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Ardistan und Dschirnistan I

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»Er? Der Brief?« fragte ich, indem ich ihn nun doppelt aufmerksam betrachtete. »Ich sehe keine Schrift!«

»Du brauchst sie auch nicht zu sehen,« lächelte sie. »Er ist ja nicht an Dich gerichtet. Was Du nicht siehst, das sieht der ‘Mir von Dschinnistan. Er wird ihn lesen.«

Auch Schakara lächelte, aber in anderer Weise. Sie nickte nach mir hin und sagte:

»Vielleicht hat er die Schrift erkannt und entziffert, noch ehe er sie dem ‘Mir überreicht!«

»Ich würde mich freuen, wenn er es zuweg brächte,« gestand Marah Durimeh. »Aber diese Schrift ist nicht Schrift, sondern mehr. So, wie hier auf diesem Schilde, schreibt man nur in Sitara, dem Lande der Sternenblumen, und diese Schrift kann nur der lesen lernen, der mich, die Herrin dieses Landes, kennt. Versuche, ob es Dir möglich ist, Effendi! Der Unterricht hierzu wird Dir werden, indem Ihr miteinander durch das gefahrvolle Ardistan reitet.«

Das war meine ganze Instruktion. Ich durfte mich zwar als Gesandten fühlen, aber als einen, mit dem man wenig Federlesens macht. Doch war es grad diese Kürze, für die ich mich unendlich dankbar fühlte.

Wir brachte unsere Pferde selbst an Bord. Sie waren so wertvoll, daß wir sie keiner anderen Person anvertrauten. Auch Schakara war dabei, und Marah Durimeh begleitete uns, einfach, bescheiden, wie ein gewöhnliches Weib, von allen, die uns unterwegs sahen, mit Ehrerbietung und Liebe gegrüßt, doch unauffällig, in selbstverständlicher und ungekünstelter Weise. So war der Abschied auch. Sie stand am Ufer und grüßte mit der Hand, als das Schiff den Anker hob. Hierauf ging sie. Kurze Zeit später sahen wir sie auf dem Söller erscheinen. Da stand sie, bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Dann verschwand auch der Palast, die Stadt, das dunkle Gebirge, das ganze, uns bekannt gewordene Sitara, und wir sahen nichts mehr, als nur die unendlich weite See, der wir auf Treu und Glauben überliefert worden waren.

Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich um das Schiff, seine Bemannung und seine Einrichtung gewiß sehr eingehend bekümmert; jetzt aber hatte ich keine Zeit dazu. Ich mußte jede Minute ausnutzen, um mich zu unterrichten. Die Bücher, welche ich mitgenommen hatte, mußten mit Schakara wieder zurückgehen. Ich hatte sie also bis dahin durchzunehmen und las und las und schrieb und schrieb, um alles, was ich für wichtig hielt, zu notieren. Schakara half mir dabei. Als drei Tage vorüber waren, hatte ich einen ganzen, dicken Stoß von Notizen, deren Wert gar nicht abzumessen war. Mit ihrer Hilfe war es mir möglich, mich in jeder Lage und an jedem Orte zu orientieren.

Es war uns während dieser drei Tage kein anderes Fahrzeug begegnet. Nun näherten wir uns dem Ziele unserer Fahrt. Wir durften erwarten, am Mittag des vierten Tages die Küste von Ardistan zu erreichen, aber auch da bekamen wir kein Schiff, nicht einmal einen Kahn, ein Boot zu sehen. Der Grund hiervon war, daß wir es vermieden, uns einem Hafen zu nähern. Unsere Landung mußte in der größten Heimlichkeit geschehen, und darum wählten wir einen ganz einsamen Teil der Küste, die da völlig unzugänglich zu sein schien, doch gab es eine Stelle, wo eine kleine, schmale Bucht zwar nicht erlaubte, den Anker zu werfen, aber doch Gelegenheit zum Ausbooten gab. Das Land fiel hier überall so schroff und so tief in die See hinab, daß kein Ankertau lang genug war, den Boden zu erreichen.

Kurz nach Mittag tauchte eine dunkle Linie vor uns auf, der wir uns bei gutem Winde näherten. Das war Ardistan, eine niedrige, aus Sumpf und Moor bestehende Küste.

»Das ist Dein Ziel,« sagte Schakara. »Und nun es vor Dir liegt, will ich Dir noch etwas Wichtiges sagen. Du wirst über die Bewohner dieses Landes wenig Freude haben. Sie stehen auf einer noch sehr niedrigen Stufe der Menschlichkeit. Aber es gibt doch hier und da einen Auserlesenen, dem es Bedürfnis ist, sich von dieser Niedrigkeit abzusondern und mit Gleichgesinnten zu vereinigen. So ist ein Bund entstanden, der sich >Insanija< nennt, die >Menschlichkeit<. Leider sieht er sich gezwungen, geheim zu bleiben, weil der ‘Mir von Ardistan ihn nicht dulden will. Seine Mitglieder stehen miteinander im Verkehr. Sie sind edle, opferwillige Menschen. Es gibt einige unter ihnen, die Marah Durimeh gesehen oder auch wohl gar gesprochen haben und sie fast vergöttern. Von ihnen hast Du Hilfe zu erwarten, sobald Du Dich an sie wendest. Es wird Dich keiner verraten.«

»Kennst Du ihre Namen?«

»Nein.«

»Ihren Stand, ihren Wohnort?«

»Auch nicht. In diese Geheimnisse unserer Herrin bin ich noch nicht eingeweiht. Aber sie hat mir das Zeichen gesagt, an welchem sie sich erkennen, und mir befohlen, es Dir mitzuteilen.«

»Das ist ja wichtig, in hohem Grade wichtig! Was für ein Zeichen ist es?«

»Jeder Insan – so nennen sich nämlich diese Leute – ist daran zu erkennen, daß er den ersten Blick, den er auf einen ihm bisher Unbekannten wirft, in drei Teile teilt, und zwar dadurch, daß er während desselben die Augenlider zweimal fallen läßt. Es entstehen dadurch drei Blicke an Stelle des einen, doch in so unauffälliger Weise, daß es nur der bemerkt, der es weiß und darum ganz besonders darauf achtet. Schau her zu mir; ich will es Dir zeigen!«

Sie richtete ihr Auge auf mich und teilte diesen Blick durch zweimaliges Senken desselben in drei Teile. Dann mußte ich es ihr nachmachen. Das war sehr leicht.

»Du darfst es eigentlich verlangen,« fuhr sie fort, »daß man Dir dieses Geheimnis mitteilt, denn Du bist ja schon längst Insan, wenn auch kein Bewohner des Landes Ardistan. Doch, paß auf! Die Segel fallen ab!«

Die Segel wurden so gestellt, daß sich die Schnelligkeit des Schiffes verminderte. Wir gingen bis auf eine halbe Seemeile an die Küste heran; dann wurde beigedreht, das heißt, die Segel bekamen eine solche Stellung, daß die Wirkung des Windes aufgehoben wurde. Wir lagen, wie vor Anker. Nun ging das große Boot zu Wasser mit den beiden, darin angebundenen Pferden. Sie verhielten sich ruhig. Übrigens saßen auch die Ruderer bei ihnen. Dann wurde das Fallreep niedergelassen; da stiegen wir nach, Halef und ich, auch Schakara, die das Steuer führen wollte.

Es war kein leichtes Manöver, der Pferde wegen; aber es gelang. An der Bucht standen einzelne Bäume, ganz nahe am Ufer. Das gab uns die Möglichkeit, das Boot derart zu befestigen, daß die Pferde ganz bequem und ohne Gefahr gelandet werden konnten. Sie waren gesattelt. Wir brauchten nur aufzusteigen. Hadschi Halef verabschiedete sich mit großem Redeschwall von Schakara. Dann reichte ich ihr die Hand. Sie sagte nichts, aber ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren feucht. Dann gab sie das Zeichen, das Boot vom Lande zu stoßen. Da legte sich nun das Wasser zwischen uns, die tiefe, die geheimnisvolle See! Als ob diese meine Gedanken auch die ihren seien, rief sie uns nun doch noch zu:

»Effendi, wenn Dir eine Gefahr naht, welche unbezwinglich erscheint, oder wenn die Tränen des Erdenleidens über Dir zusammenfluten, so verliere nicht den Mut, sondern glaube mir, daß Marah Durimeh und Schakara Dir immer nahe sind. Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen!« antwortete ich.

»Nasuf wussak – — auf Wiedersehen!« rief auch Halef.

Dann schoß das Boot von der Küste ab, dem Schiffe wieder zu. Wir beide standen am Land und schauten hinterdrein. Wir sahen das Boot anlegen; wir sahen, daß es aufgewunden wurde. Die >Wilahde< stellte die Segel wieder voll und drehte sich dann unter dem Drucke des wieder festgenommenen Windes von uns ab. Ein weißer Wimpel stieg bis zur Spitze des Hauptmastes empor. Das war der letzte Gruß. Neben mir erklang ein nicht ganz unterdrücktes Schluchzen. – Halef weinte.

»Lach mich nicht aus, Sihdi!« sagte er. »Ich mag von dem Lande Sitara nichts wissen, weil man da über mich lacht, aber heulen muß ich doch. Wozu hat man die Tränen? Die müssen heraus! Ich schelte zwar zuweilen auf die Bewohner dieses Landes, aber lieb sind sie mir doch! Besonders Marah Durimeh und Schakara! Da fährt das Schiff nun hin! Ich setze mich! Und ich sehe ihm nach, bis es verschwunden ist! Eher stehe ich nicht wieder auf!«

Er sprach diese Sätze sehr einzeln und sehr stoßweise aus, im weinerlichen Tone. Ich wußte gar wohl, wie tief er Schakara, unsere junge, edle Freundin, in sein Herz geschlossen hatte. Er setzte sich wirklich auf den Boden nieder, obwohl dieser sehr feucht war, und schaute dem Schiffe so lange nach, bis es am fernen Horizont verschwand. Da stand er wieder auf und sagte:

»Nun ist es vorüber! Der Abschied tut zwar weh, aber wir sind doch keine Kinder, sondern Männer. Und vor allen Dingen wissen wir, daß ein unbekanntes Land und ein Leben voll reicher Abenteuer vor uns liegt. Da müssen wir uns zusammennehmen und tapfer vorwärts schauen, anstatt zurück auf das, was hinter uns liegt. Hast Du alle Deine Sachen beisammen, Sihdi?«

»Ja,« antwortete ich.

»Nichts vergessen?«

»Nein.«

»Ja, allerdings, diese Erkundigung war im höchsten Grade überflüssig, denn vergeßlich bist Du nie gewesen, niemals! Aber erlaube mir die Frage nach Deinem Panzerbrief! Du solltest ihn anlegen, noch ehe Du hier dieses Land betrittst. Hast Du das getan?«

»Ja.«

»Und die Abschriften von den Landkarten, Plänen und viel tausend Namen, die Du angefertigt hast? Die hast Du doch nicht etwa vergessen?«

»Nein.«

»Wo hast Du sie?«

»Hier in der Brusttasche. Ich hatte mir den Panzerbrief gerade auf die Brust gebunden und zog die Jacke über die Weste. Die Abschriften lagen neben mir. Ich steckte sie eben ein, als Schakara kam, und da – — und – — und – — doch nein, ich irre mich! Ich steckte sie nicht ein, sondern ich wollte sie einstecken; da kam Schakara und unterbrach mich. Ich ließ die Abschriften liegen, und – — —«

»Und da liegen sie noch?« fiel Halef schnell ein.

»Ja – — nein – — nein – — ja – — unmöglich! Es ist nicht denkbar! Sie sind zu wichtig, viel, viel zu wichtig! Ich kann und kann und kann sie nicht vergessen haben!«

 

Ich griff in die Brusttasche; da waren sie nicht. Ich suchte in allen anderen Taschen, vergeblich. Ich hatte sie liegen lassen, gewiß und wirklich liegen lassen! Diese Abschriften, die ich mir mit so großer Mühe gemacht hatte und die ich so unendlich notwendig brauchte! So etwas war mir noch nie im Leben passiert! Eine solche Gedankenlosigkeit hatte ich bisher für unmöglich gehalten! Mir wurde ganz schlimm. Ich setzte mich nun auch nieder, trotz der Feuchtigkeit des Bodens. Ohne diese Notizen war ich ganz außer stande, mich in diesem fremden Lande und seinen mir fremden Verhältnissen selbständig zu bewegen! Jeder Zufall könnte mir zum Meister und Gebieter werden! Soeben hatte Halef uns >Männer< genannt; aber nun ich diese Aufzeichnungen nicht bei mir hatte, glichen wir Kindern, die nur Fehler begehen können, wenn es ihnen einmal einfallen sollte, einen eigenen Entschluß zu wagen! Ich war im höchsten Grade zornig auf mich selbst und zugleich auch so verstimmt, wie wohl noch nie in meinem ganzen Leben. Dazu stellte sich Halef mit weit auseinandergespreizten Beinen grad vor mich hin und sagte:

»So! Da sitzest Du nun! Grad wie vorhin ich! Es fehlt nur noch, daß Dir die Tropfen ebenso über die Backen laufen wie mir! Du hast sie also vergessen, doch vergessen?«

»Leider! Ja!« gestand ich ein.

»Das dachte ich mir!« fuhr er fort, »denn Du bist stets vergeßlich gewesen! Fürchterlich vergeßlich, solange ich Dich kenne!«

»Oho!« widersprach ich ihm.

»Ja, ja!« behauptete er. »Du hast zwar auch noch einige andere Fehler, mein lieber Sihdi, aber der größte unter ihnen war doch stets die Vergeßlichkeit; sie wird es wohl auch bleiben! Du weißt es ebenso gut wie ich, daß ich mir alle Mühe gegeben habe, Dich von dieser Gedankenlosigkeit zu befreien; aber einen Erfolg habe ich leider nicht gehabt. Dies ist zwar für einen so verständigen Mann, wie ich bin, kein Grund, Dir zu zürnen oder Dich etwa gar zu mißachten, denn Fehler, die angeboren sind, können nicht geheilt werden; aber betrübend ist es doch jedenfalls für mich, daß grad ich dazu berufen zu sein scheine, immer neue derartige Mängel an Dir zu entdecken. Daß Du diese Notizen auf dem Schiff liegen lassen konntest, ist für mich geradezu unbegreiflich. Ich suche nach den Gründen dieser Deiner innerlichen Fehlerhaftigkeit. Du würdest sie wohl nicht finden; bei meinem bekannten Scharfsinn aber ist es für mich eine Kleinigkeit, sie schleunigst zu entdecken. Darf ich sie Dir nennen, Effendi?«

»Ja,« antwortete ich.

Wer mich und meinen Hadschi Halef kennt, der weiß, warum ich zuweilen stillschweigend darauf einging, mir von ihm derartige Predigten halten zu lassen. Er liebte und verehrte mich aufrichtig und wahr; aber immerwährend und immerwährend nur Verehrung, das erschien ihm langweilig; er mußte zuweilen fünf Minuten haben, in denen er seine ganze Entrüstung über mich ausschütten konnte; das lag so in seiner Natur, und dann war er sofort wieder der liebe, treue, aufopfernde Mensch, von dem ich verlangen konnte, was mir beliebte, sogar den Tod. Übrigens hatte ich grad jetzt eine strenge Strafpredigt verdient, und darum ließ ich dem, was er sagte, freien Lauf.

»Es sind zwei,« fuhr er fort. »Ist es Dir vielleicht möglich, sie zu erraten?«

»Nein.«

»So will ich sie Dir nennen, ohne Deinen Verstand unnötig zu belästigen. Es ist nämlich entweder die Dummheit oder die Altersschwäche. Begreifst Du das?«

»Noch nicht.«

»So ist es nicht die Altersschwäche, sondern die Dummheit allein. Für alle Fehler, die der Mensch macht, gibt es nämlich nur einen von diesen beiden Gründen. Sie genügen für alles, was geschieht. Nach noch anderen brauchen wir also nicht zu suchen. Du bist genau so alt wie ich. Darum weiß ich ganz genau, daß Altersschwäche bei Dir ausgeschlossen ist. Also kann es sich, wenn ich nach dem Grunde Deiner Fehlerhaftigkeit forsche, nur um die Dummheit handeln. Und weil Dir diese Fehler angeboren sind, muß Dir auch die Dummheit angeboren sein. Hast Du mich verstanden?«

»Ja.«

»Das wundert mich! Wer von Geburt dumm ist, der pflegt sonst nicht so schnell zu begreifen, wie Du mich jetzt, in diesem Augenblick, begreifst. Aber ich freue mich darüber. Denn da darf ich hoffen, daß Du auch das begreifen wirst, was ich Dir noch weiter zu sagen habe.«

Er stellte den Kolben seiner Flinte auf die Erde, stütze sich mit den Händen auf den Lauf und fuhr dann fort:

»Du weißt, Effendi, daß wir nach Ardistan und Dschinnistan gesandt worden sind, um gewaltige Abenteuer zu erleben und jene Art von großen Taten zu verrichten, die keinem anderen Geschöpfe, als nur uns beiden möglich sind. Wenn Du Deine Pläne und Karten bei Dir hättest, so würde es Dir wohl nicht ganz unmöglich sein, das Vertrauen zu rechtfertigen, welches Marah Durimeh in Dich setzt. Nun Du sie aber vergessen hast, gibst Du ganz gewiß ohne weiteres zu, daß Du bei Deinen angeborenen Mängeln unfähig bist, zu tun, was sie von Dir verlangt. Hieraus folgt mit unbestreitbarer Sicherheit, daß nun ich es bin, auf den Ihr beide Euch verlassen müßt. Die großen Taten habe ich auszuführen, nicht Du! Und die berühmten Abenteuer habe ich zu erleben, nicht Du! Früher warst Du die Hauptsache, und ich, ich war die Nebensache. Jetzt aber ist es grad umgekehrt: Jetzt bin ich die Hauptperson, und die Nebenperson bist Du! Gibst Du das zu, Effendi?«

»Sehr gern,« antwortete ich.

»Sehr gern?« fragte er, indem er einen ungewissen Blick auf mich warf. »Der Ton, in dem Du das sagst, gefällt mir nicht! Ich hoffe, Du meinst es ehrlich!«

»Im höchsten Grade ehrlich!« versicherte ich. »Es ist mir geradezu eine Wonne, zu erfahren, daß Du von jetzt an die Hauptperson bist.«

»Eine Wonne? Wieso?«

»Weil ich jetzt nichts mehr zu bedenken, zu überlegen und zu verantworten habe. Ich tue nur, was Du befiehlst.«

»Hm!« brummte er. »Nicht mehr denken willst Du? Gar nicht mehr?«

»Gar nicht mehr!« versicherte ich. »Bei meiner angeborenen Dummheit ist es mir sehr lieb, daß nun Du an meiner Stelle denkst.«

»Und verantworten soll ich alles?«

»Natürlich! Ich bin nur Nebensache!«

»Hm! Wenn ich nur wüßte, wie Du das meinst, ob ehrlich oder hinterlistig! Du bist nämlich in Beziehung auf die angeborene Dummheit ein höchst gefährlicher Mensch. Es ist möglich, daß Du mich damit nur in Versuchung führst. Aber da es nicht abzuleugnen ist, daß Du Deine Karten und Pläne vergessen hast, so bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: die Hauptperson bin ich! Ich werde also während dieser ganzen Reise befehlen, und Du hast zu gehorchen. Nicht?«

»Ja.«

»So erhebe Dich jetzt vom Boden und steig aufs Pferd. Wir brechen auf!«

Ich stand auf. Wir hatten uns beide durch das Sitzen auf dem feuchten Boden beschmutzt. Das erzürnte Halef, der ungemein auf Sauberkeit hielt.

»Allah ‘l Allah! Nun klebt der ganze Sumpf an unseren Kleidern!« rief er zornig aus. »Das ist Ardistan! Genau so, wie man es mir beschrieben hat! Bei uns daheim ist auch die Wüste so rein, daß sogar der Gläubige, bevor er betet, sich mit Sand anstatt mit Wasser wäscht, wenn ihm das letztere fehlt. Wer aber den Boden von Ardistan betritt, der versinkt im Schmutz schon gleich beim ersten Schritt und kann sich nicht eher von ihm befreien, als bis er die Grenze von Dschinnistan erreicht! Beeilen wir uns, diesem Dreck und Schlamm zu entweichen!«

Er stieg in den Sattel. Ich tat das auch. Nun wartete er, daß ich voranreiten werde. Ich aber machte eine abwehrende Handbewegung und forderte ihn auf:

»Zeig Du den Weg, ich bin nur Nebensache!«

»Gut, daß werde ich!« antwortete er in scheinbar zuversichtlichem Tone. Aber schon weniger zuversichtlich fügte er hinzu: »Du brauchst aber trotzdem nicht hinter mir zu reiten, sondern kannst Dich getrost an meiner Seite halten. Du kennst mich doch. Du weißt, daß ich auch als Hauptperson sehr leutselig bin!«

Der kleine Schlaue wollte mich neben sich haben, um sich nach der Fühlung mit mir richten zu können. Ich ging aber nicht darauf ein, sondern blieb hinter ihm. Das brachte ihn in keine geringe Verlegenheit. Er wußte von meinen Absichten, wie man sich ländlich auszudrücken pflegt, weder Kix noch Kax und war also vollständig unfähig, auch nur die Richtung unseres Rittes zu bestimmen. Darum wendete er sich schon nach kurzer Zeit mit der Bitte an mich zurück:

»Effendi, sag mir doch wenigstens, ob ich so richtig reite!«

»Es ist richtig,« antwortet ich. »Immer gerade aus.«

»Wenn aber ein Sumpf kommt?«

»So biegen wir um ihn herum.«

»Es scheint hier überhaupt alles Sumpf zu sein. Ich finde das schrecklich. Die Pferde versinken bis an die Knie!«

»Um über die morastige Ebene zu kommen, brauchen wir drei Tage.«

»Drei Tage? Allah erbarme sich! Was gibt es da für Menschen?«

»Keine. Auf menschliche Wesen treffen wir erst jenseits dieser Niederung.«

»Welchem Volke gehören sie an?«

»Dem Stamme der Ussul.«

»Der Ussul? Weißt Du das genau?«

»Ja.«

»Ich denke, Du hast Deine Notizen vergessen? Da kannst Du doch nichts wissen!«

»Warum nicht? Ich habe mir doch sehr viel von dem gemerkt, was ich in den Büchern von Marah Durimeh gelesen und nach ihren Karten mir ausgerechnet habe.«

»Gemerkt?« fragte er. »Sihdi, das ist nicht wahr; das glaube ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil ich es besser weiß! Ich habe Dir schon gesagt, daß ich Ardistan kenne, und zwar sehr genau. Darum bin ich ja die Hauptperson und reite jetzt voran. Ein jeder, der in diesem Lande gewesen ist, der weiß, daß es das Land des Vergessens ist.«

»Wieso?«

»Wer es betritt, der vergißt alles, was und wo und wie und wer er vorher gewesen ist.«

»Wer hat Dir das weisgemacht?«

»Weisgemacht? Ich bitte Dich, mich nicht zu beleidigen! Ich habe mit sehr, sehr viel Leuten über Ardistan gesprochen. Der klügste von ihnen war ein alter, gelehrter und viel gereister Derwisch, der sich über zehn Jahre lang dort aufgehalten hatte und es also sehr genau kannte. Er sagte, daß es mit Ardistan ganz entschieden dieselbe Bewandtnis habe, wie mit dem Menschenleben überhaupt.«

»Wie meinst Du das?« fragte ich ihn.

»Das will ich Dir sofort erklären,« antwortete er. »Du gibst doch zu, daß wir beide nicht aus Ardistan stammen, obwohl wir uns jetzt hier befinden?«

»Ja.«

»Ebenso gibst du auch zu, daß wir nicht von der Erde stammen, obgleich wir uns auf ihr befinden?«

»Einverstanden!«

»Aber weißt Du, wo Du gewesen bist, bevor Du hier geboren wurdest?«

»Nein.«

»Damals aber, wo Du Dich dort befandest, hast Du es gewußt?«

»Höchst wahrscheinlich!«

»So hast Du es also in dem Augenblick, an dem Du geboren wurdest, vergessen. Der alte, kluge Derwisch behauptete, daß die Erde eine Strafanstalt für Geschöpfe sei, die Allah nicht gehorchen wollten. Sobald sie durch das Tor der Geburt in das diesseitige Leben treten, vergessen sie alles Frühere. Sie wissen nicht mehr, wer und was und wo sie gewesen sind, und können sich nur durch unbedingten Gehorsam und unerschütterlichen Glauben, durch treue, ehrliche Arbeit und gute Werke nach dort zurückfinden, woher sie gekommen sind. Glaubst Du das, Effendi?«

»Die Ansicht dieses alten Derwisches ist interessant; man muß über sie nachdenken.«

»So denke nach! Er sagte, daß es im Leben eines jeden Menschen Augenblicke gebe, an denen ihm die Erinnerung an das vergangene Leben aufleuchte wie ein Blitz, der ebensoschnell verschwindet, wie er kommt.«

»Und so oder ähnlich ist es auch mit Ardistan?«

»Ja. Es ist ein Land des Vergessens, wie die Erde. Man behauptet sogar, daß das Leben in Ardistan ein ganz genaues Bild des Erdenlebens sei. Du lächelst, Effendi? Ist das, was ich sage, nicht wert geglaubt zu werden?«

»Ob wert oder nicht, das kommt hier nicht in Betracht. Weißt Du, wer Du bist?«

»Ja. Wozu diese Frage?«

»Und weißt Du, wo wir gestern waren?«

»Ja.«

»Und vorgestern und alle die Tage, Wochen und Monate vorher?«

»Ja.«

»Du hast es also nicht vergessen?«

»Nein.«

»Wie kann da Ardistan das Land des Vergessens sein?«

Da hielt er sein Pferd an, blickte nachdenklich vor sich hin und brummte:

»Ja. Deine Frage ist nicht dumm, auch nicht angeboren dumm. Vielleicht verwechsele ich das eine mit dem andern. Oder ich drücke mich nicht richtig aus. Oder die Vergeßlichkeit tritt nicht mit einem Male ein, sondern langsam, nach und nach. Bei Dir ist sie ja schon da, denn Du mußt doch zugeben, daß Du Deine Karten und Schreibereien liegen gelassen hast. Streiten wir uns nicht, sondern warten wir es ab, ob uns das Gedächtnis schwindet oder nicht. Kommen wir lieber auf den Stamm der Ussul zurück, von dem wir sprachen. Kennst Du ihn?«

 

»Nein,« antwortete ich, indem wir weiterritten.

»So sei froh, daß ich jetzt die Hauptperson bin! Ohne mich wärest Du vollständig verloren, wenn Du zu ihnen kommst. Ich weiß nämlich, woran ich mit ihnen bin. Ich habe von ihnen gehört. Nimm Dich in acht, Effendi! Die Ussul sind nämlich ein Volk von lauter Riesen. Sie haben Beine wie die Elefanten. Ihre Arme sind so lang und so stark wie zwanzigjährige Baumstämme. Ihre Haare gleichen der Mähne eines Löwen. Ihre Augen glühen wie Laternen. Ihre Stimmen machen den Lärm des Donners, und wenn sie zornig sind, zittert die Erde, auf der sie stehen. Sie wohnen in starken Burgen, die sie nur in das Wasser bauen. Sie leben vom Mord und vom Raub. Sie glauben nicht an Allah und auch nicht an den Teufel, und wer mit ihnen in Streit gerät, ist unbedingt verloren!«

»Das klingt ja außerordentlich beruhigend! Von wem hast Du das gehört? Wohl von demselben Derwisch?«

»Nein, sondern von anderen Personen, die aber nicht weniger glaubhaft und zuverlässig sind. Es ist ganz unmöglich, einen Mann vom Stamme der Ussul im Kampfe zu besiegen. Darum besteht die Leibgarde des ‘Mir von Ardistan nur aus solchen Kriegern, von denen es jeder gut und gern mit dreißig bis vierzig Feinden aufnehmen kann.«

»So ist es gut, daß wir nicht vierzig sind, sondern nur zwei!«

»Warum?«

»Weil sie es da gar nicht versuchen werden, es mit uns aufzunehmen!«

»Hohnlächle nicht, Sihdi! Was ich weiß, das weiß ich genau, und was ich erzähle, das ist wahr! Als Nebenperson steht es Dir überhaupt nicht gut, über das zu lächeln, was die Hauptperson erzählt – — – was ist? Was gibt es?«

Diese beiden Fragen sprach er unwillkürlich aus, denn sein Pferd war plötzlich stehen geblieben und ließ ein warnendes Schnauben hören. Auch Syrr, mein Hengst, hielt die Schritte ein, doch ohne ein Zeichen von Angst; er stampfte vielmehr mit den beiden Vorderfüßen, als ob er die Absicht habe, einen Feind mit den Hufen zu zermalmen. Die Augen beider Pferde waren nach der linken Seite gerichtet. Wir sahen nicht gleich, um was es sich handelte. Es war ein sumpfiger Rhizophorenwald, durch den wir ritten, nicht so dicht, wie Mangrove-und Manglewälder gewöhnlich zu sein pflegen. Die Stämme, welche der Art Konjugata angehörten, standen ziemlich weit auseinander, schickten aber doch eine solche Menge von Luftwurzeln von oben herab, daß die Aussicht eine sehr gehinderte war. In die angegebene Richtung schauend, bemerkte ich erst nach ziemlich beträchtlicher Zeit, daß eine dieser Luftwurzeln sich ganz eigenartig bewegte. Halef sah es zu derselben Zeit. Er erschrak, streckte den Arm aus und rief:

»Eine Schlange! Eine Riesenschlange! Wenigstens zehn Meter lang! Siehst Du sie, Effendi?«

»Ja,« antwortete ich. »Es ist eine Peddapoda.«

»Ich werde sie sofort niederschießen, sonst verschlingt sie uns mitsamt den beiden Pferden!«

Er nahm sein Gewehr zur Hand, um seinen Entschluß auszuführen. Der gute Halef übertrieb auch hier, wie so oft. Man behauptet zwar, daß die Tigerschlange sechs Meter und noch länger werde, diese aber war ganz sicher noch nicht einmal vier Meter lang. Daß sie uns beide mitsamt den Pferden verschlingen werde, war eine jener Vergrößerungen, die der kleine Hadschi liebte. Die Riesenschlange hing mit dem Schwanze oben an einem Baume und bewegte mit nach unten gerichtetem Kopfe den Körper in einer Weise, als ob sie irgend einen Gegenstand in der Luft zu fangen habe. Sie tat das jedenfalls in der Aufregung über unser Erscheinen. Wir konnten zwar nicht sehen, wohin ihr Auge blickte, aber daß sie uns bemerkt hatte, verstand sich ganz von selbst. Ich nahm den Henrystutzen vom Rücken, um nachzuhelfen, falls Halefs Kugel nicht treffen sollte. Es war kein leichtes Zielen, denn der Kopf der Peddapoda blieb keinen Augenblick an derselben Stelle. Darum ging der Schuß des Hadschi fehl, und auch ich traf erst beim zweiten Male. Die durch den Kopf geschossene Schlange schlug mit dem Vorderkörper einen konvulsivisch zuckenden Kreis, hing dann eine halbe Minute lang in gerader Linie vom Baume und fiel dann, indem die Ringel des Schwanzes sich lösten, von ihm zur Erde nieder. Wir ritten hin und stiegen von den Pferden.

»Heil uns!« rief Halef. »Das erste Abenteuer im Lande Ardistan ist überstanden, ohne daß es uns das Leben gekostet hat! Das Ungetüm ist tot! Sein Leben ging dahin, sobald wir kamen! Es wollte uns fressen, nun aber wird es von uns gefressen! O Glück, o Heil, daß es keine Beine hat, sonst wäre es aus Angst vor unserer Tapferkeit im Galopp davongelaufen! Schau es Dir an, Sihdi, dieses Ungeheuer, diesen Drachen, dieses Scheusal, dieses Ungetüm, diese Ausgeburt der Hölle, diesen Racker, diesen Hundesohn, diesen Abschaum, Schuft und Menschenfresser! Siehst Du das Maul, und siehst Du die Zähne? Weißt Du, daß so eine Schlange einen Ochsen verschlingt – — —«

»Das wohl nicht, mein lieber Halef,« unterbrach ich lachend seine Rede.

»Wenn nicht einen Ochsen, so doch wenigstens eine Kuh!« behauptete er.

»Nein!«

»Ein Kalb!«

»Auch nicht!«

»Einen Hammel!«

»Selbst diesen nicht! Und an einen Menschen wagt sie sich höchstens aus Versehen,«

»Wirklich?«

»Ja.«

Da machte er ein sehr enttäuschtes Gesicht und klagte:

»Aber so ist es ja gar keine Heldentat, die wir ausgeführt haben!«

»Leider nicht.«

»Wie schade, jammerschade! Konnte das Vieh nicht zwanzigmal länger sein und zehnmal dicker, als es ist? Dann würde auch unser Ruhm zwanzigmal länger und zehnmal dicker sein! Wozu haben wir sie nun erschossen? Kann man sie essen?«

»Ja. Die Neger essen Schlangen gern.«

»Allah behüte mich! Ich bin kein Neger!«

»So nehmen wir die Haut.«

»Wozu?«

»Man macht Schuhe und Taschen daraus, auch Satteldecken.«

»Satteldecken? Das ist mir recht! Bei uns daheim gibt es keine Riesenschlangen. Wenn ich da mit einer solchen Satteldecke komme, preisen mich alle Völker, und mein Lob erschallt über alle Länder der Erde. Das Fell will ich haben, das Fell!«

Wir zogen der Schlange mit Hilfe unserer Messer die rötlich braun gefleckte Haut vom Leibe und setzten dann den unterbrochenen Ritt fort. Die Haut hatte Halef an sich genommen; er betrachtete sie als seine Beute, obgleich die Schlange durch meine Kugel erlegt worden war. Ich hatte nichts dagegen. Das Zusammentreffen mit der Peddapoda hatte mir mehr gebracht als nur eine Schlangenhaut, nämlich die Freude über meinen Syrr, der beim Anblick der Reptilie keine Spur von Angst gezeigt hatte, obgleich er einem solchen Tier noch nie begegnet war. Diese Furchtlosigkeit war für mich von hohem Werte.