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Der schwarze Mustang

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»Das werden sie uns sagen,« antwortete Old Shatterhand zuversichtlich.

»Wir wissen aber doch gar nicht, welche zwei von meinen vielen chinesischen Arbeitern es waren!«

»Wir werden es erfahren. Verlaßt Euch darauf!«

»Wollen wir ihre Spur nicht auch untersuchen?«

»Jetzt noch nicht. Wir müssen vorher zu dem Mestizen. Er soll fliehen.«

»Fliehen?« fragte der Engineer, im höchsten Grade erstaunt. »Welch ein Gedanke!«

»Wieso?«

»Entweder ist er der bravste Mensch, für den ich ihn halte, und da braucht er nicht zu fliehen, oder er ist ein Schurke, der uns an die Indianer verraten will, und da darf ich ihn nicht entkommen lassen.«

»So denkt Ihr, ich aber denke anders. Er ist der Enkel des Komantschenhäuptlings Tokvi Kava und hat sich unter ehrlicher Maske bei Euch eingeschmeichelt, um Euch seinem roten Großvater zu überliefern. Dieser hat heut vier Boten zu ihm geschickt oder ist vielleicht gar selbst mit hier gewesen, um die Zeit und Art des Überfalles zu bestimmen. Ich möchte behaupten, daß Tokvi Kava mit hier gewesen ist. Was sagt mein Bruder Winnetou dazu?«

»Der ›schwarze Mustang‹ war da,« antwortete der Apatsche mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er ihn gesehen hätte.

»Gewiß! Denn nur so ein Krieger wie er konnte auf den Gedanken kommen, unsre Pferde zu stehlen. Er hat gehört, daß wir hier sind, und wird den Überfall des Camp einstweilen aufgeben, bis wir dieses verlassen haben. Zu Eurer Sicherheit aber ist unbedingt erforderlich, zu erfahren, was gegen Euch im Werke liegt, und wann es ausgeführt werden soll. Das könnt Ihr aber nicht hören, wenn der Mestize hier bleibt.«

»Sir,« antwortete der Engineer ungläubig, »ich weiß, wer Ihr seid, und was ich von Euch zu halten habe, aber Ihr redet für mich in Rätseln. Ich muß Euch zu meinem großen Schrecken glauben, daß die Roten etwas gegen uns vorhaben, denn sonst hätten sie keine Kundschafter hergeschickt; aber was ich darüber wissen muß, kann ich doch am besten und am sichersten von dem Mestizen erfahren, wenn er wirklich, wie Ihr behauptet, der Verbündete der Roten ist.«

»Ihr denkt, er sagt es Euch?«

»Ich zwinge ihn dazu!«

» Pshaw! Ich wüßte nicht, wie Ihr das anfangen wolltet!«

»Ihr werdet mir dabei helfen, Sir!«

»Das kann ich nicht, denn er würde mir eben so wenig sagen wie Euch. Es gibt nur das eine sichere Mittel, alles zu erfahren: wir müssen ihm Angst einjagen, daß er sich aus dem Staube macht.«

»Aber, wenn er fort ist, erfahren wir erst recht nichts, Mister Shatterhand!«

»Im Gegenteil. Habt Ihr nicht gehört, daß wir morgen nach dem Alder-Spring wollen?«

»Ja.«

»Der Mestize hat es auch gehört und wird es den Roten mitgeteilt haben. Ich bin überzeugt, daß sie hinreiten, um uns aufzulauern und zu fangen. Wir werden uns aber nicht erwischen lassen, sondern im Gegenteil sie belauschen.«

»Sir, das ist unendlich gefährlich!«

»Für uns nicht, und für Euch hat es den Zweck, daß Ihr dann wißt, woran Ihr seid.«

»Wie werde ich es denn erfahren? Wollt Ihr etwa wiederkommen?«

»Wenn wir erfahren, daß Ihr Euch in Gefahr befindet, kommen wir ganz gewiß zurück, um Euch beizustehen. Nur müßt Ihr heut den Mestizen laufen lassen.«

»Und wenn er nicht läuft?«

»Er läuft! Wo pflegt er zu schlafen? Etwa bei den Arbeitern?«

»Nein. Er hat sich da hinten an dem Gebüsch ein halbindianisches Wigwam errichtet.«

»Um nicht beobachtet zu werden. Ganz richtig! Er hat ein Pferd?«

»Ja. Es ist stets in der Nähe dieses Wigwams angepflockt.«

»Gut! Mein Bruder Winnetou wird sich jetzt dorthin begeben und sich verstecken, um ihn zu beobachten, damit wir wirklich wissen, ob er fort ist oder nicht. Ich aber gehe in den Shop, um ihm die nötige Angst einzujagen. Macht aber ja keinen Fehler, Sir! Er soll denken, wir wissen nicht, daß die Pferde von Indianern gestohlen worden sind, sondern vielmehr glauben, wir nehmen an, daß sie sich im Schuppen losgerissen haben.«

»Well. Darf ich mit Euch gehen?«

»Ja. Vorher aber beschreibt Ihr Winnetou genau, wo das Wigwam liegt.«

Winnetou hatte zu der ganzen Unterhaltung nur wenige Worte beigetragen; er hörte jetzt die Beschreibung des Platzes auch ganz ruhig an und ging dann fort. Das war so seine Art und Weise und für Old Shatterhand der Beweis, daß er mit allem, was dieser gesagt und geplant hatte, einverstanden war. Als er sich entfernt hatte, gingen die beiden nach dem Shop. Sie fanden den Mestizen in reger Unterhaltung mit den beiden Timpes, denen es gelungen war, ihn vollständig zu fesseln. Er warf einen heimlich sein sollenden, mißtrauisch forschenden Blick auf den weißen Jäger, und dieser that so, als ob er ihn nicht bemerkt hätte. Der gute Kas hielt in der Erzählung, die er eben vortrug, inne und erkundigte sich:

»Nun, Mister Shatterhand, wie habt Ihr es im Schuppen gefunden? Wer hatte recht, Ihr oder Winnetou?«

»Ich. Von einem Pferdediebstahl war keine Rede. Wir hatten vergessen, die Thür zu verriegeln, und da muß irgend ein Tier hineingeraten sein und die Hengste ängstlich gemacht haben. Sie haben sich losgerissen und das Weite gesucht, sich aber glücklicherweise wieder hierhergefunden. Darüber können wir also beruhigt sein, umsoweniger aber über einen andern Umstand.«

»Über welchen?«

»Es sind Rote hier gewesen.«

»Einer doch wohl nur? Ich meine diesen sogenannten Juwaruwa, der da im Shop war.«

»Er war nicht allein. Es gehörten noch drei andre Rote zu ihm, die draußen auf ihn warteten.«

»Alle Wetter!« rief Kas, indem er seinen Strohhut weit aus der Stirn schob. »Noch drei andre! So ist dieser elende Halunke also wohl doch noch ein Spion gewesen?«

»Ich bin überzeugt davon und behaupte, daß sich hier im Camp ein Verbündeter von den Roten befindet.«

» All devils! Wenn das wahr wäre! Wer könnte das sein?«

»Ich weiß es; aber fragt einmal Yato Inda danach, der da neben Euch sitzt; der weiß es ebenso gut wie ich.«

Da drehte sich der Mestize langsam nach Old Shatterhand um, blitzte ihn mit zornig funkelnden Augen an und fragte in feindseligem Tone:

»Was soll ich wissen, Sir?«

»Was ich diesem Gentleman hier gesagt habe.«

»Ich weiß gar nichts.«

»So kommt, Mesch‘schurs; ich will euch etwas zeigen. Yato Inda mag auch mitgehen!«

»Wo ist Mr. Winnetou?« fragte Kas, indem er mit den andern aufstand.

»Im Schuppen bei den Pferden, um zu wachen, daß sie nicht wieder aufgeregt werden.«

Sie gingen alle hinaus, auch die weißen Arbeiter mit; der Mestize aber blieb sitzen. Da wendete Old Shatterhand unter der Thür sich nach ihm um und sagte:

»Ich habe alle aufgefordert, mitzugehen. Wer zurückbleibt, der bekommt es mit mir zu thun. Ich scherze nicht.«

Old Shatterhands drohendes Auge sagte noch mehr, als diese Worte enthielten. Der Mestize stand auf und kam hinterher. Old Shatterhand trug die Laterne wieder und führte die Männer zu der Fährte, welche der Mestize gemacht hatte, als er aus dem Shop zu den auf ihn wartenden Komantschen gegangen war. Er leuchtete auf dieselben nieder und sagte:

»Seht euch diese Stapfen genau an, Mesch‘schurs! Es sind die Spuren eines Halunken, der euch alle ins Verderben führen will. Ich werde euch nachher die Füße zeigen, die ganz genau in diese Eindrücke passen. Den Kerl lynchen wir!«

»Ins Verderben führen?« fragte der Aufseher erschrocken. »Wieso?«

»Er verkehrt mit feindlichen Indianern, die wahrscheinlich das Camp überfallen wollen, und hat sich unter einem falschen Namen bei euch eingeschmuggelt, um ihnen die Sache leicht zu machen.«

»Indianer? Ist das möglich?«

»Ja, der Rote, welcher vorhin hier war, war ein Spion von ihnen, der ihn hinausschicken sollte. Wir sahen, daß sie Zeichen miteinander auswechselten.«

»Wer ist der Schuft? Sagt es, Sir, sagt es!«

»Später! Erst will ich euch Beweise geben. Ihr seht, daß ich seinen Stapfen folge, und werdet bald erfahren, wohin sie führen.«

Old Shatterhand ging auf der Spur weiter, und sie folgten ihm, bis er stehen blieb, auf den Boden leuchtete und sagte:

»Seht her! Hier haben drei Indianer gestanden und auf ihn gewartet, während der vierte, der sich Juwaruwa nannte, sich bei uns im Shop befand und ihm heimlich zuwinkte. Überzeugt euch genau, daß diese Eindrücke von Indianern strammen!«

Da sagte Has, indem er seinen langen, schwarzen Schnurrbart grimmig auseinanderzog:

»Das bedarf gar keiner besonderen Überzeugung, Sir. Man sieht es doch gleich mit dem ersten Blick, daß es sich um Rote handelt. Alle Wetter! Das Camp steht in Gefahr. Zeigt uns den Burschen, damit wir ihn ein wenig aufhängen! Es gibt hier Bäume genug, die hübsche, starke Äste haben.«

»Wartet nur noch ein kleines Weilchen! Wir müssen der Spur noch weiter folgen. Ihr sollt ganz genau sehen, wie er gegangen ist.«

Der Mestize stand dabei und hörte natürlich alles, was gesprochen wurde. Old Shatterhand ließ den Schein der Laterne zuweilen über sein Gesicht gleiten und sah dabei den irren, ängstlichen Blick, mit dem das dunkle Auge um sich sah.

Es ging weiter, hinter den Shop herum, wo Old Shatterhand wieder stehen blieb und erklärte:

»Dann sind sie hierher gegangen und lange hier stehen geblieben, wie ihr aus den Spuren erseht. Denn dort, auf der Vorderseite fühlten sie sich nicht sicher, weil Winnetou und ich hier waren. Sie glaubten, wir würden sie beschleichen. Hier haben sie von uns und von dem Überfalle gesprochen, den sie planen. Dann sind die drei Roten ein Stück weiter gegangen, um auf Juwaruwa zu warten, der da zu ihnen stieß. Der Verräter aber ist von hier nach dem Shop zurückgekehrt. Ich bin kein Freund von solchen Schauspielen, hier aber haben wir es mit einem Schurken zu thun, der unbedingt gelyncht werden muß.«

»Wer ist es, wer, wer, wer?« wurde rund im Kreise gefragt. Nur der Mestize war still.

 

»Sogleich, sogleich werdet ihr es erfahren! Nur wollen wir der Fährte noch ein Stückchen folgen, bis sie so deutlich wird, daß ich euch zeigen kann, wie genau sein Fuß hineinpaßt. Kommt, Mesch‘schurs.«

Indem er die Männer wieder nach der vorderen Seite des Shop führte, paßte er mit scharfem Blicke auf den Mestizen auf. Dieser folgte langsam nur noch einige Schritte und that dann einige schnelle Sprünge auf die Seite; er war nicht mehr zu sehen. Nun war es Zeit. Der Mischling durfte nicht zu Atem und noch viel weniger auf den Gedanken kommen, hier zu bleiben und sich zu verstecken, um zu belauschen, was die Bewohner des Camps vornehmen würden. Darum blieb Old Shatterhand schon nach kurzer Zeit stehen und sagte:

»Hier ist die Stelle, wo ihr es erfahren sollt. Yato Inda mag her zu mir kommen und – ah,« unterbrach er sich, »wo ist der Mestize?«

»Der Mestize?« wurde gefragt. »Ist er es etwa? Ist er es?«

»Natürlich der! Ich glaubte, ihr würdet es erraten. Er heißt nicht Yato Inda, sondern Ik Senanda und ist ein Enkel des ›schwarzen Mustang‹. Dieser will das Camp überfallen und hat ihn hergeschickt, um die beste Gelegenheit dazu auszuspähen.«

Da erhob sich ein Schreien, Brüllen und Rufen nach dem Entflohenen, welches weithin durch das Thal erschallte. Old Shatterhand aber überrief sie noch mit seiner mächtigen Stimme:

»Wozu dieser unnütze Lärm! Er ist nach seinem Wigwam gelaufen, um sein Pferd zu holen und zu fliehen. Eilt ihm nach, damit er nicht entkommt!«

»Nach seinem Wigwam?« rief einer immer lauter als der andre. »Ja, nach seinem Wigwam! Ihm nach, dorthin, dorthin, daß wir ihn fangen!«

Sie rannten fort und Old Shatterhand blieb mit dem Engineer allein zurück.

»Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte lächelnd der erstere den letzteren. »Ist es nicht gelungen?«

»Ja, wenn Ihr Euch in dem Mestizen nicht dennoch irrt. Es wird mir wirklich schwer, ihn für einen so schlechten Menschen zu halten.«

»Würde er geflohen sein, wenn er es nicht wäre?«

»Das ist freilich wahr. Aber dann müssen wir Gott heilig danken, daß er Euch zu uns geführt hat. Was wäre aus uns geworden! Die Roten hätten uns alles, alles abgenommen, sogar das Leben, denke ich!«

»Das Leben und die Skalpe, wohl auch die Vorräte und alles andre außer dem Gelde; das hat der Mestize jedenfalls für sich ausbedungen. Ich kenne das und habe es wiederholt erlebt. Doch horcht! Hört Ihr nichts, Sir?«

»Ja, dort drüben rennt ein Pferd.«

»Es ist das seinige; er reitet fort, getrieben von der Angst vor dem Richter Lynch. Es wird ihm nicht einfallen, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen. Wir sind ihn los.«

»Aber für wie lange! Er wird zu den Komantschen reiten und mit ihnen wiederkommen.«

»Dann reiten wir ihm nach und sind noch vor ihm wieder hier. Ihr braucht keine Sorge zu haben. Hört Ihr das Brüllen Eurer Leute? Sie suchen noch nach ihm und finden ihn nicht. Ah, nun lassen sie ihren Ärger an seinem Wigwam aus!«

Sie sahen drüben am Gebüsch eine erst kleine Flamme aufzüngeln, welche aber trotz der vom Regen zurückgebliebenen Nässe bald größer und größer wurde. Die Arbeiter hatten das Wigwam angebrannt. Beim Scheine des Feuers sahen die beiden Winnetou auf sich zukommen. Als er sie erreichte, blieb er stehen und sagte:

»Winnetou lag auf der Lauer und hörte den Mestizen gelaufen kommen und in sein Wigwam treten. Da erschallte das Rachegeschrei der Männer, und das Halbblut stürzte vor Angst wieder hinaus, rannte zu seinem Pferde, stieg auf und ritt davon.«

»Wird er weit reiten oder heimlich doch hier bleiben?« fragte Old Shatterhand, um zu hören, was Winnetou über diesen Punkt dachte.

»Er wird weit, weit reiten und nicht eher anhalten, als bis er von uns heut nicht mehr erreicht werden kann. Ich habe das Sausen seines Atems gehört und daraus vernommen, daß seine Angst eine so große war, daß es ihm gewiß nicht einfällt, hier zu bleiben.«

»Das denke ich auch. Wir können also unsre unterbrochene Forschung wieder aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, dabei heimlich von ihm beobachtet zu werden.«

»Welche Forschung?«

»Nach den Spuren der beiden Chinesen, die wir noch nicht ausgekundschaftet haben.‹,

»Dürfen die andern dabei sein?«

»Höchstens die beiden Timpe. Wenn mehr mitgehen, können sie nur die Fährte leicht verderben.«

Die Arbeiter kehrten jetzt von der ergebnislosen Verfolgung des Mestizen zurück. Sie wollten von Old Shatterhand Auskunft über seinen Verdacht und was mit diesem zusammenhing, haben; er forderte sie auf, in den Shop zu gehen und dort eine kurze Zeit zu warten; er werde bald nachkommen und ihnen alles erklären. Dann wendete er sich mit Winnetou, dem Engineer und den beiden Timpes wieder nach der Hinterseite des Shop, wo er vorhin die Spuren der zwei Chinesen gesehen hatte, ohne ihnen zu folgen. Sie fanden sie beim Scheine der Laterne leicht wieder und gingen ihnen nach.

Sie hatten angenommen, daß diese Fährte um zwei Ecken des Gebäudes nach dem Eingange zum Shop führen werde, sahen aber bald, daß dies nicht der Fall war, denn sie ging weiter bis zur Wohnung des Engineers, und zwar nach der hinteren Seite derselben. Dort lehnte eine Leiter, die bis zum Dache ging, an der Mauer.

»Uff!« rief der Apatsche dem Engineer zu. »Lehnt diese Leiter immer hier?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte.

»Lehnte sie aber vielleicht schon da, als wir vorhin im Innern dieses Hauses waren?«

»Ich weiß nichts davon. Die Sache kommt mir außerordentlich verdächtig vor. Wer mag das gewesen sein?«

»Die Chinesen natürlich!« antwortete Old Shatterhand. »Ihr seid wahrscheinlich bestohlen worden, Sir, und wir mit!«

»Uff, uff!« stimmte der Apatsche bei. »Unsre Gewehre sind verschwunden.«

»Seid Ihr, – nehmt es mir nicht übel, Mister Winnetou, aber seid Ihr nicht recht gescheidt?« rief der Engineer erschrocken.

»Sie sind fort,« wiederholte der Häuptling.

»Ja, das sage ich auch,« erklärte Old Shatterhand ohne alle Aufregung.

»Und das sagt Ihr in einem so ruhigen Tone, als ob es sich nur um einige Zündhölzer anstatt um die drei kostbarsten Gewehre des wilden Westens handelte!«

»Was könnte die Aufregung nützen? Sie würde nur schaden. Je ruhiger wir die Sache hinnehmen, desto eher und sicherer bekommen wir unsre Gewehre wieder.«

»Ich kann es mir nicht denken, aber wenn es wirklich so ist, dann müssen die Spitzbuben die Gewehre sofort herausgeben, und ich jage sie fort, nachdem ich sie habe halb oder dreiviertel tot prügeln lassen!«

»Sie können sie nicht herausgeben.«

»Nicht? Warum?«

»Weil sie sie nicht mehr haben.«

»Wer denn?«

»Die Komantschen.«

»Zum Kuckuck! Das wäre schlimm, sehr schlimm für Euch! Wie kommt Ihr denn auf diesen unglückseligen Gedanken?«

»Auf die einfachste Weise. Die Spuren der beiden Chinesen stoßen mit denen der Komantschen zusammen und gehen dann gleich wieder zurück. Die Roten haben die Gewehre erhalten.«

»So denkt Ihr, daß die Flinten extra für die Indianer gestohlen worden sind?«

»Nein! Vorhin freilich, als ich die Fährten zum erstenmal beisammen sah, war ich geneigt, anzunehmen, daß die Indsmen mit diesen zwei Chinesen im geheimen Einverständnisse seien, jetzt aber bin ich überzeugt, daß dem nicht so ist. Die Chinesen haben den Diebstahl für sich ausgeführt; als sie dann fortgingen, um die Gewehre zu verstecken, sind sie auf die Indianer gestoßen und von diesen gezwungen worden, die Waffen herzugeben.«

»Das ist freilich möglich, aber wir haben ja noch gar keine Sicherheit. Wir können noch gar nicht behaupten, daß es sich wirklich um eure Gewehre handelt. Kommt, wir wollen hineingehen und nachsehen! Hoffentlich habt Ihr Euch getäuscht.«

»Wir täuschen uns nicht. Haben Eure Chinesen Gewehre?«

»Nein.«

»Also! Seht hier diese drei Eindrücke im schlammigen Boden! Sie können nur von Gewehrkolben herrühren. Die Diebe haben, als sie von der Leiter kamen, sich die Hände auf einen Augenblick frei gemacht und die Büchsen an die Mauer gelehnt. Drei Stück, ein großer, ein mittlerer und ein kleinerer Eindruck; das ist der Bärentöter, die Silberbüchse und der Henrystutzen. Weitere Beweise brauchen wir nicht.«

»Es ist wahr; es ist wirklich wahr!« rief der Engineer aus, als er die drei Löcher im Schlamm angesehen hatte. »Wahrhaftig, das sind Chinesen gewesen! Ich lasse sie zu Tode peitschen! Welche zwei aber mögen es unter so vielen gewesen sein?«

»Wir werden sie entdecken. Wir haben hier ihre Spuren, was freilich nicht viel sagen will. Vielleicht finden wir drin im Hause einen Anhaltspunkt. Und wenn das nicht sein sollte, so gibt es im Kopfe eines guten Westmannes noch andre Haken, an denen man dergleichen Spitzbuben aufhängen kann.«

»Wollen es hoffen, Sir! Donner und Doria! Es ist eigentlich eine ganz und gar armselige Blamage für mich und unser Camp. Erst diese Freude und Ehre, so berühmte Westmänner bei uns zu sehen, und nun stellt es sich heraus, daß Ihr auf eine so raffinierte und freche Weise bestohlen worden seid! Ich möchte nur wissen, wie die Halunken auf diesen Gedanken gekommen sind: sie brauchen diese Waffen doch gar nicht; sie können gar nicht mit ihnen umgehen. Welchen Zweck hatten sie eigentlich dabei?«

»Das ist mir freilich auch ein Rätsel, welches sich aber schon noch lösen lassen wird.«

Da sagte Kas, der Blonde:

»Ich weiß nicht, ob es ein guter oder ein alberner Gedanke von mir ist, Sir, aber mir ist soeben eine Art von Erklärung eingefallen.«

»Welche?«

»Ehe Ihr kamt, war die Rede von Euch. Wir sprachen da natürlich auch von Euren Gewehren, und daß sie von einem so hohen Werte sind, daß man ihn eigentlich gar nicht bestimmen kann. Sollten einige von diesen gelben Zopfmännern das gehört haben und dadurch auf den Gedanken geraten sein, die kostbaren Waffen zu stehlen, um sie später zu einem hohen Preise zu verkaufen?«

»Hm! Dieser Gedanke ist gar nicht dumm, Mister Timpe. Vielleicht habt Ihr das Richtige getroffen. Die beiden Abteilungen des Shops sind nur durch einen dünnen Verschlag voneinander getrennt, durch welchen das, was gesprochen worden ist, leicht gehört werden konnte. Und wenn ich mich nicht irre, saßen zwei Chinesen ganz nahe an diesem Verschlage auf einer Bank allein.«

»Das ist richtig,« stimmte der Engineer bei. »Das waren die beiden Firsthands [Vorarbeiter.], deren wir uns als Vermittler bedienen.«

»Muß man da nicht annehmen, daß sie ehrliche Leute sind?« fragte Old Shatterhand.

»Das nicht, Sir! Diese Burschen sind alle Halunken, vom ersten bis zum letzten. Sie stehlen nur dann nicht, wenn es nichts zu stehlen gibt, und ihr Hauptgrundsatz ist der, daß es keine Sünde und Schande, sondern vielmehr ein gutes Werk und eine Ehre ist, den Weißen so viel wie möglich zu übervorteilen. Daß ein Chinese es bis zum Firsthand gebracht hat, ist gar kein Grund, darauf zu schließen, daß er ehrlicher als die andern sei, sondern grad im Gegenteile: er ist intelligenter, und also darf man ihm noch weniger trauen. Wollen wir uns die beiden einmal gründlich vornehmen?«

»Ja. Zunächst aber treten wir hier in das Haus, damit Ihr Euch überzeugen könnt, daß die Gewehre verschwunden sind.«

Der Engineer schloß die Thür auf und brannte drinnen ein Licht an. Bei dem Scheine desselben sah man nicht nur, daß die Gewehre fehlten, sondern erkannte auch die Art und Weise, in der sie gestohlen worden waren, denn in der Decke war ein Loch, durch welches die Diebe Zugang gefunden hatten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß den beiden Geschädigten der Verlust ihrer unvergleichlichen Waffen nicht gleichgültig war; aber ihre Gewöhnung, sich in allen Lagen zu beherrschen, hatte zur Folge, daß sie kein klagendes Wort darüber äußerten. Der Engineer aber zeigte sich wütend und versicherte, daß er die Thäter totprügeln lassen werde.

»Erst müssen wir sie entdecken,« meinte Old Shatterhand ruhig. »Und selbst dann, wenn wir sie haben, werde ich gegen eine so unmenschliche Bestrafung sein.«

»Sollen sie etwa gar straflos ausgehen, Sir?« fragte der Beamte.

»Nein; aber wir können Justiz üben, ohne grausam zu sein.«

»Bedenkt, daß wir uns im wilden Westen befinden! Im Osten würde man die Diebe auf einige Zeit einsperren; hier aber gilt das Gesetz der Prairie. Nach diesem wird ein Pferdedieb mit dem Tode bestraft, und ich denke, daß die gestohlenen Waffen mehr wert sind, als ein Pferd. Nicht?«

»Allerdings. Dennoch bitte ich Euch, es lieber uns zu überlassen, die Strafe zu bestimmen; sie wird groß genug, aber nicht ungerecht sein. Jetzt wollen wir nach dem Shop gehen, um die Chinesen vorzunehmen.«

Die Arbeiter waren alle noch munter. Selbst diejenigen, die sich vorher niedergelegt gehabt hatten, saßen wieder an den Tischen, um sich über das, was passiert war, zu unterhalten. Die beiden Firsthands hatten ihre vorigen Plätze eingenommen; sie fühlten sich nicht sicher und betrachteten die Eintretenden mit ängstlich forschenden Blicken. Old Shatterhand forderte sie kurz und in bestimmtem Tone auf:

 

»Kommt einmal mit uns herein in die andre Abteilung!«

Sie standen auf und folgten. Dabei raunte der eine dem andern zu:

» Schuet put tek!«

Dem scharfen Ohre Old Shatterhands entgingen diese Worte nicht; als er sie hörte, breitete sich ein leises befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Der Sprecher hatte sich seiner heimatlichen, also der chinesischen Sprache bedient und dabei sehr leise gesprochen; er war also vollständig davon überzeugt, nicht verstanden worden zu sein, denn selbst falls seine Worte an irgend ein Ohr gedrungen sein sollten, gab es doch hier, so weit von China entfernt und mitten in der Wildnis, gewiß keinen Menschen, welcher der chinesischen Sprache mächtig war. Er ahnte nicht, daß Old Shatterhand sich während seiner langen und weiten Reisen auch in China aufgehalten hatte, und nie ein Land besuchte, ohne vorher die Sprache desselben kennen zu lernen.

Als sie dann drin in der kleinen Abteilung vor ihm standen, ließ er seinen durchdringenden Blick scharf über sie gleiten und sagte, indem er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und den Hahn desselben drohend knacken ließ:

»Ihr befindet euch in einem fremden Lande. Kennt ihr die Gesetze desselben?«

Sie hoben ihre Augen frech zu ihm auf, und der eine antwortete:

»Dieses Land hat sehr viele Gesetze, welche davon meint Ihr, Sir?«

»Die, welche sich auf den Diebstahl beziehen.«

»Die kennen wir.«

»So sag einmal, womit der Diebstahl bestraft wird!«

»Mit Gefängnis.«

»Ja, aber nicht hier in dieser Gegend. Wer hier im wilden Westen Waffen oder Pferde stiehlt, der wird entweder erschossen oder aufgehängt. Wißt ihr das?«

»Wir haben davon gehört; aber es geht uns nichts an, denn wir werden uns nie an einem fremden Gut vergreifen.«

»Lüge nicht!«

»Was sprecht Ihr, Sir? Ich habe nicht gelogen! Wir haben vernommen, daß Ihr ein großer und ein berühmter Mann seid; aber auch wir sind keine gewöhnlichen Leute, sondern Firsthands hier, die sich nicht beleidigen lassen!«

»Pshaw! Dein Ton soll bald ein andrer werden, Bursche! Wenn ihr aufrichtig gesteht, werden wir glimpflich mit euch verfahren; leugnet ihr aber, so habt ihr keine Nachsicht zu erwarten. Ihr habt unsre drei Gewehre gestohlen?«

Der Mann zeigte eine möglichst unbefangene Miene, schüttelte verwundert den Kopf und antwortete:

»Gewehre gestohlen? Wir? Wie kommt Ihr auf diese Idee, die uns ganz unbegreiflich ist? Sind Euch Eure Gewehre abhanden gekommen?«

Er sagte das in einem so kindlich aufrichtigen und unschuldigen Tone, daß Old Shatterhand ausholte und ihm eine solche Ohrfeige verabreichte, daß der Getroffene zwischen den Tischen hindurch bis an den fernen Schenktisch flog, wo er Mühe hatte, sich langsam aufzuraffen. Der Jäger würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern wendete sich an den andern:

»Du hast jetzt gesehen, wie ich die Lüge und die Frechheit beantwortete. Sage also die reine Wahrheit! Ihr habt unsre Gewehre gestohlen!«

»Nein!« behauptete trotzdem der Gefragte.

»Ihr seid in das Haus des Engineers eingestiegen?«

»Nein!«

»Als ihr dann die Gewehre verstecken wolltet, sind sie euch von Indianern abgenommen worden?«

»Nein!« behauptete der Chinese zum drittenmal, aber weit weniger zuversichtlich als bisher.

»Mensch, ich warne dich! Dein Kumpan hat dich zwar aufgefordert zu leugnen, aber es ist weit besser für dich, aufrichtig zu sein.«

»Wann soll er mich aufgefordert haben, Sir?«

»Vorhin, als ihr von euren Plätzen aufstandet.«

»Ich weiß nichts, Sir!«

»Du weißt es, denn du hast gehört, daß er leise zu dir ›schuet put tek‹ sagte!«

»Ja, das hat er gesagt.«

»Nun, was bedeuten diese chinesischen Worte?«

»Sie heißen: ›Komm, wir gehen mit!‹ Er sagte das, weil wir mit Euch gehen sollten.«

»Höre, du bist ein Pfiffikus; aber mich täuschest du nicht. Kommen heißt ›lai‹, und gehen heißt ›k‘iu‹; schuet put tek aber heißt: ›es darf nichts gestanden werden‹. Willst du das etwa auch leugnen?«

Der noch am Schenktische stehende Chinese hatte sich bis jetzt die schmerzende Wange gehalten; nun aber schlug er erschrocken die Hände zusammen; der andre war zwei, drei Schritte zurückgefahren, starrte den Jäger mit weit geöffneten Augen an und fragte stockend und entsetzt:

»Wie? Ihr – – Ihr – – könnt – – könnt – chinesisch sprechen?«

Old Shatterhand benutzte dieses Entsetzen, den Burschen zu überrumpeln, indem er schnell fragte:

»Wer war der Indianer, der euch die Gewehre abgezwungen hat?«

Der Chinese ging gedankenlos in die Falle, denn er antwortete ohne Überlegung:

»Er nannte sich den ›schwarzen Mustang‹, den Häuptling der Komantschen.«

» Put yen put jii, put yen put jii!« schrie der erste Chinese vom Schenktische her.

Dieser ängstliche Zuruf heißt so viel wie: »Kein Wort reden, kein Wort reden!«

» Tien na, agai yn – mein Himmel, o wehe, wehe!« rief sein Kumpan, der jetzt einsah, was für einen Fehler er begangen hatte.

»Schweigt!« lachte Old Shatterhand. »Ihr habt ja gehört, daß euer Chinesisch euch nichts nützt! Ihr seid jetzt überführt und werdet unbedingt noch heut abend erschossen oder aufgehängt, wenn ihr noch weiter leugnet. Erzählt ihr uns aber genau, wie es geschehen ist, so werden wir euch das Leben schenken.«

»Das Leben schenken?« fragte der zweite Chinese, der weniger hartköpfig als der erste war. »Was wird aber dann unsre Strafe sein?«

»Das richtet sich ganz nach eurer Aufrichtigkeit. Wenn ihr nichts, aber auch gar nichts verschweigt, so kommt ihr jedenfalls besser weg, als ihr es selbst verlangen könnt.«

»So werde ich es sagen; ja, ich erzähle es!«

Der Chinese warf einen fragenden Blick zu seinem Mitdiebe hinüber, der ihm bejahend zuwinkte, denn er sah nun auch ein, daß es geraten sei, den in den Schmutz geratenen Karren nicht weiter hineinzuschieben. Er wagte sich, die brennende Wange wieder haltend, näher heran, und nun erzählten beide, halb freiwillig und halb sich ausfragen lassend, wie sich die Sache ereignet hatte. Als sie alles gestanden hatten, wendete sich der aufrichtigere von ihnen an Old Shatterhand:

»Nun wißt Ihr alles, Sir; wir haben Euch nichts mehr zu sagen und sind deshalb überzeugt, daß Ihr uns die Strafe ganz erlassen werdet.«

Da fuhr der Engineer ihn an:

»Was fällt dir ein, du Dieb? Die Strafe ganz erlassen? Keinesfalls! Weißt du, was es heißt, einem Westmann seine Waffen zu stehlen? Das heißt, ihn in den sichern Tod jagen! Und nun gar solche Gewehre! Ich wollte euch totprügeln lassen; aber da Mister Shatterhand nicht damit einverstanden war und ihr euch auch zu einem Geständnisse herbeigelassen habt, will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und euch nur hundert Hiebe zudiktieren.«

Infolge dieser Drohung erhoben beide ein lautes Wehegeschrei. Winnetou ließ ein verächtliches »Uff!« hören und wurde von Old Shatterhand gefragt:

»Welche Strafe hat mein roter Bruder diesen Dieben zugedacht?«

Der Apatsche blickte einige Augenblicke lang vor sich nieder; dann ging ein eigentümliches Halblächeln über seine bronzenen Züge.

»Diese,« antwortete er, indem er mit beiden Händen die Bewegung des Skalpierens machte.

Die Weißen wußten, was er meinte und zeigten sehr ernste Gesichter; die Chinesen hatten die Gesten nicht verstanden und sahen Old Shatterhand fragend an.

»Kniet hier vor mir nieder, eng nebeneinander!« befahl er ihnen.

Sie gehorchten.

»Nehmt eure Mützen ab!«

Sie zogen ihre niedrigen, schirmlosen Mützen von den Köpfen. Im nächsten Augenblicke blitzte sein Messer; die anwesenden Arbeiter und Beamten schrien erschrocken auf, denn sie glaubten, daß er Ernst mache. Zwei schnelle Griffe mit der linken Hand nach ihren Köpfen und zwei ebenso rasche Schnitte mit der rechten Hand, und er hatte ihnen – – —nicht die Köpfe, sondern die Zöpfe abgeschnitten.

Die Zuschauer atmeten erleichtert auf; die Chinesen aber waren zunächst ganz starr vor Schreck. Für einen »Sohn des Himmels« ist es nämlich die größte Schande, seinen Zopf einzubüßen; er gibt unter Umständen lieber das Leben her. Darum waren diese beiden im ersten Momente geradezu bewegungslos; dann stülpten sie plötzlich die Mützen auf die kahlen Köpfe, sprangen auf und rannten laut jammernd fort. Ein allgemeines Gelächter folgte ihnen.