Buch lesen: «Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht»
Julia Fritz
Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht
Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8408-3 (Print)
ISBN 978-3-8233-0225-4 (ePub)
Inhalt
Vorwort
I. Grundlagen und theoretischer Bezugsrahmen
1. Einleitung
2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland2.1 Das Unterrichtsfach Französisch2.1.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen2.1.2 Entwicklung der Lernerkontingente2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch2.2.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen2.2.2 Entwicklung der Lernerkontingente2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I
3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung3.2 Die Schülersicht in der pädagogischen Forschung3.2.1 Die Lehrkraft und das Lehrer-Schüler-Verhältnis3.2.2 Unterrichts- und Lerninhalte3.2.3 Leistungsbewertung und Zensuren3.3.4 Zur Bedeutung sozialer Beziehungen3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung3.3.1 Die Abwahl der zweiten Fremdsprache3.3.2 Die Fremdsprachenlehrkraft3.3.3 Unterrichtsgestaltung und Methoden3.3.4 Schwierigkeitsgrad des Faches und Leistungsentwicklung3.3.5 Nützlichkeit und Anwendbarkeit der Fremdsprache3.3.6 Der Einfluss des Geschlechts auf die Wahrnehmung von Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenunterricht3.3.7 Wahrnehmung des Fremdsprachenunterrichts im Vergleich der Jahrgangsstufen3.4 Das Unterrichtserlebnis: Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung3.5 Zwischenresümee und Schlussfolgerungen für die empirische Studie
II. Empirie – Konzeption und Durchführung der Studie
4. Methodologie und Methoden4.1 Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Untersuchung4.2 Methodologische Vorüberlegungen4.3 Zugang zum Forschungsfeld4.4 Methoden der Datenerhebung4.4.1 Bildgestützte Kurzaufsätze4.4.2 Gruppendiskussion4.4.3 Narratives Interview4.5 Auswertung der Daten4.5.1 Die dokumentarische Methode als rekonstruktives Auswertungsverfahren4.5.2 Auswertung der Gruppendiskussionen4.5.3 Auswertung der narrativen Interviews4.5.4 Modifikation des methodischen Vorgehens4.6 Auswahl der dargestellten Fälle
III. Empirische Befunde – die Sicht der Lernenden auf ihren Fremdsprachenunterricht
5. Rekonstruktion des kollektiven Unterrichtserlebens5.1 Die Gruppe „Stadion“5.1.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf5.1.2 „Besser eine Sprache ganz viel als beide nur so ein bisschen“ – Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen5.1.3 „Na Französisch ist eine ziemlich schwere Sprache“ – die Lernbarkeit von Französisch im Vergleich zu Englisch5.1.4 „Aufgaben, da muss man immer dasselbe machen“ – Lehrwerkkritik und mangelnde Unterstützung im Unterricht5.1.5 „Und dann musstest du irgendwie das ganze Blatt können“ – Unterrichtsinhalte ohne Lebensweltbezug5.1.6 „Aber ansonsten ist der Unterricht HIER besser als im vorherigen Jahr“ – Streben nach Partizipation und guten Leistungen5.1.7 Zusammenfassung5.2 Die Gruppe „Katze“5.2.1 Zusammensetzung der Gruppe und Gesprächsverlauf5.2.2 „Der Großteil der Bevölkerung kann schon Englisch“ – Haltungen zum Erlernen mehrerer Sprachen5.2.3 „Einfach ein Fach“ – Haltungen zum Fach Spanisch5.2.4 „Man kann so selbst aussuchen, was man wie macht“ – positive Unterrichtserlebnisse im Spanischunterricht5.2.5 „Die haben halt ANDERS berichtet“ – muttersprachliche Lehrkräfte im Spanischunterricht5.2.6 „So ein paar Sachen schon verstehen“ – Beurteilung des aktuellen Lernstands5.2.7 Zusammenfassung
6. Rekonstruktion des individuellen Unterrichtserlebens6.1 Fallrekonstruktion Pia: „Au revoir français“ – Französischlernen als vergebliches Streben nach Kompetenz6.1.1 Fallporträt6.1.2 „Ich wollte eigentlich schon immer Französisch machen“ – Pias Wunsch, Französisch zu lernen6.1.3 „Durchhalten“ und „durchkämpfen“ – Distanzierung vom Fach Französisch als Prozess6.1.4 „Das hat mich dann schon ein wenig runtergedrückt“ – negative Lernerlebnisse und Misserfolge im Unterricht6.1.5 „Es ist dann halt immer so der ständige Ablauf“ – monotone Unterrichtsgestaltung und uninteressante Themen6.1.6 „Also ich kann mich ein BISSCHEN verständigen“ – Pias Selbsteinschätzung und Zukunftsperspektiven6.1.7 Zusammenfassung6.2 Fallrekonstruktion Max: „Meine Motivation gegenüber dem Spanischunterricht ist lehrerabhängig“ – Spanischlernen als Streben nach Anerkennung6.2.1 Fallporträt6.2.2 „Man hat es eigentlich so spielerisch gelernt, in der fünften und sechsten Klasse“ – Rekonstruktion der ersten beiden Lernjahre Spanisch6.2.3 „Und dann kam in der achten Klasse dieser große Bruch“ – der Einfluss der Lehrperson auf die Bezugnahme zum Fach6.2.4 „In der sechsten und fünften Klasse waren wir ihre Vorzeigeklasse“ – Max’ Wahrnehmung des veränderten Lehrer-Schüler-Verhältnisses6.2.5 „Themen, die uns so in der Realität nicht betreffen“ – fehlende Identifikationsmöglichkeiten mit den Inhalten im Spanischunterricht6.2.6 „Dann brauche ich auch manchmal meine Bestätigung“ – Max’ Selbstkonzept als Fremdsprachenlerner6.2.7 Zusammenfassung
. IVResümee und Ausblick7. Fallübergreifende Ergebnisdarstellung: Dimensionen des Unterrichtserlebens7.1 Fachliche Bezugnahme als dynamischer Prozess7.2 Englisch als lingua franca7.3 Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln7.4 Inhalte und Methoden7.5 Kompetenzerleben
8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse8.1 Einordnung der Ergebnisse in aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse und Implikationen für die unterrichtliche Praxis8.1.1 Professionsforschung und Lehrerbildung8.1.2 Motivation und Kompetenzentwicklung8.1.3 Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik8.2 Kritische Reflexion des Forschungsprozesses8.3 Ausblick
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang10.1 Transkriptionsregeln10.2 Fremdsprachendidaktische Studien zur Erforschung der Schülersicht10.3 Bildgestützter Kurzaufsatz I (Pia)10.4 Bildgestützter Kurzaufsatz II (Max)
Vorwort
Die Fertigstellung dieser Arbeit ist das Ergebnis einer langen, spannenden Reise, auf der mich zahlreiche Menschen begleitet und unterstützt haben. Folgt man einem Zitat Goethes, so lässt sich zwar wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken, dennoch möchte ich den Versuch unternehmen, die Hilfe und den Zuspruch einiger dieser Menschen hier angemessen zu würdigen.
Ohne die Offenheit und Bereitwilligkeit der vielen Jugendlichen, ihre persönlichen Geschichten mit mir zu teilen, wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Ihnen sowie den Lehrkräften, die mir die Türen zu ihren Klassenzimmern geöffnet haben, gilt zuvorderst ein aufrichtiges Dankeschön.
Zu besonderem Dank bin ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Hélène Martinez verpflichtet. Sie gab mir nicht nur den entscheidenden Anstoß für das Thema meiner Arbeit, sondern bestärkte mich mit ihrem Vertrauen, meinen Weg als Nachwuchswissenschaftlerin zu beschreiten. Während der fünf Jahre an ihrem Lehrstuhl bin ich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich gereift. Unvergessen bleibt unser Marathontreffen zur Besprechung des Manuskripts in Kassel mit Kaffee, Kuchen und qualmenden Köpfen. Ich möchte ebenso Prof. em. Dr. Michael K. „Mitch“ Legutke danken, der stets mehr für mich war als mein Zweitgutachter. Durch seinen Enthusiasmus, sein Interesse an meiner Arbeit, seine klugen Fragen und Hinweise sowie den sanften Druck hat er maßgeblich zum Vorankommen meiner Dissertation beigetragen.
Allen TeilnehmerInnen des GCSC Forschungskolloquiums „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ der Justus-Liebig-Universität Gießen sei gedankt für den regen Austausch sowie die Möglichkeit, mein Dissertationsprojekt während des gesamten Forschungsprozesses regelmäßig zur Diskussion zu stellen. Insbesondere Dr. habil. David Gerlach hat durch seinen kritischen Blick auf die Daten geholfen, meine Wahrnehmung für so manche „Fokussierungsmetapher“ zu schärfen. Dass er jederzeit für all meine forschungsmethodischen Fragen mit Rat und Tat zur Verfügung stand, weiß ich sehr zu schätzen.
Besonderer Dank gilt meinen „Freundolleginnen“ Sophie Engelen, Frédérique Moureaux-Abu Marheil, Dr. Tanja Prokopowicz, Anna Schröder-Sura und Nevena Stamenkovic für das sorgfältige Korrekturlesen, die vielen schönen, gemeinsamen Erlebnisse in und außerhalb der Uni sowie die unzähligen wertvollen Gespräche über die „Diss“, aber auch über ganz irdische Themen wie die Fußball-Bundesliga oder den letzten Tatort.
Von ganzem Herzen danke ich meiner Familie dafür, dass sie mir durch ihre liebevolle Zuwendung, das Nachfragen und Zuhören, das Aufmuntern und Trösten ermöglichte, so manchen Ballast abzuwerfen und Turbulenzen zu überstehen, dass sie mir von Kindesbeinen an das Gefühl vermittelte, all meine Träume und Ziele verwirklichen zu können, und dass sie einen Ort geschaffen hat, an dem ich mich immer aufgehoben, verstanden und zu Hause fühlen konnte.
Der wichtigste Weggefährte auf meiner Reise war Matthias Bunzel, der mich während dieser intensiven Zeit in so manches Abenteuer entführte und mich den Schreibtisch immer wieder für einige Stunden oder Tage vergessen ließ. Ohne ihn wären die zurückliegenden Jahre nicht halb so bunt, aufregend und erfüllend gewesen. Er und unser gemeinsamer Sohn August sorgen dafür, dass auch das Leben nach der „Diss“ niemals langweilig wird.
I. Grundlagen und theoretischer Bezugsrahmen
Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.
(Eugène Ionesco, französisch-rumänischer Schriftsteller)
1. Einleitung
Mit der aus dem Europäischen Jahr der Sprachen 2001 stammenden Forderung „Muttersprache plus zwei“ formuliert der Europarat das sprachenpolitische Ziel der Mehrsprachigkeit möglichst aller BürgerInnen der Europäischen Union. Doch trotz zunehmender Migrationsbewegungen sowie einer wachsenden plurikulturellen und damit plurilingualen Gesellschaft ist in privaten wie auch beruflichen Kontexten eine verbreitete Tendenz des Englischen als lingua franca zu beobachten, die auch in schulsprachenpolitischen Zusammenhängen ihren Niederschlag findet. Zahlreiche Initiativen und Maßnahmen wurden seit 2001 auf den Weg gebracht, um schulisches sowie außerschulisches (Fremd‑)Sprachenlernen zu fördern und die Vielfalt der europäischen Sprachen neben der Dominanz des Englischen zu erhalten. Der Blick auf den institutionalisierten Fremdsprachenunterricht zeigt jedoch, dass diese Forderung in Deutschland auch 18 Jahre später vielfach noch ungelebter Traum ist und die SchülerInnen in der Sekundarstufe I und II im Durchschnitt nur 1,3 bzw. 1,4 Fremdsprachen lernen (vgl. Eurydice 2013:65), sodass Bär (2017:89) von „einer Zweisprachigkeit (bei Berücksichtigung der qualitativen Komponente in vielen Fällen auch […] einer Anderthalbsprachigkeit)“ spricht. So muss in Bezug auf die eingangs dargestellte Forderung „Muttersprache plus zwei“ konstatiert werden, dass entsprechende Bemühungen im schulischen Kontext bislang noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse hervorgebracht haben. Doch trotz der Suche nach möglichen Ursachen und Begründungszusammenhängen besteht keine Einigkeit hinsichtlich der Rolle des Fremdsprachenunterrichts.
Wie erfolgreich die Schulen in der Vermittlung von Fremdsprachen sind, ist allerdings umstritten. Einerseits gibt es ernsthafte Zweifel an der Effizienz des gängigen schulischen Fremdsprachenunterrichts (Bleyhl, 2005; Meyer, 2001; Tschirner, 2004), andererseits wurde aber auch vor übertriebenen Erwartungen an die schulischen Möglichkeiten beim Erwerb einer zweiten Fremdsprache gewarnt (Lightbown, 2000). (Niggli et al. 2007:473f.)
Empirische Studien, die sich mit dem Problem der Abwahl der zweiten Fremdsprachen beschäftigen, finden sich insbesondere in der Einstellungs- und Motivationsforschung (vgl. u.a. Düwell 1979; Cronjäger 2009; Venus 2017b). Die bisherigen, vor allem quantitativen Untersuchungen haben das Erleben im Unterricht als einen wichtigen, vielleicht den entscheidenden Faktor für die Erklärung von Einstellungs- und Motivationsunterschieden (vgl. Meißner et al. 2008) herausgearbeitet. Dennoch mangelt es bislang an Untersuchungen zu den Fremdsprachenlernerfahrungen, in denen die SchülerInnen selbst zu Wort kommen.
Hieraus ergibt sich ein Desiderat für qualitative Forschungsarbeiten. Einen tieferen Zugang zu den individuellen Erlebnisweisen und Innenansichten zu ermöglichen, die sich mittels sprachlich eher reduzierter Fragebogenskalen kaum operationalisieren und „abfragen“ lassen, stellt das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit dar. Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Rekonstruktion des Unterrichtserlebens von SchülerInnen sowie deren Deutungen und Bewertung am Ende der Sekundarstufe I. Die so gewonnenen Erkenntnisse versprechen die sich bislang offenbarenden Tendenzen quantitativer Untersuchungen inhaltlich zu vertiefen und zu differenzieren. Damit versteht sich das Dissertationsprojekt als Anschlussforschung, die mittels Einzelfallbetrachtungen einen Beitrag leistet, um besser zu verstehen, welchen Einfluss Fremdsprachenlernerfahrungen auf das Lernen einer zweiten Fremdsprache Französisch oder Spanisch nach Englisch sowie die Bezugnahme zum Fach haben.
Wenngleich immer wieder davon die Rede ist, Spanisch verdränge unter den romanischen Sprachen die traditionelle Schulfremdsprache Französisch1, unterliegen Französisch und Spanisch als zweite bzw. dritte Fremdsprachen nach Englisch doch einem vergleichbaren Bedingungsgefüge. Die Einbeziehung von Französisch und Spanisch in die empirische Untersuchung soll so zum einen erstmals Ergebnisse im Bereich des Spanischunterrichts aus Lernersicht und zum anderen neue Einblicke und Erklärungsansätze hinsichtlich der Probleme, die beide Fächer gleichermaßen zu betreffen scheinen, liefern.
Aufbau der Arbeit
Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst wesentliche Grundlagen sowie der theoretische Bezugsrahmen umrissen. Um die Spezifik der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch zu beleuchten, bietet das erste Kapitel einen Überblick über die aktuellen schulsprachenpolitischen Rahmenbedingungen. Darüber hinaus kommt mithilfe statistischer Daten die Entwicklung der Lernerzahlen zur Darstellung, die sowohl Tendenzen im Verlauf der letzten Jahre als auch über die Jahrgangsstufen hinweg abbildet. Diese machen das Phänomen der Abwahl besonders deutlich, sodass im Anschluss an die nach Fächern getrennten Ausführungen ein Vergleich der beiden zweiten Fremdsprachen am Ende der Sekundarstufe I folgt.
Die vorliegende Studie untersucht den Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht. Der Forschungsüberblick (Kap. 3) greift diesen Begriff auf, wobei die Auseinandersetzung mit dem Terminus „Schülersicht“ verdeutlicht, dass diesem je nach Fachdisziplin ganz unterschiedliche theoretische Konzeptionen zugrunde liegen und dementsprechend auch die (empirischen) Zugänge zum Teil stark variieren. Diese Herangehensweisen sowie zentrale Ergebnisse entsprechender Forschungsarbeiten werden vorgestellt und diskutiert. Mit dem Kapitel 3.2 ist der Pädagogik als Bezugswissenschaft ein eigenes Unterkapitel gewidmet, da in der fremdsprachendidaktischen Forschung in Deutschland die Anzahl an Arbeiten zum schulischen Fremdsprachenlernen aus der Perspektive der Lernenden noch überschaubar ist. Vor diesem Hintergrund plädiert auch Trautmann (2007:197) dafür, „erziehungswissenschaftliche und insbesondere schulpädagogische Erkenntnisse stärker als bislang zu berücksichtigen“. Den verschiedenen Zugängen zur Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung (vgl. Kap. 3.3) ist gemein, dass sie die Wahrnehmungen der Lernenden in Bezug auf Fremdsprachen und Fremdsprachenunterricht erheben. Um jedoch die Prozessdimension dieser Wahrnehmungen stärker in den Blick zu nehmen, ergibt sich die Notwendigkeit, die vorliegenden Zugänge um den des Unterrichtserlebens zu erweitern. Der Begriff „Unterrichtserlebnis“ wird in verschiedenen Arbeiten zwar immer wieder genannt, jedoch nicht hinreichend definiert. Um eine theoretisch hergeleitete und begründete Konzeptualisierung als Grundlage für die empirische Untersuchung vorzunehmen, rückt Kapitel 3.4 diesen Begriff in den Mittelpunkt.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den methodologischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung. Das Erkenntnisinteresse und die Forschungsfragen (Kap. 4.1) legen eine methodologische Verortung der explorativen Fallstudie im qualitativen Forschungsparadigma nahe, die im Kapitel 4.2 begründet wird. An die Beschreibung des Forschungsfeldes, d.h. der teilnehmenden Schulen (Kap. 4.3), schließt sich eine ausführliche Erläuterung des Forschungsdesigns an, wobei die Methoden der Datenerhebung (Kap. 4.4) und Datenauswertung (Kap. 4.5) sowohl theoretisch hergeleitet und betrachtet als auch in ihrer konkreten Umsetzung im Rahmen der Untersuchung dargelegt werden.
Die empirischen Ergebnisse der vier Fallanalysen, anhand derer das kollektive (Kap. 5.1 und 5.2) sowie individuelle Unterrichtserleben (Kap. 6.1 und 6.2) rekonstruiert werden, kommen im Teil III der Arbeit zur Darstellung. Die Fallrekonstruktionen orientieren sich dabei jeweils an fünf für das Unterrichtserleben und die Bezugnahme zum Fach besonders relevanten Passagen bzw. Themen. Diese zeigen, dass in den Daten auch über die Einzelfälle hinweg bestimmte Muster und Phänomene immer wieder zum Ausdruck kommen. Die fallübergreifende, komparative Ergebnisdarstellung (Kap. 7) greift diese auf, sodass über den Fallvergleich die zentralen, für das Unterrichtserleben der SchülerInnen relevanten Dimensionen herausgearbeitet und unter Einbezug weiterer Fälle des Gesamtsamples illustriert werden.
Im abschließenden Kapitel 8 werden die Ergebnisse der Studie vor dem Hintergrund vorliegender Erkenntnisse zur Schülersicht diskutiert und in aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse eingeordnet. In diesem Sinne wird hier auch der Versuch unternommen, Perspektiven, Desiderate und Fragestellungen für zukünftige Anschlussforschung zu eröffnen sowie Implikationen sowohl für die Unterrichtspraxis als auch für die Lehrerbildung abzuleiten. Der letzte Blick in der Arbeit richtet sich „zurück nach vorn“. Mit der Reflexion des Forschungsprozesses (Kap. 8.2) wird insofern der Versuch unternommen, verschiedene Entscheidungen im Verlauf der Untersuchung einer kritischen Bewertung zu unterziehen und damit gleichzeitig mögliche Fallstricke sowie Lösungsansätze für die weitere Forschung offenzulegen.
2. Zur aktuellen Situation des Französisch- und Spanischunterrichts in Deutschland
Die Frage, wie SchülerInnen die beiden zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch lernen, hängt nicht zuletzt davon ab, unter welchen schulischen Voraussetzungen dies geschieht. Insofern sollen zunächst die bildungspolitischen Rahmenbedingungen sowie die Entwicklung der Lernerzahlen betrachtet werden, um die aktuelle Situation des Französisch- und Spanischunterrichts zu beleuchten und damit eine erste Einordnung ihrer Stellung im fremdsprachlichen Fächerkanon vorzunehmen.
2.1 Das Unterrichtsfach Französisch
Die sogenannte Krise des Französischunterrichts, wie sie in den zurückliegenden Jahren immer wieder ausgerufen wurde, stellt keineswegs ein Phänomen der 2000er Jahre dar. Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich zum Teil deutliche Verluste in Bezug auf die Lernerzahlen feststellen, die nicht zuletzt auf bildungspolitische Entscheidungen und damit einhergehend eine Verschlechterung der Bedingungen des Französischunterrichts zurückzuführen sind. Die folgenden Darstellungen sollen diese Entwicklungen aus einer historischen sowie länderübergreifenden Perspektive skizzieren.