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Im Reiche des silbernen Löwen III

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»Schön! Wir sind zwei Personen, die du hinüberfahren solltest; wir haben auf dich gewartet; das macht zehn Piaster; folglich hast du uns fünf herauszuzahlen.«

»Allah w‘Allah!« rief er erstaunt. »Sollte man so etwas für möglich halten? Ich höre, daß du mich um mein wohlverdientes Geld betrügen willst!«

Ich kam nicht dazu, ihm auf diese Worte eine Antwort zu geben, denn Halef that dies an meiner Stelle. Seine Unterredung mit dem Wirte war zu Ende. Er war hinter dem Fährmann hergekommen, stand nun in seinem Rücken an der Thür und hatte seine Forderung und meine Antwort gehört. Jetzt schob er ihn schnell zur Seite, trat vor und sprach ihn zornig an:

»Betrügen? Mensch, wie darfst du es wagen, diesen weltberühmten und mächtigen Emir einen Betrüger zu nennen! Er ist so gnädig gewesen, mit deinen armseligen fünf Piastern einverstanden zu sein; er hat dir deutlich und bis zur vollsten Ueberzeugung bewiesen, daß du dieses Geld für deine Faulheit herauszugeben hast, und nun du uns darum betrügen willst, bist du so frech, den Betrug ihm in das Gesicht zu werfen. Ich frage dich, ob du sie sofort bezahlen willst oder nicht?«

Er griff mit der Hand nach seiner im Gürtel steckenden Peitsche.

»Ich habe nicht zu bezahlen, sondern zu bekommen,« behauptete der Mann, der die Schnellfertigkeit Halefs nicht kannte und also gar nicht ahnte, was für ein Gewitter drohend über ihm stand.

»Zu bekommen? Schön! Du sollst erhalten, was du verdienst, und zwar sogleich! Hier hast du es, hier – — hier – — da – — da und da!«

Die Peitsche flog heraus und knallte dem Manne so kräftig auf den Rücken, daß er sich mit einem Schrei des Schmerzes zur Flucht wendete. Halef eilte hinter ihm drein und versetzte ihm Hieb auf Hieb, bis er ihn zur vorderen Thür hinausgetrieben hatte; dann kehrte er zu uns zurück und sagte, vor Vergnügen strahlend:

»Das ist die einzig richtige Sprache, in welcher man mit solchen Menschen zu reden hat! Fünf Piaster für seinen Schlaf und unser Warten verlangen und auch noch vom Betruge sprechen! Sihdi, deine Berechnung war sehr schlau; aber meine Bezahlung war noch besser!«

»Wie aber, wenn er sich bei der Behörde über dich beschwert?« warf Lindsay ein.

»Bei der Behörde? Wie würde ich mich freuen, wenn sie käme! Sie würde die Fortsetzung des Anfanges bekommen, den ich ihm zu schmecken gegeben habe. Sihdi, bist du mit mir einverstanden?«

»In diesem Falle, ja. Die Hiebe waren ganz gut angebracht.«

»Hamdulillah! Endlich giebst du dich einmal als wahren Freund meiner Nilpferdhaut zu erkennen. Das bringt dir den Glanz meiner Achtung und die Fülle meiner Ehrerbietung ein. Deine Zufriedenheit ist mir eine wahre Wonne!«

»Hoffentlich brauche ich sie dir auch in Beziehung auf dein Gespräch mit dem Wirte nicht vorzuenthalten?« fragte ich mit gedämpfter Stimme.

»Du brauchst nicht zu flüstern, sondern kannst so laut sprechen, wie es dir beliebt, Sihdi.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er ruht in den Armen des heißen Zuckerwassers und hat den hineingegossenen Raki als Kissen unter den Kopf genommen.«

»Und sein Gehilfe, der Somali?«

»Bei dem ist‘s umgekehrt: Er liegt im Raki und hat das Zuckerwasser als Ruhekissen. Ihre Seelen lustwandeln in dem Lande der Träume, und aus ihren Kehlen erschallt die Musik aller Himmel Muhammeds. Horch!«

Als wir still waren, hörten wir ein kräftiges, sägeartiges Schnarchen.

»Das ist der Somali,« erklärte Halef. »Er liegt mit dem Kopfe in der Holzkohlenasche und schneidet mit dem Minschar[15] seines Gaumens Baumstämme auseinander.«

»Und der Kahwedschi?«

»Der ruht am Ufer des Flusses und war um keinen Preis dazu zu bewegen, herunter in das Wasser zu steigen; dann schlief er ein.«

»Am Flusse? Er hat das Haus verlassen?«

»Nein. Er stieg mit mir, um mir dort etwas zu geben, die unter das Dach führende Leiter hinan. Bei der Rückkehr sank er in Frieden neben der Leiter hin und sagte, wenn ich ertrinken wolle, möge ich allein hinunterspringen, er aber werde vorsichtig auf dem Trockenen bleiben. Wenn du ihn sehen willst, will ich dir ihn zeigen.«

»Was hat er dir gegeben?«

»Einen Brief.«

»An wen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wer hat ihn geschrieben?«

»Auch das ist mir unbekannt.«

»Ist er nicht mit einer Adresse versehen?«

»Es stehen die Zeichen des Ringes darauf. Hier ist er.«

Er zog ein viereckig zusammengefaltetes und mehrfach versiegeltes Papier aus der Tasche und gab es mir. Man hatte sich eines gewöhnlichen Geldstückes als Petschaft bedient. Auf der Adreßseite sah ich ein mit Tinte geschriebenes Sa, welches mit einem Lam verbunden war; darüber stand das Verdoppelungszeichen.

»Er muß dir aber doch gesagt haben, für wen dieser Brief bestimmt ist,« sagte ich.

»Das hat er auch gethan.«

»Nun?«

»Der Mann, der ihn bekommen soll, heißt Ghulam.«

»Was ist er?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wo wohnt er?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Höre, lieber Halef, du scheinst in dieser Angelegenheit nichts weniger als allwissend zu sein!«

»Dafür kann ich nicht, Sihdi, sondern das heiße Zuckerwasser mit Raki ist schuld. Der Kahwedschi wollte mir so sehr viel sagen, konnte sich aber auf nichts besinnen, weil sein ganzes Gedächtnis in dieser süßen Flüssigkeit ertrunken war und alle meine Wiederbelebungsversuche nichts mehr fruchteten.«

»So hast du dich ganz vergeblich bemüht; dieser Brief, der uns vielleicht von großem Vorteile sein könnte, wird uns keinen Nutzen bringen. Oder hast du es daran mangeln lassen, den Kahwedschi in der richtigen Weise auszufragen?«

»Nein, gewiß nicht, ganz gewiß nicht, Sihdi. Du kennst mich da nur zu wohl und weißt, daß ich den Mund auf der Stelle habe, wo er sitzen muß, wenn man jemandem ein Geheimnis abzulocken hat; aber die Geheimnisse dieses Mannes waren infolge seiner Betrunkenheit so außerordentlich geheim, daß er sie selbst nicht mehr kannte. Da war alle meine Mühe umsonst. Wenigstens glaube ich nicht, daß du, wenn du an meiner Stelle gewesen wärest, mehr als ich erfahren hättest.«

»Möglich! Erzähle mir richtig der Reihe nach, was du mit ihm gesprochen hast! Wir sind in Bagdad übereingekommen, daß du einen Ring der Sillan stets bei dir haben sollst. Ich brauchte dir ihn heut‘ also nicht erst zu geben. Als du hier von uns fortgingst, saß der Kahwedschi da draußen im Vorraume auf seinem Kissen. Der Somali war bei ihm, schnarchte aber schon. Wir haben uns hier absichtlich laut und angelegentlich unterhalten, als ob wir gar keine Zeit hätten, zu bemerken, daß du so lange Zeit nicht bei uns warst. Nun weiter!«

»Weiter Sihdi? Ich habe ja noch gar nicht angefangen! Ich steckte den Ring an den Finger und schlenderte hinaus zu dem Kahwedschi hin. Ich war ihm sehr willkommen, und er fing sofort selbst mit mir an, denn er war sehr neugierig, zu erfahren, wer Ihr seid.«

»Jedenfalls hast du da den Mund sehr voll genommen!«

»Warum soll ich das nicht? Wenn ich einmal etwas in den Mund nehme, so muß es etwas Ordentliches sein, damit ich auch wirklich einen Genuß davon habe. Ich gab dich für den Minister des Sultans von Sitschilia[16] und Mr. Lindsay für den obersten Sterndeuter des Kaisers von Antakijeh[17] aus. Von mir selbst sagte ich, daß ich ein Montefik-Beduine bin und von Euch gemietet sei, Euch nach Buschir und Schiras zu begleiten. Sobald mir dies über die Lippen gegangen war, glaubte ich, einen Fehler gemacht zu haben, denn der Kahwedschi brauchte doch nicht zu wissen, wohin wir wollen. Aber es waren mir nicht gleich andere Namen in den Mund und andere Gegenden in den Kopf gekommen, und es stellte sich nachher heraus, daß grad diese beiden Städte mir sein Herz geöffnet hatten. Er lud mich ein, mich zu ihm zu setzen, und als ich das gethan hatte, sprachen wir zunächst von den unendlichen Vorzügen des heißen Zuckerwassers, welches die eigentliche und richtige Weihe seines Vorhandenseins erst durch einen Zuguß von Araki bekommt. Dabei hielt und bewegte ich die Hand in der Weise, daß er den Ring sehen mußte. Es dauerte das zwar ziemlich lange, denn der Araki hatte die Zahl seiner Augen so vermehrt, daß er, wie er mir gestand, mich fünfzigmal sah und meine Hände sogar über zweihundertmal erblickte. Er schien also zweitausend Finger vor sich zu haben, was ihn so in Anspruch nahm, daß er für den Ring zunächst keine Spur von Aufmerksamkeit besitzen konnte. Aber als er ihn erst einmal entdeckt hatte, war der Eindruck, den er von ihm bekam, auch um so größer. Er bat mich, ihn betrachten zu dürfen. Natürlich erlaubte ich es ihm. Er gab mir die Hand und begrüßte mich als Sill, als »Schatten«, als Verbündeten, als heimlichen Kameraden. Er hielt mir eine große Rede, die aber so wenig Sinn hatte, daß sie nicht einmal als Unsinn bezeichnet werden kann. Ich konnte von hundert Worten, welche er sprach, kaum zehn verstehen, denn sein Mund glich einer mit Riri[18] gefüllten Tandschara[19], in welcher sich die Zunge wie ein Quirl bewegte. Er erkundigte sich immer wieder, ob ich wirklich nach Buschehr und Schiras gehen werde, und als ich dies oft genug bejaht hatte, fragte er mich, ob ich da wohl der Sill sei, der den Brief abholen solle, welcher an Ghulam abzugeben sei. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich vorgab, dieser Mann zu sein und die beiden Fremden, den Minister und den Sterndeuter, nur aus dem Grunde in dieses Kaffeehaus geführt zu haben, um die Gelegenheit zu finden, den Brief in Empfang zu nehmen.«

 

»Das war richtig, lieber Halef. Aber hast du denn nicht herausbringen können, wer und was dieser Ghulam ist?«

»Nein. Ich sage dir, ich habe meinen ganzen Scharfsinn zusammengenommen; aber erstens war der Kahwedschi so betrunken, daß er alles vergessen hatte und sich auf nichts besinnen konnte, und zweitens mußte er doch annehmen, daß ich diesen Ghulam wenigstens ebenso gut kenne wie er. Eine unvorsichtige Frage hätte mich verraten; sie wäre das Eingeständnis gewesen, daß ich der Sill nicht sei, für den ich gelten wollte. Du siehst ein, daß ich mich sehr in acht zu nehmen hatte und keine Erkundigung, die ihm auffallen mußte, aussprechen durfte. Ich setzte zwar die Worte so, daß sie ihn eigentlich hätten zwingen müssen, sich über Ghulam auszusprechen, aber der Raki hatte ihm nur den hundersten Teil seines an und für sich schon armselig kleinen Verstandes übrig gelassen, und so redete er alles herüber und hinüber, herunter und hinauf, und brachte aber grad das nicht, was ich haben wollte.«

»Das ist fatal!«

»Vielleicht erfahren wir es unterwegs!«

»Schwerlich. Die Mißlichkeit liegt in dem Umstande, daß Ghulam zwar ein Name ist, aber auch einen Stand bedeutet. Ghulam kann jeder Mensch heißen; dieses Wort kommt im Persischen ebenso oft vor wie der Name Halef im Arabischen. Ghulam ist aber auch ein Diener; besonders werden berittene Diener so genannt, und unter Ghulam Pätschä versteht man den Pagen, den jungen Leibdiener eines hohen Herrn. Du siehst also, daß wir uns in einer Ungewißheit befinden, die uns in Verlegenheit bringen kann.«

»Vielleicht könnte uns der Inhalt des Briefes Aufschluß geben?«

»Möglich!«

»So öffne ihn doch!«

»Ich gehöre nicht zu den Leuten, denen das Briefgeheimnis nicht heilig ist.«

»Briefgeheimnis? Erlaube, Sihdi, daß jeder Brief geschrieben wird, um gelesen zu werden. Dieser ist an Ghulam gerichtet, der ihn lesen soll. Weil wir aber nicht wissen, wer, was und wo dieser Ghulam ist, wird er ihn nicht bekommen, außer wir öffnen das Schreiben, um zu erfahren, wo und an wen wir es abzugeben haben. Das Öffnen des Briefes ist also keine verbotene Handlung, sondern eine Notwendigkeit, und wenn wir ihr Gehorsam leisten, muß uns Ghulam dafür dankbar sein.«

»Wie schön du das zu sagen weißt, lieber Halef! Du bist immer der Schlaue!«

»Ja, der bin ich! Wenn die Länge deines Verstandes nicht ausreicht, so muß ich dir mit der Breite des meinigen zu Hilfe kommen. Das weißt du doch schon längst.«

»Leider aber gilt hier diese ganze Breite mit allen ihren Finessen nichts. Wenn wir den Adressaten des Briefes nicht kennen, haben wir uns bei dem, der dir das Schreiben übergeben hat, nach ihm zu erkundigen, also beim Kahwedschi. So ist die Sache.«

»Das dürfen wir aber doch nicht!«

»So müssen wir den Brief zurückgeben.«

»Das fällt uns gar nicht ein! Sihdi, ich würde den Brief öffnen, ohne zu denken, daß ich dadurch einen Platz in der Hölle bekomme. Dein Gewissen aber ist nicht so kräftig wie das meinige, sondern im höchsten Grade tschapuk kydschyklanyr[20], was unter Umständen, wie der jetzige, tief zu beklagen ist. Gieb mir den Brief wieder! Ich werde ihn aufmachen, und dann kannst du ihn lesen, ohne dir Vorwürfe darüber machen zu müssen.«

»Ich halte das noch nicht für notwendig; wir haben ja Zeit zum Ueberlegen. Erzähle weiter!«

»Der Kahwedschi war bereit, mir den Brief anzuvertrauen, und da dies aber niemand sehen sollte, wollte er dies heimlich thun, denn auch der Somali durfte nichts davon wissen. Er bat mich darum, mit ihm hinauf unter das Dach zu steigen, wo er ihn versteckt hatte.«

»Vielleicht befindet sich da oben überhaupt ein Versteck für Dinge, welche sich auf die geheime Verbrüderung der Sillan beziehen?«

»Das ist möglich, Sihdi.«

»Hast du nichts bemerkt?«

»Nein.«

»Der Kahwedschi scheint als Postbeamter dieser Verbindung thätig zu sein; da ist es denkbar, daß man außer Briefen auch andere Dinge bei ihm niederlegt. Wo hatte er das Schreiben versteckt?«

»Das werde ich dir gleich sagen, sobald ich an die betreffende Stelle komme. Wir gingen in den Hof, wo die Leiter steht. Ich mußte ihn führen, denn er wankte unausgesetzt zwischen dem Orient und dem Occident herüber und hinüber und knickte bei jedem Schritte zusammen, als ob er zehn übermäßige Kamellasten auf dem Rücken trage. Wie ich mit ihm die vielen Sprossen hinaufgekommen bin, das kann ich dir gar nicht sagen. Endlich oben angekommen, setzte er sich gleich nieder und wollte schlafen; er hatte alles, auch den Brief, vollständig vergessen, und ich mußte sehr lange in ihn hineinsprechen, ehe er sich besann, in welcher Absicht wir so mühsam heraufgeklettert waren.«

»Wie war der Raum beschaffen?«

»Er war so lang und breit wie das an vielen Stellen offene Rohrdach, aber so niedrig, daß man nicht aufrecht stehen konnte. Es lag da überall altes, wertloses Gerümpel herum, für welches ich nicht einen einzigen Piaster geboten hätte. Der Brief war in einen Lappen eingeschlagen und steckte in einer Ritze der Wand.«

»War diese Ritze groß?«

»Nein.«

»Steckte er allein darin?«

»Ja.«

»So bildete sie kein Sammelversteck und war bestimmt, nur ihn zu verbergen. Es ist mir das ein Beweis, daß es da oben überhaupt keine heimliche Stelle giebt, welche dem Sillan als Aufbewahrungsstätte dient. Es wird also wohl so sein, daß dem Kahwedschi nur zuweilen ein Brief zur Uebergabe an den Boten anvertraut wird. Wäre ein geheimes und regelmäßig benutztes Versteck vorhanden, so hätte der Wirt den Brief dahinein und nicht in die Wandritze gethan. Was hat er gesagt, als er dir ihn gab?«

»Auch wieder allerlei unverständliches Zeug. Als ich ihn eingesteckt hatte und wir wieder an die Leiter kamen, um herabzusteigen, weigerte er sich, dies zu thun. Er glaubte plötzlich, am Flusse zu sein; er sah die Wogen fließen und hörte ihr Rauschen; darum setzte er sich nieder und war nicht zu bewegen, den Fuß auf die Leiter zu setzen. Er wollte nicht ersaufen, sagte er; dann fiel er vollends um und schlief sofort ein. Das ist alles, was ich dir sagen kann. Weiter habe ich nichts gesehen und nichts erfahren können.«

»So möchte ich einmal zu ihm gehen.«

»Versuche, ob du mehr erfährst als ich. Ich glaube aber nicht, daß es dir gelingt. Soll ich dir zeigen, wo er ist?«

»Ich finde ihn selbst; zeigen ist also nicht notwendig; aber mitgehen kannst du doch.«

Als wir durch den Vorderraum kamen, sah ich den Somali. Es war so, wie Halef gesagt hatte: Er hatte den Mangal umgerissen und lag mit dem Kopfe in der Holzkohlenasche. Sein überlautes Schnarchen klang wie das Sägewerk einer im Gang befindlichen Schneidemühle.

Draußen im Hofe sah es fürchterlich aus. Gut, daß wir schon getrunken hatten. Dem Europäer, der nur einen kurzen Blick auf diesen Schmutz warf, war es gewiß unmöglich, drin im Kahwe auch nur einen einzigen Schluck zu genießen! Die Leiter lag an; ich stieg, von Halef gefolgt, hinauf und mußte in ein enges Loch kriechen, an dessen Rande der Wirt lag. Er hatte den Mund weit offen; sein Atem war unhörbar. Sein Zustand schien mehr Betäubung als Schlaf zu sein. Punsch und Grog sind eben nur für kalte Länder, nicht für den heißen Orient.

Ein forschender Blick durch den niedrigen, von Unrat starrenden Raum sagte mir, daß hier kein Platz zu einem wichtigen Verstecke sei. Ich steckte den goldenen Ring der Sillan als Erkennungszeichen an den Finger und rüttelte dann den Mann. Er wollte die Augen öffnen, brachte sie aber bei diesem ersten Versuche nicht auf. Ich rüttelte ihn stärker.

»Laß mich in Ruh!« knurrte er und wälzte sich auf die andere Seite, so daß er durch das Loch hinabgefallen wäre, wenn ich ihn nicht weggeschoben hätte.

Da nahm ich ihn bei den Schultern, setzte ihn auf und schüttelte ihn so lange, bis er die Augen vollständig offen hatte. Er starrte mich an, sagte aber nichts.

»Bist du wach? Kannst du sprechen?« fragte ich ihn.

»Spre – — – chen,« wiederholte er mein letztes Wort mechanisch.

»Kennst du mich?«

»Du – — mich – — —?«

»Weißt du, wer du bist?«

»Du – — bist – — —?«

Da hielt ich ihm den Ring vor die Augen und forderte ihn im strengsten Tone auf:

»Schau diesen Ring an! Er sagt dir, wer und was ich bin.«

Er richtete sein Auge zunächst gleichgültig auf meine Hand. Sobald er aber den Ring erblickte, wurde er aufmerksamer. Er faßte die Hand und zog sie näher an sich, um Gestalt und Schrift des Ringes zu betrachten. Dann ging es wie Schreck über sein Gesicht. Er versuchte, sich aufzurichten, brachte es aber nicht fertig.

»Hazret[21] – — Hazret – — Hazret – —!« stammelte er. Weiter brachte er kein Wort hervor.

»Wach doch vollends auf, Mensch! Ermanne dich, und nimm dich zusammen! Du bist betrunken!«

»Be – — trun – — ken – —?!«

Die Bedeutung dieses Wortes schien ihm nicht gleich gegenwärtig zu sein; er sann darüber nach.

»Ja, betrunken bist du, vollständig betrunken!« wiederholte ich.

Da kam es wie eine Spur von Erkenntnis in sein Auge. Er schüttelte den Kopf und antwortete:

»Nicht – — betrunken – — nicht! Ich kann – — kann – — »Die Ungläubigen« sagen, kann – — – sie sagen. Soll – — – soll ich?«

»Ja, sprich sie mir einmal vor, aber ohne Fehler!« forderte ich ihn auf.

»Die Ungläubigen«, das ist nämlich die Ueberschrift der hundertneunten Sure des Koran. Sie lautet: »Sprich: o ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.« In der deutschen Uebersetzung bietet dieser Text ja gar keine Schwierigkeiten; aber um so mehr muß derjenige aufpassen, der das arabische Original recitieren will. Ein Betrunkener bringt das gar nicht fertig; darum wird dieses Kurankapitel als Sura el Imtihan[22] bezeichnet und auch sehr oft angewendet. Man fordert den Betrunkenen, welcher leugnet, betrunken zu sein, auf, diese Sure herzusagen. Bringt er das fehlerlos fertig, so hat er bewiesen, daß er nüchtern ist; verspricht er sich aber dabei, so ist sein Zustand zweifellos die Folge übermäßigen Trinkens. Jeder Muhammedaner kennt diese Eigenschaft und diese Anwendung der hundertneunten Sure, und auch dem Kawedschi war sie bekannt. Kaum hatte ich das Wort betrunken ausgesprochen, so bot er mir an, durch diese Sure zu beweisen, daß er es nicht sei. Nachdem ich ihm meine Zustimmung dazu erteilt hatte, nahm er sich zusammen und begann:

»Sprich, o – — – o ihr Un – — Ungläubigen, ich verehre, verehre – — nicht euch, und ihr was mich, was euch, was mir; ihr verehret mich und ich euch, und ihr – — – ihr habt – — – habt meine Religion – — – Religion – — ich habe eure – — – und ich – — – ich verehre – — – verehre mich nicht!«

 

»Dazu hast du auch ganz und gar keine Veranlassung!« lachte ich, denn im Arabischen war die von ihm angerichtete heillose Verwirrung noch viel lächerlicher als in der deutschen Uebersetzung, welche ich hier gebe. »Du kannst die Sure nicht richtig sagen und bist also betrunken!«

»Be – — be – — be – —« stammelte er. »O Hazret – — – der Raki – — Raki – — und hei – — heißes Zucker – — – Zuckerwasser – — – wasser!«

»Und nun du betrunken bist, weißt du nicht, was ich bin!« warf ich ihm vor.

»Was – — was – — – o, ich weiß – — – weiß sehr gut! Hazret bist – — – bist Sill – — – Sill – — – hoher Sill – — – sehr, sehr hoher Sill!«

»Das ist dein Glück, daß du wenigstens das noch siehst. Weißt du aber auch, daß du hier diesem Sill« – ich deutete bei diesen Worten auf Halef – »den Brief gegeben hast, welchen Ghulam bekommen soll?«

»Brief – — ? Nein – — nein – — – nicht gegeben; habe noch!«

»Weißt du, von wem er ist, dieser Brief?«

»Von – — von Esara el – — – el Awar[23], der ihn geschrieben und – — – und mir – — – mir gegeben hat.«

»Wo ist Esara jetzt?«

»Nach Kor – — – Korna, wo – — – wo er wohnt.«

»Und weißt du wirklich ganz gewiß, für wen der Brief bestimmt ist?«

»Für – — für Ghulam el – — el Multasim[24]

»Und wo Ghulam sich jetzt befindet?«

»In – — in – — Straße nach – — ah – — ah!«

Da war es mit seiner Beherrschung zu Ende. Er fiel um, schloß die Augen und lag nun wieder so betäubt wie vorher.

»Es ist aus, Sihdi,« sagte Halef.

»Du wirst nun nichts mehr von ihm erfahren, denn er hat – — —«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Komm wieder mit hinunter!«

Wir stiegen die Leiter hinab und kehrten zu Lindsay zurück, welcher sich erkundigte, ob wir noch etwas erfahren hätten. Halef antwortete:

»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß aus dem Betrunkenen noch etwas herauszubringen sei; dem Effendi ist es aber doch geglückt. Freilich, ich hätte mir die Fragen nicht getraut, die er ausgesprochen hat.«

»Warum nicht?« erkundigte ich mich.

»Weil ich sie für unvorsichtig gehalten hätte. Der Kahwedschi mußte doch hören, daß du nichts wußtest, und daraus schließen, daß du dich zwar für einen Sill ausgiebst, aber keiner bist.«

»Er mußte das hören? Mußte er das wirklich?«

»Ja.«

»Er hat es aber nicht gehört. Und noch viel weniger hat er einen Schluß gezogen; sein Zustand war ja ein solcher, daß er gar nicht folgerichtig denken konnte. Er erkannte nicht einmal seinen Gast in mir!«

»Das weißt du jetzt, wußtest es aber nicht vorher!«

»Sei gnädig gegen mich, lieber Halef! Ich gönne dir es zwar ganz gern, mir auch einmal einen Fehler, eine Unvorsichtigkeit nachweisen zu können, aber dieses Mal befindest du dich im Irrtume. Schon ehe ich den Betrunkenen zu Worte brachte, sah ich es ihm an, wie weit ich gehen könne. Sodann sprach ich im Tone eines Vorgesetzten, der hören will, wie weit der Untergebene unterrichtet und ob er bei Besinnung ist. Meine Fragen hätten den Kahwedschi, selbst wenn er weniger betrunken gewesen wäre, gewiß nicht auf den Gedanken gebracht, daß ich nicht zu den Sillan gehöre. Er hatte ja schon vollständig vergessen, dir den Brief gegeben zu haben. Grad so wird er, wenn er aus seiner Betäubung erwacht, gar nicht mehr wissen, daß ich bei ihm gewesen bin und mit ihm gesprochen habe. Ich werde meinen Ring, zufrieden mit dem Resultate, jetzt wieder in die Tasche stecken.«

»Bist du wirklich zufrieden?«

»Ja.«

»Ich aber hätte doch noch sehr gern gehört, wo Ghulam zu finden ist. Es ist schade, daß er grad dabei wieder in den bewußtlosen Mangel an Besinnung zurückkehrte, aus welchem du ihn vorher zum mangelhaften Hersagen der Sure der Ungläubigen aufgeweckt hattest!«

»Ich verlange nicht mehr, als er geben konnte. Wir haben den Namen und den Wohnort des Absenders erfahren und wissen sogar, daß er einäugig ist, was uns unter Umständen von Vorteil sein kann. Und wir wissen nun, daß Ghulam bloß ein Name und keine Standesbezeichnung ist. Der Mann heißt Ghulam el Multasim. Multasim bedeutet Pächter im allgemeinen und auch einen Staatsgutspächter im besonderen. Da in Persien die Zölle verpachtet sind, so ist dieser Ghulam wahrscheinlich ein Zollpächter.«

»Ja, Sihdi, wenn du aus seiner verworrenen Rede so bestimmte Schlüsse ziehst, so können wir, falls diese richtig sind, allerdings zufrieden sein.«

»Ich bin überzeugt, daß meine Vermutungen mich nicht irre führen. Vielleicht hat das, was wir hier erfahren haben, gar keine Folgen, keine Bedeutung für uns, aber da wir einmal schon so tief in die Geheimnisse der Sillan eingedrungen sind, so wollte ich auch die jetzige Gelegenheit benützen, etwas, und sei es noch so wenig, zu erfahren. Man weiß nicht, wozu es nützen kann.«

Da ergriff Lindsay das Wort:

»Nun redet doch endlich auch einmal eine Silbe mit mir! Sitze da, wie ein Waisenknabe, um den sich kein Mensch bekümmert, und verstehe nichts von alledem, was da gesprochen wird.«

»Sobald wir auf dem Schiffe sind, wird Halef alles erzählen,« tröstete ich ihn.

»Well! Bin schrecklich neugierig darauf. Ist übrigens nun Zeit, an Bord zu gehen. Wollen wir?«

»Ja. Aber wir müssen bezahlen, und der Wirt wird schwer aufzuwecken und dazu zu bringen sein, uns richtig zu sagen, was wir ihm schulden.«

»Ist ganz leicht abzumachen. Schreiben auf einen Zettel, was wir bekommen haben, schätzen das nach unserer Weise ab, wickeln das Geld in den Zettel und stecken es ihm in die Tasche. Nicht?«

»Ich halte das auch für das beste und kürzeste.«

»Well, werde das also machen. Ich zahle, Ihr nicht!«

Er riß ein Blatt aus seinem Merkbuche, notierte die Getränke darauf und wickelte das, was er dafür geben wollte und was jedenfalls nicht zu wenig war, hinein. Dann gingen wir in den Hof zu unsern Pferden, und er stieg die Leiter hinan, um dem Wirte den Betrag in die Tasche zu stecken.

Während er das that, führten wir beiden andern unsere Pferde vor das Haus, um uns dann nach dem Dampfer zu begeben, der ein Engländer mit vollständig englischer Bemannung war. Da traten zwei Männer durch das Mauerthor und kamen auf uns zu. Es war ihnen gleich beim ersten Blicke anzusehen, daß sie echte Söhne Old Englands seien. Beide hatten sonnverbrannte Gesichter. Den einen hielt ich sogleich für einen Seemann. Der andre war in neuwaschen glänzendes Weiß gekleidet, trug einen hellen Tropenhelm mit blauseidenem Schleier auf dem Kopfe, hellbraune Glacéhandschuhe an den Händen und an einer auffallend starken, goldenen Kette einen Klemmer auf der Nase. Diesem war die Zufriedenheit mit sich selbst sofort beim ersten Blicke anzusehen.

Sie blieben vor unsern Pferden stehen.

»Herrliche Tiere!« meinte der Seemann.

»Araber,« sagte der andere. »Unkultiviertes Geschlecht! Nur der Engländer weiß, was aus edlem Blute zu machen ist.«

»Sind diese nicht Rasse?«

»Freilich wohl, doch nicht von wohlüberlegter Zucht. Man sieht und kennt das ja! Alles Natur, aber eben bloß Natur. Kein Einfluß kennerischen Denkens. Wir Kavalleristen bemerken das sofort.«

Sie sprachen selbstverständlich englisch. Halef verstand nicht, was sie sagten, aber er sah dem weißen Gentleman an, daß seine Worte kein Lob enthielten. Sein Gesicht verfinsterte sich. Da wendete sich dieser kurz und befehlend in arabischer Sprache an uns:

»Wer seid ihr?«

Er erhielt keine Antwort.

»Wer ihr seid, habe ich gefragt!« wiederholte er, indem seine Brauen sich zusammenzogen. Und als wir auch jetzt still blieben, wendete er sich direkt an den kleinen Hadschi:

»Seid ihr stumm? Alle beide? Wie ist dein Name?«

Das geschah in so verweisendem Tone, von oben herab und geringschätzig, daß der Gefragte ihm auch jetzt nicht antwortete, aber zu mir sagte:

»Ja istiksa – welch eine Neugierde! Wer ist dieser Mensch, der nur den Stolz aber keinen Gruß auf den Lippen hat?«

Der Englishman schien das Arabische besser zu verstehen, als er es sprach. Er trat nahe an Halef heran, hob die Hand empor und rief:

»Mensch nennst du mich? Kerl, ich bin General! Soll ich dir meinen Gruß hinter die Ohren schreiben?«

»Lerne erst richtig reden, ehe du zu drohen wagst!« antwortete der Hadschi.

»Kleine, freche Kröte!«

Da riß Halef die Peitsche aus seinem Gürtel, und es hätte wohl eine unangenehme Scene gegeben, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht grad in diesem Augenblicke abgelenkt worden wäre:

»Bill! Du, du, Bill, hier in Basra?!« erklang es hinter uns.

Wir drehten uns um. Da stand Lindsay und starrte den General mit einem Erstaunen an, welches unmöglich größer sein konnte, als es sich sowohl in seiner Haltung als auch in seinem Gesicht aussprach.

»Ich denke, du bist in Kalkutta!« fügte er hinzu.

»Davy! Alter Davy!« rief der Offizier. »Ist es möglich? Ich habe geglaubt, du seist daheim!«

Sie nannten sich du. Sie waren also bekannte Freunde, vielleicht gar Verwandte. Wer aber geglaubt hätte, daß nun eine herzliche Begrüßung erfolgen werde, der wäre außerordentlich vom Irrtum befangen gewesen. Sie gingen auf einander zu, reichten sich die Hände, und damit war dem gutgeschulten Herzen wenigstens des einen volle Genüge geschehen.

»Du, du also bist der Gentleman!« meinte hierauf der General.

»Welcher Gentleman?« fragte Lindsay.

»Der drei Plätze auf dem Steamer des Kapitäns hier genommen hat.«

»Der bin ich allerdings.«

»Mußt mir zwei abtreten!«

»Unmöglich, Bill!«

»Pshaw! Wollte eigentlich alle drei haben. Da du es aber bist, sollst du einen behalten. Die beiden andern jedoch muß ich unbedingt haben!«

»Geht nicht!«

»Muß gehen! Bin zu spät von Kut herabgekommen. Wurde vom Konsul aufgehalten. Bin in geheimer, wichtiger Mission hier. Wurde dazu gewählt wegen meiner Erfahrungen und weil ich arabisch sprechen kann. Weißt du: Maskat – — russische und französische Einflüsse – — Landverbindung zwischen Konstantinopel und Bagdad bis Schatt el Arab – — Beherrschung des persischen Golfes – — – habe schwierige Instruktionen – — jede andere Rücksicht muß sich unterordnen – — kam den Tigris herab – — – war in Bagdad – — muß nach Buschihr – — von da nach Schiras und das Innere von Persien – — —«

»Das ist ja auch unsere Route!« unterbrach ihn Lindsay. »Können uns also zusammenschließen!«

»Du? Auch nach Persien? Well! Nehme grad dich unendlich gern mit. Hörte in Kut von dem englischen Steamer, welcher nach Bischihr geht. Bin sogleich herab; hörte, daß ein vornehmer Gentleman die drei Kabinen genommen habe. Er sei hier im Kaffeehause. Habe sie natürlich für mich belegt. Alles muß zurücktreten! Ging aber, da er als vornehm bezeichnet wurde, hierher, aus Höflichkeit, es ihm selbst zu sagen. Finde zu meiner Freude, daß du es bist, old Davy. Sollst einen der drei Plätze behalten dürfen. Werde mich einschränken – — nur dir zu liebe!«

15Säge.
16Sicilien.
17Antiochien.
18Leim, Kleister.
19Topf.
20Kitzlich.
21Ew. Hochgeboren.
22Sure der Prüfung.
23Esara, der Einäugige.
24Ghulam, der Pächter, Staatspächter.