Buch lesen: «Muslime und Christen»
Jürgen Neitzert
Muslime und Christen
Ein franziskanischer Blick auf den Islam
Franziskanische Akzente
Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm
Band 13
Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.
In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:
Achtung der Menschenwürde,
Bewahrung der Schöpfung,
Reform der Kirche und
gerechte Strukturen in der Gesellschaft.
In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.
JÜRGEN NEITZERT
Muslime und Christen
EIN FRANZISKANISCHER BLICK AUF DEN ISLAM
echter
Herzlicher Dank geht an Adrian Schmider
für die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturen
sowie an die Franziskanerinnen von Reute
für die finanzielle Unterstützung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2017
© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Umschlag: www.wunderlichundweigand.de Cover: pellini/shutterstock Satz: Hain-Team (www.hain-team.de) Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN
978-3-429-04332-2
978-3-429-04908-9 (PDF)
978-3-429-06328-3 (ePub)
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
Inhalt
Vorwort
Ein Tag unter Muslimen
1. Wie es begann: Franziskus und der Sultan
Der Kreuzzug
Franziskus begegnet dem Sultan al-Malik al-Kamil
Anregungen aus der Begegnung mit Muslimen
Franziskaner und Muslime in der Geschichte: Dialog und Konflikte
Franziskanische Präsenz in muslimischen Ländern in Geschichte und Gegenwart
2. Die drei abrahamitischen Glaubensrichtungen
Gemeinsame Wurzeln – gemeinsame Konflikte
Abraham im Judentum
Abraham im Islam
3. Der Islam
Das Wesen des muslimischen Glaubens
Jesus und Maria im Islam
Die fünf Säulen des Islam
Der Dschihad
Die Scharia, das islamische Recht
Islamische Gruppen und Rechtsschulen
Schutzbefohlene – Stellung der Christen im Islam
4. Sufismus
Kenntnis des Sufismus im Christentum
Berühmte Sufis der Frühzeit des Islam
Leben der Sufis
Gottgedenken
Berührungspunkte zwischen dem Sufismus und der franziskanischen Spiritualität
5. Dialog mit dem Islam in Deutschland – Chancen und Probleme
Präsenz von Muslimen
Moscheeverbände und Gruppen
Der Salafismus – differenziert betrachtet
Grundlage des Zusammenlebens von Muslimen und Christen in unseren Gesellschaften
6. Was die franziskanische Welt heute für ein friedliches Miteinander einbringen kann
Jean Mohammed Abd-el-Jalil: Einsatz für ein besseres Verständnis des Islam
Die Konferenz in Assisi zum Dialog mit dem Islam
Der Dialog der Franziskaner in Deutschland mit den Muslimen
7. Schlusswort: Islam – Herausforderung für uns Christen
Anmerkungen
Zum Weiterlesen
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkung: Arabische Umschrift und Koranzitate
Dank
Vorwort
Seit 800 Jahren stehen Franziskaner im Dialog mit Muslimen, der von unserem Gründer Franziskus von Assisi im Jahr 1219 mit dem Sultan von Ägypten begonnen wurde. Eine jahrhundertelange Präsenz der Franziskaner im Dienst an den Muslimen folgte dieser Begegnung, zuerst in den muslimischen Ländern, heute auch in den Ländern des Westens, wo Muslime eine Minderheit sind. Durch die Einladung des Papstes an religiöse Leiter aller Religionen zum Interreligiösen Friedenstag am 27. Oktober 1986 in Franziskus’ Heimatstadt Assisi wurde an dessen Geste des Dialogs mit dem Sultan erinnert. Die Auswirkungen dieser Geste in der franziskanischen Welt und in Deutschland sowie die Chancen für ein besseres Miteinander von Muslimen und Christen in der Zukunft versuche ich in diesem Band der „Franziskanischen Akzente“ aufzuzeigen. Dabei lade ich zu einem besseren Verständnis des Islam durch grundlegende Informationen als Bausteine des Dialogs ein.
Ein Tag unter Muslimen
27. Januar 2016, 6:30 Uhr. Mit dem Fahrrad fahre ich von unserer Franziskanergemeinschaft in Köln-Vingst zu einer vom Verein Pro Humanitate Köln angemieteten Wohnung in das Nachbarviertel Höhenberg. Dort leben neun minderjährige muslimische Flüchtlinge, sieben Syrer, Kurden und Araber, ein Afghane und ein Albaner sowie ein indischer Sikh. Seit September 2015 sind sie in Deutschland und wurden von uns dort aufgenommen. Die jüngsten fünf, 15 bis 17 Jahre alt, werden von mir geweckt; wir frühstücken zusammen. Dann geht es mit der Straßenbahn zu einer Hauptschule, wo ich sie als neue Schüler anmelde. Wir lernen ihre Lehrerin und ihre zukünftige Schulklasse kennen, die Mitschüler sind auch zumeist neu in Deutschland angekommene Flüchtlinge. Danach besorge ich mit den fünf Flüchtlingen beim Verkehrsbetrieb Schülerfahrausweise für das restliche Schuljahr. In der Wohnung der Flüchtlinge essen wir zu Mittag; eine kurdische Bekannte hat dort für die Jungen gekocht. Nachmittags schaue ich dann bei dem Jugendraum des Vereins vorbei, der sich in unserem Stadtteil Vingst befindet. Dort trifft sich eine Jungengruppe. Die zwölf Mitglieder, 15 bis 18 Jahre alt, sind alle in Köln geborene Muslime; ihre Eltern oder Großeltern sind aus der Türkei gekommen. Auch die Eltern des Gruppenleiters Samet stammen aus Gaziantep im Süden der Türkei. Wir schreiben für einige aus der Gruppe Bewerbungen für Lehrstellen. Eine Stunde später trifft sich im Bürgerzentrum neben unserem Jugendraum die Mädchengruppe. Die Leiterin Ruken ist eine in Köln geborene Kurdin, die 14- bis 16-jährigen Mädchen sind muslimische Bulgarinnen und Kurdinnen. Wir planen miteinander eine Jugendfahrt nach Hamburg im Herbst.
Nach der Vesper, dem Abendgebet meiner Gemeinschaft, treffen wir uns mit dem Arbeitskreis „Dialog der Kulturen“ in der Kuba-Moschee im Nachbarviertel Kalk. Der Arbeitskreis kam zusammen, als vor sieben Jahren ein junger Marokkaner bei einem Streit mit einem Russlanddeutschen ums Leben kam und daraufvon seinen Landsleuten große Demonstrationen in unserem Stadtviertel veranstaltet wurden. Seitdem laden die Polizei, die Jugendpfleger und die Sozialarbeiterin für interkulturellen Dialog des Bezirks Köln-Kalk regelmäßig zu Treffen ein. Es kommen vor allem Vertreter der Moscheegemeinden, der Sikhs, der Kirchen und ich als Franziskaner. Wir planen diesmal einen interreligiösen Abend zum Thema: Feste in den Religionen und der Gesellschaft. Um 21:00 Uhr gehe ich noch kurz in die Turnhalle in Vingst, wo 25 jugendliche Roma, von mir organisiert, Fußball spielen. Sie stammen vor allem aus Serbien und Mazedonien, einige Albaner sind auch dabei; fast alle sind Muslime, so auch der Trainer, Schaban, aus Serbien. Wir sprechen kurz über ein von uns geplantes Fußballturnier, dann gehe ich endlich nach Hause.
Ein ganz gewöhnlicher Tag in meinem Leben als Franziskaner in Köln. Mein Alltag ist geprägt von Begegnungen mit vielen muslimischen Freunden.
1. Wie es begann: Franziskus und der Sultan
„Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“1
Diese Aussage des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Muslimen ist ein Meilenstein für den Dialog der katholischen Kirche mit dem Islam. Sie ist Teil der Erklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. In Fortführung dieser Konzilserklärung gab das vatikanische Sekretariat für die Nichtchristen 1984 das Dokument „Dialog und Mission“ heraus. Darin wird Bezug auf das Modell des Dialogs genommen, das der heilige Franziskus von Assisi in das 16. Kapitel seiner Ordensregel von 1221 aufgenommen hat:
„Unter den zahlreichen Beispielen aus der Geschichte der christlichen Mission sind die Normen bezeichnend, die der hl. Franziskus in der nicht bullierten Regel von 1221 den Brüdern gibt, die von Gott angeregt zu den Sarazenen gehen möchten … Sie können auf doppelte Weise unter ihnen die geistlichen Beziehungen ordnen. Die eine ist, dass sie keinen Streit oder Disput anfangen, sondern jedem menschlichen Geschöpf aus Liebe zu Gott untertan sind und bekennen, Christen zu sein. Die zweite Weise besteht darin, dass, wenn sie es als dem Herrn wohlgefällig erkennen, das Wort Gottes verkünden.“2
Die Erfahrungen, die bei Franziskus von Assisi zur Aufnahme dieser Normen für die Präsenz unter den Sarazenen, wie die Muslime zu seiner Zeit genannt wurden, in die Regel des Franziskanerordens führten, hängen mit seinem Treffen mit den Muslimen in Ägypten zusammen.
Der Kreuzzug
Franziskus von Assisi (1182–1226) begegnet durch seine Friedensinitiative während des 5. Kreuzzuges dem Sultan von Ägypten, al-Malik al-Kamil. Seit der Eroberung 1187 durch Saladin befindet sich Jerusalem wieder in den Händen der Muslime. Nur Akkon und ein schmaler Küstenstreifen sind den Kreuzfahrern geblieben. Auf dem Vierten Laterankonzil im Jahr 1215 wird ein Kreuzzug beschlossen, der am 1. Juni 1217 beginnt. Im April 1218 kämpfen die Kreuzfahrer nicht im Heiligen Land, sondern beginnen mit der Belagerung der strategisch wichtigen Hafenstadt Damiette im Nildelta Ägyptens. Diese kontrolliert den einzig befahrbaren Nil-Arm. Ende August 1218 nehmen die Kreuzfahrer die Stadt ein.
Kurz darauf stirbt der muslimische Herrscher, der Sultan al-Adil, der Bruder Saladins. Einer seiner Söhne, al-Malik al-Kamil, herrscht nun in Ägypten und dem Süden Palästinas. Da er seine Herrschaft gegenüber seinen Brüdern erst sichern muss, verhandelt er mit den Kreuzfahrern und bietet mehrmals die Rückgabe Jerusalems einschließlich der meisten Gebiete des ehemaligen Königreiches Jerusalem sowie die Rückgabe der christlichen Kriegsgefangenen an. Der päpstliche Legat bei den Kreuzfahrern, Kardinal Pelagius, lehnt es allerdings ab, mit ihm zu verhandeln.
Franziskus begegnet dem Sultan al-Malik al-Kamil
Franziskus fährt 1219 von Ancona aus Richtung Akkon in Syrien und gelangt schließlich nach Damiette, wo das Kreuzfahrerheer lagert. Er sieht die Sittenlosigkeit und Sucht nach Beute bei den Kreuzfahrern und erfährt so, dass es kein gerechter und gottgefälliger Krieg ist. Er warnt vor einem Überfall auf das muslimische Heer, wird aber nicht ernst genommen. Im September 1219 macht sich Franziskus mit seinem Begleiter, Bruder Illuminatus, zum Lager des Sultans auf, dem er das Evangelium verkünden will. Eine Vielzahl lateinischer Quellen belegt die Historizität der Begegnung des Sultans mit Franziskus.
Die erste Quelle über den Besuch des Franziskus beim Sultan ist der Brief des Bischofs von Akkon, Jakob von Vitry, aus Damiette vom Februar/März 1220. In diesem Brief beschreibt dieser erst ein Blutbad der Kreuzfahrer an den Muslimen und die Einnahme von Damiette, das infolge der Pest fast ausgestorben war; dann fügt er an:
„Ihr Meister, der diesen Orden gegründet hat (er heißt Bruder Franziskus, ein liebenswerter und von allen verehrter Mann), war damals zu unserem Heer gestoßen. In seinem Eifer für den Glauben ließ er sich nicht davon abhalten, in das Heer unserer Feinde hinüberzugehen. Obwohl er den Sarazenen während mehreren Tagen das Wort Gottes predigte, richtete er nur wenig aus. Doch der Sultan, der König von Ägypten, bat ihn insgeheim, für ihn zum Herrn zu beten, damit er auf göttliche Erleuchtung hin derjenigen Religion anhangen könne, die Gott mehr gefalle“ (2 Vitry 2, FQ 1536 f).
Derselbe Jakob von Vitry schreibt 1221: „Der Sultan hörte ihm sehr aufmerksam zu. Doch da er schließlich befürchtete, Leute aus seinem Heer könnten sich aufgrund der Wirksamkeit seiner Worte zu Gott bekehren und ins Heer der Christen überlaufen, befahl er, ihn mit allen Ehren und unter Geleitschutz ins Lager der Unsrigen zurückzubringen. Beim Abschied sagte er zu ihm: ‚Bete für mich, dass Gott mir gnädig offenbare, welches Gesetz und welcher Glaube ihm mehr gefalle‘“ (3 Vitry 14, FQ 1541).
Für den Sultan ist der Besuch des Franziskus wahrscheinlich kein großes Ereignis; er hat viele koptische Christen und auch Mönche in seinem Herrschaftsgebiet und es gibt Kontakte zu christlichen Kaufleuten. Doch hat er vielleicht erwartet, dass Franziskus aufgrund der Friedensvorschläge des Sultans an das Kreuzfahrerheer gekommen sei. Dass er ihn bittet, zu beten, dass Gott ihm das Gesetz und den Glauben zeige, die ihm das Wichtigste seien, klingt für uns wie eine Offenheit, zum Christentum überzutreten, doch ist das für einen frommen Muslim, wie es der Sultan sicher war, nur eine Formulierung, die den Islam als letzte Botschaft von Allah, Gott, bestätigen soll.
Auch in Franziskus-Biographien der Franziskaner sind die Anwesenheit im Kreuzfahrerlager und die Begegnung mit dem Sultan häufig erwähnt. Thomas von Celano berichtet in seiner Zweiten Lebensbeschreibung (2 C 30, FQ 317) über die kritische Stellung des Franziskus dem Kreuzzug gegenüber, dessen Niederlage Franziskus voraussagt.
Bonaventura schildert in seiner Legenda Maior (LM 9,8, FQ 745 f) noch eine Feuerprobe als Gottesurteil, die Franziskus dem Sultan angeboten und dieser abgelehnt haben soll, doch ist das eher eine Antwort auf die im Koran in Sure 3,61 erwähnte Geschichte Mohammeds mit den Christen von Nadschran, mit denen er ein Gottesurteil ausmacht, das diese ablehnen, und insofern genauso wenig historisch wie andere Details der Schilderung der Begegnung durch Bonaventura.
Anregungen aus der Begegnung mit Muslimen
Franziskus versucht, den Kreuzzug zu beenden, doch seine Warnungen werden nicht gehört. Aber er erkennt, dass der Sultan ein frommer Muslim ist und keine Bestie, als die er von den Kreuzfahrern beschrieben wird. Er erlebt, dass die Muslime fünfmal am Tag vom Muezzin zum Gebet gerufen werden. Das nimmt er als Anregung nach Europa mit und setzt sich nach seiner Rückkehr bei Fürsten und Gottesleuten für das täglich mehrmals zu verrichtende Gotteslob der Christen ein.3 So schreibt er 1220 in seinem Brief an die Lenker der Völker: „Und möget ihr doch unter dem euch anvertrauten Volk dem Herrn so große Ehre bereiten, dass an jedem Abend durch einen Herold oder sonst ein Zeichen dazu aufgerufen werde, vom gesamten Volk Gott, dem Allmächtigen Herrn, Lobpreis und Dank zu erweisen“ (Lenk 7, FQ 137). Im ersten Brief an die Kustoden, die Verantwortungsträger seines Ordens, schreibt Franziskus im gleichen Jahr 1220: „Und über sein Lob sollt ihr zu allen Leuten so sprechen und predigen, dass zu jeder Stunde und wenn die Glocken läuten, dem allmächtigen Gott vom gesamten Volk auf der ganzen Erde immer Lobpreis und Dank dargebracht wird“ (1 Kust 8, FQ 112). In seinem Brief an alle Brüder oder den gesamten Orden fordert er die Brüder zur gleichen Gebetshaltung auf, die er bei den Muslimen gesehen hat: „Wenn ihr seinen Namen hört, betet ihn an mit Furcht und Ehrerbietung, tief zur Erde gebeugt“ (Ord 4, FQ 114). Einige Jahre später, 1224, schreibt er seinem Sekretär Bruder Leo einen Segen und einen Lobpreis Gottes, der an die 99 Namen Gottes, die die Muslime ehrfurchtsvoll beten, erinnert: „Du bist der heilige Herr, der alleinige Gott, der du Wunderwerke vollbringst. Du bist stark, du bist groß. Du bist der Höchste. Du bist allmächtig, du heiliger Vater, König des Himmels und der Erde“ (LobGott 1 f, FQ 37).
Ein weiterer Niederschlag der Erfahrungen aus diesem Besuch beim Sultan ist im Kapitel 16 der Nicht-bullierten Regel zu finden, die Franziskus dem Pfingstkapitel, dem damals jährlichen Treffen des Franziskanerordens, 1221 vorlegt:
„Von denen, die unter die Sarazenen und andere Ungläubige gehen. Der Herr sagt: ‚Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. Seid daher klug wie Schlangen und einfältig wie Tauben‘. Daher soll jeder Bruder, der auf göttliche Eingebung hin unter die Sarazenen und andere Ungläubige gehen will, mit der Erlaubnis seines Ministers und Dieners gehen. Der Minister aber soll ihnen ohne Widerspruch die Erlaubnis geben, wenn er sieht, dass sie zur Mission tauglich sind, denn er wird dem Herrn Rechenschaft ablegen müssen, wenn er hierin oder in anderen Dingen unüberlegt vorgegangen ist. Die Brüder, die dann hinausziehen, können in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln. Eine Art besteht darin, dass sie weder zanken noch streiten, sondern um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind. Die andere Art ist die, dass sie, wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden, damit jene an den allmächtigen Gott glauben, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist, den Schöpfer aller Dinge, an den Sohn, den Erlöser und Retter, und sich taufen lassen und Christen werden; denn wer nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Heiligem Geist, kann nicht in das Reich Gottes eingehen“ (NbR 16,1–7, FQ 81 f):
Dieses Kapitel der in den Jahren 1211 bis 1221 gewachsenen Regel ist das grundlegende franziskanische Missionsdokument. Es fasst die Erfahrungen des Franziskus nach seiner Reise nach Ägypten zusammen. Es ist eingebettet in drei schon früher entstandene Kapitel, die die Sendung der Brüder in die Welt beschreiben und als wesentliche Elemente der franziskanischen Sendung die Besitzlosigkeit und das Mindersein als dem Evangelium gemäße Lebensform bei der Wanderschaft, den Friedensgruß sowie die Bußpredigt herausstellen. Dazu kommt die enge inhaltliche Verbindung zu Kapitel 7 „Von der Weise zu dienen und zu arbeiten“, in dem steht: „Sie sollen vielmehr mindere und allen untergeben sein, die im gleichen Hause sind. Und die Brüder, die arbeiten können, sollen arbeiten und das Handwerk ausüben, das sie verstehen …“ (NbR 7,2 f, FQ 75).
Für die Präsenz unter den Muslimen wird der gleiche lateinische Begriff „subditus“, zu Deutsch: „untergeben“, gebraucht wie für die Präsenz der Brüder in den christlichen Ländern. Wesentliches Element der franziskanischen Lebensform ist zu dieser Zeit die einfache Handarbeit im Dienste der Menschen, die einen Zugang zu dem Alltagsleben der umgebenden Gesellschaft schafft. Franziskus macht keinen Unterschied zwischen der Sendung der Brüder zu den Christen und zu den Muslimen mit den Elementen: Dienst, Friedensgruß, Zeugnis eines dem Evangelium gemäßen Lebens und Aufruf zu Buße und Umkehr.
Franziskaner und Muslime in der Geschichte: Dialog und Konflikte
Das Modell der Begegnung des Franziskus mit dem Sultan in Damiette und die Anweisung in der Ordensregel, ohne Streit und Zank unter Muslimen dienstbar zu leben, findet Nachahmer in dem von ihm gegründeten Orden. Einige exemplarische Gestalten seien hier angeführt.
Der sich 1256 dem Franziskanerorden anschließende Theologe Roger Bacon (1220–1292) gilt als einer der Begründer der empirischen Naturwissenschaften. Da er der Meinung ist, dass Glaubensverbreitung nicht mit Gewalt, sondern nur argumentativ oder durch das gute Beispiel möglich ist, kritisiert er die Kreuzzüge und vertritt die friedliche Glaubensverbreitung.
Der Franziskanerterziar Ramon Llull (1232–1316), namhafter Philosoph und Theologe, entschließt sich 1263 nach einem mystischen Bekehrungserlebnis, sein Leben der Reform der Kirche und der Bekehrung der Muslime und Juden auf friedliche Weise, durch theologischen Disput, zu widmen. Dazu lernt er Arabisch und studiert arabische Philosophie, setzt sich mit der islamischen Theologie auseinander und verfasst zahlreiche Schriften in Arabisch. Die arabische Mystik, der Sufismus, ist ihm sehr nahe und sehr vertraut. Er wirbt unermüdlich bei Päpsten und Herrschern für sein Anliegen der friedlichen Glaubensverbreitung und der Errichtung von Schulen der arabischen Sprache.
Fra Andjeo Zvijezdovic von Bosnien und Sultan Fatih Mehmet
Schon in Galata bei Konstantinopel hat der osmanische Sultan Mehmet II. die dort seit 1218 ansässigen Franziskaner kennen gelernt, als er nach der Eroberung Konstantinopels am 29. Mai 1453 die erste Nacht in ihrem Konvent San Francesco in Galata verbringt. Jahre später kehrt er zu einem Besuch in den Franziskanerkonvent zurück, um dort an einem Gottesdienst teilzunehmen.
Im Frühjahr 1463 macht sich Mehmet II. mit einem großen Heer zum Feldzug gegen Bosnien auf, das innerhalb kürzester Zeit erobert wird. Der Sultan hält sich am 7. Juli in Sjenica und am 17. Juli in Üsküb auf. Dort trifft er mit dem Franziskaner Fra Andjeo Zvijezdovic vom Kloster Fojnica zusammen. Dieser vertritt nach dem Tod des bosnischen Königs das Land Bosnien. Er erbittet einen Schutzbrief mit Zusicherung der Religionsfreiheit für die Christen seitens des Sultans mit der Begründung, dass die Gefahr der Entvölkerung der Region bestünde. Dafür verspricht Fra Andjeo Loyalität seitens der katholischen Bevölkerung. Dieser Vertragsbrief, osmanisch Ahd-name genannt, wird vom Sultan gewährt. Das Original ging verloren, eine originalgetreue Kopie befindet sich noch heute im Museum des Franziskanerklosters Fojnica, zusammen mit einem Geschenk an Fra Andjeo, dem Mantel von Sultan Mehmet. Fra Andjeo bleibt bis zu seinem Tode im Jahre 1498 des Sultans getreuer Untertan und seiner Herrschaft gehorsam, wie es im Schutzvertrag vereinbart war. Sein Lebenswerk ist die Grundlage jahrhundertelanger Präsenz der Franziskaner als einzige katholische Seelsorger während der osmanischen Herrschaft in Bosnien.
Die andere Seite der Medaille:
die Verteidigung Belgrads und Wiens
Schon mit den Franziskanern in Galata bei Konstantinopel macht Mehmet II. die positive Erfahrung der Loyalität nach vertraglicher Gewährung von Religionsfreiheit für die Christen, wie später auch in Bosnien. Eine andere Erfahrung wird Mehmet II. mit dem Franziskaner Johannes Kapistran machen, geboren am 24. Juni 1386 in Capestrano in den Abruzzen. Als charismatischer Buß- und Wanderprediger mobilisiert Kapistran Tausende nicht im Kampfausgebildeter Ordensleute und Priester, Studenten und andere aus religiöser Begeisterung Kämpfende. Diese religiös von Kapistran Geschulten unterstützen den gegen Mehmet II. kämpfenden ungarischen Feldherrn Hunyadi, der schon seine Truppen zurückziehen will. Dadurch erhält das Kriegsgeschick eine Wende, die zur erfolgreichen Verteidigung Belgrads und zur Abwehr des osmanischen Heeres unter Sultan Fatih Mehmet II. im Juli 1456 führt.
Der kostenlose Auszug ist beendet.