Buch lesen: «Häuser des Jahres 2021»

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Häuser
des
Jahres

Udo Wachtveitl

Katharina Matzig



„Der Bau von individuellem Wohnraum reizt allein schon deshalb, weil die Frage nach dem Wie-wir-leben-wollen jedesmal neu verhandelt wird.“

Jürgen Lehmeier, büro für bauform

Zwischen den Begriffen Kochen, Essen, Arbeiten, Schlafen und dem des Wohnens liegt das, was wir Architektur nennen, sagte Josef Frank, Mitbegründer der Wiener Schule der Architektur. Eine sehr schöne Definition des Wohnens.“

Hannes Sampl, dunkelschwarz ZT OG


Inhalt

Vorwort

Katharina Matzig

Einleitung

Udo Wachtveitl

Die Jury

Die Partner

1. Preis

Der Stadtbaustein

Andreas Fuhrimann

Gabrielle Hächler Architekten

Anerkennungen

Die Baukunst der Reduktion

Bathke Geisel Architekten

Freundliche Festung

Wespi de Meuron Romeo

Architekten BSA

Einraum für zwei

Hohengasser Wirnsberger

Architekten ZT GmbH

Vorne hui. Und hinten? Besonders hui!

ARSP ZT GmbH

Das Haus am See

Thomas Kröger Architekten GmbH

Das Bau-Kultur-Studio

Ruinelli Associati AG Architetti SIA

Die Charta von Luzern-Nord

Niklaus Graber & Christoph Steiger

Architekten ETH/BSA/SIA GmbH

Fotografiepreis

Der Lichtbildner

Albrecht Imanuel Schnabel

Ausgezeichnete Projekte

Tanz außerhalb der Reihe

jasarevic architekten bda dwb

Haus und Hof

Katja Knaus Freie Architektin

Das Land-Haus

PAC – Project Architecture Company

Architektur aus Passion

Studio Meichelböck

Neues Haus auf altem Keller

Brandenberger Kloter

Architekten AG

Ein Haus auf dem Land

LP architektur ZT GmbH

Schwer ist leicht was

LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei

GmbH & Co. KG

Leben im Gestern, Heute und Morgen

dunkelschwarz ZT OG

Tiny but shiny

FINCKH ARCHITEKTEN BDA

Der Einhof

LP architektur ZT GmbH

Formidable Füllung

Ruinelli Associati AG Architetti SIA

Almhütte 2.0

Architekten Mahlknecht Comploi

Haus mit Hof

Architekt Torsten Herrmann

Das Baum-Haus

Büro Voigt

Haus im Hang

Peter Bastian Architekten BDA

Leben im Verbund

mna merten nibbes architekten

PartGmbB

Wohnen unterm Gründach

büro für bauform

Das Landgut

Uwe Bernd Friedemann Architekt

Das kleine Schwarze

BUERO WAGNER

Dachgarten

Caramel architekten zt-gmbh

Der Schatz im Traunviertel

Moser und Hager Architekten

ZT GmbH

Planen und bauen, wohnen und arbeiten

SCHMITZARCHITEKTUR

Kunst und Bau

Architekt Maximilian Eisenköck

Skulptur im Park am See

Bart & Buchhofer Architekten AG

Aus einem Guss

Architekturbüro Herbert Bruhin

Neue Heimat

firm architekten

Ferien-Wohnen

Dominique Meier

Architektur ETH SIA

Dem Himmel nah

Büro Klaus Scheibl Architektur und Hammerschmid, Pachl, Seebacher – Architekten

Das Energie-Cluster

Baumschlager Eberle Architekten

Leben in der Scheune

Wolf Architektur ZT GmbH

Zeitgemäße Rekonstruktion

Andreas Fuhrimann

Gabrielle Hächler Architekten

Stadthaus Kaiserswerth

Nidus Studio GmbH

Aus Tradition gut

Architektur | Baumanagement

Jürgen Haller

Vielfalt in der Einheit

Jacob & Spreng Architekten GmbH

Komplexität auf engem Raum

Baumschlager Hutter Partners

Der Wachtturm

Kaundbe Architekten AG

Bau mit Botschaft

Sehw Architektur GmbH

Weniger ist mehr

Marazzi Reinhardt

Denkmalgerecht

Architekturbüro Huber

Quergestellt

REICHWALDSCHULTZ

Der Wolkenbügel

Dietrich | Untertrifaller Architekten

ZT GmbH

Auf den zweiten Blick

Bonauer Bölling Partnerschaft

von Architekten mbB

Lösungen des Jahres 2021

Ausgezeichnete Lösungen

Bad, Sanitär & Armaturen

Außenwand & Fassade

Türen, Tore & Beschläge

Fenster, Dach, Sonnenschutz & Sichtschutz

Bodenbeläge, Designböden & Innenwandgestaltung

Innovation & Technik

Beton. Für große Ideen.

InformationsZentrum Beton GmbH

New Monday – Die Jobbörse für ArchitektInnen und BauingenieurInnen

New Monday

Longlist 2021

Adressen

Impressum, Bildnachweis

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Vorwort

von Katharina Matzig

Das Jahr 2021 begann still. Alkohol war ebenso verboten wie große Feiern, Feuerwerk wurde nicht verkauft. Die Hoffnung, dass Böller und sonstige Höllenspektakel böse Geister inklusive Viren aller Art vertreiben könnten, wie die Germanen es noch glaubten, auf die der Kult der lauten Silvesternacht zurückgeht, hatte sich ebenso zerschlagen wie die Zuversicht, unsere Jurysitzung im Februar in Präsenz stattfinden lassen zu können. Der Begeisterung über die besonders hohe Zahl an Einreichungen – 180 Einfamilienhäuser aus Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz bewarben sich darum, zu den 50 besten Einfamilienhäusern des Jahres 2021 zu gehören –, tat die „Schalte am Rechner“ jedoch keinen Abbruch: So ausgiebig und ausführlich wie nie wurde debattiert und diskutiert, von Frankfurt und von Köln aus, aus Zürich, Ostfildern und aus München, über die städtebauliche Setzung, die Präzision der Grundrisse, die Komplexität der Räume, die Angemessenheit in der Umsetzung, über Material, Energieverbrauch, die soziale Nachhaltigkeit, also die flexible Anpassung an sich wandelnde Lebens- und Wohnansprüche, und an den verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden sowie dem Bestand. Und tatsächlich wurde es vor allem beim letztgenannten Punkt bisweilen auch laut.

Zum elften Mal wurde der Wettbewerb Häuser des Jahres ausgelobt und ein Haus mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Große und kleine Bauten waren in allen Jahren dabei. Das kleinste kommt heuer mit 50 Quadratmetern aus, die von Armando Ruinelli für eine Person zum Studieren und Wohnen maßgeschneidert wurden. Das größte misst knapp 531 Quadratmeter Wohnfläche für vier, von Dietrich | Untertrifaller wohnlich gestaltet. Häuser auf dem Land wurden ausgewählt und auf dem Dorf, in der Vorstadt und der Stadt. Sie sind aus Beton, Ziegel oder aus Stein, flächig aufgeglast oder von einzelnen Setzungen perforiert. Lehm sorgt für ein gesundes und dabei atmosphärisches Innenraumklima und bisweilen, wie bei dem Projekt, das Christian Feldkircher für seine Familie realisiert hat, kommt das Holz sogar aus dem eigenen Wald, aufgeforstet von den Urgroßeltern nach dem Bau des Bauernhauses und von der Urenkelin genutzt, die jetzt nicht nur komfortabel wohnt, sondern natürlich wieder 750 Jungbäume angepflanzt hat. Die Häuser des Jahres liegen am Hang oder am Wasser, sie ducken sich aufs Gelände oder strecken sich in die Höhe. Und liest man die Antworten auf meine Frage, was den Reiz und das Problem beim Bau eines Einfamilienhauses ausmacht, dann sind heute die kritischen Töne sehr viel lauter als vor Jahren, und die Architektinnen und Architekten gehen mit gutem Beispiel voran: „Der ständige Neubau von Einfamilienhäusern kann unseres Erachtens nicht die Antwort auf die Wohnungsfrage sein. Zumal es gleichzeitig so viel Leerstand bei bestehenden (Wohn-)Gebäuden gibt. Bei unserer Suche nach einem geeigneten Wohnraum waren wir deshalb immer auf der Suche nach gemeinschaftlichen Wohnformen oder einem interessanten Bestandsgebäude“, so Rike Kress von ARSP.

In der Realität sind die Kolleginnen und Kollegen also längst angekommen, da hätte es den Knall, mit dem im Februar 2021 nach einem Interview des Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter über das Verbot von Einfamilienhäusern gestritten wurde, gar nicht gebraucht. Zumal es richtig ist, dass das Einfamilienhaus nicht die einzig denkbare Wohnform ist und nicht für jeden Ort die beste Lösung. Gezeigt hat die Debatte jedoch, wie emotional aufgeladen das Thema Einfamilienhaus ist: Das eigene Haus ist und bleibt ein Traum Vieler, ein sicherer Rückzugsort und individueller Ausdruck eines persönlichen Wohn- und Lebensgefühls. Dass es dafür differenzierte und höchst unterschiedliche Lösungen gibt, zeigt dieses Buch, das auch jedem Politiker ans Herz gelegt sei: In Nürnberg entstand Lebensraum für eine Familie durch die Aufstockung eines kriegsgeschädigten Hauses, samt Dachgarten für alle Wohnparteien. In Esslingen wurde ein Parkplatz zum Wohnhäuschen, in Buchs reckt sich auf unbebaubarem Grund ein Turm. Historische Höfe in Sternenberg und in Dietach sind heute zeitgemäßer Wohnraum, in einem Gewerbegebiet im Norden von Luzern lebt es sich höchst angenehm in einem Neubau und in Berlin in einem umgebauten Gewerbebetrieb, den Xaver Egger und Sandra Scheffl für ihre Familie umgenutzt haben: „Das verleiht unserem Tun Authentizität. Für uns sind sich verändernde Lebenswelten keine abstrakten Begriffe von Zukunftsforschern, sondern wir erforschen gestalterisch und gestaltend immer wieder unsere eigene Zukunft und projizieren das auf unsere Arbeit im Büro. Unser Haus ist heute groß, da die Familie groß ist. Sind die Kinder aus dem Haus, kann es skaliert werden auf drei separate Wohnungen. Barrierefreiheit im Alter? Nicht ganz. Wir können ja später immer noch was Anderes bauen.“

Das schauen wir uns dann vielleicht in einigen Jahren an. In diesem Jahr haben wir einen ersten Preis und sieben Anerkennungen vergeben an die Bauten, die bei uns die stärksten Emotionen ausgelöst haben. Erstmals wurde zudem der Fotografiepreis verliehen und damit gewürdigt, dass es Bilder sind, die Emotionen vermitteln. 53 Einfamilienhäuser zeigen wir Ihnen auf der Longlist, sie wurden intensiv diskutiert und sind nur knapp ausgeschieden. Und da ohne qualitätvolle Produkte keine qualitätvolle Architektur entsteht, zeigen wir Ihnen auch dieses Jahr wieder ausgezeichnete Produkte aus sechs Kategorien, für die jeweils und erstmals ein erster Preis in einem Online-Voting gekürt wurde. Lagepläne – in der Regel im Maßstab 1:2000 –, Grundrisse und Schnitte – meist im Maßstab 1:400 –, Informationen und Fotos wurden uns von den Architektinnen und Architekten zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür, ebenso wie für die netten Gespräche und den interessanten digitalen Austausch. Unser Dank gilt zudem der Münchner Agentur Rose Pistola, die auch in diesem Jahr die buchkünstlerische Gestaltung übernommen hat.

„Preisverfahren und ihre Dokumentationen sind deshalb so wichtig, weil das gute Beispiel das Salz in der Suppe der Bauerei ist. Nur dann wird daraus Baukultur, wenn wir diese guten Beispiele nachahmen“, weiß der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel. Ohne Salz schmeckt es nicht. Ohne Emotionen lebt es sich fad. Dafür darf es gerne laut werden, solange es um Qualität und um Differenziertheit geht.

Einleitung

von Udo Wachtveitl

Wissen Sie noch, welches das Auto des Jahres 1971 war? Es war der Citroën GS, ein Mittelklassewagen mit Luftkühlung, den man heute so gut wie gar nicht mehr zu Gesicht bekommt. Die Zeit ist über ihn hinweggegangen. Freilich, Häuser haben andere Lebenszyklen, aber nach den Vorgaben des deutschen Fiskus – und wer wollte dessen direkten Draht zur Lebenswirklichkeit bestreiten? – ist ein Haus nach 50 Jahren abgeschrieben. In weiteren 50 Jahren werden auch so manche der Häuser in diesem Buch aus der Zeit gefallen sein. Welche das sind, darüber kann man heute nur spekulieren.

Sie halten ein Buch in Händen, in dem es fast ausschließlich um Einfamilienhäuser geht. Es ist auch ein Buch, dessen Erscheinungsjahr im Titel steht, der aktuelle Zeitbezug ist also Programm. Und so wäre es ein sträfliches Versäumnis, die gegenwärtige Diskussion um das Einfamilienhaus nicht aufzugreifen – und sei es für zukünftige Leser in fünfzig Jahren. Als städtebaulicher Wahnsinn wird es geschmäht, als ökologieblinde Prasserei, gern auch als Manifestation einer anachronistischen bürgerlichen Lebenswelt mit Fortschreibungstendenz.

Vielleicht wird man deshalb dereinst überhaupt die Idee des Einfamilienhauses als obsolet betrachten, so wie heute das Ende des Verbrennungsmotors eingeläutet zu sein scheint.

Die Gegnerschaft zum Einfamilienhaus lässt sich nicht so einfach als eine Frage der Mode, wie zum Beispiel Flachdächer oder Waschbetonfassaden, und auch nicht als eine rein ideologische abtun, auch wenn die Rhetorik manchmal nach Klassenkampfklingt und nach Sauertopf riecht. Dabei ist die Beobachtung ja zutreffend, dass sich in vielen Regionen nur noch Erben oder Spitzenverdiener ein Haus mit Garten leisten können.

Interessant ist in dem Zusammenhang, dass ausgerechnet das mit einer egalitären Gerechtigkeitsauffassung schlecht vereinbare, weil dynastischen Verhältnissen Vorschub leistende Erbrecht da und dort noch für gesellschaftliche Durchmischung sorgt, wo die Mechanismen des freien Immobilienmarkts dieser entgegenstehen. In den heute so bevorzugten Lagen am Stadtrand finden sich ab und an nur deshalb noch ein paar Normalverdiener, weil sie das Häuschen von der Oma geerbt haben, die noch selber Gemüse anbaute und Kaninchen züchtete.

Die Gegner des Einfamilienhauses haben einige unabweisbare Argumente auf ihrer Seite: Wo eine Familie wohnt, können gestapelt auch fünf wohnen, das Verhältnis von Außenfläche zu umbautem Raum ist notwendig schlechter als bei Mehrfamilienhäusern, die Ausbreitung im Raum zieht Mobilitätsbedarf nach sich, der wiederum Straßen und andere Infrastruktur nötig macht. Und nicht zuletzt stellt die Bodenversiegelung ein ernstes Problem dar: Jeden Tag verschwinden in Deutschland 60 Hektar Landschaft, beklagt der Bund Naturschutz und rechnet das um auf etwa ein Einfamilienhaus pro Minute. Bevor sie Ihren Taschenrechner bemühen: Das entspricht knapp 417 Quadratmetern pro EFH. Üppig, wenn man nur die versiegelte Grundfläche mit Haus, Garage, Wegen, Sandkiste, Geräteschuppen usw. rechnet, als Grundstück fürs gesamte Anwesen mit Garten eher klein. Da aber der größte Teil der Gartengestaltung wenig naturnah ist, kann man die Berechnung des BUND als polemisch-griffigen Weckruf schon gelten lassen, auch wenn es natürlich andere Bautätigkeiten gibt, die den Boden versiegeln.

Von Flugscham und Diesel-Scham hat man schon gehört. Von Steakliebhabern, die unversehens in eine vegetarisch dominierte Abendgesellschaft geraten sind, kennt man die unerfragten, meist gestammelten Bekenntnisse, dass man eigentlich nur noch ganz selten Fleisch isst, und wenn, dann nur vom Bio-Metzger, den man persönlich kennt. Wird es bald auch eine Einfamilienhaus-Scham geben?

Nach wie vor ist die bevorzugte Wohnform der Deutschen – die Österreicher und Schweizer werden da keine Ausnahme machen – ein freistehendes Einfamilienhaus mit 90 bis 120 Quadratmetern Wohnfläche und fünf Zimmern, mit dem ÖPNV oder Pkw in weniger als 20 Minuten von einem städtischen Zentrum erreichbar. Am liebsten würden die Befragten in ihrer eigenen Immobilie wohnen und die Kosten sollten das Familienbudget mit nicht mehr als 20 Prozent belasten.

Das wird nicht gehen. Jedenfalls nicht für alle, die sich das wünschen. So bringt der Traum, von vielen geträumt, seine eigene Unmöglichkeit hervor. Und zwar unabhängig davon, dass der Traum aufgrund der Logik von Angebot und Nachfrage für viele unerschwinglich bleiben wird. In Hongkong wurde neulich ein Parkplatz für eine Million Euro verkauft. Selbst wenn alle Kaufwilligen in Geld schwömmen, ließen sich die benötigten Flächen nicht einfach herstellen wie Laptops oder T-Shirts. Diesen Träumen stehen harte, gleichsam logische Wahrheiten entgegen.

Wird es bald auch eine Einfamilienhaus-Scham geben?

Und die sie sich doch erfüllen wollen und können, müssen die nicht wenigstens ein schlechtes Gewissen haben? Und was soll so ein Gedanke in der Einleitung zu einem Buch, das eben diesen Traum so reich und Mund wässernd bebildert?

Die Sozialpsychologie hat einen Begriff geprägt, unter dem solche Problemlagen subsumiert werden. Wenn wie hier Wunsch und Realität nicht oder nur mit unangenehmen Kollateralgefühlen in Übereinstimmung gebracht werden können, spricht man von kognitiver Dissonanz. Nicht nur dann, aber auch dann. Der Mensch lebt aber nicht gern im Widerspruch, vor allem nicht mit sich selbst, und so drängt es ihn, diesen aufzulösen oder wenigstens abzumildern. Einige bewährte Strategien haben sich herausgebildet.

In den Beschreibungen und Jury-Urteilen ist auffallend oft die Rede von edlen Materialien und wertiger Handwerksarbeit am Einzelstück. So könnten Sie dieses Buch und die darin vorgestellten Häuser als eine Art Haute-Couture-Modenschau verbuchen, die den Geschmack bildet, Trends setzt, zu Widerspruch und Diskussion reizt, und sich dann mit ästhetisch geschärftem Blick wieder dem Prêt-à-porter des Erreichbaren zuwenden. Analog dazu, wie ja auch der Spitzensport den Breitensport beflügeln soll.

Möglich ist auch ein beherztes Bekenntnis zum Privileg, zum Es-ist-nun-mal-so. Manche können sich mehr leisten als andere, und diese ungleiche Verteilung macht vor einem Allgemeingut wie dem Boden nicht Halt. Nicht nur manche Menschen sind reich, die Wirklichkeit ist es auch: Es gibt Zusammenhänge, da ist der Architekt als Sozialingenieur für die Unterbringung möglichst vieler gefordert, und es gibt Bereiche, da fungiert er als Dienstleister für individuelle Entfaltung. Ein gewisses Maß an Luxus für manche ist sowohl sozial wie auch ökologisch vertretbar und dieses Maß ist noch nicht überschritten. Und wenn doch, dann hätten Sie eben Adornos berühmtes Diktum, dass es kein richtiges Leben im falschen gäbe – mit dem er übrigens einen Text über das Wohnen schloss! – für sich jedenfalls widerlegt.

Eine weitere Möglichkeit bietet sich den Freunden des Symbolischen: Auch der Mensch, der sich aus Not oder Einsicht mit einem winzigen Appartement von 20 Quadratmetern in einem mehrstöckigen Wohnhaus begnügt, braucht zum Überleben mehr Erdoberfläche, als er anteilig bewohnt. Auch seine Nahrung muss irgendwo angebaut werden, auch die Solarmodule und Windräder zu seiner Versorgung müssen irgendwo stehen, auch die Baumwolle für seine Jeans muss irgendwo wachsen. Sein wahrer Anteil am Ressourcenverbrauch ist nur verschleiert.

Das Einfamilienhaus mit Garten drum herum wäre so betrachtet ein sinnfälliges Zeichen dafür, dass der Mensch von der Erde lebt. So lange jedoch im Garten nur Ziersträucher wachsen und nicht auch Getreide, ist damit jedoch wirklich nur auf symbolischer Ebene etwas gewonnen. Aber wer weiß, vielleicht sehen wir ja in Zukunft Chefärzte und Hedgefondsmanager Kaninchen züchten und Rüben ziehen für den Eigenbedarf. Dazu gibt’s selbst gekelterten Wein von der Südwand der Doppelgarage.

Oft zu beobachten ist auch der Ansatz, sich all die ökologischen und raumplanerischen Moralpredigten herzlich egal sein zu lassen und den Verzicht fordernden Untergangsszenarien zugunsten des prallen Lebens im Hier und Jetzt schlicht keinen Glauben zu schenken. Ganz wie der Pfarrer in einer kleinen Anek-dote von Oskar Maria Graf: Nach einem Dorffest am Samstagabend, auf dem wild gesoffen, geprasst, gerauft und auch anderen sinnlichen Freuden querfeldein gefrönt wurde, zündet er den Sündern am Sonntagmorgen in der Kirche eine glühende Predigt auf. Er steigert sich in einen regelrechten moralischen Furor und schildert die Martern der Hölle so plastisch, dass die Gemeinde schockstarr in den Bänken sitzt. Als er wieder aufblickt und die weinenden und entsetzten Gesichter sieht, merkt er, dass er zu weit gegangen ist und sagt: „Beruhigt’s euch wieder. Vielleicht stimmt’s ja gar net.“

Vielleicht sehen wir ja in Zukunft Chefärzte und Hedgefondsmanager Kaninchen züchten und Rüben ziehen für den Eigenbedarf. Dazu gibt’s selbst gekelterten Wein von der Südwand der Doppelgarage.

Sagen sie einem Kind, es soll ein Haus malen. Es wird ein Einfamilienhaus sein, keine Genossenschaftssiedlung und kein Wohnturm. Der Akt der Landnahme, des Einfriedens, des Schaffens von Obdach für sich und die Seinen ist tief verankert in unserer Kultur, die von Sesshaftigkeit, Kleinfamilie und Individualismus geprägt ist. Hier bin ich und hier bleibe ich.

Nahezu alle Häuser in dieser Sammlung reagieren auf die eine oder andere Weise auf die aufgeworfenen Fragen. Die Stichwörter Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit, natürliche Materialien, Angemessenheit, verantwortungsbewusster Umgang, sensibel usw. finden sich durchgängig, ganz sicher öfter, als dies bei den Häusern des Jahres 1971 der Fall gewesen sein mag. So wahr dies ist, so üppig bemessen sind in den meisten Fällen die verfügbaren Quadratmeter pro Person, so wenig können sie als verallgemeinerbares Konzept des Wohnens für alle dienen. Sollen sie auch gar nicht. Schön sollen sie sein, gut gedacht und gut gemacht. Sie brauchen Platz, und sie haben ihren Platz in der architektonischen Palette.

Träumen Sie. Erfüllen Sie sich den Traum, wenn Sie können. In die Garage stellen Sie sich dann einen Oldtimer, vielleicht einen Citroën GS. Sie müssen ihn ja nicht so oft fahren, den alten Stinker. Aus Gewissensgründen.

Udo Wachtveitl, auch bekannt als Franz Leitmayr aus der ARD-Serie Tatort, ist ein deutscher Schauspieler, Synchronsprecher, Regisseur und Drehbuchautor. Er hat zwei Jahre lang als Kolumnist für die Architekturzeitschrift Baumeister geschrieben.

€39,99

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
632 S. 688 Illustrationen
ISBN:
9783766725639
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Rechteinhaber:
Bookwire
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