Verblöden unsere Kinder?

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Jugendliche sind multimedial vernetzt

Ein Bundesdeutscher ab 14 Jahren verbringt täglich etwa 600 Minuten mit Medien, das sind fast 10 Stunden, wobei Medien (z. B. Radio und Computer) parallel genutzt werden.

Die Medien werden über den Tag unterschiedlich intensiv gehört, gesehen oder genutzt. Der Hörfunk hat seinen Höhepunkt am frühen Morgen bis zum Nachmittag, das Fernsehen, obwohl die Programme ganztäglich gesendet werden, seinen Spitzenwert am Abend in der „Primetime“ (zur besten Sendezeit).

Kinder, die nach 1980 geboren sind, werden als „Digital Natives“ bezeichnet. Diese Generation wächst ganz anders mit Medien auf als ihre Eltern. Sie nutzen mehrere Medien gleichzeitig, sind die „Daumenkinder“, die in wenigen Sekunden Textnachrichten (SMS) versenden können, die auf dem einen Ohr den neuesten Song als MP3 hören und mit dem anderen Ohr übers Handy telefonieren. Auf diese Jugendlichen ist die (Medien-)Gesellschaft so nicht eingestellt, weil sie die erste Generation bilden, die in dieser Weise durch Medien sozialisiert ist. Das hängt auch damit zusammen, dass sich das Internet schneller als alle vorangegangenen Medien entwickelte und in der Gesellschaft durchsetzte: Brauchte das Radio etwa 40 Jahre, bis es 50 Millionen Nutzer erreichte, benötigte das Fernsehen dafür etwa 13 Jahre, der Computer immerhin noch 16 Jahre, erreichte das Internet in nur fünf Jahren die Grenze von 50 Millionen.

Das Internet wird nicht nur von der großen Mehrheit der Bevölkerung genutzt, es gibt auch keine repräsentativen Bevölkerungsschichten in Deutschland, die internetfern sind. Ganz praktisch bedeutet dies für die Forschung, dass ein Vergleich zwischen internetnahen und internetfernen Gruppen nicht mehr möglich ist, wenn z. B. Studien durchgeführt werden sollten, die den Einfluss des Internets auf die sprachliche Ausdrucksfähigkeit untersuchen.

Brauchte die Schriftkultur Jahrhunderte, um sich zu entwickeln, und hatte der Geist des Menschen genügend Zeit, sich daran anzupassen, war das Internet so schnell in der Entwicklung, dass nicht nur Linguisten darauf hinweisen, dass die Sprachkompetenz sich verändert – manche sagen nachlässt –, die elektronische Post die Briefkultur ablöst, die Schrift allgemein schludriger wird und offen ist, wie sich unserer Schriftkultur weiterentwickelt.

Und nicht nur Kulturpessimisten weisen darauf hin, dass das Führen eines Internettagebuches (Weblog) noch keine schriftstellerische Leistung darstellt. Viele Internetseiten sind gespickt mit grammatikalischen und sprachlichen Fehlern, trotz oder gerade weil es eine automatische Rechtschreibung gibt. Es zeigt sich ganz deutlich, dass der Computer und das Internet die Schriftkultur entscheidend verändern, aber nicht automatisch zum Besseren.

Zwischen 1980 und 2005 hat sich der Medienkonsum der Deutschen beinahe verdoppelt, von ursprünglich sechs auf mittlerweile zehn Stunden pro Tag.

Die durchschnittliche Lesezeit von 38 Minuten ist in den 80er-Jahren auf 28 Minuten zurückgegangen, seit etwa 15 Jahren jedoch relativ stabil geblieben. Die Tageszeitungen haben ein besonderes Problem: Sie werden in der Mehrzahl von älteren Personen gelesen, junge Menschen lesen Zeitungen wenig oder fast gar nicht. Die durchschnittliche Lesezeit wird nur dadurch stabil gehalten, weil die älteren Bevölkerungsteile die Zeitung länger lesen.

Ganz anders sehen die Zahlen beim Internet aus: Wie kein anderes Medium hat sich das Internet in den vergangenen 15 Jahren flächendeckend verbreitet, übrigens viel stärker als das Fernsehen. Etwa 61 Prozent der Deutschen über 14 Jahren sind bereits Internetnutzer, 42 Prozent surfen täglich (vgl. www.agof.de). Bei den Zielgruppen unter 30 Jahren werden sogar zwischen 90 und 97 Prozent Internetnutzer gezählt.

Die JIM-Studie von 2007 (Jugend, Information, [Multi-]Media) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Süd-West (www.mpfs.de) belegt, dass Jugendliche den Computer höher einstufen und ihnen dieser wichtiger ist als Fernseher und Printmedien.

Die seit 1998 vom Forschungsverbund durchgeführte JIM-Studie untersucht den Medienalltag von Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren und gibt nicht nur Auskunft über die Geräteausstattung oder zum Freizeitverhalten, sondern fragt auch nach den Medieninteressen der Jugendlichen. In der Studie von 2007 wurde, wie in den Vorjahren, eine repräsentative Stichprobe von 1024 Jugendlichen telefonisch befragt.

Wenn Jugendliche sich nicht mit Medien beschäftigten, dann sind sie am liebsten (86 Prozent) mit Freunden zusammen (vgl. JIM, 2007, S. 6) und betreiben gerne Sport, wobei Jungen aktiver als Mädchen sind. Während Jungen häufiger feiern gehen und öfter selber Musik machen, sind die Mädchen kreativer und gehen auch gerne einkaufen. Nur eine kleine Minderheit (3 Prozent) geht in Bibliotheken oder schreibt Briefe.

Die Medienausstattung der Jugendlichen ist umfassend und umfangreich. Fernseher, Handy, Computer (Laptop) oder CD-Player gibt es in allen Haushalten. Auch Digitalkameras sind flächendeckend im Einsatz, Videorekorder werden zunehmend durch den DVD-Rekorder abgelöst. Damit einher geht eine zunehmende Verbreitung von Flachbildschirmen, die mittlerweile in fast jedem dritten Haushalt zu finden sind (vgl. JIM, 2007, S. 8).

Nicht nur beim Fernsehen gibt es einen Trend vom Zweit- zum Drittgerät, mehrfach gibt es in den Haushalten Mobiltelefone, Computer und MP3-Player.

Die Studie gibt ferner Auskunft darüber, welche Medien den Jugendlichen gehören, die sie frei nutzen können. 94 Prozent der Jugendlichen besitzen ein eigenes Handy, insofern kann man heute von einer Vollversorgung bei den Jugendlichen sprechen, gefolgt vom MP3-Player mit 85 Prozent. Bereits 67 Prozent aller Jugendlichen können sich über einen eigenen Fernseher oder einen Computer freuen. Auch online haben die Jugendlichen in den vergangenen Jahren kräftig aufgeholt, 45 Prozent aller Jugendlichen besitzen einen eigenen Internetanschluss in ihrem Zimmer (vgl. JIM, 2007, S. 10).

In der Geräteausstattung gibt es noch Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Jungen haben öfter einen Fernseher, einen Computer, einen Internetzugang und Spielkonsolen, dafür verfügen Mädchen häufiger über Handy, MP3-Player oder Digitalkamera.

Wer über welche Medien verfügt, entscheidet sich nach dem Bildungsgrad. Fast drei Viertel der Hauptschüler verfügen über einen eigenen Fernseher im Zimmer im Gegensatz zu Gymnasiasten (60 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Spielkonsolen (vgl. JIM, 2007, S. 11).

Jugendliche nutzen am häufigsten den Fernseher (92 Prozent) mehrmals in der Woche, knapp dahinter folgt die Computernutzung (84 Prozent) und Handy sowie MP3-Player (82 Prozent). Mehr als drei Viertel aller Jugendlichen sind regelmäßig im Internet unterwegs. Aber auch Radio hören (74 Prozent) und Kassetten/Musik-CDs (75 Prozent) sind beliebte Beschäftigungen der Jugendlichen. Bücher (37 Prozent), Zeitschriften (31 Prozent), digitale Fotos (23 Prozent) rangieren deutlich dahinter.

Mit zunehmendem Alter verändert sich die Mediennutzung. Bücher und Comics, Hörspiele und Spielkonsolen werden von älteren Jugendlichen weniger genutzt, dafür lesen sie mehr Zeitung und nutzen Computer, Handy und Internet intensiver.

Beim Bücherlesen werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Mediennutzung besonders deutlich: 48 Prozent der Mädchen lesen regelmäßig in der Freizeit ein Buch, bei den Jungen sind es nur 28 Prozent (vgl. JIM, 2007, S. 13).

Mädchen interessieren sich für Liebe und Freundschaft, Mode, Handy, Schule und Gesundheitsthemen. Ebenso können sich Mädchen stärker für die Themen Umweltschutz und Kultur begeistern. Jungen begeistern sich mehr für Sport, generell für alles rund um den Computer und interessieren sich mehr für Politik und Wirtschaftsthemen (vgl. JIM, 2007, S. 15).

Was wäre, wenn Jugendliche auf ein Medium verzichten müssten? Hier zeigen sich im Vergleich zu den Kindern deutliche Unterschiede, für die das Fernsehen das wichtigste Medium ist. Bei den Zwölf- bis 19-Jährigen landet das Fernsehen in seiner Bedeutung nur auf Platz vier hinter dem Spitzenreiter Computer, Internet und MP3-Player (JIM 2007, S. 16). Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Jungen entscheiden sich eindeutig für den Computer, Mädchen setzen an die erste Stelle das Internet.

Mit Blick auf die vorangegangene Studie aus dem Jahr 2006 verliert das Fernsehen überproportional.

Der Computer ist also fest im Alltag der Jugendlichen integriert und mehr als die Hälfte der Jugendlichen (53 Prozent) nutzt den Computer für die Schule, dann erst folgen die Computerspiele mit 34 Prozent (vgl. JIM, 2007, S. 33).

Mädchen schreiben mehr und häufiger am Computer für die Schule als Jungen. Computerspiele sind eine Domäne der Jungen, die Hälfte spielt sie mehrmals pro Woche. Mit zunehmendem Alter der Jugendlichen geht das Interesse an den Computerspielen leicht zurück.

Das Bedürfnis nach Kommunikation ist sehr groß, wobei es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt: Ersteren ist die Kommunikation etwas wichtiger.

An erster Stelle stehen bei ihnen die Instant Messanger (72 Prozent), danach folgen E-Mail (60 Prozent) und Chat (30 Prozent). Weniger verbreitet sind bisher die typischen Web 2.0 Anwendungen wie Weblog und Foto- sowie Videoplattformen.

Die Internetnutzung wird auch hier durch den Bildungshintergrund beeinflusst. Gymnasiasten bedienen sich häufiger als Real- oder Hauptschüler des Internets als Recherchewerkzeug (vgl. JIM, 2007, S. 40).

Die weitaus meisten Jugendlichen wissen, was im Internet erlaubt und was verboten ist, ein Fünftel verfügt jedoch über keine eindeutigen Kenntnisse (vgl. JIM, 2007, S. 47).

 

Die Studie fragte auch nach der Glaubwürdigkeit der Inhalte des Internets. Sieben Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, dass die Inhalte im Internet auf ihre Richtigkeit überprüft wurden, und 19 Prozent stimmen dem weitgehend zu. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Viertel der Jugendlichen den Inhalten glaubt und eher unkritisch damit umgeht. Bei den Zwölf- bis 13-Jährigen ist die Zahl deutlich höher, hier meinen 40 Prozent, dass die Inhalte voll und ganz bzw. weitgehend geprüft wurden. Selbst ältere Jugendliche (18 bis 19 Jahre) haben ein großes Vertrauen in die Inhalte des Internets (15 Prozent). Werden diese Zahlen mit den Bildungsgruppen in Beziehung gesetzt, zeigt sich, dass 35 Prozent der Hauptschüler und 30 Prozent der Realschüler von der Richtigkeit der Inhalte überzeugt sind. Bei den Gymnasiasten sind es zwar weniger, mit 20 Prozent aber noch viele (JIM, 2007, S. 48). Bedenklich sind diese Zahlen, weil doch ein recht hoher Anteil sehr unkritisch mit den Inhalten im Internet umgeht.

Computer, Internet und Handy spielen für die Jugendlichen eine wichtige Rolle in ihrem Sozialisationsprozess. Gründe für ihre intensive Nutzung sind Bedürfnisse nach Kommunikation und Beziehung. Aber auch Langeweile und Einsamkeit helfen die Medien zu vermeiden. 36 Prozent der Jugendlichen nutzen das Internet, wenn ihnen langweilig ist, den Fernseher zu 27 Prozent, Bücher werden weder von Jungen (6 Prozent) noch von Mädchen (10 Prozent) als geeignete Mittel gegen Langeweile empfunden (vgl. JIM, 2007, S. 62). Bei Frust und Ärger hört ein Viertel der Jugendlichen Musik. Die Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen sind in diesem Fall kaum verschieden, Jungen wenden sich wohl verstärkt dem Internet zu, während Mädchen doppelt so oft wie Jungen ihren Ärger am Telefon oder Handy besprechen (vgl. JIM, 2007, S. 62).

Ganz offensichtlich steht das Internet bei den Jungen im Alter von 12 bis 19 Jahren im Mittelpunkt der Medienaktivitäten. Die Medienwelt der Jugendlichen unterscheidet sich signifikant von denen der Kinder. Das Bedürfnis, sich auszutauschen und zu vernetzen, ist in dieser Altersgruppe besonders stark ausgeprägt. Zwar spielt das Fernsehen im Medienalltag eine sehr wichtige Rolle. Computer und Internet haben aber bereits die Dominanz des Fernsehens in einigen Bereichen gebrochen. Als positiv kann bewertet werden, dass der Computer zusehends als Lernmedium entdeckt und genutzt wird und er immer häufiger für schulische Belange eingesetzt wird. Allerdings zeigt sich auch, wie wichtig die Vermittlung von Medienkompetenz bei Zwölf- bis 19-Jährigen ist.

Die vorgestellten Daten zeigen, wie wichtig eine medienpädagogische Erziehung ist, die hiermit nicht nur angeregt, sondern angemahnt wird, denn dass die „Bilderwelten“ nicht ohne Folgen für Kinder und Jugendliche sind, sollte auch den größten Medienoptimisten nicht verborgen geblieben sein.

2. Wenn „Sex und Crime“ den Alltag beherrschen

Kaum ein Elternabend oder eine Medienfortbildung, bei der nicht nach den negativen Auswirkungen der Medien gefragt wird. „Mein Kind schaut gerne ,Alarm für Cobra 11‘“, „mein Sohn spielt dauernd ,Indiana Jones‘“, „meine Tochter chattet laufend“. „Welche Auswirkungen hat das für meinen Sohn oder meine Tochter?“ Und die selbst gegebene Antwort der Eltern lautet prompt: „Das kann doch nicht gut für mein Kind sein, oder?“

Nicht erst mit der Einführung von Radio, Fernsehen und Internet wird Kritik an den Medien laut. Die Medienkritik durchzieht die gesamte Kultur- und Sozialgeschichte Europas, warnt vor der Übermacht der Technik gegenüber dem Menschen oder sorgt sich um die negativen Einflüsse der Medien auf ethisch-moralische Wertvorstellungen der Gesellschaft (Kulturpessimismus).

Ganz aus der Luft gegriffen sind diese Sorgen sicher nicht. Um zu einer Annäherung zu kommen, ob die Medienkritik Recht hat, hilft die Frage, wie Medien auf Kinder wirken.

Sicher ist: Medien wirken nicht wie Arzneimittel, schnell und direkt, denn anders als beim Arzneimittel werden Medien durch den kognitiven und sozial-moralischen Entwicklungsstand gefiltert. Kognitiv meint, ob die Medienangebote überhaupt genutzt, verstanden und verarbeitet werden können. Eine Grundvoraussetzung, um das Internet nutzen zu können, ist die Lese- und Schreibfähigkeit. Kinder bis zur Mitte der Grundschulzeit können das Internet in der Regel daher aktiv nicht nutzen, weil ihnen diese Fähigkeit fehlt.

Märchen finden jüngere Kinder deshalb spannend und interessant, weil in ihnen die Welt in einem einfachen Schema von Gut und Böse aufgeteilt wird und dieses dem Entwicklungsalter dieser Altersgruppe entspricht. Älteren Kindern ist dieses Schema zu eindimensional, sie bevorzugen komplexere Handlungsstränge, vielschichtige Charaktere und stellen Handlungen infrage.

Die Wirkung von Medieneinflüssen ist nicht nur abhängig vom Alter und dem Entwicklungsstand, sondern auch vom Geschlecht und dem sozialen Umfeld, in dem Kinder aufwachsen. Daily Soaps sind bei Mädchen in der Pubertät deshalb sehr beliebt, weil in ihnen Beziehungsthemen zur Sprache kommen, ein Thema, das für Mädchen in diesem Alter entwicklungspsychologisch von besonderer Bedeutung ist.

Ein wesentliches Kennzeichnen der Pubertät ist die Ablösung vom Elternhaus, die Suche der Heranwachsenden nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Sie suchen nach Orientierung, nach ihrer eigenen Identität. Vorbilder, die sie in Musikgruppen, Schauspielern oder Sportlern finden, sind in diesem Alter eine wichtige Einflussgröße auf dem Weg zur eigenen Persönlichkeit. Als weitere Einflussgröße sind die Medien hinzugekommen, die „Stars“ und „Prominente“ hervorbringen und den Kindern Vorbilder anbieten.

Im Verlauf der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen ändern sich Medienvorlieben und Medienthemen erheblich. So kristallisieren sich beispielsweise beim Filmverständnis Vorlieben für bestimmte Genres (z. B. Horrorfilme, Komödien ...) oder Themen (z. B. Liebe, Freundschaft, Karriere ...) heraus, während andere vermieden werden, weil sie entweder angstbesetzt sind oder kein mediales Vergnügen bereiten.

Bei der Klärung der Frage nach den Medienwirkungen auf Kinder und Jugendliche ist dieser „Kontext“ mitzuberücksichtigen. Dies macht es auch für die wissenschaftliche Forschung schwierig, allgemeingültige Aussagen zu formulieren.

Die Suche nach den Medienwirkungen

Schon der Philosoph Platon (geboren 427 v. Chr.) übte Kritik an den Medien, genauer genommen an der Schrift im Griechenland des 4. Jahrhunderts. Er kritisierte, dass durch die Schrift die Fähigkeit verloren gehe, das Niedergeschriebene kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen. Diese Kritik setzte sich durch die gesamte Kulturgeschichte hinweg fort: Nach der Erfindung der Buchdruckkunst im 15. Jahrhundert war es nicht die Schrift, sondern Bücher, die in den Fokus der Kritik gerieten. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Kinos öffneten, war das Echo zwar groß, die Kritik ließ jedoch auch hier nicht lange auf sich warten. Aussagen wie „Filme sind Schund“ oder „Sitte und Moral sind gefährdet“ gehörten noch zu den harmloseren Beschimpfungen. Aufzuhalten war die technische Entwicklung indes nicht. Schnell faszinierten die Massenmedien Kino und Radio. Das machte die Medien für die politische Propaganda interessant. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die Medien im Dritten Reich „gleichgeschaltet“ und für die nationalsozialistische Propaganda missbraucht.

Studien, die in den Vereinigten Staaten in den 40er-Jahren durchgeführt wurden, meinten nachweisen zu können, dass das Kino vor allem einen negativen Einfluss auf junge Männer ausübe. Diese Untersuchungen sind aus heutiger Sicht zwar nicht haltbar, verfehlten in ihrer Zeit jedoch nicht ihre Wirkung.

Als Beleg für die Medienwirkungen wird immer wieder gerne auf das Hörspiel „Der Krieg der Welten“ von Orson Welles zurückgegriffen, das 1938 in Amerika ausgestrahlt wurde. Die Berichterstattung machte Orson Welles berühmt, die Medien berichteten von einer Massenpanik, als angeblich Außerirdische auf der Erde landeten. Bis heute hält sich diese Legende überaus hartnäckig, obwohl es nachweislich nie eine solche Panik gegeben hat.

Zunächst glaubte man, die Inhalte der Massenmedien würden ungefiltert auf den Rezipienten treffen, wodurch eine direkte Wirkung ausgelöst werden würde. Dahinter steht die Idee eines sehr einfachen Reiz-Reaktionsmodells, wodurch den Massenmedien (Radio und Fernsehen) eine enorme Macht zuerkannt wird, sie Gesellschaften gleichsam steuern könnten. Und obwohl schon relativ früh empirische Untersuchungen belegten, dass dem nicht so ist, hält sich dieses Gedankengut bis heute.

Bereits in den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts untersuchte der Soziologe Paul Lazarsfeld die Wirkung des Propagandafilms „The Battle of Britain“, um festzustellen, wie der Film auf Soldaten, die in den Krieg ziehen sollten, wirkte.

Der Forscher war enttäuscht. Er war von großen Medienwirkungen durch die Massenmedien ausgegangen: Durch den Film konnten zwar Meinungen und Wissen in gewisser Weise beeinflusst werden, Einstellungen und Motivationen wurden dagegen kaum nachweisbar durch den Film verändert. Durch viele weitere Untersuchungen konnte er diese Erkenntnisse weiter stützen und kam zu dem Ergebnis, dass die Massenmedien bestehende Einstellungen von Menschen lediglich verstärken könnten.

Mit Blick auf den Rezipienten bedeutet dies nun, dass dieser nicht der passive Konsument ist, der eine Fernsehsendung anschaut, einen Radiosender hört und von diesem „gesteuert“ wird, sondern selber aktiv ist, selektiv aus dem umfangreichen Medienangebot auswählt.

Die Ausgangsfrage war nun nicht mehr: Was machen die Medien mit den Menschen? Sondern: Was machen die Menschen mit den Medien? Dieser erste „Nutzenansatz“ stellt den bewusst handelnden Rezipienten in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Rezipient entscheidet nach seinen Interessen, nach seinen Vorlieben und Bedürfnissen, wie und wann er die verschiedenen Medienformate nutzt. Während der Nutzung entscheidet er, ob ihm das Medienangebot zusagt und ob er das Angebot ein weiteres Mal nutzen wird.

Dieser Paradigmenwechsel führt zu einem anderen Verständnis von Medienwirkungen. Medien können danach abhängig von den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen verschiedene Funktionen übernehmen. Das bedeutet ferner: Jedes Medium hat seine Besonderheit, die Wirkungen sind verschieden, jedes Medium wird für sich situativ genutzt.

Nun können Medien auch indirekt wirken, wenn sie Themen in den Vordergrund stellen und Kampagnen auf verschiedenen Medienkanälen fahren. Wenn im Fernsehen, Internet, Kino und in den Zeitungen für den neuesten „James Bond“ geworben oder das Privatleben der Prominenten ausgiebig diskutiert und kommentiert wird, wirft das die Frage auf, ob die Medien durch diese bewussten Inszenierungen nicht den Zuschauer, den Zuhörer oder den Internetnutzer gezielt steuern können. Jede Form der Werbung zielt doch genau darauf ab, den „Kunden“ auf ein bestimmtes Thema aufmerksam zu machen. Ein gutes Beispiel ist hier übrigens der letzte Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Noch wenige Tage vor der Wahl ließ der Präsidentschaftskandidat Barack Obama zur besten Sendezeit, zur Prime Time um 20 Uhr, auf mehreren Kanälen parallel einen 30-minütigen (!) Werbespot (der zwischen 3,5 und 5 Millionen Dollar kostete) für seine Politik ausstrahlen, um die noch unentschlossenen Wähler für sich und seine Politik zu gewinnen. Könnte es nicht sein, dass im Hintergrund mächtige Medien stehen, die entscheiden, womit sich das Publikum auseinandersetzen soll, und die Medien die „Agenda“, sprich die Tagesordnung der politischen, sozialen und kulturellen Themen bestimmen?

Man kann dem entgegengehalten, dass die Medien ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind und damit das gesellschaftliche Meinungsbild wiedergeben. Bis heute wird diese Frage kontrovers diskutiert.

Bei der Frage nach den Wirkungen müssen wir ebenfalls berücksichtigen, dass die Massenmedien Radio, Fernsehen und Internet zwar grundsätzlich alle Bevölkerungsgruppen ansprechen wollen, faktisch aber unterschiedliche ansprechen. Seit der Entertainer Harald Schmidt 2005 öffentlich vom „Unterschichtenfernsehen“ (vgl. http://www.zeit.de/2005/11/Titel_2fUnterschicht_11.) sprach, geistert eine neue Vokabel durch die Medien; die zugegeben negative Konnotation bringt es auf den Punkt: Gibt es nicht einen deutlichen Niveauunterschied in den Medien? Wen sprechen Medienformate vom Schlage „Deutschland sucht den Superstar“ und „Big Brother“ an?

 

Sind nicht Teile der Bevölkerung stärker gefährdet als andere, wenn sie bestimmte Medienformate sehen, und setzt sich dieser Trend womöglich im Internet fort? Könnte es nicht sein, dass die Medien zu einer „digitalen Spaltung“, zu einer „Wissenskluft“ in der Bevölkerung beitragen? Ganz nach dem Prinzip: Kinder mit einem höheren sozioökonomischen Status, einem bildungsnahen Hintergrund, nutzen neue Medien intensiver und effektiver für die eigene Fort- und Weiterbildung als Kinder aus bildungsfernen Schichten. Dann hätten Menschen, die einen höheren Schulabschluss, also formal gebildeter wären, bessere Möglichkeiten, ihr Wissen zu erweitern als weniger Gebildete. Ganz abwegig ist der von Harald Schmidt pointiert formulierte Titel „Unterschichtenfernsehen“ nicht, gibt es nicht auch ein „Unterschichteninternet“?

Die dahinterstehende These, die Medien würden die Gesellschaft in informationsreiche und informationsarme Schichten spalten, ist als „Wissensklufthypothese“ 1970 in die Geschichte der Medienwirkungsforschung eingegangen. Demnach würden bildungsaffine Bevölkerungsteile die neuen Medien aktiver für ihre Weiterbildung nutzen als bildungsferne Schichten. Der sozioökonomische Status spielt nach der Wissensklufthypothese eine wichtige Rolle bei der erfolgreichen Informationsaneignung.

Kritisch anzumerken ist, dass die Hypothese der Wissenskluft nicht nur vom Bildungsstatus oder dem Einkommen abhängig gemacht werden kann. Daher hat sie in den folgenden Jahren mehrere Modifikationen erfahren, in dem unter anderem Wissensklüfte nicht nur durch die Art des Themas entstehen, sondern eben auch durch die eigene Motivation, sich inhaltlich mit dem Wissen auseinanderzusetzen. Heute spricht man weniger von der Wissensklufthypothese, sondern eher von der „digitalen Bildungskluft“. Wirtschaftlich besser gestellte Bevölkerungsschichten mit höheren Bildungsabschlüssen nehmen die Informationen aus den Massenmedien nicht nur besser als Bevölkerungsteile mit niedrigen Abschlüssen auf, sondern können diese auch effektiver verarbeiten. Diese digitale Kluft wird durch die Verbreitung der digitalen Medien weiter forciert, zumal der Zugang zu Hard- und Software und Internetverbindungen international unterschiedlich ist. Je nach Bildungsniveau, Geschlecht, Alter und Sozialisation gibt es Unterschiede bei der Entwicklung von Nutzungskompetenzen, und das wird als eines der größten strukturellen Probleme in der Mediengesellschaft angesehen.

Damit kommen wir zu einer weiteren Frage: Wie verarbeitet unser Gehirn die medialen Bilder und Eindrücke? Und welche kurz-, mittel- und langfristigen Folgen hat dies mit Blick auf die sozialen und psychischen Auswirkungen für unsere Kinder?

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