Seewölfe - Piraten der Weltmeere 256

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 256
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-592-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Big Old Shane hämmerte auf seinen Beitel ein, als wolle er das Brett, das er bearbeitete, in Sägespäne verwandeln. Seine Lippen bewegten sich unaufhörlich, und sein grauer Bart wackelte, als wäre er selbständig geworden.

Big Old Shane schwitzte. Er fühlte sich wie aus dem Wasser gezogen. Er dachte an seinen Traum, den er in der vergangenen Nacht gehabt hatte: an den kühlen, würzigen Wind, der von See her auf Arwenack zugeweht war und seine grauen Haare gefächelt hatte.

In Arwenack war jetzt Frühling. Die ersten Krokusse sprossen aus der fruchtbaren Erde, und die wärmenden Strahlen der Sonne zauberten ein Lächeln auf die Gesichter der jungen Mädchen. Das war eine andere Sonne als hier im Pyramidenland!

Big Old Shane hatte die Schnauze gestrichen voll.

Er sehnte sich nach der Weite des Meeres, nach einem steifen Wind, der den Geschmack nach Salz und Tang mit sich führte, nach dem Schreien der Seevögel und einem Wellengang, bei dem man in den Fußsohlen spürte, daß das Schiff lebte.

Die Sonne über dem träge dahingleitenden Nil stach wie mit Messern auf ihn nieder und briet ihm das Hirn. Der heiße, trockene Windhauch, der von der Wüste herüberstrich, brannte einem die Kehle aus, daß man meinte, Feuer geschluckt zu haben.

„He, du zersäbelst die ganze Planke!“

Big Old Shane schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er blickte Ferris Tucker grimmig an. Wenn der ihn jetzt noch blöd anquatschte, würde er ihm das Brett um die Ohren hauen.

„Schneid es doch selber zurecht, wenn du meinst, du kannst es besser“, knurrte er.

Ferris Tucker, der etwas erwidern wollte, schloß den Mund. Er erkannte, daß mit Big Old Shane im Moment nicht viel anzufangen war. Er nahm ihm wortlos die Planke aus den Händen und paßte sie am Loch des Schanzkleides an, das von einer neunpfündigen Kugel gerissen worden war. Sie saß wie angegossen.

„Ist noch etwas?“ fragte Big Old Shane bissig.

„Du solltest dir was auf den Schädel setzen, damit dir die Sonne nicht den Bregen weichkocht“, murmelte Ferris. „Soll ich dir mal meinen Papyrushut leihen?“ Er nahm das ulkige Gebinde von Schilfrohren, das er sich selbst zusammengebastelt hatte, vom Kopf und hielt es Big Old Shane entgegen.

„So was setz ich mir erst auf, wenn ich wirklich schon bregenweich geworden bin“, fauchte Big Old Shane.

Ferris Tucker zuckte mit der Schulter. „Du mußt es selbst wissen.“

Sie arbeiteten verbissen weiter. Ferris beobachtete den Riesen immer wieder von der Seite, aber die verkniffenen Züge Old Shanes glätteten sich nicht.

Ferris Tucker spürte – wie auch Ben Brighton, mit dem er am Morgen darüber gesprochen hatte –, daß die Stimmung in der Mannschaft immer schlechter wurde. Sie hatten alle die Nase voll von dieser Spazierfahrt auf dem breiten, lehmigen Fluß, von der Wühlerei in den Gräbern der alten Ägypter und von den ständigen Überfällen der verlausten Banditen, die meinten, daß es eine allahfürchtige Aufgabe sei, die ungläubigen Giaurs ins Jenseits zu befördern.

Die ungewohnte trockene Hitze tat ein übriges. Sie saugte ihnen die Kraft aus den Knochen, verdarb ihnen den Appetit und griff ihre Nerven an. Ferris Tucker hätte sich nicht gewundert, wenn es bald eine Schlägerei an Bord gegeben hätte.

Die Stimme des Profos’ hallte über die Kuhl. Er meckerte mit den Zwillingen herum, die Al Conroy bei der Herstellung von neuen Brandbomben helfen wollten.

„Raus hier, verdammt!“ brüllte er. „Ihr habt hier unten bei der Pulverkammer nichts zu suchen! Wenn euer Vater euch hier erwischt, zieht er euch die Hammelbeine lang!“

Ferris Tucker nickte Big Old Shane zu.

„Du schaffst es sicher allein“, sagte er. „Ich geh mal zu Al runter. Er wollte was Neues mit dem griechischen Feuer versuchen.“

Big Old Shane gab ihm keine Antwort. Er knurrte etwas in seinen grauen Bart und drehte Ferris den Rücken zu. Der zuckte noch einmal mit den Schultern, wandte sich ab und ließ sich durch die große Luke hinunter in den Frachtraum, wo Ed Carberry die Zwillinge am Schlafittchen hatte. Sie grinsten, und Ferris dachte, daß sie sicher die einzigen waren, die sich an Bord der „Isabella VIII.“ noch wohlfühlten.

Carberry stieß sie auf den Aufgang zu. Ferris schaute ihnen nach, bevor er sich an Al Conroy wandte, der eine Flasche in der Hand hielt und sie mit dem Teufelszeug füllte, das erst zu brennen begann, wenn es mit Wasser in Berührung geriet.

Ferris wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hier unten im Schiffsraum war es stickig heiß, und er fragte sich, warum Al seine Arbeit nicht oben an Deck verrichtete. Er sagte jedoch nichts, weil er sich nicht auch noch von Al eine dumme Antwort einhandeln wollte.

Al sah Ferris’ interessiertes Gesicht und hielt ihm die gefüllte Flasche entgegen.

„Wie weit, meinst du, kann man damit werfen?“ fragte er.

Ferris hob die Schultern.

„Sechzig, siebzig Schritte“, meinte er.

Al Conroy nickte.

„Glaube ich auch“, sagte er.

„Du meinst …“ Ferris überlegte. „Das ist gut. Wir schmeißen sie gegen die Bordwand eines Angreifers, die Flasche zerbricht, das Zeug fällt ins Wasser, entzündet sich und setzt das Schiff in Brand.“

„Genau“, sagte Al.

„Wie viele Flaschen hast du schon gefüllt?“

„Vier“, erwiderte Al. „Das genügt vorerst. Das nächste Mal, wenn dieser Hundesohn Halef uns angreift, wird er sein blaues Wunder erleben.“

Ferris grinste.

„Fein“, sagte er, „aber verstau die Dinger gut, am besten in der kleinen Kammer neben dem Pulvermagazin, damit die Zwillinge nicht in Versuchung geraten, damit herumzuspielen.“

Al nickte, nahm die gefüllte Flasche wieder entgegen und stellte sie zu den anderen, die er bereits gefüllt hatte.

Ferris Tucker wandte sich ab und stieg wieder hinauf zur Kuhl, wo Big Old Shane gerade die letzte Planke ins Schanzkleid einpaßte. Stenmark und Blakky waren dabei, die von Ferris zusammengehauenen Leisten zu einer neuen Kuhlgräting zusammenzufügen, und der Kutscher jammerte, daß sich kein Schwein um seine Kombüse kümmere, obwohl die ja schließlich am wichtigsten sei. Bevor nicht alles wieder so hergerichtet sei wie vor dem Treffer der neunpfündigen Kugel, würde er keinen Handschlag rühren.

„Es wäre unserer Gesundheit bestimmt nicht abträglich, wenn wir mal ein paar Tage auf deinen Fraß verzichten müßten“, sagte Stenmark knurrend.

Der Kutscher schnappte nach Luft.

„Du verdammter versoffener Schwede!“ stieß er wütend hervor. „Was denkst du eigentlich, wie schwer es ist, immer wieder was Vernünftiges auf den Tisch zu bringen?“

„Hast du ‚Vernünftiges‘ gesagt?“ fragte Blacky.

Der Kutscher hob die Fäuste und war offensichtlich bereit, sich auf Blacky zu stürzen, doch dieser hielt gerade eine der Leisten für die Kuhlgräting in der rechten Hand.

Von Steuerbord herüber klang die Stimme Dan O’Flynns.

„Ein Boot hält auf uns zu!“ rief er. „Hoffentlich haben die nicht wieder eine Schweinerei im Sinn!“

Ben Brighton, der neben Pete Ballie am Ruderstand lehnte, ging zum Steuerbordschanzkleid hinüber. Er sah ein kleines Auslegerboot mit einem Dreiecksegel. Drei vermummte Männer befanden sich an Bord. Einer von ihnen stand an der Ruderpinne.

Das Boot war vollgestopft mit Körben, in denen Früchte der verschiedensten Sorten lagen. Auch der Kutscher war voller Interesse neben Dan O’Flynn getreten und sagte: „Das sind Händler. Ich könnte ein paar Früchte und Gemüse gut gebrauchen.“

„Laß lieber die Finger davon“, sagte Dan. „Nachher hab ich wieder Bauchkneifen wie beim letztenmal.“

Der Kutscher spitzte die Ohren, als ein paar Laute an seine Ohren drangen, die sich wie das Wimmern eines Kindes anhörten. Dann entdeckte er das Lamm an Bord des Bootes. Erregt wies er mit dem rechten Arm hinunter.

„Wie wär’s mit einem Lammbraten, Dan? Davon wirst du sicher kein Bauchkneifen kriegen.“

Dan nickte. Der Gedanke an frisches, saftiges Lammfleisch ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. Er warf einen Blick hinauf zum Quarterdeck, wo Ben Brighton stand, und sagte dann zum Kutscher: „Ich werde mit Hasard sprechen. Wir müssen vor diesen Kerlen auf der Hut sein.“

Der Kutscher hatte gar nicht hingehört. Sein Blick war starr auf das Lamm gerichtet. Er malte sich aus, daß es beim Essen endlich mal wieder einigermaßen zufriedene Gesichter geben würde, wenn er den Männern einen saftigen Lammbraten servieren konnte. Allerdings würde er mit einem Tier nicht weit reichen. Aber vielleicht konnten die Araber ihm noch ein paar Tiere besorgen.

 

Dan enterte das Quarterdeck. In diesem Moment erschien der Seewolf im Niedergang zu den Kammern unter dem Achterdeck und schaute zu Ben Brighton hinüber.

„Was gibt es, Ben?“ fragte er.

„Ein Händler“, erwiderte Ben. „Er hat Obst, Gemüse und ein Lamm an Bord, auf das der Kutscher ganz scharf ist.“

Der Seewolf trat ans Schanzkleid und blickte zu dem Boot hinüber, das sich bis auf ein paar Faden dem Rumpf der „Isabella“ genähert hatte. Er gab Matt Davies, der sich auf dem Achterdeck um die Drehbasse gekümmert hatte, einen Wink, auf der Hut zu sein, wenn plötzlich Gefahr von dem Boot drohte.

Aber diesmal schienen sie sich alle getäuscht zu haben. Die drei Araber in dem Boot waren offensichtlich wirklich harmlose Händler. Sie versuchten, sich mit Gesten zu verständigen, und als sie begriffen, daß die Giaurs ihnen einiges von ihren Waren abzukaufen bereit waren, gerieten sie ganz aus dem Häuschen.

Carberry begann zu brüllen, als sie das Lamm hochhoben, um es an Bord der Galeone hieven zu lassen.

„Das Vieh kommt mir so nicht an Bord! Wenn es hier geschlachtet wird, versaut ihr mir das ganze Deck! Sie sollen es bei sich im Boot schlachten!“

„Quatsch!“ sagte der Kutscher wütend. „Ein frisch geschlachtetes Lamm schmeckt immer besser. Wenn ich dein Deck versaue, schrubbe ich es auch wieder sauber.“

„Das will ich auch hoffen“, knurrte Ed. „Oder ich werde die Planken mit dir aufwischen!“

Sie hievten das kläglich schreiende Lamm an Bord, und die Zwillinge waren plötzlich neben dem Kutscher und hielten das vor Angst zitternde Tier.

Als der Kutscher die leuchtenden Augen der beiden Jungen sah, ahnte er tief in seinem Inneren, daß noch einige Schwierigkeiten auf ihn warten würden, bis er den Lammbraten auf die Teller der Männer gebracht hatte.

2.

Die „Isabella“ segelte nur mit Vormars- und Großmarssegel. Der breite Strom schob kräftig mit. Sie passierten das Dorf Edfu, das sie schon auf ihrer Fahrt den Nil hinauf gesehen hatten, und die Stimmung an Bord hatte sich etwas gebessert, seit sie das Lamm gekauft hatten. Die Zwillinge spielten mit ihm wie mit einem Hund, und das Tier hatte sich auch schon an Arwenack gewöhnt, der immer wieder auf seinen Rücken sprang.

Unter den Männern bildeten sich zwei Gruppen. Die einen wollten möglichst sofort das Tier schlachten, um es zu verspeisen. Die anderen wollten auf die Mahlzeit verzichten, weil sie sahen, wie die Zwillinge und das Lamm miteinander über Deck jagten.

Der Seewolf kriegte von alledem nichts mit. Er saß in seiner Kammer über den Karten und überlegte, ob er nicht doch irgend etwas übersehen hatte, das ihm einen Hinweis auf die sagenhaften Schätze des Königsgrabes von Tutench-Amon gab.

Er schüttelte den Kopf und legte die Karten zur Seite. Er hätte sich vielleicht doch eingehender mit dem Hafenbeamten Othman Mustafa Ashmun unterhalten sollen. Zusammen mit diesem Mann wäre es sicher einfacher gewesen, das Geheimnis der Karten zu ergründen.

Hasard stand auf und trat an das Fenster seiner Kammer. Die Ufer des Nils glitten langsam an ihm vorbei. Seine Gedanken beschäftigten sich plötzlich wieder mit dem sagenhaften Kanal, der vom Nil aus ins Rote Meer führen sollte. Der Seewolf war sich durchaus darüber im klaren, daß sich dieser Kanal als reine Legende entpuppen konnte, aber die Sensation einer solchen Entdeckung, wenn es ihn wirklich gab, würde so ungeheuerlich sein, daß er das Risiko eingehen wollte, ihn zu suchen. Ein Seeweg über den Nil nach Indien! Die Vorstellung allein verursachte ihm Schwindel.

Ein dumpfes Dröhnen hallte von draußen zu ihm in die Kammer. Für einen Moment hatte er das Gefühl, die Planken würden unter seinen Füßen vibrieren. Er beugte sich etwas vor und starrte aus dem Fenster, aber weit und breit war kein Schiff auf dem Nil zu sehen.

Hastig drehte er sich um. Er hörte das Schreien seiner Männer und hatte die Tür seiner Kammer noch nicht erreicht, als sie bereits aufgerissen wurde und Ben Brighton hereinstürmte.

„Feuer!“ stieß Ben mit verzerrtem Gesicht hervor. „Irgend etwas ist unter Deck explodiert!“

Er wandte sich sofort wieder um und hastete den Gang zurück zum Achterdeck.

Der Seewolf war dicht hinter ihm. Mit wenigen Sätzen waren sie den Niedergang hinauf. Außer Pete Balie war niemand mehr auf dem Achterdeck.

„Al Conroys Bombe mit dem griechischen Feuer ist hochgegangen!“ brüllte Pete ihnen entgegen.

„Du bleibst am Ruder!“ rief der Seewolf zurück. „Versuch, so dicht wie möglich ans Ufer zu fahren, ohne daß wir auflaufen!“

Er sah, wie Ben bereits den Niedergang zur Kuhl hinuntersprang.

„Ed!“ brüllte der Seewolf. Er hastete hinter Ben her.

Dicke Qualmwolken standen über der Kuhl. Die Männer hatten eine Kette gebildet und reichten sich Ledereimer zu. Smoky hievte gerade den ersten mit Wasser gefüllten Eimer hoch.

Ed Carberrys Kopf tauchte zwischen dichten Qualmwolken auf. Sein Blick war auf Hasard gerichtet, doch dann sah er die Kette der Männer, die Eimer voll Wasser von einem zum anderen reichten.

„Seid ihr verrückt, ihr hirnrissigen Affen?“ brüllte er. „Wollt ihr das Schiff in eine Fackel verwandeln? Wenn auch nur ein Tropfen Wasser mehr mit dem griechischen Feuer in Berührung gerät, ist hier die Hölle los!“

Die Männer, die bereits einen gefüllen Eimer in den Händen hielten, liefen zum Schanzkleid und schütteten das Wasser hastig über Bord.

„Ed, die Segel runter!“ rief der Seewolf. „Wir gehen dicht unter dem Ufer vor Anker! Ben, laß soviel Sand wie möglich heranschaffen! Wir müssen das Feuer ersticken!“

Hasard trat einen Schritt weiter auf die Luke zu, als eine erneute Detonation das Schiff erschütterte. Ein Ruck schien durch die „Isabella“ zu gehen, und im ersten Moment glaubte der Seewolf, es würde die Galeone auseinanderreißen.

Dichte, erstickende Qualmwolken, schwarz wie Ruß, quollen durch die Luke.

Der Seewolf ließ sich davon nicht aufhalten. Er hielt den Atem an, kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und tastete sich zu der Luke vor. Er fand die Sprossen, an denen er hinunterklettern konnte. Er sah nichts, aber am Geschrei der Männer erkannte er, daß der Brandherd im Vorschiff sein mußte.

Seine Augen tränten. Blitzartige Lichtreflexe blendeten ihn plötzlich. Er sah Feuerlohen vor sich zischend aufflackern. Eine Hand packte ihn am Arm und riß ihn zur Seite.

„Das Pulver!“ schrie eine Stimme neben ihm. „Wir müssen das Pulver an Deck bringen, sonst fliegt das Schiff in die Luft!“

Der Seewolf drehte sich zu Ferris Tucker herum. Er wollte ihn fragen, wie das Unglück hatte passieren können, aber dann sah er ein, daß für Erklärungen in diesem Augenblick keine Zeit war.

Er kämpfte sich zum Brandherd durch.

Al Conroy, Stenmark, Batuti, Matt Davies und Dan O’Flynn versuchten, den Brand in der kleinen Kammer mit Sand zu ersticken.

Die Tür zur Pulverkammer war noch frei, und Ferris Tucker riß sie gerade auf. Seine Stimme übertönte das Fauchen des Feuers, als er ein paar Männer zu sich rief und sie anwies, sich ein Pulverfaß zu schnappen und an Deck zu schaffen.

Der Seewolf stand neben Dan O’Flynn und warf einen Blick in die kleine Kammer, die in hellen Flammen stand. Als er sah, wie gierige Flammenzungen an der hinteren Wand der Kammer, die den kleinen Raum von der Pulverkammer abtrennte, hochleckten, durchzuckte ihn ein gewaltiger Schreck.

Ferris hatte recht. Wenn sie es nicht schafften, die Pulverkammer rechtzeitig zu räumen, waren sie verloren. Es war unmöglich, das Feuer rechtzeitig zu löschen.

Hasard hastete zurück zur Luke. Fünf Männer hatten vor der kleinen Kammer gestanden und versuchten, das Feuer zu ersticken. Das mußte genügen. Mehr Männer würden sich auf dem engen Raum nur im Wege stehen.

„Alles runter in den Lagerraum!“ brüllte Hasard durch die Luke hinauf. „Wir müssen die Pulverkammer räumen!“

Ed Carberry war als erster unten.

„Oben alles klar?“ schrie Hasard durch den Lärm.

„Aye, aye!“ brüllte der Profos zurück und lief an ihm vorbei auf die Pulverkammer zu, wo Ferris Tucker ein Faß nach dem anderen herausreichte.

Immer mehr Männer schoben sich durch die Luke. Der Seewolf sah zwei schmächtige Gestalten, und im ersten Moment wollte er die Zwillinge anbrüllen, aber dann dachte er daran, daß jede Hand gebraucht wurde. Er jagte Hasard und Philip hinter Carberry her.

Die Zwillinge waren für einen Augenblick ziemlich verdutzt. Wahrscheinlich hatten sie damit gerechnet, daß irgendeiner der Männer sie am Schlafittchen packen und irgendwo einsperren würde, wo sie von der ganzen Aufregung wieder nichts mitkriegen konnten. Dann aber waren sie wie der Blitz bei der Pulverkammer.

Ferris Tucker zögerte einen Moment, als Hasard junior ihm die Hände entgegenstreckte, doch dann grinste auch er und brüllte: „Laß es bloß nicht fallen, sonst jagst du uns alle in die Hölle!“

Die Jungs keuchten. Ihre Gesichter waren vom Qualm geschwärzt, aber in ihren Augen leuchtete der Stolz darüber, daß sie helfen konnten und als voll-wertige Mitglieder der Crew betrachtet wurden.

Der Seewolf hatte Smoky und dem Kutscher befohlen, an Deck zu bleiben und die Pulverfässer an der Luke in Empfang zu nehmen. Eins nach dem anderen wurde nach oben geschafft.

Hasard dachte schon, daß die Gefahr gebannt war, als kurz hintereinander zwei weitere Detonationen ein Chaos unter Deck auslösten.

Die dünne Plankenwand der kleinen Kammer wurde durch die Druckwelle aus der Verankerung gerissen. Sie fegte Stenmark, Batuti und Dan O’Flynn zur Seite und begrub die Männer unter sich. Eine Flammenwalze rollte über sie weg und fauchte Hasard entgegen, der sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen ließ.

Es schien ihm, als lecke die Hölle nach ihm. Der Geruch von verbrannten Haaren stieg ihm in die Nase. Als er Luft holte, glaubte er, flüssiges Blei geatmet zu haben. Keuchend hustete er.

Schatten tanzten vor seinen Augen. Stimmfetzen durchbrachen das Jaulen und Heulen des Feuers. Taumelnd sprang er wieder auf die Beine. Er sah, wie Matt Davies seinen Haken an der rechten Handwurzel in das Holz der Plankenwand schlug und mit verzerrtem Gesicht versuchte, sie anzuheben.

Mit drei Schritten war Hasard neben ihm, ging in die Knie und stemmte sich mit aller Macht hoch. Zwei, drei Schatten tauchten neben ihm auf und wollten ihm helfen.

„Weg hier!“ schrie er sie an. „Kümmert euch um das Pulver!“

Sie verschwanden wieder.

Der Seewolf dachte, daß seine Lungen zerspringen müßten. Schulter an Schulter mit Matt Davies hockte er auf dem Boden und versuchte, die Plankenwand hochzustemmen. Sie schafften es, und als erster tauchte der Kopf Dan O’Flynns auf. Dan zerrte zusammen mit Batuti den Schweden hinter sich her, über dessen Stirn eine breite Blutbahn lief.

Stenmark hatte die Augen jedoch geöffnet, und kaum waren sie unter der Plankenwand hervorgekrochen, schüttelte der Schwede die helfenden Hände ab.

Matt wies durch das Brüllen des Feuers auf seine blutende Stirn, aber der Schwede winkte ab, nachdem er sich über die Augen gefahren war und das Blut abgewischt hatte.

„Nur ein Kratzer!“ brüllte er.

Der Seewolf war zu Al Conroy hinübergeeilt, der dicht vor den fauchenden Flammen stand und immer wieder mit einer Decke auf das Feuer einschlug.

„Wie viele Dinger werden noch hochgehen?“ schrie Hasard.

Al Conroys Gesicht war vor Anstrengung und Wut verzerrt.

„Das waren alle!“ brüllte er zurück. „Zum Glück habe ich nur vier von den Flaschen mit dem Teufelszeug gefüllt!“

Der Seewolf nahm einen Eimer voll Sand entgegen, den Gary Andrews ihm reichte. Er hörte das Schreien von Dan O’Flynn, der vor der Tür zur Pulverkammer stand.

Sein Kopf ruckte herum.

Das Entsetzen ließ ihn für einen Moment erstarren. Dann hastete er auf Dan zu und versuchte, die Feuerwand, die sich vor die Tür geschoben hatte, mit den Blicken zu durchdringen. Doch er sah nichts.

„Ist Ferris noch da drin?“ fragte er schreiend.

Dan nickte. Sein Gesicht war schweißüberströmt und verschmiert mit Rußpartikelchen, die er sich durchs Gesicht gewischt hatte.

Hasard sah Dan an, daß dieser schon aufgegeben hatte. Er riß Dan die Dekke aus den Händen und hieb wie ein Verrückter damit auf die Flammenwand ein. Er schaffte es, daß das Feuer nicht mehr so hoch loderte. Ferris Tucker war immer wieder zu erkennen. Auch er war dabei, mit einer Decke auf das Feuer einzuschlagen, damit die Flammen nicht in die Pulverkammer eindrangen.

 

Immer mehr Männer standen plötzlich neben Hasard, und dann brachen die Flammen von einem Augenblick zum anderen zusammen.

Der Seewolf jagte die Männer hinüber zu Al Conroy, der allein weiter versucht hatte, den Brand in der kleinen Kammer unter Kontrolle zu bringen. Er selbst achtete darauf, daß die Flammen nicht zurückschlagen konnten und die Tür zur Pulverkammer wieder versperrten.

Ferris Tucker schien nicht davon beeindruckt zu sein, daß er für Minuten von einer Flammenwand in der Pulverkammer eingesperrt gewesen war. Er arbeitete unermüdlich. Faß für Faß reichte er hinaus, und die Männer draußen konnten sich gar nicht schnell genug anstellen, um ihm die Fässer abzunehmen.

Dan O’Flynn wußte fast nicht mehr, wo er war. Qualm war in seine Lungen gedrungen und hatte ihm fast die Besinnung genommen. Er fühlte den Druck des kleinen Körpers, den er auf der Schulter trug, und er hoffte, daß es nicht zu spät war.

Er schob die Männer, die die Pulverfässer nach oben durch die Luke hoben, zur Seite und kletterte keuchend die Sprossen hinauf. Hände streckten sich ihm entgegen und griffen nach der Last auf seinen Schultern. Er hatte das Gefühl, daß seine Lungen gleich platzen würden, aber er wußte, daß er hier im Qualm keine Luft holen durfte, wenn er nicht ohnmächtig zusammensinken wollte.

Hastig zog er sich zurück. Das Fauchen und Brüllen der Flammen in den Ohren, lief er ein paar Yards zur achterlichen Kammer, riß die Tür auf, sprang hindurch und knallte sie wieder hinter sich zu.

Die Luft war auch hier alles andere als klar, aber dennoch sog er sie gierig in seine Lungen. Ein paarmal atmete er tief durch, dann sprang er zurück. Ein anderer hastete an ihm vorbei. Auch er wollte wohl mal wieder etwas anderes als Qualm in die Lungen kriegen.

Dan sah, daß die Pulverkammer sich langsam leerte. Aber noch war die Gefahr nicht gebannt. Die Zwischenwand vom kleinen Raum zur Pulverkammer glühte. Es war nur noch eine Frage von Minuten, wann sie zusammenbrechen und den Flammen den Weg in die Pulverkammer freigeben würde.

Eine kleine Gestalt taumelte an ihm vorbei. Dan sah, daß sich auch Philip kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er nahm dem Jungen das kleine Pulverfaß aus den Händen und schrie: „Verschwinde von hier unten! Du hast jetzt genug geholfen! Hasard ist schon oben!“

Philip schüttelte den Kopf und wollte Dan das Faß wieder abnehmen, aber dieser packte mit der Linken zu und schob den Jungen vor sich her auf die Luke zu, durch die der Qualm fauchte, als säße im Schiff jemand, der ihn hinausblies.

Dan wußte, daß er es nicht mehr lange hier unten aushalten konnte. Er entschloß sich, Philip nach oben zu bringen und selbst auch für ein paar Minuten frische Luft zu schnappen, bevor er hier unten zusammenbrach und eine Belastung für die anderen war.

Philip wehrte sich heftig, doch als sie mitten im Qualm waren, ließen seine Bewegungen nach.

Keuchend erreichte Dan die Kuhl und wich sofort zum Vorschiff hin aus, da der leichte Wind die Rauchschwaden nach achtern blies.

Philip hustete und ließ sich neben Hasard, um den sich Ed gekümmert hatte, nieder.

„Erholt euch einen Augenblick“, sagte Dan hastig, „dann helft dem Profos, die Pulverfässer entgegenzunehmen, klar?“

Die Zwillinge nickten. Immer wieder husteten sie, aber Dan sah, daß es nicht so schlimm war.

Er drehte sich um, hielt seinen Kopf noch für eine Weile in die qualmfreie Luft und tauchte dann wieder in der Luke unter.

Die „Isabella“ lag inzwischen vor Anker. Die Strömung hielt das Schiff in der Fahrrinne, so daß keine Gefahr bestand, daß die Galeone auflief. Pete Ballie hatte das Ruder festgezurrt und half in der Kuhl, die Pulverfässer zu stapeln.

Jetzt tauchten in Abständen immer wieder Männer an Deck auf, um nach Luft zu schnappen. An ihren Gesichtern war abzulesen, daß unter Deck die Hölle sein mußte.

Die Zwillinge waren nicht lange zu halten. Sie arbeiteten wie die Verrückten. Carberry blieb allerdings jetzt ständig in ihrer Nähe und überwachte sie. Er wußte, daß er den Jungen nicht erlauben durfte, sich zu lange in dem dichten Qualm aufzuhalten.

Hasard junior hatte gerade ein weiteres Faß entgegengenommen, aber es rutschte ihm aus den Händen. Fluchend bückte er sich danach und stemmte es keuchend wieder hoch. Carberry hatte ihm zu Hilfe eilen wollen, doch da er selbst gerade zwei Fässer schleppte und sah, daß der Junge sein Faß wieder aufhob, wandte er sich ab.

Niemand sah, daß Hasards Faß beim Aufprall leck geworden war. Pulver rieselte hervor und zog eine Spur über das Deck.

In diesem Augenblick tauchte das rußverschmierte Gesicht von Bill aus der Luke auf. Er brüllte etwas, das niemand verstehen konnte und schlug mit der einen Hand immer wieder auf seine Hose ein, an der sich ein paar Funken in den Stoff gefressen hatten.

Er hechtete mit einem Satz aus der Luke, zerrte sich die Hose vom Leib und warf sie von sich.

Carberry, der gerade seine beiden Fässer abgestellt hatte und sich umdrehte sah, wie sich an der Stelle, wo Bills Hose landete, zischend eine kleine Flamme erhob. Er sah die kleine graue Spur, die Hasard hinter sich herzog, sah, wie die kleine Flamme sich sprühend und zischend an der grauen Spur entlangfraß, und jagte schreiend auf Hasard los.

Der Junge blieb erschrocken stehen und starrte Carberry entgegen. Er begriff nicht, was geschehen war.

„Laß das Faß fallen!“ brüllte der Profos. „Weg damit!“

Hasard verstand nicht. Er drehte sich um, weil er annahm, daß hinter ihm irgend etwas geschehen war. Er sah die kleine Flamme, die sich blitzschnell über die Planken auf ihn zufraß, aber er konnte das Geschehen nicht sofort deuten. Erst als auch die anderen Männer an der Kuhl zu schreien begannen, begriff er.

Er schaute an sich hinunter und sah, wie das Pulver aus seinem Faß lief und zu seinen Füßen bereits einen kleinen Haufen gebildet hatte. Die Flamme war nur noch drei Yards von ihm entfernt.

Er wollte das Faß loslassen, doch in diesem Augenblick erhielt er einen Stoß, der ihn ein paar Schritte zur Seite schleuderte. Das Faß wurde ihm aus den Händen gerissen, und im Stürzen sah er, wie Carberry es mit einem gewaltigen Schwung übers Schanzkleid beförderte.

Der Profos selbst hatte sich nicht mehr rechtzeitig zur Seite werfen können. Zu seinen Füßen erreichte die Flamme den Pulverhaufen und ging fauchend in eine Stichflamme über, die Carberry übers Gesäß den Rücken hinauffuhr.

Carberry brüllte, preßte beide Hände auf das geröstete Hinterteil und begann einen Tanz, der einem Derwisch alle Ehre eingebracht hätte.

Sofort waren zwei Männer bei ihm und erstickten die Funken, die seine Beinkleider in Brand setzen konnten.

Hasrad saß immer noch auf dem Hosenboden und starrte den Profos an. Im ersten Augenblick hatte er über Carberrys Tanz lachen wollen, doch dann dachte er an das Pulverfaß, das er in den Händen gehalten hatte, und auf einmal wurde ihm klar, wie knapp er dem Tod entronnen war. Das Pulver hätte ihn glatt zerrissen.

Der Junge war auf einmal ganz grün im Gesicht, und als Carberry ihn sah, ging er zu ihm hinüber und sagte: „Vergiß es, Rübenschweinchen. Irgendwann zahlst du es mir zurück, klar?“

Hasard nickte. Er konnte nicht verhindern, daß ihm eine Träne über die Wange lief. Er wischte sie hastig weg und stieß mit gepreßter Stimme hervor: „Dieser verdammte Qualm!“

Ein leichtes Grinsen huschte über Carberrys Züge, dann erwiderte er: „Los, weiter, Junge. Wir sind noch nicht mit der Arbeit fertig.“

„Sand her!“ brüllte Ferris Tucker.

Er wußte, daß er es nicht mehr schaffen konnte, auch den Rest der Fässer aus der Pulverkammer zu schaffen. Er hatte die Trennwand zur kleinen Kammer, in der es immer noch brannte, leergeräumt, und er hatte die Hitze durch die Planken gespürt. Jetzt war die Hitze schon unerträglich, und Ferris war sich darüber klar, daß die Planken jeden Moment zusammenbrechen und den Weg für die Flammen in die Pulverkammer freigeben konnten.

Immer wieder fluchte er unterdrückt über das höllische, griechische Feuer. Einen normalen Brand hätten sie schon längst mit Wasser gelöscht. So gefährlich das Zeug auch für ihre Gegner war – jetzt erwies es sich, daß sie einen Selbstzünder an Bord gehabt hatten.

Ferris riß Batuti einen Eimer Sand aus den Händen.

„Mehr!“ brüllte er. Er schüttete den Eimer auf den Bodenplanken aus, damit sich das Feuer dort nicht weiterfressen konnte, wenn die Trennwand zusammenbrach.

Er hörte draußen die Männer husten und keuchen. Die Luft in der Pulverkammer war zwar auch heiß und stickig und kaum zu atmen, aber wenigstens war er bisher von dem dichten Qualm verschont geblieben, der sich durch die Luke und durch einige Ritzen den Weg nach draußen suchte.

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