Ein Flüstern der Vergangenheit

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Eigentlich ist sein Name Sepp“, antwortet Georg so sachlich wie möglich. Auch er, genau wie ich, muss sich ein lautes Lachen verkneifen.

„Sepp Maier, Sepp Herberger oder Sepp Blatter? Und was hat das alles mit Fußball zu tun?“, kommt aber prompt das Kontra von unserer Jo.

„Sepp Schuster. Sein Name ist Sepp Schuster. Ein bekannter Kleinganove aus der Gegend. Bereits öfters von uns verhaftet wegen Ladendiebstahl oder anderer Kleinigkeiten. Hin und wieder gibt er der Polizei aber auch ein paar brauchbare Tipps aus der Szene, deshalb ist er noch immer auf freiem Fuß.“

„Bisher zumindest. Setz ihn sofort auf die Fahndungsliste. Mit Mord kommt er nicht durch!“, erkläre ich!

6. Wachstum erleben

(Viel, viel früher!)

In den nächsten Jahren wächst das kleine, beschauliche Dorf stetig weiter. Immer neue Familien siedeln sich hier in den ehemals undurchdringlichen Wäldern an. Und genau diese Wälder begrenzen die Ausdehnung nun leider erheblich. Früher wurde mit unkontrollierbarer Brandrodung Platz geschaffen, aber dabei kamen oft Tiere oder sogar Menschen zu schaden. Und nicht nur einmal drehte sich der Wind und das halbe Dorf ging in Flammen auf. Inzwischen werden Bäume nur noch gezielt mit Äxten und Sägen gefällt. Dank des neuen, sehr harten Metalls ist dies möglich geworden. Dieses Metall hat einen enormen Entwicklungssprung der gesamten Menschheit verursacht.

Seit einigen Sommern gibt es im Dorf sogar Kühe. Die schmackhafte und äußerst gesunde Milch war bereits nach kurzer Zeit sehr beliebt. Aber auch der länger haltbare Käse wurde gut angenommen.

Die Flächen für den Ackerbau werden ebenfalls immer raumgreifender. Während Weizen und Gerste angebaut werden, um Brot herzustellen, dient Hirse als Grundlage für einen nahrhaften Getreidebrei. Möglich machte die großflächige Bearbeitung von Ackerflächen ein Pflug, der durch ein Rindergespann gezogen wurde. Und eben dieser Pflug wird ebenfalls aus demselben harten Metall gefertigt.

Im letzten Herbst wurde die üppige Ernte schnell und elegant mit einer metallenen Sichel eingebracht. Metallene Sensen mähen Gras schnell und in großen Mengen. Das so geerntete Heu versetzt die Dorfbewohner in die Lage, größere Tierherden in der kalten Jahreszeit mit Nahrung zu versorgen. Bedingt durch immer mehr Nutztiere wurden neue Ställe benötigt und natürlich auch errichtet. Das Dorf breitet sich stetig in dem kleinen, schmalen Tal aus. Dem Wachstum und dem Wohlstand scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein.

Mittlerweile hat abermals ein eisiger Winter Einzug gehalten, kälter und frostiger denn je. Aber den Menschen im Dorf geht es gut. Die Vorratskammern sind zum Glück prall gefüllt, sowohl für die Menschen als auch für die vielen Haustiere. Unmengen von Feuerholz sind im vorangegangenen Herbst geschlagen, aufgeschichtet und trocken gelagert worden. Die stabilen und gut verarbeiteten Wohnstallhäuser trotzen den grimmigen Winterstürmen problemlos. Im Inneren ist es mollig warm und es herrscht kein Mangel.

Jachon sitzt auch an diesem Abend mit seiner kleinen Familie gemütlich am üppig gedeckten Tisch. Gemeinsam genießen sie ihre deftige Mahlzeit. Die Sonne ist bereits seit einiger Zeit in die Unterwelt abgetaucht und die kleinen Lichter der Götter sind am Himmel erschienen. Plötzlich erschallen panische und schmerzerfüllte Schreie aus der Dunkelheit. Menschliche Schreie! Sie kommen ganz aus der Nähe.

Jachon befürchtet, dass ein Wolfsrudel eingedrungen sei. Früher gab es solche Angriffe öfters. Aber seitdem sich die Menschen hier so massiv ausgedehnt haben, meiden die wilden Tiere diese Gegend weiträumig. Allerdings ist dieser Winter besonders streng und unerbittlich. Niemand hat jemals einen so fürchterlichen Winter erlebt, selbst die Ältesten nicht. Und vollkommen ausgehungerte Tiere halten sich bestimmt nicht an die Regeln der letzten paar Jahre.

Aber ein neues Geräusch spricht gegen den Angriff von Tieren. Jachon hört zwischen dem schrillen Pfeifen des Wintersturmes noch etwas Anderes heraus, das Klirren von aufeinandertreffenden Waffen. Tiere besitzen keine Waffen. Folglich greifen Menschen das Dorf an. Warum sollten Menschen so etwas tun? Aber das spielt momentan keine Rolle. Schnell streift sich Jachon einen dicken Fellmantel über und schlüpft in seine Stiefel. Eilig holt er sein wunderbar verziertes und extrem scharfes Bronzeschwert von der Halterung an der Wand und begibt sich in Richtung Tür.

„Ihr beide schließt sofort die Tür hinter mir und verbarrikadiert sie umgehend! Und zwar mit allem, was ihr finden könnt! Öffnet nichts und niemandem, solange ich es nicht sage.“

„Aber Vater!“, fleht Alisha. „Bleib bei uns, bitte. Ich habe solche Angst. Wo willst du hin?“

„Deine Mutter ist bei dir, mein Sonnenglanz. Sie wird dich beschützen!“

Wie als Beweis greift sich Gaya ihr schlankes Schwert, das ihr Mann für sie hat anfertigen lassen. Sie hat sich in ihrem Leben schon oft verteidigen müssen und somit weiß sie sehr gut mit Waffen umzugehen. Allerdings waren die Angreifer bisher stets wilde Tiere, niemals Menschen.

Jachon stürzt sich in Kälte und Dunkelheit. Auch aus den anderen Häusern drängen inzwischen schwer bewaffnete Männer. Am Rand des Dorfes erkennen sie undeutlich eine Horde Angreifer. Sie versuchen, in einige der Häuser einzudringen und schlachten alle Menschen ab, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie erschlagen sie brutal mit Knüppeln oder stechen mit kurzen Messern gnadenlos auf sie ein. Egal ob Mann, Frau oder Kind. Sie raffen an Essen und anderen Dingen zusammen, was sie sich auf die Schnelle greifen können. Sobald sie ihre Taschen randvoll gestopft haben, versuchen sie, wieder in den Wald zu verschwinden.

Aber die Dorfbewohner können die Schlächter vorher stellen. Und sie sind um ein vielfaches besser bewaffnet. Langschwertern und Speeren aus hochwertiger Bronze können die Angreifer mit ihren Holzknüppeln und schlichten Messern nichts entgegensetzen. Das gnadenlose Gemetzel ist extrem blutig, aber auch sehr kurz und einseitig. Ein abartiges Abschlachten beginnt. Von den Angreifern können nur zwei bis zum Waldrand fliehen, aber bevor sie zwischen den Bäumen untertauchen, werden sie von einem dichten Hagel aus Pfeilen endgültig niedergestreckt. Sie sind bereits tot, als ihre erschlafften, von Pfeilen regelrecht gespickten Körper den Boden berühren.

Der Kampf ist vorüber und selbst die eisigen Winde haben sich etwas gelegt. Dutzende von Fackeln enthüllen ein Bild des Grauens. Etliche Tote liegen in absurden Posen auf dem Boden. Der ehemals weiße Schnee ist von dem Blut der Opfer in entsetzliches Rot gefärbt.

„Wir … haben … doch … solchen …. Hunger“, röchelt einer der schwer verwundeten Angreifer mit seinen letzten Atemzügen. Wenige Augenblicke später ist auch er tot. Sicherlich wird er von den Dämonen für seine Untaten zur Rechenschaft gezogen. Diese grässliche Kälte fordert auf beiden Seiten seine Opfer, sowohl bei den Jägern und Sammlern, die nicht genug Vorräte für einen so langen und frostigen Winter gehortet haben, als auch bei den Bewohnern größerer Dörfer, die vermeintlich alles besitzen und bisher kein Leid verspürten.

Die leblosen Körper der Angreifer werden lieblos auf einen Haufen geworfen und verbrannt. Für die getöteten Dorfbewohner werden sorgsam Scheiterhaufen errichtet und unter den Tränen von Familie und Freunden ebenfalls den Flammen übergeben. Auf dass die Götter Gnade an ihnen zeigen.

Aber zumindest einer der Dörfler atmet noch flach. Außer einer massiven Kopfwunde durch eine Keule erscheint er vollkommen unverletzt. Schnell wird der Druide herbeigerufen. Nur er kann in diesem Fall noch das Leben des armen Opfers retten. Nur er kann die Götter durch seine Taten beschwichtigen.

Zuerst bekommt das geschundene Opfer eine Mischung aus Hanf, Alkohol und Essig eingeflößt. Danach beginnt der Druide mit einem extrem scharfen Feuerstein die Stelle um die Wunde am Kopf, und somit den Schädelknochen, so dünn wie möglich abzuschaben. Schließlich wird eine Art Bohrer aus Bronze genutzt, um den Schädel endgültig an der dünnsten Stelle zu öffnen. Neben einem Schwall dunklen Blutes wird auch dem bösen Geist des Krieges der Weg nach draußen ermöglicht.

(Medizinisch erklärt es sich einfach formuliert wie folgt: Durch den Schlag entstand innerhalb des Schädels ein massiver Bluterguss, der auf das Gehirn drückt und meist zum Tode führt. Durch den Eingriff kann das Blut hingegen abfließen, das Gehirn wird entlastet und der Mensch überlebt.)

Nur durch diesen Eingriff kann das Opfer weiterleben. Zumindest wenn die Götter und Dämonen es so beschlossen haben. Der so Behandelte wird noch den Winter über gepflegt werden müssen, aber alle hoffen auf eine Genesung bis zum nächsten Sommer. Den guten Göttern dieser Welt sei Dank.

7. Die nächste Bitte

Nächster Morgen, nächster Arbeitstag, nächster Einbruch. Kaum sind wir in unserem Büro angekommen, erhalten wir auch schon die Nachricht: Aber diesmal war es zum Glück wieder nur ein simpler Einbruch und kein Mord.

Also ab ins Auto und schon wieder nach Wellerode. Diesmal fahren aber nur mein Partner und ich dort hin, während Jo weiter nach dem Seppl fahndet.

Heute wurde in eine Wohnung im Schwarzebachweg, in der Nähe vom Blumenhaus Herbig, eingebrochen. In dem Blumenladen hole ich gelegentlich ein paar hübsche Röschen für meine Liesbeth. Besonders die langstieligen, roten Rosen haben es ihr angetan.

Aber zurück zur Arbeit. Der Einbruch erfolgte bei einer gewissen Frau Bender. Sie war währenddessen in Lohfelden einkaufen und hatte hierdurch gewaltiges Glück. Besonders, wenn man an den bedauernswerten Dr. Peters denkt. Frau Regine Bender ist fünfundvierzig Jahre alt und alleinstehend. Ihre roten, langen Haare erstrahlen bronzefarben in den hellen Sonnenstrahlen und bilden einen aufregenden Kontrast zu ihrem weißen, luftigen Sommerkleidchen.

 

„Was für ein Rasseweib!“, nuschelt prompt mein Partner vor sich hin. Er kann es einfach nicht lassen. Herr Giacomo Girolamo Casanova aus Venedig war wahrscheinlich ein Heiliger im Gegensatz zu Georg Engelhard.

Und dieses Rasseweib, ähm, ich meine natürlich Frau Bender, hat tatsächlich einen gewissen Reiz, dem gewisse Leute nicht widerstehen können. Als sie sich mir nähert, um in ihrer Not nach Halt und Beistand zu suchen, lehne ich natürlich nicht ab. Ein Gentleman würde dies nie tun. Aber um Missverständnissen vorzubeugen, weise ich sie indirekt auf meinen Ehering hin. Sicher ist sicher. Und irgendwie sucht sie nur Sekunden später in Georgs Armen Trost und Schutz.

„Ich habe solche Angst, dass diese Diebesbande zurückkommt. Können Sie mich nicht beschützen?“, fleht sie.

„Wir können sicherlich eine Streife häufiger in der Gegend patrouillieren lassen“, versuche ich sie zu beruhigen.

„Aber wenn diese bösen Buben wiederkehren, wenn gerade keine Polizei in der Nähe ist? Können Sie nicht einfach hierbleiben? Mich beschützen? Ich habe wirklich eine Heidenangst“, schluchzt sie regelrecht, während sie Georgs Arm umklammert und diesen fest an ihren Körper presst. Dabei rutscht ihr ein Träger des Kleidchens herunter und gibt sicherlich viel mehr von ihrem Körper preis, als sie in diesem Moment ahnt.

Jetzt erscheint selbst mein sonst so selbstsicherer Partner überfordert. Der selbsternannte Frauenschwarm schmilzt regelrecht dahin. Hilfsbereit sichert er umgehend zu, die nächsten Stunden bei ihr zu bleiben und sie persönlich zu beschützen. Ich hoffe nur, er weiß, was er tut. Aber schließlich ist er alt genug und seit etlichen Jahren erwachsen. Zumindest äußerlich.

„Herr Kriminaloberkommissar Engelhard, Sie sind wirklich ein Engel“, ist ihre erleichterte und überglückliche Reaktion.

Immerhin erhalten wir von Frau Bender noch die Information, dass eine wertvolle Perlenkette entwendet wurde. Als ich mich noch schnell in ihrer Wohnung umschaue, sehe ich das typische Bild der letzten Einbrüche. Chaos! Alles und jedes wurde durchsucht. Der Besteckkasten wurde genauso ausgeschüttet und der Inhalt über den Boden verstreut, wie eine Schublade mit überaus reizvollen Dessous.

Im Prinzip wurde mehr durchwühlt und verwüstet als nötig. Der Boden chaotisch, aber irgendwie doch gleichmäßig mit hunderten von Dingen übersät. Was sind das nur für Einbrecher, die so merkwürdig und untypisch vorgehen?

Gerade als ich die Wohnung alleine verlasse, klammert sich Frau Bender noch enger an Georg. Ich erhasche noch einen Blick auf etwas, dass ich bisher noch nie bei meinem Partner erlebt habe. Seine Wangen erröten sich merklich. Hoffentlich ist es kein Fehler von mir, meinen langjährigen Partner und Freund hilflos hier zurückzulassen. „Quatsch!“, spreche ich mir selber Mut zu. „Wenn er Frauen nicht um den kleinen Finger wickeln kann, dann schafft es keiner.“

„Wie wäre es mit einem Gläschen Wein?“, höre ich Frau Bender gerade Georg fragen, als ich die Wohnungstür hinter mir zuziehe.

Oder hat er doch, so frage ich mich, seine Meisterin gefunden?

Am nächsten Tag im Büro finde ich eine relativ entspannte Jo vor. Anscheinend hat sie ihr seelisches Tief überwunden. Wenn ich nur wüsste, was die Ursache war. Ich könnte ihr vermutlich besser helfen und beistehen. Aber sie ist so stur wie ein Esel und verrät nicht die kleinste Kleinigkeit.

Mein langjähriger Partner kann mir nicht zur Seite stehen. Er hat sich unpässlich gemeldet. Das waren zumindest seine Worte. Wer außer ihm benutzt denn noch das Wort unpässlich? Und was bedeutet es bei ihm? Krank hörte er sich nicht an. Außerdem war er noch nie krank, wenn ich es mir recht überlege. Aber er hat es verdient, auch mal ein paar Tage frei zu haben.

„Eddy, ich habe gestern eine Auffälligkeit in der Wohnung unseres Mordopfers entdeckt, nachdem ich mir die Tatortfotos noch etliche Male in Ruhe angesehen habe. Und du wirst es kaum glauben: Frauen!“, grinst mich Jo verschmitzt an.

„Ja? Frauen? Und weiter?“, frage ich irritiert zurück. Frauen sind für alle Männer immer schwer zu verstehen, was dieses aktuelle Beispiel bestätigt. Wobei ich zugeben muss, dass es andersherum oft genauso zu sein scheint.

„Auf den dutzenden heruntergerissenen Bildern war unser Mordopfer stets mit einer Frau in seinen Armen abgebildet. Und es war nicht eine einzige, sondern auf jedem Foto war eine andere abgebildet. Keine von ihnen war zweimal zu sehen.“

„Das ist mir dort auch schon aufgefallen. Aber was schließt du daraus?“

„Ich vermute so eine Art Trophäensammlung. Was für ein A…! Aber egal. Ich habe versucht, im Internet den verschiedenen Gesichtern der Frauen einen Namen zuzuordnen. Und du wirst stolz auf mich sein, ich war bereits bei einer erfolgreich.“

„Sicher bin ich stolz auf dich. Du hast die ganzen letzten Monate fantastische Arbeit geleistet“, versuche ich die merkwürdige Stimmung von ihr zu kompensieren. “Was hast du herausgefunden? Ist sie vielleicht eine vorbestrafte Diebin oder gar Mörderin? Das wäre mal eine nette Spur!“

„Quatsch! Das wäre wohl doch zu einfach. Sie ist eine durchschnittliche, langweilige Bürgerin aus der Gegend. Aber … sie ist mit einem anderen Mann verheiratet! Klar soweit?“

„Eifersucht! Ein extrem starkes Motiv!“, folge ich ihren klaren Gedankengängen.

„Eins der stärksten, wenn nicht sogar das stärkste Mordmotiv seit Anbeginn der Menschheit.“

„Und hier sind es womöglich gleich mehrere verdächtige Partner. Mehr als ein Dutzend!“

„Das macht uns die Sache zwar nicht einfacher, aber wir haben neue Verdächtige“, ihre Augen beginnen zu funkeln.

Ich fasse noch einmal zusammen: „Also haben wir neben Raubmord nun auch noch Eifersucht als Motiv!

„Und womöglich Erpressung“, flüstert eine leise, mir unbekannte Stimme aus Richtung Tür. Ein kleines Jüngelchen, ich schätze ihn auf höchstens siebzehn Jahre, steht dort und schaut leicht verängstigt in unsere Richtung. Seinen Gesichtszügen und seiner dunkleren Hautfarbe nach stammt er wahrscheinlich aus Nordafrika, wobei seine Aussprache frei jeglichen Dialektes ist.

„Wer sind Sie?“, fragen Jo und ich gleichzeitig.

„Mein Name ist Justus ….“

„Justus Jonas von den Drei Fragezeichen? Ich liebte als Kind die Hörspiele. Ich habe sie mir jeden Abend während des Einschlafens angehört", begeistert sich meine Partnerin. „Unter anderem deswegen bin ich zur Polizei, auch wenn der eigentliche Grund ein anderer war. War der Justus aus den Hörspielen nicht etwas korpulenter?“

„Das war er! Aber ich heiße auch nicht Justus Jonas, sondern Justus Arndt. Oder um genauer zu sein…“ und dabei blickt er besonders in meine Richtung „… Dr. Justus Arndt. Ich bin der neue Kriminaltechniker des Reviers. Haben Sie das Memo der Chefin nicht erhalten?“

Wer liest schon Memos? Zumindest ein Teil ist durch seine Aussage geklärt. Aber ein siebzehnjähriger Nordafrikaner mit einem Doktortitel und dem Namen Justus Arndt? Jo und ich schauen uns erst gegenseitig und danach ihn ratlos an.

„OK. Ich erkläre Ihnen, wie hunderten anderen Personen hiervor, die Hintergründe“, beginnt er leicht genervt, dafür schon etwas selbstbewusster. „Erstens: Ich wurde zwar in Marokko geboren, aber bereits als Baby von einer deutschen Familie adoptiert. Den Arndts. Sie waren sehr gute und liebevolle Eltern. So wie Eltern sein sollten. Zweitens: Ich sehe vielleicht jung aus, bin aber bereits fast vierundzwanzig.“

„Und schon Doktor?“, frage ich neugierig nach.

„Ja, wollen Sie die Papiere sehen? Meine Doktorurkunde? Ich bin eben etwas schneller durch die Schule und das Studium gekommen als andere.“ Langsam scheint er von unserem Unglauben etwas verärgert. Im Prinzip kann ich das sogar verstehen. So wie er andeutet, muss er sich jedem so ausführlich erklären. Zumindest denen, die keine Memos lesen, das muss ich mir selber eingestehen.

„Schon gut, .Dr. Arndt…“

„Justus …!?“, halb als Frage, halb als Aufforderung formuliert.

„Also Justus, ich bin Eduard und das ist Jo. Freut mich, mit Ihnen, ähm, ich meine dir, zusammenzuarbeiten.“ Bleiben wir also gleich bei den Vornamen. Ist heute anscheinend modern. Aber da wir sicherlich ab jetzt öfters zusammenarbeiten, kann es vieles auch einfacher gestalten.

„Danke vielmals.“ Auf seinem unglaublich jugendlichen Gesicht beginnt sich ein Lächeln zu zeigen.

„Zurück zum Anfang. Wie war das mit der Erpressung?“

„Ach ja. Wie bei allen Mordfällen werden von mir auch hier, unter anderem, die finanziellen Hintergründe durchleuchtet. Und unser Mordopfer ist sehr auffällig. Er ging keinem geregeltem Beruf nach, hatte aber doch einen sehr ausschweifenden Lebenswandel. Er richtete gerne große Partys aus, mietete sich ultra teure Wagen, Ferrari und so, oder ging gerne in edle Restaurants. Seine Kreditkarten glühten regelrecht. Auf diese Weise konnte ich die besuchten Restaurants herausfinden. Ich habe einige von ihnen, bei denen er Stammgast war, angerufen. Nach ein wenig gutem Zureden habe ich erfahren, dass er nie alleine dort war, sondern stets in weiblicher Gesellschaft. Und so wie ich zwischen den Zeilen herauslesen konnte, selten zweimal mit derselben Dame.“

„Und wie finanzierte er all das, wenn er keinen Job hatte? Vielleicht eine Erbschaft? Reiche Verwandte? Glück gehabt beim Spekulieren mit Aktien?“, fragt Jo nach.

„Weder noch. Es gingen aber regelmäßig monatliche Geldbeträge auf seinem Konto ein. Von mindestens sieben verschiedenen Personen. Ab zweihundert Euro aufwärts.“

„Und du meinst, die Besitzer der Konten wurden von Dr. Peters erpresst?“, frage ich nach.

„Das ist für mich bisher die einzig logische Erklärung.“

„Auf jeden Fall kann es nicht schaden, wenn wir herausfinden, wem die Konten gehören. So können wir die Personen aufsuchen und befragen. Du nicht, Justus“, sage ich schnell, als ich in sein freudig erregtes Gesicht blicke. „Du gehst wieder in dein Labor, oder wo auch immer du herkommst und besorgst mir Namen und Adressen. – Bei der Befragung finden wir womöglich noch einen anderen vernünftigen Grund für die Überweisungen. Aber Erpressung bleibt auf jeden Fall neben Raubmord und Eifersucht als mögliches Motiv bestehen.“

„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, übernimmt Jo die Rolle von Georg als Sprücheklopfer.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?