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Im Reiche des silbernen Löwen II

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»Allerdings. Du hättest unsere Rettung sehr in Frage gestellt.«

»Das ist es, was ich dachte. Übrigens kennst du ja das Vertrauen, mit welchem ich das Dasein deines Lebens verschönere. Sobald du den Sprung gethan hattest, war ich überzeugt, daß du entkommen und zu den Pferden eilen würdest, um nach den Ruinen zu reiten und mich herauszuholen. Ich hatte also das süße Bewußtsein, im Innern über unsere Widersacher lachen zu können, während ich äußerlich ganz hilflos in ihre Hand gegeben zu sein schien. Dieser Gedanke verlieh mir diejenige Freudigkeit der seelischen Einrichtungen, ohne welche das Erdenleben mit einem Knochen zu vergleichen ist, von welchem das Schicksal schon das Fleisch heruntergegessen hat.«

»Dieser Vergleich ist wunderschön, lieber Halef!«

»O, meine Vergleiche sind stets vortrefflich und fehlerlos, was, verzeihe mir, mit den deinigen nicht immer der Fall zu sein pflegt; aber du darfst dich mit dem Umstande trösten, daß nicht jeder Mensch die Vorzüge, welche ich besitze, vertragen kann. Es gehört viel Demut und Selbstüberwindung dazu, die Größe seines Geistes so zu verhüllen, daß kein Unschuldiger durch sie niedergeschmettert wird.«

»So laß nur du dich auch durch die Größe des deinigen nicht niederschmettern, denn du bist vollständig unschuldig daran!«

»Wie meinst du das, Sihdi?«

»Denk später, wenn du Zeit hast, darüber nach. jetzt liegst du mit deiner Erzählung noch gefesselt und also hilflos im Binsenkorbe und hast also alle Veranlassung, dich in der Demut und Selbstüberwindung zu üben, von welcher du soeben sprachst. Was geschah weiter?«

»Etwas, worüber ich von Herzen lachen mußte. Nämlich als die Ruderer das Gleichgewicht ihres Fahrzeuges wieder hergestellt hatten, riefen sie dir nach. Sie befahlen dir zunächst, augenblicklich zurückzukehren, in welchem Falle sie dir deinen ganz aussichtslosen Fluchtversuch verzeihen wollten. Als sie dann sahen, daß dein Verstand nicht soweit reichte, die erhabene Vortrefflichkeit dieses ihres Vorschlages einzusehen, griffen sie zur Bitte. Sie flehten zu dir, doch zurückzukehren und sie nicht unglücklich zu machen, da es ihnen sehr schlecht ergehen würde, wenn sie bloß mich allein abliefern könnten. Ich erbarmte mich ihres Jammers und tröstete sie, indem ich ihnen sagte, daß meine Person ohne die deinige einen viel größeren Wert besitze, als wenn du dich bei mir befändest.«

»Ich danke dir!«

»Bitte! Sie waren nicht einsichtsvoll genug, mir dies zu glauben, und klagten noch eine ganze Weile fort, bis sie zu der Erkenntnis kamen, daß es dir im Wasser wahrscheinlich viel besser als bei ihnen gefalle; da ruderten sie weiter, und zwar mit großer Eile, denn sie glaubten, je eher sie zum Säfir kämen und ihm deine Flucht meldeten, desto leichter werde es ihm, dich wieder zu fangen. Wir kamen aus dem Flusse in den Kanal und auf demselben dann auch an das Ziel. Einer von ihnen ging fort, der andere blieb bei mir, um mich zu bewachen, obgleich ich alt und verständig genug war, selbst dafür zu sorgen, daß ich nicht aus dem Korbe weggestohlen wurde. Dann holte man mich, wobei man die Vorsichtsmaßregel traf, mir die Augen zu verbinden. Ich wurde getragen, lange Zeit und weit, sehr weit. Als man mich endlich niedergelegt und mir die Binde wieder weggenommen hatte, lag ich da, wo du mich gefunden hast, und der Säfir stand vor mir.«

»Er allein?«

»Nein. Ein kleine Kerl war dabei. Und nun geschah etwas, was ich nicht begreifen kann, und so wird also wohl auch dein Scharfsinn nicht ausreichend sein, mir eine Erklärung zu geben.«

»Was war es?«

»Der Kleine zeigte eine ganz überraschende Sehnsucht nach meinen Kleidern. Womit willst du dieses Verlangen begründen, Sihdi!«

»Ich kenne den Grund und sage dir ihn später. Erzähl nun weiter!«

»Man nahm mir die Fesseln ab und forderte von mir, daß ich mich ausziehe; ich weigerte mich natürlich; da wurde ich mit Prügeln bedroht. Da ich jetzt die Hände frei hatte, hätte ich mich wehren können, aber der Säfir stand mit der auf mich gerichteten Pistole vor mir und drohte, mich zu erschießen, wenn ich nicht gehorche. Da war nichts zu machen. Ich mußte mich fügen, doch nicht ohne daß ich eine Bedingung stellte.«

»Welche?«

»Ich erklärte ihnen, daß ich der Mann einer geliebten Frau und der Vater eines Sohnes sei, und also die Pflicht habe, auf die Erhaltung meiner Gesundheit stets bedacht zu sein; hier aber, in diesem Gewölbe, könne ich in unbekleidetem Zustande von einer Buruda[152] befallen werden, auf welche ein ungeheurer Raschh[153] und Sa‘li[154] zu befürchten sei; ich könne also den Wunsch des kleinen Menschen nur dann erfüllen, wenn mir erlaubt werde, nach Ablegung meines Anzuges die Schönheit meiner Glieder mit den seinigen zu umhüllen. Dies gab der Säfir zu, wahrscheinlich nicht aus ängstlicher Rücksicht auf mein Wohlbefinden, sondern um die Sache abzukürzen. Während des Umziehens wollte er allerlei von mir wissen und erfahren; ich sagte ihm aber, daß er sich an dich wenden solle; du werdest ganz gewiß kommen und ihm die gewünschte Auskunft mit Vergnügen geben. Damit mußte er sich begnügen. Als ich wieder gefesselt worden war, entfernten sie sich, und ich befand mich nun eine ganze Ewigkeit mit mir allein, was zwar unstreitig die geeignetste Gesellschaft für mich war, mir aber sehr wenig Unterhaltung brachte. Ich machte unausgesetzte Versuche, mich von den Banden zu befreien, hatte aber nicht den geringsten Erfolg.

Dann hörte ich, daß man einen andern Gefangenen brachte, der unausgesetzt jammerte und um Mitleid bat. Er wurde nicht zu mir, sondern an einen andern Ort geschafft. Wer es war, das weiß ich nicht.«

»Es ist der Pischkhidmät Baschi.«

»Der? So ist der Überfall seiner Karawane gelungen?«

»Ja. Seine Begleiter sind alle erstochen worden.«

»Allah! Aber er ist selbst schuld; warum hat er unsere Warnung verachtet! Dieser Mann ist ein großer Feigling; er wimmerte wie ein Kind, in dessen Mund der Disch agryssy[155] wohnt. Als ihm sein Platz angewiesen worden war, kam man zu mir, um nachzusehen, ob ich noch fest gebunden sei, und dann verging wieder eine lange, lange Zeit, bis der Säfir und der Kleine wieder kamen und der Wiederumtausch der Anzüge erfolgte. Das Bewußtsein, wieder in meinen eigenen Kleidern zu stecken, erfreute und beruhigte mich so sehr, daß ich selig entschlummerte und so lange schlief, bis die beiden vorhin wieder kamen. Ich war sehr aufgebracht darüber, daß sie mich aus dem Schlafe weckten, und hielt es nicht für notwendig, sie über diesen meinen Zorn im unklaren zu lassen. Der Säfir wurde grob, und so kam es, daß wir in keinem traulichen Einvernehmen voneinander schieden und ich ihm meine Kurbadsch in Erwähnung brachte. Nach einiger Zeit fiel ein Schuß. Wer schießt, der ist bewaffnet, der ist ein Feind, ein bewaffneter Feind hier im Innern des Birs Nimrud aber, der konntest nur du sein, und so rief ich deinen Namen, damit du wissest, wo ich zu suchen und zu finden sei. So, jetzt weißt du, was du wissen wolltest, und nun wollen wir dem Säfir das Vergnügen, uns so schön beisammen zu sehen, nicht länger vorenthalten. Wenn man einem Menschen eine Freude machen kann, soll man es thun, und ich sehe schon vorher im Geiste das vor Wonne strahlende Angesicht, mit welchem er uns entgegenblicken wird. Übrigens bemerke ich soeben, indem ich in meine Taschen greife, daß der kleine Mensch sie leer gemacht hat. Ich werde meine Peitsche ersuchen, ihm in aller Freundlichkeit mitzuteilen, daß der Urheber meines Gewandes diese Taschen nicht für andere Menschen, sondern nur für mich angefertigt hat. Komm!«

Als wir nun in den Raum Nummer Fünf traten, hockte der Kammerherr wie ein verscheuchter Vogel in der Ecke und empfing uns mit den Worten:

»Subhanullah – Gott sei gelobt, daß du endlich wieder kommst, Effendi! Ich habe eine wahre Todesangst ausstehen müssen!«

»Weshalb?« fragte ich.

»Dieser schreckliche Säfir hat mich mit fürchterlichen Drohungen überschüttet.«

»Was hat dich veranlaßt, mit ihm zu sprechen! Er konnte dich doch nicht sehen!«

»Aber er hörte mich!«

»Wärst du doch still gewesen!«

»Du hast recht. Aber als ihm das Bewußtsein zurückkehrte, fragte er, ob jemand hier sei, und ich antwortete ihm. Seit dieser Zeit peinigt er mich mit der Drohung, daß es mir unendlich grausam ergehen werde, wenn ich ihn nicht während deiner Abwesenheit losbinde.«

»Und das hat dir Angst gemacht? Sei überzeugt, daß dieser Mensch vollständig ungefährlich ist!«

Halef hatte zunächst nur für seinen am Boden liegenden Doppelgänger Aufmerksamkeit. Er stellte sich breitspurig vor ihn hin und redete ihn an:

»Erlaube, daß ich dich begrüße, geliebter Freund meiner Seele! Ich bin dir unendlich zugethan, obgleich ich eigentlich gar nicht mit dir sprechen sollte, weil ich durch deine Undankbarkeit in so große Betrübnis versetzt worden bin. Du weißt wohl, was ich meine?«

 

Der Angeredete antwortete nicht und bewegte sich auch nicht.

»Du schweigst?« fuhr Halef fort. »Sihdi, sei so gut, und leuchte ihm einmal in die Lieblichkeit seines Angesichtes! Ich habe das große Verlangen, mich an der Herzlichkeit seines Lächelns zu erquicken.«

Als ich dieser Aufforderung folgte und den Schein des Lichtes auf das Gesicht des Kleinen fallen ließ, ohne selbst genau hinzusehen, rief Halef aus:

»Was ist das! Wodurch kam er zum Fall, Sihdi?«

»Durch einen Hieb von mir.«

»So hast du ihn erschlagen! Das ist das Gesicht nicht eines Bewußtlosen, sondern eines Toten!«

Da betrachtete ich den Mann genauer. Sein Unterkiefer war weit heruntergefallen; der Mund stand offen, die Augen lagen gläsern, leblos, starr und unbeweglich in ihren Höhlen. Ich rüttelte ihn und untersuchte ihn, als dies keinen Erfolg hatte, sorgfältig.

»Lebt er doch noch?« fragte Halef.

»Nein; er ist tot,« mußte ich sagen, indem ich mich wieder aufrichtete.

»So ist es so, wie ich sagte: Du hast ihn erschlagen. Dein Hieb war für einen stärkeren Mann berechnet; du hast zu weit ausgeholt. Aber schau nicht so ernst darein! Nicht du bist es gewesen, sondern Allah war es, der deine Hand führte. Du bist kein Mörder kein Totschläger, sondern der Rächer seiner Thaten. Wer war es, der vorhin schoß?«

»Er.«

»Auf wen?«

»Auf mich.«

»Hat er dich getroffen?«

»Nein.«

»So sei ruhig; du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen! Er wollte dich umbringen, indem er eine Kugel nach dir sandte, und hat den verdienten Lohn dafür erhalten.«

»Vorher stach er schon nach mir!«

»Auch ohne zu treffen?«

»Ich fühlte den Stich; er wird aber nicht von Bedeutung sein.«

Indem ich den Lichtschein auf die betreffende Stelle fallen ließ, sah ich, daß der Ärmel blutig war. Halef bemerkte es auch und rief schnell und besorgt:

»Das ist ja Blut! Schnell herunter mit der Jacke! Ich muß nachschauen, ob die Wunde gefährlich ist oder nicht; eher kann ich nicht ruhig sein!«

Ich that ihm den Willen. Die Verletzung war kaum der Rede wert; ein kleines Stück Kittahn[156], welches wir aus dem Nebenraume holten, genügte, die Wunde zu verbinden. Als dies geschehen war, untersuchte Halef die Taschen des Erschlagenen.

»Da, schau, Sihdi! Hier ist alles, was er mir gestohlen hat!« sagte er befriedigt. »Ich hoffe, daß ich meine Peitsche ebenso wieder bekomme! Sie ist es, nach der ich vor allen Dingen suchen werde. Ich werde mich beim Säfir nach ihr erkundigen.«

Dieser betrachtete und beobachtete uns mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdrucke des Gesichtes und beantwortete die Fragen des Hadschi mit Schweigen. Da zog ihm Halef das Messer aus dem Gürtel, setzte es ihm auf die Brust und drohte:

»Wo meine Peitsche ist, will ich wissen! Sagst du mir es auch jetzt nicht, so ersteche ich dich! Also, wo habt ihr sie?«

Er bekam keine Antwort und stieß zu, doch nicht mit der Kraft, welche zu einem tödlichen Stiche gehört hätte, sondern er ließ ihm nur die Spitze des Messers fühlen. Da brach nun freilich die Schweigsamkeit des Bedrohten, welcher ja nicht wußte, wie weit der Hadschi gehen werde oder vielmehr gehen dürfe. Er entzog sich mit einer ängstlichen Bewegung dem Messer und antwortete endlich:

»Sie ist da! Der Pädär hat sie mitgebracht!«

»Wo finde ich sie?«

»Oben im Gange liegt sie, dein Messer auch!«

»Schau, wie schön du antworten kannst, wenn ich dir die Lippen öffne! Hast du schon seine Taschen untersucht, Sihdi?«

»Nein.«

»Soll ich sie untersuchen, was sie enthalten?«

»Das thun wir später. Nur eines einzigen Gegenstandes will ich mich einstweilen versichern. Nimm ihm den Schlüssel, den er unter der Kleidung an einer Schnur am Halse trägt!«

»Mensch, was geht dich mein Schlüssel an!« fuhr da der Säfir auf.

»Sei ruhig, mein Lamm!« lachte Halef. »Sieh hier das Messer! Ich steche sofort zu, wenn du nicht ganz ruhig liegen bleibst!«

»So nehmt ihn hin in Teufels Namen! Ich weiß ja, daß ich ihn sehr bald wieder bekommen werde. Ihr glaubt, es nur mit mir oder mit nur einigen Personen zu thun zu haben; aber es sind so viel Leute da, daß ihr diesen Ort nicht verlassen könnt, ohne wieder festgenommen zu werden!«

Indem ich von Halef den Schlüssel bekam und ihn einsteckte, antwortete ich:

»Du bist nicht allein; das weiß ich wohl. Es sind noch dreiunddreißig Männer da.«

»Die Hölle verschlinge dich! Wer hat dir das verraten?«

»Ich habe sie gesehen und gezählt.«

»Gesehen – — und – — gezählt?« wiederholte er meine Worte. »Du willst mich glauben machen, daß dein Blick durch Mauern und Schutthaufen dringe?«

»Nicht mein Blick, sondern ich selbst. Bist du denn wirklich so dumm, auch jetzt noch anzunehmen, daß ich während der ganzen Zeit gefesselt hier gelegen habe? Wärst du so klug gewesen, nur ein einziges Mal zu kommen, um nach mir zu sehen, so hättest du mich nicht gefunden. Du hattest diesen Raum kaum verlassen, so bin ich mit dem Pischkhidmät Baschi fortgegangen.«

»Lüge!«

»Pah! Wir ritten nach Hilleh, um den Pädär und seine Begleiter zu fangen, und holten Soldaten, mit denen wir euch umstellt haben. Ich sah dich bei den Ghasai-Beduinen sitzen, um den Raub zu taxieren, und hörte alles, was du mit ihnen sprachst. Dann kehrten wir hierher zurück und legten uns selbst die Fesseln wieder an, um dich zu täuschen. Du hast ja schon vorhin gehört, wieviel ich weiß, und schon dies allein hätte dich auf den Gedanken bringen müssen, daß wir fortgewesen sind und ich hinter deine heutigen Absichten gekommen bin.«

»Du täuschest mich nicht. Das ist doch Lüge, Lüge, nichts als Lüge!«

»Es kann mir gleichgültig sein, ob du mir glaubst oder nicht!«

»Es wäre euch gar nicht eingefallen, euch freiwillig wieder zu binden!«

»Das geschah ja nur zum Scheine. Wie schnell war ich aus den Fesseln heraus, als ich den Augenblick dazu gekommen sah!«

»Aber fortgewesen seid ihr nicht! Der Vorhang war von draußen verriegelt!«

»Es ist ein Beweis deines unendlichen Leichtsinnes, daß du die Wege selbst nicht kennst, die zu deinem Verstecke führen. Da, schau!«

Ich entfernte das Gebettuch des Soldaten und steckte es zu mir, um es ihm dann wiederzugeben, deutete auf das nun sichtbare Loch und sagte:

»Wie lange Zeit kennst du diesen Kerker, ohne zu ahnen, daß grad von ihm aus ein Weg in die Freiheit führt! Ich aber erkannte gleich beim ersten Blicke auf den Ziegelmehlhaufen, der hier lag, daß hier eine Gelegenheit zum Entkommen sei!«

Er starrte in die Ecke, ohne ein Wort hervorzubringen; ich zog meinen Henrystutzen heraus, so daß er ihn sah, und fuhr fort:

»Dieses Gewehr hatte ich doch nicht bei mir, als ich von euch hierhergeschleppt wurde. Wo kommt es her? Ich muß es mir doch wohl geholt haben! Wenn du jetzt noch zweifelst, so verdienst du für diese deine Dummheit noch mehr Prügel, als wir dir schon zugedacht haben!«

»Ia Bidadullah – oh Ungerechtigkeit Gottes!« stieß er hervor, weiter nichts. Seine Betroffenheit war so groß, daß er für diesen Augenblick weiter nichts sagen konnte. Ich hielt es für keinen Fehler, ihn noch weiter aufzuklären:

»Denke auch daran, mit welcher Bestimmtheit ich dir vorausgesagt habe, was geschehen wird! Das konnte ich nur, weil ich vorher wußte, daß ich dieses Gefängnis viel eher, als du ahntest, verlassen würde. Du behauptetest sogar, daß ich seine Schwelle überhaupt niemals wieder überschreiten würde!«

Da brüllte er endlich auf.

»Hund! Schwein! Teufel, der du bist! jetzt wird mir alles klar! Kein Mensch hat dir verraten, was du weißt, sondern du hast alles erlauscht! Aber es soll dir keinen Nutzen bringen, denn ich mache mich los, augenblicklich los und zermalme dich!«

Er zog die Ellenbogen hoch und die Kniee an den Leib, krümmte sich zusammen und streckte sich dann mit Anwendung seiner ganzen, ungewöhnlichen Körperkraft wieder aus. Man hörte den prasselnden Stoß, den das gab, aber die Absicht wurde nicht erreicht; die Fesseln hielten fest und verursachten ihm bei dem starken Rucke solche Schmerzen, daß er einen Weheschrei nicht unterdrücken konnte.

»Bemühe dich nicht; es ist ja doch umsonst!« sagte ich. Ich bin im Anlegen von Banden erfahrener als du. Wen ich zusammenschnüre, der kommt nicht ohne meine Erlaubnis wieder los! Und nun sage ich dir meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit welcher du mich, den Unwissenden, über die größten eurer Heimlichkeiten aufgeklärt hast!«

»Ich weiß nichts davon!« schrie er mich an.

»Über die Sillan!« erklärte ich.

»Nichts, nichts habe ich gesagt!«

»Über den Ämir-i-Sillan!«

»Den giebt es nicht!«

»Über die Gul-i-Schiraz!«

»Das ist eine Fabel; die ist gar niemals vorhanden gewesen!«

»Also auch nicht die Bivä-i-Hakim?«

»Nein.«

»Oder die Schems-i-Dschamal?«

»Nein, nein und tausendmal nein! Das sind ausgesonnene Namen, welche gar keine Bedeutung haben!«

»So ist wohl auch das Wort Sill nichts anders als nur eine Fabel?«

»Ja.«

»Aber die Gegenstände einer Fabel kann man doch nicht sehen!«

»Du siehst auch nichts!«

»Doch! Ich sehe etwas, und weil ich es sehe, kann es unmöglich etwas zu einer Fabel Gehörendes sein.«

»Was?«

»Den Ring an deiner rechten Hand.«

Ich sah, daß er erschrak; er nahm sich aber zusammen und antwortete mit freilich nicht ganz gelungenem Lachen:

»Das ist ein Ring, nichts als ein Ring, ein Ring wie jeder andere Ring!«

»Wir, nämlich ich und du, wissen das beide besser. Es ist der Ring der Sillan mit den Abzeichen des Ranges, den du unter ihnen einnimmst!«

»Hund – — —!«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Hüte dich vor diesem Worte! Wenn ich es noch einmal höre, so zeige ich dir, wie man einen Hund zu behandeln hat. Merke dir das! Da ich weiß, daß du den Ring in diesem Leben nicht mehr brauchst, so wirst du ihn mir zum Andenken an unser hiesiges Zusammentreffen überlassen.«

»Ich denke nicht daran!«

»Das ist auch gar nicht nötig, hier gilt das was ich denke; deine Gedanken gehen uns nichts an. Gieb ihn her.«

Ich trat zu ihm, um ihm den Ring abzunehmen. Er zog die gefesselten Hände an sich und kreischte mich in höchster Aufregung an:

»Wage es nicht! Berühre ihn nicht! Ich wehre mich mit aller Kraft!«

»Pah! Selbst wenn du nicht gebunden wärst, würde ich über deine Kräfte lachen!«

»Es steckt ein böser Zauber in dem Ringe, ein Zauber, der dich verderben wird!«

»Grad diesen Zauber will ich kennen lernen!«

»Sieh hier meine Faust! Ich öffne sie nicht; also kannst du ihn nicht bekommen, außer du schneidest mir die Hand ab!«

»Das ist nicht notwendig; es genügt ein einziger Druck. Paß auf, wie man das macht! Ich mache dir diese Hand mit ebenso großer Leichtigkeit auf, wie ich dir schon die andere blutig gezeichnet habe.«

Ich faßte mit meiner Linken sein Handgelenk, legte den Daumen der Rechten auf seinen innern und den gebogenen Zeigefinger auf den äußern Mittelhandknochen und drückte die Knöchel so zusammen, daß er einen Schrei ausstieß und die Hand öffnen mußte. Ein schneller Griff nach dem Ringe, ein schraubendes Drehen desselben von dem Finger herab, und ich hatte ihn in der Hand.

»Sieh, da ist er!« lachte ich. »Ich werde ihn als Andenken an dich tragen und bin dir herzlich dankbar für die Bereitwilligkeit, mit welcher du ihn mir überlassen hast! Ich werde, um dir meine Dankbarkeit zu beweisen, dir jetzt zeigen, daß dieses Loch hier wirklich der Anfang eines Ganges in das Freie ist.«

Er ließ nun ein tiefes, fast tierisches Stöhnen hören; es schien ihn eine solche Wut gepackt zu haben, daß ihm ein menschliches, artikuliertes Sprechen unmöglich war. Der Kammerherr mußte mir helfen, den Gang vom Schutte zu befreien; dann stieg ich hinab, kroch bis an das Ende desselben und forderte den dort noch stehenden Kavalleristen auf, mir die Waffen Halefs heraufzureichen; hierauf kehrte ich in das Gefängnis zurück.

Halef war außerordentlich erfreut, als er sah, was ich ihm brachte.

»Sihdi, erst jetzt fühle ich mich wieder als Mann,« sagte er. »So lange man nichts als nur die beiden Hände hat, ist man jedem, der einen Schuß Pulver im Laufe hat, in die Gewalt gegeben. Nun aber habe ich, was ich brauche, und bin bereit, es mit allen Säfirs der Welt aufzunehmen. Schau den dort an! Er wird nun nicht mehr schimpfen.«

 

Ich sah, daß dem Säfir ein Lappen auf den Mund gebunden worden war, und fragte, warum man das gethan habe.

»Als du hier in dem Loche verschwunden warst, sprach er wieder von Hunden; er glaubte wahrscheinlich, daß ich mir mehr gefallen lasse als du. Da habe ich ihm zwei Fetzen vom Gewand gerissen und den einen in den Mund gestopft, den andern aber daraufgebunden. Sagte er vorher, was er dachte, so hat er jetzt Gelegenheit, zu denken, was er sagen möchte. Was soll nun geschehen? Ich bin wieder bewaffnet und also zu allem bereit, was du von mir verlangst.«

»Wir müssen jetzt hinaus, um, da wir den Anführer haben, nun auch seine Leute festzunehmen.«

»Ja, thun wir das! Wie werden sie entzückt sein, an seiner Stelle zwei so tapfre Männer, wie wir sind, erscheinen zu sehen! Kriechen wir durch dieses Loch?«

»Nein. Wir gehen oben durch den Gang, um ihnen in den Rücken zu kommen. Vorher aber müssen wir uns des Säfir noch besser als bisher versichern.«

»In welcher Weise?«

»Wir binden ihn so an, daß er sich erwürgt, sobald er einen Versuch macht, sich zu befreien. Bringt ihn heraus, mir nach!«

Halef und der Kammerherr schleiften ihn in den Mittelraum. Ich ließ das Gitterwerk nieder und schob die Riegel vor. Hierauf suchten wir nach einer passenden Leine, und als wir sie gefunden hatten, lehnten wir den Säfir an die Drahtstäbe und banden ihn in der Weise daran fest, daß ihm die Leine an der Kehle saß und er also bei einer größern Anstrengung, loszukommen, sich erdrosseln mußte.

Als wir damit fertig waren und ich wieder zu dem Lichte griff, um den beiden andern voranzugehen, hielt mich der Pischkhidmät Baschi durch die Worte zurück-

»Ich hörte, daß ihr die Leute des Säfir festnehmen wollt, Effendi. Soll das jetzt geschehen?«

»Ja,« erwiderte ich.

»Und ich soll mitgehen?«

»Natürlich! Oder willst du allein hier bleiben?«

»Nein, oh nein! Ich möchte nicht tot hier sein, viel weniger lebendig. – Aber sag, wird es zum Kampfe kommen?«

»Wahrscheinlich.«

»Und ich soll mitkämpfen?«

Der hohe Herr hatte Angst; um diese zu erhöhen, antwortete ich:

»Ich begreife, daß du ganz begierig bist, dich endlich einmal rächen zu können. Du hast dich einen außerordentlich tapfern Krieger genannt, und wir freuen uns sehr, daß uns durch diese deine Tapferkeit der Sieg so sehr erleichtert wird!«

»Ja,« nickte auch Halef sehr ernst; »ein solcher Held wie du ist uns sehr notwendig, denn die Kugeln werden massenhaft herüber- und hinüber fliegen!«

»Fliegen – — —? Nach allen Seiten – — —?« fragte der Feigling erschrocken.

»Ja.«

»So – — so – — – so – — – ja, so giebt das einen sehr – — – sehr schönen Kampf, und es thut mir außerordentlich leid, daß ich mich nicht daran beteiligen kann.«

»Warum nicht?«

»Ihr seht doch, daß ich vollständig unbewaffnet bin; ich bin also gezwungen, hier zu bleiben, bis ich die Flinte und die Pistolen, welche man mir abgenommen hat, wieder bekommen habe.«

»O, was das betrifft, so werden sich schon Waffen für dich finden, und wenn nicht, so leiht dir mein Effendi eine seiner Drehpistolen.«

»Das geht nicht, denn ich weiß nicht, wie man mit solchen Pistolen schießt.«

»Er zeigt es dir!«

»Nein! Ich habe das Gelübde gethan, mich nur meiner eigenen Waffen zu bedienen. Ihr seht also ein, daß ich euch nicht eher helfen kann, als bis ich diese zurückbekommen habe!«

»Das thut uns leid, unendlich leid, denn es ist schade, wirklich jammerschade um dieses wunderschöne, tapfere Gelübde. Was sagst du dazu, Effendi?«

»Daß ich, wenn ich nächstens in Persien bin, von dieser seiner Tapferkeit und von dem Gelübde, welches ihn hindert, tapfer zu sein, erzählen werde. Kommt!«

So gern ich mich in den Räumen umgeschaut hätte, ich mußte doch für jetzt darauf verzichten. Ich leuchtete, und wir gingen aus Nummer Drei nach Nummer Eins, wo wir die Stufen sahen, welche zu dem Gange emporführten. Weil zu vermuten war, daß sich da oben die Vertrauten des Säfir befinden würden, mußte ich das Licht auslöschen. Wir tasteten uns die Treppe hinauf, ich voran, dann Halef und der Perser hinterdrein. Als wir oben ankamen, war es vollständig dunkel in dem Gange, aber weit vor uns gab es einen hellen Schimmer. Das war der Eingang, welcher offen stand. Ich wollte weitergehen, fühlte aber, daß mir Gegenstände im Wege lagen; es waren, wie ich mich tastend überzeugte, lauter Säcke, Kästen und Pakete, also die hereingeschafften Schmuggelwaren.

»Ich möchte wissen,« flüsterte mir der Hadschi zu, »warum man durch diese Sachen den Gang so unwegsam gemacht hat!«

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Nein. Warum hat man sie nicht gleich die Treppe hinuntergeschafft?«

»Weil nicht alle Mitglieder der Schmuggelbande die da unten liegenden Räume und den Weg, der zu ihnen führt, kennen dürfen. Die meisten von ihnen wissen wahrscheinlich gar nicht einmal von dem Gange etwas; sie dürfen die Ruine nur bis zu einem gewissen Punkt besteigen, bis zu welchem sie die Pakete tragen. Wenige andere kennen den Gang, weiter nichts, und holen die Sachen herein, und endlich sind es jedenfalls nur einige Personen, die von den untern Kammern wissen; diese schaffen die Waren hinunter und werden wohl auch nach Bedürfnis in andere Geheimnisse eingeweiht. So denke ich es mir, und so wird es wohl auch sein.«

»Wie verhalten wir uns? Steigen wir über diese Menge Sachen, so erregt das Lärm.«

»Ich fühle soeben, daß man hier links an der Mauer hin einen schmalen Pfad gelassen hat; den benutzen wir, nämlich du und ich; der Pischkhidmät Baschi aber bleibt hier zurück, und wartet, bis wir ihn holen.«

»Wann werdet ihr wieder kommen?« fragte der Genannte.

»Das kann ich jetzt nicht wissen.«

»Es wird doch nicht sehr lange dauern!«

»Wird dir etwa bange?«

»O nein, Effendi! Du kennst doch meine Tapferkeit zur Genüge!«

»Ja. Also warte hier recht tapfer. Wenn wir kommen, sind wir da; eher nicht!«

»Bära‘i Khuda – um Gottes willen, wenn nun inzwischen hier etwas geschieht!«

»Wir bewundern deinen Mut und wissen also, daß du dich tapfer verteidigen wirst.«

Nun drängten wir uns zwischen der Mauer und den Gepäcksachen leise und langsam dem Eingange zu. je näher wir demselben kamen, desto heller wurde der schon erwähnte Schein; wir sahen, daß es draußen inzwischen Tag geworden war. Die Zeit war schneller vergangen, als wir unten hatten bemerken können.

Da war es mir, als ob ich sprechen hörte. Ich blieb stehen und lauschte. ja, es waren halblaute Stimmen, welche vom Eingange her zu uns klangen. Wir huschten weiter und konnten, als wir einen hohen Pakethaufen passiert hatten, die Betreffenden sehen. Es waren drei Personen, welche nebeneinander auf dem Boden saßen und, aus dem Gange hinausschauend, sehr eifrig gestikulierten. Sie schienen durch irgend etwas in Erregung versetzt worden zu sein. je näher wir ihnen kamen, desto vernehmlicher wurde das, was sie miteinander sprachen. Schließlich befanden sich nur noch zwei aufeinander liegende Säcke zwischen uns und ihnen, und da hörte ich ganz deutlich einen von ihnen sagen:

»Nein, wir dürfen jetzt nicht zu ihm hinunter. Ihr wißt, es steht auf Ungehorsam der Tod!«

»Aber so ein unerwartetes Vorkommnis macht eine Ausnahme! Vielleicht bestraft er uns dann grad darum, daß wir es ihm nicht gemeldet haben!«

»Ich gebe dir recht,« stimmte ihm der dritte bei:

»Was gehen uns überhaupt diese Ghasaihunde an? Es scheint ja nur auf sie abgesehen gewesen zu sein!«

»Ich befürchte, auch auf uns,« entgegnete der zweite.

»Warum denkst du das?«

»Weil die Asaker[157] sich nicht entfernen. Sie halten ja den ganzen Platz so umschlossen, daß kein einziger von uns sich hindurchschleichen kann. Ich befürchte sehr, daß ihre Absicht nicht bloß auf die Ghasai, sondern auch auf uns gerichtet ist. Ich schlage also trotz seines strengen Verbotes doch vor, den Säfir zu benachrichtigen.«

Ging der Vorschlag dieses Mannes durch, so wurden wir bemerkt, wenn und wo es keinen Platz für uns, uns zu bewegen, gab; wir mußten ihnen zuvorkommen. Ich flüsterte dem Hadschi also zu:

»Pack du den links mit beiden Händen an der Gurgel, und laß ihn nicht schreien; es muß alles ganz still verlaufen. Ich nehme die beiden andern.«

»Töten wir sie?« erkundigte er sich.

»Wenn es zu vermeiden ist, nein. Knebel und Stricke von den Paketen sind hier ja mehr als genug zu haben.«

Wir schoben uns hinter den Säcken hervor, und als Halef von hinten nach dem von ihm bezeichneten Schmuggler griff, schlug ich zu gleicher Zeit den neben diesem sitzenden mit der Faust nieder und legte dann dem dritten die Hände um den Hals; er bewegte krampfhaft die Arme und Beine, bekam auch einen Hieb an die Schläfe und lag dann still. Halef hielt den seinen, der nicht bewußtlos war, an der Kehle fest; ich band den Mann mit den Strickenden, deren mehrere in der Nähe lagen, und hielt ihm, als er dann von dem Hadschi losgelassen wurde, das Messer mit der Drohung auf die Brust:

»Gieb keinen Laut von dir, sonst ersteche ich dich! Halef, mach aus seinem Turbantuche drei Knebel, die wir ihnen in den Mund binden, damit sie nicht laut werden können!«

»Mit größter Wonne, Effendi!« antwortete der Hadschi, »Wenn der Kerl das Maul nicht gutwillig öffnet, so werden ihm – — —«

Er hielt inne; sein Blick war auf die andere Wand gefallen, die wir noch nicht beachtet hatten; da leuchteten seine Augen, und er fuhr fort:

»Hamdulillah! Dort sehe ich meine Kurbadsch und auch das Messer! Ich habe die Peitsche wieder, und nun ist die Eroberung sämtlicher Ruinen Babylons und der ganzen Erde für uns nur eine Kleinigkeit!«

152Erkältung.
153Schnupfen.
154Husten.
155Zahnschmerz.
156Leinwand.
157Soldaten.