Solange es sie noch gibt. Forscher und Artenschützer im Einsatz für die bedrohte Tierwelt

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Solange es sie noch gibt. Forscher und Artenschützer im Einsatz für die bedrohte Tierwelt
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Kai Althoetmar

Solange es sie noch gibt

Forscher und Artenschützer im Einsatz

für die bedrohte Tierwelt

Nature Press

Inhaltsverzeichnis:

1. Am Fluß der Elefanten. Auf Forschungsexpedition in der Zentralafrikanischen Republik.

2. Der Räuber aus dem Bruchwald. Der Europäische Nerz. Rückkehr eines Verschollenen.

3. In Adebars Reich. Cigoc in Kroatiens Save-Auen ist Europas Storchenhauptstadt schlechthin und eine Arche alter Haustierrassen.

4. Ein Detektiv, der Blut saugt. Blutegel helfen in den Tropen seltene Tierarten nachzuweisen. Der WWF fahndet in Vietnam großflächig per DNA-Analyse nach Saola und Tiger.

5. Gemeinsam sind sie stark. Asiatische Wildhunde sind in weiten Teilen Asiens zum Phantom geworden. In Indiens Schutzgebieten haben sie eine Zukunft - dem Tiger sei Dank.

6. Dschungel ohne König. Asiens letzten 3.200 Tigern droht ohne radikalen Schutz der Garaus.

7. Wenn Bär und Wolf guten Tag sagen. Wildschwein, Bär, Viper & Co.: Wo Natururlauber in Europa mit riskanten Kollisionen rechnen müssen.

8. Krieg der Krebse. Krebspest und Konkurrenz aus Übersee haben heimische Flußkrebse an den Rand der Ausrottung gebracht. In der Eifel halten Naturschützer dagegen.

9. Wandern, schrumpfen oder weichen. Welchen Tieren der Klimawandel nutzt oder schadet, ist nicht immer vorhersagbar. Die Forschung bringt oft Überraschendes ans Licht.

10. Angelockt und mißverstanden. Das Zusammenleben von Braunbär und Mensch in Europa verläuft nicht überall harmonisch.

11. Man Eaters of Njombe. Menschenfressende Löwen in Tansania - eine afrikanische Tragödie.

12. Nashörner und ihre Leibwächter. In Tansanias Ngorongoro-Krater ergänzen sich Safaritourismus und Kampf gegen Wilderer.

13. Expedition Tonkin. Auf der Suche nach Vietnams letzten Stumpfnasenaffen.

Am Fluß der Elefanten

Sechs Monate unter Löwen, Rebellen und Wilderern: Wie zwei furchtlose Studenten aus Bern und Wien in Zentralafrika allerhand verschollen geglaubte Tierarten wiederentdeckten

Hic sunt leones. Hier sind Löwen. So bezeichneten Kartographen im Römischen Reich unbekanntes Land jenseits der Grenzen. Terra incognita, weiße Flecken auf der Landkarte. Meist lagen sie in Afrika.

Als der Schweizer Biologiestudent Thierry Aebischer 2010 über einer Afrikakarte grübelte, welche Gegend denn eine spannende Doktorarbeit abwerfen könnte, blieb sein Blick tief im Zentrum des Löwen-Kontinents hängen: in einem Winkel der Z.A.R., der Zentralafrikanischen Republik, im Chinkobecken, dem fast menschenleeren Südosten der ehemaligen französischen Kolonie, unweit der Grenze zum Südsudan und zur Demokratischen Republik Kongo.

Das Chinkobecken samt der Oberläufe der Flüsse Kotto, Mbari und Ouarra, etwa sechshundert Meter über Normalnull gelegen, ist ein Mosaik großer Waldsavannen und tropischer Regenwälder - dreimal so groß wie die Serengeti. Die schachbrettartige, sich ständig abwechselnde Struktur aus Savanne und Wald macht die Landschaft zu einem Hotspot der Artenvielfalt. Die 70.000 Quadratkilometer gelten dazu als eine der letzten unberührten Inseln von Wildnis auf der Erde und einer der unzugänglichsten Winkel Afrikas.

„Fluß der Elefanten“ heißt der Chinko bei den Einheimischen. Einst zogen Zehntausende der Dickhäuter durch die Wälder und Savannen und sagten sich mit Giraffen, Büffeln, Nashörnern und Löwen gute Nacht. Giraffen und Nashörner sind dort ausgerottet, den Elefanten droht das gleiche Schicksal, das war klar, aber was, fragte sich Aebischer, kreucht und fleucht dort heute noch durch den Busch?

Je mehr Fragen Aebischer in der Fachwelt stellte, desto weniger Antworten bekam er. Kein Biologe oder Naturschutzexperte konnte ihm sagen, welche Tiere noch im Chinko leben. „Wo ich auch anfragte, hörte ich immer nur: ‘Wir wissen nichts.’“, erzählt Aebischer. Wissenschaftliche Daten zu dem Gebiet von der Größe Österreichs waren kaum vorhanden. Über hundert Jahre war die Region nicht mehr erforscht worden. Die letzten Forscher dort dürften noch Franzosen mit Tropenhelm und Nilpferdpeitsche gewesen sein.

Zusammen mit seinem Freund, dem Wiener Studenten Raffael Hickisch, entspann Aebischer die Idee von der Expedition ins Niemandsland, vom Vorstoß ins Innerste Afrikas. Manche würden sagen: die fixe Idee. Nur Fotos eines schwedischen Großwildjägers namens Erik Mararv, der im Chinkobecken fernab jeder Zivilisation seit 2006 ein gediegenes Jagdcamp unterhält, gaben den zwei Pionieren eine Ahnung, welcher Schatz dort noch verborgen liegt.

„Also kontaktierten wir Erik ganz frech und fragten an, ob er an Forschung in seiner Jagdzone interessiert ist“, erinnert sich Aebischer. Dem Großwildjäger machten die zwei im Juni 2011 in Schweden ihre Aufwartung. Erik Mararv, ein Altersgenosse von Aebischer und Hickisch, setzte die beiden Studenten über mögliche Risiken und Nebenwirkungen ins Bild, befand sie ansonsten für tropentauglich und lud sie in die Wildnis ein. Hütten, Transport, Verpflegung - alles stand zur Verfügung. Mararv bot, was niemand sonst hatte. Kein anderes Unternehmen, keine NGO unterhält auch nur eine Buschhütte oder ein Plumpsklo im Chinkobecken.

Ein Schuß Verrücktheit ist auch dem Schwedenjäger - Lebensmotto: „Nichts ist unmöglich“ - nicht ganz wesensfremd. Mararv wuchs in der Z.A.R. auf, jagte schon mit fünfzehn und hatte mit achtzehn eine Jagdlizenz. Seit 2006 ist der Chinko sein Revier, 2005 erhielt er die Jagdkonzession. CAWA heißt sein Unternehmen, Central African Wildlife Adventures. Seine Frau Emelie macht die Buchungen, eine Handvoll anderer verwegener Männer, meist Weiße, die der Geist David Livingstones geweckt hat, kümmert sich um den Rest.

Zu Mararv kommen Jäger aus Europa und den USA, die schon fast jede Trophäe über dem Bett hängen haben, denen nur noch das Geweih dieser oder jener seltenen Antilopenart fehlt. Lord Derby-Eland, Bongo, Lelwel-Kuhantilope. Oder auch das Fell von Löwe oder Leopard. „Tiere, die es anderswo in Afrika entweder nicht gibt oder die woanders nicht gejagt werden dürfen“, sagt Aebischer.

Aebischer und Hickisch, bei ihren Chinko-Touren 2012 beide erst 25 Jahre alt, ließen sich nicht lange bitten. Nur war der Spaß nicht umsonst zu haben. Die zwei schrieben eine Liste, was das alles kosten würde: vier Ferngläser à 217,44 US-Dollar, 37 Kamerafallen zu je 240 Dollar, ein Team aus Trägern, Fährtenlesern, Jagdführern, für siebzig Tage machte das allein 14.002 Dollar, dann die Flüge, Transport in den Busch, Medikamente, Notebook, Satellitentelefon, Batterien und und und. Auf 51.836 Dollar und einen Cent kamen sie.

Das Klinkenputzen auf der Suche nach dem großen Sugar Daddy, dem freigiebigen Sponsor, verlief frustrierend. Internationale NGOs machen seit langem einen großen Bogen um den Chinko. „Viele staatliche Institutionen, aber auch NGOs fanden das Risiko sehr groß und wollten nicht die Verantwortung für eine solche Expedition übernehmen“, erzählt Aebischer. Alle winkten ab: vom WWF bis zu den Großkatzenschützern von Panthera. Zu gefährlich, zu aufwendig, und mit dem Mini-Etat sowieso nicht zu machen, hieß es.

Das Duo ließ sich nicht beirren, legte eigenes Geld auf den Tisch, sammelte bei Freunden, Familie und Firmen, kratzte 50.000 Euro zusammen. Später gelang es, noch 12.000 Euro bei der Basler Stiftung für biologische Forschung loszueisen. Ziel der Expedition war es, die im Chinko vorhandenen Großsäugetiere zu erfassen, ihre bevorzugten Habitate zu bestimmen und die Populationsgrößen abzuschätzen.

Als dann in Afrika die zoologischen Neuigkeiten von den Speicherkarten der Kamerafallen nur so herunterplumpsten wie Elefantenköttel, da wollten auch die Großkatzenschützer von Panthera in New York aufspringen, und in Washington schickte sich die National Geographic Society flugs an, ihren Mann für Afrika in Marsch zu setzen. Der mußte am Ende aber doch passen, als in der Zentralafrikanischen Republik der Bürgerkrieg ausbrach.

Zunächst zwei Mal flogen die zwei Studenten in die Zentralafrikanische Republik und dockten ans Chinko-Camp an, jeweils für drei Monate, erst von Februar bis April 2012, dann nochmals von Dezember 2012 bis Februar 2013.

Hundert Kamerafallen setzten sie am Ende ein, über 200.000 Bilder lieferten die auf Bewegung und Wärme reagierenden Fotoautomaten. Dazu liefen Aebischer und Hickisch fünfhundert Kilometer vorgezeichneter gerade Pfade ab, sogenannte Linientransekte, um Wildtiere direkt zu sichten und Spuren zu bestimmen. Als wäre das nicht genug, stapften sie noch weitere 1.500 Kilometer Fußmarsch quer durch die Wildnis.

Die Entdeckungen der zwei waren aus zoologischer Sicht spektakulär. Es fehlte nur noch, daß den beiden Säbelzahntiger und Wollnashorn vor die Kamera liefen.

Insgesamt wiesen Aebischer und Hickisch am Ende über achtzig mittlere und große Säugetierarten nach, darunter elf Primatenarten, 24 Spezies an Raubtieren - vom Löwen bis zum Serval - und 23 Huftierarten, darunter die seltene Riesen-Elenantilope, Afrikas größte Savannenantilope, auch Lord Derby Eland genannt, und den Bongo, die größte Waldantilope. Dazu kam allerhand kleines Getier, darunter fünf ameisenfressende Insektivorenspezies, und nicht zuletzt um die fünfhundert Vogelarten, darunter Helmperlhuhn, Sekretärvogel, Schwarzbauchtrappe, Afrikanischer Wiedehopf und Nashornvögel.

Bei einer weiteren Chinko-Tour 2015 bestätigte sich eine vage Hoffnung Aebischers: In der Region leben noch Schimpansen. „Wir haben schon beinahe nicht mehr daran geglaubt. Ich mußte meine Begleiter immer wieder von neuem davon überzeugen, daß es eben nicht wissenschaftlich ist, nicht mehr danach zu suchen, nur weil man sie bis anhin nie gefunden hat“, berichtet der Nachwuchsbiologe. „Wir haben eine gesunde Schimpansenpopulationen gefunden. Auf 1.900 Quadratkilometern gibt es mindestens zweihundert Tiere.“

 

Zum Fotoshooting auf dem Wald- und Savannen-Laufsteg erschienen selbst Arten, die afrikaweit oder zumindest regional als ausgerottet galten. Allen voran der Afrikanische Wildhund. In Zentralafrika waren die gescheckten Caniden in den letzten Jahrzehnten zum Phantom geworden. Durch Lehrbücher und Lexika geistern zwar Rumpfbestände, die es noch im Tschad, dem Südsudan und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik geben soll. Bloß hat sie seit Jahrzehnten kein Wissenschaftler gesehen. „Die Angaben stützen sich auf Schätzungen, Expertenmeinungen und Extrapolationen“, sagt Aebischer.

In den letzten Jahrzehnten verschwand der Rudeljäger aus mindestens 25 von 39 Ländern Afrikas komplett. Als eine letzte kleine Bastion Zentralafrikas galt noch der Norden Kameruns, ehe eine vom WWF Niederlande finanzierte Feldstudie zeigte, daß der Wildhund auch dort verschwunden ist. Die Fotonachweise aus dem Chinko geben daher neue Hoffnung für das Überleben der Art, deren Bestand laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) afrikaweit auf nichteinmal mehr 7.000 Tiere geschätzt wird, davon nur 1.400 im Fortpflanzungsstadium. Es waren einmal 500.000 Wildhunde.

„Der Wildhund braucht sehr große Streifgebiete und reagiert empfindlich auf die Fragmentierung seines Lebensraumes durch den Menschen“, sagt Peter Gerngross von der auf seltene Arten spezialisierten Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP).

Afrikas Wildhunden setze vor allem die Jagd mit Drahtschlingen zu. Im Chinko stelle das offenbar kein großes Problem dar, so der Wiener Raubkatzenexperte. Auch eine weitere häufige Todesursache scheidet im Chinko aus: Zusammenstöße mit Autos. Von daher biete der Chinko für die Art „gute Voraussetzungen“, meint Gerngross.

Aebischer und Hickisch konnten per Kamerafalle auch die Existenz einer Mungoart, der Listigen Manguste, nachweisen, die zwanzig Jahre lang nicht mehr gesichtet worden war. Data deficient - keine ausreichenden Daten vorhanden, hieß es zuvor bei der IUCN. Nun ist die Frage geklärt.

Auch die luchsartige Goldkatze hielten die Fotofallen fest. Die Grenzen ihres Verbreitungsgebietes hatten Biologen bislang 200 Kilometer weiter südlich gezogen. Überrascht waren die Forscher auch, daß der Wüstenluchs Karakal vor die Linse lief, der in der Region als unbekannt galt.

„Arten, die normalerweise weit entfernt voneinander in sehr unterschiedlichen Gegenden leben, kommen in diesem Teil der Zentralafrikanischen Republik gemeinsam vor“, berichtet Aebischer. Das gilt auch für Warzenschweine. Gleich drei Busch- und Warzenschweinarten koexistieren in der Gegend - neben dem in Afrika fast omnipräsenten Warzenschwein das Pinselohrschwein und das seltene Riesenwaldschwein.

Ähnlich Büffel: Mit dem Sudanbüffel und dem Afrikanischen Waldbüffel kommen gleich zwei Unterarten im Chinko vor. Auch das Elefantenvorkommen erstaunte. In der gleichen Region kommen Savannen- und Waldelefanten vor. Das war bislang nur aus zwei Nationalparks - dem Garamba im Kongo und Ugandas Queen Elizabeth-Park - bekannt.

Die Population der Elefanten beträgt nur noch wenige Hundert Exemplare. 1980 wurde die Zahl an Wald- und Savannenelefanten im Chinkobecken noch auf 20.000 Tiere geschätzt. Erik Mararv hat beobachtet, daß sich die Tiere dem Druck der Wilderer zu entziehen versuchen, indem sie in die dichteren Wälder nach Süden ausweichen. In die offenen Savannen kehren die Dickhäuter erst mit Beginn der Regenzeit zurück, wenn die Wilderer fort seien.

In Feldforschung sind Aebischer und Hickisch keine Anfänger. Die beiden kennen sich seit 2005 von einer Forschungsreise nach Costa Rica. Aebischer stammt aus Heitenried im Kanton Freiburg. Aus der 1.300-Seelen-Gemeinde zog es ihn in die Welt, je weiter, desto besser. 2007 lebte er sechs Monate in Kameruns Nki-Boumba-Bek-Nationalpark in einem Dorf und untersuchte für den WWF Kamerun Kothaufen diverser Antilopenarten und die Nester von Gorillas und Schimpansen. Für seine Bachelorarbeit analysierte er 2010 die Vegetation des Kilimandscharo. Sein Studium als Evolutionsbiologe an der Uni Bern hat er 2013 abgeschlossen.

Der Wiener Raffael Hickisch ist eigentlich Informatiker, sattelte auf den Bachelor noch ein Masterstudium in Sozial- und Humanökologie drauf. Seine Abschlußarbeit führte ihn in den Senegal. Dort ging er der Frage nach, wie weit sich Gummibaumplantagen eignen, Kohlendioxid zu speichern. Zum Chinko verschlug ihn „das Interesse an der Natur, die Neugier und einfach die Idee, so etwas zu versuchen“, berichtet er.

Die Chinko-Expedition entpuppte sich als das Abenteuer, das sie gesucht hatten, ungeplante Zumutungen inklusive.

In der Trockenzeit wird es im Chinkobecken tags bis zu 45 Grad heiß, nachts kühlt es bis auf zehn Grad ab. Moskitos verbreiten die Malaria, Tse-Tse-Fliegen die tödliche Schlafkrankheit. Aebischer und Hickisch impften vor dem Abflug alles, was die Tropenmedizin hergab, und schluckten Malariapillen. Aebischer fing sich trotzdem auf beiden Reisen Malaria tropica ein, bekam sie mit starken Stand-by-Medikamenten aber in den Griff.

Pisten und Wege mußten Mararvs Leute im Chinko erst mit Macheten freihauen. Die nächste Siedlung war sechzig Kilometer entfernt, die Hauptstadt Bangui auf dem Landweg tausend Kilometer. Lebensmittel müssen aus dem Ausland eingeflogen werden, so schlecht ist die Versorgungslage im Land. Aus Wildfleisch, das ihnen die Jäger überließen, machten die beiden Trockenfleisch. In den fünf Jagdcamps konnten sie in Lehm- und Holzhütten schlafen, außerhalb war Zelten angesagt. „Das Lagerfeuer vorm Zelt durfte nachts nie ausgehen“, sagt Aebischer. „Nachts hörten wir Löwen und Hyänen.“

Nichts für schwache Nerven waren neben Krokodilen auch die Giftschlagen, vor allem die für Menschen tödliche Schwarze Mamba und die Puffotter. Auf Schlangenseren mußten die zwei verzichten. Die vier dazu nötigen Ampullen zum Stückpreis von zweihundert Euro wären zu hitzeemfpindlich gewesen. Einmal kroch vor den beiden eine Schwarze Mamba über den Weg. Als Aebischer ihr mit der Kamera zu nahe kam, richtete sich die blitzschnelle und leicht reizbare Schlange drohend auf. Die zwei rührten sich nicht und kamen mit dem Schreck davon.

Unfälle mit Schwarzen Mambas in Afrika sind oft spektakulär, sagt Aebischer. Eine Mamba kann sich auf über eineinhalb Meter aufrichten und beiße dann ins Gesicht oder in den Oberkörper - dann sei es aus. Aebischer formuliert seine Buschlektion so: „Eine Schlange, die man sieht, ist eine gute Schlange.“ Die, die man übersieht, ist keine gute Schlange.

Glimpflich ging für Aebischer auch die Begegnung mit einem Büffel aus, der ihn zum Schein angriff. „Eigentlich wollte ich ihn einfach vorbeiziehen lassen. Erst nach einiger Zeit merkte ich, daß ich in der Nähe eines Jungtieres stand, das in einem halbgetrockneten Wasserloch eingesunken war und sich ohne die Hilfe der Mutter nicht befreien konnte.“

Auf Strom mußten die Forscher nicht verzichten. In den Hauptcamps der Jäger liefen Dieselgeneratoren, in den mobilen Camps taten es Akkus. Den Draht zur Welt und untereinander lieferten Satellitentelefone. Jeden Abend gaben die zwei Jungforscher den Großwildjägern damit ein Lebenszeichen und ihre Standorte durch.

Die meiste Zeit verbrachten sie damit, die Kamerafallen aufzustellen, zu kontrollieren und die schnurgeraden Linientransekte abzulaufen. Eine Woche ging am Schluß für das Einsammeln der Kameras drauf. Manchmal wurden sie von CAWA-Jagdführern oder Fährtenlesern begleitet, sonst waren sie im Busch nur zu zweit unterwegs, allein höchstens für kürzere Strecken.

Auf Begegnungen mit wilden Tieren waren sie immer gefaßt. Einmal sind sie morgens beim Abgehen ihrer Beobachtungslinien an einem Wasserlauf einem Leoparden begegnet. Die Katze war so erschrocken, daß sie mit einem Satz auf die drei Meter hohe Uferböschung sprang und floh.

Leoparden und auch Löwen seien aber „Phantome“, sagt Aebischer. „Wir sind sicher an Dutzenden Leoparden nahe vorbeigelaufen, ohne deren Präsenz direkt zu merken.“ Oft fanden sie frische Fährten. „Raubkatzen gehen im Chinko dem Menschen generell aus dem Weg“, sagt Aebischer.

Raffael Hickisch meint, „daß schnell eine gewisse Vertrautheit mit der Situation entsteht“. Man müsse aber die Sinne schärfen. „Einer Löwin zu nahe zu kommen, will man schon vermeiden.“ Sorgen machten den beiden vielmehr die politische Lage und die Wilderei.

Seit etlichen Jahren metzeln Wilderer in Zentralafrika ganze Elefantenherden nieder. Über neunzig Prozent der Bestände in der Z.A.R. sind inzwischen erloschen. Jedes Jahr zur Trockenzeit fallen die Banden auch ins Chinkobecken ein. Viele kommen aus dem Sudan, wo das meiste Großwild längst abgeschlachtet ist, andere aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Tschad oder der Z.A.R. selbst.

Waren die bis zu zweihundert Mann starken Horden vor dreißig Jahren noch mit Speeren bewaffnet, tut es heute die Kalschnikow. Auf den Märkten werden Buschfleisch, Felle, Edelhölzer, Elfenbein und andere Trophäen zu Geld gemacht. Vor allem das Elfenbein, das nach China und Südostasien geht, befeuert die Gier. Kein gutes Omen lieferten die Bilder der Kamerafallen: Auf den gleichen Pfaden, die Elefanten nutzten, waren zu anderer Zeit Wilderer zu sehen.

Wilderern sind die zwei Forscher hin und wieder selbst begegnet. „Wir hatten immer Angst, daß sie uns für Militär halten“, so Aebischer. Mißverständnisse konnten sie aber immer aufklären.

Zu den Wilderern gesellen sich im Chinko Viehnomaden aus dem Sudan mit Zehntausenden Tieren. Dazu begannen 2012 auch Wodaabe aus der ethnischen Gruppe der Fulbe in entlegenen Teilen der Z.A.R. ihr Vieh zu weiden. Die Rinder und Ziegen fressen das Grün weg, befördern mit der Überweidung Erosion und schleppen Krankheiten ein, die auf Wildtiere überspringen können: Rinderpest, Staupe, Maul- und Klauenseuche. Zuweilen verursachen die Hirten mit ihren Lagerfeuern auch Buschfeuer.

Und sie ziehen Löwen, Hyänen und Leoparden auf ihre Herden, was die Viehhirten wieder dazu treibt, den Raubtieren mit Giftködern oder dem Gewehr nachzustellen. 2012 fand David Simpson, der Campmanager, den Kadaver eines vergifteten Löwen. „Leider töten die illegalen Viehhirten aus dem Sudan auch jeden Löwen, den sie sehen“, erzählt Aebischer.

Die Nomaden haben es zwar nicht auf Elfenbein abgesehen, versorgen sich aber selbst mit Buschfleisch. Ein Feuerstoß aus dem Gewehr - und eine halbe Antilopenherde ist tot oder tödlich verletzt.

In den Lauf der Kalaschnikow guckten in der Z.A.R. nicht nur Löwen und Antilopen. Während der zweiten Expeditionsreise der beiden Jungforscher griff im Dezember 2012 eine Rebellenallianz zu den Waffen. Danach versank das Land im Chaos. Plünderungen und Morde an Zivilisten ereigneten sich vor allem im Norden des Landes Alltag. Kindersoldaten wurden rekrutiert, Frauen vergewaltigt, Männer in die Zwangsarbeit verschleppt.

Mitte März 2013 eroberten islamische Rebellen die Hauptstadt Bangui und übernahmen die Macht. Rebellenführer Michel Djotodia ernannte sich selbst zum Präsidenten und bildete eine Regierung der „Nationalen Einheit“. Ex-Präsident François Bozizé floh ins Ausland. Anhänger beider Lager lieferten sich blutige Gefechte, Moslems und Christen gingen aufeinander los. Tausende Menschen wurden vor allem im Nordosten des Landes vertrieben. Die staatliche Ordnung brach regelrecht zusammen. Seitdem existiert der Staat de facto nur noch in der Hauptstadt. Französische Truppen und solche der Afrikanischen Union sicherten vor allem den internationalen Flughafen in Bangui und diplomatische Einrichtungen in der Hauptstadt. Das Mandat wurde schließlich von den Vereinten Nationen ausgeweitet. Mittlerweile wird die Z.A.R. notdürftig von UN-Interventionstruppen zusammengehalten. Im Demokratieindex lag das Land zuletzt auf dem vorletzten Platz von 167 untersuchten Staaten.

„Die politische Lage in der Z.A.R. ist so schlecht wie seit langem nicht mehr, und unsere Partner und wir verloren in den Wirren des Regierungsturzes sehr viel Material“, berichtete Aebischer während der Unruhen. „Die Bevölkerung dort leidet mehr denn je unter Willkür und Chaos, was natürlich auch unsere Arbeit extrem erschwert.“

Die Wilderei vor allem auf Elefanten nahm unterdessen weiter zu, meldete der WWF Deutschland, der im Südwesten des Landes den Dzanga-Sangha-Nationalpark managt. Anfang Mai 2013 drangen Wilderer in das „Elefantendorf“ Dzanga-Bai vor, gaben sich als Angehörige der Rebellenregierung aus und schossen mit Maschinenpistolen von einer Touristenaussichtsplattform auf die Waldelefanten. 26 Dickhäuter verendeten auf der Regenwaldlichtung.

 

Elefantenfleisch wird in der Region auf lokalen Märkten offen verkauft. „Artenschutzerfolge, die über Jahrzehnte erkämpft wurden, drohen in wenigen Wochen vernichtet zu werden“, berichtete Johannes Kirchgatter, Afrika-Referent des WWF. Seine ausländischen Mitarbeiter hatte der WWF 2013 aus dem Nationalpark evakuiert - „wegen massiver Kidnapping-Gefahr“.

Ihre Waffen finanzieren die Banden mit Gewinnen aus dem Elfenbeinhandel. In Asien werden für jeden Stoßzahn Zehntausende von Euro gezahlt. „Sollten nicht sofort entscheidende Maßnahmen eingeleitet werden, könnte der Elefant in Zentralafrika im kommenden Jahrzehnt ausgerottet sein“, warnt der WWF. Seit 2004 sei allein der Bestand des Waldelefanten im gesamten Kongobecken um 62 Prozent gefallen. Derzeit sterben rund 30.000 Tiere dieser Elefantenart jedes Jahr - bei einem Gesamtbestand von nur noch 100.000.

Die Zentralafrikanische Republik mit ihren kaum fünf Millionen Einwohnern auf einer Fläche von der Größe Frankreichs ist bettelarm. Vierhundert US-Dollar beträgt die jährliche Wirtschaftsleistung eines Einwohners, Kinderarbeit ist so allgegenwärtig wie Kinderhandel und Hexenglaube, die Säuglingssterblichkeit liegt bei über zehn Prozent, über 100.000 Kinder sollen Aids-Waisen sein, und beim Human Development Index 2016 lag das Land weltweit auf Rang 187 - ebenfalls vorletzter Platz. Nur Niger blieb noch dahinter. Die Korruption ist endemisch. 2017 belegte die Z.A.R. Platz 156 unter 180 Staaten auf dem weltweiten Korruptionsindex von Transparency International. Holz und Diamanten sind die wichtigsten Exportgüter, die Industrie ist kaum entwickelt, Tourismus spielt so gut wie keine Rolle.

Auswärtige Mächte sind an dem Elend nicht ganz unbeteiligt. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zogen immer wieder arabische Sklavenjäger durch die Chinko-Gegend und entvölkerten sie regelrecht. Im 19. Jahrhundert drangen dann Franzosen in das Gebiet der heutigen Zentralafrikanischen Republik vor und reklamierten es für sich. 1889 gründeten sie eine Niederlassung bei Bangui, 1898 zerteilten sie die Kolonie und vergaben Konzessionen an Handelsgesellschaften.

Die Einheimischen reagierten mit Aufständen gegen die Kolonialisierung und die Zwangsarbeit auf den Plantagen, die bis Ende der 1920er Jahre vorkam. Joseph Conrads Kolonialschauerroman „Herz der Finsternis“ hätte auch hier statt im Freistaat Kongo spielen können.

1960 wurde die Z.A.R. unabhängig. Die weitere jüngere Geschichte ist eine einzige Abfolge von Wahlen, Putschen, Militärrevolten, Aufständen und Bürgerkrieg. 1976 horchte die Welt auf, als Putschpräsident Jean-Bédel Bokassa sich zum Kaiser ausrief und das Land zum „Zentralafrikanischen Kaiserreich“ erklärte. Die Krönung, deren Zeremonie zwanzig Millionen Dollar verschlang, nahm der zum Katholizismus übergetretene Bokassa I. gleich selbst vor, nachdem Papst Paul VI. dankend abgewunken hatte.

Bis zu seinem Sturz 1979 regierte der bizarre Regent, der sich für den 13. Apostel Jesu hielt, despotisch wie Caligula und folterte persönlich mit. Frankreich sah in ihm lange einen treuen Vasall, Präsident Valéry Giscard d'Estaing war zeitweilig ein gerngesehener Jagdgast.

Die Jagd ist und bleibt in der Z.A.R. eine der wenigen Konstanten. Unter prinzipienfesten Tierschützern dürften das CAWA-Camp und seine Kundschaft aber nur bedingt Begeisterung auslösen. Gejagt wurden zuletzt auch Arten, die in Afrika selten geworden sind oder ohnehin unter dem Druck der Wilderer stehen, vom Bongo angefangen bis zum Löwen.

Zuletzt entschied sich Mararv, die Jagd für eine Weile auszusetzen. Im August 2015 teilte er in einem Onlinejagdforum mit, es gelte nun, in den kommenden Jahren das Ökosystem zu erneuern. Er wolle nun einen Pfad einschlagen, der ganz neu für Zentralafrika sei: keine Tiere schießen. Stattdessen soll die Wilderei bekämpft werden. Der Kernbereich des Projektgebiets soll ohnehin dem Fotosafaritourismus vorbehalten bleiben.

Was die Buschhatz bis zu Mararvs Kurswechsel kostete, verriet die Preisliste eines Kölner Jagdreisebüros. „Für Jäger mit Abtenteuergeist“ war die zweiwöchige „Büffel-Safari“ für 16.500 Euro zu haben, zwei gehörnte Kolosse inklusive. Jedes Extrawild hatte seinen Preis: ein Bongo schlug mit 3.500 Euro zu Buche, ein ordinäres Warzenschwein mit 450 Euro, ein Löwe durfte für 5.000 Euro in die ewigen Jagdgründe befördert werden. „Wir können Ihnen garantieren, daß Ihr Adrenalin-Spiegel sprunghaft steigt, wenn sich der Löwe nähert. Das ist eine Jagd für nervenstarke Jäger“, hieß es auf der Internetseite des Reisebüros. „Übliche Jagdart ist die Pirsch zu Fuß und das Ausgehen der Fährten.“

Darben mußten die nervenstarken Pirschgänger nicht. Nach Ankunft des Charterflugszeugs auf der Landepiste war an alles gedacht. Im gediegenen Savannen-Chalet wartete feinste Cuisine auf, mit täglich frischen Pain au chocolat, Holzofenpizza, Carpaccio vom Derby-Eland und gegrilltem Perlhuhn. Lunch wurd im Busch serviert, und das Eis zum Nachtisch flog laut Angebot der Pilot gleich mit ein. Allerdings, warnte das Reisebüro, galt es täglich bis zu zehn Kilometer durch den Busch zu laufen.

So viel Gastlichkeit ist Mararv und seinem Campverwalter und Buschpiloten Simpson selbst nicht widerfahren. Im März 2012 wurden die beiden und zehn weitere CAWA-Mitarbeiter von der Polizei eingebuchtet und unter Mordverdacht gestellt. Zuvor waren in der Nähe dreizehn Goldschürfer tot aufgefunden worden, die im CAWA-Jagdgebiet eine illegale Mine betrieben hatten. Simpson hatte mit seinen Männern die Leichen der von Macheten und Speeren zerfleischten Arbeiter entdeckt. Mit Mararv war er nach Bangui zur Polizei gefahren, um Fragen zu beantworten - und landete im Knast. Die CAWA-Männer saßen 162 Tage in einer überfüllten Zelle in Bangui ein, der erkrankte Mararv kürzer, ehe die Anklage fallen gelassen wurde.

Eine Freilassung gegen Bestechungsgeld hatten sie zuvor abgelehnt. Der Verdacht war auf sie gefallen, weil Mararvs Leute mit den Goldschürfern mehrfach aneinandergeraten waren. Die Goldwäscher aus der Region waren über die von CAWA angelegen Buschpisten zu entlegenen Flußläufen vorgedrungen, um dort zu schürfen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vertrat später die Überzeugung, daß hinter den Morden Joseph Kony und seine berüchtigte ugandische Rebellenarmee, die Lord's Resistance Army (LRA), stecken. Die LRA hatte die Umgebung zuvor schon unsicher gemacht.

Aebischer, Hickisch und Mararv wollen am Chinko nun 17.700 Quadratkilometer in ein Biosphärenreservat verwandeln. Mararv hatte das Land für seine Jagdfirma 2014 auf fünfzig Jahre vom Staat gepachtet. 2013 hat das Trio das „Chinko Project“ gegründet, eine Schutzzone im CAWA-Konzessionsgebiet. Trotz der Turbulenzen in dem Unruheland ist es den Chinko-Aktivisten gelungen, das Projekt von der Regierung anerkennen zu lassen. „So einfach geben wir nicht auf“, hat sich Aebischer geschworen.

Einen Sponsor haben sie zuletzt im African Parks Network gefunden, einem gemeinnützigen Unternehmen aus Johannesburg, das Wildschutzgebiete in mehr oder weniger gescheiterten afrikanischen Staaten finanziert. Eine erste Finanzspritze über 2,4 Millionen US-Dollar dient dem Bau von Pisten, Gebäuden und Beobachterposten. Wie unwirtlich die Gegend ist, verdeutlichte im Januar 2017 eine weitere Hiobsepisode. Ein Helikopter mit Naturschützern an Bord stürzte ab. Zwei Mitarbeiter von African Parks, zuständig für die Rechtsdurchsetzung im Reservat, und der Pilot kamen um.