Im Reich des silbernen Löwen III

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»Halef!« rief ich dem Gefährten zwischen zwei Donnerschlägen zu.

Er antwortete nicht. Ich wiederholte seinen Namen und schüttelte ihn am Arme. Die Wirkung war eine höchst sonderbare:

»Litaht!« rief er fast überlaut. Dann steckte er, ohne die Augen zu öffnen, den Zeigefinger krumm in den Mund, brachte einen schrillen Pfiff hervor und schrie dann das Wort zum zweitenmale.

Das war das Zeichen für die Pferde, Fremden nicht zu gehorchen, sondern sie abzuwerfen. Warum jetzt dieses Zeichen? Es war gewiß ein Zusammenhang der Ideen oder der Umstände, welcher ihn veranlaßte, es zu geben. Ich rüttelte ihn stärker und so lange, bis er die Augen aufschlug. Er starrte mich wie abwesend an.

»Halef, weißt du, wer ich bin?« fragte ich.

Da trat das Bewußtsein in seinen Blick, und er antwortete:

»Mein Sihdi bist du. Wer denn sonst?«

»Wie befindest du dich? Wie ist dir jetzt?«

»Warm, sehr warm,« lächelte er.

Wie? Warm? Mich, den Gesunden, durchdrang eine eisige Kälte, und er, dessen Zustand mir Besorgnis eingeflößt hatte, fühlte sich warm, sogar sehr warm! Wenn ich richtig vermutet hatte und eine Krankheit bei ihm im Anzuge war, so konnte die jetzige Durchnässung ihm im höchsten Grade gefährlich werden. Und da fühlte er sich warm! War es etwa das Fieber, welches hier einmal als Wohlthäter auftrat und ihm das Leben rettete?

»Weißt du, wo wir sind und was geschehen ist?« fragte ich ihn weiter.

Er schloß die Augen, wie um nachzusinnen, und antwortete nicht gleich. Dann öffnete er sie wieder, sprang mit einem einzigen Rucke in die Höhe und rief aus:

»Sihdi, du bist stets gegen den Gebrauch der Peitsche; aber hier ist sie es, welche das Wort zu sprechen hat! Es waren zwölf Mann. Sobald wir sie erwischt haben, bekommt ein jeder hundert Hiebe; das macht zusammen zwölfhundert Hiebe. Welche Seligkeit für mich!«

Er stand da, stolz und gerade aufgerichtet, als ob ihm nichts, aber auch gar nichts fehle. Bis auf das Hemd ausgeraubt, vollständig mittellos, sprach er doch genau so, als ob er der Beherrscher der Situation sei. Darum sagte ich:

»Rede mit Ueberlegung, lieber Halef! Schau dich und mich an! Wir sind Bettler; wir sind ganz ohnmächtige Menschen!«

»Bettler? Ohnmächtig? Was fällt dir ein! Wenn du nicht mein Sihdi wärest, so würde ich dir sagen, daß du dich schämen solltest, so ohne Selbstvertrauen zu sein! Kennst du denn dich und mich nicht mehr? Hast du vergessen, was wir alles erlebt und erzwungen haben? Bettler und ohnmächtig! Du bist der klügste Mann des Abend- und ich bin der pfiffigste Halef des ganzen Morgenlandes! Grad daß wir vollständig ausgeraubt und scheinbar ohne Mittel und ohne Hilfe sind, muß uns willkommen sein! Denn das giebt uns Gelegenheit, zu zeigen, was wir können! Laß mich nur machen! Ich werde überlegen. Ich habe nicht immer geschlafen; ich bin auch aufgewacht; aber bewegen konnte ich mich leider nicht. Ich habe gesehen, und ich habe gehört. Was? Darüber will ich nachdenken.«

Er setzte sich wieder nieder, obgleich die Stelle naß wie jede andere war. Den Kopf in die Hände legend, sah er auf die Erde. Dabei sagte er, indem er zwischen den einzelnen Worten oder Sätzen längere oder kürzere Pausen machte:

»Ich wurde hin und her gewälzt, wachte aber nicht auf. – Ich fühlte fremde Hände in meinen Taschen, konnte mich aber nicht wehren. – Man hatte uns schon drüben auf dem Bergkämme stehen sehen, wo wir die Pferde ausruhen ließen. – Man beschloß, uns nicht zu überfallen und nicht zu töten, sondern mit Esjuhn wehrlos zu machen. – Dann war es Tag geworden. Ich hörte die Hufe der Pferde und dachte an unsere Hengste. Das gab mir Kraft, die Augen aufzuschlagen. Ich sah, daß die Diebe fort wollten. Eben schwangen sich zwei auf unsere Rappen. Der Grimm darüber machte mich sofort gesund, leider nur für einen Augenblick. Ich rief zweimal das Wort und gab den Pfiff. Die Hengste gehorchten sofort. Sie gingen in die Luft, und die beiden Kerle flogen in weitem Bogen auf die Erde nieder. Der eine stand wieder auf. Der andere aber konnte das nicht thun; er mußte aufgehoben werden. Allah gebe, daß er ein Bein gebrochen hat, noch besser aber alle beide! – Dann schlief ich wieder ein, doch nicht auf lange Zeit, denn ich sah sie fortreiten, da grad hinauf; jenseits verschwanden sie. Die helle Morgensonne schien. Nun aber kam der tiefste Schlaf, aus welchem mich der Donner weckte. Ich setzte mich auf und lehnte mich hierher. Mehr zu thun, hatte ich nicht die Kraft. – Ich träumte allerlei, bis ich von dir aufgerüttelt wurde. – Das, Sihdi, ist es, was ich dir sagen kann, weiter nichts!«

Wie kam es wohl, daß er nicht so tief wie ich geschlafen hatte? Hatten die in seinem Körper thätigen Krankheitserreger die Wirkung des Opiums abgeschwächt? Wohl möglich! Da umzuckte uns ein Blitz, als ob wir mit der Umgebung in einer einzigen Flamme ständen; es folgte ein betäubender Donnerschlag, und dann gab es plötzlich keinen Tropfen Regen mehr. Das Wetter war vorüber; die Wolken verschwanden schnell, und hierauf schien die Sonne erwärmend und trocknend auf uns hernieder. Ihr Stand sagte uns, daß es Nachmittag gegen drei Uhr sei. Uhren hatten wir nicht mehr.

Es war, als ob uns mit der Sonne die volle Lebenskraft zurückgegeben worden sei. Halef behauptete, er sei vollständig gesund und wohl und fühle nicht das geringste Unbehagen. Er wurde, wie sich später herausstellte, getäuscht. Ich hatte Kopfschmerzen und vermißte sowohl die körperliche als auch die geistige Elastizität. Das konnte mich aber nicht hindern, zu thun, was nötig war. Zu überlegen gab es nichts. Wir konnten nichts anderes thun, als den Dieben folgen. Der Regen hatte zwar alle ihre Spuren weggewischt, aber wir wußten doch, nach welcher Richtung sie sich entfernt hatten. Eigentlich war es lächerlich, daß wir ohne alle Waffen und zu Fuße wohlbewaffnete Reiter verfolgen wollten, um ihnen ihren Raub wieder abzunehmen; aber sie konnten doch nicht wochenlang in einer Tour fortreiten. Sie mußten einen Ort haben, an welchem sie wohnten, und dieser konnte nicht wohl jenseits der Grenzen dieser Berge liegen. Wir mußten uns auf unsern Scharfsinn verlassen und unserem alten, guten Glück Vertrauen schenken. Die größte Mißlichkeit unserer Lage bestand darin, daß wir ohne Lebensmittel waren. Aber verhungern konnten wir nicht, denn nur eine Tagesreise von hier gab es am oberen Quran bewohntes Land, wo wir wohl bekommen würden, was uns nötig war. Uebrigens trug ich auf der Brust die Brieftasche mit den Geldwerten, welche mich gegen jeden späteren Mangel sicher stellten. Es fiel mir nicht im geringsten ein, gleich von vornherein an unserem Erfolge zu verzweifeln. Wenn Halef munter blieb, konnte sich sehr wohl ein guter Ausgang einstellen. Er behauptete, bereit zu sein, und so traten wir in dem scheinbar hilflosen Zustande, in welchem wir uns befanden, an eine Aufgabe heran, zu deren Lösung mehr, viel mehr gehörte, als uns zur Verfügung stand.

Das Trocknen unserer höchst mangelhaften Anzüge ganz einfach der Sonne überlassend, verließen wir das Wasserbecken und stiegen in der Richtung bergan, in welcher sich die Nomaden entfernt hatten. Es war eine Art Bergsattel, auf dessen anderer Seite sie verschwunden waren. Gebahnte Wege gab es natürlich nicht. Jeder konnte die ihm beliebige Richtung einschlagen; aber es verstand sich ganz von selbst, daß er sich den bequemsten Ab- oder Aufstieg suchte. Wenn das Terrain mehrere bequeme Richtungen bot und es keine Spuren gab, so war es freilich für uns schwer, zu bestimmen, wohin die Gesuchten sich gewendet hatten. Das war hier oben der Fall. Gegenüber lagen nackte Höhen, hinter denen im Osten Berge emporstiegen, welche bewaldet oder doch wenigstens mit Gebüsch bestanden zu sein schienen. Es war anzunehmen, daß die von uns Verfolgten dorthin geritten seien. Gerade vor uns ging ein breiter, sanft geneigter Felsenhang hinab, an dessen Fuße drei verschiedene, nach Osten gehende Thäler mündeten. Welches von diesen dreien war gewählt worden? Das wußten wir nicht. Jammerschade, daß der Regen jede Spur verwaschen hatte.

Wir stiegen hinab und begannen, das Terrain abzusuchen, obgleich wir keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Aber das Glück, von dem ich vorhin sprach, war uns günstig. Das mittlere dieser Thäler war das breiteste und, wie es schien, bequemste. Darum gingen wir zunächst eine Strecke weit in dasselbe hinein. Da sahen wir den zwei Finger starken Ast eines Strauches liegen. Er war gewiß erst heut früh abgeschnitten und gehörte derselben Buschgattung an, welche oben am Wasser gestanden hatte. Er war an dem einen Ende zersplittert und zwischen diesen Splittern hingen zwei lange schwarze Pferdehaare. Er lag ganz nahe an einem hoch und glatt aufragenden Felsenstück, dessen Vorderseite fast ganz trocken war, weil der Wind den Regen von Süden her gebracht hatte. Es gab da in fast Manneshöhe eine feuchte, rote Stelle am Gestein, und unten auf dem Erdboden war ein mehrere Hände großer Flecken geronnenen Blutes zu sehen, welches der Regen nicht getroffen und also auch nicht aufgelöst hatte.

»Ob das ein Beweis ist, daß unsere Spitzbuben hier gewesen sind?« fragte Halef.

»Ja. Und zwar ein sicherer Beweis,« antwortete ich. »Um welches von unseren Pferden es sich handelt, das weiß ich nicht; aber man hat eines von ihnen hierher an den Felsen gedrängt, um es zu zwingen, sich besteigen zu lassen. Es hat sich gewehrt und ist dafür mit diesem Aste gezüchtigt worden. Man hat ihn an dem edlen Tiere in Splitter geschlagen und diesem dabei diese Haare aus dem Schwanze gerissen. Aber der Hengst hat die Missethat sofort vergolten und den Betreffenden so getroffen, wahrscheinlich an die Brust, daß aus seiner Lunge ein Bluterguß erfolgt ist. Sie sind also in diesem Thale aufwärts geritten, und wir wissen nun, welche Richtung wir einzuschlagen haben, wenn wir ihnen folgen wollen.«

 

»Wie? Was?« fragte Halef zornig. »Unseren Barkh oder unseren Assil Ben Rih geschlagen? Mit diesem Knüppel hier? Das muß hundertfach gerochen werden! Das erste Gebot für uns ist, Allah zu lieben; das zweite ist, die Menschen zu lieben, und das dritte ist, die Tiere und überhaupt alle Geschöpfe zu lieben, welche uns dienen sollen, weil Allah sie uns anvertraut hat. Wer gegen eines dieser drei Gebote handelt, der ist ja gar nicht wert, daß sie ihm gegeben worden sind! Ich will nicht etwa sagen, daß das Schlagen überhaupt verboten sei, denn warum hätte man sonst die Peitsche erfunden, und wozu wäre da ganz besonders auch meine eigene Kurbatsch vorhanden, welche in diesem Augenblick allerdings nicht mehr vorhanden ist? Ich hoffe aber, daß ich sie sehr bald wiederbekomme, um die Hiebe, mit denen die edle Haut unseres Pferdes entweiht worden ist, mit Zinsen und wieder Zinseszinsen von diesen Zinsen zurückgeben zu können! Wer ein Pferd schlägt, durch dessen Adern reines Blut und edler Wille fließt, der ist ein Schuft, ein Schurke, ein elender Taugenichts, der die größte Verachtung verdient. Und wenn er gar das Pferd vorher gestohlen hat und mit dem Knüppel also eine Stelle bearbeitet, welche gar nicht sein rechtmäßiges Eigentum ist, so – so – so fehlen mir überhaupt die Worte, dir zu erklären, wie unendlich tief der Abgrund der Niederträchtigkeit ist, in dem er diese mir ganz unbegreifliche That begangen hat!«

Das war so recht die Gesinnung und die Ausdrucksweise meines kleinen Hadschi. Er stand mit geballten Fäusten vor mir. Seine Augen blitzten, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck des höchsten Zornes. Ein Vollblutpferd mit dem Stocke zu bestrafen, das ging ihm über alle menschenmöglichen Begriffe. Er riß mir den Ast aus der Hand und fuhr fort:

»Gieb ihn mir! Ich sehe den Rücken schon von weitem, auf welchem ich dieses Werkzeug der Missethat vollends zersplittern werde!«

»Sei ruhig, Halef,« fiel ich ein. »Schau hier das Blut! Die That ist ja schon gerächt worden, und zwar viel strenger, als du sie rächen könntest.«

»Meinst du! Hm! Ja! Der Haupttäter hat seinen Lohn bekommen. Aber es waren elf andere dabei, welche die Mißhandlungen geduldet haben. Traust du mir etwa zu, daß ich sie begnadige?«

Diese Frage war so ernst gemeint, daß ich über sie lächeln mußte.

»Warum lachst du?« fragte er. »Willst du etwa meinen Grimm vergrößern? Soll ich nun auch noch auf dich zornig werden?«

»Nein; das wünsche ich nicht, lieber Halef. Aber schaue dich an, und schenke auch mir einen Blick! Wie stehen wir da! Wie sehen wir aus! Worin besteht unser Besitz und unsere Macht? Und da sprichst du von Begnadigung?«

»Warum soll ich das nicht?« fragte er im Tone des Erstaunens. »Werden wir etwa so, wie wir jetzt aussehen, hier stehen bleiben? Haben wir nicht soeben die Spur derer entdeckt, welche wir suchen? Werden wir ihnen denn nicht alles wieder abnehmen, was sie uns gestohlen haben? Und sind sie dann nicht ganz und gar in unsere Hände gegeben? O, Sihdi, von dir habe ich gelernt, an mich und dich zu glauben, und nun bist grad du es selbst, der keinen Glauben hat! Was soll ich von dir denken! Selbst wenn es aus allen anderen Gründen unmöglich wäre, an diesen Schurken Vergeltung zu üben, so ist doch diese eine Unthat, unser Pferd geschlagen zu haben, so ungeheuerlich, daß sich das Kismet gezwungen sehen muß, uns diese Kerle auszuliefern! Also zweifle nicht! Ich weiß, was kommen wird. Paß auf, was ich jetzt thue!«

Er schleuderte den Ast weit von sich und fügte dann hinzu:

»So wie ich dieses Werkzeug des Verbrechens wegwerfe, so werde ich alle meine Güte und Gnade von mir werfen, wenn diese Spitzbuben mich um Schonung bitten! Sei so gut und komme mir dann ja nicht mit deiner wohlbekannten ›Menschenliebe‹, mit welcher du mir schon so manche unbezahlte Rechnung ausgestrichen hast! Ich will und werde mich rächen, und zwar so, wie ich mich noch nie gerächt habe. Jetzt komm! Wir wollen fort von hier! Wir dürfen keine Zeit versäumen, um Gericht zu halten über alle, die uns beraubt, belogen, betrogen und beleidigt haben!«

Wir gingen, um dem Thale zu folgen, in welchem wir uns befanden. Mein Gesicht schien jetzt einen Ausdruck zu haben, der Halef nicht gefiel, denn dieser sah mich, während wir neben einander gingen, forschend an und sagte dann:

»Du lächelst abermals und doch ist es kein Lächeln. Du lächelst zwar sehr deutlich, aber innerlich. Habe ich recht?«

»Ja,« nickte ich.

»So sag: Was kommt dir spaßhaft vor?«

»Deine Ungnade.«

»Die ist ganz und gar nicht lächerlich. Ich meine doch, daß du mich kennst, Sihdi!«

»Ja, ich kenne dich!«

»Nun? Weiter? Was willst du sagen?«

»Dein Grimm will oft die ganze Welt verschlingen. Dann aber schleicht sich heimlich und leise dein gutes Herz heran, um diese ganze Welt verzeihend zu umarmen!«

»So! Also so stark und so schwach bin ich in deinen Augen?«

»Ja, aber nicht so, wie du es meinst, sondern umgekehrt: schwach im Grimme und stark in deiner Güte.«

»Höre, Sihdi, ich will nicht mit dir streiten. Ich streite ja überhaupt nie mit dir, weil ich dir sonst zeigen müßte, daß du immer und immer unrecht hast. Und diese Kränkung will ich dir ersparen, denn ich bin dein wahrer Freund, und liebe dich. Aber dieses Mal muß ich dir doch sagen, daß du dich in mir täuschest. Es wird meinem Herzen nicht einfallen, geschlichen zu kommen, um hinter meinem Rücken meinen Grimm in Liebe zu verwandeln. Du denkst nie so scharf und empfindest nie so tief wie ich! Ich habe vorhin mit ganz besonderer Absicht gesagt: beraubt, belogen, betrogen und sogar auch noch beleidigt. Diese Beleidigung kannst du freilich nicht so ganz unten in der tiefsten Tiefe des Zornes fühlen wie ich, denn du bist ein Abendländer aus Dschermanistan, wo man es für höflich hält, das Heiligtum des Hauptes preiszugeben. Ihr grüßt, indem ihr dem Kopfe das nehmt, was an jedem Kopfe das Allerwichtigste ist, nämlich die Bedeckung. Ich aber bin ein Scheik des Morgenlandes aus der Dschesireh, wo man es für eine Schande hält, die ehrenvolle Würde des Scheitels zu entblößen. Wer mich zwingt, unbedeckten Hauptes zu erscheinen, der hat schlimmer an mir gehandelt, als wenn er mir hundert Ohrfeigen oder tausend Stockhiebe gegeben hätte. Er hat ein Verbrechen an mir begangen, welches ihm zu verzeihen mir ganz unmöglich ist. Nun schau mich an! Was siehest du? Oder vielmehr, was siehest du nicht?«

»Das Allerwichtigste, was es an deinem Kopfe giebt,« antwortete ich.

»Halt! Lächle nicht etwa schon wieder! Diese Kerle haben mir nicht nur den Fez geraubt, sondern auch das Turbantuch, mit welchem man den obersten und höchsten Teil des Morgenlandes schmückt. Ich bin der hervorragendste Punkt des berühmten Volkes der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Und dieser Punkt ist unbedeckt, der Luft, der Sonne, dem Regen und jedem Auge preisgegeben! Verstehest du das? Kannst du mir das nachfühlen, wenn ich mir Mühe gebe, es dir so deutlich wie möglich vorzuempfinden? Ist es dir möglich, die Größe der Schande zu ermessen, welche mir angethan worden ist? Oder ist es nötig, die Thätigkeit deines Begriffsvermögens durch ein erklärendes Beispiel zu unterstützen?«

»Laß mich dieses Beispiel hören!« forderte ich ihn auf, denn wie ich ihn kannte, war jetzt eine seiner Uebertreibungen, also etwas Drolliges zu erwarten.

»So höre, was ich dir sage! Ihr entblößt aus Höflichkeit das Haupt, wenn aber wir höflich sein wollen, so ziehen wir die Pantoffeln aus. Wieviel Menschen giebt es in eurem Abendlande?«

»Viele, viele Millionen.«

»Aber ist auch nur ein einziger Scheik der Haddedihn dabei?«

»Nein; keiner.«

»So wirst du einsehen, was für eine seltene und wichtige Person ich bin! Also vernimm nun den Vergleich: Daß man mir den Fez und das Turbantuch gestohlen hat, ist eine noch viel größere Missethat, als wenn allen deinen abendländlichen Millionen ihre sämtlichen Pantoffeln gestohlen worden wären. Das siehst du doch wohl ein?«

»Hm!«

»Ich will dieses ›Hm!‹ nicht hören, weil es mich an deiner Einsicht zweifeln läßt. Ich hoffe, es ist dir nun klar geworden, daß ich die Rache für diese Beleidigung unmöglich den Händen meines guten Herzens anvertrauen – höre, Sihdi, was hast du schon wieder zu lächeln?« unterbrach er sich.

»Ich wundere mich über die ›Hände‹ deines Herzens, lieber Halef.«

»So! Ah – hm – Hände! Du willst die schöne, geläufig fließende Sprache meines Mundes mit Fehlern belasten, daß sie stecken bleiben möge? O, Sihdi, verdoppele ja nicht meinen Zorn, denn er ist auch ohnedies schon so groß, daß er, wenn er dich träfe, dich vollständig vernichten würde. Ich will dich aber schonen und darum werde ich schweigen!«

Er rückte um einige Schritte von mir ab, um mir zu zeigen, daß er mit mir schmolle. Das that er immer, wenn ich es für nötig hielt, gegen seine Eigenart eine leise Verwahrung einzulegen; doch war seine Indignation nie von langer Dauer. Er konnte es nicht aushalten, einen trennenden Gedankenstrich zwischen sich und mir zu wissen.

Wir waren noch nicht weit vorwärts gekommen, so hatten wir Veranlassung, wieder stehen zu bleiben. Das Thal stieg hier in fast schnurgerader Richtung nach oben, und es war uns also ein ziemlich weiter Blick in den vor uns liegenden Teil desselben gestattet. Da sahen wir eine Schar berittener Männer, welche uns entgegenkamen und, als sie uns bemerkten, halten blieben, um uns zu beobachten.

»Schau, Sihdi, da kommt Rettung!« rief Halef, schnell seinen Groll vergessend. »Siehst du sie?«

»Rettung?« fragte ich. »Abwarten!«

»Da ist gar nichts abzuwarten! Genommen kann uns nichts werden, denn wir haben ja nichts mehr. Und wer uns nichts Böses thun kann, der muß uns doch Gutes thun. Es sind acht Personen, aber elf Pferde. Wie fangen wir es an, um zwei von den ledigen Tieren zu bekommen? Ich weiß es!«

»Nun, wie?«

»Auf Kredit. Wenn sie hören, wer ich bin, werden sie bereit sein, uns mit zwei Pferden auszuhelfen!«

»Wollen es versuchen. Komm!«

Wir gingen also weiter. Als die Retter dies sahen, setzten auch sie sich wieder in Bewegung. Nach zwei Minuten hielten sie an, und wir standen vor ihnen. Sie waren schwarzhaarige, dunkelgefärbte Männer mit Gesichtszügen, die an Kurdistan gemahnten. Bei derartigen Begegnungen richtet man den ersten Blick auf die Reiter, den zweiten auf die Pferde. Wir sahen, daß wir von diesen Fremden nicht unfreundlich betrachtet wurden. Ihr Pferdematerial war ein mittelmäßiges. Dem entsprachen auch ihre Anzüge und die Waffen, welche sie trugen. Zwei von den ledigen Pferden waren zum Reiten gesattelt. Auf dem Packsattel des dritten sahen wir ein in eine alte, schlechte Decke gewickeltes Bündel festgeschnallt. Der Anführer, ein stark gebauter, vollbärtiger Mann, wartete nicht, bis wir ihn grüßten, sondern er hob seine Rechte bis in die Gegend des Herzens und sagte in höflichem Tone:

»Ni, vro'l ker!«

Das war der gewöhnliche kurdische »Gutentag«-Gruß. Er enthielt keine übertreibende Höflichkeit und klang ebenso aufrichtig, wie er einfach war. Das gefiel uns. Wenn wir bedachten, wie wir vor diesen Leuten standen, so war gewiß anzuerkennen, daß ihr Anführer uns den Gruß zuerst gegeben hatte. Wir dankten ihm mit gleicher Höflichkeit; dann nannte er uns, ohne von uns gefragt worden zu sein, aus eigenem Antrieb seinen Namen:

»Ich bin Nafar Ben Schuri, der Scheik der Dinarun. Wir befinden uns auf der Jagd. Unser Lager ist gegen Osten eine Stunde weit von hier.«

Wir sahen, daß er nun unsere Antwort erwarte. Ich ließ es geschehen, daß Halef sie gab. Er that dies natürlich in der ihm geläufigen Weise, auf welche er grad unter den gegenwärtigen, für uns so mißlichen Umständen am allerwenigsten verzichtet hätte. Was unserer persönlichen Erscheinung mangelte, das mußte unbedingt durch klingende Worte ergänzt werden.

»Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar. Ich hoffe, daß dir dieser Name nicht unbekannt ist!«

Es war allerdings, als der Anführer diesen Namen hörte, wie eine Art von Leuchten über sein Gesicht gegangen. Nun antwortete er:

»Ich habe von dir gehört. Einige meiner Leute sind vor mehreren Tagen von Basra heimgekehrt. Sie haben dich gesehen und mir von dir erzählt.«

Das war Wasser auf Halefs Mühle. Er reckte seine kleine Gestalt so hoch wie möglich empor und fiel in stolzem, selbstbewußtem Tone ein:

»Von meinen Thaten auch? In der Sahara? In Aegypten? In Arabien? In Kurdistan?«

 

»Alles nicht, aber vieles,« lächelte Nafar Ben Schuri. »Wenn Allah will, werde ich noch mehr von dir selbst erfahren.«

»Er wird es wollen, hoffe ich! Aber sieh hier diesen anderen Mann, meinen Freund und Begleiter, an! Sein Name ist eigentlich noch viel, viel länger als der meinige; aber er liebt es nicht, daß derselbe von Anfang bis zum Ende vorgetragen wird. Darum will ich ihn einstweilen nur Kara Ben Nemsi aus Dschermanistan nennen. Was ich erlebt habe, hat er fast alles miterlebt. Ich will dir nur die allerwichtigsten unserer Thaten aufzählen, denn wenn ich dir alle nennen wollte, so –«

Er hielt mitten in der Rede inne, denn ich hob die Hand auf, um ihm Einhalt zu thun. Grad die sogenannten »großen Thaten« waren es ja, die er mit den buntesten Blumen auszuschmücken pflegte. Den orientalischen Zuhörern konnte seine überschwengliche Ausdrucksweise freilich nicht auffallen, weil sie meist selbst keine andere gewöhnt waren; aber ich liebte sie nicht und suchte sie darum, so oft dies möglich war, in die richtigen Grenzen zurückzuleiten. So auch jetzt. Er gehorchte zwar sogleich, warf mir aber die bedauernde Bemerkung zu:

»Sihdi, winke mir doch nicht immer grad dann zu, wenn ich spreche! Du weißt ja, daß mich das stört! Winkst du mir, wenn ich schweige, so habe ich ja viel mehr Zeit, deinen Wink zu beachten. Das wirst du wohl einsehen!« Sich hierauf dem Anführer wieder zuwendend, fuhr er fort: »Die letzte und allergrößte unserer Thaten geschieht eben jetzt, indem wir dir begegnen. Wir stehen grad im Begriffe, zwölf Schurken, welche uns ausgeraubt haben, zu verfolgen, zu ergreifen, zu richten und zu bestrafen!«

Nafars Gesicht zeigte einen zwar undefinierbaren, aber leicht erklärlichen Ausdruck, als er hierauf fragte:

»Man hat euch ausgeraubt?«

»Ja. Das siehst du doch!«

»Ihr habt keine Pferde?«

»Nein. Oder siehst du welche?«

»Waren die Räuber beritten?«

»Ja.«

»Und dennoch wollt ihr sie verfolgen?«

»Natürlich! Es kann uns doch gar nicht einfallen, sie entkommen zu lassen.«

»Und ihr glaubt, sie einholen zu können?«

»Ganz gewiß!«

»Etwa mit euren Beinen? Auf diesen euren Füßen?«

»Fällt uns auch nicht ein!«

»Wie denn?«

»Ganz selbstverständlich auf den Füßen eurer Pferde!«

»Maschallah! Ihr glaubt, daß wir euch helfen werden?«

»Es wäre uns wohl lieb, wenn ihr es thätet, aber unbedingt notwendig ist es nicht. Wir brauchen zwei Pferde, zwei Gewehre, zwei Messer, zwei Fez', zwei Haïks und Pulver und Blei. Das kaufen wir euch ab.«

»Du sprichst sehr kurz und bestimmt. Könnt ihr denn dies alles bezahlen?«

»Sogleich freilich nicht; aber ich bin Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, und wenn ich mein Wort gebe, daß ich sogar den doppelten Preis zahlen werde, so frage ich: Wer wagt es, zu behaupten, daß ich es nicht halten werde?«

»Niemand. Ich glaube dir. Aber ich habe euch noch nie gesehen, und ich besitze keinen Beweis, ob ihr wirklich die berühmten Männer seid, deren Namen du genannt hast. Es ist also ein ganz besonderer Handel, auf den ich mit dir eingehen soll. Erlaube uns, o Scheik der Haddedihn, daß wir von unseren Pferden steigen, um uns von dir erzählen zu lassen, von wem und in welcher Weise der Raub an euch begangen worden ist!«

Das klang so vernünftig und so hilfsbereit. Daß er vorher gesprächsweise prüfen wollte, konnten wir ihm nicht im geringsten übelnehmen. Die Dinarun stiegen von ihren Tieren und setzten sich, einen Halbkreis bildend, nieder. Wir nahmen vor ihnen Platz, und dann begann Halef zu erzählen. Er that dabei alles mögliche, unsere Unvorsichtigkeit zu entschuldigen und die an uns begangene Missethat ins grellste Licht zu stellen. Als er geendet hatte, richtete der Anführer die Frage an ihn:

»So wißt ihr also nicht genau, wer diese Menschen gewesen sind?«

»Nein,« antwortete Halef.

»Auch nicht, wo sie wohnen?«

»Auch nicht.«

Da ging ein breites, frohes Lächeln über das dunkle, bärtige Gesicht Nafars, und er sagte:

»Wie gut für euch, daß ihr uns begegnet seid! Was ihr nicht wißt, das könnt ihr von uns erfahren.«

»Von euch?« fragte Halef schnell. »Wißt ihr denn etwas über diese Halunken?«

»Ja,« nickte der Anführer.

»Was und woher?«

»Wir sind ihnen ja begegnet!«

»Ihr? Ihnen? Begegnet?« rief Halef aus, indem er aufsprang. »Hamdulillah! Das ist ja ganz so gut, als ob wir sie schon hätten! Wo und wann ist das geschehen?«

»Um die Mittagszeit, im Nordosten von hier. Ich weiß die Stelle ganz genau. Und da ihr Hadschi Halef und Kara Ben Nemsi seid, so bin ich gern erbötig, euch die Hilfe unseres ganzen Lagers anzubieten. Ja, es stimmt: Es waren zwölf Personen, aber zwei von ihnen schienen krank oder verwundet zu sein –«

»Der vom Pferde Abgeworfene und der vom Pferde Geschlagene!« unterbrach ihn Halef.

»Eure beiden Rappen wurden an den Zügeln geleitet. Es saß niemand auf ihnen, und erst jetzt fällt es mir ein, daß sie sehr aufgeregt zu sein schienen.«

»Habt ihr mit den Leuten gesprochen?«

»Nein. Sie schienen das nicht zu wünschen und ritten, nur kurz grüßend, an uns vorüber. Später sahen wir einen zusammengebundenen Gegenstand an der Erde liegen. Es ist möglich, daß sie ihn verloren haben, aber keineswegs gewiß, denn wir haben nicht auf ihre Fährten geachtet und wissen also nicht, ob er auf ihren Spuren lag. Nachdem wir aber euch hier getroffen und erfahren haben, was euch geschehen ist, so vermute ich, daß die darin befindlichen Sachen euch gehören. Wir öffneten natürlich das Paket und haben also gesehen, was es enthält. Es scheint alles zu sein, was euch an eurer Kleidung fehlt.«

Er winkte einem seiner Leute, welcher das Bündel vom Packsattel löste, um es herbeizubringen, zu öffnen und dann den Inhalt vor uns auszubreiten. Es war zu unserer gewiß nicht unangenehmen Ueberraschung so, wie er gesagt hatte: Da lagen unsere Decken, die Ha ïks, die Fez', die Turbantücher, die Jacken und auch die kleineren, unwichtigen Gegenstände, welche zu unseren Anzügen gehörten. Es fehlte nichts; es war, als ob man mit besonderer Aufmerksamkeit darauf bedacht gewesen sei, gerade diese Kleidungsstücke von den anderen uns geraubten Sachen in der Weise abzusondern, daß ein glücklicher Umstand sie uns vollständig zurückzugeben habe. Später sahen wir freilich ein, daß uns dies hätte auffallen müssen; zunächst aber erregte der willkommene Fund nicht das geringste Bedenken in uns, zumal die Taschen leer waren und es keinen Grund für uns gab, auf irgend eine Absichtlichkeit zu schließen. Das Paket war schlecht festgebunden gewesen. Man hatte es also während des Rittes verloren und dies nicht sogleich bemerkt. Freilich lag die Frage nahe, warum man nicht umgekehrt war, es zu suchen, als man endlich doch gewahrte, daß es abhanden gekommen sei. Das war aber nicht schwer zu erklären: Wer einen Raub begangen hat, der sucht zunächst, sich möglichst weit zu entfernen; zur Umkehr müssen wichtige Gründe vorliegen, und der Wert dieser Kleidungsstücke war doch nicht ein so hoher, daß man ihretwegen eine Zeit von vielleicht mehreren Stunden hätte versäumen mögen. Dazu kam die Begegnung der Diebe mit den Dinarun. Die ersteren mußten sich, sobald sie den Verlust bemerkten, sagen, daß die letzteren das Paket gefunden haben und, wenn man es von ihnen zurückverlangte, gewiß nach der Berechtigung dazu fragen würden. Das konnte sehr leicht zu unangenehmen Forschungen und Weiterungen führen – kurz und gut, es war weder für mich noch für Halef unbegreiflich, daß wir unsere Sachen so hübsch bei einander vor uns liegen sahen. Freilich an den Umstand, daß es für mich überhaupt keinen Zufall giebt, dachte in diesem Augenblick keiner von uns beiden. Halef, der stets Schnellerfertige von uns, rief, als er die Sachen sah, voller Freude aus: