Oskar trifft die Todesgöttin

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Oskar trifft die Todesgöttin
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Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorspann

Was in Teil II geschah (Kapitel 4 bis 10).

Teil III – Annäherung

Zwölf.

Dreizehn.

Vierzehn.

Fünfzehn.

Sechzehn.

Vorschau – Anfang von Teil IV

Impressum neobooks

Vorspann

Oskar

trifft die Todesg ö ttin

Roman von Jörgen Dingler

Teil III / Kapitel 11 bis 16

© 2009-2014 by Jörgen Dingler

Alle Rechte vorbehalten.

Jede – auch teilweise – Vervielfältigung

zur nicht eigenen privaten Nutzung

oder schriftstellerischen Weiterverwendung,

Übersetzung zum Zwecke nicht deutschsprachiger Publikation

ohne Einverständnis des Autors oder eines/r Bevollmächtigten

ist untersagt und stellt eine Verletzung des Urheberrechts dar.

Das gilt für alle technischen und nichttechnischen Verfahren,

ob analog oder digital, automatisiert oder manuell.

Titelgestaltung und Illustration:

Design Interventions, Wien

Kali (G ö ttin)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie (Auszüge)

Kali (Sanskrit, wörtl.: „Die Schwarze“) ist im Hinduismus eine bedeutende

Göttin des Todes und der Zerstörung, aber auch der Erneuerung.

Kalis Bedeutung beschränkt sich nicht auf den Todesaspekt.

Die Gläubigen sehen sie trotz ihrer schrecklichen Gestalt

auch als Beschützerin der Menschen und göttliche Mutter,

als Kalima, da ihre zerstörerische Wut sich nicht gegen die Menschen,

sondern gegen Dämonen und Ungerechtigkeit richtet.

www.joergendingler.com

Was in Teil II geschah (Kapitel 4 bis 10).

Oskar hat Vera getötet und damit Zielperson und Auftrag zu Nicky Tyrons Zufriedenheit erledigt. Kaum zurück in Wien, bestellt ihn sein Geschäftspartner Greg Norman zu sich. Beide sehen eine aufgezeichnete TV-Sondermeldung. Ein Killer hat den mafiösen Präsidenten der Vatikanbank gewaltsam seines Amtes enthoben. Der trinkfreudige Jobvermittler verfügt über ein beeindruckendes Netzwerk. Darüber zog er Informationen ein, nach denen nur Superkillerin ‚Kali‘ für diesen Job infrage kommt. Der Deutsche ist im Gegensatz zu Kali-Fan Greg ein Skeptiker, was die Existenz der legendären Berufskollegin angeht. Ein anderer Berufskollege verwandelt wiederum die Zweifel an Kalis Existenz in vorsichtiges Staunen. Amon Liebermann begegnete Kali vor Jahren in Kasachstan. Der ansonsten sorg- wie skrupellose A-Kategorie-Killer war höchst beeindruckt und hatte die Begegnung mit dem mordenden Phantom nur überlebt, weil er später als sie am Tatort eintraf. Kali hatte bereits alle Anwesenden erledigt – darunter auch den einen, den Amon zu erledigen hatte. Die entschwindende Superkillerin besaß die Geschmeidigkeit und Lautlosigkeit einer Katze.

Nur gut, dass diese Raubkatze ihren Hunger bereits gestillt hatte.

Wochen später kommt Greg aus Hamburg zurück und hat einen Auftrag im Gepäck, den er als ‚Lottogewinn‘ anpreist. Der Auftraggeber, ein gewisser Viktor Vaarenkroog, möchte auch den Ausführenden persönlich kennenlernen. Nach seiner Rückkehr aus Hamburg steht für Oskar fest, dass er den Auftrag nicht annehmen möchte. Der schräge kleine Glatzkopf Vaarenkroog ist ihm nicht geheuer. Zu recht, denn der Auftrag ist so brandgefährlich wie pervers. Es gilt die prominente Ledermodendesignerin Christine Vaarenkroog zu töten. Die ist nicht nur die Tochter des Auftraggebers, sondern insgeheim auch die engste Vertraute von Killerqueen Kali. Und genau diese Kali tötete vor mehr als zehn Jahren Viktors Frau, Christines Mutter.

Ein achtstelliges Honorar verheißt, nie mehr arbeiten zu müssen. Dazu kommen die Ermutigungen seines Partners, der Oskar für den besten Killer hält, den er je traf. Außerdem steht nicht Kali, sondern Christine auf dem Einkaufszettel. Die elfenhafte Designerin kennenlernen zu können, triggert zusätzlich Oskars Neugier. Er kann es nicht erklären, aber irgendwie fühlt er sich zu Christine hingezogen – noch bevor er ihr begegnet ist.

Teil III – Annäherung

Elf.

Z ü rich, Juli 2011

»Wunderschön.«

Der blonde Gast im hellgrauen Maßanzug blickte über den Zürichsee und ertappte sich dabei, ein Wort der Verzückung zu murmeln. Er leerte sein Bierglas und stellte es ab. Wieder einmal hätte er sich gern eine Zigarette angezündet – und das nach Jahren der Abstinenz. Warum muss man eigentlich komplett mit dem Rauchen aufhören? Einfach nur mal wieder eine Genusszigarette wäre schon etwas Feines. Immer nur dann, wenn man sie bewusst einsetzt. In diesem Moment zum Beispiel – um ein Innehalten, Schwelgen, Genießen noch zu krönen. Aber wenn man einmal Gewohnheitsraucher war, würde es nicht dabei bleiben. Eine Traumkulisse löste seine Verzückung aus, nachdem er in den Außenbereich geschritten war. Im dunklen Zürichsee spiegelten sich hunderte Lichter vom gegenüber liegenden Ufer wider. Hunderte Lichter gab es auch hier: Das Gelände war mit Fackeln und bunten Papierlaternen gesäumt. Er ging weiter in den Gartenbereich hinein. Wie im Innenbereich gab es auch draußen ausladende Buffets, Bars und Tische, an denen man Getränke ausfassen konnte. Alles inklusive, aber teuer erkauft. Eine Wohltätigkeitsveranstaltung der besseren Gesellschaft ist immer auch eine Zurschaustellung derer, denen es ungleich besser als den Empfängern der Wohltätigkeiten geht. In diesem Fall Straßenkindern aus Osteuropa, die zum Beispiel in Bukarest auf Pappkartons unter freiem Himmel schlafen und ihr trostloses Dasein mittels Lösungsmitteldämpfen betäuben. Leistbare Betäubung, auch für die ganz unten, für die Kleinen, im wahrsten Sinn des Wortes.

Die geübten Augen des Wiener Berufsmörders Berliner Herkunft scannten die Gäste. Sein Handy vibrierte in einer Innentasche des Sakkos – es war auf lautlos geschaltet. Er nahm es heraus und rief die SMS ab. Sie war von Greg.

‚Hi dude! Already on location? Latest kali-news. Sie hat gestern nacht wieder zugeschlagen. In milan. Der ceo einer italo-rüstungsfirma. Mein tipp: hat was mit dem hit in rom zu tun. Aint this bitch cool? Take care. G‘

Er schüttelte den Kopf, tippte nur ‚OK‘ als Antwort, steckte sein Handy wieder ein und widmete sich erneut der Beobachtung der Gäste. Sein Kopf verharrte auf einmal, der Blick klebte auf einem Gast, der soeben nach draußen schritt.

»Hmm«, brummte er. Seine körperliche Reaktion konnte man auch dieses Mal mit einem Zitat aus seinem Lieblingsfilm beschreiben: ‚Unfreiwillige Erweiterung der Pupille‘, eine Textzeile des Replikantenschöpfers aus Blade Runner.

Oskar Randow fixierte eine Dunkelbrünette in einem auffälligen, zweifarbigen Businesskostüm – oben schwarz, unten rot. Sah nach Leder aus. Leder, feines teures Leder: ein Indiz. Auffallend war auch, dass der Rock sehr kurz und daher mehr ein ‚Businesskostüm‘ in Anführungsstrichen war. In einer derart aufreizenden Verpackung würde eine bürgerliche Geschäftsfrau ihren Kunden oder Geschäftspartnern eher nicht gegenübertreten. Aber zum einen handelte es sich hierbei um eine Abendveranstaltung, bei der man (vor allem frau) zeigt, was man hat, zum anderen war diese Frau alles andere als bürgerlich. Oskar irritierten gleich zwei Dinge, zusätzlich zur Strahlkraft der Schönen. Nummer eins: burschikos kurze Haare. Nummer zwei: Sie hatte einen ‚Schatten‘. Sie und ihr Schatten bewegten sich zu einem der Tische, an denen Sekt gereicht wurde.

»Warum sieht keiner wie auf den scheiß Fotos aus?«, grummelte er. Und doch: kein Zweifel. »Sie ist es.«

Nix wie hin!

»Verzeihung«, kam es bewusst auf Deutsch, für den Fall, dass sie es wirklich sein sollte. Außerdem war man ja in Zürich.

»Schubsen Sie mich nicht, wenn Sie mich einfach nur kennenlernen wollen, Sie Grobian!«

Deutsch passte. Bingo!

Hm ganz schön hantig.

‚Hantig‘ nennt man in Wien, was anderswo mit ‚bissig‘ oder ‚giftig‘ beschrieben wird. Insofern handelte es sich um eine Person, die sich nichts gefallen lässt und das auch zum Ausdruck bringt – zuweilen vorauseilend oder übertrieben wie hier. Hantig eben. Obendrein alles andere als an Minderwertigkeitskomplexen leidend: ‚…wenn Sie mich kennenlernen wollen.‘ Jaja

 

»Wie belieben?«

»Hahahaha! ‚Wie belieben‘, das hab ich ja noch nie gehört!«

Christine Vaarenkroog schüttete sich vor Lachen aus. Oskar hatte sie am Sektbuffet sacht angerempelt, um mit ihr auf Tuchfühlung zu kommen. Quasi als Entree, um wenigstens irgendwas sagen zu können. Wenn es auch ein dezenter, eher sanfter Rempler war, so war diese Aktion doch ziemlich plump. Ja, sie hatte recht. Er war ein Grobian, ein tollpatschiger, plumper Grobian. Verglichen mit diesem grazilen Wesen, das nicht ging, sondern schwebte, konnte man sogar die Primaballerina des Bolschoi-Ballets als Bauerntrampel bezeichnen. Insofern verschmerzbar. Weniger verschmerzbar war der Umstand, der ihn eine derart plumpe Maßnahme ergreifen ließ. Er verstand sich nicht mehr darauf, wie man Frauen ganz normal anspricht. Er, der Profikiller. Er, der einer Frau Doktor Wallner-Enzi mal so eben zum Einstand an ihrem Tempel der Weiblichkeit rumfingerte – ebenso ungerührt wie unbemerkt vom Beisein ihres höchst eifersüchtigen Mannes. Aber ganz normal eine interessante Frau kennenlernen, gar ansprechen? Oskar Randow war längst nicht mehr im Training, was normale Erstkontakte zu attraktiven Frauen anging. Blickkontakt, ansprechen, Smalltalk. Und überhaupt: Mit Smalltalk tat er sich immer schon schwer. Sein Geschäftspartner machte es sich einfach: Er kaufte sich Frauen, wenn er seine Bedürfnisse nicht mehr ‚manuell‘ unter Zuhilfenahme seiner stattlichen Pornosammlung befriedigen wollte. Vom käuflichen Gunstgewerbe Gebrauch zu machen, kam für Oskar nie infrage. Wohl sah er die Existenzberechtigung eines Gewerbes ein, das einvernehmliche Druckablassmöglichkeit auch für wenig begehrte Zeitgenossen offerierte und daher Schlimmeres zu verhindern imstande sein sollte. Aber es kam für ihn nie infrage. Zurück zur ‚Kundin‘. Man sagt, dass die Ausstrahlung eines Menschen seine wahre Attraktivität ausmacht.

Christine Vaarenkroog war fleischgewordene Faszination, das auch noch äußerst reizvoll verpackt. Die zierliche Designerin mit den frechen kurzen Haaren war zweifelsohne schön und sexy, und doch war es das ‚Gesamtpaket‘, das Oskar beeindruckte. Anmut gepaart mit Persönlichkeit, Individualität und Natürlichkeit. Obwohl sie mehr Star als die meisten war, die man als ‚Star‘ bezeichnete, musste man bei ihr den überstrapazierten Begriff ‚Authentizität‘ noch einmal hervorkramen. Trotz eines schillernden Berufes und ihres gewagten Outfits, wirkte alles an ihr echt und nicht aufgesetzt. Wahrscheinlich hätte man deswegen niemals bei ihr vermutet, was Oskar bereits wusste: ihr ‚kleines‘ Geheimnis. Die brünette Schönheit lachte derweil schallend aufgrund seiner manchmal eigentümlichen Ausdrucksweise. So hatte er sich die erste Annäherung an die Zielperson nicht vorgestellt. Wohl auch, weil er sich sie so nicht vorgestellt hatte. Immerhin, so misslungen war sein Annäherungsversuch dann auch wieder nicht – sie lachte. Das gefiel ihm allerdings weniger: Sie hielt sich an einem jungen Mann fest – groß, blendend aussehend, dunkelhäutig. Der ‚Schatten‘.

»Jean-Pierre, hast du schon mal jemanden getroffen, der ‚wie belieben‘ sagt?«, prustete sie und schüttelte sich erneut. »Hahahahaha!«

»Sowas gibt‘s doch nur im Film«, bestätigte Jean-Pierre trocken, in akzentfreiem Deutsch. »Aber in keinem neuen Film«, fügte der schwarze Beau an. Der gut Einsneunzig-Mann stand wie ein Fels, rührte sich keinen Millimeter, als sich das zierliche Persönchen an ihm festhielt.

Danke, Jean-Pierre! dass du mich als Dinosaurier abstempelst.

Oskar musste aus der Not eine Tugend machen, die Schmähung nutzen, um sie charmant an sich abperlen zu lassen. Das zeigt Größe!

»Das Leben ist größer als ein Film!« Er hob sein Glas und tat auf ‚sympathisch souverän‘.

»Ohoo«, bemerkte die junge Dame und stoppte ihren Lachanfall. »Hört hört!«

Der kühle Blonde schüttelte abschätzig den Kopf, grinste schief und lieferte die fällige Retourkutsche.

»Wer sagt denn heute noch ‚hört hört‘? Das gibt‘s doch nur noch in Romanen… in alten Romanen.«

Der ominöse Jean-Pierre drehte sich zu Christine Vaarenkroog.

»Da hat er recht«, stellte er fest, trotz seiner Jugend mit angenehmem Bass.

Danke, Jean-Pierre! Diesmal wirklich.

»Okay. Es steht eins zu eins.« Viktor Vaarenkroogs auszuschaltende Tochter hob die Arme und sah sich nach einem Glas um. Sie unterstrich ihre gespielte Verlegenheit, indem sie ihren anmutigen Kopf schräg legte, ihre Augenbrauen hob und den vormaligen Grobian erwartungsvoll ansah. Stimmt. Sein kleiner Rempler hatte sie davon abgehalten, sich einen Sekt zu angeln. Jean-Pierre schien nicht gerade ihr ergebener Diener zu sein. Anstatt ihr ein Sektglas zu organisieren, sah auch er Oskar erwartungsvoll an und blieb dabei absolut kühl. Schon kapiert! Der derart ‚Ermunterte‘ drehte sich zum Sektbuffet und reichte beiden Sektgläser. Anschließend hob er erneut sein Glas.

»Zum Wohl!«

»Nein, nicht ‚zum Wohl‘!«, protestierte die Designerin. »Sagen Sie nochmal den Trinkspruch von vorhin!… Jetzt wo wir alle ein Glas haben.«

Eine Bitte h ö rt sich anders an. Dennoch: einfach s üß .

»Das Leben ist größer als ein Film!«

»Auf das Leben!«, rief sie lachend aus.

Jean-Pierre stieß schweigend mit an und musterte kühl den ebenso kühlen Unbekannten. Er ließ ihn auch nicht aus den Augen, als er sein Glas ansetzte und trank. Nein, Jean-Pierre trank nicht, genau genommen nippte er nur. Ein Unterkühlter beäugte den anderen. Oskar befand, dass der ‚Schatten‘ zu den seltenen Männern gehörte, denen ein Ohrschmuck stand. Der große Dunkle trug einen winzigen funkelnden Brillanten im linken Ohrläppchen. Die Größe des Brillantens wurde sicherlich aus Gründen der Dezentheit und nicht der Geldersparnis gewählt. Das männliche Tragen von Ohrschmuck galt Oskar als ebenso peinlich wie provinziell. Etwas, das bereits out war, als es noch in war. Ein Requisit für Leute, die sich interessanter machen wollen, als sie sind, und genau damit ein Eigentor erzielen. Straßenbahnfahrer oder Jungs vom Land denken, dass sowas als cool gilt. Allenfalls Rocker (egal ob Musik oder Motorrad), Naturvölker, Leinwand-Piraten oder Lebenskünstler ließ er als Ausnahmen gelten (letztere verdienten diese Bezeichnung nur, wenn sie sich nicht durch die von ihnen abgelehnte Allgemeinheit erhalten ließen). Und neuerdings Jean-Pierre.

Wer ist dieser Jean-Pierre? Leibwächter? Privatsekretär? Lover? Oder nur ein Freund?

Greg muss das checken!

Unverheiratet war sie auf jeden Fall. Greg und Oskar hatten ihre Hausaufgaben gemacht, aber einen Jean-Pierre hatten sie nirgendwo auf der Rechnung.

»Jetzt können wir uns gern kennenlernen.« Christine Vaarenkroog streckte Oskar Randow ihre Hand entgegen. Er ergriff sie.

Hoppla! Überraschend kräftig, die zierliche Maus!

»Oskar Randow.«

»Christine Vaarenkroog.« Selbstverständlich nannte sie ihren Namen, weil es sich so gehört, wenn man einander vorstellt. Aber sie wusste, dass er wusste, wer sie war. Davon war Oskar überzeugt.

»Sehr erfreut, Frau Vaarenkroog.«

Die Begrüßte lächelte irgendwie gequält. Der gebürtige Berliner sah sie für einen Moment fragend an und wandte sich dann ihrem Begleiter zu.

»Hallo! Oskar Randow«, grüßte er freundlich und streckte die Hand aus.

»Hallo.« Das war kein freundliches Hallo. »Jean-Pierre«, sprachs und zog es vor, sowohl seine Hand als auch seinen Nachnamen bei sich zu behalten. Oskar hob die Augenbrauen – in Erwartung, ob da noch was kommen würde. Obwohl Jean-Pierre diese Mimik verstanden hatte, beließ es der dunkelhäutige Beau dabei. Er stand reglos mit Bodyguard-typischer Geste – vor der Hüfte gekreuzten Armen – und scannte nicht eben wohlwollend den Mann, dem ein Interesse an Christine anzumerken war. Männer, die der schönen Designerin Interesse entgegenbrachten, waren weder etwas Neues, noch etwas Besonderes. Aber da war noch irgendwas anderes. Das Misstrauen beruhte auf Gegenseitigkeit. Jean-Pierres Reserviertheit bezüglich seines Nachnamens war ein Grund mehr, ihn von Greg checken zu lassen. Den Verzicht auf einen Nachnamen ließ man Madonna oder Sting durchgehen, aber dem hier sicher nicht.

»Ich bevorzuge das schöne alte Fräulein«, brach Christine in Oskars Gedanken über ihren auffallend zurückhaltenden Begleiter ein.

»Wie bitte? Welches schöne alte Fräulein bevorzugen Sie?«

Steht sie auf Frauen? Alte Jungfern gar?

Ein stiller Scherz, denn so hatte Oskar es nun auch wieder nicht verstanden. Aber so richtig auch nicht.

»Fräulein Vaarenkroog, nicht Frau«, kam es kühl.

»Damit dürften Sie eine ziemliche Einmaligkeit unter modernen Frauen des deutschen Sprachraumes darstellen. Lieben Sie also doch das sprachlich Altmodische?«

»Zuweilen«, spitzte sie, »Frau Vaarenkroog war meine Mutter.«

»Verstehe.« Das war also der Grund für das gequälte Lächeln bei der Begrüßung. Oskar dachte nach.

‚War meine Mutter‘… die von ihrer Freundin, der Killerqueen getötet wurde.

Genau deswegen musste Christine sterben. Natürlich wusste er um die Hintergründe, aber als ‚Zufallsbekanntschaft‘ konnte er sie nicht wissen. Selbst wenn Fräulein Vaarenkroog davon ausging, dass er sie ‚irgendwie‘ kannte und richtig kennenlernen wollte, galt er dennoch als Zufallsbekanntschaft. Christine Vaarenkroog war vielleicht nicht die allererste Garde der Top-Prominenz, aber über B-Prominenz weit hinaus. Anfragen für die Mitwirkung in TV-Formaten, bei denen sich abgehalfterte ‚Stars‘ in einem Dschungelcamp piesacken lassen, hatte sie kaum zu befürchten. War man nicht gerade ein gesellschaftlicher Ignorant, musste man ‚die Vaarenkroog‘ kennen. Modedesignerin, die perfekte Scheinidentität für Kalis Vertraute. Vorzugeben, nie etwas von der hippsten Designerin der letzten Jahre gehört zu haben, wäre wirklich verdächtig gewesen. Normalsterbliche wussten hingegen nichts Näheres über den Tod ihrer Mutter. Wahrscheinlich nicht einmal, dass sie tot war. Sollte er fragen? Oder tut man sowas auch dann nicht, wenn man es nicht weiß?

Scheiß drauf! Ich frage!

»Sie sagten, ‚Frau Vaarenkroog war meine Mutter‘. Ist Ihre Mutter…?«

»Ja. Meine Mutter ist tot«, ersparte sie ihm mit einer schnellen Antwort das Ende der Frage.

»Tut mir leid.«

»Ist lange her.« Christine sah ihn an, diesmal mit erschreckend kalten, aber auch verletzlichen Augen – eigentlich ein Widerspruch.

So sieht keine Frau aus, der es egal ist, dass ihre Mutter tot ist!

Der nachdenkliche Auftragsmörder tat es den beiden anderen gleich und stellte sein Glas am Rand des Buffets ab. Im Gegensatz zu Christines und Jean-Pierres Glas war seins ohnehin leer. Die waren ja auch nicht nervös. Auch wenn man Oskar seine Nervosität – wie üblich – nicht anmerkte.

Fräulein Vaarenkroog deutete ihm, ein Stück mit ihr zu gehen. Jean-Pierre setzte sich ebenfalls in Bewegung. Nur ein winziger Fingerzeig deutete dem Schatten, nicht mit ihnen aufzuschließen – zumindest nicht ‚bei Fuß‘. Was war er jetzt wirklich? Wenn er doch auf ein Fingerzeichen seitens Christine spurte. Oskar wurde immer neugieriger auf ihren Begleiter. Aber in erster Linie deswegen, weil er nicht nur aus beruflichen Gründen wissen wollte, in welcher Beziehung Jean-Pierre Nachnamenlos zu Christine Vaarenkroog stand. Denn noch viel neugieriger wurde er auf sie.

Nix mehr Internet. Das bist du also in echt Christine.

Wie sagte ein ehemaliger Chef von mir mal so treffend: leider gut!

Er scannte die Modedesignerin, die auch hier die beste Werbung für sich und ihre Produkte war: zierlich, doch ungemein weiblich; niedlich, aber trainiert; um die einssechzig, schwer zu sagen mit ihren Highheels; perfekte Proportionen, in Relation zu ihrer Größe lange, schön geformte Beine; schöner Busen, nicht groß, aber auch nicht wirklich klein, kleiner als Veras Busen, aber wahrscheinlich noch perfekter, weil Christine schätzungsweise um die zwanzig Jahre jünger war. Bei diesem Busenvergleich fiel ihm auf, dass einige von seinen Beschreibungen auf Christine Vaarenkroog fast genauso zutrafen wie auf Vera Wallner-Enzi. Er kam nicht umhin, die beiden beeindruckendsten Frauen seines Erinnerungsvermögens zu vergleichen, obwohl beide nur ihre Unwiderstehlichkeit einte – und leider auch ein Auftrag, den es auszuführen galt. Auch Christine war eine äußerlich perfekte, kleinere Frau. Sie war geschätzte zwanzig Jahre jünger als Frau Doktor Wallner-Enzi, da er zwar Christines, aber nicht Veras genaues Alter kannte. Und sie hatte dunkle Haare, die er auch beim platinblonden, bronzehäutigen Gift als einstige Originalhaarfarbe vermutete. Hm, bronzehäutig Deutlich hellerer Hauttyp als Vera. Noch ein Unterschied: keine rassige, sondern eine niedliche Nase. Gab es diese Legende, die man Männern andichtete, etwa auch in Bezug auf Frauen? Nur eben auf andere Körperteile bezogen. Wie die Nase eines Mannes, so ist sein Johannes. Ob Legende oder nicht, Oskar war froh, im Besitz einer markanten Nase zu sein. Nach seinem Empfinden durfte diese Legende daher ruhig auf ihn zutreffen. Gäbe es dazu wirklich eine Frauenversion, durfte die von ihm aus auch auf Christine zutreffen. Verglichen mit Vera hatte Christine also den kleineren Busen und die kleinere Nase. Irgendwie… mädchenhaft… und gleichzeitig auch irgendwie lausbubenhaft. Auch das war eigentlich ein Widerspruch oder zumindest eine unvergleichliche Kombination. Vera und Christine teilten ein paar körperliche Gemeinsamkeiten und waren doch grundverschiedene Frauentypen – beide hocherotisch, aber jede auf ihre Art. Die Designerin war auch in anderer Hinsicht die Inkarnation eines Widerspruchs und verkörperte hintergründige Niedlichkeit wie eine süße Katze mit scharfen Krallen. Ihr Äußeres gemahnte an eine Kindfrau, und doch war sie eine richtige Frau, vereinte Jugend mit erkennbarer Lebenserfahrung. Und doch war sie fast ein Schneewittchentyp. Interessant geschwungene rote Lippen wurden von heller Haut, die wiederum von dunklen Haaren umrahmt. Diese Haare waren flott geschnitten, deutlich kürzer als auf allen Fotos, die er von ihr gesehen hatte. Ihm kamen die heißen Fotos wieder in den Sinn. Einige der erotischen Bildmotive tauschte er in Gedanken gegen ihren neuen Kurzhaar-Look aus. Selten war Oskar so froh, ein gutes Vorstellungsvermögen sein eigen nennen zu dürfen. Christine Vaarenkroog sah mit kurzen Haaren dermaßen gut aus, als hätte es die 60er-Jahre-Ikone Jean Seberg nie gegeben und diesen Look stattdessen für sie erfunden. Eine Elfe.

 

Diese Elfe steckte in einem Kostüm aus feinstem Leder. Falls es wirklich als Businesskostüm durchgehen sollte, dann als eins für Geschäftsabschlüsse, die auf der Kippe stehen und bei denen als letztes Mittel Waffen eingesetzt werden, die Männer niemals haben werden. Den gewagt kurzen, roten Lederrock umschloss ein breiter, schwarzer Nietengürtel (die Schnalle war ein großes, rundes, schlichtes C aus massivem Silber), darüber das passende schwarze Lederjackett mit rotem Kragen und roten Ärmelumschlägen. Unter der Jacke trug sie ein schwarzes, feinmaschiges Netzshirt ohne BH. Raffiniert. Diese gewagte Kombination war – wie die Trägerin selbst – nichts von der Stange. Fräulein Vaarenkroogs Outfit trug in mehrerlei Hinsicht ihre Handschrift. Es war Oskar endlich eine Erwähnung wert.

»Sie sehen aufregend in diesem Kostüm aus. Und das nicht nur, weil es ein aufregendes Kostüm ist.«

Christine Vaarenkroogs Augen leuchteten den Absender des Komplimentes an.

»Oh danke! Gefällt es Ihnen?«

»Sehr.«

»Hab ich selbst entworfen. Ist aus meiner eigenen Modelinie, spezialisiert auf Leder. Unverschämt teuer«, sprach sie Selbstverständlichkeiten aus. Dass sie ihre Preisgestaltung eher treffend als augenzwinkernd etikettierte, hatte Oskar im Zuge seiner Recherchen herausgefunden. Zudem gefielen ihm ihre Lederkreationen, und er war daher neugierig, was er für eine echte Vaarenkroog-Lederjacke berappen müsste. Als er es herausfand, hatte er ein ziemlich komisches Gesicht aufgesetzt. Das kokett – und sehr sexy – eingesetzte ‚unverschämt teuer‘ brachte es wirklich auf den Punkt. »Wir müssen schließlich alle Geld verdienen, nicht wahr?«, schickte sie nach und klimperte mit ihren langen Wimpern.

»Ja. Müssen wir. Sehr schick. Sie sehen atemberaubend aus.

Ich wette, Sie bekommen Prozente bei sich. Dürfte für Sie also leistbar sein.«

Sie lächelte süß. Diese unglaublich großen Augen!

Nat ü rlich verdienst du damit dein Geld, Sch ä tzchen! Aber nicht nur damit.

Gleichzeitig zum Entzücken und Widerstreben hatte er wieder mal eine Frau vor sich, die ihm ausnehmend gut gefiel… und die er kaltmachen musste. Sie war sogar eine Traumfrau, ganz nach seinem Geschmack. Gregs provokanter Sager schien sich zu bewahrheiten: ‚Wenn du alle Frauen umlegst, die dir gefallen.‘ Der amerikanische Freund hatte allerdings ein anderes Wort als ‚Frauen‘ gebraucht. Was Oskar ihm schon in Bezug auf Vera nicht durchgehen ließ, würde er bei ihr erst recht nicht durchgehen lassen. Bei ihr würde nichts mehr den fälligen Kinnhaken aufhalten. Keine mildernden Umstände. Warum? Weil Greg auch damit recht hatte: Wenn ich eins weiß, dann das: Du wirst auf sie abfahren.

Diese heiße Elfe war also die engste, wenn nicht gar einzige Vertraute der Killerqueen. ‚Beste Freundin‘ wurde ihm kolportiert. Als einzige Vertraute ist es kein großes Kunststück, obendrein die beste Freundin zu sein. In diesem Geschäft ist es nicht leicht, echte Freunde zu haben – ganz oben schon mal gar nicht. So weit oben wird die Luft gefährlich dünn. Und höher als Kali war, ging‘s nicht mehr.

Wie sah Kali wohl aus? Den Legenden (und Amons Erzählung) nach musste sie äußerlich ein ähnlicher Typ wie ihre Vertraute sein, die nunmehr an Oskars Seite flanierte. Zierlich, dunkelhaarig, attraktiv – allerdings Französin. Amon schiss sich vor Kali an, naja, er hatte zumindest gehörigen Respekt. Sie war die einzige, gegen die selbst er nie gehen würde. Der lange Schlacks Amon, dieser junge und doch erfahrene Draufgänger, dieser natural born killer, der seinen Beruf liebte, hatte vor nichts und niemandem Angst. Mit einer Ausnahme.

Amon ja. Das Gespräch mit dem befreundeten Berufskollegen kam ihm in den Sinn. Ein Gespräch, das Antworten auf seine Frage bereithielt, mit denen er nicht gerechnet hatte. Und schon gar nicht von Amon.

Bin Kali nie begegnet, Oskar.

Wünsch dir, dass das auch so bleibt, Amon.

Wie wahr. So wahr wie Kalis Existenz, von der sogar ein vormals ungläubiger Oskar ausgehen musste. Nicht auf Kali zu treffen, war aus überlebenstechnischen Gründen weit wichtiger, als eine Neugier befriedigt zu sehen, wie die lebende Legende in der Realität aussah. Diese Realität galt es unter allen Umständen zu vermeiden – das Aufeinandertreffen mit Todesgöttin Kali. Ihm lag etwas an seinem Leben. Die Jobvermittlerin der Todesgöttin und von ihm zu liquidierende Traumfrau hakte sich bei ihm ein.

»Woher kommen Sie, Herr Randow?«

»Sagen Sie ruhig ‚Oskar‘, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Christine.« Sie lächelte zum Dahinschmelzen süß, als sie auf seinen Vorschlag einging.

»Also, wo kommt unser lieber Oskar wohl her?«

»Aus Wien.«

»Wien? Tolle Stadt. War lang nicht mehr dort.« Sie sah ihn kokett an. »Aber jetzt hab ich ja wieder einen Grund dafür. Einen Grund mehr, hihi!«

»Ja. Den haben Sie jetzt.«

Klar. Ein Grund mehr, hihi. Genau: hihi. Ich lach mich tot, Süße!

»Sie klingen gar nicht wienerisch.«

»Sie haben mich ertappt. Ich bin kein gebürtiger Wiener, lebe seit knapp sieben Jahren dort.«

»Wo kommen Sie ursprünglich her, Oskar?« Sie legte ihren Kopf etwas schräg. »Sie sprechen ein akzentfreies Deutsch und auch wieder nicht. Fast ein bisschen englisch eingefärbt. Aber ja: Sie sind gebürtiger Engländer!«

Schon wieder! Wieder werde ich f ü r einen Insel-Europ ä er gehalten.

Auch du liegst falsch, S üß e. Dennoch: eine aufmerksame Beobachterin!

Sie lächelte ihn erwartungsvoll an und hatte sich mittlerweile enger bei ihm eingehakt. Nicht unangenehm, wahrlich nicht. Wirklich unangenehm dagegen war der Eindruck, ausgefragt zu werden. Christine Vaarenkroog war in einem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Zweitleben die Agentin der besten Killerin der Welt. Ihre und Kalis Auftraggeber kamen nie persönlich mit ihr in Kontakt. Ihre Ausgebufftheit war so zwangsläufig wie selbsterklärend. Auch als bestverdienende Designerin war sie taff unterwegs, war fraglos in mehrerlei Hinsicht top im Geschäft. Wir müssen alle Geld verdienen.

»Nein, nicht UK. Berlin.«

»Oh, Berlin?«

»Ja.« Er drehte sein Gesicht zu ihr und grinste. »Amerikanischer Sektor.«

»Berlin… auch eine tolle Stadt«, ging sie nicht auf seinen Nachsatz ein.

»Ja.« Sein gern angewandtes, auch hier zutreffendes ‚geht so‘ verkniff er sich. Christine gingen die getrübten Erinnerungen sowie die Gründe für das Verlassen seiner Heimatstadt nichts an, schon gar nicht beim ersten Kennenlernen. Letzteres galt auch dann, falls sie nicht seine Zielperson gewesen wäre. Aber für Christine war das Thema nicht erledigt.

»Eine der spannendsten Städte Europas. Warum haben Sie Berlin verlassen?«

Oho! Wie sagt man in Berlin? Nachtigall, ick hör dir trappsen!

Sie fragt mich wirklich aus!