass solche Befürchtungen oder die Angst vor Kontrollverlust einer der meistgenannten Gründe dafür sind, dass viele Menschen dem Thema Meditation immer noch mit Distanz begegnen oder es sogar mit Argwohn beäugen. Und ja, Meditierende verändern sich. Sie verändern ihre Ausstrahlung, ihre Gewichtung, ihre Maßstäbe, ihre Werte. Und das passiert deshalb, weil die Kontaktaufnahme mit der inneren Welt tatsächlich andere Maßstäbe setzt. Wie Sie mittlerweile ahnen mögen, unterscheiden sie sich von denjenigen, mit denen wir in der Schule, in der Berufsausbildung oder in der Universität vertraut gemacht wurden. Insofern bewegen sich angehende Meditierer zunächst einmal auf ungewohntem Terrain. Und ja, das kann verunsichern und zu dem Empfinden führen, das Leben entgleite den eigenen Händen.

Vielleicht kennen Sie das ja auch schon. Vielleicht haben Sie es mit dem Meditieren sogar praktisch versucht, aber das Gefühl gehabt, ins Bodenlose zu versinken. Sie fürchteten sich, wurden unsicher oder bekamen sogar Angst. Sie konnten sich nicht orientieren, wussten nicht, wohin mit Ihrem inneren Blick. Andrea, eine Klientin, sagte, dass sie einige Anläufe genommen, aber gar nicht gewusst habe, wie sie es „anstellen” solle. „Ich habe mich hingesetzt, die Augen zugemacht und gewartet. Als nichts passiert ist, habe ich Panik gekriegt und es als eine der blödesten Sachen der Welt abgehakt.“

Solche Bedenken sind nicht selten und gewissermaßen normal. In einer Welt, in der viele Menschen ein mangelndes Sicherheitsempfinden beklagen, weil sie täglich mit Ereignissen konfrontiert werden, die für ihr Dasein bedrohlich sind, haben sie vielleicht ohnehin das Gefühl, dass ihnen alles außer Kontrolle gerät. Und jetzt schlage ich vor, auch noch im Inneren die Kontrolle aufzugeben und sich freizumachen für das, was im Bereich des Unbekannten liegt?

Auch wenn ich vollstes Verständnis für diese Bedenken habe, kommen wir um einen wichtigen Fakt nicht herum: Wenn Sie die Wirkung Ihrer meditativen Explorationen zu kontrollieren beabsichtigen wie den Bau eines Hauses, die Reparatur Ihres Rasenmähers oder die Hausaufgaben Ihrer Kinder, dann setzen Sie sich gleichzeitig starke Grenzen. Während die Schärfe Ihres Kontrollblicks im Außen durchaus gerechtfertigt sein kann, muss sie sich im Zuge der Innenschau zurückziehen und Ihnen ein offenes Erfahrungsfeld gewähren.

Das bedeutet aber nicht, dass Sie dadurch kontrollierbar, hörig oder willenlos werden und sich Ihrem Einfluss auf sich selbst entziehen. Nein. Im Gegenteil. Erst mit dem Aufgeben Ihres wasserdichten Kontrollbedürfnisses werden Sie in die Lage versetzt, sich wirklich kennenzulernen und infolgedessen das „Kommando” über sich zu übernehmen. Das klingt wie ein Widerspruch. Ich weiß. Doch so ist das nun einmal: Genauso wie ein Vogeljunges aus dem Nest geworfen werden muss, damit es merkt, dass es fliegen kann, oder wie Sie beim Fallschirmspringen erst einmal aus einem Flugzeug herausspringen müssen, bevor der sichernde Fallschirm Sie auffängt, müssen Sie die Kontrolle aufgeben, um zu erfahren, worin Ihre wahre innere Sicherheit besteht.

Leeren Sie Ihr Glas weiter, doch lassen Sie noch einen letzten Tropfen drin. Verinnerlichen Sie den Grundsatz Nummer dreizehn ganz und gar:

Indem Sie beim Meditieren die innere Kontrolle aufgeben, werden Sie nicht schwächer, sondern stärker. Sie erfahren, worin Ihre wahre innere Sicherheit liegt.

14. Individualität

Moment, werden Sie sagen, hier kommt es nochmals zu einer Wiederholung! Auch das Thema der Individualität haben Sie bereits ausgegossen. Das stimmt. Doch nicht nur Schmerzen sind eine individuelle Erscheinung, auch das Erleben von Meditation.

Holen wir hier kurz aus: Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass ich Ihnen den Unterschied zwischen dem „Zustand Meditation” und dem Praktizieren einer Meditationstechnik aufgezeigt habe. In diese Zweiteilung haken wir uns hier ein, denn nicht jede Meditationstechnik ist für jeden Menschen gleichermaßen gut: Ein von Stress geplagter Mensch beispielsweise, der unter Dauerspannung steht, braucht andere Impulse als jemand, der sich müde und lethargisch fühlt. Ein mental beanspruchter Mensch muss eine andere Tagesroutine entwickeln als jemand, der eine physisch herausfordernde Tätigkeit hat. Ein Mensch, der einer repetitiven, wenig herausfordernden Arbeit nachgeht, muss sich innerlich anders ausrichten als jemand, dessen Hauptaktion in vielseitigster kreativer Beanspruchung besteht. Meditationstechniken müssen das konkrete Nervensystem ansprechen, und weil Nervensysteme individuell sind, ist Meditationspraxis, was Techniken und Methoden anbelangt, nicht weniger individuell. Diese Notwendigkeit potenziert sich dann noch einmal, wenn Schmerzen beim Meditieren eine Rolle spielen: Meditationspraxis zur Schmerzlösung greift nur dann, wenn sie somatisch stimmig, weil maßgeschneidert für das entsprechende Nervensystem ist.

Und weiter geht‘s: Während es also auf die Auswahl der adäquaten Meditationstechnik ankommen wird, ist das Erleben des Zustandes von Meditation ebenfalls kein einheitlicher Prozess. Das Eintreten des Zustandes von Meditation muss Ihnen nämlich nicht, wie das sehr viele Meditierende erwarten, während der Meditationspraxis unmittelbar widerfahren! Das kann es, muss es aber nicht. Es kann Ihnen genauso gut nach dem Praktizieren oder zu einem späteren Zeitpunkt geschehen.

Ein Beispiel: Sie haben eine Meditationstechnik praktiziert. Alles war stimmig, aber Sie konnten verfolgen, dass Ihre Gedanken währenddessen hellwach und auf demselben Erregungslevel geblieben sind. Irgendwann öffnen Sie die Augen, stehen auf und gehen vielleicht in den Garten hinaus. Und puff! Sie staunen. Erst im Vergleich mit der Außenwelt bemerken Sie, dass das Klima in Ihnen doch ganz still geworden ist.

Genauso gut kann es Ihnen passieren, dass Ihnen im direkten Zusammenhang mit Ihrer Übungspraxis, also weder währenddessen noch unmittelbar danach, rein gar nichts Nennenswertes geschieht. Doch ein paar Tage später, während Sie inmitten des Citytrubels stehen, in der Einkaufsschlange warten oder in der vollen S-Bahn stecken, wundern Sie sich, wie ruhig Sie sich fühlen und dass Sie das turbulente Treiben um Sie herum überhaupt nicht erreicht. Sie stehen wie in der Mitte eines sich drehenden Kreisels und sind einfach nur „da”, anwesend und zentriert.

Und schließlich greife ich noch auf meine eigene erste Meditationserfahrung zurück: Vor mehr als zwanzig Jahren rutschte ich in einem Feldenkrais-Training in der Pause einer Bewegungssequenz ganz unvorbereitet in einen Zustand der Stille hinein. Ich habe das damals gar nicht als meditative Erfahrung anerkannt, weil in meinem Kopf das Raster saß, dass einem solche Momente nur dann geschehen, wenn man eine „ordentliche” Meditationstechnik praktiziert.

Es gibt also sehr viele unterschiedliche Versionen, wie, wann und wodurch Ihnen der Zustand Meditation geschehen kann. Tatsächlich ist das ein absolut individuelles Geschehen, auf das ich in den nächsten Kapiteln noch einige Male zurückkommen werde.

Und „last but not least” auch bei den meditativen Effekten verhält sich das so: Was für den einen die größte Erkenntnis des Lebens ist, kann für einen anderen Menschen nur eine Albernheit sein, für einen weiteren ein Irrtum und für den nächsten die langweiligste Sache der Welt. Was wir im Zuge der Innenschau erfahren, wie wir es erleben und insbesondere, wie es sich dann in unser Leben integriert, könnte unterschiedlicher nicht sein. Alle drei Aspekte, das Finden der richtigen Technik, das Meditationserleben an sich und der Zeitpunkt, wann uns dieses bewusst wird, sind von Mensch zu Mensch so unterschiedlich wie sein Aussehen und sein gesamtes Sein.

Kommen wir zum vierzehnten und letzten Guss, in den Sie nun Ihre allergrößte Aufmerksamkeit legen:

Lösen Sie sich von der Idee, dass Vergleichbarkeit beim Meditieren entsteht. Meditatives Erleben ist immer einzigartig, differenziert und individuell.

„Ja, vielleicht”

Zwei leere Gläser

Nun haben Sie zwei leere große oder kleine Gläser vor sich stehen und das bedeutet in diesem symbolischen Kontext, dass Sie sich empfänglicher und aufnahmebereiter für das dreißigtägige Schmerzprogramm gemacht haben. Wenn es mir dabei gelungen ist, etwaige Vorurteile, skeptische Meinungen oder vorschnelle Bewertungen über das Gebiet der Meditation aufzuweichen, genügt mir das an dieser Stelle voll und ganz.

Im Folgenden wird es für Sie verstärkt darum gehen, neue Erfahrungen zu sammeln, gewissermaßen wieder zu lernen, vielleicht sogar zum blutigen Anfänger zu werden, der leer genug ist, um aufnahmefähig zu sein. Und das ist ein wunderbarer Moment! Aus meiner Sicht ist es einer der kostbarsten Momente überhaupt, in einer eingefahrenen oder feststeckenden Situation wieder von vorn beginnen zu dürfen.

Eine Zenparabel

Wie Sie bereits beim Lesen der vierzehn Punkte bemerkt haben, liegt ein großes Potenzial zur Heilung darin, dass wir uns von Bewertungen, Vorurteilen und Schubladendenken lossagen. In der Schmerzintervention spielt diese Tatsache keine geringe Rolle. Im Gegenteil.

In vielen Schmerzfällen ist es nicht der Schmerz als solcher, der den Betroffenen die allergrößten Probleme bereitet, sondern das Verhältnis, das sie zu ihm einnehmen, die Bewertung, die sie ihm geben, und die Prognosen, die sie ihm anheften. Tatsächlich ist der ständig bewertende, nach Urteil bohrende und problemverliebte Verstand das größte Hindernis, wenn sich eine Schmerzsituation verändern soll.

 

Vielleicht haben Sie das bereits ganz von selbst beim Ausgießen der beiden Gläser sehen können. Dieser Fakt potenziert sich dann noch einmal, wenn es bereits eine Reihe negativer Erfahrungen und schiefgegangener Therapieversuche gab. Dann ist es schwer, wieder von vorn zu beginnen und sich in eine offene Stimmung zu versetzen. Aus genau diesem Grund gebe ich Ihnen hier eine Zenparabel mit auf den Weg, die Sie gern im Hinterkopf behalten können. Wie es bei diesen überlieferten Kurzgeschichten üblich ist, geht es nicht darum, die Inhalte wörtlich zu nehmen, sondern ihren Sinngehalt „intern“ zu verstehen, ihn mehr zu erfühlen, als den Sachverhalt im Detail auf die Goldwaage zu legen. Lehnen Sie sich nun noch entspannter zurück und lassen Sie die Essenz der Parabel in sich einsickern.

„Ja, vielleicht …“

Ein Farmer arbeitete über lange Zeit hart daran, den Boden für die Getreideaussaat optimal vorzubereiten. Gewissenhaft kümmerte er sich darum, dass er nichts übersah.

Kurz vor der Aussaat aber lief sein Pferd davon, das sein Hauptarbeitsmittel war. Ohne Pferd war er aufgeschmissen. Sollte denn alle Mühe umsonst gewesen sein?

Die Nachbarn des Farmers hatten davon gehört und waren voller Mitgefühl. Sie kamen, um ihn zu trösten: „Was für ein Unglück!“, riefen sie. „Was für eine Tragödie! Wie konnte das nur passieren!“

Doch der Farmer blieb ruhig. Dann nickte er und sagte: „Ja, vielleicht …“

Am nächsten Morgen hörte der Farmer das Geräusch von Pferden auf seinem Hof. Als er das Fenster öffnete, sah er, dass sein Pferd zurückgekommen war. Es hatte drei Wildpferde mitgebracht, die ihm auf seinem Ausflug offensichtlich gefolgt waren.

Wieder kamen die Nachbarn zu ihm. Dieses Mal riefen sie: „Wie toll! Großartig! Was für ein Glück, dass dein Pferd wiedergekommen ist! Und was für ein Wunder, dass du jetzt sogar gleich mehrere Pferde hast! Was für ein Glück!”

Der Farmer blieb wieder sehr ruhig. „Ja, vielleicht …”, antwortete er erneut.

Einige Zeit später versuchte der Sohn des Farmers auf einem der neuen wilden Pferde zu reiten. Dieses warf ihn aus dem Sattel und er brach sich ein Bein. Der Sohn konnte dem Farmer bei der Arbeit, die in vollem Gange war, nicht mehr helfen, sodass der Farmer die Ernte allein bewältigen musste. Dadurch würde er den größten Teil der Ernte einbüßen, was für ihn eine Existenzfrage war.

Wieder kamen die Nachbarn und gaben ihre Kommentare ab: „Was für ein Pech!”, riefen Sie. „Was für ein Unglück, dass das ausgerechnet jetzt inmitten der Ernte passieren muss!”

Der Farmer entgegnete wieder: „Ja, vielleicht …”

Gerade einen Tag später erschienen Offiziere auf dem Grundstück, um den Sohn des Farmers in die Armee zu holen, um in den Krieg zu ziehen. Doch weil dieser ein gebrochenes Bein hatte, sahen sie davon ab.

Die Nachbarn freuten sich für den Farmer und seinen Sohn. Ich denke, Sie wissen genau, was ihnen der Farmer geantwortet hat.

Bevor Sie die dreißig Tage nicht beendet haben, versuchen Sie einmal, die innere Haltung des Farmers einzunehmen und sich bewusstzumachen, dass alles, was Sie erfahren, nicht das Ende Ihrer Erfahrungen ist.

1. KAPITEL

Die Vorbereitung des

30-Tage-Programms:

Damit Ihr Neuanfang ein neuer wird

„Warm-up“ fürs Gehirn

Die Vorbereitung macht’s

Vor Ihnen liegen nun vier Wochen bewusstheitsorientierte Schmerzintervention, in denen Sie sich in Innenschau und Selbstreflexion üben werden. Der erste Schritt besteht in einer sorgfältigen Vorbereitung des Schmerzprogramms. Während ich mich um die inhaltlichen Aspekte gekümmert habe, passen Sie das Programm Ihrer konkreten Lebenssituation an und geben den Rahmen vor, in dem Sie explorativ tätig werden möchten. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Ihre Meditationspraxis nach dem Startschuss reibungslos vonstattengeht.

Sicher erinnern Sie sich an die einzelnen Aspekte der Schmerzintervention, die ich anfangs mit dem Ausgießen der beiden Gläser angesprochen habe. Einer bestand darin, dass Sie sich im Rahmen des 30-Tage-Programms von einem rein symptomorientierten Vorgehen lösen. Und das wird nun konkret. Damit Sie in der Vorbereitungsphase diesbezüglich die richtigen Entscheidungen treffen, möchte ich Ihnen vor dem Start aufzeigen, worum es im Inneren Ihres Organismus geht und was dieser braucht, wenn Symptombekämpfung als Strategie entfällt. Ich zeige Ihnen, welche Implikationen das auf das Schaffen der richtigen äußeren und inneren Bedingungen im Vorfeld hat.

Ihr Schmerz und Ihr Gehirn

Zuerst möchte ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, dass das Empfinden von Schmerz aus neurophysiologischer Sicht kein lokaler, auf den schmerzenden Körperbereich bezogener Vorgang ist. Das ist es nicht, weil der Schmerz als solcher nicht an der sensiblen Stelle im Körper entsteht, wo Sie ihn spüren, sondern die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Zentralen Nervensystem, also fernab vom Schmerzherd, geschieht. Bevor die Meldung von Schmerzen in Ihre Wahrnehmung eingeht, wurde ein Mix aus Impulsen an Ihr Gehirn als Kontrollzentrum des Organismus weitergeleitet, das diese verarbeitet und in eine entsprechende Empfindungsqualität übersetzt. Es ist ein Fakt: Schmerzempfinden entsteht im Gehirn.

Indem Sie diese Tatsache als Ausgangspunkt für das vor Ihnen liegende Schmerzprogramm anerkennen, wird auch klar, worauf sich Ihr Fokus beim praktischen Vorgehen richten muss: Eben weil Schmerzverarbeitung im Verantwortungsbereich des „Dirigenten“ des menschlichen Organismus liegt, richten sich die Impulse im Übungsteil genau auf diesen, das Schmerz produzierende Gehirn. Weil das so ist, sind alle Praxistools neurologisch durchdacht und gehirnkompatibel aufbereitet. Sie sprechen die natürliche Wirkungsweise des Gehirns an und vertrauen auf dessen erfahrungsbezogene Wandelbarkeit, die so genannte Neuroplastizität.

Die Kraft von Bewusstheit

Diesen Anspruch erfüllen die Übungen besonders deshalb, weil sie unter dem Vorzeichen der Achtsamkeit und der bewussten Innenschau stehen. Bewusstheit verändert alles. Tatsache! Jedes Mal, wenn Sie sich bewusst wahrnehmen und Ihren Fokus auf innere Qualitäten Ihres Körpers richten, bringen Sie Bewegung in Ihr Gehirn. Die dort angesiedelten Aufmerksamkeitsnetzwerke erfahren eine Adaptation. Auch wenn das ein Prozess ist, der durch langfristigere Impulse im Gehirn erst „Form“ annehmen muss, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Bewusstheit zu einer Umorganisation der Hirnfunktionen führt und deshalb im Zuge der Schmerzintervention das Zünglein an der Waage ist.

Wir werden auf die fundamentale Kraft von Bewusstheit später noch zurückkommen. Für jetzt merken Sie sich am besten eines: Diejenigen Qualitäten, auf die Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, bestärken Sie. Diejenigen Aspekte, die außerhalb Ihrer Bewusstheit liegen, die Sie vernachlässigen, ausblenden oder negieren, ziehen Sie aus inneren Verarbeitungsprozessen heraus. Genau: Wohin Ihre Aufmerksamkeit fließt, dort entfachen Sie die meiste Aktivität in Ihrem Gehirn.

Auf dieser Grundlage verursacht ein bewusster Fokuswechsel eine Umstrukturierung auch derjenigen Gehirnbereiche, die unter anderem in die Produktion von Schmerzen involviert sind. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass das Einschleusen von Bewusstheit in Ihr Leben der Beginn einer besseren Schmerzverarbeitung ist. Nach zwei Jahrzehnten Hirnforschung zu den Wirkungen der achtsamkeitsbasierenden Innenschau ist das keine Hypothese mehr, sondern ein längst etablierter Fakt.

Damit das nicht als bloße Theorie stehenbleibt, werden Sie anhand zahlreicher Techniken und Methoden erfahren, wie sich die beiden Vorgänge, die der Schmerzverarbeitung und die der Meditationspraxis, in Ihrem Organismus „mixen“ und wie sich das in Ihrem Körperempfinden bemerkbar macht.

„Oje …“, seufzen Sie jetzt womöglich. „Jetzt muss ich auch noch das Gehirn verstehen.“ Aber nein, das müssen Sie nicht, jedenfalls nicht im Detail. Dazu bräuchten Sie einen Magnetresonanztomografen, der Ihre Gehirnleistungen aufzeichnet, damit es für Sie optisch nachvollziehbar wird. Weil ein solcher vermutlich nicht zu Ihrer Wohnungseinrichtung zählt, besteht Ihr Part darin, zunächst einmal determiniert zu üben und so viel Achtsamkeit und Körperbewusstsein wie möglich zu entwickeln.

Die Bewusstheits-Aufwärtsspirale

Gewissermaßen steigen Sie in einen Wahrnehmungskreislauf ein: Sie versorgen Ihr Gehirn mit achtsamkeitsbezogenen Informationen, mit „Brain food“ sozusagen, und beobachten aufmerksam, was geschieht. Sie nehmen wahr, welche Reizantworten Ihr Körper empfängt, und je nachdem, wie sie ausfallen, passen Sie diese an die darauffolgende Impulsgebung an. Übend erzeugen Sie gehirnaffine Reize, empfangen Feedbacks und spüren, was geschieht. Mit jedem „Response“ lernen Sie hinzu und werden sicherer in Ihrem Vorgehen. Dabei bekommen Sie ein Gefühl dafür, auf welche Art von Impulsen Ihr Organismus besonders positiv anspricht, was ihm behagt und was ihn stimuliert.

Schmerzamplituden

Und Ihr Schmerz? Ja, auch dieser wird antworten. Obwohl er nicht im Mittelpunkt des unmittelbaren Geschehens steht, stimmen als willkommener „Nebeneffekt“ auch Ihre Beziehung zu ihm, seine Routine und sein Charakter in die Veränderungen ein. Wie das im Einzelnen geschieht, kann ich Ihnen nicht vorhersagen. Es mag sein, dass Ihr Schmerz sofort die Sachlage erkennt und sich zum Rückzug entschließt. Oftmals passiert es, dass er sich Zeit lässt und klare, lange Informationen braucht, bevor er sich adaptiert. Und es kommt auch vor, dass er unschlüssig reagiert und zunächst Schwankungen unterliegt.

Zu Beginn von Bewusstheitsarbeit haben manche meiner Klienten das Gefühl, der Schmerz rücke stärker in den Vordergrund als je zuvor. Doch wenn das passiert, ist es der Entwicklung von Bewusstheit geschuldet: Wenn Sie sich einer Sache bewusst werden, heißt das, dass Sie von dieser stärker Notiz nehmen, und dazu gehören auch die Details von Schmerzprozessen. Sobald das Gehirn aber die innere Neuausrichtung akzeptiert hat, beginnt es Vorgänge der Schmerzverarbeitung zu revidieren. Und das geht dann auch in Ihr Bewusstsein ein.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich eines sagen: Schmerzen modulieren sich am klarsten, sobald Sie ein echtes Gefühl für die „Erfahrung Meditation” als inneren Zustand der Stille und Nicht-Identifikation entwickeln. Nicht durch die Meditationsübung als solche, sondern durch Distanz zu intern ablaufenden Prozessen, wie Gedanken, Emotionen und Gefühlen halten Sie das Rad Ihrer Schmerzhistorie an.

Den Schlüssellochblick weiten

Im Zuge dieses Prozesses ergibt sich für Sie aber noch ein weiterer Schritt: Indem sich Ihr Schlüssellochblick auf den Schmerz weitet, dehnen Sie ihn auf sich als ganzen Menschen aus. Indem Sie immer klarer fühlen, dass Ihre Wahrnehmungswelt nicht ausschließlich aus Schmerzen besteht, zieht eine neue Lebendigkeit in Ihren Körper ein. Sie entdecken, dass Sie viele schmerzfreie Areale zum Benutzen, Fühlen und Agieren haben, die vom Schmerz überschattet wurden und in Vergessenheit geraten sind.

Und mehr: Gerade weil sich Ihr Blick auf sich selbst verändert, werden Sie innerhalb des 30-Tage-Programms erfahren, wie es ist, als „ganzer“, vollkommener Mensch im Scheinwerferlicht der Intervention zu stehen. Sie verlassen den „Patientenstatus“ und werden ein Leben ohne ihn rasch als vollkommen normal empfinden.

Das Boot kielen

Doch nun zur Vorbereitung des Programms. Es ist gut, wenn die beschriebene Vorausschau bereits zum Einstieg in Ihre Entscheidungen einfließen kann. Selbst wenn Ihnen auf das Gehirn bezogene Begriffe noch fremd sind und meine Gewichtungen in Ihnen Zweifel ausgelöst haben sollten, wissen Sie nun, dass die bewusstheitsorientierte Schmerzintervention ein Unterfangen ist, das Ihre Fürsorge und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit braucht. Und dies beginnt bereits vor dem Start. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass die Hälfte des Gelingens bereits in einer achtsamen Vorbereitung liegt. Je genauer Sie sich auf das Programm einstellen und die richtigen Entscheidungen im Vorfeld treffen, desto reibungsloser wird sein Verlauf sein.

Vergleichen Sie die dreißig Tage eher mit einer Kreuzfahrt, für die Sie das Schiff gut kielen müssen, statt mit einer schnellen Bootstour, die mit einem spontanen Losmachen des Bootes vom Ufer beginnt. Genauso, wie Sie ein Retreat, einen Kuraufenthalt oder eine Urlaubsreise im Voraus planen, steht das auch dem Schmerzprogramm zu. Hier ist es fast noch wichtiger, weil Sie es möglicherweise inmitten Ihres Alltags absolvieren und deshalb viel mehr unter einen Hut zu bringen haben, als wenn Sie losgelöst von den üblichen Verpflichtungen sind.

 

Reisen oder zu Hause bleiben?

Ihre „Schmerzkurreise“

Verreisen könnten Sie tatsächlich in Erwägung ziehen. Zweifellos sprechen viele Gründe dafür, das Schmerzprogramm mit einem Orts- und Klimawechsel zu verbinden. Schauen Sie, ob die folgenden Faktoren bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fallen.

Vielen Klienten ist klar, dass das Zuhausebleiben während des Programms handfeste Risiken birgt. Das vertraute Umfeld ist gespickt mit Ablenkungen und Pflichten. Termine rufen, die Tagesroutine kostet Energie und Kraft, Job und Familie vereinnahmen einen Großteil Ihrer Zeit. Falls Sie in einem eng getakteten und überfrachteten Leben stecken, kann das Verreisen während des Schmerzprogramms tatsächlich eine ernsthafte Überlegung wert sein.

Und das hat auch „neuronale“, also gehirnspezifische Aspekte: Wenn ein Ortswechsel und damit ein Heraustreten aus dem gewohnten Lebensumfeld mit einem inneren Befreitsein, mit einem Akt des Aufatmens verbunden ist, setzen Sie gegenüber Ihrem Nervensystem bereits einen klugen Auftakt, einen aufrüttelnden Paukenschlag sozusagen, der Ihr Gehirn vom In-Gang-Setzen andersartiger Impulse informiert.

Eine solche Entlastung von häuslichen und beruflichen Pflichten kann gleichzeitig zu einer enormen emotionalen Erleichterung führen, die Ihnen Rückenwind gibt. Insbesondere für Eltern kleiner Kinder oder für beruflich stark eingespannte Menschen, die wissen, dass sie im Rad ihres Alltags kaum ein Fünkchen Ruhe haben, könnte das von Vorteil sein.

Klimawechsel

Für einen Ortswechsel spricht außerdem, dass einige Klienten in der Ferne, in einem anderen Klima und losgelöst von Verpflichtungen generell weniger Schmerzen haben. Arno, einer meiner Klienten, spürt beispielsweise während seiner Motorradtouren in den Dolomiten kaum noch seinen Halswirbelschmerz, obwohl das ein Paradox ist, weil die Körperhaltung beim Fahren keineswegs nackenfreundlich ist. Dorothea braucht das Luftholen auf dem Gipfel eines Berges und schon ziehen sich ihre Unterleibsschmerzen zurück. Holger muss nur die Idee vom Urlaub im Kopf haben, damit er sich besser fühlt, und Claudia reist so oft wie möglich ans Mittelmeer, weil sie dort frei von entzündlichen Gelenkbeschwerden ist.

Falls Sie solche Effekte kennen, liegt es tatsächlich nahe, dass Sie diese für das Schmerzprogramm nutzen. Unter Umständen kann das veränderte Umfeld zusammen mit den Impulsen der Übungspraxis sogar schon der Startschuss für eine dauerhafte Schmerzlösung sein. Ein großer Teil der Vorarbeit entfällt hier, weil Sie das Gehirn auf organische Weise in einen anderen „Arbeitsmodus“ hineinführen.

Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass eine Auszeit von vier Wochen nicht für jeden machbar ist. Sehen Sie hier, wie einige meiner Klienten dieses private „Sabbatical“ geregelt haben. Werden Sie ein wenig erfinderisch, wenn Sie an Optionen für das Schaffen von Freiräumen basteln!

Schmerzlösung live

Olivia

wusste sehr genau, dass sie die Schmerzkur niemals zu Hause machen konnte. Die Kinder würden sie abhalten, ihr Mann würde an dem Aufwand zweifeln und das Telefon unentwegt klingeln. Deshalb quartierte sich Olivia in das Wochenendhaus ihrer Freundin ein. Während der Woche teilten sich ihre Mutter und ihr Mann die Versorgung der Kinder, am Wochenende fuhr sie nach Hause und brachte alles spielend, weil ausgeruht, unter einen Hut. Olivia genoss ihre persönliche „Retreatzeit“ so sehr, dass sie sich schwor, sich solche Freiräume öfter zu organisieren.

Tommy

fürchtete, zu Hause zu vielen Ablenkungen ausgesetzt zu sein. Der Fernseher ziehe ihn magisch an und am Computer vergesse er sich definitiv, wenn er sich bei Facebook einlogge und in die „News Feed“ vertiefte. Deshalb folgte er seinem Empfinden und zog sich nach der Arbeit auf sein Segelboot zurück. Er genoss seine Zeit allein so sehr, dass er dies noch viele Male wiederholte und das Beobachten des Sonnenuntergangs am See auch nach Abschluss des Programms in seinen Tagesausklang einbezog.

Jutta

hatte als Leiterin eines vierzigköpfigen Werbeteams viele Verpflichtungen. Am liebsten wäre sie nach Timbuktu gereist, um ausschließlich für sich selbst da zu sein und ihrem Spannungskopfschmerz endlich „ade!“ zu sagen. Doch sie wusste, wie unrealistisch das war. Sie sprach aber im Vorfeld des Programms mit ihrem Chef ab, dass sie während dieses Monates keine Überstunden machen und auch nicht für zusätzliche Außentermine zur Verfügung stehen würde. Jutta musste sich zu diesem Schritt regelrecht überwinden, profitierte von diesem aber weit über das Schmerzprogramm hinaus.

An diesen Beispielen sehen Sie nicht nur, dass es verschiedene Wege und Lösungen gibt, um das richtige Klima für das Schmerzprogramm zu kreieren, sondern auch, dass Sie mit einer durchdachten Vorbereitung bereits die Segel für das Danach setzen.

Intervention mit Heimvorteil

Doch es gibt auch Effekte, die gegen einen Ortswechsel sprechen. Falls Sie Lust zum Verreisen bekommen haben, vergewissern Sie sich im Voraus, dass Ihre Reise nicht denselben Kurzzeiteffekt hat, der bei zahlreichen Urlauben, Retreats und Kuraufenthalten greift: Während der Reise ist alles bestens, Sie erholen sich und fühlen sich wohl. Doch sobald Sie Ihren Fuß wieder auf heimischen Boden setzen, bewegt sich der Erholungseffekt innerhalb weniger Tage in Richtung null. So schnell, wie Sie es gar nicht nachvollziehen können, stecken Sie in den alten Gewohnheiten wieder drin.

Falls Sie diesen Effekt kennen und von sich wissen, dass die Nachhaltigkeit Ihrer Reisen ein kurzfristiges Enddatum hat, spricht das definitiv für das Absolvieren des Schmerzprogramms in Ihrem gewohnten Umfeld. Anstatt sich aus diesem herauszuziehen, machen Sie Ihre Erfahrungen bewusst mittendrin in Ihrem realen Alltag. Dann werden die letzten Programmtage auch nicht von der Voraussicht überschattet, dass bald, wenn das normale Leben einsetzt, doch wieder alles beim Alten ist.

Entscheidungsbedarf

Kommen wir zur Entscheidungsfindung. Schauen Sie sich Ihren Schmerz jetzt vor dem Hintergrund Ihrer persönlichen Lebenssituation an: Welches „Klima“, welche „Atmosphäre“ brauchen Sie, damit Ihr Programm die größtmögliche Aussicht auf Erfolg hat? Bleiben Sie zu Hause? Oder fahren Sie lieber weg? Wäre eine Zwischenlösung hilfreich, die beide Vorteile miteinander vereint?

Am besten ist es, wenn Sie gar nicht lange darüber nachgrübeln, sondern kurz in sich hineinhören und derjenigen Antwort folgen, die Ihnen spontan in den Sinn kommt. Was immer Sie entscheiden, im Mittelpunkt steht, dass Ihre Entscheidung auf Realitätsnähe basiert und sich gleichzeitig gut und richtig anfühlt.

Zeit für sich

Ihre „Me-time“ konkret

Hier ein kurzer Vorausblick zur Intensität des Programms: An jedem Programmtag planen Sie mindestens zwei halbe Stunden Extrazeit ein, von denen die zweite halbe Stunde am Abend liegen sollte, damit Sie den zurückliegenden Tag reflektieren können. Am Morgen brauchen Sie mindestens ein paar Minuten, um sich die Tagestheorie und die Tagesbeobachtung durchzulesen. Falls das für Sie völlig ausgeschlossen ist, weil Sie ein Morgenmuffel oder ein notorischer Zu-spät-Aufsteher sind, können Sie sich aber auch schon am vorherigen Abend auf den nächsten Tag einstimmen.