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Winnetou 1

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Wir kehrten in die Stadt zurück und suchten den Pferdehändler auf, bei dem es einen weiten Reithof gab, welcher rings von Stallungen umgeben war. Korner kam selbst herbei und fragte nach unserm Begehr.

»Dieser junge Sir behauptet, daß ihn kein Pferd aus dem Sattel bringe,« antwortete Henry. »Was meint Ihr dazu, Mr. Korner? Wollt Ihr ihn einmal auf Euern Rotschimmel klettern lassen?«

Der Händler maß mich mit prüfendem Blicke, nickte dann befriedigt vor sich hin und antwortete:

»Das Knochengestell scheint gut und elastisch zu sein; übrigens brechen junge Menschen den Hals nicht so leicht wie ältere Leute. Wenn der Gentleman den Schimmel versuchen will, so habe ich nichts dagegen.«

Er gab den betreffenden Befehl, und nach einiger Zeit brachten zwei Knechte das gesattelte Pferd aus dem Stall geführt. Es war höchst unruhig und strebte, sich loszureißen. Meinem alten Mr. Henry wurde Angst um mich; er bat mich, von dem Versuche abzustehen; aber erstens war mir gar nicht bange, und zweitens betrachtete ich die Angelegenheit nun als Ehrensache. Ich ließ mir eine Peitsche geben und Sporen anschnallen; dann schwang ich mich, allerdings nach einigen vergeblichen Versuchen, gegen welche das Pferd sich wehrte, in den Sattel. Kaum saß ich oben, so sprangen die Knechte eilends fort, und der Schimmel tat einen Satz mit allen Vieren in die Luft und einen zweiten zur Seite. Ich behielt den Sattel, obgleich ich noch nicht in den Bügeln war, beeilte mich aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul, zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort. Hierauf gab es einen bösen, beinahe für mich gefährlichen Kampf zwischen Reiter und Pferd. Ich bot alles auf, das wenige Geschick und die unzureichende Uebung, welche ich damals nur besaß, und die Kraft der Schenkel, die mich schließlich doch zum Sieger machte. Als ich abstieg, zitterten mir die Beine vor Anstrengung; aber das Pferd triefte vor Schweiß und schäumte große, schwere Flocken; es gehorchte nun jedem Drucke und Rucke.

Dem Händler war Angst um sein Pferd geworden; er ließ es in Decken wickeln und langsam hin und her führen; dann wendete er sich an mich:

»Das hätte ich nicht gedacht, junger Mann; ich glaubte, Ihr würdet schon beim ersten Sprunge unten liegen. Ihr habt natürlich nichts zu bezahlen, und wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so kommt wieder und bringt mir die Bestie vollends zu Verstand. Es soll mir auf zehn Dollars nicht ankommen, denn es ist kein billiges Pferd, und wenn es gehorchen lernt, so mache ich ein Geschäft.«

»Wenn es Euch recht ist, soll es mir ein Vergnügen sein,« antwortete ich.

Henry hatte, seit ich abgestiegen war, noch nichts gesagt, sondern mich nur immer kopfschüttelnd angesehen. Jetzt schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»Dieses Greenhorn ist wirklich ein ganz außerordentliches oder vielmehr ungewöhnliches Greenhorn! Hat das Pferd halb tot gedrückt, anstatt sich in den Sand werfen zu lassen! Wer hat Euch das gelehrt, Sir?«

»Der Zufall, der mir einen halbwilden, ungarischen Pußtenhengst, der niemand aufsitzen lassen wollte, zwischen die Beine gab. Ich habe ihn nach und nach bezwungen, dabei aber fast das Leben riskiert.«

»Danke für solche Kreaturen! Da lobe ich mir meinen alten Polsterstuhl, der nichts dagegen hat, wenn ich mich auf ihn setze. Kommt, wir wollen gehen. Es ist mir ganz schwindelig geworden. Aber umsonst habe ich Euch nicht schießen und reiten sehen; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

Wir gingen nach Hause, er zu sich und ich in meine Wohnung. Während dieses und der beiden nächsten Tage ließ er sich nicht sehen, und ich hatte auch keine Gelegenheit, ihn aufzusuchen; aber am darauffolgenden Tage kam er des Nachmittags zu mir; er wußte, daß ich da frei hatte.

»Habt Ihr Lust, einen Spaziergang mit mir zu machen?« fragte er.

»Wohin?«

»Zu einem Gentleman, der Euch gern kennen lernen will.«

»Warum mich?«

»Das könnt Ihr Euch doch denken: weil er noch kein Greenhorn gesehen hat.«

»So gehe ich mit; er soll uns kennen lernen.«

Henry machte heut so ein pfiffiges, unternehmendes Gesicht, und wie ich ihn kannte, hatte er irgend eine Überraschung vor. Wir schlenderten durch einige Straßen und dann führte er mich in ein Bureau, in welches von der Straße aus eine breite Glastür führte. Er nahm den Zutritt so schnell, daß ich die goldenen Lettern, welche auf den Glasscheiben standen, nicht mehr lesen konnte, doch glaubte ich, die beiden Worte Office und surveying gesehen zu haben. Bald stellte es sich heraus, daß ich mich nicht geirrt hatte.

Es saßen drei Herren da, welche ihn sehr freundlich und mich höflich und mit nicht zu verbergender Neugierde empfingen. Karten und Pläne lagen auf den Tischen; dazwischen gab es allerlei Meßinstrumente. Wir befanden uns in einem geodätischen Bureau.

Welchen Zweck mein Freund mit diesem Besuche verfolgte, war mir unklar; er hatte keine Bestellung, keine Erkundigung vorzubringen; er schien nur der freundschaftlichen Unterhaltung wegen gekommen zu sein. Diese kam allerdings sehr bald in einen lebhaften Gang, und es konnte nicht auffallen, daß sie sich schließlich auch auf die Gegenstände, welche sich hier befanden, erstreckte; dies war mir lieb, denn da konnte ich mich besser beteiligen, als wenn von amerikanischen Dingen oder Verhältnissen gesprochen worden wäre, die ich noch nicht kannte.

Henry schien sich heut außerordentlich für die Feldmeßkunst zu interessieren; er wollte alles wissen, und ich ließ mich gern so tief in das Gespräch ziehen, daß ich endlich immer nur Fragen zu beantworten, den Gebrauch der verschiedenen Instrumente zu erklären und das Zeichnen von Karten und Plänen zu beschreiben hatte. Ich war wirklich ein tüchtiges Greenhorn, denn ich merkte nicht die Absicht heraus. Erst als ich mich über das Wesen und die Unterschiede der Aufnahme durch Koordinaten, der Polar- und Diagonalmethode, der Perimetermessung, des Repetitionsverfahrens, der trigonometrischen Triangulation ausgesprochen hatte und die Bemerkung machte, daß die drei Herren dem Büchsenmacher heimlich zuwinkten, wurde mir die Sache auffällig, und ich stand von meinem Sitz auf, um Henry anzudeuten, daß ich zu gehen wünsche. Er weigerte sich nicht, und wir wurden jetzt auch ich noch freundlicher entlassen, als der Empfang gewesen war.

Als wir dann so weit gegangen waren, daß man uns von dem Bureau aus nicht mehr sehen konnte, blieb Henry stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem sein Gesicht in heller Genugtuung leuchtete:

»Sir, Mann, Mensch, Jüngling, Greenhorn, aber habt Ihr mir eine Freude gemacht! Ich bin ja förmlich stolz auf Euch!«

»Warum?«

»Weil Ihr meine Empfehlung und die Erwartung dieser Leute noch übertroffen habt!«

»Empfehlung? Erwartung? Ich verstehe Euch nicht.«

»Ist auch nicht nötig. Die Sache ist aber sehr einfach. Ihr behauptetet kürzlich, etwas von der Feldmesserei zu verstehen, und um zu erfahren, ob dies etwa nur Flunkerei gewesen sei, habe ich Euch zu diesen Gentlemen, die gute Bekannte von mir sind, geführt und Euch von ihnen auf den Zahn fühlen lassen. Es ist ein sehr gesunder Zahn, denn Ihr habt Euch höchst ehrenvoll herausgebissen.«

»Flunkerei? Mr. Henry, wenn Ihr mich solcher Dinge für fähig haltet, werde ich Euch nicht mehr besuchen!«

»Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet mich alten Kerl doch nicht der Freude berauben, die mir Euer Anblick macht. Wißt schon, wegen der Ähnlichkeit mit meinem Sohne! Seid Ihr vielleicht einmal beim Pferdehändler gewesen?«

»Täglich des Morgens.«

»Und habt den Rotschimmel geritten?«

»Ja.«

»Wird etwas aus dem Pferde?«

»Will es meinen. Nur bezweifle ich, daß der, welcher es kauft, so gut mit ihm auskommen wird wie ich. Es hat sich nur an mich gewöhnt und wirft jeden Andern ab.«

»Freut mich, freut mich ungeheuer; es will also, wie es scheint, nur Greenhorns tragen. Kommt einmal mit durch diese Seitenstraße! Weiß da drüben ein famoses dining-house, in welchem man sehr gut speist und noch besser trinkt. Das Examen, welches Ihr heut so vortrefflich bestanden habt, muß gefeiert werden.«

Ich konnte Henry nicht begreifen; er war wie umgetauscht. Er, der einsame, zurückhaltende Mann, wollte in einem dining-house essen! Auch sein Gesicht war ein anderes als gewöhnlich, und seine Stimme klang heller und froher als sonst. Examen hatte er gesagt. Das Wort fiel mir auf, konnte hier aber ein ganz bedeutungsloser Ausdruck sein.

Von diesem Tage an besuchte er mich täglich und behandelte mich wie einen lieben Freund, den man bald zu verlieren befürchtet. Aber einen Stolz über diese Bevorzugung ließ er in mir nicht aufkommen; er hatte stets einen Dämpfer bereit, welcher in dem fatalen Wort Greenhorn bestand.

Sonderbarerweise hatte sich zu derselben Zeit auch das Verhalten der Familie, in der ich wirkte, verändert. Die Eltern hatten sichtlich mehr Aufmerksamkeit für mich, und die Kinder waren zärtlicher geworden. Ich überraschte sie bei heimlichen Blicken auf mich, die ich nicht verstehen konnte; ich hätte sie liebevoll und auch bedauernd nennen mögen.

Ungefähr drei Wochen nach unserm sonderbaren Besuche im Bureau bat mich die Lady, am Abend, der heut für mich ein freier war, nicht auszugehen, sondern das supper mit der Familie zu nehmen. Als Grund dieser Einladung gab sie an, daß Mr. Henry kommen werde, und außerdem habe sie zwei Gentlemen geladen, von denen der eine Sam Hawkens heiße und ein berühmter Westmann sei. Ich als Greenhorn hatte diesen Namen noch nicht gehört, freute mich aber doch darauf, den ersten wirklichen und sogar berühmten Westmann kennen zu lernen.

Da ich Hausgenosse war, brauchte ich nicht bis Punkt zum Glockenschlage zu warten, sondern stellte mich einige Minuten vorher in dem dining-room ein. Dort sah ich zu meiner Verwunderung nicht das gewöhnliche Arrangement, sondern es war wie zu einem Feste gedeckt worden. Die kleine, fünfjährige Emmy hatte sich allein in dem Raume befunden und den Finger, um zu naschen, in das Beerenkompott gesteckt. Sie zog ihn, als ich eintrat, schnell zurück und wischte ihn spornstreichs an ihrem hochblonden Frisurchen ab. Als ich nun mit strafendem Winke den meinigen erhob, kam sie auf mich zugesprungen und flüsterte mir einige Worte zu. Um ihr Vergehen gut zu machen, teilte sie mir das Geheimnis der letzten Tage, welches ihr das kleine Herzchen fast abgedrückt hatte, mit. Ich glaubte, falsch verstanden zu haben; sie aber wiederholte auf meine Aufforderung dieselben Worte: »Your farewell-feast.«

 

Mein Abschiedsschmaus! Das konnte doch unmöglich sein! Wer weiß, durch welches Mißverständnis das Kind auf diese jedenfalls irrige Meinung gekommen war. Ich lächelte darüber. Dann hörte ich Stimmen im Parlour; die Gäste kamen, und ich ging hinüber, sie zu begrüßen. Sie waren alle drei zu gleicher Zeit gekommen, auf Verabredung hin, wie ich später erfuhr. Henry stellte mir einen jungen, etwas stumpf und ungelenk aussehenden Mann als einen Mr. Black und dann Sam Hawkens, den Westmann, vor.

Den Westmann! Ich gestehe offen zu, daß ich, als mein Auge verwundert auf ihm ruhte, wohl nicht sehr geistreich ausgesehen haben mag. Eine solche Gestalt hatte ich denn doch noch nicht gesehen; später freilich habe ich noch ganz andere kennen gelernt. War der Mann schon an sich auffällig genug, so wurde dieser Eindruck dadurch erhöht, daß er hier in dem feinen Parlour ganz genau so stand, wie er draußen in der Wildnis gestanden haben würde, nämlich ohne die Kopfbedeckung abzunehmen und mit dem Gewehre in der Hand. Man denke sich folgendes Äußere:

Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würden, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzen Barthaaren eine Nase hervor, die von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge dieses gewaltigen Bartwuchses waren außer dem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Äuglein zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List auf mir ruhten. Der Mann betrachtete mich ebenso aufmerksam wie ich ihn; später erfuhr ich den Grund, warum er sich so für mich interessierte.

Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher bis auf die Knie herab unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Manne das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor zwei Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in denen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können.

In der Hand trug dieser berühmte »Westmann« eine Flinte, welche ich wohl nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte; sie war einem Knüppel viel ähnlicher als einem Gewehre. Ich konnte mir in diesem Augenblicke keine größere Karikatur eines Präriejägers denken, doch sollte keine lange Zeit vergehen, bis ich den Wert dieses originellen Männchens vollauf erkennen lernte.

Nachdem er mich genau betrachtet hatte, fragte er den Büchsenmacher mit einer dünnen Stimme, die wie eine Kinderstimme klang:

»Ist dies das junge Greenhorn, von dem Ihr mir erzählt habt, Mr. Henry?«

»Yes,« nickte dieser.

»Well! Gefällt mir gar nicht übel. Hoffe, daß Sam Hawkens ihm auch gefallen wird, hihihihi!«

Mit diesem feinen, ganz eigenartigen Lachen, welches ich später noch tausendmal von ihm gehört habe, wendete er sich nach der Tür, die sich in diesem Augenblicke öffnete. Der Herr und die Dame des Hauses traten ein und begrüßten den Jäger in einer Weise, welche vermuten ließ, daß sie ihn schon einmal gesehen hatten. Das war hinter meinem Rücken geschehen. Dann luden sie uns ein, in das Speisezimmer zu treten.

Wir folgten dieser Aufforderung, wobei Sam Hawkens zu meinem Erstaunen gar nicht vorher ablegte. Erst als wir unsere Plätze an der Tafel angewiesen erhielten, sagte er, indem er auf seinen alten Schießprügel deutete:

»Ein richtiger Westmann läßt sein Gewehr niemals aus den Augen und ich meine brave Liddy erst recht nicht. Werde sie dort an die Gardinenrosette hängen.«

Also Liddy nannte er sein Gewehr! Später erfuhr ich freilich, daß es die Gewohnheit vieler Westläufer ist, ihr Gewehr wie ein lebendes Wesen zu behandeln und ihm einen Namen zu geben. Er hing es an die genannte Stelle und wollte den famosen Hut hinzufügen; als er ihn abnahm, blieb zu meinem Entsetzen sein ganzes Kopfhaar an demselben hängen.

Es war wirklich zum Erschrecken, welchen Anblick nun sein hautloser, blutigroter Schädel bot. Die Lady schrie laut auf, und die Kinder kreischten, was sie konnten. Er aber wandte sich zu uns um und sagte ruhig:

»Erschreckt nicht, Myladies und Mesch‘schurs; es ist ja weiter nichts! Hatte meine eigenen Haare mit vollem Rechte und ehrlich von Kindesbeinen an getragen, und kein Advokat wagte es, sie mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees über mich kamen und mir die Haare samt der Haut vom Kopfe rissen. War ein verteufelt störendes Gefühl für mich, habe es aber glücklich überstanden, hihihihi! Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir einen neuen Skalp gekauft, wenn ich mich nicht irre; wurde Perücke genannt und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle. Schadet aber nichts, denn die neue Haut ist viel praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt, hihihihi.«

Er hing den Hut zur Flinte und stülpte sich die Perücke wieder auf den Kopf. Dann zog er den Rock aus und legte ihn über einen Stuhl. Dieser Rock war viele, viele Male geflickt und ausgebessert worden, immer ein Lederfetzen wieder auf den andern genäht, und dadurch hatte dieses Kleidungsstück eine Steifheit und Dicke erlangt, daß wohl kaum ein Indianerpfeil hindurchkommen konnte.

Nun sahen wir seine dünnen, krummen Beine ganz. Der Oberkörper stak in einer ledernen Jagdweste. Im Gürtel hatte er ein Messer und zwei Pistolen stecken. Als er seinen Stuhl an der Tafel wieder erreichte, warf er erst auf mich und dann auf die Dame des Hauses einen listigen Blick und fragte:

»Mag Mylady nicht, bevor wir an das Essen gehen, diesem Greenhorn sagen, um was es sich handelt, wenn ich mich nicht irre?«

Der Ausdruck »wenn ich mich nicht irre« war bei ihm zur stehenden Redensart geworden. Die Lady nickte, drehte sich mir zu, deutete auf den jüngeren Gast und sagte:

»Ihr werdet vielleicht noch nicht wissen, daß Mr. Black hier Euer Nachfolger ist, Sir.«

»Mein Nachfolger?« stieß ich ganz betroffen hervor.

»Jawohl. Da wir heut Euern Abschied von uns feiern, waren wir gezwungen, uns nach einem neuen Lehrer umzusehen.«

»Meinen Abschied ?«

Heute preise ich das Schicksal, daß ich in jenem Augenblick nicht photographiert worden bin, denn ich habe jedenfalls wie die personifizierte Verblüfftheit ausgesehen.

»Ja, Euern Abschied, Sir,« nickte sie mit einem wohlwollenden Lächeln, welches ich aber nicht für am Platze fand, denn mir selbst war keineswegs zum Lächeln. Sie fügte hinzu: »Es hätte eigentlich gekündigt werden sollen, doch wollen wir Euch, den wir so lieb gewonnen haben, nicht hinderlich sein, Euer Glück so bald wie möglich zu ergreifen. Es tut uns innig leid, Euch von uns gehen zu sehen, doch geben wir Euch unsere besten Wünsche mit. Reist in Gottes Namen morgen ab!«

»Abreisen? Morgen? Wohin denn?« brachte ich mühsam hervor.

Da schlug mir Sam Hawkens, der neben mir stand, mit der Hand auf die Achsel und antwortete lachend:

»Wohin? Nach dem wilden Westen mit mir. Ihr habt ja Euer Examen glänzend bestanden, hihihihi! Die andern Surveyors reiten morgen fort und können nicht auf Euch warten; Ihr müßt unweigerlich mit. Ich und Dick Stone und Will Parker, wir sind als Führer engagiert, immer den Kanadian hinauf und ins New Mexiko hinein. Denke doch nicht, daß Ihr hier und ein Greenhorn bleiben wollt!«

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles war abgekartete Sache gewesen! Surveyor, Feldmesser, vielleicht gar für eine der großen Bahnen, welche geplant wurden. Welch ein froher Gedanke! Ich brauchte gar nicht zu fragen; ich erhielt die Auskunft unaufgefordert, denn mein alter, guter Henry trat zu mir, faßte mich bei der Hand und sagte:

»Hab‘s Euch ja schon gesagt, weshalb ich Euch gern habe. Ihr seid hier bei braven Menschen, aber ein Hauslehrerposten ist nichts für Euch, Sir, gar nichts. Ihr müßt nach dem Westen. Habe mich darum an die Atlantik und Pazifik Company gewendet und Euch examinieren lassen, ohne daß Ihr es wußtet. Habt gut bestanden. Hier ist die Installation.«

Er gab mir das Dokument. Als ich einen Blick in dasselbe warf und da mein wahrscheinliches Einkommen verzeichnet fand, gingen mir die Augen über. Er aber fuhr fort:

»Es wird geritten; Ihr braucht also ein gutes Pferd. Habe den Rotschimmel gekauft, den Ihr selbst zugeritten habt; sollt ihn bekommen. Und Waffen müßt Ihr auch haben; werde Euch den Bärentöter mitgeben, das alte, schwere Gun, welches ich nicht brauchen kann, mit dem aber Ihr bei jedem Schusse in das Schwarze trefft. Was sagt Ihr dazu, Sir, he?«

Ich sagte zunächst gar nichts; dann, als ich die Sprache wiederfand, wollte ich die Gaben von mir weisen, hatte aber keinen Erfolg. Diese guten Menschen hatten beschlossen, mich glücklich zu machen, und es hätte sie tief gekränkt, wenn ich bei meiner Ablehnung geblieben wäre. Um, wenigstens für einstweilen, alle Weiterungen abzuschneiden, nahm die Lady an der Tafel Platz, und wir Andern waren gezwungen, ihrem Beispiele zu folgen; es wurde gegessen, und das Thema durfte nicht gleich wieder aufgenommen werden.

Erst nach Tische erfuhr ich, was ich wissen mußte. Die Bahn sollte von St. Louis aus durch das Indian-Territory, New Mexiko, Arizona und Kalifornien nach der Pazifikküste gehen, und man hatte den Plan gefaßt, diese weite Strecke in einzelnen Sektionen erforschen und ausmessen zu lassen. Diejenige Sektion, welche mir und noch drei andern Surveyors unter einem Oberingenieur zugefallen war, lag zwischen dem Quellgebiete des Rio Pecos und des südlichen Kanadian. Die drei bewährten Führer Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker sollten uns dorthin bringen, wo wir eine ganze Schar von wackeren Westmännern vorfinden würden, die für unsere Sicherheit zu sorgen hatten. Natürlich waren wir außerdem auch des Schutzes aller Fortsbesatzungen sicher. Um mich so recht zu überraschen, war mir dies alles erst heut gesagt worden, freilich etwas sehr spät. Doch beruhigte mich die Mitteilung, daß für meine vollständige Ausrüstung bis auf das Kleinste gesorgt worden sei. Es blieb mir nichts weiter zu tun, als mich meinen Kollegen vorzustellen, welche in der Wohnung des Oberingenieurs auf mich warteten. Ich ging in Begleitung von Henry und Sam Hawkens hin und wurde auf das freundlichste begrüßt. Sie wußten, daß ich hatte überrascht werden sollen, und konnten mir also die Verspätung nicht übelnehmen.

Als ich am andern Morgen zunächst von der deutschen Familie Abschied genommen hatte, ging ich zu Henry. Er schnitt meine Dankesworte dadurch ab, daß er, mir die Hände herzlich schüttelnd, in seiner derben Weise mich unterbrach:

»Haltet den Schnabel, Sir! Ich habe Euch doch nur deshalb hinausgeschickt, damit mein altes Gun wieder einmal mitreden kann. Kehrt Ihr zurück, so sucht mich auf und erzählt, was Ihr erlebt und erfahren habt. Dann wird es sich zeigen, ob Ihr das noch seid, was Ihr heute seid und doch nicht glauben wollt, nämlich ein Greenhorn, wie es im Buche steht!«

Damit schob er mich zur Tür hinaus, doch ehe er sie schloß, sah ich, daß ihm das Wasser in den Augen stand.