Stahllilie und die Liga der Zerbrochenen

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Aus der Reihe: Stahllilie #2
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Stahllilie und die Liga der Zerbrochenen
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Stahllilie und die Liga der Zerbrochenen

Zweiter Band der Stahllilie-Erzählungen

Novelle

von

Katherina Ushachov

Impressum

© 2021 Katherina Ushachov

Littera Magia

Martina Mozelt, 1160 Wien

Lektorat: Sarah Stoffers

Korrektorat: Julia K. Hilgenberg

Illustrationen: Juwiart

Eli

Nikosh war also wirklich tot …

Obwohl zwischen seinem Tod während des Bebens und ihrer Evakuierung aus 37-C mehrere Wochen lagen, und zwischen dieser und der Vulkanzeremonie dieses ihm unbekannten Paares noch ein paar, fühlte es sich immer noch gleichzeitig dumpf und unmittelbar schmerzhaft an. Unwirklich.

Vielleicht weil es für Nikosh keine richtige Zeremonie gegeben hatte. Nur hastig ab in den Vulkan mit seinem zerschmetterten Körper. Es war ihm nicht einmal erlaubt gewesen, sich zu verabschieden. Nur seine Frau war in dieser Zeit bei ihm gewesen.

Sachte drückte Eli Sahars Finger, gerade fest genug, um es durch den dicken Handschuh zu spüren.

Im Chromschlitten nach 28-F, in bereits geebneten Kufenspuren und somit fast lautlos, glitten sie an glitzernden Eisnadeln vorbei. Schwiegen. Sein Kopf zu gedankenschwer, um auch nur einen davon auf seine Zunge zu lassen.

»Er fehlt mir.« Ein einziger Satz, ehe sie aus dem Schlitten stiegen.

Sahar nickte. »Ich weiß.«

»Ich dachte, wir könnten … Aber jetzt ist es endgültig.«

»Ja. Das dachte ich auch.« Sie ging voraus, etwas unschlüssig.

Eli konnte es ihr nicht verdenken. Es sah so aus wie bei ihnen und doch gab es winzige Details, die ihn immer wieder herausrissen. Ihm immer wieder zeigten, dass er zwar noch auf Motis war, aber in 28-F. Nur wenige Meter entfernt und doch unendlich weit von seinem Heimatschacht entfernt.

Die Hinweisschilder für öffentliche Toiletten, die ein leicht anderes Piktogramm hatten. Das Surren der Leitungen, das ein bisschen höher klang als gewohnt. Der Anstrich der Laufbänder und die Farbe, mit der die Geländer gestrichen waren.

Alles hier war anders, selbst die Bräuche. Flieder als Trauerfarbe? Ein öffentlicher Leichenschmaus für den ganzen Schacht? Das wäre für ihn undenkbar gewesen. Aber vermutlich musste er es den Einheimischen hoch anrechnen, dass sie ihre Ressourcen teilten und auch die Geflüchteten mit zum Leichenschmaus luden. Denn genau das waren Sahar und er.

Sie teilten das Zimmer mit drei anderen Familien, aber immerhin lebten sie noch – das konnte Eli nicht von allen behaupten. Vielleicht war es für die Leute, die jemanden verloren hatten, ein Trost, im fremden Vulkanschacht aufgenommen zu werden.

Für Eli war es anders.

Er erinnerte sich noch zu gut daran, wie viele sich geweigert hatten, die Evakuierungsbereiche zu betreten. Wie einige lieber von den Flammen der Löwenmähne getroffen zu lebenden Fackeln geworden waren, durch die Gänge gerannt waren und erbärmlich geschrien hatten. Allein beim Gedanken daran hatte er den Gestank von schwelendem Fleisch und schmorendem Plastik in der Nase, ein Geruch, den er nie wieder vergessen würde. Und wie eine der lebenden Fackeln beinahe zwischen Sahar und ihn gesprungen wäre, als sie sich für die Evakuierung anstellten, und nur der beherzte Fußtritt von Denika sie davor bewahrt hatte, zu brennen.

»Du kannst nichts dafür. Wirklich nicht.« Sahar schlüpfte in ihren Freizeitanzug – das einzige Kleidungsstück in den hiesigen Trauerfarben, das sie besaßen. »Es ist Nikoshs Entscheidung gewesen.«

Eli zuckte zusammen, und die Erinnerung an den Gestank verflog – fürs Erste. »Und dennoch …« Was, wenn er ihn zu den Taten getrieben hatte, die ihn seine Heimat und viele andere das Leben gekostet hatten? Was dann? Was, wenn alles Elis Schuld war?

Dana

Es hatte bei der Totenfeier angefangen – Dana erinnerte sich nur wie durch einen Schleier an die Menschen und an das Essen, aber sie erinnerte sich immer noch an das Gefühl, beobachtet zu werden.

Erst hatte sie vermutet, es müsste vom Geflüchtetenpärchen ausgegangen sein. Das war ihr im Nachhinein etwas peinlich, aber die beiden waren ihr durch die unpassende Kleidung aufgefallen: Fliederfarbene, hautenge Carbonfasern, gut, um gemeinsam in der Kantine zu sitzen und fernzusehen oder für die Sportebenen, unangemessen bei einer Trauerfeier. Offenbar war 28-F zu geizig, um den Menschen passende Kleidung auszugeben.

Im Nachhinein war es verständlich, dass sie zurückstarrten, als Dana sie angegafft hatte. Das war nur menschlich.

Aber das Gefühl ging selbst Wochen nach der Feier nicht mehr weg. Egal was sie tat und egal ob jemand in ihrer Nähe war. Hatte Motis die Ressourcen, um die Wände mit Kameras auszustatten? Mit Wanzen? Dana suchte die Wände in ihrer Unterkunft und im Trainingsbereich immer wieder ab, wenn gerade niemand hinsah. Es wäre ihr peinlich gewesen, dabei erwischt zu werden.

Doch nichts zu finden, beruhigte sie nicht. Sie schaffte es nicht mehr, sich auch nur einen Augenblick komplett zu entspannen, schlief schlecht und war schon am Morgen gerädert. Darunter litt ihre Konzentration so sehr, dass sie im Training von Tag zu Tag mehr und unverzeihliche Fehler machte.

In einem Moment der Unaufmerksamkeit streckte sie den Arm zu früh und das Gewicht zog ihr Handgelenk schmerzhaft herunter. Sie schrie auf und ließ es fallen. »Scheiße, scheiße, scheiße!«

»Das war sehr … ursprünglich.« Die Frau, die sich in Danas Blickfeld schob, trug die Uniform einer Ressortleitung in Purpur, war also wohl eine Vorgesetzte. Dana hatte sie noch nie gesehen, vermutlich war sie ein so hohes Tier, dass sie nicht einmal in der gleichen Kantine aß. Die glatten, dunkelbraunen Haare und ein sehr sorgfältig gezogener Lidstrich hoben sie noch mehr von den verschwitzten und verstrubbelten Leuten um sie herum ab.

Neben ihr stand ein Mann, in der gleichen Uniform. Seine Haut war dunkler, aber auch seine Frisur sehr sorgfältig und seine Brille schlicht, aber hochwertig.

Dana tanzten vor Schmerzen Schlieren vor den Augen und nahmen ihr immer wieder die Sicht. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht erneut zu schreien. »Das tat ganz ursprünglich ganz schön weh.« Es würde sie gerade nicht überraschen, wenn ihr Unfall in irgendeiner Art und Weise beabsichtigt gewesen war. Aber warum? Sie war nach wie vor eine normale Gladiatorin, glücklich in ihrem Beruf als Athletin und ohne Ambitionen, die über eine Erstplatzierung in der Profiliga hinausgingen.

Anders war es bei ihrer Schwester gewesen: Seras Nachlass erzählte die Geschichte einer ehrgeizigen Person. Die elektronischen Broschüren über den Erhalt des passiven Wahlrechts waren mit so vielen Anmerkungen und Notizen gespickt, dass die vermutlich mehr Speicher füllten als die Broschüren selbst.

Und genau einen Tag vor dieser unseligen Kontrolle im Nachbarschacht hatte sie den Antrag auf Beförderung eingereicht. Dazu war es nicht mehr gekommen, auch wenn Dana wusste, dass Seras Vorgesetzte im Sinn gehabt hatten, sie tatsächlich zu befördern.

Die Ressortleitung stellte sich ihr in den Weg und lächelte. »Nun, in jedem Fall sind mit einer solchen Verletzung die Wettkämpfe in dieser Saison nicht mehr zu bestreiten.«

»Ich weiß!« Dana atmete tief durch und versuchte, nicht so gereizt zu klingen. Oder so schmerzerfüllt – diese Genugtuung würde sie den beiden nicht gönnen.

»Ich schlage vor, wir gehen alle zusammen in den Sanitärbereich, da winkt ja auch schon ein Arzt.«

»Ja, um meine Verletzung zu versorgen. Nicht, um ein gemütliches Teetrinken zu viert zu veranstalten.« Sie winkte mit der anderen Hand zurück. »Ich komme!« Ohne die beiden weiter zu beachten, ging sie einfach zu dem Sanitäter.

Der Mann befühlte sofort ihren Arm, zog einige Male an ihrer Hand und den Fingern, und hielt ihr Handgelenk dann unter den Scanner. »Sieht übel aus. Da sammelt sich bereits Flüssigkeit.«

»So weit war ich auch schon.« Es schwoll langsam an und schmerzte, aber sie würde sich hüten, ausgerechnet in Gegenwart der zwei Oberschichtleute zu jammern. »Wann kann ich wieder trainieren?«

»Oh, also …« Der Sanitäter schob den Scanner hin und her. »Das ist gezerrt und hat sich bereits entzündet, also die nächsten Wochen Schienenpflicht und Schonung.«

»Aber …« Sie blickte unauffällig zu den beiden hinüber – bei dem Gedanken, dass sie Recht hatten und sie für die Saison ausfiel, zog sich ihr Magen zusammen. Was sollte sie sonst tun? Sie hatte nichts anderes gelernt, hatte keinen Plan B. Scheiße. Und wovon sie leben sollte, war eine weitere, drängende Frage.

Sie hatte nach der Trauerfeier das Sonderkündigungsrecht benutzt und Seras Hochzeit storniert. Das hatte etwas Geld gebracht, genau wie der Verkauf von Seras Kleidung. Genug für eine halbe Saison, Danas eigene Ersparnisse würden für ein paar weitere Wochen reichen. Danach sah es düster aus.

»Das hilft nichts. Es gibt selbst bei einer schnellen Reaktion keine Garantie, dass du danach wieder mit dieser Hand kämpfen kannst, aber wenn du es nicht direkt behandeln lässt, ist es sofort vorbei. Hier, geh damit in den Medizintrakt.« Er drückte ihr ein Plättchen in die gesunde Hand und eine kühlende Manschette aufs verletzte Handgelenk.

Dana nahm das Plättchen schnell an sich und stampfte an den beiden Purpurnen vorbei. Wenn sie nach der Saison nicht zurückkehren konnte … wovon sollte sie dann leben?

Existenzängste und Schmerzen bildeten keine besonders gute Kombination, während sie eigentlich einen kühlen Kopf brauchte. Und einen Plan.

»Oh, das tut uns sehr leid.« Die Frau legte eine Hand auf Danas Schulter – was bizarr war, musste sie sich dafür doch fast auf die Zehenspitzen stellen.

 

»Natürlich. Wer’s glaubt.« Sie hatte immer noch nicht vor, zu kuschen.

»In jedem Fall hast du nun recht viel Zeit. Dana, nicht wahr?«

»Ja, und die gedenke ich auf meine Art zu gestalten.« Dana lief demonstrativ ein wenig schneller, versuchte so, die lästige Hand abzuschütteln.

Die Dame rannte, um mit ihr Schritt zu halten, und das ließ Dana trotz ihrer Schmerzen schmunzeln. Wie untrainiert sie war. Normalerweise hätte sie nie über Menschen gelacht, die weniger sportlich waren als sie, doch diese Frau ließ sie ihren Anstand vergessen.

»Ich hätte einen Vorschlag für eine einhändige Beschäftigung. Oder zumindest für eine, bei der sich die verletzte Hand nicht zu sehr verausgaben muss.«

Dana runzelte die Stirn. »Danke, ich weiß, wie sowas geht, diskutiere das aber nicht mit irgendwelchen Fremden.« Wie viele Signale musste sie ihr eigentlich noch aussenden, damit die Frau endlich verstand, dass sie kein Interesse daran hatte, mit ihr ein Gespräch zu führen? Und zwar weder über ihre Zukunftspläne noch über ihre Freizeitgestaltung?

Die Dame verzog das Gesicht für einen Augenblick, lachte dann falsch. »Oh nein, doch nicht sowas. Nun, wie wäre es, wenn wir in aller Ruhe bei einem Glas Erdenlimonade darüber reden, sobald deine Hand versorgt ist? Ich habe zwei Flaschen Cola.«

Scheiße. Sie hatte erst einmal in ihrem Leben Cola getrunken und es war bei einer Siegesfeier gewesen, als sie in ihrer Liga und Altersgruppe die Beste geworden war. Sonst hätte sie sich ein Getränk, das von der Erde importiert wurde, nie leisten können. Erst recht kein solches.

»Nun, ich höre es mir zumindest an.« Sie musste ja nichts von dem tun, was die Frau sagte. Immerhin bekam sie ein Getränk ausgegeben, das sie sich für den Rest ihres Lebens abschminken musste, sollte der Sanitäter Recht haben und ihre Verletzung ihre Karriere beendet haben. Und wenn diese Frau wirklich an ihrem komischen Gefühl schuld war, dann auch an der Verletzung. Es war einfach viel zu auffällig, wie sie genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um nicht in irgendeiner Weise vorbereitet zu sein. Cola war dann das Mindeste, was ihr zustand!

»Gut, ich warte in der Kantine der oberen Ebene auf dich, frag nach Elica Garcia und du wirst sie betreten dürfen.« Die Dame deutete eine Verneigung an.

Dana nickte und machte dann, dass sie wegkam. Langsam wurde der Schmerz unerträglich und sie wollte nicht in Gegenwart dieser zwei Schnösel in Tränen ausbrechen. Nur dumpf fragte sie sich, wie eigentlich Schnösel Nummer 2 hieß – und warum er kein Wort gesagt hatte.

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