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Im Lande des Mahdi II

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»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Wage nicht etwa, mir zu drohen; ich würde dir mit der Peitsche antworten! So hündisches Gezücht bekommt Hiebe, wenn es bellt. Und wenn du deine jetzige Lage so wenig begreifst, daß du es wagst, zu fordern anstatt demütig zu bitten, so werde ich sie dir auf eine Weise zur Erkenntnis bringen, daß dir der Hochmut schnell vergehen soll!«

»Das wirst du unterbleiben lassen, denn ich bin Scheik!« wendete er ein.

»Pah! Ein armseliger Beduinenscheik ist gegen das, was ich bin, gar nichts. Uebrigens hast du behauptet, ein Dschelabi zu sein, und bist nebenbei Mitglied einer Mörderbande; danach wirst du behandelt.«

»Dann wehe dir! Du wärst verloren; mein Stamm würde euch alle vernichten!«

»Was, dieser Mensch ist so frech, dich zu bedrohen, Effendi?« rief Ben Nil aus, welcher hinzugetreten war und die Worte gehört hatte. »Soll ich ihm den losen Mund stopfen?«

»Thue es!«

Er wendete ihn mit dem Fuße um, so daß sein Rücken nach oben zu liegen kam, und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Ich wendete mich ab. Mein Auge sträubte sich, Zeuge der Züchtigung zu sein; das Ohr sagte mir aber doch, daß Ben Nil seinem Zorne in einer Weise, welche nichts zu wünschen übrig ließ, Luft machte. Indessen erteilte ich den andern die Weisung, die Gefangenen und deren Tiere nach dem Brunnen zu schaffen. Als dies geschehen war, wurden auch unsere Kamele nach demselben gebracht.

Er lag an einer Stelle, von welcher man, um Platz zum Lagern zu bekommen, die Bäume und das Gesträuch entfernt hatte; es gab da Raum für noch mehr Leute, als wir nun zusammen waren; auch Wasser war genug vorhanden.

Meine Asaker hatten sehr gute Beute gemacht und befanden sich infolgedessen in ausgezeichneter Stimmung. Es kamen auf einen jeden die Kamele, Waffen und sonstigen Habseligkeiten von wenigstens drei Gefangenen. Ich beanspruchte natürlich nichts, und Ben Nil folgte, obgleich er ein armer Teufel war, diesem Beispiele. Als ich ihn nach der Ursache dieses Verzichtens fragte, antwortete er:

»Warum nimmst du selbst nichts, Effendi? Ist es nur aus Güte gegen die Asaker, damit diese deinen Anteil mit bekommen? Oder ist es Stolz? Ich weiß von dir, daß die Krieger des Abendlandes keine Beute machen. Auch ich verschmähe es, Gegenstände zu besitzen, welche sich in den schmutzigen Händen dieser Hundesöhne befunden haben.«

Das war eine sehr brave Gesinnung von ihm, und er verdiente es, daß ich seine mir erwiesene Anhänglichkeit durch ein beinahe freundschaftliches Verhalten erwiderte.

Es war geboten, dafür zu sorgen, daß die Gefangenen uns gesichert blieben; sie wurden in die Mitte genommen und sehr scharf im Auge behalten. Für die Nacht waren Wachen vorgesehen. Jetzt war es noch Tag, doch durften wir den Anbruch des Abends in einer halben Stunde erwarten. Ich hielt es für geraten, noch vor dem Beginne der Finsternis die Umgebung des Brunnens abzuschreiten. Es war dies eine Vorsichtsmaßregel, deren Ausführung ich bei meinen Reisen nur in Fällen, in denen ich mich ganz sicher weiß, zu versäumen pflege. Darum schritt ich, um nach etwaigen Spuren zu suchen und mich überhaupt zu orientieren, den Umkreis langsam ab. Zugleich hatte ich einige Leute in den Wald nach Brennholz geschickt. Da die Zahl der Gefangenen dreimal größer als diejenige der Asaker war, mußten wir, um sie bewachen zu können, nicht ein, sondern mehrere Feuer haben. Material zu denselben wurde schnell und genug zusammengetragen. Ich kehrte von meinem Gange zurück, ohne etwas Verdächtiges gefunden zu haben. Dafür aber brachte mir einer der Holzleser zwei Gegenstände, welche unter einem Baume gelegen und notwendigerweise seine Aufmerksamkeit erregt hatten.

»Siehe doch einmal diese beiden Knochen an, Effendi,« sagte er. »Es scheinen die Ueberreste eines Kalbes zu sein, und da niemand ein lebendes Kalb, um es zu schlachten, mit in die Steppe nimmt, so müssen hier Leute, welche Rinderdiebe sind, gelagert haben.«

Ich nahm die Knochenstücke aus seiner Hand, um sie zu betrachten und erschrak. Das eine war ein halbes Schulterblatt und das andere der Fortsatz eines oberen Schenkelknochens.

»Das sind nicht Kalbs-, sondern Menschenknochen!« antwortete ich.

»Allah! So ist ein Mensch hier ermordet worden!«

»Nicht eigentlich ermordet, sondern zerrissen und aufgefressen.«

Sofort war ich umringt, und alle riefen auf mich ein, daß ich mich da wohl geirrt habe.

»Ich irre mich nicht, denn ich weiß die Knochen eines Menschen von denen eines Tieres wohl zu unterscheiden. Dieses Schulterblatt und die Schenkelröhre sind von den Zähnen eines sehr starken, wilden Tieres zermalmt worden. Sollte es in der Steppe oder etwa gar hier im Walde Löwen geben?!«

»Allah beschütze uns und segne uns mit seiner Gnade!« schrie da unser Fessarah-Führer auf »Das ist kein anderer Teufel gewesen als Chazzak ed Dschuma[8], der Löwe von El Teitel!«

»Warum wird er nach diesem Orte genannt?«

»Weil er abwechselnd alle Brunnen, welche zwischen El Teitel und dem Nile liegen, besucht.«

»Und welchem Umstande verdankt er den andern Namen?«

»Es vergeht keine Woche, in welcher er nicht einen Menschen zerreißt und frißt. Er ist schon seit länger als einem Jahr in dieser Gegend.«

»Hat man ihn denn nicht gejagt, nicht versucht, ihn zu erlegen?«

»Gejagt? Was fällt dir ein! Allah behüte jeden Menschen vor diesem gewaltigen Fresser, welcher größer als ein Ochse und stärker als ein Elefant ist!«

»Kennt man seinen Lagerplatz? Hat man ihn vielleicht mit einer Löwin oder mit jungen gesehen?«

»Nein. Darum besitzt er keine bestimmte Wohnung, schläft einmal hier und einmal dort und ist inzwischen von einem Brunnen zum andern unterwegs.«

»Ah, also ein Wahdani[9]! Ich kenne diese einsamen, weil selbst gegen ihresgleichen feindseligen Tiere. Sie sind die allerschlimmsten. Wenn ein solcher einmal einen Menschen gefressen hat, so bleibt er bei dieser Nahrung und schlägt Tiere nur im Falle des allergrößten Hungers.«

»Das ist richtig, Effendi, und so ein Menschenfresser ist dieser Vagabund von EI Teitel. Es kommt sogar vor, daß er in einer Woche zwei verschlingt. Wann mag er hier gewesen sein?«

»Vor vier oder fünf Tagen, wie ich aus der Trockenheit dieser Knochenreste ersehe.«

»O Allah, das ist schlimm! So kann er heute wieder hier sein. Wenn er gestern oder vorgestern da gewesen wäre, befände er sich heute ganz sicher anderswo; nach so langer Zeit aber kann er seine Runde schon wieder beendet haben.«

»Das hängt davon ab, wie viele Brunnen er besucht und ob er inzwischen wiederum ein Opfer gefunden hat. Er kann einen Menschen auf einmal nicht verzehren und geht erst dann, wenn er den letzten Markknochen zerschnitten hat, von dannen. Vielleicht hat er volle drei Tage hier gelegen.«

»So ist Allah uns gnädig gewesen. Der Fresser hätte uns an einem unserer letzten Nachtlager überfallen können. Die Knochen sind vier Tage alt; drei Tage war er hier, also ist er erst einen Tag fort, und wir haben nichts zu befürchten.«

»Dieser Schluß scheint richtig zu sein, kann uns aber täuschen. Der Löwe zieht, wie jedes andere Raubtier auch, den Ort, an welchem er Fraß fand, denjenigen Stellen vor, die er vergeblich aufsuchte. Er kann also leicht rascher, als du denkst, zurückkehren.«

»Das mögen sämtliche Heiligen des Kalifates verhüten! Vielleicht befindet er sich gar noch hier und liegt in einem Hinterhalte!«

»In diesem Falle hätte ich seine Spur gesehen. Dennoch müssen wir vorsichtig sein, da diese Einsiedler verschmitzt und hinterlistig sind und ihre Annäherung nicht wie andere Löwen durch Gebrüll verkünden. Sie schleichen sich vielmehr heimlich wie Panther an und springen lautlos auf ihr Opfer ein. Ich habe einst einen solchen verstockten Sünder geschossen, welcher nur einmal, und zwar vor Freude kurz aufbrüllte, als er auf unsere Fährte traf, und sich dann aber vollständig lautlos näherte.«

»Was, Effendi, du hast auf einen Löwen geschossen?«

»Schon auf mehrere.«

»Und auch getroffen?«

»Meine Kugel traf nur, als ich Anfänger im Schießen war, ihr Ziel zuweilen nicht.«

»Und hast Löwen getötet?«

»Ja.«

»Mit wie vielen Schüssen?«

»Mit einem. Nur ein einziges Mal waren zwei Kugeln nötig.«

»O, Effendi, wie schön du lügst; nein, wie schön du lügst!«

Es fiel mir gar nicht ein, ihm diesen Ausruf übel zu nehmen, denn ich kannte ja die Art und Weise, in welcher die Wüsten- und Steppenbewohner den Löwen zu jagen pflegen. Ist sein Lager aufgespürt, so versammeln sich sämtliche Krieger eines Stammes oder auch mehrerer Stämme und reiten hin. Das Lager wird umstellt und mit Steinen beworfen; dabei brüllt jeder, so sehr und viel er kann, bis der aufgejagte Löwe erscheint. Jetzt krachen, ohne daß man es mit dem Zielen genau nimmt, alle Flinten. Die Kugeln gehen daneben; vielleicht trifft zufällig eine einzige, und das verwundete Tier springt brüllend auf die Menge ein, um einen Reiter oder zwei vorn Pferde zu reißen und zu töten. Die andern springen zurück, um zu laden, bleiben dann halten und schießen wieder – mit demselben Erfolge. Der Löwe geht abermals vor und zerfetzt einen dritten. In dieser Weise folgt Salve auf Salve, bis das Tier endlich mit völlig durchlöcherter Haut und nicht tödlich getroffen, sondern vom Blutverluste erschöpft, zusammenbricht, aber auch so und so viele Menschen den unrühmlichen Sieg mit ihrem Leben bezahlt haben. Die andern fallen jubelnd über die Leiche des »Wüstenkönigs« her, schlagen sie, treten sie mit Füßen, spucken sie an und bewerfen sie mit allen möglichen und unmöglichen Schandwörtern und Schimpfreden. Das geschieht nie in der Nacht, sondern stets am Tage. Daß aber ein einzelner Europäer in dunkler Nacht den Löwen an der Tränke erwartet oder aufsucht, um ihn durch einen Schuß in das Auge oder in das Herz zu erlegen, das ist für diese Leute eine Fabel, eine vollständige Unmöglichkeit; das glauben sie einfach nicht, und so nahm ich es dem Führer auch nicht übel, daß er glaubte, ich wolle ihn mit einer »schönen Lüge« unterhalten.

 

»Er hat Löwen getötet!« fuhr er lachend fort. »Mit einem Schusse! Des Nachts! Und er war ganz allein! O Allah, o Muhammed, welch ein gewaltiger Held doch dieser unser Effendi ist! Ich möchte ihn einmal so als Sijad es Saba[10] sehen!«

»Wünsche dir das nicht,« warnte ich, doch nicht etwa in beleidigtem Tone. »Dieser dein Wunsch könnte nur dadurch, daß der Löwe käme, in Erfüllung gehen, und ich glaube nicht, daß du dich über dieselbe freuen würdest.«

»Sogar sehr, sehr würde ich mich freuen, meinte er, noch immer lachend. »Ich fürchte mich ebensowenig wie du vor ihm. Der Menschenfresser ist ein ungeheuer großes Tier, und wenn ich ihn nahe genug herankommen lasse, kann ich ihn gar nicht fehlen. Was ein Deutscher vermag, der nicht einmal hier geboren ist, das kann auch ich, der ich ein Sohn dieses Landes bin. Ich biete dir eine Wette an, daß ich, wenn der Löwe kommt, ganz dasselbe thue, was du unternimmst.«

»Gut! Um was wetten wir?«

»Setzest du deine Uhr und dein Fernrohr gegen meine Visionsflinte?«

»Ja.«

»Und du scherzest auch nicht?«

»Nein. Gehst du also die Wette ein?«

»Ja; ich schwöre es bei Allah und dem Barte des Propheten. Willst du etwa zurücktreten?«

»Nein. Du hast bei Allah und dem Barte des Propheten geschworen und kannst also auch nicht zurück. Erst widersprachst du mir aus Unglauben; dann kam dir das Verlangen nach der Uhr und dem Rohre. Du glaubst, dieser beiden Gegenstände sicher zu sein, da du überzeugt bist, daß ich, falls der Löwe ja erscheint, ganz hübsch und vorsichtig am Feuer sitzen werde. Aber du irrst dich.«

Er sah eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:

»Ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaube es dir nicht.«

»Und ich denke zwar nicht, daß das Tier kommen wird, aber falls es kommt, werde ich dir beweisen, daß du dich irrst. Die Wette gilt?«

»Ja; ich habe ja geschworen.«

»So bitte deinen Propheten, den Löwen fern zu halten. Wenn er dir diesen Wunsch nicht erfüllt, ist es um deine berühmte Visionsflinte geschehen. Jetzt wollen wir über unseren Gefangenen – —«

Ich wurde unterbrochen, denn es erschien am westlichen Rande der Lichtung ein Kamelreiter, welcher bei unserem Anblicke ziemlich betroffen halten blieb und uns betrachtete. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob es besser sei, an uns vorüber zu reiten oder nach dem Brunnen einzubiegen, doch entschloß er sich für das letztere, trieb sein Tier auf uns zu, stieg ab und sagte:

»Ehe ich den Sallam über meine Lippen gehen lasse, sagt mir, wer euer Anführer ist!«

»Ich bin es,« antwortete ich.

»Das sind Asaker[11]; du aber scheinst kein Askari zu sein. Wie soll ich es mir da erklären, daß du dich deren Anführer nennst?«

»Macht die Uniform den Askari?«

»Nein. Ich will dir glauben. Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?«

»Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.«

»Das ist doch kein Verbrechen?«

»Nun, dann Menschenraub!«

»Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!«

Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.

»Werde ich?« fragte ich ihn. »So! Mit welchem Recht und aus welchem Grunde erwartest du denn, daß ich dies thun werde?«

»Weil ich es sage, der Fakir el Fukara.«

»Schön! Und ich bin der Askari el Asaker und thue nur das, was mir beliebt.«

Fakir el Fukara ist Fakir der Fakire, also der beste, der vorzüglichste Fakir; darum nannte ich mich den Soldaten der Soldaten, also den vorzüglichsten Soldaten. Er schien diese Antwort nicht erwartet zu haben, denn er fragte:

»Kennst du mich denn nicht? Hast du noch nichts von dem Fakir el Fukara gehört?«

Indem er dies sagte, sah ich, daß er mit dem alten, »ehrwürdigen« Fakir, welcher gebunden am Boden lag, einen Blick des Einverständnisses wechselte. Sie kannten sich also, und so antwortete ich:

»Nein; aber meine Gefangenen kennen dich.«

»Woher weißt du das?«

»Du selbst hast es mir gesagt.«

»Ich weiß nichts davon. Wann denn?«

»Eben jetzt. Dein Auge sagte es mir. Du gabst diesem alten Abd Asl ein Versprechen, welches du nicht halten kannst.«

»Ich werde es halten. Frage deine Gefangenen, so werden sie dir sagen, daß ich mächtig bin und sehr wohl weiß, daß ich ein Versprechen, welches ich gegeben habe, auch zu halten weiß.«

»Frage sie vorher nach mir, so werden sie dir wohl mitteilen, daß in diesem Augenblicke ich es bin, der die Macht in den Händen hat. Wer und was du bist, das ist mir sehr gleichgültig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina, also an Stelle des Khedive. Das wird dir genügen.«

»Das genügt mir keineswegs, sondern bringt eine ganz andere Wirkung hervor, als du beabsichtigt hast. Der Vizekönig ist ebenso wie der Reïs Effendina in meinen Augen nichts, und es fällt mir nicht ein, mich nach ihnen zu richten.«

Jetzt kannte ich seine Verhältnisse nicht; später erfuhr ich freilich, weshalb er sich dieses unehrerbietigen, ja geringschätzenden Ausdruckes bedient hatte. Für einige Zeit Steuerbeamter gewesen, hatte er sich gezwungen gesehen, sein Amt niederzulegen, und war Sklavenhändler geworden. Das wußte ich jetzt freilich nicht, antwortete ihm aber doch mit überlegenem Lächeln:

»Du wirst dich aber dennoch nach ihnen richten, indem du dich nach mir richtest, der ich ihre Befehle auszuführen habe.«

»Du wirst sogleich sehen, wie ich diese Befehle achte.«

Er zog sein Messer und bückte sich zu Abd Asl nieder.

»Halt!« gebot ich ihm. »Was willst du thun?«

»Diesen meinen Freund von seinen Fesseln befreien.«

»Das erlaube ich nicht.«

»Was frage ich nach deiner Erlaubnis!«

Er legte das Messer an den Riemen; ich aber legte auch, nämlich beide Hände von hinten und oben an seine Hüften, hob ihn aus seiner gebückten Haltung empor und warf ihn mehrere Schritte weit über die Gruppe der Gefangenen, bei denen Abd Asl lag, hinüber. Er hatte sein Messer festgehalten, raffte sich rasch wieder auf, erhob die Hand zum Stoße und drang auf mich mit den Worten ein:

»Du wagst, dich an dem Fakir el Fukara zu vergreifen? Da, nimm!«

Es fiel mir gar nicht ein, mich einer Waffe zu bedienen. Auch keinem der Asaker kam es bei, mir beizuspringen; nur Ben Nil fuhr mit der Hand in den Gürtel, blieb aber an seinem Platze stehen; sie wußten, daß ich mit dem Angreifer fertig werden würde. Ich gab ihm mit der Faust von unten her einen Stoß in die Achselhöhle des erhobenen Armes, und diese Parade war so kräftig, daß sie ihn aushob und wieder zu Boden warf. Jetzt zog ich den Revolver; als er wieder aufsprang, um mich von neuem anzugreifen, hielt ich ihm denselben entgegen und rief:

»Noch einen Schritt weiter, und ich schieße dich nieder!«

»Bleib stehen, sonst schießt er wirklich, denn er ist ein Giaur!« warnte ihn Abd Asl.

Der Fakir el Fukara zog den bereits erhobenen Fuß wieder zurück, ob aus Furcht vor meiner Waffe oder aus Betroffenheit darüber, mich einen Giaur nennen zu hören, das weiß ich nicht – wohl aus beiden Gründen zugleich, und fragte:

»Ein Giaur? Er ist kein Moslem?«

»Nein, sondern ein christlicher Effendi,« antwortete der Alte.

»Und dieser Hund wagt es, mich – —«

Im Nu stand Ben Nil mit der erhobenen Peitsche hinter ihm und fragte mich.

»Effendi, soll ich ihm die Haut in Streifen schlagen, da er dir den Namen eines verachteten Tieres giebt?«

»Dies eine Mal soll ihm verziehen sein, weil er in der Aufregung gesprochen hat,« antwortete ich. »Wenn er mich aber noch ein einziges Mal beleidigt, so erhält er die Bastonnade, daß er hier liegen bleiben und elend verkommen muß!«

»Allah! Mir die Bastonnade!« knirschte der Mann. »Von einem Christen! Welch ein Frevel, welch eine Kühnheit!«

»Von Kühnheit kann dir gegenüber keine Rede sein,« lachte ich ihm in das Gesicht. »Ich würde mich nicht fürchten, wenn ich zehn Personen deinesgleichen gegenüber stände; hier aber bist du allein und hast außer mir noch zwanzig Asaker gegen dich.«

»Aber sie sind doch Moslemin?!«

»Das sind sie allerdings.«

»So müssen sie doch für mich und nicht für dich sein! Wie kann ein Moslem dulden, daß einem andern Rechtgläubigen von einem Christen mit der Bastonnade gedroht wird, ja, daß dieser sich sogar an ihm vergreift und ihn zu Boden wirft?«

Da stellte sich Ben Nil vor ihn hin und antwortete an meiner Stelle:

»Höre, wir haben diesen unsern Effendi von Herzen lieb und sind bereit, für ihn gegen jedermann zu kämpfen. Zehn und hundert Fakire el Fukara wiegen ihn in unserer Achtung nicht auf, und ich sage dir, daß du nicht der erste wärst, der, weil er ihn beleidigte, die Peitsche bekommen hat. Nimm dich also sehr in acht! Die Bastonnade schwebt über deinem Haupte, und bei Allah, wenn du deinen Mund nicht hütest, senkt sie sich augenblicklich auf dich nieder!«

»Knabe!« fuhr ihn der Fakir an. »Hüte du selbst deine Zunge! Was bist du und was sind zwanzig Asaker gegen die Anhänger, welche zu mir eilen, wenn ich meine Stimme erhebe!«

»Erhebe Sie! Wir werden sehen, ob der Wald lebendig wird!«

»Das darfst zu sagen, weil ich heute niemand bei mir habe; später aber kann ich euch zerquetschen, wie man Würmer mit dem Fuße zertritt!«

Die Soldaten ließen ein zorniges Murmeln hören; er aber kehrte sich nicht daran und fuhr fort:

»Indem ihr einem Christen gegen diese Moslemin dient, verleugnet ihr den Propheten. Habt ihr ein Recht, diese Rechtgläubigen gefangen zu halten? Wenn sie Sklaven gefangen haben, wo steht denn im Kuran, daß der Sklavenhandel verboten ist?«

Seine Absicht war, die Asaker gegen mich aufzuwiegeln, und er glaubte vielleicht, daß ihm dies gelingen werde. Ich hatte gar nicht nötig, ihn durch Zwischenreden in der Ausführung dieses Vorhabens zu hindern, denn Ben Nil, welcher das Wort nun einmal für die andern ergriffen hatte, antwortete ihm:

»Du kennst die Lage der Sache nicht. Ibn Asl, der Sohn dieses alten Fakirs, hat die Beni Fessarah überfallen, viele von ihnen getötet und die jungen Frauen und Töchter davongeführt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Wir aber haben sie ihm abgenommen und wieder in ihre Heimat geleitet. Aus Zorn und Rache darüber hat er uns seinen Vater mit diesen Männern entgegengesandt. Sie sollten uns hier auflauern und ermorden; dem Effendi aber sollten die Zunge und auch die Hände abgeschnitten werden. Ist es erlaubt, Rechtgläubige zu rauben und zu Sklaven zu machen?«

»Nein,« gestand der Fakir.

»Sind die Beni Fessarah Rechtgläubige oder Giaurs?«

»Rechtgläubige.«

»So hat sich Ibn Asl also einer Todsünde schuldig gemacht, und diese Menschen hier sind seine Mitschuldigen. Sie müssen dafür bestraft werden, gar nicht davon zu sprechen, daß sie Mörder sind, da sie das beabsichtigten, was ich dir mitgeteilt habe.«

Diese Mitteilung des Jünglings verfehlte ihren Eindruck nicht. Der Fakir el Fukara wendete sich an den alten Fakir Abd Asl und fragte:

 

»Ist das wirklich so, wie ich es jetzt gehört habe?«

»Man mag uns beweisen, daß wir diese Asaker töten wollten,« antwortete der Gefragte. »Es ist eine schändliche Lüge!«

»Leugne es nicht!« herrschte ich ihn an. »Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Ich lag, um euch auszukundschaften, hinter dem Gesträuch, vor welchem du mit deinem angeblichen Dschelabi im Gespräch saßest.«

»Du hast dich geirrt,« meinte der Fakir el Fukara zu mir.

Ach habe richtig gehört, und es sind auch noch andere Beweise vorhanden.«

»Welche? Ich muß sie hören.«

»Du mußt? Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt? Ich muß bloß das, was ich will, und meinen Willen werde ich dir sofort mitteilen. Ich will nämlich, daß du dich nicht weiter um diese Angelegenheit bekümmerst. Du hast dir in derselben die Hände schon so verbrannt, daß ich dir rate, dich vom Feuer fern zu halten. Du bist hier, ohne mich zu kennen, aufgetreten wie ein Gebieter. Ziehe deines Weges weiter oder lagere dich zu uns an den Brunnen, mir ist beides recht; aber sobald du fortfährst, dich in meine Obliegenheiten zu mischen, werde ich dir beweisen, daß ich infolge meiner Vollmachten der augenblickliche Gebieter an diesem Brunnen bin.«

»Wie willst du das beweisen?«

»Indem ich dich nicht länger dulde, sondern dich fortjage. Und nun kein weiteres Wort darüber! Tritt zurück! Du magst bei den Asakern lagern, bei den Gefangenen aber hast du nichts zu schaffen.«

Er sah es mir wohl an, daß ich Widerspruch nun wirklich nicht mehr dulden würde, und gehorchte; aber der Ingrimm lag wie eine wetterdrohende Wolke auf seinem Gesichte. Er sattelte sein Kamel ab und ließ es laufen, damit es weiden möge. Dann holte er sich Mundvorrat und einen Schöpfbecher aus der Satteltasche und ließ sich an dem Wasser nieder, um sein Abendbrot zu sich zu nehmen. Vorher aber holte er sein Abendgebet nach, welches er versäumt hatte, da zwischen seiner Ankunft und jetzt die Sonne untergegangen und also die Zeit des Mogreb, des vorgeschriebenen ersten Abendgebetes unbenützt verflossen war. Auch die Asaker beteten, da sie die gleiche Versäumnis begangen hatten.

Es waren vier Feuer angebrannt worden. Auf dem Raume zwischen denselben lagen die Gefangenen in voller Beleuchtung, damit wir die Bewegungen jedes einzelnen von ihnen leicht sehen konnten, und um diese herum bildeten die Asaker eine Kette, welche wieder von unsern an den Vorderbeinen gefesselten und in einem Kreise liegenden Kamelen eingefaßt wurde.

Auch ich setzte mich an den Brunnen, um zu essen. Ben Nil und der Fessarah-Führer gesellten sich zu mir. Der Fakir el Fukara saß so wenig entfernt von uns, daß er unser Gespräch hören und verstehen konnte. Ich hatte keine Veranlassung, heimlich gegen ihn zu thun; er hätte sonst vielleicht gar geglaubt, ich scheue oder fürchte mich vor ihm. Ich vermutete, daß Ben Nil nun die Gelegenheit ergreifen werde, seine Forderung in Betreff des alten Abd Asl wieder vorzubringen, und richtig, kaum hatte ich den letzten Bissen in den Mund geschoben, so sagte er:

»Effendi, ich mußte die Mahlzeit ehren; nun du aber fertig bist, hoffe ich, daß ich sprechen darf. Du hast mir den alten Fakir versprochen.«

»So ganz endgültig, wie du zu meinen scheinst, doch wohl nicht.«

»Jawohl! Du wolltest etwas von ihm erfahren, und dann sollte ich ihn bestrafen dürfen.«

»Ich habe es aber noch nicht erfahren, und es hat noch Zeit.«

»Nein. Bedenke, daß du die Auskunft, welche du von ihm haben willst, zu spät bekommen könntest. Ich weiß, du willst nicht seinen Tod, und darum zögerst du.«

»Allah wird ihn strafen!«

»Ja, aber durch mich!«

»Sieh hin! Er ist ein Greis, ein schwacher, wehrloser Mann. Kannst du es über das Herz bringen, ihm das Messer in die Brust zu stoßen?«

»Er hat es über das Herz gebracht, dich und mich in den Brunnen einzusperren, damit wir untergehen sollten. Und heute wieder war er zu einem mehr als zwanzigfachen Mord bereit. Wenn du ihn begnadigst, versündigst du dich gegen Allah, der doch auch dein Gott ist.«

»Das ist richtig,« stimmte der Führer bei. »Auch ich schwebte in Todesgefahr, jeder der Asaker ebenso. Wir alle haben also das Recht, das Blut dieses Massenmörders zu fordern!«

»Richtig! So ist es! Ganz genau so!« ertönten da die zustimmenden Rufe der Asaker.

»Hörst du es, Effendi?« fragte der Führer. »Willst du uns allen unser gutes Recht verkümmern? Dann mußt du gewärtig sein, daß wir es uns nehmen.«

Daran hatte ich auch schon gedacht. Die Soldaten waren wütend auf die Gefangenen. Nur die Achtung, in welcher ich bei ihnen stand, hatte sie vermocht, meinem Befehle zu gehorchen und die Ueberrumpelten nur zu betäuben, anstatt sie zu töten. Ich konnte ihnen keine Garantie dafür bieten, daß die Schuldigen ihre Bestrafung in Chartum wirklich finden würden, und wenn sie gegen meinen Willen Rache nahmen, was konnte ich dagegen thun? Sie mit Gewalt, durch Drohungen abhalten? Da wäre es mit meiner Autorität sofort vorüber gewesen. Besser, ich opferte einen einzelnen, als daß viele unter den Rächerstreichen fielen, und dieser eine mußte natürlich der alte Fakir sein. Schon war ich halb entschlossen, ja zu sagen, da trat der älteste der Asaker zu mir heran und meldete:

»Effendi, ich bin von meinen Kameraden beauftragt worden, dir eine Bitte vorzulegen.«

»So sprich!«

»Sage vorher, ob wir dir gehorsam gewesen sind und ob du mit uns zufrieden bist!«

»Ich kann vor dem Reïs Effendina jedem einzelnen von euch ein gutes Zeugnis geben.«

»Ich danke dir! Ja, es ist wahr, daß wir stets thaten, was du fordertest, obgleich uns dein Wille sehr oft unbegreiflich war. Wir haben uns dann immer überzeugen müssen, daß du das Richtige getroffen hattest, und darum hast du dir unsere Ehrerbietung erworben. Einen Fehler aber haben wir an dir zu tadeln, wenn du uns das erlaubst. Du bist als Christ gegen unsere Feinde stets zu nachsichtig gewesen. Feinde muß man vernichten, um sich selbst zu erhalten. Ergreife ich heute meinen Todfeind und lasse ihn aus Barmherzigkeit wieder entwischen, so wird er morgen abermals über mich herfallen. Wir waren dem Tode geweiht; deine List und deine Umsicht haben uns gerettet; die Feinde sind in unsere Hand gegeben, aber du willst nicht, daß wir uns an ihnen vergreifen. Gut, wir gehorchen dir auch dieses Mal; wir wollen sie nach Chartum schaffen und dem Reïs Effendina übergeben; einer aber soll sterben, nämlich Abd Asl; darauf bestehen wir. Wir wollen uns nicht gegen dich erheben, aber wenn du uns diese kleine Bitte nicht erfüllst, kannst du nicht hindern, daß hier und da irgend ein Messer in irgend ein Herz gestoßen wird und viele von denen, welche zu retten willst, am Morgen nicht mehr am Leben sind. Entscheide dich!«

Das war allerdings energisch gesprochen! Was sollte ich antworten? War ich als Christ denn wirklich verpflichtet, Abd Asl, das Scheusal, du retten und dadurch viele andere in Gefahr zu bringen? Aber vielleicht konnte ich meinen Zweck durch List doch noch erreichen, indem ich mich auf das gute Herz Ben Nils verließ!

Nur so lange kein Blut, als ich noch zu befehlen hatte. Was später geschah, das kam nicht auf meine Seele zu liegen. Darum antwortete ich, scheinbar auf die Forderung eingehend:

»Du hast nach euren Anschauungen ganz verständig gesprochen, aber wie kann ich über das Leben des Fakirs verfügen, da es mir nicht mehr gehört? Ben Nil ist derjenige, welcher das erste Recht zur Rache hat.«

»Aber du willst es ihm doch verkümmern, wie wir hören?«

»Nein. Er soll sein Recht haben, wenn ihr einverstanden seid und auf das eurige verzichtet.«

»Dann sind wir ja sofort einverstanden, Effendi.«

»Ihr legt also das Leben des Fakirs in Ben Nils Hände?«

»Ja.«

»So sind wir einig. Sage das den andern!«

Der Askari entfernte sich befriedigt, und Ben Nil reichte mir die Hand, indem er sagte.

»Ich danke dir, Effendi! Nun wird dem Gesetze der Wüste Genüge geschehen und zu den Schandthaten dieses Ungeheuers keine neue kommen.«

»So gehe hin, und stoße ihm, dem gefesselten Greise, das Messer in die Brust! Das ist eines tapfern Mannes würdig!«

Er senkte den Kopf und blickte vor sich nieder; ich sah, er kämpfte mit sich selbst. Dann hob er den Kopf und fragte:

»Der Alte gehört also wirklich mir und ich kann mit ihm ganz nach meinem Wohlgefallen verfahren?«

»Ja.«

»Gut, so werde ich Rache nehmen.«

Er stand auf und zog sein Messer. Da sprang auch der Fakir el Fukara auf, hielt ihn beim Arme zurück und rief:

»Halt! Das würde ein Mord sein, den ich nicht zugeben darf!«

Ben Nil schüttelte den Mann mit einer Kraft, welche ich ihm gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:

»Schweig! Was hast du hier zu befehlen! Ich kehre mich an deine Worte ebensowenig wie an das Summen einer Mücke!«

»Schweig du selbst, du armseliger Knabe! Wenn es mir beliebt, zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen!«

»Versuche es doch!«

Ben Nil hatte, wie bereits erwähnt, sein Messer gezogen, und der Fakir el Fukara riß auch das seinige hervor. Ich schnellte mich zwischen beide, riß dem letzteren die Waffe aus der Hand und gebot ihm:

»Zurück, sonst hast du es mit mir zu thun!«

»Du aber auch mit mir!« rief er wütend.

»Pah! Du hast ja schon gesehen, was du gegen mich vermagst.«

8Wöchentlicher Zerreißer.
9Einsiedler.
10Löwenjäger.
11Asaker ist Plural von Askari = Soldat.