Kulturkampf

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Regeneration und Sonderbünde

Die Regeneration, die 1830 die Hälfte der Kantone und zwei Drittel der Bevölkerung erfasste, wurde nicht nur durch die französische Juli-Revolution ausgelöst. Einen erheblichen Einfluss hatte die vorausgegangene Umwälzung im Tessin. Deren intellektueller und politischer Kopf war der ehemalige Priesterseminarist und spätere Bundesrat Stefano Franscini. Auch in anderen Kantonen spielten radikal-liberale Katholiken eine Schlüsselrolle. In St. Gallen war es Gallus Jakob Baumgartner, in Luzern Kasimir Pfyffer, in Solothurn Munzinger und im 1833 gegründeten Baselland Gutzwiller. Einen anfänglich grossen Einfluss übten weiter der Jurassier Xavier Stockmar, der im Aargau lebende und lehrende Luzerner Philosoph Ignaz Paul Vital Troxler und der Zuger Landammann Georg Joseph Sidler aus.

Da die katholischen Landsgemeindekantone sich weigerten, die eidgenössische Gewährleistung der liberal-demokratischen Kantonsverfassungen auszusprechen, in Neuenburg ein Volksaufstand niedergeschlagen wurde, in der Stadt Bern Aristokraten einen Komplott gegen die liberale Kantonsregierung schmiedeten und die Bestrebungen für eine Regeneration des Bundes insbesondere im Klerus auf grossen Widerstand stiessen, schlossen die Vororte Luzern, Zürich und Bern mit den vier anderen regenerierten Deutschschweizer Kantonen Solothurn, St. Gallen, Aargau und Thurgau im März 1832 das sogenannte Siebnerkonkordat. Das unter der Leitung von Kasimir Pfyffer entstandene «Condordat über Garantie der Verfassungen» beinhaltete das Versprechen, sich notfalls mit Waffengewalt «Schutz und Schirm zu leisten». Auch wenn das Siebnerkonkordat im Unterschied zu dem elf Jahre später gegründeten katholischkonservativen Sonderbund keine gemeinsame Militärführung hatte, war es ein erster – liberal-säkularer – Sonderbund.

Die Urkantone Uri, Unterwalden und das «alte» Inner-Schwyz, von dem sich im April 1832 das «neue» Ausser-Schwyz abgespalten hatte, und die beiden Stände Neuenburg und Basel, das um Baselland kämpfte, gründeten kurz darauf in Sarnen den ersten konservativen Sonderbund. Der sogenannte Sarnerbund, der bereits Ende 1831 vorbereitet worden war, ging einen Schritt weiter als der liberale. Er boykottierte die Tagsatzung und führte eigene Gegen-Tagsatzungen durch, was laut Edgar Bonjour «die Gesamteidgenossenschaft zu sprengen drohte». Das Bündnis aus katholischen Landsgemeinden und protestantischen Patriziaten hatte zwei Kernziele: Verhinderung der Kantonstrennungen in Basel und Schwyz und Bewahrung des Bundesvertrags von 1815. Dieser hatte aus den Kantonen wieder eigenständige Staaten gemacht, was zur Folge hatte, dass er nur mit der Einwilligung jedes einzelnen Mitglieds revidiert werden konnte. Gleichzeitig hatte der päpstliche Nuntius 1814 eine Bestimmung durchgesetzt, die den Klöstern ihre Existenz garantierte. Da der fragliche Artikel 12 dem Prinzip der Kantonssouveränität widersprach, bildete er das schwächste Glied in der restaurativen Kette von 1815.

Aufschlussreich ist, dass bereits die Basler und Schwyzer Trennungswirren die Eidgenossenschaft unabhängig von der Konfessionsfrage in eine neue und eine alte Schweiz gespalten hatten. Der verbalradikalste Gegner von Basel-Stadt und Freund von Baselland war der St. Galler Landammann Baumgartner: «Delenda est Carthago – Im Interesse des Vaterlands» lautete seine Parole. Basel-Stadt wurde besonders stark von der konservativ-protestantischen Neuen Aargauer Zeitung und von dem in der Einsiedler Klosterdruckerei produzierten Waldstätter Boten unterstützt.

Bei der Schwyzer Spaltung spielte die Klosterfrage eine zentrale Rolle. Der im liberalen Ausser-Schwyz gelegene Benediktinerstift wehrte sich für die konservativen Alt-Schwyzer, unter anderem weil die Neu-Schwyzer die Klöster unter die Oberaufsicht des Staates stellen, sie zur Bezahlung von Beiträgen verpflichten, deren Schule für alle öffnen und der Aufsicht des Erziehungsrats unterstellen wollten. Der Klosterabt liess in den von seinen Mönchen betreuten Pfarreien das Volk vor der Annahme der neuen Ausser-Schwyzer Verfassung warnen. Wenn die schweizerischen Katholisch-Konservativen den neuen «Kanton Schwyz äusseres Land» als «antiklösterliche Allianz» betrachteten, lagen sie nicht ganz falsch. Einer der geistlichen Hauptgegner des Klosters in Einsiedeln selbst war der freisinnige Priester Robert Kälin, ein aktives Mitglied der Helvetischen Gesellschaft. Nach dem Ende des liberalen Ausser-Schwyz wurde er Pfarrer an der Zürcher Augustinerkirche. Diese Stellung benützte er zwölf Jahre später zugunsten der Befreiung des zum Tode verurteilten Steiger aus dem Luzerner Kesselturm.7

Sönderung in St. Gallen

Neben der Sonderbundsfrage prägten auch die mit dieser verknüpften Religions- und Kirchenfragen die Regeneration praktisch von Beginn an. Dass deren «Anfänge» von der «Konfessionalisierung» noch nicht betroffen gewesen seien, wie es auch Peter Stadler in seinem Standardwerk Der Kulturkampf in der Schweiz schreibt, ist deshalb doppelt falsch. Erstens ging es, wie eingangs erklärt, nicht um konfessionelle, sondern um ideologische Konflikte. Und zweitens stiessen, wie die St. Galler Verfassungsdebatte vom Frühjahr 1831 deutlich zeigt, die beiden katholischen Lager in den Kirchen- und Religionsfragen sofort und heftig zusammen. Am umstrittensten war die 1814 erfolgte Teilung des 1803 als Rechtsnachfolger des fürstäbtischen Stifts entstandenen Kantons in zwei autonome Konfessionsverwaltungen. Die sogenannte Sönderung hatte auch eine materielle Basis, weil ein Teil des Stiftsvermögens den Katholiken als konfessionelles Gut zugesprochen worden war. Da es nicht, wie ursprünglich gefordert, zur Förderung der Primarschulen den Gemeinden verteilt worden war, blieb es zusammen. Dies machte den zuständigen katholischen Administrationsrat laut Baumgartner zu einem «Staat im Staat», der den Kanton «zu einem ohnmächtigen Scheinstaat herabgedrückt» habe.

In seinem im Oktober 1830 nach einer Volksversammlung verfassten Reformprogramm forderte der Kopf der St. Galler Regeneration die «Wiedervereinigung beider Konfessionen zu einem Ganzen, unter einem und demselben Staatsoberhaupt, dem Gr. Rat, und einer ungeteilten vollziehenden und administrativen Gewalt im Kl. Rat». Kurz zuvor hatte der einer einfachen Bauern- und Handwerkerfamilie im Rheintal entstammende Baumgartner seinem Luzerner Gesinnungsgenossen Kasimir Pfyffer bezüglich der Verfassungsrevision geschrieben: «Die Sönderung beider Konfessionen und die Parität muss niedergedrückt werden; das ist das Wesentliche, für Anderes gebe ich nicht viel, und jenes ist wirklich eine schwierige Aufgabe.»

Für die Lösung dieser Aufgabe holte sich Baumgartner vor allem bei Geistlichen Rat. Die wichtigsten beiden waren Josef Anton Sebastian Federer und Felix Helbling. Federer war 1821 vom Administrationsrat als Leiter des katholischen Gymnasiums St. Gallen entlassen worden und wirkte nun in ähnlicher Funktion im liberalen Baden. Der aus Rapperswil stammende Helbling gehörte dem reformerischen Priesterkapitel Uznach an und hatte zusammen mit Joseph Anton Henne, einem weltlichen Liberal-Katholiken, die Bildung des Verfassungsrats durchgesetzt. In diesem kämpften die beiden gemeinsam mit Baumgartner für die Übertragung aller konfessionellen Fonds an den Kanton und die Aufhebung der «Sönderung». Allerdings blieben die Liberalen chancenlos, weil die neue dritte Kraft, die (Direkt-)Demokraten, die Konservativen unterstützten, obwohl die paritätische Wahl des Parlaments oder die konfessionell getrennte Verwaltung des Ehe- und Schulwesens der Volkssouveränität widersprach. Felix Kolumban Diogg, gemeinsam mit Henne Vater des schweizweit ersten Volksvetos, war dagegen, die «Souveränität» des Volkes «über die Kirche, über die göttliche, geoffenbarte Religion» auszudehnen. Baumgartner entgegnete, das Volk sei zwar nicht über die Kirche Gottes, die für ihn etwas Geistiges war, aber über die menschlich-kirchlichen Behörden souverän.

Für die von Henne vorgeschlagene und am wortreichsten von Helbling unterstützte Religionsfreiheit auch für Nichtchristen, insbesondere Juden, stimmten nur 20 Verfassungsräte, mehrheitlich Radikal-Liberale. Regierungsrat Dominik Gmür, Kopf der Katholisch-Konservativen, warnte vor allerlei Übeln wie «ganz sonderbare Sekten», «Vielweiberei und andere Greuel» sowie eine «völlige Religionsgleichgültigkeit». Allerdings war der liberale Bundesstaat 17 Jahre später auch nicht fähig, die Glaubens- und Kultusfreiheit auf Nichtchristen auszuweiten. Henne, Autor des berühmten Liedtextes «Lueget vo Bärg und Tal», brachte immerhin das Recht auf Mischehe durch. Der Konservativismus wurde noch nicht vom Ultramontanismus dominiert. Da die Liberalen eine Reihe weiterer Ziele wie Rechtsgleichheit, die Presse-, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit erreichten, setzten sie sich – trotz der Niederlage in der «wesentlichsten» und «schwierigsten» Frage – im März 1831 in der ersten Volksabstimmung in der Geschichte des Kantons erfolgreich für die neue Verfassung ein.8

Folgenreiche Reformpredigt

Wenn St. Gallen in der ersten Hälfte der 1830er-Jahre gemeinsam mit Luzern die bundespolitische Avantgarde-Rolle spielte, lag das wesentlich am Priesterkapitel Uznach mit seinem Zentrum Rapperswil. Der Rückschlag im Verfassungsrat bei den Religionsfragen, für den Baumgartner den konservativen Teil des Klerus verantwortlich machte, stachelte das von radikal-liberalen Geistlichen angeführte Gremium zu einer Grossoffensive an. Zu deren folgenreichem Höhepunkt wurde eine Reformpredigt des Rapperswiler Spitalpfarrers und Professors Alois Fuchs, die dieser auf Einladung des Stadtpfarrers Christophor Fuchs im Mai 1832 gehalten hat. Darin fasste Fuchs, der mit Wessenberg eng verbunden war, das, was katholische Aufklärung in der Schweiz der 1830er-Jahre bedeutete, zusammen. Unter dem Titel Ohne Christus ist für die Menschheit kein Heil in der Kirche und im Staate stellte er die «republikanischen» Werte der «Freiheit und Gleichheit» als die «ewige Grundlage» des Christentums vor. Aber nun drohte die Kirche zur «schalen, toten Form» zu werden. Ein Grund lag im Verschwinden der Synoden und Konzilien «aus Regierungssucht von einer Seite und aus serviler Kriecherei und unverzeihlicher Schlaffheit auf der anderen Seite». Damit waren das Papsttum und die Bischöfe gemeint. In Anlehnung an die politische Regeneration plädierte Fuchs für die Wiedereinführung von Diözesan- und Nationalsynoden sowie ökumenischer Konzilien. Weiter prangerte Fuchs den Pflichtzölibat an und kritisierte das «geistlose Formelwesen» und die «mechanische Abrichtung» in der Liturgie und bei den Prozessionen.

 

Genau wie die Kirche einen «Mittelpunkt» brauche, um nicht «in hundert Theile zu zerfallen», wie das den «andern Konfessionen» passiert, brauche auch die Schweiz einen «Centralpunkt». Solange sie «keine Republik» sei, gäbe es «in der Schweiz keine Schweiz», solange «werden wir nie Schweizer, nie glücklich» sein. Diesem patriotischen Bekenntnis folgt eine saftige Polemik gegen «Geistliche, die bei einer Bundesregierung Religion und Kirche, Freiheit und Vaterland in Gefahr glauben». Diese «kennen nicht die ewigen Forderungen der Vernunft und des Christentums, die am Ende […] sich doch realisieren werden und müssen. Und wenn sie zum Bürgerkrieg auffordern […], so begehen sie ein Verbrechen, das durch ihre Verblendung denn doch nie hinlänglich entschuldigt werden kann».

Die Predigt ist unter dem zahlreich erschienenen Publikum nicht bei allen gut angekommen. Fuchs wurde denunziert und Grossrat Diogg reichte bei der zuständigen Staats- und Kirchenstelle unverzüglich Klage ein. Vor allem zwei Zitate aus der Predigt, die Diogg selbst nicht gehört hatte, gerieten diesem in den falschen Hals: «Bald werden Lutheraner, Katholiken und Reformierte einig sein.» Und: «Das Cölibat soll aufgehoben werden.» Um den ersten Satz zu dementieren und um die Argumente zu vertiefen, wurde die Reformpredigt, angereichert mit vier umfassenden Beilagen, als Broschüre veröffentlicht.

Die umfassendste Gegenschrift mit dem Titel Der Grosse Abfall stammte vom Einsiedler Mönch Pirmin Pfister. Sie wurde über den ganzen Sommer 1832 von den Konservativen massiv verbreitet. Mit dem Titel meinte Pfister die Französische Revolution und alle ihr folgenden Umwälzungen, welche die «Ankunft des Antichrist» ankündigen. Auch die Grundlagen der Regeneration bestehen darin, «dass alle Rechte und Gewalten nicht von Gott, sondern nur vom Volk ausgehen». Ganz unbegreiflich ist dem apokalyptisch gestimmten Mönch «die Blindheit katholisch sein wollender Geistlichen, die in der gegenwärtigen Verkehrung aller Begriffe des Rechts die Morgenröte glücklicher Tage sehen wollen».

Alois Fuchs antwortete im November mit der Broschüre Der grosse Abfall vom Vaterland und die Rückkehr zu ihm. Darin warb er insbesondere gegenüber den Urschweizern für eine Bundesverfassung und ein schweizerisches Erzbistum. Ein besonderes Augenmerk widmete der in Schwyz aufgewachsene Fuchs den «Heimatlosen», den «von einem Kanton in den andern gejagten Mitmenschen und Ebenbildern Gottes». Von den vielen positiven Reaktionen, die Fuchs erhielt, sticht die von Siegwart-Müller, damals noch Landesfürsprech in Altdorf, heraus. Dem Angebot, ein Dutzend Exemplare im Urnerland zu verkaufen, fügte dieser die Aussage bei: «Die Pfaffheit erstickt jedes Erwachen des Geistes und des Gemüts. Uri wird und muss eine rohe Herde werden. Die Moralität ist durchaus verfallen.»

Kurz nach Fuchsens Predigt und nach Pfisters Antwort veröffentlichte der neue Papst Gregor XVI. am 15. August 1832 seine Antritts-Enzyklika Mirari vos. Das zu einem Klassiker der Gegenaufklärung gewordene Dokument, das alle modernen Grundsätze wie die Pressefreiheit, die Volkssouveränität und das Völkerrecht verdammte, die Gewissensfreiheit als «Delirium» anprangerte, die Bücherverbrennungen lobend erwähnte und die Einheit von Thron und Altar beschwor, richtete sich primär gegen liberale Priester. Wessenberg machte in einer 1833 anonym erschienenen Schrift die Feststellung, der Papst müsse so von den um ihre Freiheit ringenden Völkern «als ein Verbündeter des Absolutismus» angesehen werden.

Ein Jahr nach der Enzyklika verurteilte und verbot der Papst in einem Breve die Predigt von Alois Fuchs und Vocks neu aufgelegte Schrift über den «Kampf zwischen Papsttum und Katholizismus». Die beiden späteren Ultramontanen Baumgartner und Siegwart-Müller reagierten auf die Indexierung mit «Los-von-Rom»-Losungen. Der St. Galler Politiker schrieb dem Zürcher Bürgermeister Johann Jakob Hess: «Wer klug ist, wird wissen, dass es eigentlich nie anders werden kann, bis man sich von Rom auf gut zwinglisch lossagt.» Und Siegwart-Müller teilte Alois Fuchs mit, dass die kirchliche Freiheit in der Schweiz «auf romanischer Grundlage nie gedeihen» werde.

Zwischenzeitlich hatte die bischöfliche Kurie gegen Fuchs ein Inquisitionsverfahren eröffnet und Anfang 1833 acht Stellen der Reformpredigt als «häretisch» verurteilt. Deren Verbreitung wurde «um gegen weitere Gefahr von Irrlehre und Verführung schuldigst zu wachen» verboten. Fuchs erhielt ein doppeltes Berufsverbot, als Priester und als Lehrer. Er fand später eine neue Stelle als Stiftsbibliothekar von St. Gallen.9

Fuchsenhandel in der Tagsatzung

Die Repression gegen Fuchs löste im Frühjahr 1833 heftige Reaktionen aus, zuallererst in Rapperswil. 88 Konservative, unter ihnen der Demokrat Diogg, gelobten der Inquisitionsbehörde, «dass wir als katholische Christen zutrauungsvoll ihre gerechten Beschlüsse immer achten» wollen. Einen Tag später legten 128 Rapperswiler Laien mit ihrer Unterschrift «Zeugnis für Herrn Prof. Fuchs» ab. Der Anstoss für diese Aktion war von Baumgartner gekommen, der von Fuchsens Priesterkollegen an der Tagsatzung in Zürich aufgesucht worden war.

Die gesamtschweizerische Solidaritätsbewegung mit Fuchs war überwältigend, insbesondere seitens der liberalen Geistlichkeit. Was die Laien-Petitionen betrifft, stammte die gewichtigste aus dem Kanton Luzern. 120 Persönlichkeiten, unter ihnen Grossrat Steiger und der damalige Deutsch- und Lateinlehrer sowie spätere Klosteraufheber Augustin Keller, hatten ihre Unterschrift unter eine von Siegwart-Müller verfasste Erklärung gesetzt. Der kurz zuvor von Altdorf nach Luzern gezogene Staatsschreiber hatte geschrieben, dass «jenes Verdammungsurteil […] das erwachende Volk in die Fesseln des Aberglaubens und der Knechtschaft zu schmieden sucht».

Aber auch protestantische Freisinnige meldeten sich zu Wort. Eine gut gemeinte Reaktion löste allerdings eine geharnischte Reaktion von fortschrittlich-katholischer Seite aus. Der Zürcher Johann Jakob Reithard, Herausgeber des in der Gessnerschen Buchhandlung erscheinenden Republikaner-Kalenders, hatte angekündigt, in der Nummer für das Jahr 1834 Alois Fuchs als «Luther der Schweiz» zu würdigen. In der radikalen Monatsschrift Schweizerblätter protestierte dessen Freund Henne heftig dagegen: «Keiner, der das katholische Volk vorwärts bringen will und weiss, wie viel Sorge dies kostet, wird so was gutheissen.» Das sei «wirklich das sicherste Mittel, diesen Märtyrer im Auge des katholischen Landmannes für immer wirkungslos und verloren zu machen». Im Republikaner-Kalender erschien dann eine Karikatur von Martin Disteli mit dem Titel «Prof. A. Fuchs vor dem Ketzergericht». Es war die erste bedeutende Zeichnung des katholischen Radikalen aus Olten.

Ein besonderes Gewicht fand die vom St. Galler Federer in seinem Badener Exil verfasste und von Aargauer Geistlichen unterzeichnete Petition, weil sie an der Tagsatzung vom 15. April thematisiert wurde. Die Bittschrift bezeichnete «des Professors Fuchs Verdammung» als einen «aus vielen Versuchen», die Schweiz wieder zu einem «Untertanenland der Nuntiatur» zu machen. Die Schlussworte passen bestens zur Rapperswiler Reformpredigt: «Unterzeichnete nennen sich Katholiken aus Überzeugung, huldigen aber einem reinen Katholizismus. […] Wir sind in der Zeitenwende angelangt, wo die Mündiggewordenen der zivilisierten Völker einsehen, dass ohne Emanzipation vom veralteten Formenwesen der christlichen Kirchen die bürgerliche Freiheit nicht behauptet werden kann.» In der Tagsatzungsdebatte zum sogenannten Fuchsenhandel legten sich der Fricktaler Joseph Anton Fetzer, Kasimir Pfyffers Bruder Eduard und Gutzwiller besonders ins Zeug. Der Basellandschäftler gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die freie Umgestaltung der Schweiz auch eine Erneuerung der kirchlichen Verhältnisse hervorrufen werde.

Bei den folgenden St. Galler Grossratswahlen vom 5. Mai 1833 errangen die Liberalen, insbesondere die Radikalen, einen überwältigenden Erfolg. Laut Baumgartner war sein Wahlsieg auf die monatelange Agitation gegen Kurie und Konservative zurückzuführen. Eine Folge war, dass der ultramontane Gmür in der Exekutive durch den katholischen Radikalen Helbling ersetzt wurde. Der kurz zuvor ebenfalls aus dem (kirchlich dominierten) Schuldienst entlassene Priester war, wie der Schweizerische Republikaner am 11. Juni 1833 stolz verkündete, «der erste und einzige katholische Geistliche in einer Regierung der deutschen Schweiz». Für die überkantonale Kirchenpolitik gewannen die St. Galler Wahlen eine grosse Bedeutung, weil sie den radikal-liberalen Politikern und Priestern den Mut zu jener Badener Konferenz verlieh, deren Artikel sich als übermütig erweisen sollten. Der St. Galler Wahlsieg auch in der katholischen Bevölkerung hatte die Hoffnung genährt, deren Mehrheit sei nachhaltig für den Liberalismus zu gewinnen.10

Konservativer Klerus gegen Bundesreform

Die wichtigsten Gegner der freisinnigen Geistlichen waren die konservativen Amtsbrüder. Ihren ersten grossen Einfluss auf überkantonaler Ebene entfaltete der reaktionäre Klerus im Kampf gegen die Bundesreform in den Jahren 1832 und 1833. Der ursprüngliche Anstoss zur Verwirklichung dieses liberalen Herzensanliegens war aus der Versammlung der Helvetischen Gesellschaft vom Mai 1831 gekommen. Dort hatten der Zuger Sidler, der Luzerner Kasimir Pfyffer, der Solothurner Munzinger und der Zürcher Ludwig Keller beschlossen, dafür zu sorgen, «dass bei nächster Tagsatzung die Verbesserung des Bundesvertrags zur Sprache gebracht werde». Nachdem ein erster Entwurf Baumgartners abgelehnt worden war, wurde der Genfer Pellegrino Rossi, der die zuständige Tagsatzungskommission präsidierte, beauftragt, einen zweiten zu verfassen. Der gebürtige Italiener Rossi, der in Genf Asyl gefunden hatte, war seit der Reformation der erste Katholik gewesen, der in der Kalvinstadt Römisches Recht und Strafrecht dozieren durfte. Aus dem «Rossi-Plan» machte die Tagsatzung im Frühjahr 1833 die «Bundesurkunde».

Die «Bundesurkunde», die auch von Radikalen wie Troxler oder Henne bekämpft wurde, weil sie ihnen zu wenig weit ging, wurde letztlich vom ultramontanen Klerus gebodigt. Besonders aufschlussreich war die Auseinandersetzung im Kanton Zug, wo die tonangebenden Konservativen gemässigt waren und die Liberalen mit Sidler über eine Persönlichkeit verfügten, die mindestens in Bundesangelegenheiten ihre Minderheitenstellung zu kompensieren vermochte. Diesmal aber war Sidler erstmals mit der organisierten Macht der Geistlichkeit konfrontiert. Und diese war im Unterschied zu den Nachbarkantonen Luzern und Aargau praktisch geschlossen antiliberal. Nachdem die Stimmung im Kanton Zug laut Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bis Ende 1832 die «günstigste» für die Bundesreform war, startete das kantonale Landkapitel eine Gegenkampagne. Es lancierte eine Petition an den Landrat, die von mehr als der Hälfte der Stimmberechtigten unterzeichnet wurde. Auch die Kanzel und die seelsorgerischen Mittel wie die Beichte wurden für die Bodigung der Bundesreform eingesetzt. Kurz darauf beschloss das Kantonsparlament, auf die Revision nicht einzutreten. Sidler selbst wurde darauf von der Landsgemeinde nach 33-jähriger Tätigkeit als eidgenössischer Gesandter abgewählt und ein Jahr später als Landammann – was er seit 1818 abwechselnd gewesen war – nicht mehr gewählt. Nach dem Absturz der Bundesreform schrieb er dem Luzerner Staatsrat Eduard Pfyffer: «Wir haben in der Mehrzahl eine gefährliche Priesterschaft, und die Nähe des Klosters Einsiedeln und Muri wirkt der Verbreitung des Lichts auch hinderlich.»

Was warf der Zuger Klerus der von einem Katholiken verfassten «Bundesurkunde» vor? Zuerst einmal etwas Weltanschauliches: dass es ihr «unwidersprechlich an jener christlichen Grundlage und jenem ächt religiösen Sinn und Geist gebricht, welche einzig dem Staate Dauer und Haltung, Ruhe und Sicherheit gewähren». Dann etwas Moralisches: Der Wegzug der Rekruten in andere Gebiete bedrohe «den religiösen Sinn und die Moralität unserer heranwachsenden Landesverteidiger». Schliesslich etwas Staatspolitisches: Das freie Niederlassungsrecht ermögliche die unerwünschte Einwanderung von Reformierten und Juden. Dies wiederum stelle das «römisch-katholische Glaubensbekenntnis» als «Religion des Kantons Zug» infrage. Bereits zuvor hatte die Priesterschaft die Forderung gestellt, «dass zu keiner Zeit eine akatholische Kirche, noch eine akatholische Schule im Kanton Zug eingeführt werden dürfe». 1844 sollte sich im Kanton Zug das gleiche Szenario wie 1833 wiederholen. Noch im Sommer 1843 lehnten die gemässigt konservativen Regierungsmitglieder das Mitmachen an der Geheimkonferenz von Bad Rothen, wo der Sonderbund beschlossen wurde, ab. Im Januar 1844 lancierte das Landkapitel eine Petition, in der die Politiker «dringend» gebeten wurden, sich zur Wahrung der «Gnadenquellen und Segnungen des heiligen Glaubens» den «katholischen Schweizerkantonen» anzuschliessen. Ein paar Tage später stimmten die meisten Konservativen im Landrat für den Beitritt zum Sonderbund. In seinem letzten Kampf, den Sidler in einem Zuger Rat geführt hatte, warf er der Geistlichkeit vor, mit ihrer «Einmischung ins Politische den religiösen Fanatismus anzuzünden».11