Der Geist des Llano Estacado

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Es war kurz nach Beginn des Diamantfiebers, als sich die bisher geschilderten Ereignisse vor der Tür von Helmers’ Home abspielten. Der Farmer gehörte zu denen, die dem Gerücht keinen Glauben schenkten. Der Juggle-Fred hingegen meinte: „Ich will jetzt noch nicht an der Wahrheit zweifeln. Hat man anderswo Diamanten gefunden, warum sollten nicht auch in Arizona welche liegen? Mich freilich gehen sie nichts an. Ich habe anderes zu tun. Was sagen Sie dazu, Mister Frank? Das Urteil eines Mannes von Ihrem Scharfsinn, Ihren Erfahrungen und Kenntnissen kann uns maßgebend sein.“

Hobble-Frank merkte den leichten, aber gutmütigen Spott nicht und entgegnete geschmeichelt: „Es freut mich, dass Sie sich so vertrauensvoll an mich wenden, denn bei mir sind Sie an die richtige Schmiede gekommen. Ich bin nämlich der Ansicht, dass es um den Diamanten freilich eine ganz schöne Sache is; aber es gibt außer ihm noch andere Dinge, die ebenso hübsch sind. Im Augenblick des Heißhungers is mir eine geräucherte Thüringer Zervelatwurst lieber als der größte Diamant. Und habe ich Durst, so kann ich ihn mit keinem Brillanten löschen. Und kann der Mensch etwa mehr, als sich satt essen und satt trinken? Ich bin mit mir und mit meinem Schicksal leidlich zufrieden und brauche keine Edelsteine. Oder sollte ich sie etwa zum Staat an meinen Amazonenhut hängen? Da habe ich eine Feder druff und die genügt. Also wenn ich wüsste, dass ich drüben in Arizona einen Edelstein fände, so groß wie ungefähr das Heidelberger Fass oder wenigstens wie ein ausgewachsener Kürbis von drei Zentnern Schwere, da ginge ich hinüber und holte ihn mir. Kleiner aber möchte ich ihn gar nich haben. Das wäre mir viel zu kläglich. Nun aber gar nich zu wissen, ob man überhaupt was findet, und wenn man wirklich Glück hat, dann is es ein Knirps, so winzig wie ein Mohnkörnchen, nee, da bringt mich kein Mensch nach den Diamantfeldern. Wir sind Deutsche und brauchen keine Diamanten, denn ein jeder von uns hat schon einen Edelstein in seiner Brust, nämlich das treue deutsche Herz, von dem der Dichter sagt: ‚Kein Demant ist, der diesem gleicht, so weit der liebe Himmel reicht‘.“

„Brav gesprochen!“, rief Helmers, indem er dem kleinen Sachsen die Hand reichte. „Sie haben sehr Recht mit dem Edelstein, und darum soll es uns Deutschen auch nicht einfallen, uns um die Diamanten zu kümmern, die in Arizona gefunden worden sein sollen. Deine Gesellschaft, Fred, die du hinüberführen sollst, wird wohl nicht die besten Geschäfte machen. Es wäre jedenfalls besser gewesen, wenn diese Leute mit ihrem vielen Geld zu Hause geblieben wären. Sie können es leicht loswerden, ohne einen einzigen Diamanten dafür zu erhalten. Kluge Kerle scheinen es überhaupt nicht zu sein, weil sie es sich merken lassen, dass sie bedeutende Mittel bei sich führen. Das ist niemals geraten, hier noch weniger als anderswo.“

„Morgen nach Mittag treffen sie hier ein. Sie mussten noch zwei Packpferde kaufen, wozu wenigstens ein halber Tag gehört. Darum bin ich vorausgeritten, um die Zeit bis morgen lieber bei dir zuzubringen.“

„Daran hast du wohl getan, alter Freund. Wie viele Personen sind es denn?“

„Es sind ihrer sechs, von denen einige ein etwas grünes Aussehen und Benehmen haben, was mir aber gleichgültig ist. Sie scheinen aus St. Louis zu kommen und sich einzubilden, dass sie mit Millionen wieder dorthin zurückkehren werden.“

„Werden sie denn den Weg zu mir finden?“

„Sicher, denn ich habe ihn so genau beschrieben, dass sie gar nicht irren können. – Halt, Schwarzer, was gibt es denn?“

Diese Frage galt dem Neger.

Der Tag war nämlich indessen zur Rüste gegangen und die Dämmerung, die in jenen Gegenden außerordentlich kurz ist, war hereingebrochen. Es war bereits so düster, dass man nicht mehr weit zu sehen vermochte. Bob und Bloody-Fox hatten trotz des anregenden Gesprächs den Mormonen stets im Auge behalten. Burton war bemüht gewesen, sich so zu stellen, als achte er gar nicht auf das Gespräch, und da die anderen wohl der Meinung waren, dass ein Mormone, dessen ganzes Wesen ihn als Yankee erscheinen ließ, die deutsche Sprache wenig oder gar nicht verstehe, hatten sie so laut gesprochen, dass es ihm möglich war, jedes Wort zu hören.

Als nun Juggle-Fred von den sechs Männern sprach, die er durch den Llano Estacado führen sollte, hatten Burtons Züge den Ausdruck großer Spannung angenommen. Bei der Bemerkung, dass diese sechs viel Geld bei sich zu führen schienen, hatte ein Lächeln der Befriedigung um seine dünnen Lippen gespielt, was indes wegen der Dämmerung nicht zu bemerken gewesen war.

Zuweilen hatte er den Kopf gehoben, als horche er, und seinen Blick ungeduldig nach der Gegend gerichtet, woher er gekommen war. Er wusste, dass er sich nahezu als einen Gefangenen betrachten musste, denn die Augen des Negers blieben beständig auf ihn gerichtet. Es wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher. Er musste an die Drohung des Negers denken und er traute dem Schwarzen nicht.

Jetzt, da es fast dunkel geworden war, schien es Burton möglich zu sein, sich schnell auf und davon machen zu können, was später vielleicht schwieriger auszuführen war. Deshalb langte er jetzt nach dem Bündel, das er mitgebracht hatte, und zog es allmählich zu sich heran. Er wollte dann plötzlich aufspringen und mit schnellen Schritten um die Ecke des Hauses biegen. War er einmal dort hinter dem Gesträuch verschwunden, so hatte er irgendwelche Verfolger wohl kaum mehr zu fürchten.

Aber er hatte sich in Bob verrechnet. Der war wie die meisten Neger, die einen einmal gefassten Entschluss mit größter Beharrlichkeit zu verfolgen pflegen. Der Schwarze hatte gar wohl bemerkt, dass sich der Mormone des Bündels zu versichern strebte, und erhob sich, gerade als der andere aufspringen wollte, so rasch von seinem Sitz, dass er Helmers fast umgerissen hätte. Daher die Frage Juggle-Freds an ihn, was es denn gebe. Bob erwiderte:

„Masser Bob haben sehen, dass Dieb fort wollen. Greifen schon nach Bündel. Wollen schnell entwischen. Masser Bob aber ihn auf anderem Grund und Boden niederschlagen, darum mit ihm gehen und ihn nicht aus den Augen lassen.“ Er rückte auf das äußerste Ende der Bank vor, sodass er sich, obgleich der Mormone am anderen Tisch saß, ganz nahe bei ihm befand.

„Lass den Kerl laufen!“, meinte der Wirt. „Er ist es vielleicht gar nicht wert, dass du so auf ihn achtest.“

„Massa Helmers haben Recht. Er es nicht wert sein, aber Geld es wert sein, das er haben gestohlen. Er nicht fortkommen ohne Begleitung von Masser Bob.“

„Wer ist denn eigentlich dieser Mann?“, fragte der Juggle-Fred leise. „Er hat mir gleich im ersten Augenblick nicht gefallen. Hat ganz das Aussehen eines Wolfes, der im Schafskleid herumläuft. Als ich ihn erblickte, war es mir ganz so, als müsse ich die scharfe, spitze Fratze schon einmal gesehen haben, und zwar unter Umständen, die nicht für ihn sprechen.“

Helmers erklärte ihm halblaut, weshalb Bob es so nachhaltig auf den Verdächtigen abgesehen habe, und fügte hinzu: „Auch Bloody-Fox scheint sich mehr, als er merken lassen will, mit dem Mann zu beschäftigen. Oder nicht?“

„Well!“, bestätigte der junge Mann. „Dieser Heilige der letzten Tage hat mir etwas getan, und zwar nichts Gutes.“

„So? Was denn? Warum stellst du ihn nicht zur Rede?“, forschte Helmers.

„Weil ich nicht weiß, was es war. Ich habe mir fast das Gehirn zermartert, um mich zu erinnern, aber vergebens. Es ist mir, als hätte ich etwas geträumt und die Einzelheiten des Traumes wieder vergessen. Und wegen einer solchen unbestimmten, nebelhaften Ahnung kann ich mich doch nicht an ihn machen.“

„Das begreife ich nicht. Was ich weiß, das pflege ich zu wissen. Von nebelhaften Ahnungen ist bei mir niemals die Rede. Übrigens ist es dunkel geworden. Gehen wir hinein in die Stube?“

„Nein, denn das Haus ist diesem Kerl verboten und ich muss ihn beobachten. Deshalb bleibe ich hier. Vielleicht fällt es mir doch noch ein, was ich mit ihm auszugleichen habe.“

„Dann will ich wenigstens für genügende Beleuchtung sorgen, damit er sich nicht dennoch davonschleichen kann.“

Helmers ging ins Haus und kehrte bald mit zwei Lampen zurück. Sie bestanden einfach aus blechernen Petroleumkannen, aus deren Öffnung ein starker Docht hervorsah. Glaszylinder und Schirm gab es dabei nicht. Dennoch reichten die beiden dunkel lodernden und stark qualmenden Flammen aus, den Platz vor der Tür zu erleuchten.

Gerade, als Helmers die Lampen an zwei Baumäste gehängt hatte, ließen sich Schritte hören, die sich von da her näherten, wo die Maisfelder lagen. „Meine hands kommen heim“, sagte er.

Unter ‚hand‘ versteht der Amerikaner jede männliche oder weibliche Person, die sich in seinem Dienst befindet. Doch Helmers hatte sich geirrt. Als der Nahende in den Lichtkreis trat, sah man, dass er ein Fremder sei.

Er war ein langer, starker, vollbärtiger Mann, mexikanisch gekleidet, doch ohne Sporen, was hier auffallen musste. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe eines Messers und zweier Pistolen hervor, und in der Hand trug er eine schwere, mit silbernen Ringen verzierte Büchse. Als seine dunklen Augen scharf und stechend über die Anwesenden flogen, machte er den Eindruck eines rohen Menschen, von dem man zarte Regungen nicht erwarten durfte. Während sein Blick das Gesicht des Mormonen streifte, zuckte er auf eine eigentümliche Weise mit den Wimpern. Niemand außer dem Mormonen bemerkte das. Es war jedenfalls ein Zeichen.

„Buenas tardes, Señores!“, grüßte er. „Ein Abend bei bengalischer Beleuchtung! Der Besitzer dieser Hazienda scheint ein poetisch veranlagter Mann zu sein. Erlaubt, dass ich mich für eine Viertelstunde bei euch ausruhe, und gebt mir einen Schluck zu trinken, wenn hier überhaupt etwas zu bekommen ist!“ Er hatte in jenem spanisch-englischen Mischmasch gesprochen, dessen man sich an der mexikanischen Grenze häufig zu bedienen pflegt. „Setzt Euch nieder, Señor!“, forderte ihn Helmers auf. „Was wollt Ihr trinken? Ein Bier oder einen Schnaps?“

 

„Bleibt mir mit Euerm Bier vom Leibe! Ich mag von der deutschen Brühe nichts wissen. Gebt mir einen kräftigen Schnaps, aber nicht zu wenig! Verstanden?“

Seine Haltung und sein Ton waren die eines Mannes, der nicht gewohnt war, mit sich scherzen zu lassen. Er trat ganz so auf, als habe er hier zu gebieten. Helmers stand auf, um das Verlangte zu holen, und deutete auf die Bank, wo er dem Fremden Platz gemacht hatte. Der aber schüttelte den Kopf und sagte: „Danke, Señor! Hier sitzen schon vier. Will lieber dem Caballero Gesellschaft leisten, der da so einsam hockt. Bin die weite Savanne gewohnt und habe es nicht gern, so eng beieinander zu kleben.“

Er lehnte sein Gewehr an den Stamm des Baumes und setzte sich zu dem Mormonen, den er mit einem leichten Griff an den breiten Rand seines Sombrero grüßte. Der Heilige der letzten Tage erwiderte den Gruß in der gleichen Weise. Beide taten, als seien sie einander fremd.

Helmers war wieder ins Haus getreten. Die anderen verschmähten es aus natürlicher Höflichkeit, ihre Blicke auffällig auf den Fremden zu richten. Das gab jenem die willkommene Gelegenheit, dem Mormonen zuzuraunen: „Warum kommt Ihr nicht? Ihr wisst doch, dass wir Nachricht haben wollen.“ Er sprach jetzt das reinste Yankee-Englisch.

„Man lässt mich nicht fort“, flüsterte der Gefragte.

„Wer?“

„Dieser verdammte Nigger da.“

„Der kein Auge von Euch wendet? Was hat er denn?“

„Er behauptet, ich hätte seinem Herrn Geld gestohlen, und will mich lynchen.“

„Mit dem ersten Teil seiner Behauptung kann er das Richtige getroffen haben; das zweite aber mag er sich aus dem Sinn schlagen, falls er nicht will, dass wir ihm mit unseren Peitschen sein schwarzes Fell blutrot färben. Gibt es etwas Neues hier?“

„Ja. Sechs diamond-boys wollen mit bedeutenden Summen über den Llano.“

„Zounds! Sollen uns willkommen sein! Werden ihnen mal in die Taschen gucken. Bei der letzten armseligen Gesellschaft war ja nichts zu finden. Doch still! Helmers kommt.“

Der Genannte kehrte mit einem großen Glas voll Schnaps zurück. Er stellte es vor den Fremden hin und sagte: „Da, wohl bekomm’s, Señor! Habt heute wohl einen weiten Ritt hinter Euch?“

„Ritt?“, antwortete der Mann, indem er den halben Inhalt des Glases hinuntergoss. „Habt Ihr keine Augen? Oder vielmehr, habt Ihr zu viele Augen, sodass Ihr seht, was gar nicht vorhanden ist? Wer reitet, muss doch ein Pferd haben!“

„Gewiss.“

„Nun, wo ist denn das meinige?“

„Jedenfalls da, wo Ihr es zurückgelassen habt.“

„Valgame Dios! Ich werde doch wohl mein Pferd nicht dreißig Meilen weit zurücklassen, um bei Euch einen Brandy zu trinken, der nicht mal für den Teufel taugt!“

„Lasst ihn im Glas, wenn er Euch nicht schmeckt! Übrigens besinne ich mich nicht, von dreißig Meilen gesprochen zu haben. So, wie Ihr hier vor mir sitzt, seid Ihr ein Mann, der jedenfalls ein Pferd hat. Wo es steht, das ist nicht meine Sache.“

„Das denke ich auch. Ihr habt Euch überhaupt um mich nicht zu kümmern. Verstanden?“

„Wollt Ihr mir das Recht bestreiten, mich um diejenigen zu kümmern, die hier auf meiner einsamen Farm einkehren?“

„Fürchtet Ihr Euch etwa vor mir?“

„Pah! Ich möchte den Menschen sehen, vor dem sich John Helmers fürchtet!“

„Ist mir lieb, denn ich möchte Euch nun fragen, ob ich in Euerm Haus für diese Nacht ein Lager bekommen kann.“

Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf Helmers. Der Wirt antwortete: „Für Euch ist kein Platz vorhanden.“

„Carája! Warum nicht?“

„Weil Ihr selbst gesagt habt, dass ich mich nicht um Euch kümmern soll.“

„Aber ich kann doch in der Nacht nicht noch bis zu Euerm nächsten Nachbar laufen. Würde ja erst morgen Mittag dort ankommen!“

„Dann schlaft im Freien! Der Abend ist mild, die Erde weich und der Himmel die vornehmste Bettdecke, die es nur geben kann.“

„So weist Ihr mich fort?“

„Ja, Señor. Wer mein Gast sein will, muss sich einer größeren Höflichkeit befleißigen, als Ihr uns gezeigt habt.“

„Soll ich Euch etwa, um in irgendeinem Winkel bei Euch schlafen zu dürfen, zur Begleitung der Gitarre oder Mandoline ansingen? Doch ganz wie Ihr wollt! Ich brauche Eure Gastfreundschaft nicht und finde überall einen Platz, wo ich vor dem Einschlafen darüber nachdenken kann, wie ich mit Euch reden werde, wenn wir uns einmal anderswo begegnen sollten.“

„Da vergesst aber ja nicht, bei dieser Gelegenheit auch mit an das zu denken, was ich Euch darauf antworten würde!“

„Soll das eine Drohung sein, Señor?“ Der Fremde erhob sich bei diesen Worten und richtete seine hohe, breite Gestalt gebieterisch dem Wirt gegenüber auf.

„O nein!“, lächelte Helmers furchtlos. „Solange ich nicht zum Gegenteil gezwungen werde, bin ich ein sehr friedlicher Mann.“

„Das will ich Euch auch geraten haben. Ihr wohnt hier beinahe am Rand der Wüste des Todes. Da erfordert es die Vorsicht, dass Ihr mit Fremden möglichst Frieden haltet. Sonst könnte der Geist des Llano Estacado einmal unerwartet den Weg zu Euch finden.“

„Kennt Ihr ihn etwa?“

„Habe ihn noch nicht gesehen. Aber man weiß ja, dass er am liebsten aufgeblasenen Leuten erscheint, um sie ins Jenseits zu befördern.“

„Ich will Euch nicht widersprechen. Vielleicht sind alle diejenigen, die man, vom ,Geist‘ durch einen Schuss in die Stirn getötet, im Llano gefunden hat, einst aufgeblasene Wichte gewesen. Eigentümlich aber ist es, dass diese Kerle durchweg Räuber und Mörder waren.“

„Meint Ihr?“, fragte der Mann höhnisch. „Könnt Ihr das beweisen?“

„So leidlich. Man hat bei diesen Toten stets Gegenstände gefunden, die früher Leuten gehörten, die im Llano ermordet und ausgeraubt worden waren. Das ist doch Beweis genug.“

„Wenn das so ist, will ich Euch freundschaftlich warnen: Macht hier auf Eurer abgelegenen Farm ja nicht einmal einen Menschen kalt, sonst könntet Ihr auch einmal mit einem Loch in der Stirn gefunden werden.“

„Señor!“, fuhr Helmers auf. „Sagt noch ein solches Wort, so schlage ich Euch nieder! Ich bin ein ehrlicher Mann. Verdächtig aber kommt mir einer vor, der sein Pferd versteckt, um nicht als Bravo, sondern als armer ungefährlicher Wanderer angesehen zu werden.“

„Gilt das etwa mir?“, zischte der Fremde.

„Wenn Ihr es Euch annehmen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ihr seid heute bereits der Zweite, der mir vorlügt, kein Pferd zu besitzen. Der Erste war dieser Heilige der letzten Tage. Vielleicht stehen eure beiden Pferde beieinander. Vielleicht sind auch noch andere Pferde und Reiter dabei, um auf eure Rückkehr zu warten. Ich sage Euch, dass ich in dieser Nacht mein Haus bewachen und morgen mit Tagesanbruch die Umgegend säubern werde. Da wird es sich wahrscheinlich zeigen, dass Ihr sehr gut beritten seid!“

Der Fremde ballte beide Fäuste, hob dann die rechte Hand zum Schlag, trat um einen Schritt näher an Helmers heran und schrie: „Mensch, willst du etwa andeuten, dass ich ein Bravo sei? Sage es deutlich, wenn du Mut hast! Dann schlage ich...“

Er wurde unterbrochen.

Bloody-Fox hatte dem Gewehr des Mannes seine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Als der Fremde sich erhob und dem Baum, an dem die Büchse lehnte, den Rücken zukehrte, stand der Jüngling auf und trat an den Stamm, um das Gewehr genau zu betrachten. Seine Augen leuchteten auf und ein Zug eiserner, gnadenloser Entschlossenheit legte sich um seinen Mund. Er wendete sich zu dem Fremden und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Was willst du, Junge?“, fragte der Mann unwirsch.

„Ich will Euch an Helmers’ Stelle Antwort geben“, entgegnete Bloody-Fox ruhig. „Ja, Ihr seid ein Bravo, ein Räuber, ein Mörder! Nehmt Euch vor dem Geist des Llano in Acht, den wir den Avenging-ghost nennen, weil er jeden Mord mit einer Kugel durch die Stirn an dem Mörder zu rächen pflegt!“

Der Riese trat mehrere Schritte zurück, maß den Jüngling mit einem erstaunt verächtlichen Blick und lachte dann höhnisch auf: „Knabe, Bursche, Junge, bist du toll? Ich zerdrücke dich mit einem einzigen Griff meiner Hände zu Brei!“

„Das werdet Ihr bleiben lassen! Bloody-Fox ist nicht so leicht zu zermalmen. Ihr habt geglaubt, Männern gegenüber unverschämt sein zu können. Nun kommt ein Jüngling, um Euch zu beweisen, wie wenig Ihr zu fürchten seid. Die Mörder des Llano werden vom Avenging-ghost mit dem Tod bestraft. Ihr seid ein Mörder und ich werde die Stelle des Geistes vertreten. Verrichtet Euer letztes Gebet! Bald werdet Ihr vor dem ewigen Richter erscheinen!“

Diese Worte des jungen Mannes, der noch ein halber Knabe war, machten einen gewaltigen Eindruck auf die Anwesenden. Er kam ihnen völlig verändert vor. Wie er da stand, stolz aufgerichtet, mit drohend erhobenem Arm, blitzenden Augen und einem unerschütterlichen Entschluss in den festen Zügen – war er ein Bote der Gerechtigkeit, ein Vollstrecker des gerechten Strafgerichts.

Der Fremde war, obwohl er den Jüngling fast um Kopfeslänge überragte, bleich geworden. Doch fasste er sich schnell, stieß ein lautes Gelächter aus und rief: „Wahrhaftig, er ist verrückt! Ein Floh will einen Löwen verschlingen! So etwas hat noch niemand gehört! Mensch, beweise es doch einmal, dass ich ein Mörder bin!“

„Spottet nicht! Was ich sage, das geschieht, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Wem gehört das Gewehr, das da am Stamm des Baumes lehnt?“

„Natürlich mir.“

„Seit wann ist es Euer Eigentum?“

„Seit über zwanzig Jahren.“ Trotz seines vorigen Gelächters und seiner geringschätzigen Worte machte die Haltung des Knaben einen solchen Eindruck auf den starken Mann, dass ihm gar nicht der Gedanke kam, die Antwort zu verweigern.

„Könnt Ihr das beweisen?“, fragte Bloody-Fox weiter.

„Kerl, wie soll ich das beweisen? Kannst du etwa den Beweis des Gegenteils erbringen?“

„Ja. Diese Büchse gehörte dem Señor Rodriguez Pinto auf der Estanzia del Meriso drüben bei Cedar Grove. Er war vor zwei Jahren mit seinem Weib, seiner Tochter und drei Vaqueros hüben in Caddo am Washita River auf Besuch gewesen. Dort verabschiedete er sich, kehrte aber niemals heim. Kurze Zeit darauf fand man die sechs Leichen im Llano Estacado, und die Spuren im Boden verrieten, dass die Wegweiserpfähle verändert worden waren. Diese Büchse trug er damals bei sich. Hättet Ihr behauptet, sie seit der angegebenen Zeit von irgendwem gekauft zu haben, so wäre die Sache zu untersuchen. Da Ihr aber behauptet, sie bereits zwanzig Jahre zu besitzen, so habt Ihr sie nicht von dem Schuldigen gekauft, sondern seid selbst der Mörder und als solcher dem Gesetz des Llano Estacado verfallen.“

„Hund!!“, knirschte der Fremde. „Soll ich dich zermalmen? Dieses Gewehr ist mein Eigentum. Beweise es doch, dass es jenem Estanziero gehört hat!“

„Sogleich!“ Der Jüngling nahm das Gewehr vom Stamm des Baumes weg und drückte an einer der kleinen Silberplatten, die in den unteren Teil des Kolbens eingelegt waren. Sie sprang auf, und darunter zeigte sich ein zweites Plättchen mit dem Namen, den er vorher genannt hatte.

„Schaut her!“, sagte er, das Gewehr den anderen zeigend. „Hier ist der unumstößliche Beweis, dass dieses Gewehr Eigentum des Estanziero war. Er war mein Freund und ich kenne es genau. Ich halte diesen Mann für seinen Mörder und das genügt. Seine Minuten sind gezählt.“

„Die deinigen auch!“, schrie der Fremde, indem er auf den Ankläger einsprang, um ihm das Gewehr zu entreißen.

Aber Bloody-Fox trat blitzschnell einige Schritte zurück, schlug die Büchse auf ihn an und gebot: „Stehen bleiben, sonst trifft Euch die Kugel! Ich weiß, wie man mit solchen Leuten umspringen muss. Hobble-Frank, Juggle-Fred, legt auf ihn an, und wenn er sich bewegt, so schießt ihr ihn sofort nieder!“

Die beiden Genannten hatten im Nu ihre Gewehre erhoben und auf den Mexikaner gerichtet. Es handelte sich hier um das Präriegesetz, das nur einen einzigen, aber umfassenden Paragrafen hat. Da gibt es für den braven Westmann kein Zaudern. Der Fremde sah, dass Ernst gemacht wurde. Es ging um sein Leben, deshalb stand er bewegungslos.

Bloody-Fox senkte jetzt das Gewehr, da die beiden anderen Büchsen den Mann im Bann hielten, und sagte: „Ich habe Euch Euer Urteil gesprochen und es wird sofort vollstreckt werden.“

 

„Mit welchem Recht?“, fragte der Mexikaner mit vor Grimm bebender Stimme. „Ich bin unschuldig und lasse mich nicht lynchen!“

„Ich will Euch nicht töten, wie ein Henker den Verurteilten tötet. Ihr sollt mir Auge in Auge gegenüberstehen, jeder mit seinem Gewehr in der Hand. Eure Kugel soll ebenso gut mich treffen können, wie Euch die meinige treffen wird. Es soll kein Mord, sondern ein ehrlicher Kugelwechsel sein. Wir setzen Leben gegen Leben, obgleich ich Euch sofort niederschießen könnte, da Ihr ein Mörder seid.“

Der junge Mann stand in aufrechter, selbstbewusster Haltung vor dem Fremden. Sein Ton war ernst und bestimmt und doch gelassen. Der Bravo aber schlug ein lautes, höhnisches Gelächter an und erwiderte: „Seit wann führen denn hier an der Grenze unreife Knaben das große Wort? Wenn diese Männer nicht wären, die ihre Läufe auf mich richten, hätte ich dich bereits abgewürgt, wie man einem fürwitzigen Sperling den Kopf abdreht. Bist du wirklich so verrückt, dich mit mir messen zu wollen, so habe ich nichts dagegen. Meine Kugel wird dir den Weg zur Hölle zeigen! Aber ich halte dich und die anderen bei dem, was dein großes Maul gesprochen hat. Ich verlange einen ehrlichen Kampf und dann ein offenes Feld für den Sieger!“

„Oho!“, rief da Helmers. „So haben wir nicht gewettet. Selbst wenn Ihr Glück im Schuss haben solltet, sind wohl noch einige Gentlemen da, die ein Wort mit Euch zu sprechen haben. Ihnen werdet Ihr Rede stehen müssen.“

„Nein, so nicht!“, fiel Bloody-Fox ein. „Der Mann gehört mir. Ihr habt kein Recht an ihm. Ich allein bin es, der ihn herausgefordert hat, und ich habe ihm mein Wort gegeben, dass der Kampf ehrlich sein soll. Dieses Versprechen müsst Ihr halten, wenn ich falle.“

„Aber, Boy, bedenke doch...“

„Da ist nichts zu bedenken. Wohl gehört der Schuft unbedingt zu den Staked-Plain-Vultures[7] und sollte eigentlich ohne langes Gerede mit Knütteln erschlagen werden. Aber so eine Henkerei widerstrebt mir. Ich will den Kampf und ihr versprecht mir jetzt, dass sich der Mann ungehindert entfernen kann, falls er mich erschießt!“

„Wenn du nicht anders willst, so müssen wir es tun. Aber du gehst dann mit dem Vorwurf von der Erde, durch deine ungerechtfertigte Milde dafür gesorgt zu haben, dass dieser Schurke sein Handwerk auch fernerhin betreiben kann!“

„Nun, was das betrifft, so bin ich ruhig. Wollen sehen, ob meine Kugel im Lauf steckt, um nur ein Loch in die Luft zu machen. Sage also, Kerl, auf welche Entfernung wir uns schießen wollen!“

„Fünfzig Schritt“, erklärte der Fremde, an den die Aufforderung gerichtet war.

„Fünfzig!“, lachte Bloody-Fox. „Das ist nicht allzu nahe. Ihr scheint Eure Haut sehr lieb zu haben. Aber es soll Euch doch nichts nützen. Ich will Euch die freundschaftliche Mitteilung machen, dass ich genauso wie der Avenging-ghost zielen werde, nämlich nach der Stirn. Nimm also die deinige in Acht!“

„Immer schneide auf, Knabe!“, knirschte sein Gegner. „Ich habe erhalten, was ich wünschte, das Versprechen des ungehinderten Abzugs. Machen wir die Sache kurz! Gib mir mein Gewehr!“

„Wenn die Vorbereitungen getroffen sind, sollt Ihr es haben, eher nicht, denn Euch ist nicht zu trauen. Der Wirt mag die Entfernung abmessen, fünfzig Schritt. Haben wir Stellung genommen, so mag sich Bob mit der einen Lampe zu Euch, Hobble-Frank mit der anderen zu mir stellen, damit wir beide einander genau sehen können und ein sicheres Ziel haben. Dann reicht Juggle-Fred Euch Euer Gewehr, Helmers mir das meinige. Helmers gibt das Zeichen und von diesem Augenblick an können wir beliebig schießen, jeder zwei Kugeln, denn unsere Gewehre sind doppelläufig. Wer seinen Platz verlässt, bevor die Kugeln gewechselt sind, wird von dem, der ihm das Licht hält, niedergeschossen. Zu diesem Zweck werden Bob und Frank ihre Pistolen oder Revolver bereit halten.“

„Schön! So sein sehr schön!“, rief Bob. „Masser Bob sofort geben Schuft eine Kugel, wenn er wollen laufen!“ Er zog die Waffe aus dem Gürtel und zeigte sie unter drohendem Grinsen dem Fremden.

Die anderen erklärten sich mit den Bedingungen des Bloody-Fox einverstanden und die Vorbereitungen wurden sofort getroffen. Alle waren damit so beschäftigt, dass es keinem einfiel, auf den frommen Tobias Preisegott Burton besonders Acht zugeben. Dem Mormonen schien der Auftritt zu gefallen. Er rückte langsam von seinem Platz nach der Ecke der Bank und zog die Füße unter dem Tisch hervor, sodass er im passenden Augenblick die Beine sofort zur Flucht benutzen konnte.

Jetzt hatten die beiden Gegner ihre Plätze eingenommen, fünfzig Schritt voneinander entfernt. Neben dem Fremden stand der Neger, in der Linken die Lampe und in der Rechten die Reiterpistole, die er schussbereit hielt. Bei Bloody-Fox stand Hobble-Frank mit seiner Lampe und in der anderen Hand den Revolver, nur der Form wegen, da er ihn gegen den ehrlichen jungen Mann sicher nicht gebrauchen musste.

Helmers und Juggle-Fred hielten die beiden geladenen Gewehre bereit. Es war selbst für diese kampfgewohnten Leute ein Augenblick höchster Spannung. Die zwei im Luftzug wehenden Flammen beleuchteten mit rußigrotem, flackerndem Schein die beiden Gruppen. Die Gegner verharrten still und doch schien es bei dem unruhigen Licht, als ob sie sich unausgesetzt bewegten. Es war unter diesen Umständen sehr schwer, ein ruhiges Ziel zu nehmen, besonders da die Beleuchtung nicht ausreichte, das Korn in der Kimme zu erkennen.

Bloody-Fox war unbefangen und seelenruhig. Sein Gegner aber befand sich in anderer Stimmung. Juggle-Fred, der ihm das Gewehr überreichen sollte und deshalb nahe bei ihm stand, sah das gehässige Leuchten seiner Augen und das ungeduldige Zittern seiner Hände.

„Seid ihr fertig?“, fragte Helmers jetzt.

„Ja“, bestätigten beide, wobei der Fremde bereits die Hand nach seiner Büchse ausstreckte. Er hatte jedenfalls die Absicht, Bloody-Fox, wenn auch nur um eine halbe Sekunde, mit dem Schuss zuvorzukommen.

„Hat einer von euch für den Fall seines Todes noch eine Bestimmung zu treffen?“, erkundigte sich Helmers.

„Der Teufel hole deine Neugier!“, rief der Fremde aufgeregt.

„Nein“, entgegnete der Jüngling desto ruhiger. „Ich sehe es diesem Kerl an, dass er nicht zu zielen vermag. Er zittert ja. Sollte er mich dennoch versehentlich treffen, würdest du in meiner Satteltasche finden, was zu wissen nötig ist. Und nun mach, dass wir zu Ende kommen!“

„Na, denn also hin mit den Büchsen! Gebt Feuer!“

Helmers reichte Bloody-Fox das Gewehr. Der junge Mann nahm es gleichgültig hin und wog es in der rechten Hand, als ob er seine Schwere messen wolle. Er tat gar nicht so, als hinge sein Leben an einem kurzen Augenblick.

Der andere hatte seine Büchse dem Juggle-Fred fast aus der Hand gerissen. Er bot nur seine linke Seite dar, um ein möglichst schmales Ziel preiszugeben, und legte an.

Sein Schuss krachte.

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