Der Scout

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»Das wird wohl kaum möglich sein. Es ist nicht so leicht, sich in Texas eines Menschen zu bemächtigen und ihn nach New-York zu bringen. Ich würde äußerst zufrieden sein, wenn es mir gelänge, William Ohlert aus den Händen seines Verführers zu befreien und wenigstens einen Theil der Summen zu retten, welche beide unterwegs einkassirt haben. Für jetzt aber würde es mich außerordentlich freuen, von Ihnen vernehmen zu können, daß Sie die Deutschen nicht länger für Barbaren halten, welche nicht lieben können. Es hat mich geschmerzt, meine Landsleute grad von Ihnen so verkannt zu sehen.«

Die Antwort war eine Entschuldigung ihrerseits und die Versicherung, daß sie sich von ihrem Irrthume bekehrt fühle. Wir schieden in herzlichster Weise von einander, und als ich langsam die Treppe hinabstieg, hatte ich das sehr wohlthuende Gefühl, einen Geniestreich ausgeführt zu haben, welcher in den Analen des ehrenwerthen Master Josy Tailor wohl kaum seines Gleichen fand.

Darum klang mein Ton wohl etwas sehr von oben herab, als ich den beiden vor dem Hause wartenden Polizisten sagte, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ich drückte ihnen ein Trinkgeld in die Hände und bewegte mich in sehr aufrechter Haltung von dannen. Es geht doch nichts über die wohlthuende Erkenntniß, ein Kerl zu sein, mit dem sich Andere nicht vergleichen dürfen!

Natürlich mußte ich möglichst schnell nach Quintana und suchte zunächst nach einem Schiffe, welches dorthin ging. Die Gelegenheit war mir nicht günstig. Ein Dampfer lag bereit, nach Tampico zu gehen, legte aber auf der Tour nirgends an. Schiffe, welche mich nach Quintana gebracht hätten, gingen erst in einigen Tagen ab. Endlich fand ich einen schnellsegelnden Klipper, welcher Ladung für Galveston hatte und nach Mittag abgehen wollte. Mit ihm konnte ich fahren. In Galveston hoffte ich, schnelle Gelegenheiten nach Quintana zu finden. Ich ordnete schnell meine Angelegenheiten und ging an Bord.

Leider sollte meine Erwartung, in Galveston ein Schiff nach Quintana zu finden, nicht zutreffen. Ich fand eine Gelegenheit über dieses Ziel hinaus, nach Matagorda, am Ausflusse des östlichen Colorado. Doch wurde mir versichert, daß es mir leicht sein werde, von dort schnell zurück nach Quintana zu kommen. Das veranlaßte mich, diese Gelegenheit zu benutzen, und die Folge zeigte, daß ich dies nicht zu bereuen hatte.

2. Kapitel. Auf dem Colorado.

Der nordamerikanische Bürgerkrieg war beendet, und der Vereinigte-Staaten-Congreß fand nun Zeit, sich wieder mit dem Auslande zu beschäftigen. Die Aufmerksamkeit des Cabinetes von Washington richtete sich nach Süden, nach Mexico, welches Land noch jetzt unter den blutigen Wirren des Kampfes zwischen der Republik und dem Kaiserthume litt.

Benito Juarez war von den Vereinigten-Staaten als Präsident der Republik von Mexico anerkannt worden, und die Ersteren weigerten sich ganz entschieden, ihn gegen Maximilian fallen zu lassen. Sie betrachteten den Kaiser nach wie vor als Usurpator und begannen, auf Napoleon jenen Druck auszuüben, welcher ihn dann zu der erzwungenen Erklärung veranlaßte, seine Truppen aus Mexico zurückzuziehen. Durch die Erfolge Preußens im deutschen Kriege indirect gezwungen, hielt er auch Wort, und von da an war der Untergang Maximilians besiegelt.

Texas hatte sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Secession erklärt und sich also an die Seite der Sklavenstaaten gestellt. Die Niederwerfung dieser Letzteren hatte keineswegs eine schnelle Beruhigung der Bevölkerung zur Folge. Man war erbittert gegen den Norden und verhielt sich in Folge dessen feindselig gegen dessen Politik. Eigentlich war die Bevölkerung von Texas gut republikanisch gesinnt. Man schwärmte für Juarez, den »indianischen Helden«, welcher sich nicht gescheut hatte, es mit Napoleon und einem Sprossen des mächtigen Hauses Habsburg aufzunehmen. Aber weil die Regierung von Washington es mit diesem »Helden« hielt, conspirirte man im Stillen gegen denselben. So ging ein tiefer Riß durch die Bevölkerung von Texas. Die Einen traten offen für Juarez auf; die Andern erklärten sich gegen denselben, nicht aus Ueberzeugung, sondern nur aus reiner Widerstandslust. In Folge dieses Zwiespalts war es nicht leicht, durch das Land zu reisen. Alle Vorsicht des Einzelnen, seine politische Farbe verbergen zu wollen, war vergeblich; man wurde förmlich gezwungen, mit derselben hervorzutreten.

Was die in Texas ansässigen Deutschen betrifft, so waren sie mit sich selbst uneins. Als Deutsche sympathisirten sie mit Maximilian, doch entsprach es ihrem Patriotismus nicht, daß er unter der Aegide Napoleons nach Mexico gekommen war. Sie hatten genug republikanische Luft eingeathmet, um zu glauben, daß der Einfall der Franzosen im Lande Montezuma’s ein ungerechter sei und nur den Zweck verfolge, durch Auffrischung der französischen Gloire den Blick der Franzosen von den eigenen unheilbaren Gebrechen abzulenken. Aus diesem Grunde verhielten sich die Deutschen schweigend und standen jeder politischen Demonstration fern, zumal sie es während des Secessionskrieges mit den Nordstaaten und gegen die Sklavenbarone gehalten hatten.

So standen die Verhältnisse, als wir die flache, langgestreckte Nehrung zu Gesicht bekamen, welche die Matagorda-Bai von dem mexicanischen Golfe trennt. Wir segelten durch den Paso Caballo ein, mußten dann aber schnell Anker fallen lassen, da die Bai so seicht ist, daß tiefer gehende Schiffe Gefahr laufen, auf den Grund zu gerathen.

Hinter der Nehrung ankerten kleinere Fahrzeuge, vor derselben in See mehrere große Schiffe, Dreimaster, und auch ein Dampfer. Ich ließ mich natürlich sofort nach Matagorda rudern, um mich zu erkundigen, ob es eine baldige Gelegenheit nach Quintana gebe. Leider hörte ich, daß erst nach Verlauf von zwei Tagen ein Schooner dorthin gehen werde. Ich saß also fest und ärgerte mich, denn Gibson erhielt nun einen Vorsprung von vier Tagen, welchen er benutzen konnte, spurlos zu verschwinden. Ich hatte nur den einen Trost, Alles gethan zu haben, was unter den obwaltenden Verhältnissen möglich gewesen war.

Da mir nichts Anderes übrig blieb, als geduldig zu warten, so suchte ich mir ein Gasthaus und ließ mein Gepäck vom Schiffe holen.

Matagorda war damals ein kleinerer Ort als jetzt. Er liegt im östlichen Theile der Bai und ist ein Hafenplatz von weit geringerer Bedeutung als zum Beispiel Galveston. Wie überall in Texas, so besteht auch hier die Küste aus einer sehr ungesunden Niederung, welche zwar nicht gerade morastig genannt werden kann, aber doch sehr wasserreich ist. Man kann sich da sehr leicht das Fieber holen, und so war es mir gar nicht lieb, hier so lange verweilen zu müssen.

Mein »Hôtel« glich einem deutschen Gasthofe dritten oder vierten Ranges, mein Zimmer einer Schiffskoje, und das Bett war so kurz, daß ich beim Schlafen entweder den Kopf oben oder die Beine unten hinaushängen lassen mußte.

Nachdem meine Sachen untergebracht waren, ging ich aus, um mir den Ort anzusehen. Aus meiner Stube tretend, mußte ich, um zur Treppe zu gelangen, an einer jetzt offen stehenden Thüre vorüber. Ich warf einen Blick in den Raum und sah, daß derselbe genau so wie der meinige möbliert war. An der Wand lag ein Sattel auf dem Boden und über demselben hing ein Zaum. In der Ecke, nahe beim Fenster, lehnte eine lange Kentuckybüchse. Ich mußte unwillkürlich an Old Death denken, doch konnten diese Gegenstände auch irgend einem Andern gehören.

Aus dem Hause getreten, schlenderte ich langsam die Gasse hinab. Als ich um die Ecke biegen wollte, wurde ich von einem Manne angerannt, welcher von der andern Seite kam und mich nicht gesehen hatte.

»Thunderstorm!« schrie er mich an. »Paßt doch auf, Sir, bevor Ihr in dieser Weise um die Ecken stürmt!«

»Wenn Ihr meinen Schneckengang für ein Stürmen haltet, so ist die Auster ein Missisippisteamer,« antwortete ich lachend.

Er fuhr einen Schritt zurück, sah mich an und rief:

»Das ist ja der deutsche Greenfisch, welcher nicht zugeben wollte, daß er ein Detective sei! Was habt Ihr denn hier in Texas und gar in Matagorda zu suchen, Sir?«

»Euch nicht, Master Death!«

»Glaube es wohl! Ihr scheint zu den Leuten zu gehören, welche niemals finden, was sie suchen, dafür aber mit allen Leuten zusammenrennen, mit denen sie nichts zu schaffen haben. Jedenfalls habt Ihr Hunger und Durst. Kommt, wir wollen uns irgendwo vor Anker legen, wo es ein gutes Bier zu trinken gibt. Euer deutsches Lagerbier scheint sich überall breit zu machen. In diesem elenden Neste ist es auch bereits zu finden, und ich calculire, daß dieses Bier das Beste ist, was man von Euch haben kann. Habt Ihr schon Logis?«

»Ja, da unten im »Uncle Sam«.«

»Sehr schön! Da habe ich auch mein Wigwam aufgeschlagen.«

»Etwa in der Stube, in welcher ich ein Reitzeug und die Büchse bemerkte, eine Treppe hoch?«

»Ja. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich von diesem Zeug nicht lasse. Es ist mir lieb geworden. Ein Pferd ist überall zu bekommen, ein guter Sattel nicht. Aber kommt, Sir! Soeben war ich in einer Bude, wo es ein kühles Bier gibt, an diesem Junitage ein wahres Labsal. Bin gern bereit, noch eins oder einige zu trinken.«

Er führte mich in ein kleines Local, in welchem Flaschenbier zu einem übrigens sehr hohen Preise ausgeschenkt wurde. Wir waren die einzigen Gäste. Ich bot ihm eine Cigarre an; er lehnte sie aber ab. Dafür zog er eine Tafel Kautabak aus der Tasche und schnitt sich von derselben ein Primchen ab, welches für fünf Vollmatrosen ausgereicht hätte. Dieses schob er in den Mund, brachte es liebevoll in der einen Backe unter und sagte dann:

»So, jetzt stehe ich Euch zu Diensten. Ich bin begierig, zu hören, welcher Wind Euch so schnell hinter mir hergetrieben hat. War es ein günstiger?«

»Im Gegentheile, ein sehr widriger.«

 

»So wolltet Ihr wohl gar nicht hierher?«

»Nein, sondern nach Quintana. Da es aber dorthin keine schnelle Gelegenheit gab, so bin ich hierher gekommen, weil man mir sagte, daß ich hier leicht ein Schiff finden werde, welches nach dem genannten Ort bestimmt sei. Leider muß ich zwei volle Tage warten.«

»Tragt das in Geduld, Master, und tröstet Euch mit der süßen Ueberzeugung, daß Ihr eben ein Pechvogel seid!«

»Schöner Trost! Meint Ihr, daß ich Euch für denselben eine Dankesadresse überreichen lassen soll?«

»Bitte,« lachte Old Death. »Gebe meinen Rath stets unentgeltlich. Uebrigens geht es mir grad so wie Euch; sitze auch so nutzlos hier, weil ich zu langsam gewesen bin. Wollte hinauf nach Austin und dann weiter, ein wenig über den Rio grande del Norte hinüber. Die Jahreszeit ist günstig. Es hat geregnet, und so besitzt der Colorado genug Wasser, um flache Dampfboote nach Austin zu tragen. Der Fluß ist nämlich den größten Theil des Jahres über sehr wasserarm.«

»Ich habe gehört, daß eine Barre die Schiffahrt hindere.«

»Das ist keine eigentliche Barre, sondern eine Raft, eine gewaltige Anschwemmung von Treibholz, welche ungefähr acht englische Meilen oberhalb von hier den Fluß zwingt, sich in mehrere Arme zu spalten. Hinter dieser Raft gibt es dann ein stetig freies Wasser, bis Austin und darüber hinaus. Da durch die Raft die Fahrt unterbrochen wird, so thut man klug, von hier aus bis hinauf zu ihr zu gehen, und erst dann an Bord zu steigen. Das wollte ich auch; aber Euer deutsches Lagerbier hatte es mir angethan. Ich trank und trank, verweilte mich in Matagorda zu lange, und als ich bei der Raft ankam, pfiff das Dampfboot eben ab. Habe also meinen Sattel wieder zurücktragen müssen und muß nun warten bis morgen früh, wo das nächste Boot abgeht.«

»So sind wir Leidensgefährten, und Ihr könnt Euch mit demselben Troste beruhigen, welchen Ihr vorhin mir zugesprochen habt. Ihr seid eben auch ein Pechvogel.«

»Der bin ich nicht. Ich verfolge Niemanden, und bei mir ist es sehr gleichgültig, ob ich heute oder in einer Woche in Austin eintreffe. Aber ärgerlich ist es doch, ganz besonders weil jener dumme Greenfrog mich auslachte. Er war schneller gewesen als ich und pfiff mich vom Verdeck herüber an, als ich mit meinem Sattel am Ufer zurückbleiben mußte. Treffe ich diesen Kerl irgendwo, so erhält er noch eine ganz andere Ohrfeige, als diejenige war, welche er am Bord unseres Dampfers einstecken mußte.«

»Ihr habt eine Prügelei gehabt, Sir?«

»Prügelei? Was meint Ihr damit, Sir? Old Death prügelt sich nie. Aber es war da ein Kerl vorhanden, welcher sich über meine Gestalt moquirte und lachte, so oft er mich sah. Da fragte ich ihn denn, was ihn so lustig mache, und als er mir antwortete, daß mein Gerippe ihn so heiter stimme, da erhielt er einen Slap in the face, daß er sich niedersetzte. Nun wollte er mit dem Revolver auf mich los, doch der Capt’n kam dazu und befahl ihm, sich von dannen zu trollen; es sei ihm recht geschehen, da er mich beleidigt habe. Darum lachte mich der Schelm aus, als ich zu spät gekommen war. Schade um den Gefährten, mit welchem er reiste! Schien ein veritabler Gentleman zu sein, nur immer traurig und düster; starrte stets wie ein geistig Gestörter vor sich hin.«

Diese letzteren Worte erregten meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade.

»Ein geistig Gestörter?« fragte ich. »Habt Ihr vielleicht seinen Namen gehört?«

»Er wurde vom Capt’n Master Ohlert genannt.«

Es war mir, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht erhalten. Hastig fragte ich weiter:

»Ah! Und sein Begleiter?«

»Hieß Clinton, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ist’s möglich, ist’s möglich?« rief ich, von meinem Stuhle aufspringend. »Diese Beiden sind an Bord mit Euch gewesen?«

Er sah mich staunend an und fragte:

»Habt Ihr einen Raptus, Sir? Ihr fahrt ja auf wie eine Rakete! Gehen Euch diese zwei Männer Etwas an?«

»Viel, sehr viel! Sie sind es ja, die ich finden will!«

Wieder ging jenes freundliche Grinsen, welches ich wiederholt bei ihm gesehen hatte, über sein Gesicht.

»Schön, schön!« nickte er. »Ihr gebt also endlich zu, daß Ihr zwei Männer sucht? Und grad diese Zwei? Hm! Ihr seid wirklich ein Greenhorn, Sir! Habt Euch selber um den schönen Fang gebracht.«

»Wieso?«

»Dadurch, daß Ihr in New-Orleans nicht aufrichtig mit mir waret.«

»Ich durfte ja nicht,« antwortete ich kleinlaut.

»Der Mensch darf Alles, was ihn zum guten Ziele führt. Hättet Ihr mir Eure Angelegenheit offenbart, so befänden sich die Beiden jetzt in Euren Händen. Ich hätte sie erkannt, sobald sie an Bord des Dampfers kamen, und Euch sofort geholt oder holen lassen. Seht Ihr das nicht ein?«

»Wer konnte denn wissen, daß Ihr dort mit ihnen zusammentreffen würdet! Uebrigens haben sie nicht nach Matagorda, sondern nach Quintana gewollt.«

»Das haben sie nur so gesagt. Sie sind dort gar nicht an’s Land gekommen. Wollt Ihr klug sein, so erzählt mir Eure Geschichte. Vielleicht ist es mir möglich, Euch behilflich zu sein, die Kerls zu erwischen.«

Der Mann meinte es aufrichtig gut mit mir. Es fiel ihm gar nicht ein, mich kränken zu wollen, und doch fühlte ich mich beschämt. Gestern hatte ich ihm die Auskunft verweigert, und heute wurde ich von den Verhältnissen gezwungen, sie ihm zu geben. Mein Selbstgefühl flüsterte mir zu, ihm nichts zu sagen; aber der Verstand behielt doch die Oberhand. Ich zog die beiden Photographien hervor, gab sie ihm und sagte:

»Bevor ich Euch eine Mittheilung mache, betrachtet Euch einmal diese Bilder. Sind das die Personen, welche Ihr meint?«

»Ja, ja, sie sind es,« nickte er, als er einen Blick auf die Photographien geworfen hatte. »Es ist gar keine Täuschung möglich.«

Ich erzählte ihm nun aufrichtig den Sachverhalt. Er hörte mir aufmerksam zu, schüttelte, als ich geendet hatte, den Kopf und sagte nachdenklich:

»Was ich da von Euch gehört habe, ist Alles glatt und klar. Nur Eins leuchtet mir nicht ein. Ist dieser William Ohlert denn vollständig wahnsinnig?«

»Nein. Ich verstehe mich zwar nicht auf Geisteskrankheiten, möchte hier aber doch nur von einer Monomanie reden, weil er, abgesehen von einem Punkte, vollständig Herr seiner geistigen Thätigkeiten ist.«

»Um so unbegreiflicher ist es mir, daß er diesem Gibson einen so unbeschränkten Einfluß auf sich einräumt. Er scheint diesem Menschen in Allem zu folgen und zu gehorchen. Jedenfalls geht dieser schlau auf die Monomanie des Kranken ein und bedient sich derselben zu seinen Zwecken. Nun, hoffentlich kommen wir hinter all’ seine Schliche.«

»Ihr seid also überzeugt, daß sie auf dem Wege nach Austin sind? Oder haben sie die Absicht, unterwegs auszusteigen?«

»Nein, Ohlert hat dem Capt’n des Dampfers gesagt, daß er nach Austin wolle.«

»Sollte mich wundern. Er wird doch nicht sagen, wohin zu gehen er beabsichtigt.«

»Warum nicht? Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet. Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. Der Capt’n sagte mir es wieder. Was gedenkt Ihr zu thun?«

»Natürlich muß ich ihnen nach und zwar schleunigst.«

»Bis morgen früh müßt Ihr trotz aller Ungeduld doch warten; es geht kein Schiff eher ab.«

»Und wann kommen wir an?«

»Unter den gegenwärtigen Wasserverhältnissen erst übermorgen.«

»Welch eine lange, lange Zeit!«

»Ihr müßt bedenken, daß die Beiden wegen der Wasserarmuth des Flusses eben auch spät ankommen. Es ist gar nicht zu vermeiden, daß das Schiff zuweilen auf den Grund fährt, und da dauert es stets eine geraume Weile, bevor es wieder loskommt.«

»Wenn man nur wüßte, was Gibson eigentlich beabsichtigt, und wohin er Ohlert schleppen will?«

»Ja, das ist freilich ein Räthsel. Irgend eine bestimmte Absicht hat er ja. Die Gelder, welche bisher erhoben worden sind, würden ausreichen, ihn zum wohlhabenden Manne zu machen. Er braucht sie nur an sich zu nehmen und Ohlert einfach sitzen zu lassen. Daß er das nicht thut, ist ein sicheres Zeichen, daß er ihn noch weiter ausbeuten will. Ich interessire mich außerordentlich für diese Angelegenheit, und da wir, wenigstens einstweilen, den gleichen Weg haben, so stelle ich mich Euch zur Verfügung, Wenn Ihr mich braucht, so könnt Ihr mich haben.«

Die Hilfe Old Death’s, die ich ein paar Tage vorher verschmäht hatte, nahm ich jetzt mit Dank an.

»Euer Anerbieten wird mit großem Danke acceptirt, Sir. Ihr flößt mir ein aufrichtiges Vertrauen ein, und Euer Wohlwollen ist mir angenehm. Ihr habt mich ein Greenhorn genannt, und ich wollte Euch deßhalb zürnen; aber ich habe nachgerade eingesehen, daß Ihr nicht Unrecht habt, und so wird mir Eure Hilfe jedenfalls von großem Vortheile sein.«

Wir schüttelten uns die Hände und leerten unsere Gläser. Hätte ich mich diesem Manne doch bereits gestern anvertraut!

Wir bekamen eben die Gläser neu gefüllt, als sich draußen ein wüster Lärm hören ließ. Johlende, menschliche Stimmen und heulendes Hundegebell kamen näher. Die Thüre wurde ungestüm aufgerissen, und sechs Männer traten ein, die alle schon ein beträchtliches Quantum getrunken haben mochten; Keiner von ihnen war mehr nüchtern zu nennen. Rohe Gestalten und Gesichter, südlich leichte Kleidung und prächtige Waffen fielen an ihnen sofort auf. Jeder von ihnen war mit Gewehr, Messer, Revolver oder Pistole versehen, außerdem hatten alle eine wuchtige Niggerpeitsche an der Seite hängen, und Jeder führte an starker Leine einen Hund bei sich. Alle diese Hunde von ungeheurer Größe waren von jener sorgfältig gezüchteten Rasse, welche man in den Südstaaten zum Einfangen flüchtig gewordener Neger verwendete, und Bluthunde oder Menschenfänger nannte.

Die Strolche starrten uns, ohne zu grüßen, mit unverschämten Blicken an, warfen sich auf die Stühle, daß diese krachten, legten die Füße auf den Tisch und trommelten mit den Absätzen auf ihm herum, womit sie an den Wirth das höfliche Ersuchen richteten, sich zu ihnen zu bemühen.

»Mensch, hast Du Bier?« schrie ihn Einer an. »Deutsches Bier?« Der geängstigte Wirth bejahte.

»Das wollen wir trinken. Aber bist Du auch selbst ein Deutscher?«

»Nein.«

»Das ist Dein Glück. Das Bier der Deutschen wollen wir trinken; sie selbst aber sollen in der Hölle braten, diese Abolitionisten, weiche dem Norden geholfen haben und schuld sind, daß wir unsere Stellen verloren!«

Der Wirth zog sich schleunigst zurück, um seine noblen Gäste so rasch wie möglich zu bedienen. Ich hatte mich unwillkürlich umgedreht, um den Sprecher anzusehen. Er bemerkte es. Ich bin überzeugt, daß in meinem Blicke gar nichts für ihn Beleidigendes lag; aber er hatte einmal keine Lust, sich ansehen zu lassen, vielleicht große Sehnsucht, mit mir anzubinden, und schrie mir zu:

»Was starrst Du mich an! Habe ich etwa nicht wahr gesprochen?«

Ich wendete mich ab und antwortete nicht.

»Nehmt Euch in Acht!« flüsterte Old Death mir zu. »Das sind Rowdies der schlimmsten Sorte. Jedenfalls entlassene Sklavenaufseher, deren Herren durch die Abschaffung der Sklaverei bankerott geworden sind. Die haben sich nun zusammengethan, um allerlei Unfug zu treiben. Es ist besser, wir beachten sie gar nicht. Trinken wir rasch aus, um dann zu gehen.«

Aber grad dieses Flüstern gefiel dem Manne nicht. Er schrie zu uns herüber:

»Was hast Du Heimliches zu reden, altes Gerippe? Wenn Du von uns sprichst, so thu’ es laut, sonst werden wir Dir den Mund öffnen!«

Old Death setzte sein Glas an den Mund und trank, sagte aber nichts. Die Leute bekamen Bier und kosteten. Das Gebräu war wirklich gut; die Gäste befanden sich aber in ächter Rowdylaune und gossen es in die Stube. Derjenige, welcher vorhin gesprochen hatte, hielt sein volles Glas noch in der Hand und rief:

»Nicht auf den Boden! Dort sitzen zwei, denen dieses Zeug sehr gut zu bekommen scheint. Sie sollen es haben.«

Er holte aus und goß sein Bier über den Tisch herüber auf uns Beide aus. Old Death fuhr sich ruhig mit dem Aermel über das naßgewordene Gesicht; ich aber brachte es nicht fertig, so ruhig wie er die schändlichsten Beleidigungen einzustecken. Mein Hut, mein Kragen, mein Rock, alles tropfte an mir, da mich der Hauptstrahl getroffen hatte. Ich drehte mich um und sagte:

»Sir, ich bitte Euch sehr, das nicht zum zweiten Male zu thun! Treibt Euern Spaß mit Euern Kameraden; wir haben nichts dagegen; uns aber laßt gefälligst in Ruhe.«

 

»So! Was würdet Ihr denn thun, wenn ich Lust empfände, Euch nochmals zu begießen?«

»Das wird sich finden.«

»Sich finden? Nun, da müssen wir doch gleich einmal sehen, was sich finden wird. Wirth, neue Gläser!«

Die Andern lachten und johlten ihrem Matador Beifall zu. Es war augenscheinlich, daß er seine Unverschämtheit wiederholen werde.

»Um Gotteswillen, Sir, bindet nicht mit den Kerlen an!« warnte mich Old Death.

»Fürchtet Ihr Euch?« fragte ich ihn.

»Fällt mir nicht ein! Aber sie sind mit den Waffen schnell bei der Hand, und gegen eine tückische Kugel vermag auch der Muthigste nichts. Bedenkt, daß sie Hunde haben!«

Die Strolche hatten ihre Hunde an die Tischbeine gebunden. Um nicht wieder von hinten getroffen zu werden, verließ ich meinen bisherigen Platz und setzte mich so, daß ich den Rowdies die rechte Seite zukehrte.

»Ah! Er setzt sich in Positur!« lachte der Wortführer. »Er will sich wehren, aber sobald er nur eine Bewegung macht, laß ich Pluto auf ihn los. Der ist auf Menschen dressirt.«

Er band den Hund los und hielt ihn an der Schnur bei sich. Noch hatte der Wirth das Bier nicht gebracht; noch war es Zeit für uns, ein Geldstück auf den Tisch zu legen und zu gehen, doch glaubte ich nicht, daß uns die Bande erlauben werde, uns zu entfernen, und sodann widerstrebte es mir, vor diesen verachtenswerthen Menschen die Flucht zu ergreifen. Denn solche Prahlhänse sind im Grund ihrer Seele Feiglinge.

Ich griff in die Tasche und spannte meinen Revolver. Im Ringen stellte ich meinen Mann; das wußte ich, doch war mir zweifelhaft, ob es mir gelingen werde, die Hunde zu bewältigen. Aber ich hatte Thiere, welche auf den Mann dressirt gewesen waren, unter den Händen gehabt, und brauchte mich wenigstens vor einem einzelnen Packer nicht zu fürchten.

Jetzt kam der Wirth. Er stellte die Gläser auf den Tisch und sagte in bittendem Tone zu seinen streitsüchtigen Gästen:

»Gentlemen, Euer Besuch ist mir sehr angenehm; aber ich bitte Euch, die beiden Männer dort in Ruhe zu lassen. Sie sind ebenfalls meine Gäste.«

»Schurke!« brüllte ihn Einer an. »Willst Du uns gute Lehren geben? Warte, wir werden Deinen Eifer gleich abkühlen.« Und der Inhalt von zwei oder drei Gläsern ergoß sich über den armen Wirth, der es für das Klügste hielt, die Stube schnell zu verlassen.

»Und nun der Großsprecher dort!« rief mein Gegner. »Er soll es haben!«

Den Hund mit der Linken haltend, schleuderte er den Inhalt seines Glases mit der Rechten nach mir. Ich fuhr vom Stuhle auf und zur Seite, so daß ich nicht getroffen wurde. Dann erhob ich die Faust, um zu ihm hinzuspringen und ihn zu züchtigen. Er aber kam mir zuvor.

»Pluto, go on!« rief er, indem er den Hund losließ und auf mich deutete.

Ich hatte grad noch Zeit, an die Wand zu treten, da that das gewaltige Thier einen wahrhaft tigerähnlichen Satz auf mich zu. Der Hund war ungefähr fünf Schritte von mir entfernt gewesen. Diesen Raum durchmaß er mit einem einzigen Sprunge. Dabei war er seiner Sache so gewiß, daß er mich mit den Zähnen bei der Gurgel fassen mußte, wenn ich stehen blieb. Aber eben als er mich packen wollte, wich ich zur Seite und er flog mit der Schnauze an die Mauer. Der Sprung war so kräftig gewesen, daß der Bluthund durch den Anprall fast betäubt wurde. Er stürzte zu Boden. Blitzschnell hatte ich ihn bei den Hinterläufen, schwang seinen Körper und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Mauer, daß der Schädel zerbrach.

Nun erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Die Hunde heulten und zerrten an ihren Leinen die Tische von der Stelle; die Männer fluchten, und der Besitzer des todten Hundes wollte sich auf mich werfen. Da aber rief Old Death, der sich erhoben hatte und den Kerls seine beiden Revolver entgegenhielt:

»Stop! Jetzt ist’s nun gerade genug, Boys. Noch einen Schritt oder einen Griff nach Euern Waffen, so schieße ich. Ihr habt Euch in uns geirrt. Ich bin Old Death, der Pfadfinder. Ich hoffe, daß Ihr von mir gehört habt. Und dieser Sir, mein Freund, fürchtet sich ebenso wenig vor Euch wie ich. Setzt Euch nieder, und trinkt euer Bier in Bescheidenheit! Keine Hand nach der Tasche, oder bei meiner Seele, ich schieße!«

Diese letzte Warnung war an einen der Sklavenaufseher gerichtet, welcher seine Hand der Tasche genähert hatte, wohl in der Absicht, nach einem Revolver zu greifen. Auch ich hatte den meinen gezogen. Wir Beide hatten achtzehn Schüsse. Ehe einer der Kerle zu seiner Waffe kam, mußte er von unserer Kugel getroffen sein. Der alte Pfadfinder schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Seine sonst gebeugte Gestalt hatte sich hoch aufgerichtet; seine Augen leuchteten, und in seinem Gesichte lag ein Ausdruck überlegener Energie, der keinen Widerstand aufkommen ließ. Spaßhaft war es, zu sehen, wie kleinlaut die vorher so frech auftretenden Menschen auf einmal wurden. Sie brummten zwar einige halblaute Bemerkungen vor sich hin, doch setzten sie sich nieder, und selbst der Herr des todten Hundes wagte es nicht, zu dem Thiere zu treten, da er sonst ganz in meine Nähe gekommen wäre.

Noch standen wir beide da, die Revolver drohend in den Händen, als ein weiterer Gast eintrat – – ein Indianer.

Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblicke der Begegnung, noch ehe sie ein Wort gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat, fühlt man deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch war dieser Indianer.

Er trug ein weißgegerbtes und mit rother, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit dicken Fransen von Scalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd und Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Moccassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem gefürchtetsten Raubthiere der Felsengebirge abgewonnen hatte. Um seine Taille schlang sich ein breiter Gürtel, aus einer kostbaren Santillodecke bestehend. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. In der Rechten hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holztheile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Den Kopf trug der Indianer unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und dennoch sagte man sich gleich beim ersten Blicke, daß dieser noch junge Mann ein Häuptling, ein berühmter Krieger sein müsse. Der Schnitt seines ernsten, männlichschönen Gesichtes konnte römisch genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor; die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen, und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

Er blieb einen Augenblick an der Thüre stehen. Ein forschender scharfer Blick seines dunklen Auges flog durch den Raum und über die in demselben befindlichen Personen; dann setzte er sich in unserer Nähe nieder, von den ihn anstarrenden Rowdies möglichst entfernt.

Man sah es ihm an, daß er die Situation sofort begriffen hatte. Seine Augen zogen sich ein ganz klein wenig und wie verächtlich zusammen, als er einen zweiten, kurzen Blick auf unsere Gegner warf, und als wir uns nun niedersetzten und die Revolver wieder einsteckten, zeigte sich ein kaum bemerkbares und, wie es schien, wohlwollendes Lächeln auf seinen Lippen.