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Die Sklavenkarawane

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Indessen rekognoszierte der Fremde die Umgebung des Brunnens. Der kleine Berg stand vollständig isoliert in der Ebene. Er war mit Gras bewachsen, eine Folge der Verdunstung des Brunnenwassers. Auf seiner nördlichen und westlichen Seite gab es kein Strauchwerk; aber am östlichen und südlichen Fuße, wo der Brunnen lag, kletterten die Mimosen ein Stück am ausgewitterten Felsen empor und liefen auch eine ganze Strecke in die Ebene hinein. Menschliche Wesen waren nicht zu sehen; die Gegend schien vollständig sicher zu sein, auch in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geist des hier vergifteten »Herrn mit dem dicken Kopfe« hier in nächtlicher Stunde sein Wesen trieb.

Als er nach der Quelle zurückkehrte, hatten die Kamele und Esel sich satt getrunken und fraßen von den jungen Zweigen der Mimosen. Er ließ sein ganzes Gepäck in die Nähe des zweiten Feuers tragen und dort am Felsen niederlegen, so daß er es im Auge haben konnte.

Der Ungar hatte die Tasche geöffnet und den Inhalt derselben vor sich ausgebreitet. Derselbe bestand aus Durrhabrot, Datteln und mehreren Perlhühnern, welche der »Vater der vier Augen« gestern früh jenseits der Sandstrecke geschossen hatte.

Es gibt im Sudan ganze Stämme, welche keinen Vogel essen. Die Dschelabi gehörten nicht zu diesen Verschmähern eines guten Geflügels. Sie rupften die Hühner, nahmen sie aus und zerlegten das Fleisch in kleine viereckige Stücke, welche, an zugespitzte Äste gespießt, über dem Feuer gebraten wurden. In dieser Form und Weise zubereitet, wird das Fleisch Kebab genannt.

Während dies geschah, zog der Ungar die ihm am Herzen liegenden Erkundigungen ein. Bei dem Ritte hatte er nur notgedrungen geschwiegen, nun aber fragte er, als der Fremde sich neben ihm am Feuer niedergelassen hatte, immer noch in arabischer Sprache, wie bisher:

»Darf ich nun erfahren, Herr, aus welchem Lande du bist? Bitte!«

»Sage mir vorher erst, aus welcher Gegend Ungarns du stammst!«

»Ich bin ein Magyar aus Nagy Mihaly bei Ungvar.«

»Von dort? Dann aber bist du wohl kein Magyar, sondern ein Slowak. Du hast dich dessen jedoch gar nicht zu schämen.«

»Ich schäme mich auch nicht; aber da ich in Ungarn geboren bin, bin ich doch auch Magyar. Du kennst meine Heimatsgegend? Warst du dort?«

»Ja.«

»Sprichst du ungarisch? Ich bin auch des Slowenischen mächtig.«

»Mir ist beides fremd, also können wir uns leider nicht in deiner Muttersprache unterhalten. Aber wie bist du nach Afrika, nach Ägypten und gar nach dem Sudan gekommen?«

»Durch meinen Herrn.«

»Wer war das?«

»Matthias Wagner, auch ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitat.«

»Den kenne ich, wenn auch nicht persönlich. Er hat sehr viel erlebt. Er ging nach Ägypten, Arabien und Abessinien, war Begleiter des Herzogs von Gotha, bereiste später den ganzen Ostsudan und ist vor ungefähr einem Jahre gestorben, ich glaube in Chartum. Nicht?«

»Ja, Herr, so ist es. Du kennst alle seine Erlebnisse. Ich war zuletzt mit ihm nach Kordofan, um Straußfedern zu handeln. Nach unsrer Rückkehr mußten wir uns trennen. Er starb, und über mich brach ein Unfall nach dem andern herein, so daß ich endlich gezwungen war, das Leben eines armen Dschelabi zu führen.«

»Hast du da Glück gehabt?«

»Was nennst du Glück? Ich begann vor sechs Monaten mit fünf Mariatheresienthalern, und was ich jetzt besitze, ist vielleicht dreißig wert. Großwesier wird man nicht dabei.«

»Dazu hat Allah dir ja auch den Verstand gar nicht gegeben,« fiel der zweite Dschelabi jetzt ein.

»Schweig, Abu Dihk!« fuhr der Ungar ihn an. »Mich hat Allah für so einen hohen Posten eigentlich ausgerüstet. Du aber könntest nicht einmal Hamal werden, trotz deines falschen Stammbaumes!«

»Er ist echt und nicht gefälscht. In mir fließt das Blut vom Fahnenträger des Propheten. Hör‘ meinen Namen an! Soll ich ihn dir nennen?«

»Um Allahs willen, nein! Du trompetest ihn so unaufhörlich aus, daß ihn bereits im ganzen Sudan jeder Vogel pfeifen kann.«

»Das darf ich wohl, da er ein hoch berühmter ist. Höre ihn an, und höre auch, was meine Ahnen thaten! Wie aber heißt du? Ich habe es vergessen?«

»Uszkar.«

»Wie lautet das auf Arabisch?«

»Kelb.«

»Welch ein Name! Wie kann ein Mensch sich nach einem so verachteten Tiere nennen! Wie hieß dein Vater?«

»Auch Uszkar oder Kelb.«

»Dein Großvater?«

»Ebenso.«

»Und deine andern Ahnen?«

»Auch nicht anders.«

»Allah, welch ein Stammbaum ist das! Kelb ben Kelb Ibn Kelb Hafid Kelb, Kelb und nichts als Kelb! Es ist ein Wunder, daß du nicht bellst, sondern sprichst. Mein Name aber lautet Hadschi Ali ben Hadschi Ishak el Faresi Ibn Otaiba Abu – – —«

»Still, still, still!« rief der Ungar, indem er mit beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. »Ich mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird er sich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein Name gegen meine Erfahrungen und Kenntnisse bedeuten! Ihn hast du ohne alles Verdienst von deinen Vorfahren; sie aber habe ich mir selbst angeeignet. Wisse, daß ich sogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, verstehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt.«

»Und wisse,« schrie der andre, welcher sich ernstlich zu ereifern begann, »daß ich alle Länder und Völker der Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und beim Namen nenne.«

»Das ist Geographie, deine Leidenschaft. Wo aber willst du sie studiert haben?«

»Bei meinem Oheim, welcher erst in Stambul wohnte und dann in das Land der Nemtsche nach Lipsik ging, wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Asal ‚l abiad handelte. Dort wurde er wohlhabend und kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausstudiert hatte, ging ich nach Ägypten als Asker und bin so nach und nach bis in den Sudan gekommen.«

»O du Vater des Gelächters,« lachte der Slowak, »willst du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein studiert?«

»Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab‘s dann von ihm. Allah allein kennt die Millionen Länder und Dörfer, welche sich in meinem Kopfe befinden. Du aber weißt gar nichts. Du bist der Sohn der Blattern und der Vater der elf Haare. Du hast meinen Namen gehört. Wie kannst du mich den Vater des Gelächters nennen?«

Sie waren beide zornig geworden und griffen sich bei ihren gegenseitigen körperlichen Schwächen an. Die Spitznamen, welche man ihnen gegeben hatte, waren sehr bezeichnend. Das Gesicht des Slowaken war geradezu abschreckend pockennarbig, und es mußte fast als ein Wunder erscheinen, daß die zerstörende Krankheit ihm die wenigen Haarkeime übrig gelassen hatte. Freilich zählte sein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über dreißig waren es gewiß nicht. Und diese zerstreut und unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlichkeitsbeweise hatte er so lieb, daß seine Hände während jedes freien Augenblickes bemüht waren, sie zu sammeln und ihnen die Form eines echt ungarischen Schnurrwichses zu geben.

Was den »Vater des Gelächters« betraf, so litt er an einer Krankheit, welche sein Gesicht in fast regelmäßigen Pausen, besonders aber bei Seelenerregungen und wenn er sprach, zur schrecklichen Fratze verunstaltete, nämlich am Gesichtskrampfe. Diese Verzerrungen brachten nie einen ernsten, sondern stets nur einen solchen Ausdruck des Gesichtes hervor, daß man meinte, Ali wolle sich über irgend etwas totlachen. Es ist ganz gewiß höchst verwerflich, sich über körperliche Gebrechen eines andern lustig zu machen, aber die Gesichter des Mannes, welcher Millionen Länder und Dörfer in seinem Kopfe hatte, wirkten so unwiderstehlich, daß der ärgste Melancholikus, der rücksichtsvollste Mensch geradezu gezwungen war, mitzulachen. Übrigens genierte ihn das keineswegs; er schien sich im Gegenteile ganz glücklich zu fühlen, stets lustige Gesichter um sich zu sehen.

»Und wenn du alle Völker und Inseln der Erde im Kopfe hast, so kennst du doch gewiß nicht ein einziges Wort Latein!« behauptete der Slowak. »Herr, verstehst vielleicht auch du lateinisch?«

»Ja, ein wenig,« nickte der »Vater der vier Augen« lächelnd. »Wo hast du es denn gelernt?«

»Auch in Leipzig.«

»Aber doch nicht an der Ecke bei dem Honigkasten?«

»Nein, sondern von meinen Professoren.«

»Professoren? Hast du etwa studiert?«

»Ja.«

»Was?«

»Medizin.«

»So bist du Doktor?«

»Allerdings. Auch war ich drei Jahre lang Lehrer an einer deutschen Medresse.«

Da sprang der Kleine auf und rief:

»So bist du ein Deutscher?«

»Ja. Wenn du deutsch verstehst, können wir uns dieser Sprache bedienen.«

»Natürlich verstehe ich es, und zwar ganz ausgezeichnet! Allah! Ein Ra-is et tibb! Und ich habe dich du genannt! Wo habe ich da meine Augen gehabt! Das soll sofort gut gemacht werden; ich werde höflicher sein. Darf ich deutsch reden?«

»Das versteht sich!« antwortete der Gelehrte, sehr neugierig darauf, wie der Ungar, welcher des Magyarischen, des Slowakischen und sogar des Lateinischen mächtig sein wollte und wirklich gar nicht übel arabisch sprach, sich im Deutschen ausdrücken werde. »Versuchen Sie es, und sagen Sie mir da einmal gleich, was Ihr Vater gewesen ist!«

Der Gefragte antwortete mit strahlendem Gesichte, nun in deutscher Sprache:

»Vatterr meiniges hatt Musika gewest. Macht dilideldum, dilideldei.«

»Auf welchem Instrumente?« fragte der Arzt, der sich nur schwer des Lachens erwehren konnte.

»Hatt blaste Klarniett: Viviviva viviviva!«

Er hielt die beiden Hände vor den Mund und ahmte die Klänge der Klarinette täuschend nach.

»Da haben Sie wohl auch ein Instrument zu blasen gelernt?«

»Nein. Mund meiniger hatt nicht paßte dazu.«

»Und wie ist Ihr eigentlicher Name?«

»Hab ich heißte Uszkar Istvan.«

»Also zu deutsch Stephan Pudel, wenn ich mich nicht irre, da ich zufälligerweise das Wort Pudel kenne. Ein ominöser Name hier in einem mohammedanischen Lande, wo das Wort Hund als größte Beschimpfung gilt. Sie hätten dieses Uszkar Ihren Gefährten nicht übersetzen sollen.«

 

»Serr richtig! Aber wie heißten Sie, Pane Doktorrr?«

»Ich heiße Emil Schwarz und bin hier, um die Fauna und Flora des Landes zu studieren und in möglichst vielen Präparaten mit nach Hause zu nehmen.«

»Fauna und Florrra! O, das seinte gut Latein! Auch ich verstehnte Latein. Latein meiniges ich hatt lernte bei Pane Wagner. Fauna heißte Pflanz, und Flora heißte Vieh.«

»Oder umgekehrt,« lachte Schwarz.

»Umkehrte auch richtig, beides richtig! Ich bin viel geweste in Sudan. Ich hatt sehnte das ganze Florrra und Fauna. Wenn Sie brauchte ein Dienerrr, ich sehr gern wernte Dienerrr Ihriges.«

»Wirklich?«

»Ja, Pane Doktorrr. Ich nicht willnte mehr handeln im Sudan, und ich nicht mehr magte sein ein Dschelabi. Sie mich könnte brauchte sehr gut. Ich Sie wollte unterrrstützte mit Latein meiniges und machte kleb an die Etiquetten an Präparaten Ihrige.«

»Dieses Anerbieten ist mir nicht unwillkommen, und ich werde – – —«

Er hielt inne. In der Ferne war ein Ton erklungen, welcher sofort die Aufmerksamkeit aller in Anspruch nahm.

»Was war das?« fragte Schwarz, sich in arabischer Sprache an die Dschelabi wendend. »Doch unmöglich Donner! Jetzt im Sef gibt es doch wohl keine Gewitter.«

»Nein, Donner war es nicht,« antwortete der Slowak, auch in arabischer Sprache, welche er nicht so schlimm radebrechte wie die deutsche.

»Was war es sonst?«

»Es war Aslan, der Herr der Herden.«

»Der Löwe? Also gibt es hier doch welche!«

»Es scheint so, und der Herr mit dem dicken Kopfe wird hierher kommen, denn er hat unsre Feuer gesehen.«

»So zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erst um oder gar nach Mitternacht sein Lager verlasse.«

»Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.«

Diese Fragen und Antworten waren mit lauter, vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und sagte mit leiser Stimme und in ängstlichem Tone:

»Um Allahs willen, sprecht nicht so laut, sonst hört er es und kommt herbei. Dann sind wir alle verloren. Horcht!«

Es erscholl derselbe Laut wieder. Er klang dem Rollen eines schweren Wagens, welcher über eine hölzerne Brücke fährt, sehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die Esel drängten sich zusammen.

»Das also, das ist der Löwe!« sagte Schwarz, mehr zu sich als zu den andern. »Endlich, endlich höre ich seine Stimme in der Freiheit.«

»O, das ist seine volle und richtige Stimme noch nicht,« meinte der Slowak. »Er versucht sie erst. Er hat Hunger und ist mißmutig; er knurrt einstweilen.«

»Hast du ihn auch schon gehört?«

Er bediente sich, dem arabischen Sprachgebrauche angemessen, wieder des Du.

»Gehört und auch gesehen, und zwar sehr oft.«

»Ohne von ihm angefallen zu werden?«

»Er hat mir nie etwas gethan. Es gibt viel feige und wenig wirklich stolze und kühne Löwen. Die feigen kommen heimlich geschlichen und führen den Raub so leise aus, daß man erst am Morgen den Tod oder das Fehlen seines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber tritt gleich laut aus seinem Lager. Er sagt es aufrichtig, daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. Er nähert sich dem Orte, dem er seinen Besuch zugedacht hat, nur langsam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, damit man sich genau berechnen könne, wann er erscheinen wird. Einen Löwen, der das thut, hält keine Gefahr ab, den Überfall auszuführen.«

»Wir haben es höchst wahrscheinlich mit so einem zu thun!«

»Ja. Wenn er wieder brüllt, werden wir hören, ob er zu uns oder nach einem andern Orte will.«

Zum drittenmal erklang die Stimme des Raubtieres, halb knurrend und halb heulend. Man hörte deutlich, daß sie aus größerer Nähe kam. Die Homr-Araber waren jetzt alle an das zweite Feuer gekommen. Sie fürchteten sich.

»Er kommt zu uns, er kommt wirklich,« flüsterte der Schech mit vor Angst heiserer Stimme.

»Du hast dich also geirrt,« antwortete Schwarz, »als du behauptetest, es sei kein Löwe hier an dieser Quelle zu erwarten.«

»Konnte ich wissen, daß sich einer eingefunden hat? Er haust wohl erst seit wenigen Tagen hier. Wären wir nicht in der Dunkelheit gekommen, so hätten wir wohl die Spuren seiner Tatzen gesehen. Der Bir ist seine Tränke, denn es gibt von hier bis zum Flusse kein andres Wasser.«

»So kampiert er auf der offenen Ebene?«

»O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt es ein Felsgewirr, welches er sich zur Wohnung ausersehen hat, denn seine Stimme erklang genau aus jener Gegend. Ich habe schon viele Löwen beobachtet und weiß, in welcher Weise sie sich nahen. Dieser kommt sehr langsam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenklich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe sein und unser Lager umkreisen.«

»Um den Raub auch wirklich auszuführen?«

»Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut gesagt und wird sein Wort halten. Beladen wir also schnell unsre Tiere, um diesen bösen Ort augenblicklich zu verlassen!«

»Fliehen sollen wir?«

»Ja, und zwar so schnell wie möglich.«

»Vierzehn Männer? Vor dieser Katze?«

»Effendi, es ist keine Katze!«

»Es ist eine, wenn auch eine sehr große. Wer fliehen will, der mag es thun. Aber die Kamele bleiben hier, denn ich habe sie gemietet.«

»Er wird mir eins zerreißen!«

»So bezahle ich es dir!«

»Er kann auch gar mich selbst zerreißen!«

»In diesem Falle kommst du noch heute in Allahs Paradies; also freue dich darauf.«

»Ich gehe. Ich will noch leben!«

»So mache dich von dannen; aber indem du dich von den Feuern entfernst, die auch der Löwe scheut, begibst du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der Dunkelheit draußen vermagst du das Tier nicht zu erkennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es geahnt hast.«

»Allah, Allah! Also sollen wir hier bleiben und ruhig warten, wen von uns er sich holen werde?«

»Nein, denn ich werde ihn töten.«

»Du? Niemand wird dir beistehen.«

»Das fordere ich gar nicht.«

»Also du allein willst dich ihm entgegenstellen? Effendi, bist du toll?«

»Nein. Ich habe Tiere erlegt, welche ebenso gefährlich wie der Löwe sind. Mit ihm habe ich zwar noch nie gesprochen, aber er wird mit sich reden lassen. Dabei werde ich dafür sorgen, daß er euch nichts thun kann.«

Jetzt erhob der Löwe seine Stimme wieder. Es war kein Grollen oder Knurren mehr, sondern ein wenn auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, welcher auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut empor ziehen wolle.

»Er ist wieder näher!« jammerte der Schech. »Er hat schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt. In einer Viertelstunde ist er da. Meine Kamele, meine schönen Kamele!«

»Du selbst Kamel! Treffen wir schnell die nötigen Anstalten! Wir müssen ihn zwingen, sich nach der Stelle zu wenden, an welcher ich ihn erwarten werde. Durch das Wasser kommt er nicht, also muß er entweder von rechts oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren zwischen der Quelle und dem Felsen befinden. Macht hier das Feuer breiter und facht es höher an, so wird er es vermeiden, hier herein zu brechen. Bindet die Tiere fest an die Zweige, daß sie nicht fliehen können. Und dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck verstecken.«

»Und du, was wirst du thun, Herr?« fragte der Slowak.

»Ich gehe auf die andre Seite, lösche dort das Feuer aus, so daß er nicht abgeschreckt wird, und warte, bis er kommt.«

»Du wirklich ganz allein?«

»Ja, ich bedarf wahrscheinlich der Unterstützung andrer nicht.«

Er gab diese Befehle und Antworten mit der Ruhe und Kaltblütigkeit eines Unteroffiziers, welcher auf dem Kasernenhofe seine Leute instruiert.

Die Araber und auch die Dschelabi hatten sich sehr beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubinden. Nun drängten sie sich alle mit Ausnahme des Ungarn und Alis zwischen den Gepäckstücken und der Felswand zusammen. Die beiden Genannten aber waren bei Schwarz geblieben; sie halfen ihm das andre Feuer auszulöschen. Eben, als sie damit fertig waren, ließ sich der Löwe wieder hören, aber dieses Mal in ganz andrer Weise als bisher.

Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erst dumpf rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, dann anschwellend bis zum mächtigen, in der stillen Nacht wohl meilenweit hörbaren Brusttone, welcher in einen durch Mark und Bein schneidenden, wahrhaft satanischen Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach und nach ersterbenden Donner, unter welchem die Erde zu erzittern schien, wie in weiter Ferne zu verhallen.

Das war der wirkliche Macht- und Kampfesruf des Königs der Tiere gewesen, und Schwarz erkannte nun, warum die Araber ihm so oft den Namen Abu Rad, Vater des Donners, geben.

»Er ist höchstens nur noch tausend Schritte entfernt,« hörte man den Schech sagen. »Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah! Betet leise die heilige Fatha und dann laut die Sure der ‚Zerreißung‘, welche die vierundachtzigste des Korans ist! Das Verderben wird nur noch fünf oder sechs Minuten lang das Lager umschleichen und dann über uns hereinbrechen.«

Die Kamele zitterten und stöhnten vor Angst. Sie lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälse lang und fest an den Boden geschmiegt. Die Esel schlugen um sich und versuchten, sich loszureißen.

Schwarz hatte seinen größeren Hinterlader zur Hand genommen, der Ungar seine Riesenbüchse und Ali einen langen, starken, eisenbeschlagenen Spieß, welcher seine einzige Waffe bildete.

»Zieht euch jetzt zurück!« flüsterte der erstere den beiden andern zu.

»Herr, du allein vermagst es nicht,« antwortete der Slowak.

»Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nordamerikas noch größere Gefahren glücklich überstanden habe.«

»Das mag sein; aber ich habe dich liebgewonnen und werde dich nicht verlassen.«

»Du wirst mir mit deinem Feuerprügel nur Schaden machen!«

»O nein, Herr. Es ist mein Katil elfil, dessen Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. Sag, was du willst, ich bleibe bei dir!«

Sein Ton war ein so entschlossener, daß Schwarz einsah, der treue, mutige kleine Kerl lasse sich gewiß nicht abweisen. Der Augenblick der Entscheidung nahte, es durfte keine Sekunde durch zwecklose Reden vergeudet werden. Darum sagte der Doktor:

»Nun gut, so halte dich an meine Seite, aber schieß ja nicht eher, als bis ich selbst zwei Kugeln abgegeben habe!«

Er untersuchte sein Gewehr noch einmal, trat um vielleicht zehn Schritte vor und legte sich da lang auf den Boden nieder, den linken Ellbogen auf die Erde gestemmt, um in dem Vorderarme einen festen Stützpunkt für den Lauf zu haben.

Als der Slowak sich in gleiche Stellung neben ihm niedergelassen hatte, hörten sie hinter sich ein leises Geräusch. Sie sahen sich um und erblickten Ali, den »Vater des Gelächters«, welcher hart hinter ihnen auf einem Knie ruhte, in beiden Händen die Lanze, mit der Spitze nach vorn gerichtet, das andre Ende fest in den Boden gestoßen, so daß sie selbst durch einen starken Anprall nicht aus ihrer die an der Erde Liegenden beschützenden Lage gebracht werden konnte.

»Was willst denn du?« fragte Schwarz fast zornig.

»Wenn Ihr ihn nicht sofort tötet, wird er durch die Luft nach euch springen,« antwortete der Gefragte. »Dann schnellt euch von hier fort, und ich fange ihn mit der Lanze auf, daß er sich spießt.«

Schwarz wollte antworten, wurde jedoch durch ein abermaliges Brüllen des Raubtieres daran verhindert. Es klang jetzt fast noch schrecklicher als vorher, und ganz nahe. Der Löwe war gewiß nicht mehr hundert Schritte von ihnen entfernt.

Da mußte selbst den Kühnsten ein Grauen überlaufen, doch die Nähe der Entscheidung macht das Auge und den Arm des Mutigen sicher und läßt sein Herz noch ruhiger als vorher schlagen.

»Zitterst du?« fragte der Ungar.

»Nein,« antwortete Schwarz.

»Ich auch nicht. Er kann kommen!«

Die drei hatten hinter sich das Lager. Dort brach der Löwe höchst wahrscheinlich nicht ein, da das Feuer ihn zurückschreckte. Zu ihrer Linken lag der Weiher und zur Rechten stieg der Fels empor. Zwischen diesen beiden lag ein vielleicht fünfzehn Fuß breiter Raum, in dessen Mitte sie sich befanden. Bewährte sich ihre Voraussetzung, daß das Raubtier von dieser Seite kommen werde, so konnte es ihnen nicht entgehen; es mußte an ihnen vorüber oder über sie hinweg.

Schwarz hatte seine Schutzbrille abgenommen und hielt das vor ihm liegende Terrain scharf im Auge. Da – sie schraken wirklich zusammen – ertönte das Brüllen jenseit des Wassers, hart am Rande desselben, nicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt.

 

»Jetzt aufgepaßt!« flüsterte der Slowak.

Die Gefahr verdoppelte die Schärfe ihrer Augen. Das Gehör war ihnen nichts mehr nütze, denn infolge des letzten Gebrülles fing der Schech jetzt an, mit lauter Stimme die vorhin von ihm bezeichnete Sure zu beten:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Wenn der Himmel zerreißt, pflichtgezwungen und seinem Herrn gehorchend, wenn die Erde sich ausdehnt und herauswirft, was in ihr ist, dann, o Mensch, wirst du dich bemühen, zu deinem Herrn zu gelangen – – —«

Während er in jammerndem Tone fortfuhr, hätte Schwarz ihn am liebsten niederschlagen mögen. Seine laute Stimme machte die leisen Schritte des Löwen unhörbar und konnte infolgedessen sehr leicht die Ursache des Verderbens der drei mutigen Männer sein.

Nun mußten die Augen doppelt angestrengt werden. Aber nicht sie waren es, welche den mächtigen Feind zuerst bemerkten, sondern der Geruch überzeugte die peinlich Wartenden, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Jene scharfe, penetrante Ausdünstung, welche den Raubtieren eigen ist und in jeder Menagerie beobachtet werden kann, erfüllte plötzlich die Luft, und da – – da trat er um das dichte Gestrüpp, nicht schleichend nach Tiger- oder Pantherart, sondern stolz aufgerichtet, langsamen und sichern Schrittes wie ein Herrscher, der sich in seinem Reiche weiß und es verschmäht, das, was er durch offenen Befehl erlangen kann und muß, durch niedrige Heimlichkeit zu erreichen.

Seine weitgeöffneten Augen durchforschten den Rand des dichten Buschwerkes nach einem Durchweg zu der gesuchten Beute. Da fiel sein Blick auf die drei bewegungslosen Gestalten. Er zuckte und warf sich schnell auf die Erde nieder, um den Feinden nicht die leicht verletzliche Brust zu bieten. Dann musterte er sie mit einem großen, mächtigen Blicke.

Schwarz empfand ein Gefühl, als ob man ihm mit einem Eiszapfen über das Rückgrat streiche, doch gelang es seiner Willenskraft, dasselbe zu überwinden. Er hatte die Berichte berühmter Löwenjäger gelesen, und er kannte daher das Benehmen des Tieres in einer Situation wie die gegenwärtige.

Thut der Löwe den Sprung nicht sofort, nachdem er den Feind erblickt hat, so legt er sich nieder, die hintern Pranken eingezogen und die vordern nach vorn gestreckt. Er schließt die Augen fast ganz und betrachtet den Feind durch einen dünnen Spalt der Lider. Hat er seinen Entschluß gefaßt, so hebt er den Hinterkörper ein wenig empor, um dadurch die Schnellkraft seiner Schenkelmuskeln zu erhöhen; seine Augen öffnen sich langsam, und in dem Momente, wo die Lider ganz emporgezogen sind und die sich wie ein Feuerrad bewegende Pupille voll zu sehen ist, thut er den verderblichen Sprung.

Der Schütze muß auf eins der geöffneten Augen zielen und kurz vor dem Momente des Sprunges abdrücken. Der Löwe thut, durch das Auge in das Gehirn getroffen, seinen letzten Sprung und erhält dabei den zweiten Schuß, noch während er in der Luft schwebt, in das Herz. In demselben Augenblicke muß sich der Jäger weit zur Seite werfen, um nicht von den Tatzen des verendenden Tieres noch ergriffen und verwundet zu werden.

Ganz entgegengesetzt dieser Theorie hielt dieses Tier die Augen geöffnet und sandte einen so langen, langen Blick herüber, als könne es sich ganz und gar nicht erklären, was für Geschöpfe es vor sich habe.

Das wollte Schwarz benutzen. Er richtete den Lauf seines Gewehres nach dem Kopfe des Löwen, um demselben einen Schuß in das Licht zu geben. Aber da schloß das Tier die Augen und knurrte grimmig, als ob es die Absicht des Schützen ganz genau kenne.

Es dauerte eine lange Zeit, bevor es die Lider wieder öffnete, aber nur ganz wenig. Dennoch glühte es zwischen denselben in einem Scheine hervor, welcher demjenigen einer hellgrünen Papierlaterne glich.

Die Sterne leuchteten so hell hernieder, daß man den Löwen ganz deutlich sah. Er lag hart auf dem Boden, den Kopf auf die beiden Vorderpranken gesenkt und den langen Schwanz gerade ausgestreckt. Schwarz sah ein, daß er mit dem Schusse nun noch warten müsse, bis das Raubtier die Augen weiter öffnete und den Hinterleib erhob. um sich zum Sprunge anzuschicken. Dieser Meinung schien der »Vater der elf Haare« aber nicht zu sein, denn er raunte ihm zu:

»Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!«

»Nein; noch warten!« antwortete Schwarz.

»So schieße ich, denn dann ist es zu spät.«

»Um Gottes willen noch nicht, weil —«

Er konnte nicht weiter reden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines »Elefantenmörders« auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wenn der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der »Sohn der Blattern« mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben der hochbejahrten Donnerbüchse schlug dem Kleinen mit solcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das Gewehr fallen ließ und in seiner slowakischen Muttersprache ausrief:

»Jakowa bezotschiwortj! Idi do tscherta – welche Unverschämtheit! Geh zum Henker!«

Mit der einen Hand den Kopf haltend, stieß er mit der andern den Elefantentöter weit von sich fort. Der Schlag schmerzte ihn so, daß er nur an die »Unverschämtheit« des Gewehres, nicht aber an den Löwen dachte.

Dieser war, als der Schuß krachte, aufgesprungen. Seine Augen weit öffnend, stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus und setzte zum Sprunge an. Schwarz hatte glücklicherweise seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu:

»Wirf dich zur Seite! Schnell, schnell!«

Der Genannte folgte diesem Gebote, indem er sich augenblicklich bis an die Wand des Felsens schnellte. Ob die Kugel in das Auge gedrungen sei, konnte Schwarz nicht sehen, denn kaum hatte sein Schuß gekracht, so befand der Löwe sich schon mitten im Sprunge in der Luft. Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, drückte ab und warf sich sofort mit solcher Gewalt nach links, daß er mit dem halben Körper zwischen die dichten Büsche hineinflog.

Die ungeheure und schier unglaubliche Sprungkraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an welcher er gelegen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen sich soeben noch befunden hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch Abu Dihk, der »Vater des Gelächters«, dort. So klein die Gestalt dieses wackern Händlers, so groß war seine Unerschrockenheit. Es war ihm gar nicht eingefallen, die letzte Warnung des Deutschen auf sich zu beziehen und sich auch in Sicherheit zu bringen. Auch er hatte keinen Blick von dem Löwen gewendet. Er sah ihn springen; er sah ferner, daß das Tier zwei Schritte vorwärts, da wo die Schützen gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell avancierte er, stemmte seinen Spieß von neuem ein, richtete die Spitze desselben auf den Leib des Löwen und ließ in dem Augenblicke, als sie sich einbohrte, die Lanze los und wälzte sich behend nach links, wo Schwarz lag oder vielmehr gelegen hatte, denn dieser war sofort wieder aufgesprungen und hatte das lange Messer gezogen, welches in seinem Gürtel steckte, um sein Leben Auge in Auge mit dem Raubtiere zu verteidigen, falls dasselbe nicht zu Tode getroffen sei.

Diese Vorsicht erwies sich glücklicherweise als überflüssig. Man hörte das scharfe Geräusch der zerbrechenden Lanze; der Löwe schlug auf den Boden nieder, erhob sich sofort wieder – ein sichtbares Zittern ging durch seine mächtigen Glieder – man sah ihn wanken – er wendete sich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk sich befanden, holte zum abermaligen Sprunge aus, kam aber nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und schnell ersterbendes Gebrüll ausstoßend, brach er zusammen, legte sich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die zuckenden Pranken an den Leib, streckte sie wieder aus und – blieb nun bewegungslos liegen.

Das war natürlich alles viel, viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, doch in solchen Fällen werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekunden zu Minuten, und der Geist des Menschen arbeitet so rapid schnell, daß zehn Entschlüsse sich in der Zeit folgen, welche sonst ein einziger Gedanke erfordert.