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Im Reiche des silbernen Löwen II

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»Also doch Neugierde, Sihdi, nichts als Neugierde! Ich fürchtete mich vor deinem Punkte«; zwar weiß ich nicht, ob du schon alles gesagt hast, was du sagen wolltest, aber ich bin jetzt – — – horch! Was war das? Wer hat geschossen?«

Es war allerdings ein Schuß gefallen, vor uns, in der Gegend, wo die Feuer brannten. Und gleich darauf hörten wir einen zweiten. Der stinkende Qualm war nicht mehr so dicht wie vorher; es ging nicht mehr über Menschenkraft, den Geruch zu ertragen. Ich mußte wissen, wer geschossen hatte und weshalb geschossen worden war. Darum schlich ich, ohne Halef aufzufordern, mir zu folgen, mich wieder der Stelle zu, von welcher aus wir vorhin die unsagbar widerliche Scene beobachtet hatten. Der kleine, wackere Hadschi folgte mir aber doch gleich auf dem Fuße. Zwar hatte er sich vorhin von keiner Macht der Erde dazu bewegen lassen wollen, aber mich der Gefahr allein entgegengehen zu lassen, das brachte er doch nicht über das Herz. Ich hinderte ihn nicht daran, obgleich ich es lieber gesehen hätte, wenn er zurückgeblieben wäre.

Als wir unsern frühern Beobachtungspunkt erreichten, war kein Mensch mehr zu sehen. Die Feuer brannten noch, beleuchteten aber nur die verlassene, nach Leichen grausig duftende Stätte, auf welcher noch zahlreiche Sarg- und Körperreste lagen, die den Flammen nicht übergeben worden waren, weil, wie die Schüsse vermuten ließen, der Vorgang ein unerwartetes, vorzeitiges Ende gefunden hatte. Aber von wem waren diese Leute gestört und von welcher Seite war geschossen worden?

Mochte das sein, wie es wollte, ich nahm als gewiß an, daß die dreißig Leichenschänder sich nach der Stelle der Ruinen entfernt hatten, wo nach dem Berichte unsers Bagdader Bimbaschi der Eingang nach den verborgenen Räumen zu suchen war, in denen man ihn gefangen gehalten hatte. Ihnen jetzt dorthin zu folgen, wäre nicht nur zwecklos, sondern wohl gar gefährlich gewesen, weil sie, mochten die zwei Schüsse von dieser oder von jener Seite gefallen sein, sich nun jedenfalls außerordentlich vorsichtig verhielten und wir ihnen also sehr leicht in die Hände laufen konnten. Darum hielt ich es für geraten, den Platz, wo wir uns befanden, einer kurzen Besichtigung zu unterwerfen und alles übrige bis zum Tagesanbruch aufzuschieben. Unserer Sicherheit wegen aber umschlich ich den Platz erst einmal in sehr vorsichtiger Weise und überzeugte mich, daß sich außer uns beiden niemand in seiner Nähe befand.

Als das geschehen war, durften wir uns an die Feuer heranwagen. Wir thaten das, obgleich der Gestank noch so stark war, daß er uns eigentlich hätte soweit wie möglich forttreiben sollen. Es war mir auf meinen Reisen gar manche schwere Beleidigung meiner Geruchsnerven vorgekommen, wenn ich Verhältnisse berührte, von denen man weder mündlich noch gar schriftlich etwas erzählen darf, aber so schlimm, so unbeschreiblich schlimm wie heut war es noch nie und keinesorts gewesen.

Die Untersuchung des Platzes hatte nur den einen Zweck, womöglich zu erfahren, was sich in den geheimnisvollen Bündeln befunden hatte. Unser Forschen war nicht ohne Resultat; es mußten zwei von ihnen beschädigt gewesen oder die Verschlüsse aufgegangen sein, denn wir sahen an zwei Stellen Proben des Inhaltes, wenn auch nicht viel, an der Erde liegen. Es war Safran, und zwar in Fäden und auch in Pulverform. Als ich diese Bemerkung machte, mußte ich daran denken, daß unser Bimbaschi, der frühere Oberste der Zollbeamten zu uns gesagt hatte: »Jetzt aber würde bei der Höhe des Zolles, der auf ihm liegt, Safran der einträglichste Gegenstand des Schmuggels sein.« Man weiß, daß der orientalische, besonders aber der persische Safran, wenn unverfälscht, von allen Sorten der beste ist; aber seit ich gesehen habe, daß man ihn sogar in den Särgen persischer Schiiten über die dortige Grenze pascht, mag ich von diesem Gewürz nur dann etwas wissen, wenn ich die Überzeugung habe, daß es von unserm abendländischen Crocus sativus gewonnen wurde. Eben machte Halef eine gleichklingende Bemerkung zu mir, als wir durch das Geräusch von Hufschlägen überrascht wurden, welche sich, wie wir hörten, sehr schnell näherten. Es klang, als ob viele Reiter im Trabe geritten kämen. Waren es etwa die Pascher, welche zu Pferde zurückkehrten, um die noch übrigen Reste der Leichen zu verbrennen?

»Sie kommen wieder; sie kommen!« warnte mein Hadschi, indem er mich bei der Hand ergriff, um mich mit sich fortzuziehen. »Schnell, schnell! Wir müssen uns verstecken! Der beste Platz ist da oben auf dem Mauerstück. Ich klettere voran!«

Er ließ mich wieder los und eilte auf einen Ruinenteil zu, welcher die Höhe eines kleinen Hauses und so viele hervorstehende Zacken und Kanten hatte, daß er allerdings leicht zu ersteigen war. Ich freilich hätte mir einen andern Zufluchtsort gewählt, weil dieser im hellen Schein der Feuer lag; doch konnte man, wenn man sich einmal oben befand, nicht gesehen werden, und da Halef bereits am Emporklimmen war und ich es nicht für geraten hielt, mich von ihm, dem leicht Unvorsichtigen, zu trennen, so blieb mir nichts anderes übrig, als sein Beispiel nachzuahmen. Ihn umkehren zu lassen, dazu gab es keine Zeit.

Der betreffende Mauerrest bestand aus meist verglasten Ziegeln, welche mit Asphalt verbunden waren. Dieser Kitt hatte Tausende von Jahren festgehalten; warum sollte man sich ihm nicht auch heut anvertrauen können? Leider aber war seine Zuverlässigkeit eine weit geringere, als ich dachte; das sollten wir zu unserm Schaden erfahren. Halef befand sich schon einige Meter hoch über der Erde, und ich hob eben den Fuß, um ihm nachzusteigen, als der Mauervorsprung, über den er kletterte, losbrach und auf mich herabstürzte. Es war ein mehrere Zentner schweres Stück, weiches mich zu Boden riß und auf mir liegen blieb. Ich hörte den Schreckensruf des Hadschi, welcher natürlich nachstürzte; ich fühlte einige Augenblicke lang die Last auf meiner Brust; dann hörte und fühlte ich nichts mehr, denn ich hatte das Bewußtsein verloren, obgleich ich noch heut behaupte, daß mein Kopf nicht mitgetroffen wurde.

Als ich wieder zu mir kam, war ich zwar von dem Drucke, aber leider nicht auch in anderer Weise frei, denn ich konnte weder die Arme noch die Beine bewegen; sie waren gebunden. Neben mir lag Halef, ebenso gefesselt wie ich. Um uns saßen wohl zwanzig Asakir[29], deren Anführer ein alter verwetterter Kol Agasi[30], war. Sie gehörten zur Kavallerie; ich sah die Pferde in der Nähe stehen. Bei ihnen befanden sich zwei Zivilisten, bei deren Anblick ich sofort wußte, woran ich war, nämlich der Wirt, bei dem wir in Hilleh eingekehrt waren, und der dritte Beduine, dessen zwei Gefährten von unsern Pferden abgeworfen worden waren. Diese guten Menschen hatten uns eine so liebevolle Anhänglichkeit bewahrt, daß sie uns doch noch gefolgt waren, wenn auch nicht gleich, aber doch später, und zwar in militärischer Begleitung. Daraus war zu schließen, daß sie uns angezeigt hatten, ein Umstand, welcher mich auf die Vermutung leitete, daß der Beduine, den wir für ohnmächtig gehalten hatten, nicht bloß bewußtlos, sondern tot gewesen war. Beide hielten die Augen auf uns gerichtet, und sobald ich die meinigen geöffnet hatte, rief der Wirt dem Kol Agasi zu:

»Er ist wach; er hat die Augen auf. jetzt ist es also Zeit, ihn zu verhören!«

Der alte Subalternoffizier bewegte keine Miene und antwortete keine Silbe; aber als die Aufforderung einmal und dann noch einmal wiederholt worden war, wendete er sein Gesicht dem Wirte zu, musterte ihn mit einem Blicke geringschätzigen Staunens und fragte dann:

»Mit wem sprichst du denn eigentlich?«

»Mit dir!« antwortete der Gefragte.

»Mit mir? Das kann ich nicht glauben, denn wenn du mich wirklich meintest, müßte ich dir die Bastonnade geben lassen, weil du mir nicht die Höflichkeit und Achtung zollst, welche ich zu fordern habe.«

»Aber wenn ich nicht sprechen darf, wozu bin ich euch da mitgegeben worden?«

»Ich mußte euch mitnehmen, um von euch zu erfahren, ob diejenigen, welche wir ergreifen würden, auch wirklich diejenigen seien, welche ihr gemeint habt. Und wer hat dir gesagt, daß du nicht sprechen darfst? Es ist dir nicht verboten; ja, du sollst reden, aber in höflicher Weise und möglichst nur dann, wenn du gefragt wirst.

Das merke dir! Du gehörst nicht zu uns, denn du bist nicht Soldat; ich aber bin Offizier Seiner gebieterischen Herrlichkeit, des Beherrschers aller Gläubigen, welchem Allah ein tausendfaches Leben schenken möge, und wenn du mir etwas mitteilen willst, so darf dies nur in Form einer unterthänigen Bitte geschehen!«

Da fiel der Beduine schnell ein:

»Wenn dieser mein Freund schweigen soll, so werde ich desto lauter sprechen. Ich bin ein freier Ben Arab und habe keinem Soldaten zu gehorchen. Ich verlange, daß die Mörder meines Gefährten, welcher beim Sturze vom Pferde den Hals gebrochen hat, sofort verhört werden!«

»Wer und was bist du?« fragte der Kol Agasi in verächtlichem Tone. »Ich will es dir sagen: Ihr habt euch zwar für Solaib-Araber ausgegeben, seid aber, wie sich herausgestellt hat, Ghasai-Beduinen, und die Angehörigen dieses deines Stammes sind uns als räuberisches Gesindel und Diebe bekannt. Man sollte euch hängen, ohne eine einzige Ausnahme zu machen! Und da behauptest du, ein solcher Ghasai, daß du keinem Soldaten zu gehorchen habest, und willst mir befehlen, was ich thun soll? Mensch, wenn du noch ein einziges Wort zu mir sprichst, ohne dein Haupt in tiefster Ehrfurcht zu verneigen, so zeige ich dir, wer hier zu gebieten und wer zu gehorchen hat!«

 

»Allah! Du nennst uns Diebe und Gesindel? Ich werde mich augenblicklich entfernen!«

Er machte eine Bewegung, als ob er aufstehen wolle; aber der Kol Agasi befahl ihm:

»Du bleibst! Ihr seid mir mitgegeben worden; ich bin also für euch verantwortlich, denn ich habe euch wiederzubringen. Nötigenfalls werden unsere Kugeln euch verhindern, uns zu entlaufen. jetzt kein Wort mehr, bis ich euch auffordere, zu sprechen! Wir sind tapfere Soldaten des Padischah, dessen Kismet im hellsten Glanze strahlen möge, aber keine Wächter des Zolles, welche Allah verdammt hat, sich von den Abfällen des Schmuggels zu ernähren. Wenn wir heut gezwungen worden sind, einmal in die Fußstapfen der Zöllner zu treten, so haben wir zwar gehorchen müssen, bleiben aber trotzdem, was wir waren.«

»Wir haben euch nicht zugemutet, in diese Fußstapfen zu treten!«

»Das würde euch auch wohl schlecht bekommen sein! Aber es hat sich doch gefügt, daß diejenigen, welche wir fangen sollten, Schmuggler sind, und da wir sie einzuliefern haben, ist es ganz genau dasselbe, als ob wir mit den Obliegenheiten der Zollaufpasser beleidigt worden seien. Nun aber schweig; ich bin fertig mit dir!«

Das Verhalten des Kol Agasi war mir in seinen Gründen nicht ganz klar. Hielt er wirklich so ausschließlich auf seine militärische Ehre, daß ihm der heutige Dienst als eine Beleidigung erschien? Im Grunde genommen konnte mir diese seine Ansicht gleichgültig sein. Interessanter war für mich der Beweis, daß die drei Beduinen, ganz wie ich gedacht hatte, nicht Solaib, sondern Ghasai-Beduinen waren. Das ließ auf die Berechtigung auch meiner andern Vermutungen schließen.

Der Unfall mit den auf mich gestürzten Ziegeln schien nicht ohne Folgen zu bleiben. Meine Brust schmerzte, und das Atmen fiel mir schwer. Wie stand es mit Halef? Er lag so still und bewegungslos an meiner Seite, daß ich ihn für schlafend oder gar tot hätte halten können, wenn seine Augen nicht offen und in steter Bewegung gewesen wären. Ich drehte den Kopf nach ihm und flüsterte ihm zu:

»Bist du verletzt?«

»Nein,« antwortete er ebenso leise.

»Habe ich lange bewußtlos gelegen?«

»Zehn Minuten ungefähr.«

»Konntest du nicht fliehen?«

»Fliehen? Ohne dich, Sihdi? Bin ich nicht dein Freund, der alles mit dir zu teilen, zu leiden und zu ertragen hat?«

»Wenn du frei wärst, könntest du mir mehr nützen als jetzt!«

»Sie fielen über mich ebenso schnell her wie über dich. Ich hätte mich verteidigen, also schießen und stechen müssen, und das wollte ich nicht, weil sie kein Gesindel, sondern Soldaten des Sultans sind.«

»Das war allerdings recht! Hat dich der Kol Agasi ausgefragt?«

»Er sprach bis jetzt kein Wort zu mir. Er hat nach uns gesucht und, als er die Feuer sah, zwei Kundschafter ausgeschickt. Auf diese ist von den Safranschmugglern geschossen worden, und er denkt, daß wir es gewesen sind. Das habe ich aus seinen Reden gehört.«

»Wir können ihm beweisen, daß wir es nicht gethan haben.«

»Wie denkst du über unsere Lage? Die Kerls waren wirklich Ghasais, wie du ganz richtig vermutetest. Der eine hat das Bein gebrochen, und der andere scheint gar tot zu sein.«

»Es ist mir trotzdem gar nicht bange; also brauchst auch du keine Angst zu haben.«

»Angst? Das würde mir nicht einfallen, selbst wenn der ganze Ghasai-Stamm sämtliche Beine und Hälse gebrochen hätte. Wie aber steht es mit dir, Effendi? Die Last, welche mich herabriß und auf dich fiel, war sehr schwer.«

»Die Brust schmerzt mich ein wenig; weiter ist es nichts. Die Rippen sind nicht beschädigt; so viel fühle ich.«

»Allah sei Dank! Wenn die Steine auf mich gefallen wären, so hätten meine Rippen gewiß nicht widerstanden, denn die Zusammensetzung meiner harmonischen Körperteile zeichnet sich durch größere Zartheit aus als die Erschaffung deiner festen Knochen.«

Er hatte das lauter gesagt, als er beabsichtigte; darum hörte der Kol Agasi, daß wir miteinander sprachen, und rief uns zu:

»Ihr habt zu schweigen! Wißt ihr nicht, daß Gefangene nicht miteinander sprechen dürfen?«

Ich nahm sogleich die Gelegenheit wahr, ihm im höflichsten Tone zu antworten:

»Habe die Güte, o tapferer Jüzbaschi[31], mir zu erlauben, dich um die Erfüllung eines Wunsches zu ersuchen!«

Daß ich ihn als Hauptmann, also einen Rang höher, bezeichnete, brachte ein beifälliges Lächeln auf seinem Gesicht hervor, und seine Stimme klang freundlich, als er mich aufforderte:

»Laß mich hören, was du willst!«

»Ich sehe dir an, daß du nicht nur ein braver, wohlverdienter Offizier bist, sondern auch die hohen Vorzüge der Gerechtigkeit und Herzensmilde besitzest. Wir wissen nicht, weshalb ihr uns gefangen genommen und gebunden habt, und bitten dich, uns als Kommandant dieser vorzüglichen Truppen mitzuteilen, aus welchem Grunde du die Überwältigung unserer Personen anbefohlen hast.«

Er war vielleicht ein Menschenalter lang gewöhnlicher Soldat gewesen; ihm fehlte der Scharfsinn, die Absicht meiner höflichen Ausdrucksweise zu begreifen, darum fühlte er sich geschmeichelt und erwiderte in anerkennender Weise:

»Allah hat dir die Sprache der Gebildeten verliehen. Deine Worte klingen darum ganz anders als diejenigen, welche ich vorhin aus dem Munde deiner Ankläger vernommen habe. Wie schade, daß grad ein Mörder und Schmuggler diese Gabe der schönen Rede besitzt!«

»Erlaube mir, o Jüzbaschi, daß ich dich nicht verstehe! Du hältst uns also für Schmuggler?«

»Allerdings. Es ist ja klar erwiesen, daß ihr welche seid. Wir haben die Stege, an welcher wir euch ergriffen, ganz genau untersucht; dann brachten wir euch hierher, wo es nicht so nach Leichen stinkt wie dort. Was es mit diesen Leichen und ihrer verbrecherischen Verbrennung für Bewandtnis hat, das wissen wir nicht; aber wir sahen den Zafarahn[32] den ihr verschüttet habt, an der Erde liegen; der hat uns verraten, daß ihr Schmuggler seid.«

»Es thut mir unendlich leid, daß die Umstände zusammengetreten sind, das helle Auge eines sonst so scharfsinnigen Mannes, wie du bist, zu täuschen. Die Schmuggler, von denen du sprichst, gehen uns gar nichts an.«

»Nichts? So ist es wohl auch irrtümlich, wenn ich euch für Mörder halte?«

»Ja. Deine Güte wird es mir verzeihen, daß ich mich erkundige, warum du eine so kränkende Meinung von uns hast.«

»Das will ich dir sagen, weil du so höflich fragst. Wir befanden uns in der Nähe, nämlich da drüben auf dem Hügel der kleinen, aber berühmten Moschee, in weicher die Gebeine Ibrahims[33] des Erzvaters liegen.

Da sahen wir mehrere Feuer brennen, und ich sandte zwei meiner Leute aus, nachzusehen, wer sie angezündet habe. Sie führten diesen Auftrag aus, wurden von euch gesehen und hörten die Kugeln, die aus euern Flinten kamen, an sich vorüberpfeifen. Ihr habt auf sie geschossen. Seid ihr da nicht Mörder?«

»Nein. Wir wissen, daß auf sie geschossen worden ist, denn auch wir haben die zwei Schüsse gehört; aber ich habe mich schon einmal unterfangen gehabt, deiner freundlichen Einsicht den Umstand mitzuteilen, daß die Schmuggler, welche geschossen haben, uns gar nichts angehen.«

»Erlaube mir, daß nun ich es bin, der das, was gesagt wird, nicht begreifen kann! Du behauptest, nicht zu ihnen zu gehören, und wir haben euch doch bei ihnen getroffen.«

»Da du ein Liebling Allahs bist, o Jüzbaschi, so wird er dich über diesen Punkt sofort erleuchten. Wenn du die Güte hast, die Gedanken deiner Seele rückwärts zu lenken, so wirst du dich ganz genau erinnern, daß du uns nicht bei ihnen gesehen hast. Als du zu der Stelle des Gestankes kamst, waren sie längst fort, denn sie haben sie augenblicklich verlassen, als sie auf deine beiden Kundschafter geschossen hatten.«

»Kannst du das beweisen?«

»Ich? Ein Mann von deiner durchdringenden Klarheit weiß ganz genau, daß ich nichts zu beweisen habe. Die Sache liegt vielmehr mit deiner Erlaubnis so, daß derjenige, welcher uns anschuldigt, zu beweisen hat, daß wir schuldig sind.«

»Ich muß gerecht sein und dir mitteilen, daß du auch ein Liebling Allahs zu sein scheinst, denn deine Worte enthalten ebensoviel Scharfsinn wie die meinigen.

Ich gebe zu, daß wir, als wir die erwähnte Stelle erreichten, nur euch beide sahen, leider freilich fliehend. Warum das? Wer gerechte Sache hat, braucht doch nicht die Flucht zu ergreifen!«

»Als wir nach dem Birs Nimrud ritten, hatten wir nur die Absicht, die berühmten Ruinen dieser Gegend in Augenschein zu nehmen. Es wurde dabei Abend, und wir suchten einen Platz zum Lagern während der Nacht. Wir sahen Feuer brennen und näherten uns ihnen; der Gestank trieb uns zurück, doch bemerkten wir gegen dreißig Männer, welche Särge öffneten, in denen Leichen und Schmuggelwaren steckten. Die Särge und Leichen wurden verbrannt, die Waren aufgehoben. Dann hörten wir zwei Schüsse, worauf sich die Schmuggler schnell entfernten. Hierauf gingen wir hin, denn die Wißbegierde trieb uns, den Platz zu betrachten. Während wir dies thaten, hörten wir euch nahen. Wir glaubten, es seien die Pascher wieder, und wollten uns eiligst verstecken, denn wir sind ehrliche Menschen, welche die Gesetze Allahs und des Padischah achten, und mögen nichts mit Leuten zu thun haben, die gegen diese Gesetze sündigen. Dabei stürzte mein Gefährte, und ich wurde von den Steinen zu Boden gerissen. Was dann geschah, das weißt du besser als ich. jetzt liegt vor deinen scharfen Augen alles klar, und deine untrügliche Einsicht wird nicht zögern, die auf uns liegenden Vorwürfe von uns zu nehmen.«

»Deine Worte besitzen die Unwiderstehlichkeit der Kuransuren; aber ich will dir aufrichtig gestehen, daß ich mich nicht ganz allein auf sie verlassen kann, sondern mich erst bei den Kundschaftern erkundigen muß.«

»Bevor du das thust, mag deine Nachsicht mir erst noch eine Bemerkung gestatten! Als wir uns den Feuern näherten, hatten wir weder unsere Pferde noch unsere Gewehre bei uns, sondern sie an einem sichern Ort zurückgelassen. Dein wohlgeübtes Denkvermögen aber wird nicht zögern, zu bestätigen, daß man ohne Gewehre unmöglich schießen kann. Und wie ich gehört habe, waren es nicht Pistolen-, sondern Flintenschüsse.«

»Es ist sehr einsichtsvoll von dir, daß du dich an mein geübtes Denkvermögen wendest. Wenn ihr eure Gewehre nicht bei euch gehabt habt, müssen es allerdings andere Leute gewesen sein, welche geschossen haben; dennoch aber werde ich nicht versäumen, die Erkundigungen, von denen ich sprach, einzuziehen.«

Er that dies, und das Resultat war, daß die Kundschafter erklärten, sie seien zwar nicht so nahe gewesen, wie nötig gewesen wäre, um die Gesichtszüge zu unterscheiden, aber zwei in der Weise und so sauber gekleidete Männer wie wir hätten sie bei den Schmugglern nicht gesehen. Hierauf wendete sich der Kol Agasi uns wieder zu:

»Ihr habt gehört, daß der Bericht zu euerm Vorteil ausgefallen ist. Habt ihr noch etwas hinzuzufügen, so erlaube ich euch sehr gern, es zu thun.«

»Ich danke dir!« antwortete ich. »Ich habe schon sehr viele und sehr hohe Offiziere des Padischah von Stambul kennen gelernt, aber unter ihnen war keiner, der dich an Scharfsinn, Menschenfreundlichkeit und Gerechtigkeitsliebe übertroffen hätte. Wenn du mir gestattest, werde ich einen Bericht an Hazreti, den Seraskier[34] senden und darin deiner so gedenken, daß er sein Auge auf dich richten wird.«

 

»An Hazreti, den Seraskier, den Unüberwindlichen?« fragte er, halb freudig, halb erstaunt. »Verzeih, daß ich mich wundere! Kennst du ihn denn? Hast du am Babi humajun[35] solchen Einfluß, daß der Gebieter der Kriegsangelegenheiten deinen Bericht überhaupt bekommt, gar nicht zu fragen, ob er ihn lesen oder sogar beachten wird?«

Diese Frage brachte Wasser auf die Mühle meines kleinen Halef, der ja stets redefertig war, wenn es galt, mein und also auch sein eigenes Lob zu verkündigen. Sie hatte so lange stillgestanden, daß er jetzt keinen Augenblick zögerte, sie höchst energisch in Bewegung zu setzen. Kaum hatte der Kol Agasi seine Frage ausgesprochen, so fiel der Hadschi, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, mit größtem Eifer ein:

»Wie kannst du Worte aussprechen, in denen eigentlich eine Beleidigung für uns liegt! Du bist ein tapfrer und ein kluger Mann, aber du hast vergessen, das zu thun, was du gleich anfangs hättest thun sollen, nämlich uns zu fragen, wer wir sind. Ich bin der oberste und also gebietende Scheik der Haddedihn vom großen und weithin bekannten Stamme der Schammar. Mein Name lautet Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas In Hadschi Dawuhd al Gossarah. Und dieser mein Gefährte, dessen Freund und Beschützer ich bin, heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi. Er stammt aus Dschermanistan, welches Land außer den Gebieten des Padischah das größte Reich auf Erden ist und sich über mehr als zehntausend Gebirge, Ebenen, Seen und Flüsse erstreckt. Er hat mit mir alle Gegenden des Westens und Ostens, des Nordens und Südens durchritten, um Wunder des Mutes und der Tapferkeit zu verrichten. Seine Freunde lieben und seine Feinde fürchten ihn. Wir haben den Löwen getötet und den schwarzen Panther aus der Welt geschafft. Wir haben ganze Stämme der Beduinen besiegt und bei keinem Angriffe den Rücken nach vorn und den Bauch nach hinten gehabt. Mein Emir spricht alle Sprachen der Völker, nennt alle Sterne des Himmels bei ihren angeborenen Namen und kann dir sagen, wie alle Tiere, Pflanzen und Steine heißen, die es giebt. Er ist der berühmteste Krieger, der weiseste Gelehrte und der herrlichste Mensch, den ich kenne. Sultane, Kaiser, Könige und Fürsten lauschen auf seine Wünsche, denn sie lieben und verehren ihn, und wenn sein Bericht über dich nach Stambul zum Seraskier kommt, so wird dieser die Schrift an seine Stirn drücken und dann, wenn er sie gelesen hat, jedes Wort mit demselben Gehorsam beherzigen, als ob es von der Hand des Beherrschers aller Gläubigen geschrieben worden sei. Daß wir jetzt deine Gefangenen sind, ändert nichts an unserm Ruhme, denn es ist nur der Zerbröckelung der Mauer zuzuschreiben, daß wir jetzt in einer Weise vor dir liegen, welche unserm Stande und unsern Eigenschaften so wenig angemessen ist. Von eurem Sandschaki in Hilleh will ich gar nicht sprechen, aber wenn der Pascha in Bagdad erfährt, daß wir nur noch eine Minute gefesselt geblieben sind, nachdem wir dir unsern Namen genannt haben, so wird aus seiner Kantscheleria[36] ein Wetter über dich ergehen, welches von dir abzuwenden ich dir ernstlich rate, weil du durch die Vorzüglichkeit deiner Eigenschaften unsre Herzen gewonnen hast. jetzt weißt du, wer wir sind und wirst darnach zu handeln wissen!«

Der Hadschi hatte mehr als stark aufgetragen, aber der Orientale ist das gewöhnt, und der Kol Agasi war zu sehr Orientale, als daß ihn die Übertriebenheiten des Hadschi hätten befremden können; ich sah es ihm vielmehr an, daß sie den beabsichtigten Eindruck auf ihn nicht verfehlt hatten. Der in Aussicht gestellte Bericht an den Kriegsminister und die Drohung mit der Kanzlei des Pascha in Bagdad waren von guter Wirkung, welcher freilich seine Pflicht gegenüber stand. Er sah eine Weile überlegend vor sich nieder; dann schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, denn er hob den Kopf und fragte mich:

»Ist es so, wie der Scheik der Haddedihn gesagt hat, Emir?«

»Ja,« antwortete ich unbedenklich.

»So möchte ich der Gerechtigkeit, auf welche ihr euch berufen habt, gern Folge leisten, falls du mir die Möglichkeit bietest, es verantworten zu können.«

»Wie denkst du dir diese Möglichkeit?«

»Du kannst sie mir geben, indem du dich legitimierst.«

»Nichts ist leichter als das. Mach mir die Hände frei, so will ich dir mehr Legitimationen zeigen, als du zu deiner Rechtfertigung brauchst. In meiner Tasche habe ich ein Bujurulti, einen Tezkeresi und sogar auch einen Ferman, mit der Tughra[37] des Beherrschers versehen.«

»Allah! Wirklich mit der Tughra?« fragte er in ehrfurchtsvollem Staunen.

»Natürlich!« antwortete ich in einem Tone, als ob dies etwas ganz Gewöhnliches sei.

»So laß diese hohen, kaiserlichen Schriften stecken; ich könnte sie jetzt bei dem schlechten Scheine des Feuers doch nicht lesen; es ist aber ganz genau so, als ob ich sie gelesen hätte, Emir. Ich bitte dich, mir einen Rat zu geben! Die Unterschrift des Padischah gebietet mir, euch freizulassen; aber mir ist befohlen worden, euch nach Hilleh zu bringen. Hältst du es für möglich, beiden Pflichten zu gleicher Zeit gerecht zu werden?«

»Ja.«

»Auf welche Weise?«

»Du giebst uns frei, und wir reiten mit euch nach Hilleh.«

»Werdet ihr das auch? Wirklich?«

»Ja. Ich gebe dir mein Wort.«

»Dein Yrza mebni wad?«[38]

»Ja.«

»Ich nehme es an und bitte dich um die Erlaubnis, euch selbst loszubinden!«

Er war infolge der kaiserlichen Unterschrift so von Hochachtung erfüllt, daß uns kein gewöhnlicher Soldat berühren sollte. Warum er darauf verzichtet hatte, die Legitimationen zu lesen, das war nicht schwer zu erraten. Erstens konnte er höchst wahrscheinlich gar nicht lesen, und zweitens wußte er jedenfalls nicht, wie er ein in seine Hände gelangendes Dokument, mit der Tughra versehen, vorschriftsmäßig zu behandeln hatte. Daß wir frei sein sollten, erregte den Widerspruch des Wirtes und des Ghasai-Beduinen. Als der Kol Agasi uns die Fesseln abnahm, rief ihm der erstere zornig zu:

»Halt ein! Du hast nicht das Recht, Leuten, welche Schmuggler und Mörder sind, die Freiheit zu geben, ohne daß du dazu beauftragt bist. Thust du es dennoch, so werde ich dich anzeigen, sobald wir in die Mehkeme[39] kommen!«

Der Alte wollte antworten; ich hielt ihn durch einen Wink davon ab, wendete mich selbst an den Sprecher und sagte:

»Du hast hier gar nichts zu bestimmen, denn wenn es mir beliebt, so wird man in der Mehkeme nicht über uns zu entscheiden haben, sondern du wirst der Angeklagte sein. Ich sollte eigentlich gar nicht mit dir reden, will dir aber doch in meiner übergroßen Güte einige Bemerkungen machen. Pascher sind wir nicht; das werde ich beweisen. Auch waren wir es nicht, die auf die Soldaten geschossen haben; das steht außer allem Zweifel, weil wir ohne Gewehre sind. Also könnte es sich nur noch um die beiden verunglückten Beduinen handeln. Da behaupte ich, daß sie unsere Pferde stehlen wollten, und du bist mit ihnen im Einvernehmen gewesen. Wären wir nicht noch zur rechten Zeit in den Hof gekommen, so wären sie auf und mit ihnen fortgeritten und wir hätten die Tiere niemals wiedergesehen. Da aber unser Erscheinen dies verhinderte, thaten sie, als ob sie die Hengste bloß probieren wollten. Nur aus unverdienter Höflichkeit und um nicht mit ihnen in Streit zu geraten, gaben wir ihnen die Erlaubnis, aufzusitzen – — —«

»Ihr sagtet ihnen aber nicht, wie gefährlich dies sei!« fiel mir der Wirt in die Rede.

»Das Abgeworfenwerden ist stets gefährlich. Übrigens haben wir sie gewarnt. Der Scheik der Haddedihn hat sie wörtlich aufgefordert, ihm nicht die Schuld zu geben, wenn sie die Hälse brechen sollten. Er erhielt die Antwort, daß sie ihre Hälse, die ihr Eigentum seien, selbst zu hüten wüßten.«

»Aber der Scheik hat den Pferden dann das Wort Litaht!«[40] zugerufen, worauf die Reiter abgeworfen worden und verunglückt sind!«

»Kannst du das beweisen?«

»Ja.«

»Nein!«

»Ja!« wiederholte er in bestimmtem Tone. »Ich kann es beschwören.«

»Daß der Scheik es den Pferden zugerufen hat?«

»Ja.«

»Wir behaupten dagegen, daß er dieses Wort nicht den Pferden, sondern den Reitern zugerufen hat. Er sah, daß es für diese zu gefährlich wurde und forderte sie durch seinen Ruf auf, abzusteigen. Sie gehorchten nicht und wurden also abgeworfen. Kannst du etwa beschwören, daß nicht die Reiter, sondern die Pferde gemeint gewesen sind?«

Er sah mich betroffen an und antwortete nicht, so überraschte ihn meine unerwartete Auslegung. Ich fuhr fort:

»Du siehst also, daß wir uns im vollen Rechte befinden und daß das Unrecht nur auf eurer Seite liegt. Übrigens ist das Unglück in deinem Hofe geschehen, und ich bin überzeugt, daß die Mehkeme dich darum zur Verantwortung ziehen wird. jetzt kennst du meine Ansicht, und wenn du noch ein einziges Wort gegen uns zu sprechen wagst, werde ich dir nicht mehr mit dem Munde, sondern in einer andern, fühlbarern Weise antworten!«

Der Mann war über das verlorene Wortgefecht wütend, wagte aber infolge meiner Drohung nicht, eine Entgegnung auszusprechen, sondern ließ nur einen halblauten Fluch hören. Sein Gefährte aber, der Beduine, konnte seinen Grimm nicht beherrschen; er fuhr mich zornig an:

»Du thust ja, als seist du der Sultan selbst! Bilde dir nicht ein, daß ich mich vor dir fürchte oder vor dem, was du in der Mehkeme sagen willst! Du hast die Absicht, uns als Pferdediebe zu bezeichnen. Ich fordere dich auf, mir zu beweisen, daß wir euere Pferde stehlen wollten!«

»Du hast hier gar nichts zu fordern!« entgegnete ich. »Wenn ein Beweis für nötig gehalten wird, werde ich ihn vor dem Gerichte führen.«

29Plural von Askari = Soldat.
30Adjutant, Patrouillenführer.
31Hauptmann.
32Safran.
33Abraham.
34Seine Excellenz, den Kriegsminister.
35Hohe Pforte.
36Kanzlei.
37Unterschrift des Sultans.
38Ehrenwort.
39Gerichtshof.
40Herunter.