In den Cordilleren

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»Ich lüge nicht!«

»Behaupten Sie das nicht! Gomez hat schon alles eingestanden.«

»Gomez? Wie könnten Sie mit dem gesprochen haben!«

»Durch diese Ihre Worte verraten Sie sich selbst. Er hat natürlich hier auf Sie gewartet. Wir kamen eher als Sie und haben uns seiner ganz ebenso bemächtigt, wie wir Sie ergriffen haben.«

jetzt fuhr er mit dem Kopfe in die Höhe. Es war zum erstenmal, daß er seinen Schreck deutlich sehen ließ.

»Sie haben ihn gefangen?« entfuhr es ihm.

»Wie ich sage, und er sitzt in sicherem Gewahrsam, da unten in dem Keller.«

»Und seine Indianer? Wo befinden sich diese?«

»Ah, Sennor, jetzt lassen Sie die Maske plötzlich fallen! jetzt fragen Sie nach den Indianern. Sie geben damit alles zu, was Sie bisher geleugnet haben.«

»Zum Teufel, reden Sie! Mag ich zugeben oder nicht; ich will wissen, wo die Roten stecken.«

»Auch im Keller. Sie sind also vollständig unfähig gemacht, Ihr Vorhaben auszuführen.«

»Und Gomez hätte gestanden?«

»Ja. Er war aufrichtiger als Sie; er war zugleich auch klüger, denn er sah ein, daß ihm das Leugnen nichts nützen, sondern nur schaden könne. Es wäre ihm gewiß an Hals und Kragen gegangen; aber infolge seines Geständnisses werden wir ihm und den andern Indianern das Leben schenken.«

»Aber, gesetzt, es sei alles so, wie Sie es sich einbilden, so wäre es doch eine Ungerechtigkeit, diese Leute zu begnadigen und mich zu töten!«

»Nein; es wäre im Gegenteile ganz gerecht gehandelt. Den Indianern kann man infolge des Standpunktes, welchen sie einnehmen, verzeihen. Sie aber haben als Weißer eine verzehnfachte Strafe verdient, zumal noch ganz andere Verbrechen auf Ihnen lasten.«

»Noch andere, weitere Verbrechen?« fragte er in beinahe höhnischem Tone. »Nach Ihrer Meinung muß ich ja ein wahres Scheusal sein!«

»Beinahe.«

»Darf ich fragen, was Sie noch von mir wissen wollen?«

»Ja. Ich möchte gern wissen, wo der Padre begraben liegt, welchem Sie die Zeichnungen und Kipus abgenommen haben.«

Jetzt fuhr er sichtlich zusammen. Dann gab er seinem liegenden Oberkörper einen Schwung, so daß er trotz der Fesseln zum Sitzen kam, starrte mich eine Weile an und fragte dann wie abwesend:

»Welchen Padre meinen Sie?«

»Den Sie ermordeten, um ihm die genannten Gegenstände abzunehmen.«

»Alle Wetter! Wieder ein Mord, von dem ich nichts weiß und den ich trotzdem begangen haben soll!«

»Wollen Sie etwa wieder leugnen?«

»Nein, leugnen werde ich nicht, denn leugnen kann man nur etwas, was man wirklich gethan hat. Ich bin mir aber keiner Schuld bewußt, und darum kann ich nur sagen, daß Sie sich gewaltig irren.«

»Nun, Sie hatten einen Zeugen. Er rief Ihnen zu, um den Mord zu verhindern. Sie achteten aber nicht auf ihn, weil er zu fern war.«

»Sennor, Sie sehen mich erstaunt über Ihre Erfindungsgabe!«

»Spotten Sie nicht, denn Sie verschlimmern dadurch Ihr Los! Glücklicherweise für ihn entdeckten Sie in dem Zeugen einen alten Kameraden, einen Freund. Der kleine Rest von Gefühl, welchen Sie damals noch besaßen, empörte sich doch dagegen, diesen Mann zu ermorden. Sie überwältigten ihn also nur und zwangen ihm einen Eid ab, über Ihre That zu schweigen.«

»Und diesen Eid hat er gebrochen?«

»Nein. Was mich betrifft, so hat er mir nichts erzählt, sondern ich habe es erraten.«

»Erraten! So! Und was Sie nur erraten haben, das halten Sie für so gewiß, daß Sie mich des Mordes zeihen? Das ist stark, mein so außerordentlich scharfsinniger Sennor!«

Ohne diesen Spott zu beachten, fuhr ich fort:

»Ferner hat er sich an geeigneter Stelle erkundigt, ob so ein Schwur gehalten werden müsse. Man hat ihn überzeugt, daß er damit keine Sünde begehen würde, denn ein Mörder ist kein Mann, der einem andern einen vor Gott geltenden Schwur abnehmen kann. Der alte Jäger und Goldsucher hat also auf seinem Sterbebette das Geheimnis verraten können, ohne seine Seele zu gefährden.«

»Er hat gesagt, ich habe einen Padre ermordet?«

»Ja. Ermordet und beraubt.«

»Welche Lüge! Halten Sie sich übrigens für den Mann, welcher mich zu richten hat?«

»Ja. Wir alle sind nach dem Brauche der Pampa berechtigt, über Sie zu Gericht zu sitzen. Und wenn Sie uns wie bisher mit Hohn und Spott bedienen, so dürfen Sie auf keine Nachsicht rechnen.«

»Ich verlange sie auch nicht; aber Gerechtigkeit will ich haben. Und zu dieser Gerechtigkeit gehört, daß man die Sache einem ordentlichen Richter übergiebt!«

Da trat einer von den Männern, welche er nach der Insel gelockt hatte, an ihn heran, versetzte ihm einen Fußtritt und herrschte ihm zu:

»Schweig, Schurke! Dir soll das Recht der Pampa werden, nämlich eine Kugel in den Leib oder ein Strick um den Hals! Vielleicht machen wir dir die Abfahrt in die Hölle noch etwas schwerer. Wollen nur erst sehen, wie es mit unseren Frauen steht, nach denen wir noch gar nicht gesehen haben. Wehe dir, wenn du einer von ihnen ein Haar gekrümmt hast! Du wirst mit glühenden Messern zerschnitten!«

»Ja, wollen vor allen Dingen nach unseren Frauen und Kindern sehen,« stimmte ein anderer bei. »Sterben muß dieser Mensch, aber auf sein Verhalten zu ihnen soll es ankommen, ob er leicht oder schwer zum Satan fährt. Wer steigt mit hinab?«

»Ich – ich – ich!« riefen alle außer mir.

Keiner schien bleiben zu wollen. Jeder wollte sehen, wie es mit den Frauen stand.

»Halt!« bat ich. »Alle können unmöglich fort. Wir müssen doch den Keller und auch den Sendador bewachen. Dazu gehören mehrere Personen.«

Man gab das zu. Den Familienvätern war nicht zuzumuten, da zu bleiben. Der Bruder ging mit ihnen, um nötigenfalls seines Trösteramtes zu walten. Der Kapitän Turnerstick wollte aus Neugierde fort und veranlaßte den Steuermann, mit ihm zu gehen. Pena und Gomarra waren ebenso neugierig, und so blieb nur ich mit den Yerbateros übrig.

Wir waren Männer genug, den Eingang zu bewachen. Übrigens war es uns allen lieb, daß die andern sich entfernten, weil sie den Tod des Sendador wollten; wir aber wünschten, daß er leben bleibe, um uns seine Geheimnisse anzuvertrauen. Gegen uns hatte er ja nicht gesündigt, und so konnten wir ihn weder anklagen noch gar richten. So war auch Monteso gesinnt, denn als die andern fort waren, sagte er in leisem Tone, so daß der Sendador es nicht verstehen konnte:

»Gut, daß sie fort sind! Was denken Sie, Sennor? Soll er getötet werden?«

»Was mich betrifft, so bin ich freilich dagegen.«

»Ich auch und meine Kameraden ebenso. Denken Sie an die Kipus und Pläne!«

»Es wird uns nur nicht möglich sein, seinen Tod zu verhindern.«

»Das befürchte ich auch. Gomez haben sie begnadigt, weil sie ihn als Indianer nicht für zurechnungsfähig, wenigstens nicht für so sehr schuldig halten wie diesen, den sie sicherlich nicht laufen lassen werden.«

»Ich bin überzeugt, daß unsere Bitten nichts helfen werden, aber es giebt noch einen Ausweg – die List.«

»Ah! Wie aber meinen Sie das?«

»Wir lassen ihn laufen. Wir lockern ihm jetzt den Riemen, welcher seine Hände zusammenhält. Nachher soll er hinunter nach den Wagen gebracht werden. Er muß gehen, folglich wird man ihm die Beinfesseln abnehmen. Da kann er unterwegs einen Sprung zur Seite thun. Da es dunkel ist, dürfte eine Verfolgung vergeblich sein.«

»Gut. Aber was dann?«

»Dann erwartet er uns irgendwo. Hoffentlich hält er Wort.«

»Jedenfalls, da er sich darüber freuen muß, endlich einen Mann zu sehen, welcher seine Pläne lesen und vielleicht gar die Kipus entziffern kann. Soll ich mit ihm sprechen?«

»Ja.«

Während unsers leisen Gespräches hatte der Sendador still dagelegen und kein Auge von uns verwendet. Aber es schien mir doch, als ob seine Aufmerksamkeit nicht allein auf uns gerichtet sei. Er hielt den Kopf zur Seite, als ob er nach dem Keller lausche. Da dies in seiner Lage sehr natürlich war, weil seine Verbündeten sich dort befanden, so fiel mir dieses Lauschen gar nicht weiter auf.

»Sennor Sabuco,« sagte der Yerbatero, »es schmerzt mich, in Ihnen einen solchen Verbrecher entdeckt zu haben. Es wird mir angst und bange um Ihr Seelenheil; darum bitte ich Sie, in sich zu gehen und der Wahrheit die Ehre zu geben!«

»Schwatzen Sie nicht!« fuhr ihn der Angeredete an. »Mir thut es noch viel mehr leid, daß ein Freund, der Sie doch bisher sein wollten, einem solchen Unsinn Glauben schenken kann.«

»Ich sage Ihnen, daß Sie bei diesem fortgesetzten Lügen auf keine Gnade zu rechnen haben. Wären Sie aber aufrichtig, so daß wir wüßten, woran wir mit Ihnen sind, so wäre dieser Sennor und also auch ich zu Ihrer Rettung bereit.«

Diese Worte blieben nicht ohne den gewünschten Eindruck. Der Sendador sah uns forschend an und fragte dann:

»Von den andern habe ich nichts Gutes zu erwarten; das weiß ich; aber von Ihnen läßt sich eher denken, daß Sie etwas zu meinen Gunsten thun wollen.«

»Ja, das wollen wir; aber gestehen müssen Sie!«

»Was haben Sie denn von meinem Geständnisse?«

»Sehr viel!«

»Nein, gar nichts; denn durch dasselbe werden die Verhältnisse nicht im geringsten verändert.«

»Sie werden sehr verändert, und zwar zu Ihren Gunsten. Wer sein Unrecht offen gesteht, dem schenkt man neues Vertrauen.«

»Pah! Ihr Vertrauen könnte mir dann gar nichts nützen.«

»Sie irren. Wir sind ja eigentlich nach dem Gran Chaco gekommen, um Sie da aufzusuchen.«

»Um mich zu verfolgen!«

»Nein. Ich traf diesen Sennor in Montevideo und habe ihn veranlaßt, sofort mit mir zu Ihnen aufzubrechen wegen der beiden Zeichnungen.«

 

»Versteht er denn, Zeichnungen oder Pläne zu lesen?«

»Ja. Vielleicht liest er gar auch noch Ihre Kipus?«

»Was wissen Sie von Kipus! Ich habe Ihnen gar nichts davon gesagt.«

»Überlegen Sie sich die Sache schnell, ehe die andern zurückkehren! Wir sind als Ihre Freunde gekommen, da wir keine Ahnung hatten, was wir noch erfahren und erleben würden. Wollen Sie uns alles mitteilen? Entscheiden Sie schnell, denn dann ist es zu spät!«

Über das Gesicht des Sendador flog ein eigenes Lächeln.

»Es ist nie zu spät,« sagte er. »Ich bin zwar gebunden, aber ich fürchte keinen Menschen.«

»Seien Sie nicht allzu zuversichtlich! Die andern wollen Ihren Tod.«

»Sie werden mich aber leben lassen! Sie mögen sich nur selbst in acht nehmen. Es ist gefährlich, der Feind des Sendador zu sein! Also mir ist zwar nicht bange. Aber es wäre Thorheit, die Hilfe, welche Sie mir anbieten, zurückzuweisen, zumal Sie mir den Mann bringen, nach welchem ich jahrelang vergebens gesucht habe. Was Gomez mir erzählt hat, läßt allerdings erwarten, daß er etwas zu leisten vermag.«

Ich hatte mich bis jetzt nicht in die Unterredung gemischt; nun aber fiel ich ein.

»Sie geben also zu, mit Gomez gesprochen zu haben?«

»Ja doch!«

»Damit gestehen Sie aber auch alles andere ein.«

»Nein. Denken Sie, was Sie wollen; halten Sie mich für schuldig oder für unschuldig; es ist mir sehr gleichgültig. Sie gefallen mir, und ich bin bereit, Ihnen mein Vertrauen zu schenken. Sind Sie bereit, den Zug in die Berge mitzumachen, auch wenn Sie überzeugt sind, daß ich ein Mörder bin?«

»Auch dann. Ich bin nicht als Richter über Sie gesetzt.«

»Das ist sehr vernünftig!«

»Verstehen Sie mich nicht falsch! Es ist mir nicht gleichgültig, einen Verbrecher oder einen straflosen Menschen vor mir zu haben; aber ich interessiere mich ungemein für die Angelegenheit und bin außerdem überzeugt, daß Sie Ihrer Strafe mit Geschwindigkeit entgegen gehen.«

»Haben Sie Veranlassung, dies zu glauben?«

»Ja. Es giebt eine göttliche Gerechtigkeit, welcher keiner entgehen kann, und hier in Ihrem Falle ist der Rächer Ihnen nahe – Gomarra.«

»Den nehmen Sie doch keinesfalls mit!«

»Nun nicht; aber er wird uns und Ihnen folgen.«

»Da ist mir nicht bange. Ich werde dafür sorgen, daß er die Spur verliert. Hat der Yerbatero Ihnen alles erzählt?«

»Alles, was er wußte.«

»So wissen Sie also nur, daß ich in dem Besitze zweier Zeichnungen bin?«

»Ich weiß noch mehr, nämlich wie diese Zeichnungen in Ihre Hände gekommen sind.«

»Das ist jetzt ja Nebensache!«

»Gut, so weiß ich außerdem, daß Sie Kipus besitzen. Ich vermutete es, und dann wurde durch Gomarras Erzählung diese Vermutung zur Gewißheit.«

»War er wirklich bei der Leiche seines Bruders?«

»Ja.«

»Er spricht von einer vergrabenen Flasche. Kennt er den Ort, an welchem sie liegt?«

»Ja. Er ist öfters dort gewesen, um sich zu überzeugen, ob auch Sie dort waren. Zu Ihrem Glücke hat er Sie niemals getroffen.«

»Sagen Sie, zu seinem Glücke! Ich bin nicht der Mann, mit mir scherzen zu lassen. Das werden Sie noch erfahren!«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Sie geben, wenn Sie auch alles andere in Abrede stellen, doch zu, daß unser Weg hinauf nach der Pampa de Salinas führen würde?«

»Ja.«

»Daß die Kipus sich in Wirklichkeit dort befinden und daß sie zu den beiden erwähnten Zeichnungen gehören?«

»Wiederum ja.«

»Haben Sie diese letzteren bei sich?«

»Kann mir nicht einfallen! Bei den Wechselfällen, denen ich unterworfen bin, werde ich doch so hochwichtige Papiere nicht mit mir herumschleppen! Ich habe sie vergraben.«

»Wo?«

»Das werden Sie später erfahren. Noch kenne ich Sie nicht. Ich muß Sie prüfen, ehe ich Ihnen alles anvertrauen kann. Jetzt ist die Hauptsache, Gewißheit darüber zu erhalten, ob Sie mir wirklich zur Flucht behilflich sein wollen.«

»Wir sind bereit dazu.«

»Hegen Sie aber nicht etwa welche Hintergedanken! Ich bin nicht so hilflos, wie Sie vielleicht denken!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort und das muß genügen.«

»Gut, ich will Ihnen vertrauen. So wird es am allerbesten sein, daß Sie mich jetzt gleich fort lassen.«

»Das geht nicht. So sehr offen wollen wir es doch nicht merken lassen, daß wir Ihren Tod nicht wünschen.«

»Später aber ist es eben zu spät!«

»Nein. Ich lockere Ihnen jetzt den Riemen an den Händen. Dann werde ich dafür sorgen, daß man auf den Gedanken gerät, Sie hinab zu den Wagen zu schaffen. Man wird Ihnen da die Füße frei geben.«

»O, schön! Da entwische ich. Bitte, machen Sie mir den Riemen locker!«

»So ohne alle Bedingung denn doch nicht. Ich muß die Gewähr haben, Sie wieder zu finden.«

»Das sollen Sie. Reiten Sie morgen abend nur in dem Flußbette, dem Sie heute folgten, aufwärts. Ich werde Sie unbemerkt beobachten und an dem geeigneten Orte zu Ihnen stoßen.«

»Können wir uns darauf verlassen?«

»Zuversichtlich.«

»Aber Sie sehen doch ein, daß man einem Mörder nicht allzu großes Vertrauen schenken kann!«

»Meinetwegen! Dagegen gebe ich Ihnen zu bedenken, daß mir ohne Ihre Hilfe die Zeichnungen ebenso wie die Kipus ohne Wert und Nutzen sind. Es liegt also in meinem eigenen Interesse, Ihnen mein Wort zu halten.«

»Dasselbe denke auch ich. Darum werde ich Ihnen jetzt die obere Fessel locker machen. Ich schneide den Riemen entzwei, und Sie halten die beiden Schnittenden so fest in den scheinbar gefesselten Händen, daß der Riemen ganz straff angespannt erscheint. Sieht man dann ja nach, so gewahrt man den Knoten und wird keine Ahnung haben, daß Sie eigentlich frei sind.«

»So brauche ich den Riemen nur wegzuwerfen.«

»Ja; aber das werden Sie nicht thun. Unsre Gefährten könnten ihn finden und dann sehen, daß er vorher zerschnitten worden ist. Das dürfen sie auf keinen Fall entdecken.«

»Gut, so nehme ich ihn mit, und komme ich an eine Stelle, an welcher man ihn nicht finden kann, so werde ich ihn wegwerfen.«

»Darum bitte ich sehr. Dann aber haben Sie keine Waffen und kein Pferd.«

»Ich brauche zunächst keins, und später wird sich alles finden. Sorgen Sie sich nur nicht um mich.«

»Sie versprechen mir aber, gegen keinen von uns fernerhin eine Feindseligkeit zu unternehmen!«

»Gern! Ich will froh sein, wenn ich von hier fort bin. Wollte ich jemandem Übles thun, so würde ich mich doch nur unnötig in Gefahr bringen.«

»Daß Sie das einsehen, beruhigt mich. Ich werde Sie los machen.«

Ich durchschnitt den Riemen. Er nahm die beiden Enden in die übereinander gebundenen Hände und sagte:

»Ich danke Ihnen, Sennor! Nun glaube ich, daß Sie es ehrlich mit mir meinen. Da ich Sie aber noch gar nicht kenne und Sie mir doch einen so wichtigen Dienst leisten wollen, so erklärt sich der Wunsch, Näheres über Sie erfahren zu dürfen.«

»Sie werden später alles hören.«

»Wir haben doch auch jetzt Zeit, bis Ihre Leute zurückkehren.«

»Wenden Sie sich an Sennor Monteso!«

Dieser letztere gab ihm die gewünschte Auskunft, indem er ihm unsre Erlebnisse kurz erzählte. Er war damit noch nicht ganz zu Ende, als die andern zurückkehrten. Sie erzählten, daß die Frauen und Kinder so außerordentliche Angst ausgestanden hätten, und drangen auf sofortige Bestrafung des Sendador. Als einzige gerechte und wohlverdiente Strafe bezeichneten sie seinen Tod. Ich war natürlich dagegen, der Bruder auch, obgleich der letztere noch nicht wußte, daß der Angeschuldigte schon halb befreit sei. Ich gab ihm aber einen bezeichnenden Wink, und er verstand mich gleich.

Der Kapitän und sein Steuermann blieben neutral. Die Yerbateros standen auf meiner Seite, und so entspann sich ein Streit, den ich dadurch zu beenden suchte, daß ich den Vorschlag machte:

»Auf diese Weise entscheiden wir nichts. Jede Partei mag einen Sprecher wählen. Beide Sprecher bringen ihre Gründe vor, und dann wird abgestimmt.«

»Das ist das allerbeste,« sagte Gomarra, welcher natürlich überzeugt war, daß da mehr für als gegen den Tod stimmen würden. »Halten wir ein ordentliches Gericht. Aber wo? Etwa hier? Nein. Der richtige, geeignete Ort wäre unten bei den Wagen, in Gegenwart derer, welche solche Angst ausgestanden haben.«

Er ahnte nicht, wie willkommen mir dieser Vorschlag war, welchem alle beistimmten.

»Aber einige müssen als Wächter hier bleiben,« sagte ich, »sonst entkommen uns die Indianer. Ich denke, wir lassen es wie bisher: Ich bleibe mit den Yerbateros hier, und Sie berücksichtigen, daß wir sieben Personen sind, welche gegen das Todesurteil stimmen.«

»Und wer soll für Ihre Partei sprechen?« fragte Gomarra.

»Frater Hilario. Er wird unsre Ansicht zu vertreten wissen.«

»Schön, bleiben Sie also als Wächter des Kellers hier. Wir andern steigen wieder hinab und nehmen den Kerl mit.«

»So müssen einige ihn tragen, da er gefesselt ist.«

»Fällt uns gar nicht ein! Auch noch tragen! Er mag nur laufen. Wir binden ihm die Beine los und nehmen ihn in die Mitte. Entkommen kann er uns nicht.«

Er bückte sich nieder und knüpfte den Riemen von den Füßen; dann richtete er den Sendador auf und fuhr fort:

»Die Arme sind doch fest auf den Rücken gebunden? Wollen einmal sehen.«

Er untersuchte die Fessel. Das war ein sehr kritischer Augenblick. Der Sendador hielt aber den Riemen sehr fest in den Händen, denn Gomarra bemerkte mit Befriedigung:

»Na, das geht ja fast ins Fleisch; den bringt er unmöglich auf. Also vorwärts, mein Bursche!«

Er faßte ihn am rechten Arme; Pena mußte ihn am linken nehmen, und so führten sie ihn fort, nicht dem Tode, wie sie meinten, sondern seiner Befreiung entgegen. Wir schauten ihnen nach, bis sie im Dunkel der Nacht verschwanden, und warteten dann auf den Lärm, welcher bei seiner Flucht entstehen mußte.

Es dauerte auch gar nicht lange, so vernahmen wir ein gellendes: »Alto ahi, picano – halt, Schurke!«

Diesem Rufe folgten mehrere, und dann war ein kunterbuntes Gewirr von Ausrufungen des Schreckens und Zornes zu vernehmen. Büsche rauschten; Äste und Zweige knackten; eilige Schritte schallten.

»Er ist fort; er ist frei!« sagte Monteso. »Hoffentlich gelingt es ihnen nicht, ihn wieder zu ergreifen.«

»Er wäre ja Ohrfeigen wert, wenn er sich wieder fangen ließe. Warten wir!«

Nach einiger Zeit kam der Bruder gelaufen, mit ihm Gomarra.

»Sennor,« rief der letztere schon von weitem. »Der Sendador ist fort!«

»Sind Sie des Teufels? Er war doch gefesselt und wurde noch dazu von Ihnen und Pena geführt!«

»Ja, man sollte es nicht für möglich halten; aber kaum hatten wir die Ruine hinter uns, so riß er sich los und war fort.«

»Das ist stark! So einen Menschen entkommen zu lassen! Wäre ich doch mitgegangen! Aber man kann doch nicht überall dabei sein!«

»Oh, Ihnen wäre er auch entflohen!«

»Sicher nicht, denn ich hätte ihn nicht am bloßen Arme geführt, sondern mit mir zusammengebunden.«

»Ja, das hätten wir thun sollen. Jetzt ist er fort!«

»Aber wohin?«

»Wissen wir es?«

»Sie müssen doch gehört haben, nach welcher Richtung er sich wendete!«

»Gar nichts haben wir gehört. Wir selbst machten ja so viel Lärm, daß wir von ihm gar nichts hören konnten.«

»Das war wieder dumm. Sie hätten ganz still stehen bleiben und lauschen sollen.«

»Ja, nun können Sie uns gute Regeln geben! Wären Sie aber dabei gewesen, so hätten Sie ebenso geschrieen wie wir!«

Laut schreiend und rufend rannte er wieder fort. Der Bruder aber setzte sich zu uns und ließ sich Aufklärung geben; er billigte unser Verhalten und sagte.

»Wir sind nicht seine Obrigkeit, seine Richter. Befänden wir uns in der Nähe bewohnter Orte, so würde ich beantragen, ihn der Gerechtigkeit zu überliefern; da wir das nicht können, müssen wir ihn laufen lassen. Ich bin überzeugt, daß er der Strafe nicht entgeht.«

»Und sind Sie einverstanden, daß wir mit ihm zusammentreffen und mit ihm nach der Pampa de Salinas gehen?«

»Ja. Um des Zweckes willen müssen wir uns seine Gegenwart gefallen lassen. Ich bin überzeugt, daß der ermordete Padre die Kipus und Zeichnungen seinem Kloster hat überbringen wollen. Dieses letztere ist durch den Sendador beraubt worden, und wir werden uns bemühen, den Verlust wieder einzubringen. Mich wundert es, daß die Indianer sich so ruhig verhalten. Sie scheinen das Schreien gar nicht zu hören, sonst wäre ein Ausfall möglich.«

 

»Keiner hat es gewagt, sich am Ausgange zu zeigen.«

»O doch. Ich sah einen, welcher zu rekognoscieren schien.

Er mußte den Sendador sehen, welcher sich eben sitzend aufgerichtet hatte.«

»Warum sagten Sie es nicht?«

»Weil Sie auf den armen Teufel geschossen hätten, was mir doch leid gethan hätte.«

»Ich hätte nur dann geschossen, wenn seine Absicht eine für uns gefährliche gewesen wäre. Übrigens horchte der Sendador fast unausgesetzt nach dem Keller. Haben Sie das nicht bemerkt?«

»Ja. Es schien, als ob er von dort her Hilfe erwarte.«

»Das dünkte mir auch so, zumal er einige Worte fallen ließ, welche vermuten ließen, daß er für seine Freiheit und sein Leben nicht allzu sehr besorgt sei. Er sagte sogar ganz offen, daß er nicht ganz so hilflos sei, wie wir meinten.«

»Sollte der Keller doch noch einen zweiten Ausgang haben?«

»Pena verneinte es.«

»Darauf gebe ich nichts. Die Indianer, welche hier daheim sind, müssen das alte Gemäuer besser kennen als er. Wie leicht können sie einen solchen Ausweg verborgen haben, daß er gar nicht zu sehen ist!«

»Das ist wahr. Wir müssen einmal rekognoscieren. Wir sind das der Rücksicht auf die vergifteten Pfeile schuldig, vor denen ich allen Respekt habe. Gehen Sie mit?«

»Wohin?«

»In den Treppengang können wir nicht. Das hinabrollende Steingeröll würde uns verraten. Aber zu den Seitenlöchern können wir gehen. Mir scheint überhaupt, als ob kein Rauch mehr aus den Öffnungen komme.«

»Das Material zum Feuern wird ihnen ausgegangen sein. Kommen Sie!«

»Ja, aber vorsichtig. Wir müssen immer das Schlimmste annehmen. Giebt es je einen zweiten Ausgang, so ist es leicht möglich, daß sie irgendwo liegen und uns beobachten.«

Die Yerbateros blieben zurück. Wir beide verließen das Feuer und traten in das Dunkel zurück, um von da aus nach der Seite zu gelangen, an welcher das eine der Kellerlöcher lag.

Wir duckten uns auf den Boden nieder und schlichen langsam und unhörbar vorwärts. Es war nicht leicht, ohne Geräusch fortzukommen, da überall die Mauertrümmer umher lagen. Das Loch war ungefähr sechzig Schritte von unserem Feuer entfernt.

Als wir es erreichten und hinab in den Keller blicken wollten, sahen wir nichts. Es war dunkel.

»Ob sie nur wegen Mangels an Feuermaterial kein Feuer brennen?« fragte ich. »Oder sind sie gar nicht mehr unten?«

»Das wäre gefährlich.«

»Ja. Wir sind übrigens nicht weiter als nur bis zu diesen Löchern gekommen. Bleiben Sie zurück! Ich will einmal weiter forschen.«

»Hüten Sie sich! Es ist zu gefährlich. Nehmen Sie mich lieber mit!«

»Danke! Allein bin ich sicherer. Übrigens wissen Sie ja, daß ich mich auf das Anschleichen verstehe. Legen Sie sich hinter die Steine, und stehen Sie vor meiner Rückkehr nicht auf!«

Ich schob mich längs der alten Mauer fort, lange, ohne etwas zu bemerken. Dann aber war es mir, als ob die Laute flüsternder Stimmen an mein gespanntes Ohr drängen. Ich horchte. Richtig, vor mir wurde leise gesprochen. Dabei war es, als ob hier und da ein Stock leicht auf den Boden gestoßen werde. Sollte das von den Blasrohren stammen? Das wäre höchst bedenklich gewesen.

Obgleich ich wußte, daß ich mein Leben wagte, schob ich mich noch weiter vorwärts. Bald war ich nahe genug, um zu erkennen, daß eine Menge Personen eng beisammen standen und flüsternd miteinander sprachen. Es waren die Indianer. Zum Deutlichsehen war es zu dunkel. Ich wußte aber nun genug. Die Aripones hatten auf uns unbekannte Weise den Keller verlassen und planten einen Überfall. Ich mußte mich beeilen, die Gefährten zu warnen.

Eben wendete ich mich um, als eine größere Bewegung mich veranlaßte, noch einmal nach der Gruppe zu blicken. Drei Gestalten trennten sich von ihr und schritten sehr langsam vorwärts, unserem Feuer entgegen. Ich bemühte mich, seitwärts von ihnen gleichen Schritt zu halten. Ich kam ihnen sogar ein wenig vor und erreichte den Bruder, welchem ich das Gesehene mitteilte. Ich zeigte ihm die Indianer, welche nun nicht mehr gingen, sondern auch krochen, weil das Feuer bis hierher leuchtete. Sie kamen in einer Entfernung von höchstens acht Schritten an uns vorüber. Gomez war dabei; ich erkannte ihn.

»Die andern werden Häuptlinge sein,« flüsterte mir der Bruder zu.

»Dann wäre uns geholfen,« meinte ich ebenso leise. »Wir würden uns ihrer bemächtigen und sie als Geiseln bei uns behalten.«

»Sehr gut! Wollen wir?«

»Ja, aber möglichst geräuschlos.«

Wir krochen leise, aber so schnell wie möglich weiter. Kehrten sie um, ehe wir sie erreichten, so wären wir entdeckt. Erst jetzt erkannte ich, wie unvorsichtig es von uns gewesen war, so offen und weithin sichtbar am Feuer zu sitzen. Die Indianer hätten uns alle einzeln mit ihren Pfeilen wegputzen können.

Der Bruder gab sich ebenso große Mühe, wie ich. Unser Nahen erregte nicht eine Spur von Geräusch. Jetzt waren wir da; er links von mir hinter Gomez, ich rechts von ihm hinter den beiden andern. Sie kauerten vor uns. Ich zielte mit den Händen nach den Hälsen und warf mich mit Gewalt vor. Es gelang mir, die Hälse zu umfassen und die Männer durch die Gewalt des Stoßes nach vorn, mit den Gesichtern zur Erde zu werfen. Auch dem Bruder glückte der Angriff. Eine viertel- oder halbe Minute lang hielten wir die drei nieder; sie bewegten konvulsivisch die Arme und Beine; nur ein leises Röcheln war zu hören; dann flüsterte mir der Bruder besorgt zu:

»Sennor, wir ersticken sie!«

»Nein, das Erwürgen geht nicht so rasch. Getrauen Sie sich, den Ihrigen so, wie Sie ihn gefaßt haben, bis zum Feuer zu schleifen?«

»Ja.«

»Dann schnell vorwärts!«

Den Hals des einen in der rechten, den des andern in der linken Hand, rannte ich, sie beide hinter mir herschleifend, dem Platze zu. Der Bruder folgte mir. Aber ich blieb nicht am Feuer stehen, sondern rannte noch ein Stück über dasselbe hinaus, wo ich meine Doppellast fallen ließ.

Die Yerbateros sprangen schnell auf und kamen herbei, nicht wenig darüber erstaunt, daß wir drei Indianer geschleppt brachten.

»Was ist geschehen? Wie kommen Sie zu diesen Leuten? Waren sie denn außerhalb des Kellers?«

»Ja. Bindet sie. Bringt auch unsere Gewehre vom Feuer her! Wir dürfen nicht dort sitzen bleiben.«

»Warum?«

»Weil uns die Roten dort sehen können; sie haben den Keller verlassen. Setzen Sie sich hier unter die Bäume, wo es ganz dunkel ist, und haben Sie, während ich mit Gomez rede, ein scharfes Auge auf die Ecke, um welche die Roten kommen müssen, wenn sie uns überfallen wollen! Sieben Büchsenschüsse genügen wohl, sie zurückzuhalten.«

Diesen Anordnungen wurde schnell Folge geleistet. Die beiden Indianer lagen gebunden da und starrten uns wortlos und nach Luft schnappend an. Der Schreck war noch nicht von ihnen gewichen. Der Bruder erklärte den Yerbateros in kurzen Worten, wie wir zu dem Fange gekommen waren.

Gomez war bei voller Besinnung, rang aber auch nach Atem. Ich hielt ihm mein Messer auf die Brust und sagte:

»Bleiben Sie liegen, und bewegen Sie sich nicht, sonst fährt Ihnen meine Klinge in das Fleisch! Sie kennen mich. Und beantworten Sie mir meine Fragen aufrichtig! Sie wissen, ich will Ihren Schaden nicht; aber wahr müssen Sie sein. Wie kamen Sie aus dem Keller?«

»Durch die verborgene Mauerlücke.«

»Ah so! Sie wollten uns überfallen?«

»Ja. Ich habe meinen Leuten aber das Versprechen abgenommen, niemanden zu töten.«

»Warum denn den Überfall, wenn Sie uns schonen wollten?«

»Um den Sendador zu befreien.«

»Sie hätten sich umsonst bemüht. Der Sendador ist geflohen.«

»Wie ist das möglich? Ihnen entkommt doch keiner!«

»Ich selbst habe ihm die Fesseln durchschnitten. Er ist mit meiner und der Yerbateros Erlaubnis geflohen; doch dürfen dies die andern, die ihn töten wollten, nicht wissen. Sie werden also auf alle Fälle einstweilen darüber schweigen.«

»Gern. Aber sagen Sie die Wahrheit?«

»Haben Sie schon einmal eine Lüge von mir gehört? Und horchen Sie! Die rufenden Stimmen da unten! Das sind unsere Gefährten, welche ihn suchen. Glauben Sie es nun?«